I. Die drei Geschenke von Herrn d'Artagnan Vater
Am ersten Montag des Monats April 1625 schien der Marktflecken Meung, wo der Verfasser des Romans der Rose geboren wurde, in einem so vollständigen Aufruhr begriffen zu sein, als ob die Hugenotten gekommen wären, um ein zweites Rochelle daraus zu machen. Mehrere Bürger beeilten sich, als sie die Frauen die Straßen entlang fliehen sahen und die Kinder auf den Thürschwellen schreien hörten, den Küraß umzuschnallen und, ihre etwas unsichere Haltung durch eine Muskete oder eine Partisane unterstützend, sich nach der Herberge zum Freimüller zu wenden, vor der sich von Minute zu Minute anwachsend eine lärmende, neugierige, dichte Gruppe drängte.
Zu dieser Zeit waren die panischen Schrecken gar häufig, und wenige Tage vergingen, ohne daß eine oder andere Stadt irgend ein Ereigniß dieser Art in ihre Archive einzutragen hatte. Da gab es adelige Herren, welche unter sich Krieg führten; da war der König, der den Kardinal bekriegte; da war der Spanier, der den König bekriegte. Außer diesen stillen oder öffentlichen, geheimen oder geräuschvollen Kriegen, gab es Diebe, Bettler, Hugenotten, Wölfe und Lakaien, welche mit aller Welt Krieg führten. Die Bürger bewaffneten sich immer gegen die Diebe, gegen die Wölfe, gegen die Lakaien; — häufig gegen die adeligen Herren und die Hugenotten; — zuweilen gegen den König; — aber nie gegen den Kardinal und den Spanier. Infolge dieser Gewohnheit geschah es, daß die Bürger an genanntem erstem Montag des Monats April 1625, als sie das Geräusche hörten und weder die gelb und rothen Standarten, noch die Livree des Herzogs von Richelieu sahen, nach der Herberge zum Freimüller liefen.
Hier angelangt, vermochte jeder die Ursache dieses Lärms zu erschauen und zu erkennen.
Ein junger Mensch… entwerfen wir sein Porträt mit einem Federzuge: man denke sich Don Quixote im achtzehnten Jahre; Don Quixote ohne Bruststück, ohne Panzerhemd und ohne Beinschienen; Don Quixote in einem Wamms, dessen blaue Farbe sich in eine unbestimmbare Nuance von Weinhefe und Himmelblau verwandelt hatte. Langes, braunes Gesicht, hervorspringende Backenknochen, Zeichen der Schlauheit, außerordentlich stark entwickelte Kiefermuskeln, ein untrügliches Zeichen, an dem der Gascogner selbst ohne Baret zu erkennen ist, und unser junger Mann trug ein mit einer Art von Feder verziertes Baret; das Auge offen und gescheit; die Nase gebogen, aber fein gezeichnet; zu groß für einen Jüngling, zu klein für einen gemachten Mann, und ein ungeübtes Äuge würde ihn für einen reisenden Pächterssohn gehalten haben, hätte er nicht den langen Degen getragen, der an einem ledernen Wehrgehänge befestigt an die Waden seines Eigentümers schlug, wenn er zu Fuß war, und an das rauhe Fell seines Pferdes, wenn er ritt.
Denn unser junger Mann hatte ein Pferd, und dieses Roß war eben so merkwürdig, als es auch wirklich in die Augen fiel. Es war ein Klepper aus dem Bearn, zwölf bis vierzehn Jahre alt, von gelber Farbe, ohne Haare am Schweif, aber nicht ohne Fesselgeschwüre an den Beinen, ein Thier, das, während es den Kopf im Gehen tiefer hielt, als die Kniee, was die Anwendung des Sprungriemens überflüssig machte, muthig noch seine acht Meilen im Tage zurücklegte. Unglücklicherweise waren die geheimen Vorzüge dieses Pferdes so gut unter seiner seltsamen Haut und unter seinem fehlerhaften Gange versteckt, daß in einer Zeit, wo sich Jedermann auf Pferde verstand, die Erscheinung der genannten Mähre in Meung, woselbst sie vor ungefähr einer Viertelstunde durch das Beaugencythor eingetroffen war, eine allgemeine Sensation hervorbrachte, deren Ungunst bis auf den Reiter zurücksprang.
Und diese Sensation war für den jungen d'Artagnan (so hieß der Don Quixote dieser zweiten Rozinante), um so peinlicher, als er sich die lächerliche Seite nicht verbergen konnte, die ihm, ein so guter Reiter er auch war, ein solches Pferd gab. Es war ihm nicht unbekannt, daß dieses Thier einen Werth von höchstens zwanzig Livres hatte; die Worte, von denen das Geschenk begleitet wurde, waren allerdings unschätzbar.
«Mein Sohn, «sagte der gascognische Edelmann m dem reinen Patois des Bearn, von dem sich Heinrich IV. nie hatte losmachen können,»mein Sohn, dieses Pferd ist in dem Hause Deines Vaters vor bald dreizehn Jahren geboren, und seit dieser Zeit hier geblieben, was Dich bewegen muß, dasselbe zu lieben. Verkaufe es nie, laß es ruhig und ehrenvoll an Altersschwäche sterben, und wenn Du einen Feldzug mit ihm machst, so schone es, wie Du einen alten Diener schonen würdest. Am Hofe, «fuhr d'Artagnan Vater fort,»wenn Du die Ehre hast dahin zu kommen, eine Ehre, auf die wir übrigens vermöge unseres alten Adels Anspruch machen dürfen, halte würdig Deinen Namen als Edelmann aufrecht, der von unsern Ahnen seit fünfhundert Jahren auf eine ruhmvolle Weise geführt worden ist, halte ihn aufrecht für Dich und für die Deinigen. Unter den Deinigen verstehe ich Deine Verwandten und Deine Freunde; dulde nie etwas, außer von dem Herrn Kardinal und von dem König. Durch seinen Muth, höre wohl, nur durch seinen Muth, macht ein Edelmann heut zu Tage sein Glück. Wer eine Sekunde zittert, läßt sich vielleicht den Köder entgehen, welchen ihm das Glück gerade während dieser Sekunde darreichte. Du bist jung. Du mußt aus zwei Gründen tapfer werden; einmal weil Du ein Gascogner und dann weil Du mein Sohn bist. Fürchte die Gelegenheit nicht und suche die Abenteuer; ich habe Dich den Degen handhaben gelehrt. Du besitzest einen eisernen Kniebug, eine stählerne Handwurzel; schlage Dich bei jeder Veranlassung; schlage Dich um so mehr, als Zweikämpfe verboten sind, und weil es deshalb eines doppelten Muthes bedarf, sich zu schlagen. Mein Sohn, ich habe Dir nur fünfzehn Thaler, mein Pferd und die Rathschläge zu geben, die Du so eben vernommen hast. Deine Mutter wird das Recept zu einem gewissen Balsam beifügen, das sie von einer Zigeunerin erhalten hat, und das die wunderbare Kraft besitzt, jede Wunde zu heilen, die nicht gerade das Herz berührt. Ziehe aus Allem Nutzen, lebe glücklich und lange.
«Ich habe nur ein Wort beizufügen. Ich will Dir ein Beispiel nennen, nicht das meinige, denn ich bin nie bei Hof erschienen und habe nur die Religionskriege als Freiwilliger mitgemacht: ich spreche von Herrn von Treville, der einst mein Nachbar war und die Ehre hatte, als Kind mit unserem König Ludwig XIII., den Gott erhalten möge, zu spielen. Zuweilen arteten ihre Spiele in Schlachten aus, und bei diesen Schlachten war der König nicht immer der Stärkere. Die Schläge, welche er erhielt, flößten ihm große Achtung und Freundschaft für Herrn von Treville ein. Später schlug sich Herr von Treville fünfmal während seiner ersten Reise nach Paris mit Andern? vom Tode des seligen Königs an bis zur Volljährigkeit des jungen, ohne die Kriege und Belagerungen zu rechnen, siebenmal, und von dieser Volljährigkeit an bis auf den heutigen Tag hundertmal! — Nun ist er, allen Edicten, Ordonnanzen und Urteilssprüchen zum Trotz, Kapitän der Musketiere, d. h. Anführer einer Legion von Cäsaren, welche der König sehr hoch achtet und der Kardinal fürchtet, der sich sonst bekanntlich vor nichts zu fürchten pflegt. Noch mehr, Herr von Treville nimmt jährlich 10,000 Thaler ein; er ist also ein sehr vornehmer Herr. — Er hat angefangen wie Du, besuche ihn mit diesem Briefe und richte Dein Benehmen nach seinen Vorschriften ein, damit es Dir ergehe, wie ihm.«
Darauf gürtete Herr d'Artagnan Vater dem Jüngling seinen eigenen Degen um, küßte ihn zärtlich auf beide Wangen und gab ihm seinen Segen.
Das väterliche Zimmer verlassend, fand der junge Mann seine Mutter, welche ihn mit dem berühmten Recepte erwartete, zu dessen häufiger Anwendung die so eben erhaltenen Rathschläge ihn nöthigen sollten. Der Abschied war von dieser Seite länger und zärtlicher als von der andern. Nicht als ob Herr d'Artagnan seinen Sohn, der sein einziger Sprößling war, nicht geliebt hätte, aber Herr d'Artagnan war ein Mann, und er hätte es als eines Mannes unwürdig erachtet, sich seiner Rührung hinzugeben, während Frau d'Artagnan Weib und überdieß Mutter war. Sie weinte schrecklich, und wir müssen es Herrn d'Artagnan zum Lob nachsagen, daß er sich trotz seiner Anstrengungen, ruhig zu bleiben, wie es die Pflicht eines zukünftigen Musketiers war, von der Natur hinreißen ließ und eine Menge Thränen vergoß, von denen er nur mit großer Mühe die Hälfte verbergen konnte.
Am selben Tage begab sich der junge Mann auf den Weg, ausgerüstet mit den drei väterlichen Geschenken, welche, wie gesagt, aus fünfzehn Thalern, dem Pferde und dem Briefe an Herrn von Treville bestanden; die Rathschläge waren, wie man sich wohl denken kann, in den Kauf gegeben worden. Mit einem solchen Vademecum erschien d'Artagnan in moralischer, wie in physischer Beziehung als eine getreue Copie des Helden von Cervantes, mit dem wir ihn so glücklich verglichen, als wir uns durch unsere Geschichtschreiberpflichten veranlaßt sahen, sein Bild zu entwerfen. Don Quixote hielt die Windmühlen für Riesen und die Schafe für Armeen, d'Artagnan nahm jedes Lächeln für eine Beleidigung und jeden Blick für eine Herausforderung. Demzufolge hielt er seine Faust von Tarbes bis Meung geschlossen und fuhr wenigstens zehnmal des Tags an seinen Degenknopf; die Faust traf indessen keinen Kinnbacken und der Degen kam nicht aus der Scheide. Nicht als ob der Anblick der unglückseligen gelben Mähre nicht oftmals ein Lächeln auf den Gesichtern der Vorübergehenden hervorgerufen hätte, aber da über dem Klepper ein Degen von achtungswerther Größe klirrte und über diesem Degen ein mehr wildes als stolzes Auge glänzte, so unterdrückten die Vorübergehenden ihre Heiterkeit, oder wenn diese Heiterkeit mächtiger wurde, als die Klugheit, so suchten sie wenigstens, wie die antiken Masken, nur auf einer Seite zu lachen; d'Artagnan blieb also majestätisch und unverletzt in seiner Empfindlichkeit bis zu dem unseligen Städtchen Meung.
Hier aber, als er an der Thüre des Freimüllers vom Pferd stieg, ohne daß irgend Jemand, Wirth, Kellner oder Hausknecht erschien, um ihm den Steigbügel am Auftritt zu halten, erblickte d'Artagnan an einem halbgeöffneten Fenster des Erdgeschosses einen Edelmann von schöner Gestalt und vornehmem Aussehen mit leicht gerunzeltem Gesicht, der mit zwei Personen sprach, welche ihm mit großer Untertänigkeit zuzuhören schienen. D'Artagnan glaubte ganz natürlich, seiner Gewohnheit gemäß, der Gegenstand des Gespräches zu sein, und horchte. Diesmal hatte sich d'Artagnan nur zur Hälfte getäuscht; es war zwar nicht von ihm die Rede, aber von seinem Pferde, dessen Eigenschaften der Edelmann seinen Zuhörern aufzählte, und da diese Zuhörer, wie gesagt, große Ehrfurcht vor dem Erzähler zu hegen schienen, so brachen sie jeden Augenblick in ein neues schallendes Gelächter aus. Da nun ein halbes Lächeln hinreichte, um den jungen Mann zum Zorne zu reizen, so begreift man leicht, welchen Eindruck eine so geräuschvolle Heiterkeit auf ihn hervorbringen mußte.
D'Artagnan wollte sich jedoch vorerst über die Physiognomie des Frechen belehren, der es wagte, sich über ihn lustig zu machen. Er heftete seinen Blick voll Stolz auf den Fremden und erkannte in ihm einen Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen, durchdringenden Augen, bleicher Gesichtsfarbe, stark hervortretender Nase und schwarzem, vollkommen zugestutztem Schnurrbart; derselbe trug ein Wamms und veilchenblaue Beinkleider mit Schnürnesteln von ähnlicher Farbe. Dieses Wamms und diese Beinkleider schienen, obwohl neu, doch zerknittert, wie lange in einem Mantelsack eingeschlossene Reisekleider. D'Artagnan machte alle seine Bemerkungen mit der Geschwindigkeit des schärfsten Beobachters und ohne Zweifel von einem instinktartigen Gefühl angetrieben, das ihm sagte, dieser Fremde müsse einen großen Einfluß auf sein zukünftiges Leben ausüben.
Da nun in dem Moment, wo d'Artagnan sein Auge auf den Edelmann mit der veilchenblauen Hose heftete, dieser Herr eine seiner gelehrtesten und gründlichsten Erläuterungen in Bezug der bearnischen Mähre zum Besten gab, so brachen seine Zuhörer in ein schallendes Gelächter aus, und er selbst ließ augenscheinlich gegen seine Gewohnheit ein bleiches Lächeln, wenn man so sagen darf, über sein Antlitz schweben. Diesmal konnte kein Zweifel entstehen, d'Artagnan war wirklich beleidigt. Erfüllt von dieser Überzeugung, drückte er sein Baret tief in die Augen und rückte, indem er sich Mühe gab, einige von den Hofmienen nachzuahmen, die er in der Gascogne bei reisenden vornehmen Herren aufgefangen hatte, eine Hand auf das Stichblatt seines Degens, die andere auf die Hüfte gestützt, vor. Leider verblendete ihn der Zorn immer mehr, je weiter er vorschritt, und statt einer würdigen stolzen Rede, die er im Stillen zu einer Herausforderung vorbereitet hatte, fand er auf seiner Zungenspitze nichts mehr, als eine plumpe Grobheit, die er mit einer wüthenden Geberde begleitete.
«He, mein Herr, «rief er,»mein Herr, der Ihr Euch hinter jenem Laden verbergt, ja Ihr, sagt mir doch ein wenig, über wen Ihr lacht, dann wollen wir gemeinschaftlich lachen.«
Der Edelmann richtete langsam die Augen von dem Pferde auf den Reiter, als ob er einiger Zeit bedürfte, um zu begreifen, daß so seltsame Worte an ihn gesprochen wurden; da ihm sodann kein Zweifel mehr übrig blieb, so runzelte er leicht die Stirne, und antwortete nach einer ziemlich langen Pause mit einem unbeschreiblichen Ausdruck von Spott und Keckheit:
«Ich spreche nicht mit Euch.«
«Aber ich spreche mit Euch, «rief der junge Mann, ganz außer sich über diese Mischung von Frechheit und guten Manieren, von Anstand und Verachtung.
Der Unbekannte betrachtete ihn noch einen Augenblick mit seinem leichten Lächeln und zog sich langsam vom Fenster zurück, ging dann aus dem Wirthshause, näherte sich d'Artagnan bis auf zwei Schritte und blieb vor dem Pferde stehen. Seine ruhige Haltung und seine spöttische Miene hatten die Heiterkeit derjenigen vermehrt, mit denen er plauderte, und die am Fenster geblieben waren. Als d'Artagnan ihn auf sich zukommen sah, zog er seinen Degen einen Fuß lang aus der Scheide.
«Dieses Pferd ist offenbar oder war vielmehr in seiner Jugend ein Goldfuchs, «sprach der Unbekannte, während er in den begonnenen Untersuchungen fortfuhr, und wandte sich dabei an seine Zuhörer am Fenster, ohne daß er die Erbitterung d'Artagnan's im Geringsten zu beachten schien.»Es ist eine in der Botanik sehr bekannte, aber bis jetzt bei den Pferden sehr seltene Farbe.«
«Wer über das Pferd lacht, «rief der Nebenbuhler Treville's wüthend,»würde es nicht wagen, über den Herrn zu lachen.«
«Ich lache nicht oft, mein Herr, «erwiederte der Unbekannte,»wie Ihr selbst an meinen Gesichtszügen wahrnehmen könnt, aber ich möchte mir doch gerne das Recht wahren, zu lachen, so oft es mir beliebt.«
«Und ich, «rief d'Artagnan,»ich will nicht, daß irgend Jemand über mich lache, wenn es mir mißfällt.«
«Wirklich, mein Herr?«erwiederte der Unbekannte, ruhiger als je,»nun denn, das ist nicht mehr als billig.«
Und auf seinen Fersen sich drehend, schickte er sich an, durch das große Thor in das Gasthaus zurückzukehren, wo d'Artagnan ein völlig gesatteltes Pferd wahrgenommen hatte.
Aber d'Artagnan besaß nicht den Character, mit dem es ihm möglich gewesen wäre, einen Menschen loszulassen, der die Frechheit gehabt hatte, über ihn zu spotten. Er zog seinen Degen vollends aus der Scheide und fuhr fort, seinen Streit zu verfolgen.
«Umgedreht, mein Herr Spötter, damit ich Euch nicht auf den Rücken schlage.«
«Mich schlagen, mich?«sagte der Andere, sich auf den Fersen umdrehend, und schaute den jungen Mann mit eben so großer Verwunderung als Verachtung an.»Geht, mein Lieber, Ihr seid ein Narr!«Dann fuhr er mit leiser Stimme und als ob er mit sich selbst spräche, fort:»Das ist ärgerlich; welch ein Fund für Seine Majestät, welche überall nach Leuten sucht, um die Musketiere zu rekrutiren.«
Er hatte kaum vollendet, als d'Artagnan mit seiner Degenspitze einen so wüthenden Stoß nach ihm führte, daß er, ohne einen sehr raschen Sprung rückwärts, wahrscheinlich zum letzten Mal gescherzt hätte. Der Unbekannte sah jetzt, daß die Sache über den Spaß hinausging; er zog seinen Degen, begrüßte seinen Gegner und nahm eine Fechterstellung ein. Aber in demselben Augenblick fielen seine zwei Zuhörer in Begleitung des Wirthes mit Stöcken, Schaufeln und Feuerzangen über d'Artagnan her. Dies gab dem Angriff eine so rasche und vollständige Diversion, daß d'Artagnan's Gegner, während sich dieser umwandte, um einen Hagel von Schlägen abzuwehren, seinen Degen mit der größten Gelassenheit einsteckte und aus einem darstellenden Mitglied, das er beinahe geworden wäre, wieder Zuschauer des Kampfes wurde, — eine Rolle, deren er sich mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit entledigte. Nichtsdestoweniger murmelte er durch die Zähne:
«Die Pest über alle Gascogner! Setzt ihn wieder auf sein orangefarbiges Pferd, er mag zum Teufel gehen.«
«Nicht ohne Dich getödtet zu haben, Feigling!«rief d'Artagnan, während er sich so gut als möglich und ohne einen Schritt zurückzuweichen gegen seine drei Feinde, die ihn mit Schlägen überhäuften, zur Wehre setzte.
«Abermals eine Gasconnade«, murmelte der Edelmann.»Bei meiner Ehre, diese Gascogner sind unverbesserlich! Setzt also den Tanz fort, da er es durchaus haben will. Wenn er einmal müde ist, wird er schon sagen, es sei genug.«
Aber der Unbekannte wußte noch nicht, mit was für einem hartnäckigen Menschen er es zu thun hatte; d'Artagnan war nicht der Mann, der Gnade gefordert hätte. Der Kampf dauerte also noch einige Sekunden fort, doch endlich ließ d'Artagnan erschöpft seinen Degen fahren, den ein Schlag mit einer Heugabel entzwei brach. Ein anderer Schlag, welcher seine Stirne traf, schmetterte ihn beinahe zu derselben Zeit blutend und fast ohnmächtig nieder. In diesem Augenblick kamen von allen Seiten Leute auf den Schauplatz gelaufen, der Wirth fürchtete ein ärgerliches Aufsehen und trug den Verwundeten mit Hülfe einiger Kellner in die Küche, wo man ihm Pflege angedeihen ließ.
Der Edelmann aber hatte seinen früheren Platz am Fenster wieder eingenommen und betrachtete mit einer gewissen Ungeduld die umherstehende Menge, deren Verweilen ihm sehr ärgerlich zu sein schien.
«Nun! wie geht es dem Wüthenden?«sagte er, indem er sich bei dem durch das Oeffnen der Thüre verursachten Geräusch umkehrte und an den Wirth wandte, der sich nach dessen Befinden erkundigt hatte. — »Ew. Excellenz ist gesund und wohlbehalten?«fragte der Wirth. — »Ja, vollkommen wohl und gesund, mein lieber Wirth, und ich frage Euch, was aus unserem jungen Menschen geworden ist?«—»Es geht besser mit ihm, «erwiederte der Wirth:»er ist in Ohnmacht gefallen.«—»Wirklich?«sprach der Edelmann.
«Doch ehe er in Ohnmacht fiel, raffte er alle seine Kräfte zusammen, rief nach Euch und forderte Euch heraus.«—»Dieser Bursche ist also der leibhaftige Teufel!«rief der Unbekannte. — »O nein, Ew. Excellenz, es ist kein Teufel, «entgegnete der Wirth mit einer verächtlichen Grimasse,»denn während seiner Ohnmacht haben wir ihn durchsucht und in seinem Päckchen nicht mehr als ein Hemd, in seiner Börse nicht mehr als zwölf Thaler gefunden, was ihn jedoch nicht abhielt, kurz bevor er in Ohnmacht fiel, zu bemerken, wenn dergleichen in Paris geschehen wäre, so müßtet Ihr dies sogleich bereuen, während Ihr es hier erst später bereuen würdet.«—»Dann ist er irgend ein verkleideter Prinz von Geblüt, «sagte der Unbekannte kalt. — »Ich theile Euch dies mit, gnädiger Herr, «versetzte der Wirth,»damit Ihr auf Eurer Hut sein möget.«—»Und er hat Niemand in seinem Zorn genannt?«— ›Allerdings, er schlug an seine Tasche und sagte:»Wir wollen sehen, was Herr von Treville zu der Beleidigung sagen wird, die seinem Schützling widerfahren ist.‹ —»Herr von Treville?«sprach der Unbekannte mit steigender Aufmerksamkeit;»er schlug an seine Tasche, während er den Namen des Herrn von Treville aussprach?… Hört, mein lieber Wirth, indeß Euer junger Mann in Ohnmacht lag, habt Ihr sicherlich nicht versäumt, ein wenig in diese Tasche zu schauen. Was fand sich darin?«—»Ein Brief, mit der Adresse des Herrn von Treville, Kapitäns der Musketiere.«—»Wirklich?«—»Es ist, wie ich Ew. Excellenz zu sagen die Ehre habe.«
Der Wirth, welcher eben nicht mit übergroßem Scharfsinn begabt war, gewahrte den Ausdruck nicht, den seine Worte auf dem Gesichte des Unbekannten hervorriefen. Dieser entfernte sich von dem Gesimse des Kreuzstocks, auf das er sich bis jetzt mit dem Ellbogen gestützt hatte, und faltete die Stirne, wie ein Mensch, den etwas beunruhigt.
«Teufel!«murmelte er zwischen den Zähnen,»sollte mir Treville diesen Gascogner geschickt haben? Er ist noch sehr jung! Aber ein Degenstich bleibt ein Degenstich, welches Alter auch sein Spender haben mag, und man nimmt sich vor einem jungen Bürschchen weniger in Acht, als vor anderen Leuten; Zuweilen genügt ein schwaches Hinderniß, um einem großen Plan in den Weg zu treten.«
Und der Unbekannte versank in ein Nachdenken, das einige Minuten währte.
«Hört einmal, Wirth, «sagte er,»werdet Ihr mich nicht von diesem Wüthenden befreien? Ich kann ihn mit gutem Gewissen nicht töten, und dennoch, «fügte er mit einem kalt drohenden Ausdrucke bei,»ist er mir unbequem. Wo verweilt er?«—»Im ersten Stock in der Stube meiner Frau, wo man ihn verbindet.«—»Hat er Kleidungsstücke und seine Tasche bei sich? Er hat sein Wamms nicht ausgezogen?«—»Alles dies blieb im Gegentheil unten in der Küche. Aber wenn Euch dieser junge Laffe unbequem ist…?«
«Gewiß. Er veranlaßt in Eurem Gasthaus ein Ärgernis, das ehrliche Leute nicht aushalten können. Geht hinauf, macht meine Rechnung und benachrichtigt meinen Lakaien.«—»Wie! gnädiger Herr, Ihr verlasset uns schon?«—»Ihr konntet es daraus sehen, daß ich Euch Befehl gegeben hatte, mein Pferd zu satteln. Hat man mir nicht Folge geleistet?«—»Allerdings, und das Pferd steht völlig aufgezäumt unter dem großen Thor, wie Ew. Excellenz selbst hat sehen können.«—»Das ist gut. Thut, was ich Euch gesagt habe.«
«Oh weh!«sprach der Wirth zu sich selbst;»sollte er vor dem kleinen Jungen bange haben?«
Aber ein gebieterischer Blick des Unbekannten machte seinen Gedanken rasch ein Ende. Er verbeugte sich demüthig und ging ab.
«Mylady soll diesen Burschen nicht gewahr werden, «fuhr der Fremde fort;»sie muß bald kommen; sie bleibt schon allzulange aus. Offenbar ist es besser, wenn ich zu Pferde steige und ihr entgegenreite… Könnte ich nur erfahren, was dieser Brief an Treville enthält!«Und unter fortwährendem Murmeln wandte sich der Fremde nach der Küche.
Inzwischen war der Wirth, der nicht daran zweifelte, daß die Gegenwart des jungen Menschen den Unbekannten aus seiner Herberge treibe, zu seiner Frau hinaufgegangen und hatte d'Artagnan hier wieder gefunden. Er machte ihm begreiflich, die Polizei könnte ihm einen schlimmen Streich spielen, da er mit einem vornehmen Herrn Streit angefangen habe, denn nach der Meinung des Wirthes konnte der Unbekannte nur ein vornehmer Herr sein, und er veranlaßte ihn, trotz seiner Schwäche aufzustehen und seinen Weg fortzusetzen. Halb betäubt, ohne Wamms und den Kopf mit Leinwand umwickelt, stand d'Artagnan auf und ging, vom Wirthe gedrängt, die Treppe hinab; aber als er in die Küche kam, war das erste, was er bemerkte, sein Gegner, der am Fußtritt einer schweren, mit zwei plumpen normannischen Pferden bespannten Karosse ruhig plauderte.
Die Frau, mit der er sprach, war eine Frau von zwanzig bis zweiundzwanzig Jahren, deren Kopf in den Kutschenschlag eingerahmt schien. Wir haben bereits erwähnt, mit welcher Raschheit d'Artagnan eine Physiognomie aufzufassen wußte; er sah also auf den ersten Blick, daß die Frau jung und hübsch war. Diese Schönheit fiel ihm um so mehr auf, als sie eine in den südlichen Gegenden, welche d'Artagnan bis jetzt bewohnt hatte, ganz fremde Erscheinung war. Es war eine Blondine mit langen, auf die Schultern herabfallenden Locken, großen, schmachtenden, blauen Augen, rosigen Lippen und Alabasterhänden; sie sprach sehr lebhaft mit dem Unbekannten.
«Also befiehlt mir Seine Eminenz…«sagte die Dame. — »Sogleich nach England zurückzukehren und sie zu benachrichtigen, ob der Herzog London verlassen hat.«—»Und was meine übrigen Instruktionen betrifft?…«fragte die schöne Reisende. — »Sie sind in dieser Kapsel enthalten, welche Ihr erst jenseits des Kanals öffnen dürfet.«—»Sehr wohl; und Ihr, was macht Ihr?«—»Ich kehre nach Paris zurück.«
«Ohne das freche Bürschchen zu züchtigen?«fragte die Dame.
Der Unbekannte war im Begriff zu antworten, aber in dem Augenblick, wo er den Mund öffnete, sprang d'Artagnan, der alles gehört hatte, auf die Thürschwelle.
«Das freche Bürschchen züchtigt andere, «rief er,»und ich hoffe, daß derjenige, welchen er zu züchtigen hat, ihm diesmal nicht entkommen wird, wie das erstemal.«
«Nicht entkommen wird?«entgegnete der Unbekannte, die Stirne faltend.
«Nein, vor einer Dame, denke ich, werdet Ihr nicht zu fliehen wagen.«
«Bedenkt, «rief Mylady, als sie sah, daß der Edelmann die Hand an den Degen legte,»bedenkt, daß die geringste Zögerung Alles verderben kann.«
«Ihr habt Recht, «rief der Edelmann,»reist also Eurerseits, ich thue desgleichen.«
Und indem er der Dame mit dem Kopf zunickte, sprang er zu Pferde, während der Kutscher der Karosse sein Gespann kräftig mit der Peitsche antrieb. Die zwei Sprechenden entfernten sich also im Galopp, jedes in einer entgegengesetzten Richtung der Straße.
«Heda! Eure Rechnung, «schrie der Wirth, dessen Ergebenheit für den Reisenden sich in tiefe Verachtung verwandelte, als er sah, daß er abging, ohne seine Zeche zu bezahlen.
«Bezahle, Schlingel, «rief der Reisende stets galoppierend seinem Bedienten zu, der dem Wirth ein Paar Geldstücke vor die Füße warf und dann eiligst seinem Herrn nachgaloppierte.
«Ha, Feigling, ha, Elender, ha, falscher Edelmann!«rief d'Artagnan und lief dem Bedienten nach.
Aber der Verwundete war noch zu schwach, um eine solche Erschütterung auszuhalten. Kaum hatte er zehn Schritte gemacht, so klangen ihm die Ohren, er sah nichts mehr, eine Blutwolke zog über seine Augen hin und er stürzte unter dem beständigen Geschrei:»Feigling! Feigling! Feigling!«auf die Straße nieder.
«Er ist in der That sehr feig!«murmelte der Wirth, indem er sich d'Artagnan näherte und sich durch diese Schmeichelei mit dem armen Jungen zu versöhnen suchte, wie der Held in der Fabel mit seiner Schnecke.
«Ja, sehr feig, «sagte d'Artagnan mit schwacher Stimme,»aber sie ist sehr schön.«
«Wer sie?«fragte der Wirth.
«Mylady, «stammelte d'Artagnan und fiel zum zweiten Mal in Ohnmacht.
«Gleich viel, «sprach der Wirth,»es bleibt mir doch dieser da, den ich sicherlich einige Tage behalten werde. Da lassen sich immerhin elf Thaler verdienen.«
Man weiß bereits, daß sich der Inhalt von d'Artagnans Börse gerade auf elf Thaler belief.
Der Wirth hatte auf elf Tage Krankheit den Tag zu einem Thaler gerechnet; aber er hatte die Rechnung ohne seinen Reisenden gemacht. Am andern Morgen stand d'Artagnan schon um fünf Uhr auf, ging in die Küche hinab, verlangte außer einigen anderen Ingredienzien, deren Liste uns nicht zugekommen ist, Wein, Öl, Rosmarin, und bereitete sich, das Rezept seiner Mutter in der Hand, einen Balsam, mit dem er seine zahlreichen Wunden salbte; dann erneuerte er seine Kompressen selbst und wollte keine ärztliche Hilfeleistung gestatten. Der Wirksamkeit des Zigeunerbalsams und ohne Zweifel auch ein wenig der Abwesenheit jedes Arztes hatte es d'Artagnan zu danken, daß er schon an demselben Abend wieder auf den Beinen und am andern Tag beinahe völlig geheilt war.
In dem Augenblick aber, als er den Rosmarin, das Öl und den Wein bezahlen wollte — die einzige Ausgabe des Herrn, der strenge Diät hielt, während das gelbe Roß, wenigstens nach der Aussage des Wirthes, dreimal so viel gefressen hatte, als sich vernünftigerweise bei seiner Gestalt voraussetzen ließ — fand d'Artagnan m seiner Tasche nur noch seine kleine Sammetbörse, sowie die elf Thaler, welche sie enthielt; jedoch der Brief an Herrn von Treville war verschwunden.
Der junge Mann suchte anfangs diesen Brief mit großer Geduld, drehte seine Taschen um und um, durchwühlte seinen Mantelsack, öffnete und schloß seine Börse wieder und wieder, als er aber die Überzeugung gewonnen hatte, daß der Brief nicht mehr zu finden war, gerieth er in einen dritten Anfall von Wuth, der ihn leicht zu einem neuen Verbrauch von aromatischem Wein und Öl veranlassen konnte; denn als man sah, daß dieser junge Brausekopf sich erhitzte und drohte, er werde Alles im Hause kurz und klein schlagen, wenn man seinen Brief nicht finde, da ergriff der Wirth einen Spieß, seine Frau einen Besenstiel, und sein Aufwärter nahm von denselben Stöcken, welche zwei Tage vorher benützt worden waren.
«Meinen Empfehlungsbrief, «schrie d'Artagnan,»meinen Empfehlungsbrief, oder ich spieße Euch alle wie Ortolane.«
Unglücklicherweise trat ein Umstand der Ausführung seiner Drohung in den Weg; sein Degen war erwähntermaßen beim ersten Kampf in zwei Stücke zerbrochen worden, was er völlig vergessen hatte. Als d'Artagnan wirklich vom Leder ziehen wollte, sah er sich ganz einfach mit einem Degenstumpfe von acht bis zehn Zoll bewaffnet, den der Wirth sorgfältig wieder in die Scheide gesteckt hatte. Den übrigen Theil der Klinge hatte der Herr der Herberge geschickt auf die Seite gebracht, um sich einen Bratspieß daraus zu machen.
Diese Enttäuschung dürfte wohl unsern jähzornigen jungen Mann nicht zurückgehalten haben, aber der Wirth bedachte, daß die Forderung, die sein Reisender an ihn stellte, eine völlig gerechte war.
«In der That, «sprach er und senkte dabei seinen Spieß,»wo ist der Brief?«
«Wo ist dieser Brief?«rief d'Artagnan.»Ich sage Euch vor Allem, daß dieser Brief für Herrn von Treville bestimmt ist, und daß er sich wiederfinden muß; ist dies nicht der Fall, so wird Er schon machen, daß er gefunden wird!«
Diese Drohung schüchterte den Wirth vollends ein. Nach dem König und dem Herrn Kardinal war Herr von Treville derjenige Mann, dessen Namen vielleicht am öftesten von den Militären und sogar von den Bürgern wiederholt wurde. Wohl war noch der Pater Joseph vorhanden, aber sein Name wurde immer nur ganz leise ausgesprochen, so groß war der Schrecken, den die graue Eminenz einflößte, wie man den Vertrauten des Kardinals nannte.
Er warf also seinen Spieß weit von sich, befahl seiner Frau, dasselbe mit ihrem Besenstiel zu thun, und seinen Dienern, ihre Stöcke wegzulegen; dann ging er mit gutem Beispiel voran und begann nach dem verlorenen Brief zu suchen.
«Enthielt dieser Brief etwas Werthvolles?«sagte der Wirth, nachdem er einen Augenblick fruchtlos gesucht hatte. — »Heiliger Gott, ich glaube es wohl!«erwiederte der Gascogner, der mit Hülfe dieses Schreibens seinen Weg zu machen hoffte,»er enthielt mein Glück.«—»Anweisungen auf Spanien?«fragte der Wirth unruhig. — »Anweisungen auf den Privatschatz Seiner Majestät, «erwiederte d'Artagnan, der darauf zählte, er werde durch diese Empfehlung in den Dienst des Königs aufgenommen werden, und deßhalb ohne zu lügen diese etwas kecke Antwort geben zu können glaubte.
«Teufel!«rief der Wirth ganz in Verzweiflung.
«Aber daran liegt nichts, «fuhr d'Artagnan mit ganz nationaler Dreistigkeit fort,»daran liegt nichts, das Geld kommt gar nicht in Betracht; der Brief war Alles. Ich hätte lieber tausend Pistolen verloren, als diesen Brief.«
Er würde nicht mehr gewagt haben, wenn er zwanzig tausend gesagt hätte, aber eine gewisse jugendliche Schüchternheit hielt ihn zurück.
Ein Lichtstrahl durchdrang plötzlich den Geist des Wirthes, der von einem entsetzlichen Grauen befallen wurde, als er nichts fand.
«Dieser Brief ist durchaus nicht verloren, «rief er.
«Ah!«seufzte d'Artagnan. — »Nein, er ist Euch gestohlen worden.«—»Gestohlen! und von wem?«—»Von dem Edelmann von gestern. Er ist in die Küche hinabgegangen, wo Euer Wamms lag, und daselbst allein geblieben. Ich wollte wetten, daß er ihn gestohlen hat.«
«Ihr glaubt?«erwiederte d'Artagnan nicht sehr überzeugt, denn er kannte den ganz persönlichen Belang dieses Briefes und sah nichts dabei, was einen Andern nach dem Besitz desselben hätte lüstern machen können. Keiner von den Dienern, keiner von den anwesenden Gasten würde etwas damit gewonnen haben, wenn er sich das Papier zugeeignet hätte.
«Ihr sagt also, «versetzte d'Artagnan,»Ihr habet diesen frechen Edelmann im Verdacht?«
«Ich sage, daß ich vollkommen hievon überzeugt bin, «fuhr der Wirth fort;»als ich ihm mittheilte, Ew. Herrlichkeit sei ein Schützling des Herrn von Treville, und Ihr hättet sogar einen Brief an diesen erlauchten Herrn, da schien er sehr unruhig zu werden und fragte mich, wo dieser Brief sei; dann ging er sogleich in die Küche hinab, weil er wußte, daß Euer Wamms dort lag.«
«Dann ist er mein Dieb, «sagte d'Artagnan,»ich werde mich bei Herrn von Treville darüber beklagen, und Herr von Treville wird sich beim König beklagen. «Sofort zog er majestätisch zwei Thaler aus seiner Tasche, gab sie dem Wirth, der ihn mit dem Hut in der Hand bis vor die Thüre begleitete, und bestieg wieder sein gelbes Roß, das ihn ohne weiteren Unfall bis zu der Porte Saint-Antoine in Paris trug, wo es der Eigenthümer um drei Thaler verkaufte, was sehr gut bezahlt war, da d'Artagnan es auf dem letzten Marsch bedeutend übertrieben hatte. Der Roßkamm, welchem d'Artagnan die Mähre gegen erwähnte neun Livres abtrat, verbarg auch dem jungen Mann keineswegs, daß er diese außerordentliche Summe nur wegen der originellen Farbe des Tieres bezahle.
D'Artagnan hielt also zu Fuß seinen Einzug in Paris, trug sein Päckchen unter dem Arm und marschirte so lange umher, bis er eine Stube zu miethen fand, die der Geringfügigkeit seiner Mittel entsprach. Diese Stube war eine Art von Mansarde und lag in der Rue de Fossoyeurs in der Nähe des Luxemburg.
Sobald d'Artagnan die Miethe bezahlt hatte, nahm er Besitz von seiner Wohnung und brachte den übrigen Theil des Tages damit hin, daß er an sein Wamms und an seine Strümpfe Posamenten annähte, die seine Mutter von einem beinahe neuen Wammse des Herrn d'Artagnan Vaters abgetrennt und ihm insgeheim zugesteckt hatte. Dann ging er auf den Quai de la Ferraille, um eine neue Klinge in seinen Degen machen zu lassen, hierauf nach dem Louvre und erkundigte sich bei dem ersten Musketier, dem er begegnete, nach dem Hotel des Herrn von Treville, welches in der Rue du Vieux-Colombier lag, das heißt, ganz in der Nähe der Wohnung, welche d'Artagnan gemiethet hatte — ein Umstand, der ihm als ein glückliches Vorzeichen für den Erfolg seiner Reise erschien.
Zufrieden mit der Art und Weise, wie er sich in Meung benommen hatte, ohne Gewissensbisse wegen der Vergangenheit, voll Vertrauen aus die Gegenwart, voll Hoffnung für die Zukunft, legte er sich hierauf nieder und schlief den Schlaf des Gerechten.
Dieser noch ganz provinzmäßige Schlaf währte bis zur neunten Stunde des Morgens, wo er aufstand, um sich zu dem berühmten Herrn von Treville, der dritten Person des Reiches nach der väterlichen Schätzung, zu begeben.
II. Das Vorzimmer des Herrn von Treville
Herr von Troisville, wie seine Familie in der Gascogne noch hieß, oder Herr von Treville, wie er sich selbst am Ende in Paris nannte, hatte wirklich gerade wie d'Artagnan angefangen, nämlich ohne einen Sou Geldeswerth, aber mit jenem Grundstock von Kühnheit, Geist und Ausdauer, worin der ärmste gascognische Krautjunker mehr an Hoffnungen zum väterlichen Erbtheil erhält, als der reichste Edelmann des Perigord oder Berry in Wirklichkeit empfängt. Sein kecker Muth und sein noch viel keckeres Glück in einer Zeit, wo die Schläge wie Hagel fielen, hatten ihn auf die Höhe der schwer erklimmbaren Leiter gehoben, die man Hofgunst nennt, und deren Stufen er vier und vier auf einmal erstiegen hatte.
Er war der Freund des Königs, der, wie Jedermann weiß, das Andenken seines Vaters Heinrich IV. sehr in Ehren hielt. Der Vater des Herrn von Treville hatte ihm in seinen Kriegen gegen die Ligue so treu gedient, daß er ihm in Ermangelung von baarem Geld — eine Sache, die dem Bearner sein ganzes Leben lang abging, denn er bezahlte seine Schulden stets mit dem einzigen Ding, das er nicht zu entlehnen brauchte, mit Witz — daß ihm in Ermangelung von baarem Geld, sagen wir, nach der Übergabe von Paris die Vollmacht verlieh, als Wappen eines goldenen Löwen im rothen Felde mit dem Wahlspruch: fidelis et fortis zu führen; das war viel in Bezug auf Ehre, aber mittelmäßig in Bezug auf Vermögen. Als der berühmte Gefährte des großen Heinrich starb, hinterließ er also seinem Herrn Sohn als einziges Erbe nur seinen Degen und seinen Wahlspruch. Dieser doppelten Gabe und dem fleckenlosen Namen, von dem sie begleitet war, hatte Herr von Treville seine Aufnahme unter die Haustruppen des jungen Fürsten zu verdanken, wo er sich so gut seines Schwertes bediente, und seiner Devise so treu war, daß Ludwig XIII., einer der besten Degen seines Königreichs, zu sagen pflegte, wenn er einen Freund hätte, der sich schlagen wollte, so würde er ihm den Rath geben, zum Secundanten zuerst ihn selbst und dann Herrn von Treville oder sogar vielleicht diesen vor ihm zu nehmen.
Ludwig XIII. hegte eine wahre Anhänglichkeit an Treville, eine königliche Anhänglichkeit, eine selbstsüchtige Anhänglichkeit allerdings, darum aber nicht minder eine Anhänglichkeit. In dieser unglücklichen Zeit strebte man mit aller Macht darnach, sich mit Männern von dem Schlage Treville's zu umgeben. Viele konnten sich den Beinamen fortis geben, der die zweite Hälfte seiner Devise bildete, aber wenige Edelleute hatten Anspruch darauf, sich fidelis zu nennen, wie der erste Theil hieß. Treville gehörte zu den letzteren; er war eine von den seltenen Organisationen mit dem gehorchenden Verstande des Hundes, dem blinden Muth, dem raschen Auge, der schnellen Hand, ein Mann, dem das Auge nur gegeben schien, um zu sehen, ob der König mit Jemand unzufrieden war, und diesen Jemand, einen Besme, einen Maurevers, einen Poltrot von Meré, einen Vitry niederzuschlagen. Treville hatte bis jetzt nur die Gelegenheit gefehlt, aber er lauerte darauf, er hatte sich gelobt, sie beim Schopfe zu fassen, sobald sie in den Bereich seiner Hand käme. Ludwig XIII. machte Treville zum Kapitän seiner Musketiere, welche in Bezug auf Ergebenheit oder vielmehr auf Fanatismus für ihn dasselbe waren, was die schottische Leibwache für Ludwig XI. und die Ordinären für Heinrich III.
Der Kardinal seiner Seite blieb in dieser Beziehung nicht hinter dem König zurück. Als dieser zweite oder vielmehr erste König von Frankreich die furchtbare Eile wahrnahm, mit der sich Ludwig XIII. seine Umgebung schuf, wollte er ebenfalls seine Leibwache haben. Er hatte also seine Musketiere, wie Ludwig XIII. und man sah diesen mächtigen Nebenbuhler in allen Provinzen Frankreichs und sogar in auswärtigen Staaten die berühmtesten Kampfhähne ausheben. Ludwig XIII. und Richelieu stritten sich auch oft, wenn sie Abends eine Partie Schach spielten, über die Verdienste ihrer Anhänger. Jeder lobte den Muth und die Haltung der seinigen, und während sie sich laut gegen Zweikämpfe und Händel aussprachen, stachelten sie dieselben ganz in der Stille gegen einander auf, und das Unterliegen oder der Sieg ihrer Leute bereitete ihnen wahren Kummer oder eine maßlose Freude. So erzählen wenigstens die Memoiren eines Mannes, der bei einigen dieser Niederlagen und bei vielen von diesen Siegen betheiligt war.
Treville hatte seinen Herrn bei der schwachen Seite gefaßt, und dieser Geschicklichkeit verdankte er die lange und beständige Gunst eines Königs, der nicht den Ruf großer Treue in seinen Freundschaften hinterlassen hat. Mit einem verschmitzten Lächeln ließ er seine Musketiere vor dem Kardinal Armand Duplessis paradiren, wobei sich die Haare im Schnurrbart Sr. Eminenz vor Zorn sträubten. Treville verstand sich vortrefflich auf den Krieg dieser Zeit, wo man, wenn man nicht auf Kosten des Feindes leben konnte, auf Kosten seiner Landsleute lebte; seine Soldaten bildeten eine gegen Jedermann, nur gegen ihn nicht, unbotmäßige Legion lebendiger Teufel.
Hals und Brust entblößt, betrunken, verbreiteten sich die Musketiere des Königs, oder vielmehr des Herrn von Treville, in den Schenken, auf den Spaziergängen, bei den öffentlichen Spielen, schrieen, strichen ihren Schnurrbart, ließen ihre Degen klirren, versetzten aus lauter Muthwillen den Leibwachen des Herrn Kardinals Rippenstöße und zogen unter tausenderlei Scherzen am hellen Tag auf offener Straße vom Leder; sie wurden zuweilen getödtet, aber sie wußten gewiß, daß man sie in diesem Falle beweinte und rächte; zuweilen tödteten sie, aber sie wußten ebenso gewiß, daß sie nicht im Gefängniß zu verschimmeln hatten, denn Herr von Treville war da, um sie zurückzufordern. Das Loblied des Herrn von Treville wurde auch in allen Tonarten von diesen Leuten gesungen, die den Satan nicht fürchteten, aber vor ihm zitterten, wie Schüler vor ihrem Lehrer, seinem geringsten Worte gehorchten und stets bereit waren, sich tödten zu lassen, um einen Vorwurf abzuwaschen.
Herr von Treville hatte sich Anfangs dieses mächtigen Hebels für den König und die Freunde des Königs — dann für sich selbst und für seine Freunde bedient. Übrigens findet man in keinem Memoirenwerk dieser Zeit, welche so viele Memoiren hinterlassen hat, daß dieser würdige Edelmann, selbst nicht einmal von seinen Feinden — und er hatte deren so viele unter den Leuten von der Feder, als unter denen vom Degen — nirgends, sagen wir, findet man, daß dieser würdige Edelmann angeklagt worden wäre, er habe sich für die Mitwirkung seiner Seïden bezahlen lassen. Bei einem seltenen Talent für Intriguen, das ihn auf dieselbe Stufe mit den stärksten Intriganten stellte, war er ein ehrlicher Mann geblieben. Noch mehr, trotz der großen Stoßdegen, welche lendenlahm machen, und der angestrengten Übungen, welche ermüden, war er einer der galantesten Boudoirläufer, einer der feinsten Jungfernknechte, einer der gewürfeltsten Schönredner seiner Zeit geworden; man sprach von Treville's Liebesglück, wie man zwanzig Jahre früher von Bassompierre gesprochen hatte, und das wollte viel sagen. Der Kapitän war also bewundert, gefürchtet und geliebt, und dies bildet wohl den Höhepunkt menschlicher Glücksumstände.
Ludwig XIV. verschlang alle kleinen Gestirne seines Hofes in seiner weiten Ausstrahlung, aber sein Vater, eine Sonne pluribus impar, ließ jedem seiner Günstlinge seinen persönlichen Glanz, jedem seiner Höflinge seinen eigenthümlichen Werth. Außer dem Lever des Königs und dem des Kardinals zählte man damals in Paris mehr als zweihundert einigermaßen besuchte Levers. Unter den zweihundert kleinen Levers war das von Treville eines von denjenigen, zu welchen man sich am meisten drängte.
Der Hof seines in der Rue du Vieux-Colombier gelegenen Hotels glich einem Lager, und dies von Morgens sechs Uhr im Sommer und von acht Uhr im Winter. Fünfzig oder sechzig Musketiere, welche sich hier abzulösen schienen, um stets eine imposante Zahl darzustellen, gingen beständig in völliger Kriegsrüstung und zu jedem Thun bereit umher. Auf einer der großen Treppen, auf deren Raum unsere moderne Civilisation ein ganzes Gebäude errichten würde, stiegen die Bittsteller von Paris aus und ab, die irgend eine Gunst zu erhaschen suchten; ferner die Edelleute aus der Provinz, deren höchster Wunsch war, ins Corps aufgenommen zu werden, und die in allen Farben verbrämten Lakaien, die an Herrn von Treville die Botschaften ihrer Gebieter überbrachten. In den Vorzimmern ruhten auf langen, kreisförmigen Bänken die Auserwählten, das heißt diejenigen, welche berufen waren. Das Gesumme dauerte vom Morgen bis zum Abend, während Herrn von Treville in seinem an dieses Vorzimmer stoßenden Kabinet Besuche empfing, Klagen anhörte, seine Befehle ertheilte und, wie der König auf seinem Balkon im Louvre, sich nur an das Fenster zu stellen hatte, um Menschen und Waffen Revue passiren zu lassen.
Den Tag, an welchem d'Artagnan sich hier einfand, war die Versammlung äußerst imposant, besonders für einen Provinzbewohner, der eben erst aus seiner Heimath anlangte; dieser Provinzbewohner war allerdings Gascogner, und damals besonders standen d'Artagnans Landsleute nicht im Rufe, als ließen sie sich so leicht einschüchtern. In der That, sobald man einmal durch die starke, mit langen viereckigen Nägeln beschlagene Thür gelangt war, gerieth man unmittelbar mitten in eine Truppe von Männern des Degens, die sich im Hofe herumtrieben, einander anriefen, mit einander stritten und spielten. Um sich durch diese brausenden Wogen eine Bahn zu brechen, hätte man ein Offizier, ein vornehmer Herr oder eine hübsche Frau sein müssen.
Mitten durch dieses Gedränge und diese Unordnung rückte unser junger Mann mit zitterndem Herzen, den langen Raufdegen an die magern Beine drückend und eine Hand an den Rand seines Filzes haltend, mit dem verlegenen provinzialen Halblächeln, das eine gute Haltung geben soll, sachte vorwärts. Hatte er eine Gruppe hinter sich, so athmete er freier; aber er begriff wohl, daß man sich umwandte, um ihm nachzuschauen, und zum ersten Mal in seinem Leben kam sich d'Artagnan, der bis auf diesen Tag eine ziemlich gute Meinung von sich selbst gehabt hatte, lächerlich vor.
Als er zur Treppe gelangte, war die Sache noch schlimmer: er fand hier auf den ersten Stufen vier Musketiere, die sich mit folgender Uebung belustigten, während zehn bis zwölf mit ihren Kameraden auf dem Ruheplatz der Treppe warteten, bis es an sie käme, an der Partie Theil zu nehmen. Einer von ihnen, der mit entblößtem Degen auf der obersten Stufe stand, verhinderte die Andern herauf zu steigen, oder er bemühte sich wenigstens, sie daran zu verhindern. Diese drei Andern fochten mit sehr behenden Degenstößen gegen ihn. D'Artagnan hielt Anfangs ihre Eisen für Fechtrappiere und glaubte, sie seien mit Knöpfen versehen; aber bald erkannte er an gewissen Schrammen, daß jede Waffe im Gegentheil gehörig zugespitzt und scharf geschliffen war. Und bei jeder von diesen Schrammen lachten nicht nur die Zuschauer, sondern auch die handelnden Personen, wie die Narren.
Derjenige, welcher in diesem Augenblick die oberste Stufe behauptete, hielt seine Gegner vortrefflich im Schach. Man bildete einen Kreis um sie. Es war Bedingung hiebei, daß bei jedem Stoße der Getroffene die Partie verlassen mußte, und dadurch seine Audienzreihe zu Gunsten des Berührenden verlieren sollte. In fünf Minuten waren drei gestreift, der eine an der Handwurzel, der andere am Kinn, der dritte am Ohr, während der Verteidiger, der ihnen diese Schrammen beibrachte, unberührt blieb, eine Geschicklichkeit, die ihm eine dreimalige Audienzreihe zu seinen Gunsten eintrug. So schwer auch unser junger Reisender in Erstaunen zu setzen war, oder wenigstens sein wollte, so verblüffte ihn doch dieser Zeitvertreib gewaltig: er hatte in seiner Provinz, auf diesem Boden, wo sich die Köpfe doch so schnell erhitzen, etwas mehr als Präliminarien zu Zweikämpfen gesehen, und die Gasconnade der vier Spieler erschien ihm als die stärkste unter allen, von denen er bis jetzt selbst in der Gascogne gehört hatte. Er glaubte sich in das berühmte Land der Riesen versetzt, wohin Gulliver ging und wo er so gewaltig bange hatte; und er war noch nicht einmal am Ziele: es blieben noch der Ruheplatz und das Vorzimmer.
Auf dem Ruheplatz der Treppe schlug man sich nicht, man erzählte sich Geschichten von Frauen, und im Vorzimmer Hofgeschichten. Auf dem Ruheplatz erröthete d'Artagnan, im Vorzimmer schauderte er. Seine rege, umherirrende Einbildungskraft, die ihn in der Gascogne für Kammermädchen und zuweilen sogar für junge Edeldamen furchtbar machte, hatte nie, selbst nicht einmal in den Augenblicken des Delirirens, die Hälfte dieser verliebten Abenteuer und den vierten Theil dieser Heldenthaten geträumt, bei denen die bekanntesten Namen herhalten mußten und die Details ganz und gar nicht verschleiert wurden. Aber wenn auf dem Ruheplatz sein Sittlichkeitsgefühl verletzt wurde, so bereitete man im Vorzimmer seiner Achtung vor dem Kardinal ein wahres Aergerniß. Hier hörte d'Artagnan zu seinem größten Erstaunen ganz laut die Politik, welche Europa erzittern machte, und das Privatleben des Kardinals kritisiren, für dessen Verunglimpfung so viele hochgestellte und mächtige Herren gestraft worden waren; dieser große, von Herrn d'Artagnan Vater verehrte Mann wurde verspottet von den Musketieren des Herrn von Treville, welche sich über seine krummen Beine und seinen gewölbten Rücken lustig machten; Einige sangen Spottlieder auf Madame d'Aiguillon, seine Geliebte, und auf Frau Combalet, seine Nichte, während Andere gegen die Pagen und die Leibwachen des Kardinal-Herzogs Pläne schmiedeten, lauter Dinge, welche d'Artagnan als monströse Unmöglichkeiten vorkamen.
Indessen kam zuweilen plötzlich und ganz unversehens der Name des Königs mitten unter diese kardinalistischen Scherze wie eine Art von Knebel, der für einen Augenblick allen Anwesenden den spöttischen Mund verstopfte; man schaute sachte um sich her und schien die Indiskretion der Scheidewand am Kabinet des Herrn von Treville zu fürchten. Aber bald brachte irgend eine Anspielung das Gespräch wieder auf Se. Eminenz, die Spöttereien wurden immer derber und keine seiner Handlungen blieb mit einer kräftigen Beleuchtung verschont.
«Gewiß sind dieß Leute, welche insgesammt nach der Bastille gebracht und gehängt werden, «dachte d'Artagnan mit Schrecken,»und ich ohne Zweifel mit ihnen, denn von dem Augenblick an, wo ich sie gehört und verstanden habe, wird man mich für ihren Mitschuldigen halten. Was würde mein Herr Vater sagen, der mir so dringend Achtung vor dem Kardinal eingeschärft hat, wenn er mich in Gesellschaft von solchen Lümmeln wüßte?«
D'Artagnan wagte es also, wie man sich leicht denken kann, nicht, an dem Gespräche Theil zu nehmen, er schaute nur mit beiden Augen, hörte nur mit beiden Ohren, er hielt seine fünf Sinne gierig gespannt, um nichts zu verlieren, und trotz seines Vertrauens auf die väterlichen Ermahnungen fühlte er sich, in Folge seiner Geschmacksrichtung und von seinen Instinkten hingerissen, mehr geneigt, die unerhörten Dinge, die sich in seiner Gegenwart ereigneten, zu loben als zu tadeln.
Da er indessen der Menge der Höflinge des Herrn von Treville völlig fremd war, und da man ihn zum ersten Male an diesem Ort bemerkte, so fragte man ihn, was er wünsche. Auf diese Frage nannte d'Artagnan demüthig seinen Namen; er berief sich aus seinen Titel als Landsmann und ersuchte den Kammerdiener, der diese Frage an ihn gerichtet hatte, Herrn von Treville für ihn um eine kurze Audienz zu bitten, welche Bitte man in hohem Gönnertone zu geeigneter Zeit und geeigneten Orts vorzutragen versprach.
D'Artagnan erholte sich allmälig von seinem ersten Staunen und hatte nun Muße, die Trachten und Gesichter ein wenig zu studiren.
Der Mittelpunkt der belebtesten Gruppe war ein Musketier von großer Gestalt, hochmüthigem Antlitz und höchst wunderlichem Aufzug, welcher die allgemeine Aufmerksamkeit auf ihn lenkte. Er trug in diesem Augenblick keine Uniform, wozu er auch in jener Zeit geringerer Freiheit, aber größerer Unabhängigkeit nicht durchaus verbunden war, sondern er hatte einen etwas abgetragenen Leibrock an, und auf diesem Kleide gewahrte man ein prachtvolles Wehrgehänge mit goldenen Stickereien, das funkelte, wie ein Wasserspiegel im vollen Sonnenschein. Ein langer, karmesinrother Mantel fiel anmuthig über die Schultern und ließ vorn nur das glänzende Wehrgehänge sehen, woran ein riesiger Raufdegen befestigt war.
Dieser Musketier war so eben von der Wache abgekommen, beklagte sich über Schnupfen und hustete von Zeit zu Zeit mit einer gewissen Affektation. Deßhalb hatte er den Mantel genommen, wie er zu seiner Umgebung sagte, und während er von oben herab sprach und verächtlich seinen Schnurrbart kräuselte, bewunderte man mit großer Begeisterung — d'Artagnan mehr, als jeder Andere — das gestickte Wehrgehänge.
«Was wollt Ihr, es kommt in die Mode, «sagte der Musketier;»es ist eine Thorheit, ich weiß es wohl, aber es ist einmal Mode. Ueberdies muß man doch auch sein anererbtes Vermögen draufgehen lassen.«
«Ah! Porthos!«rief einer von den Umherstehenden,»suche uns nicht glauben zu machen, dieses Wehrgehänge sei Dir durch die väterliche Großmuth zugefallen; die verschleierte Dame hat es Dir ohne Zweifel gegeben, mit der ich Dir an einem Sonntag in der Nähe der Porte Saint-Honoré begegnete.«
«Nein, auf Ehre und Edelmannsparole, ich habe es selbst und zwar um mein eigenes Geld gekauft, «antwortete derjenige, welchen man mit dem Namen Porthos bezeichnete.
«Ja, wie ich diese neue Börse mit Dem gekauft habe, was mir meine Geliebte in die alte gesteckt hat, «sprach ein anderer Musketier.
«Wahrhaftig, ich habe zehn Pistolen dafür bezahlt, «sagte Porthos.
Die Bewunderung verdoppelte sich, obgleich der Zweifel noch fortbestand.
«Nicht wahr, Aramis?«fragte Porthos, und wandte sich dabei gegen einen dritten Musketier um.
Dieser bildete einen vollständigen Contrast mit dem Fragenden, der ihn mit dem Namen Aramis bezeichnet hatte. Er war ein junger Mann von kaum zwei- bis dreiundzwanzig Jahren, mit naivem, süßlichem Gesichte, schwarzem, sanftem Auge und mit Wangen, so rosig, wie ein Pfirsich im Herbste; sein feiner Schnurrbart zog eine völlig gerade Linie auf seiner Oberlippe; seine Hände schienen sich vor dem Herabhängen zu hüten, weil ihre Adern anschwellen könnten, und von Zeit zu Zeit kniff er sich in die Ohren, um sie in einem zarten, durchsichtigen Incarnat zu erhalten. Er hatte die Gewohnheit, wenig zu sprechen, viel zu grüßen und geräuschlos zu lachen, wobei er seine schönen Zähne zeigte, auf die er, wie aus seine ganze Person, die größte Sorgfalt zu verwenden schien. Er beantwortete die Aufforderung seines Freundes mit einem bestätigenden Kopfnicken.
Diese Bestätigung schien allen Zweifeln in Beziehung auf das Wehrgehänge ein Ende zu machen; man bewunderte es fortwährend, aber man sagte nichts mehr davon, und das Gespräch ging in Folge einer der raschen Wendungen des Gedankens auf einen andern Gegenstand über.
«Was denkt Ihr von dem, was der Stallmeister von Chalais erzählt?«fragte ein anderer Musketier, ohne seine Worte unmittelbar an Einen von der Gruppe zu richten, sondern im Gegentheil sich an alle Umstehenden wendend.
«Und was erzählt er?«sagte Porthos in anmaßendem Tone.
«Er erzählt, er habe in Brüssel Rochefort, den Vertrauten des Kardinals, als Kapuziner verkleidet getroffen; der verfluchte Rochefort hatte in dieser Verkleidung Herrn von Laigues, gerade wie er ist, als einen wahren Einfaltspinsel gespielt.«
«Als einen wahren Einfaltspinsel, «fragte Porthos,»aber ist die Sache gewiß?«
«Ich habe es von Aramis gehört, «antwortete der Musketier.
«Wirklich?«
«Ei! Ihr wißt es wohl, Porthos, «sagte Aramis,»ich habe es Euch selbst gestern erzählt; sprechen wir nicht mehr davon.«
«Nicht mehr davon sprechen, meint Ihr?«erwiederte Porthos.»Nicht mehr davon sprechen? Zum Henker! Wie! der Kardinal läßt einen Edelmann ausspähen, er läßt ihm seine Korrespondenz durch einen Verräther, durch einen Dieb, durch einen Galgenstrick stehlen; läßt mit Hülfe dieser Späher und dieser Korrespondenz Chalais unter dem thörichten Vorwand, er habe den König ermordet und Monsieur mit der Königin verheirathen wollen, den Hals abschneiden! Niemand wußte etwas von diesem Räthsel, Ihr erfuhrt es gestern zum allgemeinen Erstaunen, und während wir über diese Neuigkeit noch ganz verwundert sind, kommt Ihr heute und sagt: Sprechen wir nicht mehr davon!«
«Sprechen wir also davon, wenn Ihr es wünscht, «erwiederte Aramis geduldig.
«Wäre ich der Stallmeister des armen Chalais, «rief Porthos,»so würde dieser Rochefort einen schlimmen Augenblick mit mir erleben.«
«Und ihr würdet einen schlimmen Augenblick mit dem Herzog Roth erleben, «versetzte Aramis.
«Ah! der Herzog Roth! bravo, bravo, der Herzog Roth!«erwiederte Porthos, in die Hände klatschend.»Der Herzog Roth, das ist allerliebst. Ich werde den Witz verbreiten, seid nur ruhig. Welch ein gescheidter Kerl doch dieser Aramis ist! Es ist ein wahres Unglück, daß Ihr Euren Beruf nicht verfolgen konntet, mein Lieber; was für ein köstlicher Abbé wäre doch aus Euch geworden!«
«Ah! das ist nur für den Augenblick hinausgeschoben, «entgegnete Aramis,»ich werde es später schon noch werden; Ihr wißt wohl, Porthos, daß ich zu diesem Behuf die Theologie zu studiren fortfahre.«
«Er thut, was er sagt, «rief Porthos,»er thut es früher oder später.«
«Früher, «sprach Aramis.
«Er wartet nur Eines ab, um sich gänzlich hiefür zu entscheiden und die Sutane zu nehmen, welche hinter seiner Uniform hängt, «sagte ein anderer Musketier.
«Und was wartet er denn ab?«fragte ein Dritter.
«Er wartet, bis die Königin der Krone Frankreich einen Erben geschenkt hat.«
«Scherzen wir nicht hierüber, meine Herren, «sprach Porthos;»sie ist, Gott sei Dank! noch in dem Alter, um der Krone einen Erben zu schenken.«
«Man sagt, Herr von Buckingham sei in Frankreich, «versetzte Aramis mit einem spöttischen Lächeln, das dieser scheinbar so einfachen Aeußerung eine ziemlich skandalöse Bedeutung verlieh.
«Aramis, mein Freund, «unterbrach ihn Porthos,»diesmal habt Ihr Unrecht; Eure Manie, Witze zu machen, läßt Euch beständig alle Grenzen überspringen; wenn Herr von Treville Euch hörte, so dürftet Ihr eine solche Sprache theuer zu bezahlen haben.«
«Wollt Ihr mir eine Lektion geben. Porthos!«rief Aramis, und durch sein sanftes Auge zuckte ein Blitz.
«Mein Lieber, seid Musketier oder Abbé, seid das Eine oder das Andere, aber nicht das Eine und das Andere, «erwiederte Porthos.»Hört, Athos hat Euch noch vor Kurzem gesagt: Ihr eßt an allen Raufen! Oh! erzürnt Euch nicht, es wäre vergeblich, Ihr wißt wohl, was zwischen Euch, Athos und mir abgemacht ist. Ihr geht zur Frau d'Aiguillon und macht ihr den Hof; Ihr geht zur Frau von Bois-Tracy, der Base der Frau von Chevreuse, und man sagt, Ihr stehet bedeutend in Gnade bei der Dame. Oh! mein Gott, Ihr braucht Euer Glück nicht einzugestehen; man fragt Euch nicht um Euer Geheimniß, denn man kennt Eure Discretion. Aber da Ihr diese Tugend besitzt, so macht in des Teufels Namen in Beziehung auf Ihre Majestät davon Gebrauch. Beschäftige sich mit dem König und dem Kardinal wer will und wie jeder will; aber die Königin ist geheiligt, und wenn man von ihr spricht, so muß es in Gutem geschehen.«
«Porthos, Ihr seid anmaßend, wie ein Narziß, «erwiederte Aramis.»Ihr wißt, daß ich die Moral hasse, außer wenn sie von Athos gepredigt wird. Was Euch betrifft, mein Lieber, Ihr habt ein viel zu prachtvolles Wehrgehänge, um in diesem Punkt stark zu sein. Ich werde Abbé, wann es mir beliebt; mittlerweile bin ich Musketier; in dieser Eigenschaft sage ich, was mir gefällt, und in diesem Augenblick gefällt es mir zu sagen, daß Ihr mich ungeduldig macht!«
«Aramis!«
«Porthos!«
«He, meine Herren! meine Herren!«rief man um sie her.
«Herr von Treville erwartet Herrn d'Artagnan, «unterbrach der Bediente, die Thür des Kabinets öffnend.
Bei dieser Ankündigung, während welcher die Thüre offen blieb, schwieg Jeder, und unter diesem Stillschweigen durchschritt der junge Gascogner das Vorzimmer und trat bei dem Kapitän der Musketiere ein, nicht ohne sich von ganzem Herzen Glück zu wünschen, daß er gerade zu rechter Zeit dem Ende dieses seltsamen Streites entging.
III. Die Audienz
Herr von Treville war in diesem Augenblick in einer abscheulichen Laune; nichtsdestoweniger grüßte er höflich den jungen Mann, der sich bis zur Erde vor ihm verbeugte, und nahm lächelnd sein Kompliment auf, dessen bearnesischer Ausdruck ihn zugleich an seine Jugend und an seine Heimath erinnerte — eine doppelte Erinnerung, welche den Menschen in jedem Alter zum Lächeln bewegt. Aber beinahe in demselben Augenblick trat er, d'Artagnan mit der Hand ein Zeichen machend, als wolle er ihn um Erlaubniß bitten, die Andern abzufertigen, ehe er mit ihm anfinge, trat er, sagen wir, an die Thüre, und rief dreimal, jedes Mal die Stimme verstärkend, so daß er alle Intervall-Töne zwischen dem befehlenden und dem aufgereizten Accent durchlief:
«Athos! Porthos! Aramis!«
Die uns bereits bekannten zwei Musketiere antworteten auf die zwei letzten von diesen drei Namen, verließen sogleich die Gruppen, unter denen sie standen, und gingen auf das Kabinet zu, dessen Thüre sich hinter ihnen schloß, sobald sie die Schwelle überschritten hatten. Ihre Haltung erregte, obgleich sie nicht ganz ruhig war, durch ihre zugleich würdevolle und ehrerbietige Ungezwungenheit die Bewunderung d'Artagnans, der in diesen Menschen Halbgötter und in ihrem Anführer einen mit all seinen Blitzen bewaffneten Jupiter erblickte.
Als die Musketiere eingetreten waren, als die Thüre hinter ihnen geschlossen war, als das Gemurmel im Vorzimmer, dem der Aufruf ohne Zweifel neue Nahrung gab, wieder angefangen und Herr von Treville endlich drei- bis mehrmal sein Kabinet, schweigend und mit gefalteter Stirne immer an Porthos und Aramis vorübergehend, welche steif und stumm wie auf der Parade dastanden, der ganzen Länge nach durchschritten hatte, blieb er plötzlich vor ihnen stehen, maß sie von Kopf zu Fuß mit zornigen Blicken und rief:
«Wißt Ihr, was mir der König gesagt hat, und zwar erst gestern Abend, wißt Ihr es, meine Herren?«
«Nein, «antworteten die zwei Musketiere nach kurzem Stillschweigen;»nein, gnädiger Herr, wir wissen es nicht.«
«Aber ich hoffe, Ihr werdet uns die Ehre erweisen, es uns zu sagen, «fügte Aramis in seinem höflichen Tone und mit der anmuthigsten Verbeugung bei.
«Er hat mir gesagt, er werde in Zukunft seine Musketiere unter der Leibwache des Herrn Kardinals rekrutiren.«
«Unter der Leibwache des Kardinals, und warum dies?«fragte Porthos lebhaft.
«Weil er sah, daß sein trüber Wein durch eine Vermischung mit gutem Wein aufgefrischt werden muß.«
Die zwei Musketiere errötheten bis unter das Weiß ihrer Augen. D'Artagnan wußte nicht, wo er war, und wäre gern hundert Fuß unter der Erde gewesen.
«Ja, ja, «fuhr Herr von Treville hitziger werdend fort,»und Se. Majestät hat Recht, denn, auf meine Ehre, die Musketiere spielen eine traurige Rolle bei Hof. Der Herr Kardinal erzählte gestern beim Spiele des Königs mit einer Miene des Bedauerns, die mir sehr mißfiel, diese verdammten Musketiere, diese lebendigen Teufel, und er legte auf diese Worte einen ironischen Nachdruck, der mir noch mehr mißfiel; diese Kopfspalter, fügte er bei und schaute mich dabei mit seinem Tigerkatzenauge an, hätten sich gestern in der Rue Ferou in einer Schenke verspätet, und eine Runde von seiner Leibwache, ich glaubte, er wollte mir in's Gesicht lachen, sei genöthigt gewesen, die Ruhestörer zu verhaften. Mord und Tod! Ihr müßt etwas davon wissen! Musketiere verhaften! Ihr wäret dabei, Ihr leugnet es nicht, man hat Euch erkannt, und der Kardinal hat Euch genannt. Es ist freilich mein Fehler, ja mein Fehler ist es, da ich mir meine Leute auswähle. Seht doch, Aramis, warum zum Teufel habt Ihr mich um die Kasake gebeten, da Ihr doch so gut unter der Sutane gewesen wäret? Und Ihr, Porthos, habt Ihr ein so schönes goldenes Wehrgehänge, nur um einen Strohdegen daran zu tragen! Und Athos, ich sehe Athos nicht. Wo ist er?«
«Gnädiger Herr, «antwortete Aramis traurig,»er ist krank, sehr krank.«
«Krank, sehr krank, sagt Ihr, und woran leidet er?«
«Man befürchtet an den Blattern, gnädiger Herr, «antwortete Porthos, der auch ein Wort mitsprechen wollte,»was sehr unangenehm wäre, denn es würde sicherlich sein Gesicht verderben.«
«Blattern! Abermals eine glorreiche Geschichte, die Ihr mir da erzählt. Porthos! In seinem Alter an den Pocken krank? — Nein!.. Aber verwundet ohne Zweifel, vielleicht getödtet — Ah! wenn ich es wüßte… Gottesblut! meine Herren Musketiere, ich dulde es nicht, daß man sich auf diese Art in schlechten schenken umhertreibt, auf der Straße Händel anfängt und an jeder Ecke vom Leder zieht. Ich will nicht, daß man sich vor den Leibwachen des Herrn Kardinals lächerlich macht, denn diese sind brave, ruhige, gewandte Leute, die sich nie der Verlegenheit aussetzen, verhaftet zu werden, und die sich überdies nicht verhaften lassen, gewiß nicht, ich bin es überzeugt! Sie würden eher auf dem Platze sterben, als einen Schritt zurückweichen. Sich flüchten, aus dem Staube machen, Fersengeld geben, das ist eine schöne Aufführung für die Musketiere des Königs, das!«
Porthos und Aramis bebten vor Wuth. Sie würden gerne Herrn von Treville erwürgt haben, wenn sie nicht gefühlt hätten, daß ihn die große Liebe, welche er für sie hegte, zu dieser Sprache veranlaßte. Sie stampften mit dem Fuß auf den Boden, bissen sich die Lippen blutig und preßten das Stichblatt ihres Degens mit aller Gewalt zusammen. Außen hatte man erwähntermaßen Athos, Porthos und Aramis rufen hören, und an dem Ton des Herrn von Treville hatte man errathen, daß er sehr zornig war. Zehn neugierige Köpfe lehnten an der Tapete und erbleichten vor Ingrimm; denn ihre fest an die Thüre gehaltenen Ohren verloren kein Wort von dem, was gesprochen wurde, während ihr Mund die für das ganze Corps beleidigenden Reden des Kapitäns, Silbe für Silbe, wiederholte. In einem Augenblick war das ganze Hotel von der Thüre des Kapitäns bis zu dem nach der Straße führenden Thore in Gährung.
«Ah! die Musketiere des Königs lassen sich von der Leibwache des Herrn Kardinals verhaften!«fuhr Herr von Treville fort, der in seinem Innern eben so wüthend war, wie seine Soldaten, aber seine Worte nur so herausstieß und gleichsam eines nach dem andern wie Dolchstiche in die Brust seiner Zuhörer bohrte.»Ah! sechs Leibwachen Sr. Eminenz arretiren sechs Musketiere Seiner Majestät! Mord Element! ich weiß, was ich thue. Ich begebe mich auf der Stelle nach dem Louvre; ich nehme meine Entlassung als Kapitän des Königs und bewerbe mich um eine Lieutenantsstelle bei den Garden des Kardinals, und wenn er es mir abschlägt, Mord Element! so werde ich Abbé.«
Bei diesen Worten kam es von dem Gemurmel außen zu einem völligen Ausbruch; überall hörte man nur Schwüre und Flüche. Mord Element! Gottesblut! Tod und Teufel! durchkreuzten sich in der Luft. D'Artagnan schaute sich nach einer Tapete um, um sich dahinter zu verbergen, und hatte sehr große Lust unter den Tisch zu kriechen.
«Wohl, mein Kapitän, «sprach Porthos außer sich,»wir waren allerdings sechs gegen sechs, aber wir wurden verräterischer Weise überfallen, und ehe wir Zeit hatten, den Degen zu ziehen, stürzten zwei von uns todt nieder, und Athos war, als schwer verwundet nichts mehr werth. Denn Ihr kennt Athos, Kapitän; nun zweimal versuchte er es, sich zu erheben, aber zweimal fiel er wieder zu Boden. Wir haben uns indessen nicht ergeben; nein, man hat uns mit Gewalt fortgeschleppt. Auf dem Wege flüchteten wir uns. Athos hielt man für todt; man ließ ihn ruhig auf dem Schlachtfelde liegen und achtete es nicht der Mühe werth, ihn wegzuschaffen. Das ist die ganze Geschichte. Was den Teufel! Kapitän, man gewinnt nicht alle Schlachten, der große Pompejus hat die von Pharsalus verloren, und Franz I. der, wie ich sagen hörte, seinen Mann stellte, unterlag in der Schlacht bei Pavia.«
«Und ich habe die Ehre, Euch zu versichern, daß ich Einen mit seinem eigenen Degen tödtete, «sagte Aramis;»denn der meinige war bei der ersten Parade zerbrochen. Getödtet oder erdolcht, gnädiger Herr, wie es Euch gefällig ist.«
«Ich wußte das nicht, «erwiederte Herr von Treville mit etwas sanfterem Tone;»der Herr Kardinal hat, wie es scheint, übertrieben.«
«Aber halten zu Gnaden, Herr Kapitän, «sprach Aramis, der, da er Herrn von Treville etwas besänftigt sah, eine Bitte vorzubringen wagte;»sagt nicht, gnädiger Herr, daß Athos verwundet ist; er wäre in Verzweiflung, wenn dies zu den Ohren des Königs käme, und da die Wunde sehr bedeutend zu sein scheint, insofern sie durch die Schulter tief in die Brust eingedrungen ist, so wäre zu befürchten…«
In demselben Augenblick hob sich der Thürvorhang, und ein edler, schöner, aber furchtbar bleicher Kopf erschien unter der Franse.
«Athos!«riefen die zwei Musketiere.
«Ihr habt nach mir verlangt, gnädiger Herr, «sprach Athos mit einer schwachen, aber vollkommen ruhigen Stimme;»Ihr habt nach mir verlangt, wie mir meine Kameraden sagen, und ich beeile mich, Eurem Befehle nachzukommen. Hier bin ich, gnädiger Herr, was steht zu Diensten?«
Mit diesen Worten trat der Musketier festen Schrittes, in tadelloser Haltung, gegürtet wie gewöhnlich, in das Kabinet. Im Innersten seines Herzens durch diesen Beweis von Muth gerührt, eilte ihm Herr von Treville entgegen.
«Ich war eben im Zuge, diesen Herren zu bemerken, «fügte er bei,»daß ich meinen Musketieren verbiete, ihr Leben unnöthig auszusetzen, denn brave Leute sind dem Könige sehr theuer, und der König weiß, daß seine Musketiere die bravsten Leute dieser Erde sind. Eure Hand, Athos.«
Und ohne eine Antwort des so eben Angekommenen auf diesen Beweis von Zuneigung abzuwarten, faßte Herr von Treville seine rechte Hand und drückte sie mit aller Kraft, wobei er nicht gewahr wurde, daß Athos, wie groß auch seine Selbstbeherrschung war, eine Bewegung des Schmerzes nicht zu bewältigen vermochte und noch bleicher wurde, was man kaum hätte für möglich halten sollen.
Die Thüre war halb offen geblieben, so sehr hatte die Ankunft von Athos, dessen Verwundung, trotz des Geheimnisses, Allen bekannt war, Aufsehen erregt. Ein Freudengeschrei war das Echo der letzten Worte des Kapitäns, und von der Begeisterung hingerissen, zeigten sich einige Köpfe durch die Oeffnungen der Tapete. Ohne Zweifel war Herr von Treville im Begriff, durch kräftige Worte diesen Verstoß gegen die Gesetze der Etikette zurückzudrängen, als er fühlte, daß sich die Hand von Athos krampfhaft in der seinigen zusammenzog, und bei genauerer Betrachtung bemerkte er, daß derselbe einer Ohnmacht nahe war. Im gleichen Augenblick fiel Athos, der alle seine Kräfte zusammengerafft hatte, um den Schmerz zu bekämpfen, wie todt auf den Boden nieder.
«Einen Wundarzt!«rief Herr von Treville.»Den meinigen, den des Königs, den nächsten besten! Einen Wundarzt! oder Gottesblut! mein braver Athos verscheidet!«
Aus das Geschrei des Herrn von Treville stürzte Alles in sein Kabinet, ohne daß er daran dachte, die Thüre irgend Jemand zu verschließen, und alle Anwesenden drängten sich um den Verwundeten. Aber dieser Eifer wäre fruchtlos gewesen, wenn sich der geforderte Arzt nicht im Hotel selbst befunden hätte; er durchschritt die Menge, näherte sich dem immer noch ohnmächtigen Athos, und da ihn das Geräusch und Gedränge in seiner Thätigkeit hemmten, so verlangte er als Erstes und Wesentlichstes, daß man den Musketier in ein anstoßendes Zimmer bringe. Sogleich öffnete Herr von Treville eine Thüre und zeigte Porthos und Aramis, welche ihren Kameraden auf den Armen trugen, den Weg. Hinter dieser Gruppe ging der Wundarzt und hinter dem Wundarzt schloß sich die Thüre. Nun wurde das Kabinet des Herrn von Treville, dieser sonst so geachtete Ort, ein zweites Vorzimmer. Jedermann schwatzte, sprach, deklamierte, schwur, fluchte ganz laut und wünschte den Kardinal und seine Leibwachen zu allen Teufeln.
Nach einem Augenblick kehrten Porthos und Aramis zurück. Der Chirurg und Herr von Treville waren allein bei dem Verwundeten geblieben.
Endlich kam auch Herr von Treville in sein Kabinet zurück. Der Verwundete hatte das Bewußtsein wieder erlangt und der Wundarzt erklärte, der Zustand des Musketiers dürfe seine Freunde durchaus nicht beunruhigen, da seine Schwäche einzig und allein durch den Blutverlust veranlaßt worden sei.
Herr von Treville gab nun ein Zeichen mit der Hand, und Jedermann entfernte sich, mit Ausnahme d'Artagnans, der durchaus nicht vergaß, daß er Audienz hatte, und mit der Hartnäckigkeit eines Gascogners an derselben Stelle geblieben war.
Als sich alle entfernt hatten und die Thüre wieder verschlossen war, wandte sich Herr von Treville um und fand sich allein mit dem jungen Manne. Durch das vorhergehende Ereigniß hatte er einigermaßen den Faden seiner Gedanken verloren. Er fragte daher den hartnäckigen Bittsteller nach seinem Verlangen. D'Artagnan nannte seinen Namen. Rasch tauchten in Herrn von Treville alle Erinnerungen an Gegenwart und Vergangenheit wieder auf und er war im Laufenden über seine Stellung.
«Um Vergebung, «sprach er lächelnd,»um Vergebung, mein lieber Landsmann, aber ich hatte Euch völlig vergessen. Was wollt Ihr! ein Kapitän ist nur ein Familienvater, dem eine größere Verantwortlichkeit obliegt, als einem gewöhnlichen Familienvater. Die Soldaten sind große Kinder; da ich aber darauf halte, daß die Befehle des Königs und besonders die des Herrn Kardinals vollzogen werden…«
D'Artagnan konnte ein Lächeln nicht unterdrücken. Aus diesem Lächeln urtheilte Herr von Treville, daß er es mit keinem Dummkopf zu thun habe; er ging daher gerade auf die Sache los, veränderte das Gespräch und sagte:
«Ich habe Euern Vater sehr geliebt! was kann ich für seinen Sohn thun? Beeilt Euch, meine Zeit gehört nicht mir.«»Gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan,»als ich Tarbes verließ und hierher kam, hatte ich die Absicht, Euch in Erinnerung an diese Freundschaft, die Ihr nicht aus dem Gedächtniß verloren habt, um einen Musketiermantel zu bitten. Aber nach Allem, was ich seit zwei Stunden gesehen, begreife ich, daß eine solche Gunst ungeheuer wäre, und ich zittere, sie nicht zu verdienen.«
«Es ist allerdings eine Gunst, junger Mann, «antwortete Herr von Treville,»aber sie kann nicht so hoch über Euch stehen, als Ihr glaubt oder zu glauben Euch das Ansehen gebt. Indessen hat eine Entscheidung Sr. Majestät für diesen Fall vorgesehen, und ich sage Euch mit Bedauern, daß Niemand unter die Musketiere aufgenommen wird, ohne sich vorher in einigen Feldzügen, durch gewisse Waffenthaten oder einen zweijährigen Dienst in einem andern Regiment, das weniger begünstigt ist, als das unsere, erprobt zu haben.«
D'Artagnan verbeugte sich, ohne zu antworten. Sein Verlangen nach der Musketieruniform wurde noch dringender, seit er bemerkte, daß man so viele Hindernisse zu überwinden hatte, um sie zu bekommen.
«Aber, «fuhr Treville fort und heftete dabei auf seinen Landsmann einen so durchdringenden Blick, daß man hätte glauben sollen, er wolle im Grunde seines Herzens lesen;»aber Eurem Vater, meinem alten Landsmann, wie ich Euch gesagt habe, zu Liebe, will ich etwas für Euch thun, junger Mann. Unsere Söhne von Bearn sind gewöhnlich nicht reich, und ich zweifle, daß sich die Verhältnisse seit meiner Abreise aus der Provinz bedeutend verändert haben. Das Geld, das Ihr mitgebracht habt, wird also zum Leben nicht zu viel sein.«
D'Artagnan richtete sich mit einer stolzen Miene auf, welche wohl sagen wollte, er verlange von Niemand ein Almosen.
«Schon gut, junger Mann, schon gut, «fuhr Treville fort,»ich kenne diese Mienen, ich bin nach Paris mit vier Thalern in der Tasche gekommen und hätte mich mit Jedem geschlagen, der mir gesagt haben würde, ich sei nicht im Stande, den Louvre zu kaufen.
D'Artagnan richtete sich noch höher auf; in Folge des Verkaufs seines Pferdes begann er seine Laufbahn mit vier Thalern mehr, als Herr von Treville die seinige begonnen hatte.
«Ihr müßt also, wie ich sagte. Euer Eigenthum zusammennehmen, so stark auch diese Summe sein mag. Aber ihr müßt Euch auch in den Uebungen vervollkommnen, die einem Edelmann anstehen. Ich werde noch heute einen Brief an den Direktor der königlichen Akademie schreiben, und schon morgen seid ihr unentgeltlich aufgenommen, schlagt dieses kleine Geschenk nicht aus. Unsere höchstgeborenen und reichsten Edelleute bewerben sich zuweilen um diese Gunst, ohne sie erlangen zu können. Ihr werdet reiten, fechten und tanzen lernen. Ihr werdet gute Kenntnisse erlangen, und von Zeit zu Zeit besucht Ihr mich, um mir zu sagen, wie weit Ihr seid und ob ich etwas für euch thun kann.«
So wenig d'Artagnan mit den Hofsitten bekannt war, so entging ihm doch die Kälte dieses Empfangs nicht.
«Ach! mein gnädiger Herr, «sagte er,»ich sehe, wie sehr der Empfehlungsbrief, den mir mein Vater eingehändigt hatte, mir heute fehlt.«
«In der That, «erwiederte Herr von Treville,»ich wundere mich, daß Ihr eine weite Reise ohne dieses nothwendige Viatikum, unser einziges Hülfsmittel, unternommen habt.«
«Ich hatte es, Gott sei Dank, in guter Form bei mir, «rief d'Artagnan,»aber es ist mir gestohlen worden.«
Und er erzählte die ganze Scene in Meung, zeichnete den Unbekannten in seinen geringfügigsten Einzelnheiten, Alles mit einer Wärme und Wahrheit, die Herrn von Treville entzückte.
«Das ist seltsam, «sprach der letztere nachsinnend;»Ihr hattet also ganz laut von mir gesprochen?«
«Ja, gnädiger Herr, ich hatte allerdings diese Unklugheit begangen; ein Name, wie der Eurige, mußte mir auf der Reise als Schild dienen. Ihr könnt Euch denken, daß ich mich oft unter den Schutz desselben gestellt habe.«
Schmeichelei war damals sehr in der Mode, und Herr von Treville liebte den Weihrauch so gut wie ein König oder Kardinal.
Er konnte also nicht umhin, mit sichtbarer Befriedigung zu lächeln, aber dieses Lächeln verschwand bald wieder, er kam selbst auf das Abenteuer in Meung zurück und fuhr fort:
«Hatte dieser Edelmann nicht eine leichte Narbe an der Wange?«—»Ja, wie von dem Ritzen einer Kugel.«—»War er nicht ein Mann von schönem Gesicht?«—»Ja.«—»Von hoher Gestalt?«—»Ja.«—»Von bleicher Gesichtsfarbe und braunen Haaren?«—»Ja, ja, so ist es. Wie kommt es, gnädiger Herr, daß Ihr diesen Menschen kennt? Ach! wenn ich ihn wieder finde, und ich werde ihn wieder finden, ich schwöre es Euch, und wäre es in der Hölle…«—»Er erwartete eine Frau?«fuhr Treville fort. — »Er ist wenigstens abgereist, nachdem er einen Augenblick mit der Erwarteten gesprochen hatte.«—»Ihr wißt nicht, was der Gegenstand ihres Gespräches war?«
«Er übergab ihr eine Kapsel, sagte, sie enthalte Instruktionen, und schärfte ihr ein, sie erst in London zu öffnen.«
«Diese Frau war eine Engländerin?«—»Er nannte sie Mylady.«—»Er ist es!«murmelte Treville,»er ist es! Ich glaubte, er wäre noch in Brüssel.«—»Oh! gnädiger Herr, wenn Ihr diesen Menschen kennt, «rief d'Artagnan,»so sagt mir, wer er ist und wo er ist; dann entbinde ich Euch von Allem, selbst von Eurem Versprechen, mich unter die Musketiere aufzunehmen, denn vor Allem will ich mich rächen.«—»Hütet Euch wohl, junger Mann, «rief Treville;»wenn Ihr ihn auf der einen Seite der Straße kommen seht, so geht im Gegentheil auf die andere; stoßt Euch nicht an einem solchen Felsen, er würde Euch wie Glas zerbrechen.«—»Wenn ich ihn je wieder finde, «sprach d'Artagnan,»hält mich dies nicht ab…«—»Sucht ihn einstweilen nicht auf, «versetzte Treville,»wenn ich Euch gut zu Rathe sein soll.«
Plötzlich hielt Treville, von einem raschen Argwohn erfaßt, inne. Der gewaltige Haß, den der junge Reisende so laut gegen diesen Menschen kund that, der ihm, wie sehr wahrscheinlich war, den Brief seines Vaters entwendet hatte, verbarg er nicht etwa eine Treulosigkeit? war dieser junge Mann nicht von Seiner Eminenz abgesandt? kam er nicht, um ihm eine Falle zu legen? war dieser angebliche d'Artagnan nicht ein Emissär des Kardinals, den man in sein Haus zu bringen suchte, den man in seine Nähe gestellt hatte, um sein Vertrauen zu erschleichen und ihn später zu verderben, wie dieß tausendmal geschehen war? Er schaute d'Artagnan das zweite Mal noch schärfer an, als das erste Mal. Diese von schlauem Geist und geheuchelter Unterthänigkeit gleichsam funkelnde Physiognomie vermochte ihn nur wenig zu beruhigen.
Ich weiß, daß er Gascogner ist, dachte Herr von Treville, aber er kann es eben so wohl für den Kardinal, als für mich sein. Wir wollen ihn einmal auf die Probe stellen.»Mein Freund, «sprach er langsam,»ich will Euch als dem Sohn meines alten Freundes, denn ich halte die Geschichte dieses verlorenen Briefes für wahr, ich will Euch, sage ich, um die Kälte, die Ihr Anfangs bei meinem Empfang bemerkt haben möget, wieder gut zu machen, die Geheimnisse unserer Politik offenbaren. Der König und der Kardinal sind die besten Freunde; ihre scheinbaren Streitigkeiten sollen nur Dummköpfe täuschen. Ich will nicht, daß ein Landsmann, ein hübscher Cavalier, ein braver Bursche von diesen Fintenmachern bethört werde und wie ein Einfaltspinsel hinter denen her, welche darin zu Grunde gegangen sind, in das Garn gehe. Bedenkt wohl, daß ich diesen zwei allmächtigen Herren ergeben bin und daß ich nie einen andern Zweck haben werde, als dem König und dem Kardinal, einem der erhabensten Geister, welche Frankreich hervorgebracht hat, zu dienen. Darnach richtet Euch nun, junger Mann, und wenn Ihr, sei es Eurer Familie, sei es Euerer freundschaftlichen Verbindungen wegen oder aus Instinkt gegen den Kardinal einen Groll hegt, wie wir ihn oft bei unseren Edelleuten zum Vorschein kommen sehen, so sagt uns Lebewohl und verlaßt uns. Ich werde Euch in tausenderlei Dingen unterstützen, aber ohne Euch eine nähere Verbindung mit meiner Person zu gestatten. Ich hoffe jedenfalls durch meine Freimütigkeit Euch zum Freund zu gewinnen, denn bis zu dieser Stunde seid Ihr der einzige junge Mensch, mit dem ich so gesprochen habe.«
Treville sagte hiebei zu sich selbst:
Wenn der Kardinal diesen jungen Fuchs an mich abgesandt hat, so wird er, der wohl weiß, wie sehr er mir verhaßt ist, nicht verfehlt haben, seinem Spion kundzugeben, das beste Mittel, mir den Hof zu machen, bestehe darin, daß man das Schlimmste von ihm sage. Der listige Gevatter wird mir auch trotz meiner Versicherungen antworten, er verabscheue den Kardinal.
Es ging ganz anders, als Treville erwartete; d'Artagnan antwortete mit der größten Einfachheit:
«Mein gnädiger Herr, ich komme mit ähnlichen Ansichten und Absichten nach Paris. Mein Vater hat mir eingeschärft, von Niemand, als von dem König, dem Kardinal und von Euch, die er für die drei höchsten Männer von Frankreich hält, Etwas zu dulden.«
D'Artagnan stellte, wie man hier bemerkt, Herrn von Treville zu den beiden Andern, aber er dachte, diese Zusammenstellung könne nichts schaden.
«Ich hege also die größte Verehrung für den Herrn Kardinal, «fuhr er fort,»und die tiefste Achtung vor seinen Handlungen. Desto besser für mich, gnädiger Herr, wenn Ihr, wie Ihr sagt, freimüthig mit mir sprecht, denn Ihr werdet mir dann die Ehre erweisen, diesen Charakterzug auch an mir zu schätzen; habt Ihr aber irgend einen allerdings sehr natürlichen Argwohn gehabt, so sehe ich wohl ein, daß ich mich zu Grunde richte, indem ich die Wahrheit sage; das wäre um so schlimmer, als ich Eure Werthschätzung verlieren würde, und gerade diese ist es, worauf ich in der Welt den höchsten Werth lege.«
Herr von Treville war überrascht durch den letzten Punkt. So viel Offenherzigkeit, so viel Scharfsinn erregten seine Bewunderung, hoben aber seine Zweifel nicht gänzlich; je höher dieser junge Mann über anderen jungen Leuten stand, desto mehr war er zu fürchten, wenn er sich täuschte. Dessenungeachtet drückte er d'Artagnan die Hand und sagte:
«Ihr seid ein ehrlicher Bursche, aber in diesem Augenblick kann ich nicht mehr thun, als ich Euch so eben angeboten habe. Mein Hotel ist stets für Euch offen. Da Ihr zu jeder Stunde bei mir einsprechen und folglich jede Gelegenheit benützen könnt, so werdet Ihr wahrscheinlich später erreichen, was Ihr zu erreichen wünschet.«
«Das heißt, gnädiger Herr, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr werdet warten, bis ich mich dessen würdig gemacht habe. Nun gut!«fügte er mit der Vertraulichkeit eines Gascogners bei,»Ihr sollt nicht lange zu warten haben. «Und er grüßte, um sich zu entfernen, als ob das Uebrige nur ihn anginge.
«Aber wartet doch, «rief Herr von Treville ihn zurückhaltend,»ich habe Euch einen Brief an den Vorstand der Academie angeboten. Seid Ihr zu stolz, ihn anzunehmen, Junker?«
«Nein, gnädiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»ich stehe Euch dafür, daß es mit diesem nicht gehen soll, wie mit dem andern. Ich werde ihn so gut bewahren, daß er, ich schwöre es Euch, an seine Adresse gelangen soll, und wehe dem, der es versuchen würde, ihn mir zu rauben!«
Herr von Treville lächelte bei dieser Großsprecherei, ließ seinen jungen Landsmann in der Fenstervertiefung zurück, wo die Unterredung stattgefunden hatte, setzte sich an einen Tisch und schrieb den versprochenen Empfehlungsbrief. Während dieser Zeit begann d'Artagnan, da er nichts Besseres zu thun hatte, einen Marsch auf den Fensterscheiben zu trommeln, beschaute die Musketiere, welche sich einer nach dem andern entfernten, und folgte ihnen mit dem Blicke, bis sie an der Wendung der Straße verschwanden.
Nachdem Herr von Treville den Brief geschrieben hatte, versiegelte er ihn, stand auf und näherte sich dem jungen Manne, um ihm denselben einzuhändigen, aber gerade in dem Augenblick, wo d'Artagnan die Hand ausstreckte, um ihn in Empfang zu nehmen, sah Herr von Treville mit großem Staunen, wie sein Schützling einen Sprung machte, vor Zorn feuerroth wurde und aus dem Kabinet stürzte mit dem Ruf:
«Ah! Gottesblut! dießmal soll er mir nicht entkommen!«
«Wer denn?«fragte Herr von Treville.
«Er, mein Dieb, «antwortete d'Artagnan.»Ha, Verräther!«
Und er verschwand.
«Närrischer Teufel!«murmelte Herr von Treville.»Wenn das nicht eine geschickte Manier ist, sich davon zu machen, weil er gesehen hat, daß sein Stoß fehlgegangen ist.«
IV. Die Schulter von Athos, das Wehrgehänge von Porthos und das Taschentuch von Aramis
Von Wuth entbrannt hatte d'Artagnan in drei Sprüngen das Vorzimmer hinter sich, und er stürzte nach der Treppe, deren Stufen er zu vier und vier hinabeilen wollte, als er blindlings fortstürmend einen Musketier, der durch eine Nebenthüre von Herrn von Treville kam, so gewaltig mit der Stirne auf die Schulter stieß, daß dieser laut aufschrie oder vielmehr brüllte.
«Entschuldigt mich, «sagte d'Artagnan, der seinen Lauf fortzusetzen versuchte,»entschuldigt mich, aber ich habe Eile.«
Kaum war er die erste Treppe hinabgestiegen, als ihn eine eiserne Hand bei der Schärpe packte und zurück hielt.
«Ihr habt Eile, «rief der Musketier, bleich wie ein Leintuch,»unter diesem Vorwande stoßt Ihr mich; Ihr sagt; ›Entschuldigt mich,‹ und glaubt, das genüge. Nicht ganz, junger Mann. Glaubt Ihr, weil Ihr Herrn von Treville heute ein wenig kavaliermäßig mit uns sprechen hörtet, man könne uns behandeln, wie er mit uns spricht? Laßt Euch diesen Wahn vergehen, Ihr seid nicht Herr von Treville, Ihr!«
«Meiner Treu, «erwiederte d'Artagnan, welcher Athos erkannte, der, nachdem der Arzt den Verband vorgenommen hatte, wieder nach seiner Wohnung zurückkehrte,»meiner Treu, ich habe es nicht absichtlich gethan, und weil ich es nicht absichtlich gethan habe, sagte ich; ›Entschuldigt mich.‹ Das scheint mir genug zu sein. Ich wiederhole Euch indessen, daß ich bei meiner Ehre Eile habe, große Eile. Laßt mich los, ich bitte Euch, laßt mich dahin, wo ich zu thun habe.«
«Mein Herr, «sprach Athos, indem er ihn losließ,»Ihr seid nicht artig. Man sieht, daß Ihr von ferne herkommt.«
D'Artagnan hatte schon drei bis vier Stufen überschritten, aber die Bemerkung von Athos hielt ihn plötzlich zurück.
«Bei Gott! mein Herr, «sprach er,»aus so weiter Ferne ich auch kommen mag, so werdet Ihr mir doch keinen Unterricht in den feinen Manieren ertheilen, das sage ich Euch.«—»Vielleicht, «erwiederte Athos. — »Ah! wenn ich nicht so sehr Eile hätte, «rief d'Artagnan,»und wenn ich nicht Einem nachlaufen würde…«—»Ei, mein eiliger Herr, mich werdet Ihr finden, ohne mir nachzulaufen, versteht Ihr?«—»Und wo dies, wenn es gefällig wäre? — »Bei den Karmeliter-Barfüßern.«—»Zu welcher Stunde?«—»Gegen Mittag.«—»Gegen Mittag, gut; ich werde dort sein.«—»Laßt mich nicht lange warten, denn ein Viertel nach zwölf laufe ich Euch nach, das sage ich Euch, und schneide Euch die Ohren im Laufen ab.«—»Gut!«rief d'Artagnan;»ich werde zehn Minuten vor zwölf mich einfinden.«
Und er fing wieder an zu rennen, als ob ihn der Teufel holte, in der Hoffnung, seinen Unbekannten zu finden, den sein ruhiger Gang noch nicht weit geführt haben konnte.
Aber am Straßenthor plauderte Porthos mit einem Wache stehenden Soldaten. Zwischen den zwei Sprechenden war gerade Raum für einen Mann. D'Artagnan glaubte, dieser Raum würde für ihn genügen, und stürzte vor, um wie ein Pfeil zwischen beiden durchzuschießen. Aber d'Artagnan hatte ohne den Wind gerechnet. Als er eben im Begriffe war, durchzudringen, fing sich der Wind in den langen Mantel von Porthos, und d'Artagnan prallte gerade in den Mantel. Porthos hatte ohne Zweifel Gründe, diesen wesentlichen Theil seiner Kleidung nicht preiszugeben, denn statt das Blatt, welches er festhielt fahren zu lassen, zog er es an sich, so daß d'Artagnan durch eine umdrehende Bewegung, die sich leicht durch den Widerstand des hartnäckigen Porthos erklären läßt, sich in den Sammet verwickelte.
Als d'Artagnan den Musketier fluchen hörte, wollte er sich unter dem Mantel, der ihn verblendete, hervorarbeiten und suchte seinen Weg in den Falten. Er fürchtete besonders die Frische des, uns bereits bekannten, glänzenden Wehrgehänges beeinträchtigt zu haben; als er aber schüchtern die Augen öffnete, fand es sich, daß seine Nase zwischen den beiden Schultern von Porthos, das heißt gerade auf dem Wehrgehänge steckte. Ach! wie die meisten Dinge dieser Welt, die nur den Schein für sich haben, war das Wehrgehänge vorne von Gold und hinten von Büffelleder. Da Porthos, ein Hochmuthsnarr, wie er war, kein ganz goldenes Wehrgehänge haben konnte, so hatte er wenigstens die Hälfte davon: man begreift jetzt die Nothwendigkeit des Schnupfens und das dringliche Bedürfniß eines Mantels.
«Donner und Teufel!«rief Porthos, während er sich mit aller Gewalt anstrengte, von d'Artagnan loszukommen, der ihm am Rücken krappelte, seid Ihr denn wahnsinnig, daß Ihr Euch so auf die Leute werft!«
«Entschuldigt mich, «sagte d'Artagnan, als er wieder unter den Schultern des Riesen erschien,»aber ich hatte Eile, ich laufe Einem nach, und…«
«Vergeßt Ihr vielleicht Eure Augen, wenn Ihr Jemand nachlauft?«fragte Porthos.
«Nein, «antwortete d'Artagnan gereizt,»nein, und meinen Augen hab' ich es sogar zu danken, daß ich das sehe, was Andere nicht sehen.«
Porthos verstand oder verstand nicht, jedenfalls erfaßte ihn der Zorn und er rief:
«Mein Herr, man wird Euch zu striegeln wissen, wenn Ihr Euch an den Musketieren reibt.«
«Striegeln, mein Herr!«sagte d'Artagnan,»das Wort ist hart.«
«Es ist das Wort eines Mannes, der seinen Feinden ins Gesicht zu sehen gewohnt ist.«
«Ah! bei Gott, ich weiß wohl, daß Ihr den Eurigen den Rücken nicht zukehrt.«
Und über seinen Witz entzückt, entfernte sich der junge Mann laut lachend.
Porthos schäumte vor Wuth und machte eine Bewegung, um über d'Artagnan herzufallen.
«Später, später, «rief dieser,»wenn Ihr Euren Mantel nicht mehr anhabt.«
«Um ein Uhr also, hinter dem Luxemburg.«
«Sehr wohl, um ein Uhr, «erwiederte d'Artagnan, sich um die Straßenecke wendend.
Aber weder in der Straße, die er durchlaufen hatte, noch in derjenigen, in welcher er jetzt seine Blicke umherlaufen ließ, sah er irgend Jemand. So sachte der Unbekannte gegangen war, so hatte er doch einen Vorsprung gewonnen; vielleicht war er auch in ein Haus eingetreten. D'Artagnan erkundigte sich bei Allen, denen er begegnete, nach ihm, ging bis zur Fähre hinab und wieder durch die Rue de Seine und la Croix-Rouge hinauf, aber nichts, durchaus nichts. Dieses Laufen war jedoch in so fern für ihn vorteilhaft, als je mehr der Schweiß seine Stirne überströmte, desto mehr sein Gemüth sich abkühlte. Er fing nun an, über die Ereignisse die er so eben erlebt hatte, nachzudenken, sie waren zahlreich und unglücklich; es war kaum elf Uhr und bereits hatte ihm der Morgen die Ungunst des Herrn von Treville zugezogen, der die Art und Weise, wie d'Artagnan ihn verlassen hatte, etwas wenig cavaliermäßig finden mußte. Dann hatte er zwei Duelle mit Männern angebunden, von denen jeder im Stande war, drei d'Artagnan zu tödten, kurz mit zwei Musketieren, mit zwei von diesen Wesen, die er so hoch schätzte, daß er sie in seinem Geist und in seinem Herzen über alle andere Menschen stellte.
Diese Conjunctur war sehr traurig. In der Ueberzeugung, von Athos getödtet zu werden, bekümmerte sich der junge Mann begreiflicher Weise nicht viel um Porthos. Da jedoch die Hoffnung das Letzte ist, was in dem Herzen des Menschen erlischt, so fing er wirklich an zu hoffen, er könnte diese zwei Duelle, freilich mit furchtbaren Wunden, überleben, und im Fall des Ueberlebens machte er sich für die Zukunft folgende Vorstellungen:
«Was für ein hirnloser Tölpel bin ich! Dieser brave und unglückliche Athos ist an der Schulter verwundet und ich stürze mit dem Kopfe auf ihn zu, gerade wie ein Stier. Mich wundert nur, daß er mich nicht todt zu Boden streckte; er hatte das Recht dazu, und der Schmerz, den ich ihm verursacht habe, muß furchtbar gewesen sein. Was Porthos betrifft, — ah Porthos! das ist drolliger. «Und unwillkürlich fing der junge Mann an zu lachen, wobei er indessen umherschaute, ob durch dieses vereinzelte Gelächter Niemand ohne Grund verletzt wurde.»Die Sache mit Porthos ist drolliger, darum bin ich aber nicht weniger ein elender Dummkopf. Wirft man sich so auf die Leute, ohne» Habt Acht!«zu rufen, nein! und schaut man ihnen unter den Mantel, um zu sehen, was nicht da ist? Er hätte mir gewiß verziehen. Er hätte mir verziehen, wäre ich nicht so unklug gewesen, von dem Wehrgehänge zu sprechen, allerdings mit verblümten Worten! ja, schön, verblümt! Ah! verdammter Gascogner, der ich bin, ich würde in der Bratpfanne Witze machen. Auf! d'Artagnan, mein Freund, «fuhr er fort, indem er zu sich selbst mit all der Höflichkeit sprach, die er sich zu schulden glaubte,»entkommst Du, was nicht sehr wahrscheinlich ist, so hast Du in Zukunft eine vollkommene Höflichkeit zu beobachten. Man muß Dich fortan bewundern, als Musterbild nennen. Zuvorkommend und höflich sein, heißt nicht feig sein. Man schaue nur Aramis an, er ist die Sanftmuth, die Artigkeit selbst, und Niemand ist noch der Meinung gewesen, er sei ein Feigling! Nein, gewiß nicht, und von nun an will ich mich ganz nach seinem Vorbild formen! Ah! hier ist er gerade.«
Immer vorwärts marschirend und mit sich selbst sprechend war d'Artagnan bis auf einige Schritte zu dem Hotel d'Aiguillon gelangt, und vor diesem Hotel hatte er Aramis wahrgenommen, welcher munter mit drei Edelleuten von der Leibwache des Königs plauderte. Aramis bemerkte d'Artagnan ebenfalls; da er nicht vergaß, daß sich Herr von Treville diesen Morgen in seiner Gegenwart so stark ausgedrückt hatte, und da ein Zeuge der Vorwürfe, welche den Musketieren zu Theil wurden, ihm in keiner Beziehung angenehm war, so gab er sich den Anschein, als würde er ihn gar nicht gewahr. D'Artagnan aber, der im Gegentheil ganz mit seinen Versöhnungs- und Höflichkeitserklärungen beschäftigt war, näherte sich den vier jungen Leuten und machte eine tiefe Verbeugung, begleitet mit dem artigsten Lächeln. Aramis nickte leicht mit dem Kopf, lächelte aber nicht. Alle vier unterbrachen jedoch sogleich ihr Gespräch.
D'Artagnan war nicht so thöricht, um nicht einzusehen, daß er hier zu viel war, aber er hatte in den Manieren der großen Welt noch nicht genug Gewandtheit, um sich auf eine geschickte Art aus einer Lage zu ziehen, wie es in der Regel die eines Menschen ist, der sich unter Leute, die er nicht kennt, und in ein Gespräch gemischt hat, das ihn nichts angeht. Er suchte eben in seinem Innern nach einem Mittel, sich auf die wenigst linkische Weise zurückzuziehen, als er sah, daß Aramis ein Taschentuch entfallen war, auf das er, ohne Zweifel aus Unachtsamkeit, seinen Fuß gestellt hatte; dies schien ihm der günstige Augenblick zu sein, um seine Unschicklichkeit wieder gut zu machen; er bückte sich, zog mit der verbindlichsten Miene, die er sich zu geben vermochte, das Taschentuch unter dem Fuße des Musketiers hervor, wie sehr dieser sich auch anstrengte, es zurückzuhalten, und sprach, indem er ihm dasselbe übergab:»Ich glaube, mein Herr, Ihr würdet dieses Taschentuch wohl nicht gerne verlieren.«
Das Taschentuch war in der That reich gestickt und hatte eine Krone und ein Wappen in einer seiner Ecken. Aramis erröthete im höchsten Grade und riß das Taschentuch förmlich aus den Händen des Gascogners.
«Ah! ah!«rief einer von den Umstehenden;»wirst Du noch behaupten. Du stehest schlecht mit Frau von Bois-Tracy, da diese anmuthige Dame die Gefälligkeit hat, Dir ihre Taschentücher zu leihen?«
Aramis schleuderte d'Artagnan einen von den Blicken zu, welche einem Menschen begreiflich machen, daß er sich einen Todfeind zugezogen hat; aber sogleich wieder seine süßliche Miene annehmend, sprach er:
«Ihr täuscht Euch, meine Herren, dieses Taschentuch gehört nicht mir, und ich weiß nicht, warum es diesem Menschen in den Kopf gekommen ist, es eher mir, als einem von Euch zuzustellen; zum Beweis ist hier das meinige in meiner Tasche.«
Bei diesen Worten zog er sein eigenes Taschentuch hervor, ebenfalls ein sehr elegantes, feines Batisttuch, obgleich Batist damals noch theuer war, aber ohne Wappen, ohne Stickerei und nur mit einem einzigen Buchstaben, dem seines Eigentümers, bezeichnet.
Diesmal gab d'Artagnan keinen Ton von sich; er hatte seinen Mißgriff erkannt. Aber die Freunde von Aramis ließen sich durch sein Leugnen nicht überzeugen, und der eine von ihnen wandte sich mit geheucheltem Ernste an ihn und sprach:
«Wenn es so wäre, wie du behauptest, mein lieber Aramis, so würde ich mich genöthigt sehen, es von Dir zurückzufordern, denn Bois-Tracy ist, wie Du weißt, einer von meinen innigsten Freunden, und man soll keine Trophäen aus dem Eigenthum seiner Gattin machen.«
«Du stellst Dein Verlangen nicht auf die geeignete Weise, «erwiederte Aramis,»und während ich die Gerechtigkeit Deiner Forderung im Grunde würdige, müßte ich sie der Form wegen zurückweisen.«
«In der That, «wagte d'Artagnan schüchtern zu bemerken,»ich habe das Tuch nicht aus der Tasche von Aramis fallen sehen. Er hatte den Fuß darauf, das ist das Ganze, und weil er den Fuß darauf hatte, glaubte ich, das Taschentuch gehöre ihm.«
«Und Ihr habt Euch getäuscht, «antwortete Aramis kalt, ohne auf diese Entschuldigung Werth zu legen. Dann wandte er sich gegen denjenigen, welcher sich für den Freund von Bois-Tracy ausgegeben hatte, und fuhr fort:»Ueberdies, mein lieber Herzensfreund, bei Bois-Tracy fällt mir gerade ein, daß ich selbst ein nicht weniger zärtlicher Freund von ihm bin, als Du sein kannst, so daß dieses Tuch eben so wohl aus Deiner Tasche, als aus der meinigen gefallen sein kann.«
«Nein, auf meine Ehre, «rief der Soldat von der Leibwache Sr. Majestät.
«Du schwörst bei Deiner Ehre und ich bei meinem Worte, und dabei muß nun nothwendig einer von uns beiden lügen. Halt, es ist das Gescheiteste, Montaran, es nimmt jeder von uns die Hälfte davon.«
«Von dem Taschentuch?«
«Ja.«
«Vortrefflich, «riefen die zwei Andern.»Das Urtheil des Salomo. Aramis, Du bist in der That ein weiser Mann.«
Die jungen Leute brachen in ein schallendes Gelächter aus, und die Sache hatte, wie man sich denken kann, keine weitere Folge. Nach einem Augenblick hörte das Gespräch auf, die drei Soldaten von der Leibwache und der Musketier drückten sich herzlich die Hände und gingen auseinander.
«Das ist der Augenblick, um mit diesem artigen Mann Frieden zu schließen, «sagte d'Artagnan, der sich während des letzten Theils der Unterredung etwas bei Seite gehalten hatte, zu sich selbst, und mit dieser freundlichen Gesinnung trat er näher zu Aramis, der sich entfernte, ohne ihm weitere Aufmerksamkeit zu schenken.
«Mein Herr, «sprach er,»Ihr werdet mich hoffentlich entschuldigen.«
«Ah! mein Herr,»unterbrach ihn Aramis,»erlaubt mir, Euch zu bemerken, daß Ihr in dieser Sache nicht gehandelt habt, wie ein artiger Mann hätte handeln müssen.«
«Wie, Herr! Ihr meint…«
«Ich meine, Herr, daß Ihr kein Dummkopf seid, und daß Ihr, obgleich Ihr aus der Gascogne kommt, wohl wißt, daß man nicht ohne Grund auf Taschentücher steht. Was zum Teufel, Paris ist nicht mit Batist gepflastert.«
«Mein Herr, Ihr habt Unrecht, daß Ihr mich zu demüthigen sucht, «sagte d'Artagnan, bei dem der angeborene Streitgeist lauter sprach, als seine friedlichen Entschließungen.»Ich bin allerdings aus der Gascogne, und da Ihr dieß wißt, so brauche ich Euch nicht zu sagen, daß die Gascogner wenig Geduld besitzen, und wenn sie sich einmal entschuldigt haben, sei es auch wegen einer Grobheit, so sind sie überzeugt, sie haben um die Hälfte mehr gethan, als sie hätten thun sollen.«
«Mein Herr, «erwiederte Aramis,»was ich Euch sage, sage ich nicht aus Händelsucht. Ich gehöre, Gott sei Dank! nicht zu den Raufbolden, und da ich nur vorläufig Musketier bin, so schlage ich mich blos, wenn ich dazu genöthigt werde, und stets mit Widerstreben. Aber diesmal ist es eine Angelegenheit von Belang, denn Ihr habt die Ehre einer Dame gefährdet.«»Ich? was wollt Ihr damit sagen?«rief d'Artagnan. — »Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, mir dieses Taschentuch zurückzustellen?«—»Warum hattet Ihr die Ungeschicklichkeit, es fallen zu lassen?«—»Ich habe gesagt und wiederhole, mein Herr, daß dieses Tuch nicht aus meiner Tasche gekommen ist.«—»Nun, dann habt Ihr zweimal gelogen, mein Herr, denn ich habe es selbst herausfallen sehen.«—»Ha! Ihr sprecht aus diesem Tone, Herr Gascogner? nun wohl! ich werde Euch Lebensart beibringen.«—»Und ich werde Euch in Euere Messe zurückschicken, mein Herr Abbé. Zieht vom Leder, und zwar sogleich, wenn es Euch gefällig ist.«
«Nein, mit Eurer Erlaubniß, mein schöner Freund, wenigstens nicht hier. Seht Ihr nicht, daß wir dem Hotel d'Aiguillon gegenüberstehen, das voll von Kreaturen des Kardinals ist? Wer sagt mir, daß Euch nicht Se. Eminenz beauftragt hat, ihm meinen Kopf zu verschaffen? Nun halte ich lächerlich viel auf meinen Kopf, da er mir sehr gut zu meinen Schultern zu passen scheint. Ich will Euch wohl tödten, seid ganz ruhig, aber in der Stille, an einem heimlichen, verborgenen Orte, damit Ihr Euch gegen Niemand Eures Todes rühmen könnt.«—»Es mag wohl sein, aber verlaßt Euch nicht darauf, und nehmt Euer Taschentuch mit, ob es Euch gehört, oder nicht, Ihr habt vielleicht Gelegenheit, es zu benützen.«—»Der Herr ist ein Gascogner?«fragte Aramis.
«Ja, aber der Herr verschiebt einen Zweikampf nicht aus Klugheit.«—»Die Klugheit ist eine für Musketiere ziemlich überflüssige Tugend, wie ich wohl weiß, aber sie ist unerläßlich für Geistliche, und da ich nur provisorisch Musketier bin, so bemühe ich mich klug zu bleiben. Um zwei Uhr werde ich die Ehre haben, Euch im Hotel des Herrn von Treville zu erwarten, dort zeige ich Euch geeignete Stellen.«
Die zwei jungen Leute grüßten, Aramis ging die Straße hinauf, welche nach dem Luxembourg führte, während d'Artagnan, als er sah, daß die bestimmte Stunde nahe rückte, den Weg nach dem Barfüßerkloster einschlug. Dabei sagte er zu sich selbst:»Ich kann offenbar nicht mit dem Leben durchkommen, aber wenn ich getödtet werde, so werde ich doch wenigstens von einem Musketier getödtet.«
V. Vie Musketiere des Königs und die Leibwache des Herrn Kardinals
D'Artagnan kannte Niemand in Paris. Er ging daher nach dem bestimmten Orte, ohne einen Sekundanten mitzubringen, entschlossen, sich mit denen zu begnügen, welche sein Gegner gewählt haben würde. Ueberdies war es ausdrücklich seine Absicht, offen, aber zugleich ohne Schwäche jede Entschuldigung auszusprechen; er fürchtete, dieses Duell könne die gewöhnliche Folge eines solchen Handels haben, wenn sich ein junger und kräftiger Mann mit einem verwundeten und geschwächten Gegner schlägt: überwunden verdoppelt er den Triumph seines Widersachers, als Sieger wird er der Pflichtvergessenheit und eines wohlfeilen Muthes angeklagt.
Wenn wir den Charakter unseres Abenteurers nicht schlecht geschildert haben, so kann es den Lesern nicht entgangen sein, daß d'Artagnan durchaus kein gewöhnlicher Mensch war. Während er sich stets wiederholte, daß sein Tod unvermeidlich sei, ergab er sich durchaus nicht darein, ganz geduldig zu sterben, wie ein anderer minder muthiger Mensch an seiner Stelle gethan haben würde. Er zog die verschiedenen Charaktere derjenigen in Betracht, mit welchen er sich schlagen sollte, und fing an, seine Lage klarer zu durchschauen. Durch die loyalen Entschuldigungen, die er auszusprechen gedachte, hoffte er Athos, dessen vornehmes Aussehen und stolze Miene ihm ungemein gefielen, zum Freund zu gewinnen. Er schmeichelte sich, Porthos mit dem Wehrgehänge-Abenteuer einzuschüchtern, das er, wenn er nicht auf der Stelle getödtet würde, Jedermann erzählen könnte, und eine solche Erzählung, sagte er sich, müßte, auf eine geschickte Weise verbreitet, Porthos im höchsten Grade lächerlich machen; vor dem duckmäuserischen Aramis war ihm nicht besonders bange, und wenn es bis zu ihm käme, so meinte er, es würde ihm wohl gelingen, ihn gänzlich abzuthun oder wenigstens, wie Cäsar gegen die Soldaten des Pompejus empfohlen hatte, durch tüchtige Hiebe in das Gesicht für immer die Schönheit zu Grunde zu richten, auf die er so stolz war.
Dann besaß d'Artagnan jenen unerschütterlichen Grundstock von Entschlossenheit, den in seinem Gemüth die Ermahnungen seines Vaters gebildet hatten, welche darauf hinausliefen, daß er von Niemand, außer von dem König, dem Kardinal und von Herrn von Treville etwas dulden sollte. Er flog also beinahe nach dem Kloster der Karmeliter-Barfüßer, einem fensterlosen Gebäude, das an unfruchtbaren zur Schreiberwiese gehörigen Wiesen lag und von Leuten, welche keine Zeit zu verlieren hatten, gewöhnlich zu Zweikämpfen benützt wurde.
Als d'Artagnan auf dem kleinen Grundgebiet ankam, das sich am Fuß des Klosters ausdehnte, wartete Athos erst seit fünf Minuten, und es schlug gerade zwölf. Er war also pünktlich wie die Samaritanerin, und der strengste Duellcasuist hätte nichts zu rügen gefunden.
Athos, welcher noch immer schwer an seiner Wunde litt, obgleich sie um neun Uhr vom Chirurgen des Herrn vom Treville verbunden worden war, saß auf einem Brunnen und erwartete seinen Gegner mit der ruhigen Haltung und der würdigen Miene, die ihn nie verließ. Beim Anblick d'Artagnans stand er auf und ging ihm höflich einige Schritte entgegen; dieser näherte sich seinem Widersacher, den Hut in der Hand.
«Mein Herr, «sagte Athos,»ich habe zwei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, die mir als Sekundanten dienen werden; aber diese zwei Freunde sind noch nicht eingetroffen. Ich wundere mich über ihr langes Ausbleiben, denn es ist sonst nicht ihre Gewohnheit.«
«Ich meines Theils habe keinen Sekundanten, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan,»denn erst gestern in Paris eingetroffen, kenne ich hier Niemand, außer Herr von Treville, dem ich durch meinen Vater empfohlen worden bin, welcher sich zu seinen Freunden zu zählen die Ehre hat.«
Athos überlegte einen Augenblick.
«Ihr kennt nur Herrn von Treville?«fragte er.
«Ja mein Herr, ich kenne nur ihn.«
«Ei dann, «fuhr Athos halb mit sich selbst, halb zu d'Artagnan sprechend fort,»wenn ich Euch tödte, werde ich das Ansehen eines Kinderfressers haben!«
«Nicht gar zu sehr, mein Herr, «erwiederte d'Artagnan mit einer Verbeugung, der es nicht an Würde mangelte;»nicht gar zu sehr, da Ihr mir die Ehre erweist, den Degen gegen mich mit einer Wunde zu ziehen, die Euch sehr belästigen muß.«
«Sie ist mir auf mein Wort sehr lästig, und ich muß Euch sagen, Ihr habt mir sehr wehe gethan; aber ich werde die linke Hand nehmen, was unter solchen Umständen meine Gewohnheit ist. Glaubt nicht, daß ich Euch eine Gnade gewähre, denn ich stoße gleichmäßig mit beiden Händen; ja, Ihr seid sogar im Nachtheil, ein Linker ist sehr unbequem für Leute, die nicht zuvor davon in Kenntnis gesetzt sind. Ich bedauere daher ungemein. Euch diesen Umstand nicht früher mitgetheilt zu haben.«
«Mein Herr, «sagte d'Artagnan, sich abermals verbeugend,»Ihr seid in der That von einer Höflichkeit, wofür ich Euch im höchsten Grade Dank weiß.«
«Ihr macht mich verlegen, «erwiederte Athos mit seiner edelmännischen Miene;»ich bitte, sprechen wir von etwas Anderem, wenn es Euch nicht unangenehm ist. Ah, Gottesblut! wie habt Ihr mir weh gethan! die Schulter brennt mir.«
«Wenn Ihr mir erlauben wollt,«… sagte d'Artagnan schüchtern.
«Was denn, mein Herr?«
«Ich besitze einen Wunderbalsam für Wunden, einen Balsam, den mir meine Mutter gegeben hat, und von dem ich an mir selbst eine Probe gemacht habe.«
«Nun denn?«
«Nun denn, ich bin überzeugt, daß dieser Balsam Euch in weniger als drei Tagen heilen würde, und nach Ablauf dieser drei Tage, mein Herr, wäre es mir immer eine große Ehre, Euch zu Diensten zu stehen.«
D'Artagnan sprach diese Worte mit einer Einfachheit, die seinen höflichen Sitten Ehre machte, ohne seinem Muthe Eintrag zu thun.
«Bei Gott, mein Herr, «sagte Athos,»das ist ein Vorschlag, der mir gefällt. Nicht als ob ich ihn annehmen würde, aber auf eine Meile erkennt man daran den Edelmann. So sprachen und handelten die Tapfern in der Zeit Karls des Großen, nach denen jeder Cavalier sich zu bilden suchen muß. Leider befinden wir uns nicht mehr in der Zeit dieses großen Kaisers; wir leben in der Zeit des Herrn Kardinals; da würde man, so gut das Geheimniß auch bewahrt wäre, in drei Tagen erfahren, daß wir uns schlagen sollen, und sich unserem Kampfe widersetzen. Ei, der Teufel! die faulen Bursche kommen nicht.«
«Wenn Ihr Eile habt, mein Herr, «sagte d'Artagnan zu Athos mit derselben Einfachheit, womit er ihm so eben einen dreitägigen Aufschub vorgeschlagen hatte,»wenn Ihr Eile habt und es Euch gefällig wäre, mich sogleich abzufertigen, so bitte ich, Euch nicht zu geniren.«
«Abermals ein Wort, das mir gefällt, «sprach Athos mit freundlichem Kopfnicken.»Er ist nicht ohne Geist und hat sicherlich Herz, «dachte er.»Mein Herr, ich liebe die Leute von Eurem Schlag, und sehe, daß ich, wenn wir einander nicht tödten, später ein großes Vergnügen an Eurer Unterhaltung finden werde. Wir wollen diese Herren abwarten, denn ich habe Zeit genug, und so wird es mehr in der Ordnung sein. Ah, ich glaube, da kommt einer!«
Am Ende der Rue de Vaugirard erschien wirklich der riesige Porthos.
«Wie, «rief d'Artagnan,»Euer erster Zeuge ist Herr Porthos?«—»Ja; ist Euch dies etwa unangenehm?«—»Nein, keineswegs.«—»Und hier ist der zweite.«— D'Artagnan wandte sich nach der von Athos bezeichneten Seite und erkannte Aramis.
«Wie!«rief er mit noch größerer Verwunderung,»Euer zweiter Zeuge ist Herr Aramis?«—»Allerdings; wißt Ihr nicht, daß man nie einen von uns ohne den Andern sieht, und daß man uns bei den Musketieren wie bei den Leibwachen, bei Hofe wie in der Stadt Athos, Porthos und Aramis, oder die drei Unzertrennlichen nennt? Da Ihr jedoch von Dax oder von Pau kommt…«—»Von Tarbes, «sagte d'Artagnan. — »So ist es Euch erlaubt, diese Dinge nicht zu wissen, «sprach Athos. — »Meiner Treu', «erwiederte d'Artagnan, man nennt Euch mit Recht so, und mein Abenteuer, wenn es einiges Aufsehen macht, wird wenigstens beweisen, daß Eure Verbindung nicht auf Contrasten beruht.«
Während dieser Zeit kam Porthos näher und begrüßte Athos mit der Hand. Dann blieb er, sich gegen d'Artagnan umwendend, sehr erstaunt stille stehen.
Beiläufig bemerken wir, daß er sein Wehrgehänge gewechselt und seinen Mantel abgelegt hatte.
«Ah! ah!«rief er,»was ist das?«—»Mit diesem Herrn schlage ich mich, «sprach Athos und deutete mit der Hand auf d'Artagnan. — »Ich schlage mich ebenfalls mit ihm, «sagte Porthos. — »Aber erst um ein Uhr, «erwiederte d'Artagnan. — »Und ich schlage mich auch mit diesem Herrn, «sagte Aramis, der in diesem Augenblick herankam.
«Aber erst um zwei Uhr, «entgegnete d'Artagnan mit derselben Ruhe.
«Doch sage mir, warum schlägst Du Dich, Athos?«fragte Aramis. — »Meiner Treu', ich weiß es nicht, er hat mir an der Schulter wehe gethan; und Du, Porthos?«—»Meiner Treu', ich schlage mich, weil ich mich schlage, «antwortete Porthos erröthend.
Athos, dem nichts entging, sah, wie sich ein feines Lächeln über die Lippen des Gascogners hinzog.
«Wir haben einen Toilettenstreit gehabt, «sagte der junge Mann.
«Und Du, Aramis?«fragte Athos.
«Ich schlage mich wegen eines theologischen Punktes, «antwortete Aramis und gab zugleich d'Artagnan ein Zeichen, durch das er ihn bat, die Ursache ihres Duells geheim zu halten.
Athos sah ein zweites Lächeln über d'Artagnans Lippen schweben.
«Wirklich?«sagte Athos.
«Ja, wegen des heiligen Augustin, über welchen wir verschiedener Meinung sind, «erwiederte der Gascogner.
«Das ist entschieden ein gescheidter Kerl, «murmelte Athos.
«Und nun, da Ihr beisammen seid, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»erlaubt mir meine Entschuldigungen vortragen.«
Bei dem Worte Entschuldigungen zog eine Wolke über die Stirne von Athos hin; ein hochmüthiges Lächeln glitt über die Lippen von Porthos, und ein verneinendes Zeichen war die Antwort von Aramis.
«Ihr versteht mich nicht, meine Herren, «sagte d'Artagnan mit hochgehaltenem Haupt, auf welchem in diesem Augenblick ein Sonnenstrahl spielte, der die seinen, kecken Linien vergoldete.»Ich bitte Euch um Vergebung, falls ich nicht im Stande sein sollte, meine Schuld an alle drei abzutragen; denn Herr Athos hat das Recht, mich zuerst zu tödten, was Eurer Schuldforderung, Herr Porthos, viel von ihrem Werthe benimmt und die Eurige, Herr Aramis, beinahe zu nichte macht. Und nun, meine Herren, wiederhole ich, entschuldigt mich, aber nur in dieser Beziehung und ausgelegt!«
Nach diesen Worten zog d'Artagnan mit der ritterlichsten Geberde, die man sehen konnte, seinen Degen. Das Blut war ihm in den Kopf gestiegen und er hätte in diesem Augenblick seinen Degen gegen alle Musketiere des Königreichs gezogen, wie er es gegen Athos, Porthos und Aramis that.
Es war ein Viertel nach zwölf Uhr. Die Sonne stand in ihrem Zenith und die zum Schauplatz des Zweikampfes gewählte Stelle war völlig ihrer Gluth ausgesetzt.
«Es ist sehr warm, «sagte Athos, ebenfalls seinen Degen ziehend,»und dennoch kann ich mein Wamms nicht ablegen. Ich habe so eben gefühlt, daß meine Wunde blutet, und ich müßte den Herrn zu belästigen fürchten, wenn ich ihn Blut sehen ließe, dessen Fließen er nicht selbst veranlaßt hätte.«
«Das ist wahr, mein Herr, «sagte d'Artagnan,»und ich versichere Euch, daß ich, mag die Wunde durch mich oder durch einen Andern veranlaßt sein, stets mit Bedauern das Blut eines so braven Edelmanns sehen werde; ich werde mich also ebenfalls im Wamms schlagen.«
«Vorwärts!«rief Porthos,»genug der Artigkeiten! Bedenkt, daß wir warten, bis die Reihe an uns kommt.«
«Sprecht für Euch allein. Porthos, wenn Ihr solche Ungereimtheiten vorzubringen habt, «unterbrach ihn Aramis.»Ich für meine Person finde die Dinge, die sich diese Herren sagen, sehr gut gesagt und zweier Edelleute vollkommen würdig.«
«Wenns beliebt, mein Herr, «sprach Athos, sich auslegend.
«Ich erwarte Eure Befehle, «entgegnete d'Artagnan den Degen kreuzend.
Aber die zwei Raufdegen hatten kaum bei ihrer Berührung geklirrt, als eine Corporalschaft von der Leibwache Sr. Eminenz, befehligt von Herrn von Jussac, sich an der Ecke des Klosters zeigte.
«Die Leibwachen des Kardinals!«riefen Porthos und Aramis zugleich.»Den Degen in die Scheide, meine Herren, den Degen in die Scheide!«
Aber es war zu spät. Man hatte die zwei Kämpfenden in einer Stellung gesehen, welche keinen Zweifel über ihre Absichten zuließ.
«Halloh!«rief Jussac, indem er gegen sie zurückte und seinen Leuten ein Zeichen gab, dasselbe zu thun.»Halloh! Musketiere, man schlägt sich also hier? und die Edikte, wie steht es damit?«
«Ihr seid sehr edelmüthig, meine Herren Garden, «sagte Athos voll Groll, denn Jussac war einer von den vorgestrigen Angreifern.»Wenn wir sehen, daß Ihr Euch schlagt, so stehe ich Euch dafür, daß wir uns wohl hüten werden, Euch daran zu hindern. Laßt uns also gewähren, und Ihr sollt ein Vergnügen haben, das Euch gar keine Mühe kostet.«
«Meine Herren, «entgegnete Jussac,»zu meinem größten Bedauern erkläre ich Euch, daß dies unmöglich ist. Unsere Pflicht geht Allem vor. Steckt ein, wenns Euch beliebt, und folget uns.«
«Mein Herr, «sprach Aramis, Jussac parodirend,»mit größtem Vergnügen würden wir Eurer freundlichen Einladung Folge leisten, wenn es von uns abhinge, aber leider ist dies unmöglich. Herr von Treville hat es uns verboten. Geht also Eures Wegs, das ist das Beste, was Ihr thun könnt.«
Dieser Spott brachte Jussac außer sich.
«Wir greifen Euch an, «sprach er,»wenn Ihr nicht gehorcht.«
«Sie sind ihrer fünf, «sagte Athos mit leiser Stimme,»und wir sind nur zu drei; wir werden abermals geschlagen und müssen hier sterben, denn ich erkläre, daß ich als Besiegter mich nicht vor dem Kapitän blicken lasse.«
Athos, Porthos und Aramis traten sogleich näher zu einander, während Jussac seine Leute in Linie stellte.
Dieser einzige Augenblick genügte für d'Artagnan, seinen Entschluß zu fassen. War dies eines von den Ereignissen, welche über das Leben eines Menschen entscheiden, so war eine Wahl zwischen dem König und dem Kardinal zu treffen, und hatte er gewählt, so mußte er dabei beharren. Wenn er sich schlug, beging er einen Ungehorsam gegen das Gesetz, wagte seinen Kopf und machte sich auf einmal einen Minister zum Feind, der mächtiger war, als der König selbst. Dies begriff der junge Mann, und wir haben zu seinem Lobe zu erwähnen, daß er nicht eine Sekunde zögerte. Er wandte sich gegen Athos und seine Freunde und sagte:
«Ich habe an Euren Worten, wenn es erlaubt ist, etwas auszusetzen. Ihr sagtet, Ihr wäret nur zu drei, doch mir scheint es, wir sind unser vier.«
«Ihr gehört ja nicht zu den Unsern, «sprach Porthos.
«Allerdings, «entgegnete d'Artagnan, nicht dem Gewandte, aber dem Gemüthe nach. Mein Herz ist das eines Musketiers, das fühle ich wohl, meine Herren, und das reißt mich fort.«
«Entfernt Euch, junger Mann, «rief Jussac, der ohne Zweifel aus seinen Geberden und dem Ausdrucke seines Gesichtes die Absicht d'Artagnans errathen hatte.»Ihr könnt Euch zurückziehen, wir erlauben es. Rettet Eure Haut, geht geschwind.«
D'Artagnan wich nicht von der Stelle.
«Ihr seid entschieden ein herrlicher Junge, «sagte Athos, und drückte dem Gascogner die Hand.
«Vorwärts, vorwärts, entschließen wir uns, «sprach Jussac.
«Auf!«sagten Porthos und Aramis,»wir müssen etwas thun.«
«Ihr seid gar zu edelmüthig, «sprach Athos.
Alle drei zogen die Jugend d'Artagnans in Betracht und fürchteten seine Unerfahrenheit.
«Wir werden sammt dem Verwundeten nur unser drei sein, denn diesen Jungen können wir nicht rechnen, und dennoch wird es heißen, wir seien vier Mann hoch gewesen.«
«Ja, aber zurückweichen!«entgegnete Porthos. — »Das ist schwierig, «sagte Athos. — »Es ist unmöglich, «bemerkte Aramis.
D'Artagnan begriff ihre Unentschlossenheit.
«Meine Herren, stellt mich immerhin auf die Probe, «rief er,»und ich schwöre Euch bei meiner Ehre, daß ich nicht von dieser Stelle gehen will, wenn wir besiegt sind.«
«Wie heißt Ihr, mein Braver?«sagte Athos
«D'Artagnan, mein Herr.«
«Nun wohl, Athos, Porthos, Aramis und d'Artagnan, vorwärts!«rief Athos.
«Gut, meine Herren, Ihr habt Euch entschieden?«rief Jussac zum dritten Mal.
«Es ist geschehen, «entgegnete Athos.
«Und was gedenkt Ihr zu thun?«fragte Jussac.
«Wir werden die Ehre haben. Euch anzugreifen, «antwortete Aramis, indem er mit der einen Hand seinen Hut lüpfte und mit der andern den Degen zog.
«Ah! Ihr leistet Widerstand!«rief Jussac.
«Gottesblut! darüber wundert Ihr Euch?«
Und die neun Kämpfer stürzten auf einander mit einer Wuth los, welche eine gewisse Methode nicht ausschloß. Athos nahm einen gewissen Cahusac, den Liebling des Kardinals, auf sich; Porthos hatte Biscarat gegen sich, und Aramis sah sich zwei Feinden gegenüber gestellt. D'Artagnan hatte gegen Jussac zu kämpfen.
Das Herz des jungen Gascogner schlug, daß es ihm beinahe die Brust zersprengte, nicht aus Furcht, denn davon hatte er keinen Schatten, sondern aus Eifer; er kämpfte wie ein wüthender Tiger, drehte sich zehnmal um seinen Gegner und veränderte zwanzigmal seine Stellungen und sein Terrain. Jussac war, wie man es damals nannte, ein Freund der Klinge und hatte viel Uebung; aber nur mit der größten Mühe vermochte er sich gegen einen Widersacher zu wehren, der rasch und behend alle Augenblicke von den Regeln der Kunst abwich und von allen Seiten zugleich angriff, dabei aber wie ein Mensch parirte, der seiner Oberhaut die größte Umsicht widmet. Endlich verlor Jussac bei diesem Streit die Geduld; wütend darüber, daß er von einem Menschen im Schach gehalten wurde, den er für ein Kind angesehen hatte, erhitzte er sich und fing an, sich Blößen zu geben. D'Artagnan, der in Ermangelung der Praxis eine gründliche Theorie besaß, verdoppelte seine Thätigkeit. Jussac wollte der Sache ein Ende machen und führte einen furchtbaren Streich nach seinem Gegner: aber dieser parirte, und während Jussac sich wieder erhob, stieß er ihm, schlangenartig unter seinem Stahl hingleitend, den Degen durch den Leib. Jussac fiel wie eine träge Masse zu Boden.
D'Artagnan warf einen raschen, unruhigen Blick auf das Schlachtfeld.
Aramis hatte bereits einen von seinen Gegnern getödtet, aber der andere bedrängte ihn lebhaft. Doch war Aramis in einer guten Stellung und konnte sich noch vertheidigen.
Biscarat und Porthos hatten gleichzeitig gegen einander gestoßen. Porthos hatte einen Degenstich durch den Arm und Biscarat einen durch den Schenkel bekommen. Aber da weder die eine noch die andere Wunde bedeutend war, so fochten sie nur mit um so größerer Erbitterung.
Abermals von Cahusac verwundet, erbleichte Athos sichtbar, wich jedoch keinen Fußbreit zurück; er hatte nur den Degen in eine andere Hand genommen und schlug sich jetzt mit der linken.
D'Artagnan konnte nach den Duellgesetzen jener Zeit Einem beistehen; während er mit den Augen denjenigen von seinen Gefährten aufsuchte, der seiner Hülfe bedurfte, erhaschte er einen Blick von Athos. Dieser Blick war in hohem Grade beredt. Athos wäre lieber gestorben, als daß er um Hülfe gerufen hätte. Aber er konnte blicken und mit dem Blicke Unterstützung fordern. D'Artagnan errieth ihn. machte einen furchtbaren Sprung und fiel Cahusac mit dem Ruf in die Seite:
«Gegen mich, mein Herr Garde, oder ich tödte Euch!«
Cahusac wandte sich um, es war die höchste Zeit, Athos, den nur sein außerordentlicher Muth aufrecht erhalten hatte, fiel auf ein Knie.
«Gottes Blut!«rief er d'Artagnan zu,»tödtet ihn nicht, junger Mann, ich bitte Euch, ich habe eine alte Geschichte mit ihm abzumachen, wenn ich geheilt bin. Entwaffnet ihn nur, bindet ihm den Degen. So! so! gut! sehr gut!«
Dieser Ausruf wurde Athos dadurch entrissen, daß Cahusacs Degen zwanzig Fuß weit wegflog. D'Artagnan und Cahusac stürzten zugleich auf ihn zu, der Eine, um ihn wieder zu ergreifen, der Andere, um sich desselben zu bemächtigen. Aber d'Artagnan kam als der behendere zuerst an Ort und Stelle und setzte seinen Fuß darauf.
Cahusac lief nach demjenigen von den Garden, welchen Aramis getödtet hatte, bemächtigte sich seines Degens und wollte gegen d'Artagnan zurückgehen, aber auf seinem Wege begegnete er Athos, der während dieser kurzen Pause, die ihm d'Artagnan verschaffte, Athem geschöpft hatte und den Kampf wieder beginnen wollte, damit d'Artagnan ihm seinen Feind nicht tödten möchte.
D'Artagnan begriff, daß es eine Unhöflichkeit gewesen wäre, Athos nicht gewähren zu lassen. Nach einigen Sekunden stürzte Cahusac wirklich, die Kehle von einem Degenstiche durchbort, nieder. In diesem Augenblick setzte Aramis seinem niedergeworfenen Feinde den Degen auf die Brust und nöthigte ihn, um Gnade zu bitten.
Nun blieben noch Porthos und Biscarat übrig. Porthos erlaubte sich während des Kampfes tausenderlei Prahlereien, fragte Biscarat, wie viel Uhr es wohl sein möchte, und beglückwünschte ihn wegen der Kompagnie, welche sein Bruder bei dem Regiment Navarra bekommen hatte; aber er gewann Nichts mit diesen Spöttereien. Biscarat war einer von jenen Eisenmännern, welche nur fallen, wenn sie getödtet sind.
Es mußte indessen ein Ende gemacht werden. Die Wache konnte kommen, und alle Kämpfer, verwundete oder nicht verwundete, Royalisten oder Kardinalisten, verhaften. Athos, Aramis und d'Artagnan stellten sich um Biscarat und forderten ihn auf, sich zu ergeben. Obgleich allein gegen Alle mit einem Degenstich durch den Schenkel, wollte Biscarat Stand halten; aber Jussac, der sich auf seinen Ellenbogen erhoben hatte, rief ihm zu, er solle sich ergeben. Biscarat war ein Gascogner wie d'Artagnan. Er stellte sich taub, bezeichnete zwischen zwei Paraden eine Stelle auf dem Boden und sagte, einen Vers der Bibel parodirend:»Hier wird Biscarat sterben, der einzige von denen, die bei ihm sind!«
«Aber sie sind ihrer vier gegen Dich, endige, ich befehle es Dir!«
«Ah! wenn Du es befiehlst, dann ist es etwas Anderes, «erwiederte Biscarat;»da Du mein Brigadier bist, so muß ich Dir gehorchen.«
Und einen Sprung rückwärts machend, zerbrach er seinen Degen, um ihn nicht übergeben zu müssen, warf die Stücke über die Klostermauer und kreuzte, ein kardinalistisches Lied pfeifend, die Arme über der Brust.
Der Muth wird immer geachtet, selbst bei einem Feinde. Die Musketiere begrüßten Biscarat mit ihren Degen und steckten diese wieder in ihre Scheide. D'Artagnan that dasselbe und trug dann, unterstützt von Biscarat, welcher allein aufrecht geblieben war, Jussac, Cahusac und denjenigen von den Gegnern des Aramis, welcher nur eine Wunde bekommen hatte, unter die Klosterhalle. Der vierte war, wie gesagt, todt. Dann zogen sie an der Glocke und wanderten, nachdem vier Degen über fünf den Sieg davon getragen hatten, freudetrunken nach dem Hotel des Herrn von Treville. Man sah sie Arm in Arm die ganze Breite der Straße einnehmen und jeden Musketier, dem sie begegneten, herbeirufen, so daß am Ende ein wahrer Triumphzug daraus wurde. D'Artagnan's Herz schwamm in Seligkeit. Er ging zwischen Athos und Porthos, die er sanft an seinen Leib drückte.
«Wenn ich auch noch nicht wirklich Musketier bin, «sprach er zu seinen neuen Freunden, als er die Schwelle des Treville'schen Hotels überschritt,»so bin ich doch wenigstens als Lehrling aufgenommen, nicht wahr?«
VI. Seine Majestät König Ludwig der Dreizehnte
Diese Begebenheit machte großes Aufsehen. Herr von Treville äußerte sich laut sehr ungehalten über seine Musketiere und wünschte ihnen in der Stille Glück. Da aber keine Zeit zu verlieren war, um den König zu benachrichtigen, so begab er sich eiligst in den Louvre. Es war schon zu spät. Der König war mit dem Kardinal eingeschlossen; man sagte, er arbeite und könne in diesem Augenblick Niemand empfangen. Abends kam Herr von Treville zum Spiele des Königs. Der König gewann, und da Se. Majestät sehr geizig war, so war sie auch vortrefflicher Laune. Sobald der König Treville von fern erblickte, rief er ihm zu:»Kommt her, Herr Kapitän, daß ich Euch ausschelte; wißt Ihr, daß Se. Eminenz Eure Musketiere bei mir verklagt hat, und vor lauter Aerger krank geworden ist? Ei, ei, es sind doch leibhaftige Teufel, wahre Galgenstricke, Eure Musketiere!«
«Nein, Sire, «erwiederte Treville, der mit dem ersten Blick bemerkte, welche Wendung die Sache nahm,»nein, sie sind im Gegentheil ganz gute, lammfromme Jungen, und ich hafte dafür, daß sie keinen andern Wunsch hegen, als daß ihr Degen nur im Dienste Eurer Majestät aus der Scheide komme. Aber was wollt Ihr? die Leibwachen des Herrn Kardinals suchen unablässig Streit mit ihnen, und für die Ehre des Korps sehen sich die armen jungen Leute zur Verteidigung genöthigt.«
«Hört Herrn von Treville!«sagte der König,»hört ihn! Sollte man nicht glauben, er spreche von einer religiösen Gemeinschaft? In der That, mein lieber Kapitän, ich habe Lust, Euch Euer Patent abzunehmen und es Fräulein von Chemerault zu geben, der ich eine Abtei zugesagt habe. Hoffet aber nicht, daß ich Euch aufs Wort glauben werde. Man nennt mich Ludwig den Gerechten, und wir werden sogleich sehen!«
«Gerade, weil ich auf diese Gerechtigkeit baue, Sire, erwarte ich ruhig und geduldig, was Ew. Majestät beliebt.«
«Wartet immerhin, wartet immerhin, ich werde Euch nicht lange warten lassen, «sprach der König.
Das Glück nahm wirklich eine Wendung, und da der König seinen Gewinn zu verlieren anfing, so war es ihm nicht unangenehm, daß er einen Vorwand erhielt, um — man entschuldige den Spielerausdruck, dessen Ursprung wir nicht kennen — um Karl den Großen zu machen. Der König stand bald auf, steckte das Gold, das vor ihm lag und zum größeren Theil von seinem Gewinn herrührte, in die Tasche und sagte:
«Vieuville, nehmt meinen Platz ein: ich habe in wichtigen Angelegenheiten mit Herrn von Treville zu verhandeln. Ah… ich hatte achtzig Louisd'or vor mir. Legt dieselbe Summe auf, damit diejenigen, welche verloren haben, sich nicht beklagen können. Vor Allem Gerechtigkeit. «Dann wandte er sich gegen Herrn von Treville, ging mit ihm nach einer Fenstervertiefung und fuhr fort:
«Nun, mein Herr, Ihr sagt, die Leibwachen Sr. Eminenz haben Streit mit Euren Musketieren angefangen?«
«Ja, Sire, wie immer.«
«Und wie kam das? sprecht, denn Ihr wißt, mein lieber Kapitän, ein Richter muß alle Parteien hören.«
«Ach! mein Gott! auf die einfachste und natürlichste Weise. Drei meiner besten Soldaten, welche Ew. Majestät dem Namen nach kennt, und deren Ergebenheit Ihr mehr als einmal gewürdigt habt, denn ich kann den König versichern, daß ihnen ihr Dienst sehr am Herzen liegt; drei von meinen besten Soldaten, sage ich, die Herren Athos, Porthos und Aramis, machten eine Lustpartie mit einem Junker aus der Gascogne, den ich ihnen an demselben Morgen empfohlen hatte. Die Partie sollte, wie ich glaube, in Saint-Germain stattfinden, und sie hatten sich bei den Karmeliter-Barfüßern zusammenbestellt, als sie von Herrn von Jussac, den Herren Cahusac und Biscarat und zwei anderen Leibwachen gestört wurden, welche gewiß nicht ohne eine schlimme Absicht gegen die Edikte in so zahlreicher Gesellschaft dahin kamen.«
«Ah! ah! Ihr bringt mich auf den Gedanken, sie haben die Absicht gehabt, sich selbst zu schlagen.«
«Ich klage sie nicht an, Sire, aber ich überlasse es Ew. Majestät zu bedenken, was fünf bewaffnete Männer an einem so öden, verlassenen Orte, wie die Umgegend des Barfüßerklosters ist, thun können.«
«Ja, Ihr habt Recht, Treville, Ihr habt Recht.«
«Als sie meine Musketiere erblickten, gaben sie sodann ihren Plan auf und vergaßen ihren Privathaß über dem Korpshaß; denn es ist Ew. Majestät nicht unbekannt, daß die Musketiere, die ganz und gar nur dem Könige angehören, die natürlichen Feinde der Leibwachen sind, welche dem Herrn Kardinal angehören.«
«Ja, Treville, ja, «sagte der König schwermüthig, es ist sehr traurig, glaubt mir, in Frankreich zwei Parteien, zwei Köpfe des Königthums zu sehen, aber dies Alles soll ein Ende nehmen. Ihr sagt also, die Leibwachen haben Streit mit den Musketieren gesucht?«
«Ich sage, daß die Sache wahrscheinlich so gegangen ist, aber ich schwöre nicht, Sire. Ihr wißt, wie schwer es ist, die Wahrheit zu erkennen, und wenn man nicht mit dem bewunderungswürdigen Instinkte begabt ist, der Ludwig XIII. den Beinamen» der Gerechte «erworben hat…«
«Und Ihr habt Recht, Treville; aber Eure Musketiere waren nicht allein, es befand sich noch ein Junge bei ihnen.«
«Ja, Sire, und ein verwundeter Mann, so daß drei Musketiere des Königs, worunter ein Verwundeter, und ein Junge nicht allein gegen fünf der furchtbarsten Leibwachen des Herrn Kardinals Stand gehalten, sondern auch vier von ihnen zur Erde niedergestreckt haben.«
«Aber das ist ja ein wahrer Sieg!«rief der König ganz strahlend;»ein vollständiger Sieg!«
«Ja, Sire, eben so vollständig als der vom Pont de Ce!«»Vier Mann, worunter ein Verwundeter und ein Junge, sagt Ihr?«
«Kaum ein Jüngling, der sich bei dieser Gelegenheit so vortrefflich benommen hat, daß ich mir die Freiheit nehme, denselben Ew. Majestät zu empfehlen.«
«Wie heißt er?«
«D'Artagnan, Sire. Er ist der Sohn eines meiner ältesten Freunde; der Sohn eines Mannes, der mit Euerem königlichen Vater glorreichen Andenkens manchen Krieg mitgemacht hat.«
«Und Ihr sagt, dieser junge Mensch habe sich gut benommen? Erzählt mir das, Treville; Ihr wißt, ich liebe Erzählungen von Krieg und Kämpfen.«
Und der König richtete sich auf und strich sich stolz den Schnurrbart in die Höhe.
«Sire, «erwiederte Treville,»Herr d'Artagnan ist, wie ich Euch gesagt habe, beinahe noch ein Kind, uns da er nicht die Ehre hat, Musketier zu sein, so trug er bürgerliche Kleidung; als die Leibwachen des Herrn Kardinals erkannten, wie jung er war und daß er nicht zu dem Korps gehörte, so forderten sie ihn auf, sich zurückzuziehen, ehe sie angreifen würden.«—»Ihr seht also, Treville, «unterbrach ihn der König,»daß sie der angreifende Theil gewesen sind.«—»Allerdings, Sire, es unterliegt keinem Zweifel mehr; sie forderten ihn also auf, sich zu entfernen, er aber antwortete, er sei seinem Herzen nach Musketier und gehöre ganz und gar Seiner Majestät, werde also bei den Herren Musketieren bleiben.«—»Wackrer Jüngling!«murmelte der König. — »Er blieb in der That bei ihnen, und Ew. Majestät hat einen so festen Kämpen an ihm, daß er es war, der Jussac den furchtbaren Degenstich beibrachte, worüber der Herr Kardinal so sehr erbost ist.«—»Er hat Jussac verwundet?«rief der König;»dieser Junge! das ist unmöglich, Treville.«—»Es ist, wie ich Ew. Majestät zu sagen die Ehre habe.«—»Jussac, einer der besten Degen des Königreichs!«—»Wohl, Sire, er hat seinen Meister gefunden.«—»Ich will diesen jungen Menschen sehen, Treville, ich will ihn sehen, und wenn man etwas für ihn thun kann, nun, wir werden sorgen.«—»Wann wird Ew. Majestät denselben zu empfangen geruhen?«—»Morgen um die Mittagsstunde, Treville.«—»Soll ich ihn allein bringen?«—»Nein, bringt mir alle vier miteinander. Ich will allen zugleich danken; ergebene Männer sind selten, Treville, und man muß die Ergebenheit belohnen. — »Um die Mittagsstunde werden wir im Louvre sein.«—»Ah! über die kleine Treppe, Treville, über die kleine Treppe, der Kardinal braucht es nicht zu erfahren…«—»Sehr wohl, Sire.«—»Ihr versteht, Treville, ein Edikt bleibt immer ein Edikt, und es ist am Ende verboten, sich zu schlagen.«—»Aber dieses Zusammentreffen, Sire, liegt ganz außerhalb der gewöhnlichen Bedingungen des Duells, es ist ein Streit, und es dient überdies zum Beweis, daß fünf Leibwachen des Kardinals gegen meine drei Musketiere und Herrn d'Artagnan waren.«—»Das ist richtig, «sprach der König,»aber gleich viel, kommt immerhin über die kleine Treppe.«
Treville lächelte; da es aber schon viel war, daß er dieses Kind dazu gebracht hatte, sich gegen den Gebieter aufzulehnen, so verbeugte er sich ehrfurchtsvoll vor dem König und verabschiedete sich mit dessen Erlaubnis.
Schon an demselben Abend wurden die drei Musketiere von der ihnen vergönnten Ehre benachrichtigt. Da sie den König schon seit langer Zeit kannten, so geriethen sie dadurch nicht besonders ins Feuer, aber d'Artagnan mit seiner gascognischen Einbildungskraft erblickte darin sein zukünftiges Glück und brachte die Nacht in goldenen Träumen hin. Schon um acht Uhr Morgens war er bei Athos.
D'Artagnan fand den Musketier ganz angezogen und zum Ausgehen bereit. Da man sich erst zur Mittagsstunde bei dem König einzufinden hatte, so beabsichtigte er mit Porthos und Athos eine Partie in einem, nahe bei den Ställen des Luxembourg liegenden Ballhause zu machen. Athos lud d'Artagnan ein, ihn zu begleiten, und obgleich er dieses Spiel nicht kannte, an dem er nie Theil genommen hatte, willigte dieser doch in den Vorschlag ein, da er nicht wußte, was er von neun Uhr Morgens bis Mittag mit seiner Zeit machen sollte.
Die zwei Musketiere waren schon eingetroffen und spielten mit einander zum Zeitvertreib, ohne die Regeln zu beobachten. Athos, der in allen körperlichen Hebungen sehr stark war, stellte sich ihnen mit d'Artagnan gegenüber und forderte sie heraus. Aber bei seiner ersten Bewegung bemerkte er, obgleich er mit der linken Hand spielte, daß seine Wunde noch zu neu war, um ihm eine solche Uebung zu gestatten. D'Artagnan blieb also allein, und da er sich für zu ungeschickt erklärte, um eine regelmäßige Partie aufrecht zu erhalten, so fuhr man fort, sich Bälle zuzusenden, ohne das Spiel zu berechnen. Aber einer von den Bällen flog, von der herkulischen Faust von Porthos geschleudert, so nahe an d'Artagnans Gesicht vorüber, daß, wenn er ihn getroffen hätte, statt an ihm vorbei zu schießen, seine Audienz verloren gewesen wäre, weil ihn dieser ohne allen Zweifel in die Unmöglichkeit versetzt hätte, vor dem König zu erscheinen. Da nun seiner gascognischen Einbildungskraft zu Folge von dieser Audienz seine ganze Zukunft abhing, so verbeugte er sich höflich vor Porthos und Aramis und erklärte, er würde die Partie nicht eher aufnehmen, als bis er im Stande wäre, ihnen Widerstand zu leisten, worauf er seinen Platz auf der Gallerie nahm.
Unglücklicher Weise befand sich unter den Zuschauern ein Mann von der Leibwache Sr. Eminenz, der, noch ganz grimmig über die Niederlage, die seine Kameraden am Tage vorher erlitten hatten, fest entschlossen war, die erste Gelegenheit zu ergreifen, um Rache zu nehmen. Er meinte, diese Gelegenheit biete sich ihm, und sagte, sich an seinen Nachbar wendend:
«Man darf sich nicht wundern, daß dieser junge Mensch vor einem Ball bange hat: er ist ohne Zweifel ein Musketier-Lehrling.«
D'Artagnan drehte sich um, als ob ihn eine Schlange gestochen hätte, und schaute den Mann, der das kecke Wort gesprochen, fest an.
«In Gottes Namen!«fuhr dieser, seinen Knebelbart auf eine freche Weise kräuselnd fort,»schaut mich an, so lange Ihr wollt, mein kleiner Herr; was ich gesagt habe, habe ich gesagt.«—»Und da das, was Ihr gesagt habt, zu klar ist, um einer Erläuterung zu bedürfen, so bitte ich Euch, mir zu folgen, «antwortete d'Artagnan mit dumpfer Stimme. — »Wann dies?«fragte der Garde mit derselben spöttischen Miene. — »Sogleich, wenn es Euch gefällig ist.«—»Und Ihr wißt ohne Zweifel, wer ich bin?«—»Ich, ich weiß es nicht und kümmere mich auch nicht darum.«—»Ihr habt Unrecht, denn wenn Ihr meinen Namen wüßtet, wäret Ihr vielleicht minder eilig.«—»Wie heißt Ihr?«—»Bernajoux, Euch zu dienen.«—»Wohl, mein Herr Bernajoux, «erwiederte d'Artagnan ruhig,»ich will Euch vor der Thüre erwarten.«—»Geht, Herr, ich folge Euch.«—»Beeilt Euch nicht zu sehr, mein Herr, damit man nicht gewahr wird, daß wir mit einander gehen; Ihr begreift, daß bei unserem Geschäfte zu viele Menschen lästig wären.«—»Ganz gut, «antwortete der Garde, erstaunt, daß sein Name keine größere Wirkung auf den jungen Menschen hervorgebracht hatte.
Der Name Bernajoux war m der That Jedermann bekannt, d'Artagnan allein vielleicht ausgenommen; denn er war einer von denjenigen, die am häufigsten bei den täglichen Streitigkeiten vorkamen, welche alle Edikte des Königs und des Kardinals nicht zu unterdrücken im Stande gewesen waren.
Porthos und Aramis waren so sehr mit ihrer Partie beschäftigt, und Athos schaute ihnen mit so viel Aufmerksamkeit zu, daß sie nicht einmal ihren jungen Gefährten hinausgehen sahen, der, wie er zu dem Gardisten Sr. Eminenz gesagt hatte, vor der Thüre wartete; nach einem Augenblick folgte ihm Bernajoux. Da d'Artagnan keine Zeit zu verlieren hatte, indem die Audienz bei dem König auf die Mittagsstunde bestimmt war, so schaute er um sich und sagte zu seinem Gegner, als er keinen Menschen auf der Straße erblickte:
«Meiner Treu, es ist ein Glück für Euch, obgleich Ihr Bernajoux heißt, daß Ihr es nur mit einem Musketier-Lehrling zu thun habt; seid indessen ruhig, ich werde mir alle Mühe geben. Legt Euch aus!«—»Ei, «erwiederte der Mann, den d'Artagnan auf diese Art herausforderte,»mir scheint dieser Platz sehr schlecht gewählt, wir wären viel besser hinter der Abtei Saint-Germain oder auf der Schreiberwiese.«—»Was Ihr da sagt, ist sehr verständig, «entgegnete d'Artagnan;»aber leider kann ich nur über wenig Zeit verfügen, da ich gerade um 12 Uhr ein Rendezvous habe. Ausgelegt also, mein Herr, ausgelegt!«
Bernajoux war nicht der Mann, der eine solche Aufforderung zweimal an sich ergehen ließ. In demselben Augenblick glänzte sein Degen in seiner Hand und er fiel gegen seinen Widersacher aus, den er bei seiner großen Jugend leicht einzuschüchtern hoffte.
Aber d'Artagnan hatte den Tag vorher seine Lehre gemacht, und ganz frisch geschliffen durch seinen Sieg, ganz aufgeblasen von seinem zukünftigen Glücke, war er entschlossen, keine Hand breit zurückzuweichen: die zwei Degen waren auch sogleich gebunden, und da d'Artagnan fest auf seiner Stelle blieb, so machte sein Gegner einen Schritt rückwärts. Aber d'Artagnan ergriff den Augenblick, wo bei dieser Bewegung die Klinge von Bernajoux von der Linie abwich, machte seine Klinge los, führte einen Hieb von oben herunter und traf seinen Gegner in die Schulter. Sogleich machte d'Artagnan seiner Seits einen Schritt zurück und hob seinen Degen in die Höhe, aber Bernajoux rief ihm zu, es sei nichts, stürzte wie blind auf ihn los und rannte sich selbst in den Degen seines Feindes. Da er indessen nicht fiel, da er sich nicht für besiegt erklärte, sondern nur seine Stellung mehr nach dem Hotel des Herrn de la Tremouille zu nahm, in dessen Diensten er einen Verwandten hatte, so bedrängte ihn d'Artagnan, welcher nicht wußte, wie schwer sein Gegner verwundet war, auf das lebhafteste und hätte ihm ohne Zweifel mit einem dritten Streiche den Garaus gemacht, als auf das Geräusch, welches von der Straße bis zu dem Ballspiele hinausdrang, zwei von den Freunden des Gardisten, welche ihn einige Worte mit d'Artagnan wechseln und in Folge dessen hinausgehen gesehen hatten, mit dem Degen in der Faust aus dem Ballhause stürzten und über den Sieger herfielen. Aber sogleich erschienen Athos, Porthos und Aramis ebenfalls und nöthigten die zwei Leibwachen in dem Augenblick, wo sie ihren jungen Kameraden angriffen, zum Rückzug. Jetzt fiel Bernajoux zu Boden, und da die Leibwachen nur zu zwei gegen vier waren, so schrieen sie:»Zu Hülfe, Hotel de la Tremouille!«Auf dieses Geschrei lief Alles, was sich in dem Hotel befand, heraus und fiel über die vier Kameraden her, welche ihrerseits:»Uns zu Hülfe Musketiere!«zu schreien anfingen.
Dieser Ruf fand in der Regel Gehör, denn man kannte die Musketiere als Feinde Sr. Eminenz und liebte sie wegen ihres Hasses gegen den Kardinal. Auch ergriffen die Leibwachen der Compagnien, welche nicht dem Herzog Roth gehörten, wie ihn Aramis genannt hatte, in der Regel bei diesen Streitigkeiten Partei für die Musketiers des Königs. Von drei Gardisten von der Compagnie des Herrn des Essarts, welche vorübergingen, kamen also zwei den vier Kameraden zu Hülfe, während der andere nach dem Hotel des Herrn von Treville lief und daselbst:»Zu Hülfe, Musketiere, uns zu Hülfe!«rief. Da gewöhnlich das Hotel des Herrn von Treville voll von Soldaten dieser Waffe war, welche ihren Kameraden schnell zu Hülfe eilten, so wurde das Gefecht allgemein, aber die Oberhand blieb auf der Seite der Musketiere; die Leibwachen des Kardinals und die Leute des Herrn de la Tremouille zogen sich in das Hotel zurück, dessen Thore sie noch zeitig genug schlössen, um ihre Feinde zu verhindern, daß sie mit ihnen einbrachen. Den Verwundeten hatte man gleich Anfangs und zwar, wie gesagt, in sehr schlimmem Zustand weggebracht.
Die Aufregung hatte unter den Musketieren und ihren Verbündeten den höchsten Grad erreicht, und man berathschlagte bereits, ob man nicht, um die Unverschämtheit der Bedienten des Herrn de la Tremouille zu bestrafen, welche einen Ausfall auf die Musketiere des Königs zu machen gewagt hatten, Feuer an das Hotel legen sollte. Ein Vorschlag zu diesem Ende wurde gemacht und mit Begeisterung aufgenommen, als es zum Glück elf Uhr schlug; d'Artagnan und seine Gefährten erinnerten sich ihrer Audienz, und da sie es bedauert hätten, wenn ein so schöner Streich ohne sie ausgeführt worden wäre, so suchten sie die Köpfe zu beschwichtigen, was ihnen auch gelang. Man begnügte sich, einige Pflastersteine an die Thore zu werfen, aber diese widerstanden und man war der Sache müde; überdieß hatten diejenigen, welche man als Anführer des Unternehmens betrachten mußte, seit einigen Augenblicken die Gruppe verlassen und gingen nach dem Hotel des Herrn von Treville zu, der sie, bereits von diesem neuen Handgemenge unterrichtet, erwartete.
«Rasch in den Louvre, «sagte er,»in den Louvre, ohne einen Augenblick zu verlieren, wir müssen den König zu sehen suchen, ehe uns der Kardinal zuvorgekommen ist; wir erzählen ihm die Sache als eine Folge der gestrigen Angelegenheit, und Beides wird zugleich durchgehen.«
Herr von Treville begab sich in Begleitung der vier jungen Leute nach dem Louvre, aber mit großem Erstaunen vernahm der Kapitän der Musketiere, der König sei nach dem Walde von Saint-Germain auf die Hirschjagd gezogen. Herr von Treville ließ sich diese Nachricht zweimal wiederholen, und jedes Mal bemerkten seine Gefährten, wie sich sein Antlitz verdüsterte.
«Hatte Se. Majestät schon gestern die Absicht, diese Jagd zu machen?«fragte er.
«Nein, Ew. Excellenz, «antwortete der Kammerdiener,»der Oberjäger meldete diesen Morgen, man habe in vergangener Nacht einen Hirsch zu Sr. Majestät Vergnügen bestellt. Anfangs antwortete der König, er werde nicht gehen, aber er konnte der Lust nicht widerstehen, die ihm diese Jagd gewähren sollte, und er entfernte sich nach dem Frühstück!«
«Und hat der König den Kardinal gesehen?«fragte Herr von Treville.
«Aller Wahrscheinlichkeit nach, «antwortete der Kammerdiener,»denn ich habe heute früh den Wagen Sr. Eminenz angespannt gesehen; ich fragte, wohin sie ginge, und man antwortete mir: nach Saint Germain.«
«Man ist uns zuvorgekommen, «sagte Herr von Treville.»Meine Herren, ich werde den König diesen Abend sprechen; Euch aber rathe ich nicht, Euch dahin zu wagen.«
Dieser Rath war zu vernünftig und kam überdies von einem Manne, der den König zu gut kannte, als daß die vier jungen Leute ihn zu bekämpfen gesucht hätten. Herr von Treville forderte sie auf, nach Hause zu gehen und Nachricht von ihm zu erwarten.
In sein Hotel zurückgekehrt, bedachte jedoch Herr von Treville, daß es für ihn das Klügste wäre, zuerst Klage zu führen. Er schickte deßhalb einen seiner Bedienten zu Herrn de la Tremouille mit einem Brief, worin er ihn bat, die Leibwache des Herrn Kardinals aus seinem Hause zu entfernen und seinen Leuten einen Verweis darüber zu geben, daß sie die Frechheit gehabt hätten, einen Ausfall gegen die Musketiere zu machen. Aber bereits durch seinen Stallmeister unterrichtet, mit dem Bernajoux, wie man weiß, verwandt war, ließ ihm Herr de la Tremouille antworten, es sei weder an Herrn von Treville, noch an seinen Musketieren, sich zu beklagen, sondern im Gegenteil an ihm, dessen Leute von den Musketieren angegriffen und verwundet worden seien und dem sie sein Hotel hätten in Brand stecken wollen. Da jedoch der Streit zwischen diesen beiden hohen Herren lange hätte dauern können, indem natürlich jeder auf seiner Meinung beharren mußte, so ersann Herr von Treville ein Auskunftsmittel, durch das er die ganze Sache zu beendigen beabsichtige; es bestand darin, Herr de la Tremouille selbst aufzusuchen.
Er begab sich also sogleich in sein Hotel und ließ sich melden.
Die zwei Herren begrüßten sich sehr höflich, denn wenn auch keine Freundschaft unter ihnen bestand, so achteten sie sich doch gegenseitig. Beide waren Männer von Herz und Ehre, und da Herr de la Tremouille, ein Protestant, den König nur selten sah und keiner Partei angehörte, so erfaßte er seine gesellschaftlichen Verhältnisse gewöhnlich ohne Vorurtheil. Diesmal war jedoch sein Empfang, obgleich höflich, kälter als in Regel.
«Mein Herr, «sagte Herr von Treville,»jeder von uns glaubt, er habe sich über den andern zu beklagen, und ich bin gekommen, damit wir diese Angelegenheit gemeinschaftlich ins Reine bringen.«—»Gerne, «erwiederte Herr de la Tremouille,»aber ich habe Euch zu bemerken, daß ich gut unterrichtet bin, und daß alles Unrecht auf Seiten Eurer Musketiere zu suchen ist.«—»Ihr seid ein zu vernünftiger und gerechter Mann, mein Herr, «sagte Herr vom Treville,»um den Vorschlag nicht anzunehmen, den ich Euch machen will.«—»Macht ihn, ich höre.«—»Wie geht es Herrn Bernajoux, dem Vetter Eures Stallmeisters?«—»Sehr schlecht; außer dem nicht besonders gefährlichen Degenstich, den er in den Arm bekommen hat, ist ihm noch ein anderer durch die Lunge beigebracht worden, und der Arzt prophezeit das Schlimmste.«—»Hat der Verwundete sein Bewußtsein behalten?«—»Vollkommen.«—»Spricht er?«—»Mit einer Schwierigkeit, aber er spricht.«—»Nun gut, mein Herr, gehen wir zu ihm. Beschwören wir ihn im Namen Gottes, vor den er vielleicht bald gerufen wird, die Wahrheit zu sagen. Er soll Richter in seiner eigenen Sache sein, und was er sagt, werde ich glauben.«
Herr de la Tremouille überlegte einen Augenblick und willigte dann ein, da man nicht wohl einen billigeren Vorschlag machen konnte.
Beide gingen in das Zimmer hinab, wo der Verwundete lag. Als dieser die edlen Herren eintreten sah, versucht er es, sich auf seinem Bette zu erheben, aber er war zu schwach, und erschöpft durch diese kurze Anstrengung fiel er beinahe bewußtlos zurück.
Herr de la Tremouille näherte sich ihm und ließ ihn an flüchtigen Salzen riechen, die ihn wieder ins Leben zurückriefen. Herr von Treville forderte Herrn de la Tremouille auf, den Kranken selbst zu fragen, damit man ihn nicht beschuldigen könne, er habe einen Einfluß auf denselben ausgeübt.
Es geschah, was Herr von Treville vorhergesehen hatte. Zwischen das Leben und den Tod gestellt, dachte Bernajoux nicht einen Augenblick daran, die Wahrheit zu verschweigen, und erzählte den zwei Herren den Vorfall ganz genau, wie er sich ereignet hatte.
Das war Alles, was Herr von Treville haben wollte; er wünschte Bernajoux eine baldige Wiedergenesung, nahm von Herrn de la Tremouille Abschied, kehrte sogleich in sein Hotel zurück und ließ die vier Freunde benachrichtigen, daß er sie zum Mittagessen erwarte.
Herr von Treville empfing sehr gute, jedoch antikardinalistische Gesellschaft. Man begreift leicht, daß sich das Gespräch während des ganzen Mittagessens um die beiden Niederlagen drehte, welche die Leibwachen Sr. Eminenz erlitten hatten. Da nun d'Artagnan der Held dieser zwei Tage gewesen war, so fielen ihm alle Glückwünsche zu, die ihm Athos, Porthos und Aramis nicht nur als gute Kameraden, sondern auch als Männer überließen, an denen die Reihe in dieser Beziehung schon oft genug gewesen war.
Gegen sechs Uhr äußerte Herr von Treville, er sei verpflichtet, sich nach dem Louvre zu begeben: da jedoch die von Sr. Majestät bewilligte Audienzstunde vorüber war, stellte er sich, statt den Eingang bei der kleinen Treppe zu fordern, mit den vier jungen Leuten im Vorzimmer auf. Der König war noch nicht von der Jagd zurückgekommen. Unsere jungen Leute warteten, unter die Schaar der Höflinge gemischt, kaum eine halbe Stunde, als sich alle Thüren öffneten und man den König ankündigte.
Bei dieser Ankündigung bebte d'Artagnan bis in das Mark seiner Knochen. Der nächstfolgende Augenblick sollte aller Wahrscheinlichkeit nach über sein ganzes Leben entscheiden. Seine Augen waren voll Furcht auf die Thüre geheftet, durch welche Se. Majestät eintreten mußte.
Ludwig XIII. erschien zuerst in dem Vorzimmer. Er trug ein noch ganz bestaubtes Jagdgewand, hatte große Stiefel an und hielt eine Peitsche in der Hand. Auf den ersten Blick erkannte d'Artagnan, daß im Geiste des Königs ein Sturm tobte.
So sichtbar auch diese Stimmung bei Sr. Majestät war, so hielt sie die Höflinge doch nicht ab, sich in den königlichen Vorgemächern an seinem Weg aufzustellen. Für sie ist es immer noch besser, mit einem zornigen Auge, als gar nicht gesehen zu werden. Die drei Musketiere zögerten also nicht und traten einen Schritt vor, während d'Artagnan im Gegentheil hinter ihnen verborgen blieb. Aber obgleich der König Athos, Porthos und Aramis persönlich kannte, ging er doch an ihnen vorüber, ohne sie anzuschauen, ohne mit ihnen zu sprechen, als ob er sie nie gesehen hätte. Als die Augen des Königs sich einen Moment auf Herrn von Treville hefteten, hielt dieser den Blick mit solcher Festigkeit aus, daß der König sein Gesicht abwandte, worauf Se. Majestät unter fortwährendem Gemurre sich in ein inneres Gemach zurückzog.
«Die Sache steht schlimm, «sagte Athos lächelnd,»und man wird uns diesmal noch nicht zu Ordensrittern machen.«
«Wartet hier zehn Minuten, «sprach Herr von Treville,»und wenn Ihr mich nach Ablauf dieser Zeit nicht herauskommen seht, so kehrt in mein Hotel zurück, denn es ist unnütz, daß Ihr dann länger hier verweilt.«
Die jungen Leute warteten zehn Minuten, eine Viertelstunde, zwanzig Minuten; als sie sahen, daß Herr von Treville nicht wieder erschien, entfernten sie sich, sehr unruhig über das, was geschehen würde.
Herr von Treville war keck in das Kabinet des Königs getreten und hatte Se. Majestät, in einem Fauteuil sitzend und mit dem Griffe seiner Peitsche auf seine Stiefel klopfend, in sehr übler Laune gefunden, was ihn nicht abhielt, den König mit dem größten Phlegma nach seinem Befinden zu fragen.
«Es steht schlecht, mein Herr, sehr schlecht, «erwiederte der König, «ich langweile mich.«
Dies war in der That die schlimmste Krankheit Ludwigs XIII., der häufig einen seiner Höflinge am Arme nahm, in ein Fenster zog und zu ihm sagte: Mein Herr So und So, langweilen wir uns mit einander.«
«Wie! Ew. Majestät langweilt sich, «sprach Herr von Treville,»habt Ihr heute nicht das Vergnügen der Jagd genossen?«
«Ein schönes Vergnügen! auf meine Ehre, ganz entartet, und ich weiß nicht, ob das Wild keine Fährte mehr hat oder ob die Hunde keine Nase mehr haben. Wir treiben einen Zehnender auf, wir reiten ihm sechs Stunden nach, und als er eben im begriff ist, Halt zu machen, als Simon eben das Horn an den Mund setzen will, um Halali zu blasen, krack! verschlägt die ganze Meute die Spur und schießt einem Spießer nach. Ihr werdet sehen, daß ich genöthigt bin, auf diese Jagd Verzicht zu leisten, wie ich auf die Beize verzichtet habe. Ach! ich bin ein sehr unglücklicher König, Herr von Treville, ich hatte nur noch einen Geierfalken, er ist vorgestern gestorben.«
«In der That, Sire, ich begreife Eure Verzweiflung, und das Unglück ist groß, aber ich denke, es bleibt Euch noch eine gute Anzahl von Falken und Sperbern übrig.«
«Und kein Mensch, um sie abzurichten; die Falkeniere verschwinden und nur ich allein verstehe noch die Kunst der Jägerei. Nach mir wird Alles aus sein, und man wird nur noch mit Fuchs- und Marderfallen jagen. Wenn ich noch Zeit hätte, Schüler zu bilden! Aber nein, da ist der Herr Kardinal, der mir nicht einen Augenblick Ruhe läßt, der mir von Spanien vorschwatzt! von Oestreich, von England! á propos Kardinal, Herr von Treville, ich bin unzufrieden mit Euch.«
Herr von Treville erwartete den König auf dieser Stelle; er kannte ihn von lange her, er wußte, daß alle diese Klagen nur eine Vorrede, nur eine Art von Aufregung waren, um sich selbst zu ermuthigen, und daß er dahin kommen wollte, wohin er endlich gelangt war.
«Und wodurch habe ich das Unglück gehabt, Ew. Majestät zu mißfallen?«fragte Herr von Treville, das tiefste Erstaunen heuchelnd. — »Erfüllt Ihr auf diese Weise Eure Aufgabe, mein Herr?«fuhr der König fort, ohne unmittelbar auf die Frage des Herrn von Treville zu antworten;»habe ich Euch dafür zum Kapitän meiner Musketiere ernannt, daß sie einen Menschen ermorden, ein ganzes Quartier in Aufruhr bringen und Paris niederbrennen wollen, ohne daß Ihr mir ein Wort davon sagt? Doch während ich mich ereifere. Euch anzuklagen, «fuhr der König fort,»sitzen die Ruhestörer ohne Zweifel bereits im Gefängniß, und Ihr kommt, um mir anzuzeigen, daß Gerechtigkeit gepflogen worden ist.«—»Sire, «antwortete Herr von Treville ruhig,»ich komme im Gegentheil, um diese von Euch zu verlangen.«—»Und gegen wen?«rief der König. — »Gegen die Verleumder, «sprach Herr von Treville. — »Ah! das ist doch ganz neu, «versetzte der König.»Werdet Ihr mir nicht zugestehen, daß sich Eure drei verdammten Musketiere, Athos, Porthos und Aramis und Euer Junker von Bearn wie Wüthende auf den armen Bernajoux geworfen und denselben dergestalt mißhandelt haben, daß er wahrscheinlich noch in dieser Stunde verscheiden wird? Werdet Ihr nicht zugeben, daß sie hierauf das Hotel des Herzogs de la Tremouille belagert haben und dasselbe in Brand stecken wollten, was in Kriegszeiten vielleicht kein sehr großes Unglück gewesen wäre, insofern es ein Hugenottennest ist, jedoch in Friedenszeiten ein ärgerliches Beispiel geben würde? Sagt, wollt Ihr all dies abläugnen?«—»Und wer hat Euch dieses schöne Märchen geliefert, Sire?«fragte Herr von Treville ruhig. — »Wer mir dieses schöne Märchen geliefert hat, mein Herr? wer anders als derjenige, welcher wacht, wenn ich schlafe, welcher arbeitet, wenn ich mich belustige, welcher Alles lenkt, innerhalb und außerhalb des Königreichs, in Frankreich wie in Europa? — »Ew. Majestät beliebt ohne Zweifel von Gott zu sprechen«, sagte Herr von Treville,»denn ich kenne nur Gott, der so hoch über Ew. Majestät steht.«—»Nein, mein Herr, ich spreche von der Stütze des Staates, von meinem einzigen Diener, von meinem einzigen Freunde, von dem Herrn Kardinal.«—»Se. Eminenz ist nicht Se. Heiligkeit, Sire!«—»Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«—»Daß nur der Pabst unfehlbar ist, und daß sich diese Unfehlbarkeit nicht auf die Kardinäle erstreckt.«—»Ihr wollt behaupten, er täusche mich? Ihr wollt behaupten, er verrathe mich? Ihr klagt ihn also an. Seht, sprecht, gesteht freimüthig, daß Ihr ihn anklagt.«—»Nein, Sire, aber ich sage, daß er sich selbst täuscht, ich sage, daß er schlecht unterrichtet gewesen ist, ich sage, daß er sich beeilt hat, die Musketiere Sr. Majestät anzuklagen, gegen die er ungerecht ist, und daß er seine Nachrichten nicht aus guten Quellen geschöpft hat.«—»Die Anklage kommt von Herrn de la Tremouille, vom Herzog selbst. Was habt Ihr hierauf zu erwiedern?«—»Ich könnte erwiedern, Sire, er sei zu sehr bei der Sache betheiligt, um unparteiischer Zeuge bei dieser Frage zu sein, aber weit entfernt hievon, Sire, ich kenne den Mann als einen loyalen Edelmann, und ich stelle die Sache seinem Ausspruch anheim, jedoch unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«—»Daß Ew. Majestät ihn kommen läßt, ihn selbst Auge in Auge ohne Zeugen befragt, und daß ich vor Ew. Majestät sogleich erscheinen darf, sobald der Herzog dagewesen ist.«—»Gut so!«rief der König,»und Ihr fügt Euch in das, was Herr de la Tremouille aussprechen wird?«—»Ja, Sire.«—»Ihr unterwerft Euch der Genugthuung, die er fordert?«—»Vollkommen.«—»La Chesnaye!«rief der König,»la Chesnaye?«
Der vertraute Kammerdiener des Königs, der sich immer in der Nähe der Thüre aufhielt, trat ein.
«La Chesnaye, «sprach der König,»man gehe sogleich und hole mir Herrn de la Tremouille; ich will ihn noch diesen Abend sprechen.«
«Ew. Majestät gibt mir ihr Wort, daß sie Niemand sehen wird, als Herrn de la Tremouille und mich?«—»Niemand, auf mein adeliges Wort!«—»Morgen also, Sire.«—»Morgen, mein Herr.«—»Um welche Stunde, wenn es Ew. Majestät gefällig wäre?«— Wann es Euch beliebt.«— Aber ich müßte Ew. Majestät aufzuwecken befürchten, wenn ich zu früh käme.«—»Mich aufwecken! Schlafe ich? Ich schlafe nicht mehr, mein Herr; ich träume nur zuweilen, das ist das Ganze. Kommt also so frühe als Ihr wollt, um sieben Uhr etwa; aber nehmt Euch in Acht, wenn Euere Musketiere schuldig sind.«— Wenn meine Musketiere schuldig sind, Sire, so sollen die Schuldigen in die Hände Ew. Majestät überliefert werden, welche nach Gutdünken über sie verfügen wird. Fordert Ew. Majestät noch mehr, so mag sie sprechen, ich bin bereit, ihr zu gehorchen.«—»Nein, mein Herr; nein! man hat mich nicht ohne Grund Ludwig den Gerechten genannt. Morgen also, mein Herr, morgen.«—»Gott beschütze Ew. Majestät bis dahin.«
So wenig der König schlief, schlief Herr von Treville doch noch viel schlechter; er hatte noch an demselben Tage den drei Musketieren und ihrem Geführten Nachricht geben lassen, daß sie sich am andern Morgen um halb sieben Uhr bei ihm einfinden sollten. Er nahm sie mit sich, ohne eine Versicherung, ohne ein Versprechen, und ohne ihnen zu verbergen, daß ihr Glück und sogar das seinige davon abhing, wie die Würfel fielen.
Unten an der kleinen Treppe angelangt, hieß er sie warten. Wenn der König gegen sie aufgebracht wäre, sollten sie sich entfernen, ohne gesehen zu werden: wenn er sie empfangen wollte, so dürfte man sie nur rufen.
Im Privatvorzimmer des Königs traf Herr von Treville la Chesnaye, der ihm mittheilte, man habe den Herzog de la Tremouille am vorigen Abend nicht in seinem Hotel getroffen, er sei zu spät nach Hause gekommen, um sich noch in den Louvre zu begeben; er sei erst vor einem Augenblick erschienen und befinde sich eben jetzt bei dem König.
Dieser Umstand war Herrn von Treville sehr angenehm, denn er war nun überzeugt, daß keine fremde Meinung zwischen die Angabe des Herrn de la Tremouille und ihn einschleichen könne.
Kaum waren zehn Minuten abgelaufen, so öffnete sich in der That die Kabinetsthüre des Königs, und Herr von Treville sah den Herzog de la Tremouille herauskommen, der auf ihn zutrat und zu ihm sagte:
«Herr von Treville, Se. Majestät hat mich kommen lassen, um sich zu erkundigen, wie sich die Dinge gestern Morgen in meinem Hotel zugetragen haben. Ich habe die Wahrheit gesprochen, das heißt, daß meine Leute den Fehler gemacht haben, und daß ich bereit sei, mich bei Euch zu entschuldigen. Da ich Euch gerade hier finde, so nehmt diese Entschuldigung gefälligst an und haltet mich stets für einen Euerer Freunde.«
«Mein Herr Herzog, «sagte Herr von Treville,»ich hegte ein solches Zutrauen zu Eurer Rechtschaffenheit, daß ich bei Sr. Majestät keinen andern Vertheidiger als Euch selbst haben wollte. Ich sehe, daß ich mich nicht getäuscht habe, und ich danke Euch dafür, daß es noch einen Mann gibt, von dem man, ohne sich zu irren, sagen kann, was ich von Euch gesagt habe.«
«Gut! gut!«sprach der König, der alle diese Komplimente zwischen den Thürflügeln mit angehört hatte;»nun sagt ihm, Treville, da er Euer Freund zu sein behauptet, daß ich zu den seinigen zu gehören wünsche, daß er mich vernachlässige, daß ich ihn bald drei Jahre nicht mehr gesehen habe, und daß ich ihn überhaupt nur sehe, wenn ich ihn holen lasse. Sagt ihm das in meinem Namen, denn das sind Dinge, die ein König nicht selbst sagen kann.«
«Ich danke, Sire, ich danke, «sprach der Herzog,»aber Ew. Majestät mag wohl glauben, daß nicht diejenigen, ich sage dies nicht in Beziehung auf Herrn von Treville, daß nicht diejenigen, welche sie zu jeder Stunde des Tages um sich sieht, ihr am meisten ergeben sind.«
«Ah! Ihr habt gehört, was ich gesprochen habe; desto besser, Herzog, desto besser, «sagte der König und trat bis vor die Thüre.»Ah! Ihr seid es, Treville, wo sind Euere Musketiere? Ich habe Euch vorgestern befohlen, sie zu bringen, warum habt Ihr es nicht gethan?«—»Sie sind unten, Sire, und mit Euerer Erlaubniß lasse ich sie heraufholen.«
«Ja, ja, sie sollen sogleich kommen; es ist bald acht Uhr und um neun Uhr erwarte ich einen Besuch. Geht, Herr Herzog, und kommt gewiß wieder. Tretet ein, Treville.«
Der Herzog verbeugte sich und ging. In dem Augenblick, wo er die Thür öffnete, erschienen die drei Musketiere und d'Artagnan, von la Chesnaye geführt, oben an der Treppe.
«Kommt, meine Braven, kommt, «sagte der König,»ich muß Euch schelten.«
Die Musketiere näherten sich unter Verbeugungen, d'Artagnan hinter ihnen.
«Wie Teufels!«fuhr der König fort,»Ihr vier habt sieben Leibwachen Seiner Eminenz in zwei Tagen kampfunfähig gemacht! Das ist zu viel, meine Herren, zu viel. Auf diese Art wäre Seine Eminenz genöthigt, seine Kompagnie in drei Wochen zu erneuern, und ich, die Edikte in aller Strenge in Anwendung zu bringen. Zufällig Einen, da wollte ich nichts sagen, aber sieben, ich wiederhole es, das ist zu viel.«
«Sire, Ew. Majestät sieht wohl, daß sie ganz zerknirscht und reumüthig erscheinen, um ihre Entschuldigungen vorzubringen.«
«Ganz zerknirscht und reumüthig! hm!«rief der König,»ich traue ihren heuchlerischen Gesichtern nicht ganz; ich sehe besonders da hinten ein Gascognergesicht. Tretet näher, mein Herr.«
D'Artagnan begriff, daß das Kompliment an ihn gerichtet war, und näherte sich, seine verzweiflungsvollste Miene annehmend.
«Wie, Ihr sagtet, es sei ein Jüngling? es ist ein Kind, Herr von Treville, ein wahres Kind. Hat dieser dem Jussac den bösen Degenstoß gegeben?«
«Und Bernajoux die zwei schönen Streiche.«
«Wahrhaftig!«
«Abgesehen davon, «sprach Athos,»daß ich, wenn er mich nicht den Händen Biscarats entrissen hätte, sicherlich nicht die Ehre haben könnte, in diesem Augenblick Ew. Majestät meine untertänigste Reverenz zu machen.«
«Es ist also ein wahrer Teufel, dieser Bearner, Ventre-saintgris! Herr von Treville, wie mein königlicher Vater gesagt haben würde. Bei diesem Gewerbe muß man viele Wämmser durchlöchern und viele Degen zerbrechen. — Die Gascogner sind wohl stets arm, nicht wahr?«
«Sire, ich darf wohl behaupten, daß man noch keine Goldmine in ihren Bergen gefunden hat, obgleich ihnen der Herr im Himmel dieses Wunder als Belohnung für die Art und Weise schuldig wäre, wie sie die Ansprüche Eures königlichen Vaters unterstützt haben.«
«Damit ist gesagt, daß sie mich selbst zum König gemacht haben, Treville, insofern ich der Sohn meines Vaters bin. Ganz wohl, ich sage nicht nein. La Chesnaye, seht nach, ob Ihr in allen meinen Taschen vierzig Pistolen findet, und wenn Ihr sie findet, bringt sie mir. Und nun, junger Mann, legt die Hand auf das Herz und sprecht, wie hat sich die Sache zugetragen?«
D'Artagnan erzählte das Abenteuer des vorigen Tages mit allen Einzelheiten; wie er aus Freude, Se. Majestät zu sehen, nicht habe schlafen können und drei Stunden vor der Audienzzeit zu seinen Freunden gekommen sei; wie sie sich mit einander in ein Ballhaus begeben haben, und wie er, weil er Furcht geäußert, einen Ball ins Gesicht zu bekommen, von Bernajoux verspottet worden sei, was dem Spötter selbst beinahe sein Leben und Herrn de la Tremouille sein Hotel gekostet habe.
«Es ist gut so, «murmelte der König, ja, so hat mir der Herzog die Sache erzählt. Armer Kardinal! sieben Menschen in zwei Tagen und zwar seine liebsten; aber damit ist es genug, meine Herren, versteht Ihr? es ist genug; Ihr habt Eure Rache für die Rue de Ferou und noch mehr genommen; Ihr müßt zufrieden sein.«
«Wenn Ew. Majestät es ist, «sagte Treville,»wir sind es.«
«Ja, ich bin es, «fügte der König bei, nahm eine Faust voll Gold aus la Chesnayes Händen, übergab sie d'Artagnan und sagte:»Hier, zum Beweise meiner Zufriedenheit.«
Damals waren die stolzen Ideen, wie sie jetzt der äußere Anstand heischt, noch nicht in der Mode. Ein Edelmann nahm unmittelbar aus der Hand des Königs Geld an und fühlte sich nicht im geringsten dadurch gedemüthigt. D'Artagnan steckte also die vierzig Pistolen ohne alle Umstände in die Tasche und bedankte sich im Gegentheil ganz unterthänig bei dem König.
«So! so!«sprach der König und schaute auf die Pendeluhr;»es ist nun halb neun Uhr und Ihr müßt Euch entfernen; ich habe Euch gesagt, ich erwarte Jemand um neun Uhr. Ich danke Euch für Eure Ergebenheit, meine Herren. Ich kann stets darauf zählen, nicht wahr?«
«Oh! Sire, «riefen die vier Gefährten einstimmig, wir lassen uns für Ew. Majestät in Stücke hauen.«
«Gut, gut; aber bleibt ganz, das ist mehr werth, Ihr seid mir so nützlicher. Treville, «fügte der König mit halber Stimme hinzu, während sich die Andern entfernten,»da kein Platz bei den Musketieren offen ist, und ich überdies als Bedingung der Aufnahme in dieses Corps ein Noviziat festgesetzt habe, so bringt diesen Jungen in die Kompagnie der Garden des Herrn des Essarts, Eures Schwagers. Ah! bei Gott, Treville, ich freue mich auf die Grimasse, die der Kardinal machen wird, er wird wüthend sein, aber daran ist mir nichts gelegen, ich bin in meinem Recht.«
Und der König begrüßte Herrn von Treville mit der Hand. Dieser ging und suchte seine Musketiere auf, die er in einer Theilung der Pistolen mit d'Artagnan begriffen fand.
Und Richelieu war, wie Se. Majestät gesagt hatte, wirklich wüthend, so wüthend, daß er acht Tage die Spielpartie des Königs nicht besuchte, was den König nicht abhielt, ihm das freundlichste Gesicht von der Welt zu machen und ihn, so oft er ihm begegnete, mit dem schmeichelhaftesten Tone zu fragen:
«Nun, mein Herr Kardinal, wie geht es dem armen Bernajoux und dem armen Jussac, Euren Leuten?«
VII. Das Hauswesen der Musketiere
Als sich d'Artagnan außerhalb des Louvre befand und mit seinen Freunden über die Verwendung seines Antheils an den vierzig Pistolen berathschlagte, riet ihm Athos, ein gutes Gastmahl zu bestellen, Porthos einen Lakaien zu nehmen, und Aramis, sich eine anständige Geliebte zu verschaffen.
Das Mahl wurde an demselben Tage ausgeführt und der Lakai servierte dabei. Athos hatte das Mahl bestellt, Porthos den Lakaien geliefert. Dieser war ein Picarde, den der glorreiche Musketier an demselben Tag und aus dieser Veranlassung auf dem Pont de la Tournelle anwarb, während er in das Wasser spuckend Kreise machte. Porthos behauptete, diese Beschäftigung sei der Beweis eines überlegenden und contemplativen Geistes und nahm ihn ohne weitere Empfehlung mit. Das vornehme Aussehen dieses Edelmannes, für dessen Rechnung er sich angeworben glaubte, hatte Planchet — dies war der Name des Picarden — verführt; es trat eine kleine Enttäuschung bei ihm ein, als er sah, daß der Platz bereits durch einen Zunftgenossen Namens Mousqueton besetzt war, und Porthos ihm eröffnete, daß sein Hausstand, so groß er auch sei, zwei Bedienten nicht zulasse, und daß er in d'Artagnans Dienst treten müsse. Als er aber dem Mahl beiwohnte, das sein Herr gab, und diesen bei der Bezahlung eine Hand voll Gold aus der Tasche ziehen sah, hielt er sein Glück für gegründet und dankte dem Himmel, daß er ihn in die Hände eines solchen Krösus fallen lassen; in dieser Meinung beharrte er bis nach dem Festmahl, von dessen Abhub er ein langes Fasten wieder gut machte. Aber Planchet's Chimären verschwanden, als er Abends das Bett seines Herrn machte. Dieses Bett war das einzige in der Wohnung, welche aus einem Vorzimmer und einem Schlafzimmer bestand. Planchet schlief im Vorzimmer auf einer Decke, welche dem Bette d'Artagnans entzogen wurde, und worauf dieser von nun an Verzicht leistete.
Athos besaß einen Bedienten, Namens Grimaud, den er auf eine ganz eigenthümliche Weise für seinen Dienst dressirt hatte. Er war sehr schweigsam, dieser würdige Herr; wohlverstanden, wir sprechen von Athos. In den fünf oder sechs Jahren, die er im vertrautesten Umgang mit seinen zwei Gefährten Porthos und Aramis lebte, erinnerten sich diese wohl ihn lächeln, aber nie lachen gesehen zu haben. Seine Worte waren kurz, ausdrucksvoll, sie sagten immer das, was sie sagen wollten, und nicht mehr; keine Ausschmückungen, keine Stickereien, keine Arabesken. Obgleich Athos erst dreißig Jahre zählte und ein Mann von großer körperlicher und geistiger Schönheit war, kannte doch Niemand eine Geliebte von ihm. Er sprach nie von Frauen; er hielt jedoch auch Niemand davon ab, in seiner Gegenwart von ihnen zu sprechen, obgleich man leicht wahrnehmen konnte, daß diese Art von Unterhaltung, in die er sich nur mit bitteren Worten und menschenfeindlichen Bemerkungen mischte, ihm ganz besonders unangenehm war. Seine Zurückhaltung, sein herbes Wesen, seine Stummheit gaben ihm beinahe das Aussehen eines Greises; um von seinen Gewohnheiten nicht abgehen zu müssen, hatte er Grimaud daran gewöhnt, ihm auf eine einfache Geberde, auf eine einzige Bewegung seines Mundes zu gehorchen. Nur in höchst wichtigen Fällen sprach er mit ihm. Grimaud, der seinen Herrn wie das Feuer fürchtete, obgleich er für seine Person eine große Anhänglichkeit und für seinen Geist eine große Verehrung hegte, glaubte zuweilen vollkommen verstanden zu haben, was er verlangte, eilte, den erhaltenen Befehl auszuführen, und that gerade das Gegentheil davon. Dann zuckte Athos die Achseln und prügelte Grimaud, ohne in Zorn zu gerathen. An solchen Tagen sprach er ein wenig.
Porthos hatte einen Charakter, der, wie man bereits bemerken konnte, dem von Athos gerade entgegengesetzt war: er sprach nicht nur viel, sondern er sprach auch laut; es war ihm indessen, um ihm Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, wenig daran gelegen, ob man ihm zuhörte oder nicht; er sprach, weil es ihm Vergnügen machte, zu sprechen und sich zu hören; er sprach von allen Dingen mit Ausnahme der Wissenschaften; in dieser Hinsicht nahm er einen eingefleischten Haß zum Vorwand, den er seit seiner Kindheit gegen die Gelehrten zu hegen vorgab. Er hatte kein so vornehmes Aussehen, wie Athos, und das Gefühl seiner niedrigeren Stellung in Beziehung auf das Aeußere machte ihn am Anfang ihrer Verbindung oft ungerecht gegen diesen Edelmann, den er sodann durch seine glänzende Toillette zu überbieten sich bemühte. Aber mit seiner einfachen Musketier-Kasake und einzig und allein durch die Art und Weise, wie er den Kopf zurückwarf und den Fuß vorsetzte, nahm Athos sogleich wieder den ihm gebührenden Platz ein und verwies den pomphaften Porthos auf den zweiten Rang. Porthos tröstete sich damit, daß er das Vorzimmer des Herrn von Treville und die Wachtstube des Louvre mit dem Lärme von seinem Liebesglück erfüllte, wovon Athos nie sprach, und nachdem er vom Bürgeradel zum Kriegsadel, von der Robine zur Baronin übergegangen war, handelte es sich im gegenwärtigen Augenblicke bei Porthos um nichts Geringeres, als um eine ausländische Prinzessin, die ihm ein ungemeines Wohlwollen kundgegeben hatte.
Ein altes Sprichwort sagt: wie der Herr, so der Diener. Gehen wir also vom Diener des Athos zum Diener des Porthos, von Grimaud zu Mousqueton über.
Mousqueton war ein Normanne, dessen friedlichen Namen Boniface sein Herr in den unendlich klangreicheren und kriegerischen Mousqueton verwandelt hatte. Er war in den Dienst von Porthos unter der Bedingung getreten, nur mit Kleidern und Wohnung, aber dies auf eine prachtvolle Weise, versehen zu werden. Er verlangte nur zwei Stunden täglich; um sich einer Industrie zu widmen, mit deren Ertrag er seine übrigen Bedürfnisse bestreiten wollte. Porthos hatte den Handel angenommen; die Sache stand ihm auf diese Art ganz gut an. Er ließ Mousqueton Wämmser aus seinen alten Kleidern und abgetragenen Mänteln zuschneiden, und mit Hülfe eines geschickten Schneiders, der den alten Röcken durch Wenden ein neues Ansehen verlieh, und dessen Frau man im Verdacht hatte, sie veranlasse Porthos, etwas von seinen aristokratischen Gewohnheiten herabzusteigen, spielte Mousqueton im Gefolge seines Herrn eine ziemlich gute Figur. Was Aramis betrifft, dessen Charakter wir hinreichend geschildert zu haben glauben, — einen Charakter, den wir überdies, wie den seiner Gefährten, in seiner Entwicklung verfolgen können, so hieß sein Lakai Bazin. Da sein Herr Hoffnung hatte, eines Tages in den geistlichen Stand einzutreten, so war er immer schwarz gekleidet, wie dies der Diener eines Geistlichen sein soll. Es war ein Berrichon [Fußnote], von ungefähr fünfunddreißig bis vierzig Jahren sanft, friedlich, fett, pflegte in den Mußestunden, die ihm sein Herr ließ, fromme Bücher zu lesen, und speiste, streng genommen für zwei zu Mittag, wobei er sich übrigens mit wenigen Schüsseln begnügte, diese aber mußten vortrefflich zubereitet sein. Im Uebrigen war er stumm, blind, taub, aber von feuerfester Treue. Da wir jetzt die Herren und die Diener wenigstens oberflächlich kennen, wollen wir zu den Wohnungen der Einzelnen übergehen.
Athos wohnte in der Rue Ferou, zwei Schritte vom Luxemburg; seine Wohnung bestand aus zwei kleinen, sehr reinlich ausgestatteten Zimmern in einem möblierten Hause, dessen noch sehr junge und in der That sehr hübsche Wirthin vergeblich mit ihm liebäugelte. Einige Ueberreste großer ehemaliger Herrlichkeit glänzten da und dort an den Wänden dieser bescheidenen Wohnung: ein reich damascirter Degen zum Beispiel, der seiner Form nach aus der Zeit Franz I. herrühren mochte, und dessen mit kostbaren Steinen incrustirter Griff wohl an zweihundert Pistolen werth war; dennoch hatte sich Athos selbst in seinen größten Verlegenheiten nie herbeigelassen, ihn zu verkaufen oder zu verpfänden. Dieser Degen war lange Zeit ein Gegenstand sehnsüchtigen Trachtens von Porthos gewesen. Porthos hätte zehn Jahre seines Lebens für den Besitz dieses Degens gegeben.
Als er eines Tages ein Rendezvous mit einer Herzogin hatte, versuchte er es, ihn von Athos zu entlehnen. Ohne ein Wort zu sprechen, leerte Athos seine Taschen, suchte alle seine Juwelen zusammen, Börsen, goldene Nadeln und Ketten, und bot ihm Alles an, aber von dem Degen sagte er, er sei an seine Stelle befestigt und solle diese nur verlassen, wenn sein Herr selbst seine Wohnung verlasse. Außer diesem Degen besaß er noch ein Porträt, einen vornehmen Mann aus der Zeit Heinrichs III. in äußerst eleganter Tracht und mit dem Heiligengeistorden darstellend, und dieses Porträt glich Athos in Beziehung auf gewisse Linien; es lag eine Familienähnlichkeit darin, aus der sich erkennen ließ, daß dieser vornehme Mann, ein Ritter der Orden des Königs, sein Vorfahre war. Eine Lade endlich von prachtvoller Goldschmiedsarbeit, mit demselben Wappen verziert, wie der Degen und das Porträt, bildete einen Kaminaufsatz, der gewaltig von der übrigen Ausstattung abstach. Athos trug den Schlüssel dieser Lade stets bei sich, aber eines Tages öffnete er sie vor Porthos, und dieser hatte Gelegenheit, sich zu überzeugen, daß die Lade nur Briefe und Papiere enthielt — Liebesbriefe und Familienpapiere ohne Zweifel.
Porthos hatte eine geräumige Wohnung von äußerst prunkvollem Aussehen in der Rue du Vieux-Colombier. So oft er mit einem Freunde an seinen Fenstern vorüber kam, an deren einem Mousqueton stets in großer Livree stand, hob Porthos Kopf und Hand in die Höhe und sagte: Hier ist meine Wohnung. «Aber nie fand man ihn zu Hause, nie lud er Jemand ein, mit ihm hinaufzusteigen, und Niemand konnte sich einen Begriff davon machen, welche wirkliche Reichthümer diese prunkvolle Außenseite in sich schließen dürfte.
Aramis hatte eine kleine Wohnung, bestehend aus einem Ankleidezimmer, einem Speisezimmer und einem Schlafzimmer; das letztere lag, wie die ganze Wohnung im Erdgeschoß und ging auf einen frischen, grünen, schattigen und für die Augen der Nachbarschaft undurchdringlichen kleinen Garten.
Von d'Artagnan wissen wir, wie er wohnte, und wir haben bereits mit seinem Lakaien, Meister Planchet, Bekanntschaft gemacht.
D'Artagnan war von Natur sehr neugierig, wie alle Leute von intrigantem Geist, und gab sich alle Mühe, um zu erfahren, wer Athos, Porthos und Aramis, genau genommen, seien; denn unter diesen Kriegsnamen verbarg jeder der jungen Leute seinen wahren adeligen Namen, Athos besonders, in dem man auf eine Meile den hochgeborenen Mann erkannte. Er wandte sich also an Porthos, um Auskunft über Athos und Aramis zu erhalten, und an Aramis, um Porthos kennen zu lernen.
Leider wußte Porthos von dem Leben seines schweigsamen Kameraden selbst nicht mehr, als was zufällig und von ferne her davon bekannt geworden war. Man sagte, er habe furchtbares Unglück in seinen Liebesangelegenheiten gehabt, ein schändlicher Verrath habe das Leben dieses trefflichen jungen Mannes auf immer vergiftet. Worin bestand dieser Verrath? Niemand wußte es.
Was Porthos betraf, so konnte man sein Leben, abgesehen von seinem wahren Namen, den, wie die seiner beiden Kameraden, nur Herr von Treville wußte, leicht kennen lernen. Ihn, den eitlen, indiscreten Menschen, durchschaute man wie einen Krystall. Die Nachforschung nach seinen Verhältnissen würde nur dadurch irre geleitet worden sein, wenn man alles Gute, was er von sich selbst sagte, geglaubt hätte.
Aramis sah aus, als ob er kein Geheimniß besäße, während er von Mysterien vollgepfropft war, er antwortete wenig auf die Fragen, die man über Andere an ihn richtete, und wußte geschickt denjenigen auszuweichen, welche seine Person betrafen. Als ihn d'Artagnan eines Tages lange über Porthos ausgeforscht und von ihm das Gerücht von dem Glücke des Musketiers bei einer Prinzessin erfahren hatte, wollte er auch wissen, wie es mit den Liebeshändeln desjenigen stehe, mit dem er sich unterhielt.
«Und Ihr, mein lieber Gefährte, «sagte er,»Ihr, der Ihr von Baroninnen, Gräfinnen, Prinzessinnen Anderer sprecht?«
«Um Vergebung, «unterbrach ihn Aramis,»ich habe gesprochen, weil Porthos selbst davon spricht, weil er alle diese schönen Dinge vor mir ausgeschrieen hat. Aber glaubt mir, mein lieber Herr d'Artagnan, wenn ich es aus einer andern Quelle wüßte, oder wenn er es mir anvertraut hätte, so gäbe es für ihn keinen verschwiegenem Beichtvater, als ich bin.«
«Ich zweifle nicht daran, «erwiederte d'Artagnan,»aber es scheint mir, Ihr habt Euch selbst mit den Wappen sehr vertraut gemacht, was ein gewisses Taschentuch beweist, dem ich die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«
Aramis ärgerte sich diesmal nicht, sondern nahm seine bescheidenste Miene an und antwortete mit rührendem Tone:
«Vergeßt nicht, mein Lieber, daß ich der Kirche angehören will und alle weltlichen Veranlassungen fliehe. Das Taschentuch, welches Ihr gesehen habt, ist mir nicht anvertraut worden, sondern einer von meinen Freunden vergaß es bei mir. Ich mußte es zu mir nehmen, um ihn und die Dame, die er liebt, nicht zu compromitiren. Ich für meine Person habe keine Geliebte und will keine haben; ich folge hierin dem sehr vernünftigen Beispiel von Athos, welcher ebenfalls keine hat.«
«Aber, den Teufel! Ihr seid nicht Abbé, so lange Ihr die Musketierkasake tragt.«
«Musketier ad interim, mein Lieber, wie der Kardinal sagt, Musketier wider meinen Willen, aber glaubt mir, im Herzen Geistlicher. Athos und Porthos haben mich, um mich zu beschäftigen, da hineingeschoben; im Augenblick, wo ich ordinirt werden sollte, hatte ich eine kleine Streitigkeit mit… Aber das interessirt Euch nicht und ich raube Euch eine kostbare Zeit.«
«Im Gegentheil, das interessirt mich sehr, «rief d'Artagnan,»und ich habe in diesem Augenblicke durchaus nichts zu thun.«
«Wohl, aber ich muß mein Brevier beten, «antwortete Aramis,»sodann einige Verse machen, welche Madame d'Aiguillon von mir verlangt hat. Ferner muß ich mich nach der Rue Saint-Honoré begeben, um Schminke für Frau von Chevreuse zu kaufen. Ihr seht, mein lieber Freund, daß, wenn Ihr auch keine Eile habt, ich doch sehr bedrängt bin.«
Nach diesen Worten reichte Aramis seinem jungen Gefährten freundlich die Hand.
D'Artagnan war nicht im Stande, mehr über seine drei neuen Freunde zu erfahren, so sehr er sich auch Mühe gab. Er entschloß sich also, für die Gegenwart Alles zu glauben, was man von ihrer Vergangenheit sagte, mit der Hoffnung, in der Zukunft sichere und umfassendere Nachrichten zu erhalten. Einstweilen betrachtete er Athos als einen Achilles, Porthos als einen Ajax und Aramis als einen Joseph.
Uebrigens führten die vier jungen Leute ein lustiges Leben. Athos spielte, aber stets unglücklich. Er entlehnte indessen nie einen Sou von seinen Freunden, obgleich ihnen seine Börse stets zu Diensten stand, und wenn er auf Ehrenwort gespielt hatte, ließ er seinen Gläubiger um sechs Uhr am andern Morgen wecken, um ihm seine Schuld vom vorhergehenden Abend zu bezahlen. Porthos gab starke Leidenschaften kund: an Tagen, wo er gewann, war er übermüthig und freigebig, und wenn er verlor, verschwand er völlig auf mehrere Tage, bis er mit bleicher Miene und langen Zügen, aber mit Geld in den Taschen, wieder zum Vorschein kam. Aramis spielte nie. Er war der schlimmste Musketier und der abscheulichste Tischgesellschafter, den man sich denken konnte. Er hatte stets etwas zu arbeiten. Mitten in einem Mahle, wenn Jeder in der Aufregung des Weines und der Wärme des Gesprächs glaubte, man habe wenigstens noch zwei bis drei Stunden bei Tische zu bleiben, schaute Aramis zuweilen auf seine Uhr, erhob sich mit einem verbindlichen Lächeln und beurlaubte sich von der Gesellschaft, um, wie er sagte, zu einem Casuisten zu gehen, mit dem er eine Zusammenkunft verabredet hatte. Ein ander Mal kehrte er nach seiner Wohnung zurück, um eine These zu schreiben, und bat seine Freunde, ihn nicht zu stören. Athos aber lächelte in der schwermüthigen Weise, die so gut zu seinem schönen Gesichte stand, und Porthos trank und schwur, aus Aramis würde nie etwas Anderes als ein Dorfpfarrer werden.
Planchet, der Diener d'Artagnans, ertrug das Glück auf eine vortreffliche Weise; er erhielt dreißig Sou täglich und kam einen Monat lang heiter, wie ein Dompfaffe, und sehr freundlich gegen seinen Herrn nach Hause. Als ein entgegengesetzter Wind auf das Hauswesen der Rue des Fossoyeurs zu blasen anfing, das heißt, als die vierzig Pistolen vom König Ludwig XIII. verzehrt oder wenigstens beinahe verzehrt waren, stimmte er Klagen an, welche Athos ekelhaft, Porthos unschicklich und Aramis lächerlich fand. Athos rieth d'Artagnan, den Burschen zu entlassen, Porthos wollte, man sollte ihn zuvor durchprügeln, und Aramis behauptete, ein Herr dürfe nur die Komplimente anhören, die man ihm sage.
«Das könnt Ihr leicht behaupten, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr, Athos, der Ihr stumm mit Grimaud lebt, ihm zu sprechen verbietet und folglich nie schlimme Worte mit ihm wechselt; Ihr, Porthos, der Ihr einen prachtvollen Haushalt führt und für Euren Diener Mousqueton ein Gott seid; und endlich Ihr Aramis, der Ihr, stets mit Euren theologischen Studien beschäftigt. Eurem Diener Bazin, einem frommen, religiösen Menschen, die tiefste Ehrfurcht einflößt; aber ich, der ich ohne Mittel und ohne einen bestimmten Stand bin, ich, der ich nicht Musketier und nicht einmal Gardist bin, was soll ich thun, um Planchet Zuneigung, Schrecken oder Achtung einzuflößen?«
«Die Sache ist schwierig, «antworteten die drei Freunde;»es ist eine häusliche Angelegenheit; es ist mit den Bedienten, wie mit den Frauen, man muß sie sogleich auf den Fuß setzen, auf dem sie bleiben sollen.«
D'Artagnan überlegte und beschloß, Planchet provisorisch braun und blau zu prügeln, was mit der Gewissenhaftigkeit ausgeführt wurde, welche d'Artagnan in allen Dingen beobachtete; nachdem er ihn gehörig durchgewammst hatte, verbot er ihm, seinen Dienst ohne seine Erlaubniß zu verlassen.»Denn, «fügte er bei,»denn die Zukunft kann mir nicht entgehen, ich erwarte mit Bestimmtheit bessere Zeiten, Dein Glück ist also gemacht, wenn Du bei mir bleibst, und ich bin ein zu guter Herr, um Deinem Glück durch Genehmigung des Abschieds, den Du von mir verlangst, im Wege zu stehen.«
Diese Handlungsweise flößte den Musketieren große Achtung vor der Politik d'Artagnans ein. Planchet wurde ebenfalls von Bewunderung ergriffen und sprach nicht mehr vom Gehen.
Das Leben der vier jungen Leute war ein gemeinschaftliches geworden; d'Artagnan, der keine Gewohnheit hatte, da er von seiner Provinz herkam, und mitten in eine ihm ganz neue Welt gerieth, nahm alsbald die Gewohnheiten seiner Freunde an.
Man stand im Winter gegen acht Uhr, und im Sommer gegen sechs Uhr auf, holte bei Herrn von Treville das Losungswort und erkundigte sich zugleich nach dem Stande der Angelegenheiten. D'Artagnan that, obgleich er kein Musketier war, den Dienst mit einer rührenden Pünktlichkeit; er war stets auf der Wache, weil er stets demjenigen von seinen drei Freunden, welcher seine Wache bezog, Gesellschaft leistete. Man kannte ihn im Hotel der Musketiere und jeder behandelte ihn als einen guten Kameraden. Herr von Treville, der ihn mit dem ersten Blick gewürdigt hatte und eine wahre Zuneigung für ihn faßte, empfahl ihn beständig dem König.
Die drei Musketiere liebten den jungen Kameraden ungemein. Die Freundschaft, welche diese vier Menschen verband, und ihr Bedürfniß, sich drei- bis viermal täglich zu sehen, sei es wegen eines Duells, sei es in Geschäften oder wegen einer Lustparthie, machten, daß sie sich unablässig nachliefen, wie Schatten, und man begegnete den Unzertrennlichen immer, wie sie sich vom Luxemburg nach der Place Saint-Sulpice oder von der Rue du Vieux-Colombier nach dem Luxemburg begleiteten.
Mittlerweile gingen die Versprechungen des Herrn von Treville ihren Gang. An einem schönen Morgen befahl der König dem Herrn Chevalier des Essarts, d'Artagnan als Kadet in seine Gardenkompagnie aufzunehmen. Seufzend zog d'Artagnan dieses Gewand an, das er um den Preis von zwei Jahren seines Lebens gegen die Musketiersuniform vertauscht hätte. Aber Herr von Treville versprach diese Gunst nach einem Noviziat von zwei Jahren, das sich indessen abkürzen ließ, wenn sich für d'Artagnan eine Gelegenheit darbot, dem König einen Dienst zu leisten oder eine glänzende Waffenthat auszuführen. D'Artagnan beruhigte sich bei diesem Versprechen und trat schon den andern Tag seinen Dienst an.
Nun war es an Athos, Porthos und Aramis, mit d'Artagnan die Wache zu beziehen. Die Kompagnie des Herrn Chevalier des Essarts bekam also an den Tagen, wo d'Artagnan Dienst hatte, vier Mann, statt eines einzigen.
VIII. Eine Hof-Intrigue
Die vierzig Pistolen von König Ludwig XIII. nahmen, wie alle Dinge dieser Welt, nachdem sie einen Anfang gehabt hatten, auch ein Ende, und seit diesem Ende waren unsere vier Gefährten in eine Klemme gerathen. Einige Zeit hatte Athos den Bund mit seinen eigenen Pfennigen unterstützt. Ihm folgte Porthos, und durch eine seiner gewöhnlichen Verschwendungen war es ihm gelungen, beinahe vierzehn Tage lang die Gesammtbedürfnisse zu bestreiten; endlich kam die Reihe an Aramis, der sich auf das Zuvorkommendste auspfänden ließ und, wie er sagte, durch den Verkauf seiner theologischen Bücher einige Pistolen zu verschaffen wußte.
Man nahm nun, wie gewöhnlich seine Zuflucht zu Herrn von Treville, der einige Vorschüsse auf den Sold bewilligte. Aber diese konnten nicht lange ausreichen für Musketiere, welche mit vielen Rechnungen im Rückstande waren, und für einen Gardisten, der keine hatte. Als man endlich sah, daß Alles zu Ende ging, raffte man mit einer letzten Anstrengung acht bis zehn Pistolen zusammen, mit denen Porthos spielte. Leider hatte er an diesem Tage kein Glück; er verlor Alles und überdieß noch fünfundzwanzig Pistolen auf Ehrenwort. Nun wurde die Verlegenheit sehr bedenklich, man sah die Ausgehungerten auf den Quais und in den Wachstuben umherlaufen, wo sie sich von ihren auswärtigen Freunden so oft als nur möglich zu Tische laden ließen; nach der Meinung von Aramis mußte man in glücklichen Umständen rechts und links Gastereien aussäen, um im Unglück einige ernten zu können.
Athos wurde viermal eingeladen und nahm jedesmal seine Freunde sammt ihren Lakaien mit sich. Porthos fand sechs Gelegenheiten und ließ gleichfalls seine Kameraden daran Antheil nehmen; Aramis hatte acht; es war dies ein Mensch, der wie man bereits wahrnehmen konnte, wenig Lärm und viel Geschäfte machte. D'Artagnan aber, der noch Niemand in der Hauptstadt kannte, fand nur ein Chocoladefrühstuck bei einem Priester aus seiner Heimath und ein Mittagsbrod bei einem Cornet der Garden. Er führte sein Heer zu dem Priester, dem man seinen Mundvorrath für zwei Monate verzehrte, und zu dem Cornet, welcher Wunder that; aber man speist stets nur einmal, selbst wenn man viel speist, wie Planchet sagte.
D'Artagnan war daher sehr betrübt, daß er nur anderthalb Mahle, denn das Frühstück bei dem Priester konnte er nur für ein halbes Mahl zählen, seinen Gefährten als Wiedervergeltung für die Schmäuse anbieten konnte, welche Athos, Porthos und Aramis verschafft hatten. Er glaubte sich der Gesellschaft verpflichtet; er vergaß in seiner jugendlichen Gutmüthigkeit, daß er diese Gesellschaft einen Monat lang gänzlich ernährt hatte, und sein geschäftiger Geist fing an zu arbeiten. Er dachte, daß diese Verbindung von vier jungen, muthigen, unternehmenden, thätigen Männern einen andern Zweck haben müsse, als müßige Spaziergänge, Fechtstunden und mehr oder minder geistreiche Spässe. In der That, vier Menschen wie sie, von der Börse bis zum Leben einander ergeben, Leute, die sich beständig unterstützten, vor nichts zurückwichen, die gemeinschaftlich gefaßten Beschlüsse einzeln oder miteinander ausführten, acht Arme, welche allen vier Winden Trotz boten oder sich nach einem einzigen Punkte wandten, mußten unvermeidlich, ob nun unterirdisch oder am lichten Tage, ob nun untergrabend oder durchstechend, ob mit List oder mit Gewalt, sich einen Weg nach dem Ziel öffnen, das sie erreichen wollten, mochte es auch noch so gut beschützt, noch so weit entfernt sein. Das Einzige, worüber d'Artagnan erstaunte, war, daß seine Gefährten noch nicht an das gedacht hatten.
Er dachte daran, und zwar sehr ernstlich; er zerbrach sich den Kopf, um eine Richtung für diese einzige, aber vierfach vermehrte Kraft zu finden, mit der man, wie er nicht zweifelte, wie mit dem Hebel, den Archimed suchte, die Welt aus ihren Fugen heben mußte. Da klopfte es leise an seine Thür. D'Artagnan weckte Planchet auf und befahl ihm, zu öffnen.
Aus den Worten, d'Artagnan weckte Planchet auf, darf der Leser nicht schließen, es sei Nacht gewesen oder noch nicht Tag geworden. Nein, es hatte so eben vier Uhr Nachmittags geschlagen. Planchet hatte zwei Stunden vorher von seinem Herrn Mittagsbrod verlangt und war mit dem Sprichwort abgefertigt worden:»Wer schläft, speist. «Und Planchet speiste schlafend.
Ein Mann von ziemlich einfacher Miene und bürgerlichem Aussehen wurde eingeführt.
Planchet hätte gern zum Nachtisch der Unterredung zugehört, aber der Bürger erklärte d'Artagnan, er habe ihm im Vertrauen etwas Wichtiges mitzutheilen und wünschte mit ihm unter vier Augen zu sein.
D'Artagnan ließ Planchet abtreten und hieß seinen Besuch sitzen.
Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen die zwei Männer sich ansahen, gleichsam um eine vorläufige Bekanntschaft mit einander zu machen, wonach d'Artagnan sich verbeugte, zum Zeichen, daß er zu hören bereit sei.
«Ich habe von Herrn d'Artagnan als von einem sehr braven jungen Manne reden hören, «sagte der Bürger,»und dieser Ruf, in dem er gerechter Weise steht, hat mich bestimmt, ihm ein Geheimniß anzuvertrauen.«—»Sprecht, mein Herr, sprecht, «sagte d'Artagnan, der instinktmäßig etwas Vortheilhaftes roch. Der Bürger machte eine neue Pause und fuhr dann fort: —»Ich habe eine Frau, welche Weißzeugverwalterin bei der Königin ist, und der es weder an Verstand noch an Schönheit gebricht. Man hat mich vor ungefähr drei Jahren veranlaßt, sie zu heirathen, obgleich sie nur ein kleines Vermögen besitzt, weil Herr de la Porte, der Mantelträger der Königin, ihr Pathe ist und sie ganz besonders begünstigt. — »Nun, mein Herr?«fragte d'Artagnan. — »Nun!«versetzte der Bürger,»nun, mein Herr! Meine Frau ist gestern Morgen, als sie aus ihrem Arbeitszimmer ging, entfuhrt worden.«—»Und von wem ist Eure Frau entführt worden?«—»Ich weiß es nicht gewiß, mein Herr, aber ich habe Jemand im Verdacht.«—»Und wer ist die Person, die Ihr im Verdachte habt?«—»Ein Mann der sie seit geraumer Zeit verfolgte.«—»Teufel!«—»Aber, mein Herr, ich muß Euch sagen, «fuhr der Bürger fort,»daß in Allem dem weniger Liebe, als Politik zu suchen ist.«—
«Weniger Liebe als Politik?«erwiederte d'Artagnan mit sehr nachdenklicher Miene,»und wen habt Ihr im Verdacht?«—»Ich weiß nicht, ob ich Euch meinen Verdacht offenbaren soll… — »Mein Herr, ich muß Euch bemerken, daß ich durchaus nichts von Euch verlange. Ihr seid zu mir gekommen, Ihr sagtet, Ihr habet mir ein Geheimniß anzuvertrauen. Thut, wie es Euch beliebt, Ihr habt noch Zeit, Euch zurückzuziehen.«—»Nein, nein, Herr, nein, Ihr habt das Aussehen eines ehrlichen jungen Mannes, und ich vertraue Euch. Ich glaube also nicht, daß meine Frau wegen ihrer eigenen Liebschaften, sondern wegen der Liebschaften einer viel vornehmeren Dame verhaftet worden ist.«—»Ah! ah! etwa wegen der Liebschaften der Frau von Bois-Tracy?«rief d'Artagnan, der dem Bürger gegenüber das Ansehen haben wollte, als wäre er ganz auf dem Laufenden mit den Angelegenheiten des Hofes.«—»Höher, mein Herr, höher!«—»Der Frau d'Aiguillon?«—»Noch höher!«—»Der Frau von Chevreuse?«—»Noch höher, viel höher!«—»Der…«d'Artagnan hielt inne. — »Ja, mein Herr, «antwortete der erschrockene Bürger so leise, daß man ihn kaum hören konnte. — »Und mit wem?«—»Mit wem? natürlich mit dem Herzog von…«—»Dem Herzog von…«— Ja, mein Herr, «antwortetet der Bürger mit fast unmerklicher Stimme. — »Aber woher wißt Ihr das Alles? — »Ah! woher ich das weiß!«—»Ja, woher Ihr es wißt? Keine halbe Offenbarungen, oder… Ihr versteht mich!«—»Ich weiß es von meiner Frau, mein Herr, von meiner Frau selbst.«—»Und von wem weiß es diese?«—»Von Herrn de la Porte. Habe ich Euch nicht gesagt, daß sie die Pathin von Herrn de la Porte, dem Vertrauten der Königin, ist? Nun, Herr de la Porte hatte sie zu Ihrer Majestät gebracht, damit unsere arme Königin, verlassen von dem König, bespäht von dem Kardinal, verrathen von Allen, doch wenigstens Eine Seele hätte, der sie sich anvertrauen könnte.«—»Ah, ah! das wird immer klarer, «sprach d'Artagnan. — »Meine Frau ist nun vor vier Tagen zu mir gekommen; es ist nämlich eine von ihren Bedingungen, daß sie mich zweimal in der Woche besuchen darf, denn wie ich zu bemerken die Ehre gehabt habe, meine Frau liebt mich zärtlich: meine Frau ist also zu mir gekommen und hat mir anvertraut, die Königin schwebe in diesem Augenblick in großer Furcht.«—»Wahrhaftig?«—»Ja. Der Herr Kardinal verfolgt sie, wie es scheint, mehr als je. Er kann ihr die Geschichte mit der Sarabande nicht vergeben. Ihr kennt die Geschichte der Sarabande?«—»Bei Gott! Ob ich sie kenne?«erwiederte d'Artagnan, der nichts von der ganzen Sache wußte, aber sich das Ansehen geben wollte, als wäre er völlig eingeweiht. — »So, daß es jetzt nicht mehr Haß, sondern Rache ist.«—»Wirklich?«—»Und die Königin glaubt. — »Nun, was glaubt die Königin?«—»Sie glaubt, man habe in ihrem Namen an den Herzog von Buckingham geschrieben.«—»Im Namen der Königin?«—»Ja, um ihn nach Paris kommen zu lassen und ihn, wenn er einmal in Paris wäre, in eine Falle zu locken. — »Teufel! aber mein lieber Herr, was hat Eure Frau mit Allem dem zu schaffen?«—»Man kennt ihre Ergebenheit für die Königin, man will sie entweder von ihrer Gebieterin entfernen, oder sie einschüchtern, um die Geheimnisse Ihrer Majestät zu erfahren, oder sie zu Spionendiensten verführen.«—»Das ist wahrscheinlich, «sprach d'Artagnan;»aber kennt Ihr den Mann, der sie in Verhaft genommen hat?«—»Ich habe Euch gesagt, daß ich ihn zu kennen glaube.«—»Sein Name?«—»Ich weiß ihn nicht; ich weiß nur, daß er eine Kreatur des Kardinals und ihm mit Leib und Seele ergeben ist.«—»Aber Ihr habt ihn gesehen?«—»Ja, meine Frau hat ihn mir einmal gezeigt.«—»Dürfte man ihn wohl an seinem Signalement erkennen?«—»Oh, gewiß! es ist ein Herr von hochmüthigem Aussehen, schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe, durchdringendem Auge, weißen Zähnen und mit einer Narbe an der Schläfe.«—»Einer Narbe an der Schläfe!«rief d'Artagnan,»und dabei weiße Zähne, ein durchdringendes Auge, dunkle Gesichtsfarbe, schwarze Haare und ein hochmüthiges Aussehen, das ist mein Mann von Meung.«—»Das ist Euer Mann, sagt Ihr?«—»Ja, ja, das thut aber nichts zur Sache. Nein, ich täusche mich, es vereinfacht sie vielmehr im Gegentheil; wenn Euer Mann der meinige ist, so werde ich mit einem einzigen Streich doppelte Rache nehmen, das ist das Ganze; aber wo diesen Menschen finden?«—»Ich weiß es nicht.«—»Habt Ihr nicht die geringste Kunde von seiner Wohnung?«—»Keine; als ich eines Tags meine Frau nach dem Louvre zurückführte, kam er gerade heraus, während sie einzutreten im Begriff war, und da hat sie mir ihn gezeigt.«—»Teufel, Teufel!«murmelte d'Artagnan,»das ist Alles so unbestimmt. Von wem habt Ihr die Entführung Eurer Frau erfahren?«—»Von Herrn de la Porte.«—»Hat er Euch einzelne Umstände angegeben?«—»Er wußte nichts weiter.«—»Und Ihr habt von keiner anderen Seite etwas erfahren?«—»Doch; ich habe gehört…«—»Was?«—»Aber ich weiß nicht, ob ich nicht eine große Unklugheit begehe.«—»Ihr kommt noch einmal auf diesen Punkt. Nun muß ich Euch aber bemerken, daß es diesmal ein wenig zu spät ist, um zurückzutreten.«—»Ich trete auch nicht zurück, «rief der Bürger unter verschiedenen Flüchen, mit denen er sich wohl Muth machen wollte. Ueberdies, so wahr ich Bonacieux heiße…«—»Ihr heißt Bonacieux?«unterbrach ihn d'Artagnan. — »Ja, das ist mein Name.«—»Ihr sagtet, so wahr ich Bonacieux heiße! Entschuldigt, daß ich Euch unterbrochen habe, aber es kam mir vor, als wäre mir dieser Name nicht unbekannt.«—»Das ist möglich, mein Herr, ich bin Euer Hauseigentümer.«—»Ah! ah!«rief d'Artagnan halb aufstehend und grüßend,»Ihr seid mein Hauseigentümer?«—»Ja, mein Herr, ja, und da Ihr seit den drei Monaten, die Ihr bei mir wohnt, wahrscheinlich aus geschäftlicher Zerstreutheit, meinen Miethzins zu bezahlen vergessen habt, ich Euch aber nicht ein einziges Mal drängte, so dachte ich, Ihr würdet auf meine Zartheit Rücksicht nehmen.«—»Allerdings, mein lieber Herr Bonacieux, «erwiederte d'Artagnan,»glaubt mir, daß ich ein solches Benehmen zu schätzen weiß, und wie gesagt, wenn ich Euch in irgend einer Beziehung nützlich sein kann…«—»Ich glaube Euch, mein Herr, ich glaube Euch, und hege, so wahr ich Bonacieux heiße, Vertrauen zu Euch.«—»vollendet also Eure angefangene Mittheilung.«
Der Bürger zog ein Papier aus seiner Tasche und überreichte es d'Artagnan.
«Ein Brief!«sprach der junge Mann.
«Den ich diesen Morgen erhalten habe.«
D'Artagnan öffnete, und da der Tag sich zu neigen anfing, so trat er näher an's Fenster. Der Bürger folgte ihm.
›Suchet Eure Frau nicht,‹ las d'Artagnan; ›sie wird Euch zurückgegeben werden, wenn man ihrer nicht mehr bedarf. Thut Ihr einen Schritt, um sie aufzufinden, so seid Ihr verloren.‹
«Das ist sehr bestimmt, «fuhr d'Artagnan fort.»Im Ganzen aber ist es nur eine Drohung.«
«Ja, aber diese Drohung erschreckt mich, mein Herr; ich bin durchaus kein Mann vom Degen und fürchte mich vor der Bastille.«
«Herr, «sprach d'Artagnan,»ich sehne mich eben so wenig nach der Bastille, als Ihr. Wenn es sich nur um einen Degenstoß handelte, das möchte noch gehen.«—»Ich habe jedoch bei dieser Veranlassung sehr auf Euch gezählt, mein Herr.«—»So?«—»Als ich Euch beständig von Musketieren von herzlichem Ansehen umgeben sah und erkannte, daß es Musketiere des Herrn von Treville und folglich Feinde des Kardinals waren, so dachte ich, Ihr und Eure Freunde würdet mit dem größten Vergnügen bereit sein, unserer armen Königin zu ihrem Recht zu verhelfen und zugleich Sr. Eminenz einen schlimmen Streich zu spielen.«—»Allerdings!«—»Und dann dachte ich auch, insofern Ihr mir drei Monate Miethzins schuldig wäret, an die ich Euch nie ermahnt habe…«—»Ja, ja, Ihr habt mir diesen Grund bereits genannt, und ich finde ihn vortrefflich.«—»Beabsichtigend ferner, so lange Ihr mir die Ehre erzeigen werdet, bei mir zu bleiben, um von Eurem zukünftigen Miethzins zu sprechen…«—»Schon gut.«— Und überdies, daß ich Euch im Falle der Noth, solltet Ihr Euch in diesem Augenblick, wider alle Wahrscheinlichkeit, in einer Klemme befinden, fünfzig Pistolen anzubieten gedenke…«—»Vortrefflich; Ihr seid also reich, mein lieber Herr Bonacieux?«—»Ich bin wohlhabend, das ist das rechte Wort. Ich habe mir so zwei- bis dreitausend Thaler Renten in meinem Kramladen und besonders dadurch erworben, daß ich einige Kapitalien bei der letzten Reise des berühmten Seefahrers Jean Mosauet anlegte, so daß Ihr wohl begreifen könnt, mein Herr… Ah! dort…«rief der Bürger.
«Was?«fragte d'Artagnan. — »Was sehe ich?«—»Wo?«—»Auf der Straße, Eurem Fenster gegenüber, in der Vertiefung jener Thüre, ein Mann in einen Mantel gehüllt.«—»Er ist es!«rief d'Artagnan und der Bürger zu gleicher Zeit, denn beide hatten ihren Mann erkannt.
«Ah! diesmal, «schrie d'Artagnan, nach seinem Degen laufend,»diesmal soll er mir nicht entgehen.«
Und vom Leder ziehend stürzte er aus dem Zimmer.
Auf der Treppe begegnete er Athos und Porthos, die ihn besuchen wollten. Sie machten Platz, d'Artagnan schoß wie ein Pfeil zwischen ihnen durch.
«He da! wohin läufst Du denn?«riefen die beiden Musketiere zugleich.
«Der Mann von Meung, «erwiederte d'Artagnan und verschwand.
D'Artagnan hatte seinen Freunden mehr als einmal sein Abenteuer mit dem Unbekannten, so wie die Erscheinung der schönen Reisenden mitgeteilt, der dieser Mensch eine, wie es schien, so wichtige Sendung anvertraute.
Athos hatte gemeint, d'Artagnan habe seinen Brief bei dem Streite verloren. Ein Edelmann wäre seiner Ansicht nach — und nach dem Portrait, das d'Artagnan von dem Unbekannten entworfen hatte, konnte es nur ein Edelmann sein — ein Edelmann wäre der Gemeinheit zu stehlen unfähig gewesen.
Porthos hatte in Allem diesem nur ein verliebtes Rendezvous gesehen, das ein Kavalier einer Dame, oder eine Dame einem Kavalier gab, und das durch die Anwesenheit d'Artagnans und seines gelben Rosses gestört wurde.
Aramis sagte, bei so geheimnisvollen Dingen sei es besser, sie gar nicht ergründen zu wollen.
Sie konnten also aus den paar Worten d'Artagnans schließen, wovon die Rede war, und da sie dachten, wenn d'Artagnan seinen Mann getroffen oder aus dem Gesichte verloren hätte, würde er zurückkommen, so setzten sie ihren Weg fort.
Als sie in d'Artagnans Zimmer traten, war es leer. Die Folgen des Zusammentreffens befürchtend, welches ohne Zweifel zwischen dem jungen Manne und dem Unbekannten stattfinden würde, hatte der Hauseigenthümer für gut befunden, sich aus dem Staub zu machen.
IX. D'Artagnan zeigt sich in einem eigenthümlichen Lichte
Nach Verlauf einer halben Stunde kehrte d'Artagnan zurück, wie dies Athos und Porthos vorhergesehen hatten. Er hatte auch dießmal seinen Mann verfehlt, welcher wie durch ein Zauberwerk verschwunden war. D'Artagnan war ihm mit dem Degen in der Faust durch alle benachbarten Straßen nachgelaufen, ohne etwas zu finden, was dem Gesuchten glich. Dann kam er auf das zurück, wobei er vielleicht hätte anfangen sollen und klopfte an die Thüre, an die sich der Unbekannte gelehnt hatte; aber vergeblich ließ er zehn- bis zwölfmal hinter einander den Klopfer ertönen. Niemand antwortete, und Nachbarn, welche in Folge des Geräusches auf ihre Thürschwelle liefen oder die Nase durch's Fenster steckten, gaben ihm die Versicherung, dieses Haus, dessen Fenster sämmtlich verschlossen waren, sei seit sechs Monaten völlig unbewohnt.
Während d'Artagnan in den Straßen umherlief und an die Thüren klopfte hatte sich Aramis bei seinen zwei Gefährten eingefunden, so daß d'Artagnan, in sein Zimmer zurückkehrend, die Versammlung vollzählig fand.
«Nun?«fragten die drei Musketiere zugleich, als sie d'Artagnan mit Schweiß auf der Stirne und zornentstelltem Gesicht eintreten sahen.
«Nun!«rief dieser und warf seinen Degen auf das Bett,»der Mensch muß der leibhaftige Teufel sein; er ist verschwunden, wie ein Phantom, wie ein Schatten, wie ein Gespenst.«
«Glaubt Ihr an Erscheinungen?«fragte Athos seinen Kameraden Porthos.
«Ich? ich glaube nur das, was ich gesehen habe, und da ich nie Erscheinungen gesehen habe, so glaube ich nicht daran.«
«Die Bibel, «sagte Aramis,»macht es uns zum Gesetz, daran zu glauben: der Schatten Samuels erschien Saul, es ist dies ein Glaubensartikel, den ich nicht gern in Zweifel ziehen lasse.«
«In jedem Fall ist dieser Mann, ob nun Mensch oder Teufel, Körper oder Schatten, Täuschung oder Wirklichkeit, zu meiner Verdammniß geboren; denn durch seine Flucht entgeht uns ein herrliches Geschäft, meine Freunde, ein Geschäft, wobei man hundert Pistolen und vielleicht noch mehr hätte gewinnen können.«
«Wie das?«fragten Porthos und Aramis.
Athos aber begnügte sich, seinem Stummheitssystem getreu, d'Artagnan nur mit einem Blick zu befragen.
«Planchet, «sagte d'Artagnan zu seinem Bedienten, der in diesem Augenblick durch die ein wenig geöffnete Thür seinen Kopf steckte, um wo möglich einige Brocken von dem Gespräche zu erhaschen,»geh' hinab zu meinem Hauseigenthümer Bonacieux und sage ihm, er möge uns ein halb Dutzend Flaschen Beaugencywein schicken. Ich ziehe diesen vor.«
«Ah, Du scheinst offenen Credit bei Deinem Hauseigenthümer zu haben?«fragte Porthos.
«Ja, «antwortete d'Artagnan,»von heute an, und seid nur ruhig, wenn sein Wein schlecht ist, so muß er uns andern holen.«
«Man muß gebrauchen und nicht mißbrauchen, «sagte Aramis spruchreich.
«Ich habe immer behauptet, d'Artagnan sei der einsichtsvollste Kopf unter uns Vieren, «bemerkte Athos, und nachdem er diese Meinung ausgesprochen, auf welche d'Artagnan mit einer Verbeugung antwortete, verfiel er alsbald wieder in sein gewöhnliches Stillschweigen.
«Aber nun laßt einmal hören, wie verhält sich die Sache?«fragte Porthos.
«Ja, «sprach Aramis,»theilt es uns mit, lieber Freund, wenn nicht die Ehre einer Dame bei dieser Eröffnung betheiligt ist; in diesem Fall würdet Ihr besser daran thun, das Geheimnis für Euch zu behalten.«
«Seid unbesorgt, «erwiederte d'Artagnan,»es wird sich Niemands Ehre bei dem, was ich Euch mittheilen will, zu beklagen haben.«
Und hierauf erzählte er seinen Freunden Wort für Wort, was sich zwischen ihm und seinem Hauswirth begeben hatte, und wie der Mann, der die Frau des würdigen Hauseigenthümers entführt, derselbe war, mit dem er an der Herberge zu Meung Streit gehabt hatte.
«Eure Angelegenheit ist nicht schlimm, «sagte Athos, nachdem er den Wein als Kenner gekostet und mit einem Zeichen angedeutet hatte, daß er ihn gut finde,»und man könnte wohl aus diesem braven Manne fünfzig bis sechzig Pistolen herausbringen. Nun entsteht nur noch die Frage, ob fünfzig bis sechzig Pistolen so viel werth sind, daß man vier Köpfe dafür aufs Spiel setzt.«
«Aber bemerkt wohl, «rief d'Artagnan,»daß eine Frau bei dieser Angelegenheit betheiligt ist, eine entführte Frau, eine Frau, die man ohne Zweifel bedroht, die man wahrscheinlich martert und zwar Alles dies, weil sie ihrer Gebieterin treu ist.«
«Bemerkt wohl, d'Artagnan, «sprach Aramis,»Ihr erhitzt Euch meiner Ansicht nach ein wenig zu sehr über das Schicksal der Frau Bonacieux. Das Weib ist zu unserem Verderben geboren und von ihm rührt all unser Unglück her.«
Bei dieser Sentenz von Aramis runzelte Athos die Stirne und biß sich in die Lippen.
«Ich hin nicht wegen Frau Bonacieux unruhig, «rief d'Artagnan,»sondern wegen der Königin, die der König im Stich läßt, die der Kardinal verfolgt, und welche die Köpfe ihrer Freunde einen nach dem andern fallen sieht.«
«Warum liebt sie das, was wir am meisten auf der Welt verabscheuen: die Spanier und die Engländer?«
«Ei! meiner Treue!«sprach Athos,»ich muß gestehen, dieser Engländer ist im höchsten Grad würdig, geliebt zu werden. Ich habe nie eine so erhabene Miene erschaut, wie die seinige.«
«Abgesehen davon, daß er sich kleidet, wie kein anderer Mensch, «sprach Porthos;»ich war im Louvre an dem Tag, wo er seine Perlen ausstreute, und ich habe zwei aufgerafft, die ich für zehn Pistolen das Stück verkaufte. Und Du, Aramis, kennst Du ihn?«
«So gut als Ihr, meine Herren, denn ich befand mich unter denjenigen, die ihn im Garten von Amiens angehalten haben, wo mich der Stallmeister der Königin, Herr von Putange, eingeführt hatte. Ich war um diese Zeit im Seminar, und die Geschichte kam mir damals sehr schlimm für den König vor.«
«Wenn ich nur wüßte, wo sich der Herzog von Buckingham befindet, «sagte d'Artagnan,»so sollte mich das nicht abhalten, ihn bei der Hand zu nehmen und zur Königin zu führen, wäre es auch nur, um den Kardinal wüthend zu machen; denn unser wahrer, unser einziger und ewiger Feind, meine Herren, ist der Kardinal, und wenn wir Mittel und Wege finden könnten, ihm einen recht garstigen Streich zu spielen, so würde ich, ich gestehe es, gerne meinen Kopf einsetzen.«
«Und der Krämer hat Euch gesagt, d'Artagnan, «sprach Athos,»man habe den Buckingham unter einem falschen Vorwand kommen lassen?«
«Sie befürchtet es.«
«Wartet, Aramis.«
«Was?«fragte Porthos.
«Immer zu! ich suche mich gewisser Umstände zu erinnern.«
«Und nun bin ich überzeugt, «sprach d'Artagnan,»daß die Verhaftnahme dieser Kammerfrau der Königin sich auf die Ereignisse, von denen wir reden, und vielleicht auf die Gegenwart des Herrn von Buckingham in Paris bezieht.«
«Der Gascogner ist voll kluger Gedanken, «sagte Porthos mit Bewunderung.
«Ich höre ihn sehr gerne sprechen, «versetzte Athos,»sein Patois ergötzt mich.«
«Meine Herren, «rief Aramis,»höret mich an.«
«Hören wir Aramis, «sprachen die drei Freunde.
«Gestern befand ich mich bei einem gelehrten Doctor der Theologie, den ich bei meinen Studien zuweilen um Rath frage. «Athos lächelte.
«Er wohnt in einem öden Quartier, «fuhr Aramis fort;»es entspricht aber seinem Geschmack, seiner Beschäftigung. In dem Augenblick nun, wo ich aus seinem Hause trat…«
Aramis hielt inne.
«Nun!«fragten seine Zuhörer,»in dem Augenblick, wo Ihr aus seinem Hause tratet…«
Aramis schien nicht recht daran zu wollen, wie ein Mensch, der mitten in einer Lüge sich durch ein unvorhergesehenes Hinderniß gehemmt sieht; aber die Augen seiner drei Gefährten waren auf ihn geheftet, ihre Ohren erwarteten gespannt die Fortsetzung, es gab kein Mittel, zurückzuweichen.
«Dieser Doktor hat eine Nichte, «fuhr Aramis fort.
«Ah! er hat eine Nichte, «unterbrach ihn Porthos.
«Eine sehr achtungswerthe Dame, «sagte Aramis.
Die drei Freunde brachen in ein Gelächter aus.
«Ah! wenn Ihr lacht oder wenn Ihr zweifelt, «sagte Aramis,»so erfahrt Ihr nichts mehr«.
«Wir sind gläubig wie Mahomedaner und stumm wie Gräber, «erwiederte Athos.
«Ich fahre also fort, «sprach Aramis.»Diese Nichte besucht ihren Oheim zuweilen; gestern befand sie sich nun zu gleicher Zeit mit mir bei ihm, und ich machte ihr das Anerbieten, sie an ihren Wagen zu führen.«
«Ah, sie hat einen Wagen, die Nichte des Doktors?«unterbrach ihn Porthos, der unter andern Fehlern auch den einer großen Fessellosigkeit der Zunge besaß;»eine schöne Bekanntschaft, mein Freund.«
«Porthos, «sprach Aramis,»ich habe Euch bereits mehr als einmal bemerkt, daß Ihr sehr indiscret seid, und daß Euch dies bei den Frauen schadet.«
«Meine Herren! meine Herren!«rief d'Artagnan, der bereits klar dem Abenteuer auf den Grund sah,»die Sache ist ernst; lassen wir also wo möglich alles Scherzen.«
«Ein großer, brauner Mann, mit adeligen Manieren… halt, so etwa in der Art des Eurigen, d'Artagnan.«
«Vielleicht derselbe «sagte dieser.
«Wohl möglich, «fuhr Aramis fort…»er näherte sich mir plötzlich, in Begleitung von fünf bis sechs Menschen, die ihm ungefähr auf zehn Schritte folgten, und sagte mit dem höflichsten Tone zu mir: ›Mein Herr Herzog und Sie, Madame,‹ fuhr er gegen die Dame fort, die ich am Arm führte…
«Ah! die Nichte des Doctors?«
«Stille, Porthos!«sprach Athos;»Ihr seid unerträglich.«
›Wollet gefälligst in diesen Wagen steigen, und zwar ohne den geringsten Widerstand zu versuchen, ohne den mindesten Lärm zu machen.‹
«Er hielt Euch für Buckingham!«rief d'Artagnan. — »Ich glaube es, «antwortete Aramis. — »Aber diese Dame?«fragte Porthos. — »Er hielt sie für die Königin!«sagte d'Artagnan. — »Allerdings!«erwiederte Aramis. — »Der Gascogner hat den Teufel im Leibe, «rief Athos,»nichts entgeht ihm.«—»Es ist nicht zu leugnen, «sprach Porthos,»Aramis hat die Gestalt des schönen Herzogs und auch etwas von seiner Tournure; dennoch scheint es mir, daß die Musketier-Tracht…«
«Ich trug einen ungeheuren Mantel, «entgegnete Aramis.
«Im Monat Juli? Teufel!«rief Porthos;»befürchtete der Doctor, man würde Dich erkennen?«
«Ich begreife, daß sich der Spion durch die Tournure täuschen ließ, «sprach Athos,»aber das Gesicht…«
«Ich hatte einen großen Hut, «sagte Aramis.
«O! mein Gott, «rief Porthos,»was für Vorsichtsmaßregeln, um Theologie zu studiren.«
«Meine Herren, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»verlieren wir nicht die Zeit mit unnützem Geschwätze; wir wollen uns zerstreuen und die Frau des Krämers aufsuchen; das ist der Schlüssel der Intrigue.«
«Eine Frau von so untergeordneter Stellung! Ihr glaubt, d'Artagnan!«sprach Porthos verächtlich die Lippen verziehend.
«Es ist die Pathin La Portes, des vertrauten Dieners der Königin, habe ich Euch das nicht gesagt, meine Herren? Und dann war es diesmal vielleicht Berechnung von der Königin, daß sie so tief unten Beistand suchte. Die erhabenen Köpfe sieht man von ferne, und der Kardinal hat ein gutes Gesicht.«
«Wohl!«sprach Porthos,»doch setzt zuerst mit dem Krämer einen Preis fest und zwar einen guten Preis.«
«Das ist unnöthig, «entgegnete d'Artagnan,»denn ich glaube, wenn er uns nicht bezahlt, so wird man uns von einer andern Seite bezahlen.«
In diesem Augenblick ertönte auf der Treppe das Geräusch eiliger Tritte, die Thüre öffnete sich mit Getöse und der unglückliche Krämer stürzte in das Zimmer, wo der Rath gehalten wurde.
«Ach! meine Herren, «rief er,»rettet mich, ums Himmels willen, rettet mich; es sind vier Männer da, die mich verhaften wollen; rettet mich, rettet mich.«
Porthos und Aramis sprangen auf.
«Einen Augenblick, «rief d'Artagnan und gab ihnen sogleich ein Zeichen, ihre halbgezogenen Degen wieder in die Scheide zu stecken;»es bedarf hier nicht des Muthes, sondern der Klugheit.«
«Doch wir lassen nicht…«rief Porthos.
«Ihr laßt d'Artagnan machen, «sprach Athos;»ich wiederhole es, er ist der Einsichtsvollste von uns, und ich meines Theils erkläre, daß ich ihm gehorche. Thu', was Du willst, d'Artagnan.«
In diesem Augenblick erschienen die vier Leibwachen an der Thüre des Vorzimmers, doch als sie vier Musketiere mit dem Degen an der Seite in aufrechter Haltung erblickten, zögerten sie, weiter zu gehen.
«Tretet ein, meine Herren, tretet ein, «rief d'Artagnan;»Ihr seid hier in meiner Wohnung und wir sind insgesammt treue Diener des Königs und des Herrn Kardinals.«
«In diesem Falle werdet Ihr Euch nicht widersetzen, wenn wir die Befehle, die wir erhalten haben, vollstrecken?«fragte derjenige, welcher der Anführer der kleinen Mannschaft zu sein schien.
«Im Gegentheil, meine Herren, wir werden Euch im Falle der Noth unterstützen.«
«Was spricht er da?«murmelte Porthos.
«Du bist ein Einfaltspinsel, «sagte Athos,»schweige!«
«Aber Ihr habt mir versprochen…, «flüsterte der arme Krämer ganz leise.
«Wir können Euch nur retten, wenn wir frei bleiben, «antwortete d'Artagnan rasch und ebenfalls leise,»machen wir aber Miene, Euch zu vertheidigen, so verhaftet man uns ebenfalls.«
«Es scheint mir jedoch…«
«Kommt, meine Herren, kommt, «sprach d'Artagnan laut;»ich habe keinen Grund, den Herrn zu beschützen. Ich sah ihn heute zum ersten Mal und aus welcher Veranlassung! er wird es Euch selbst sagen, um die Bezahlung meiner Hausmiethe zu fordern. Ist dieß wahr, Herr Bonacieux? Antwortet!«
«Es ist die reine Wahrheit, «rief der Krämer, aber der Herr sagt Euch nicht…«
«Schweigt über mich, schweigt über meine Freunde, schweigt besonders über die Königin, oder Ihr stürzt Alles ins Verderben, ohne Euch zu retten. Vorwärts, vorwärts, meine Herren, führt diesen Mann weg!«
Und d'Artagnan stieß den ganz betäubten Krämer in die Hände der Leibwachen und sagte:
«Ihr seid ein Halunke, mein Lieber, Ihr kommt und verlangt Geld von mir, von einem Musketier! Fort ins Gefängniß! Noch einmal, meine Herren, führt ihn ins Gefängniß und haltet ihn so lange als möglich unter Schloß und Riegel — ich gewinne dadurch Zeit, zu bezahlen.«
Die Sbirren verwickelten sich in Danksagungen und nahmen ihre Beute mit sich fort.
In dem Augenblick, wo sie hinausgingen, klopfte d'Artagnan ihrem Führer auf die Schulter, füllte zwei Gläser mit Beaugency-Wein, den er der Freigebigkeit des Herrn Bonacieux zu verdanken hatte, und sprach:
«Werde ich nicht auf Eure Gesundheit, werdet Ihr nicht auf die meinige trinken?«—»Das wäre eine große Ehre für mich, «antwortete der Anführer der Sbirren,»und ich nehme es dankbar an.«—»Auf Eure Gesundheit also, mein Herr…, wie heißt Ihr?«—»Boisrenard.«—»Boisrenard!«—»Auf die Eurige, mein edler Herr, wie heißt Ihr, wenn es gefällig ist?«—»d'Artagnan.«—»Auf die Eurige, Herr d'Artagnan.«
«Und vor Allem, «rief d'Artagnan, als erfaßte ihn eine Begeisterung,»auf die des Königs und des Kardinals!«
Der Anführer der Sbirren hätte vielleicht an der Aufrichtigkeit d'Artagnans gezweifelt, wenn der Wein schlecht gewesen wäre, aber der Wein war gut und der Mann somit überzeugt.
«Aber was für einen teuflischen Unsinn habt Ihr da gemacht?«sagte Porthos, als sich die vier Freunde wieder allein befanden.»Pfui! vier Musketiere lassen einen Unglücklichen, der um Hilfe ruft, in ihrer Mitte verhaften! Ein Edelmann trinkt mit einem Schergen!«
«Porthos, «sprach Aramis,»Athos hat Dir bereits bemerkt. Du seist ein Einfaltspinsel, und ich pflichte seiner Ansicht bei. D'Artagnan, Du bist ein großer Mann, und wenn Du einmal an der Stelle des Herrn von Treville stehst, so bitte ich um Deine Protektion für eine Abtei.«
«Ah, ich kann nicht klug aus der Sache werden, «sagte Porthos;»Ihr billigt, was d'Artagnan gethan hat?«
«Ich glaube bei Gott wohl, «erwiederte Athos;»ich billige nicht nur, was er gethan hat, sondern ich wünsche ihm sogar Glück dazu.«
«Und nun, meine Herren, «sprach d'Artagnan, ohne sich die Mühe zu geben, Porthos sein Benehmen zu erläutern,»Alle für Einen, Einer für Alle, das ist unser Wahlspruch, nicht wahr?«
«Indessen, «sagte Porthos.
«Strecke die Hand aus und schwöre, «riefen Athos und Aramis zu gleicher Zeit.
Besiegt durch das Beispiel, streckte Porthos unter leisen Flüchen die Hand aus, und die vier Freunde wiederholten mit einer Stimme die von d'Artagnan vorgesprochene Formel:
«Alle für Einen, Einer für Alle.«
«So ist es gut, «sagte d'Artagnan;»Jeder gehe nun ruhig nach Hause, und aufgepaßt! Von diesem Augenblicke an liegen wir im Streite mit dem Kardinal.«
X. Eine Mausfalle im siebzehnten Jahrhundert
Die Mausfalle ist keine Erfindung unserer Tage; sobald die Gesellschaften bei ihrer Bildung irgend eine Polizei erfunden hatten, erfand diese ihrerseits die Mausfalle.
Da unsere Leser vielleicht noch nicht mit dem Rothwälsch der Rue de Jerusalem vertraut sind, und da wir zum ersten Mal dieses Wort in dieser eigenthümlichen Bedeutung anwenden, so wollen wir ihnen erklären, was eine Mausfalle ist.
Wenn man in irgend einem Hause irgend eine eines Verbrechens verdächtige Person verhaftet hat, so hält man diese Verhaftung geheim; man legt vier oder fünf Mann im ersten Zimmer in Hinterhalt, man öffnet die Thüre allen denjenigen, welche anklopfen, schließt sie wieder hinter ihnen und verhaftet sie; nach Verlauf von zwei bis drei Tagen hat man alle diejenigen, welche mit dem betreffenden Hause in Verbindung stehen, in Händen.
Das ist eine Mausfalle.
Man machte also eine Mausfalle aus der Wohnung des Meisters Bonacieux, und wer daselbst erschien, wurde ergriffen und von den Leuten des Kardinals ausgefragt. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß diejenigen, welche zu d'Artagnan kamen, von den Ausforschungen befreit blieben, insofern ein besonderer Gang nach seiner Wohnung im ersten Stock führte.
Ueberdies kamen die drei Musketiere allein dahin. Jeder von ihnen hatte sich einzeln auf Kundschaft gelegt, aber keinem war es gelungen, etwas zu entdecken. Athos war sogar so weit gegangen, Herrn von Treville zu befragen, worüber sein Kapitän in Betracht der gewöhnlichen Schweigsamkeit des würdigen Musketiers nicht wenig erstaunte. Herr von Treville wußte nur, daß das letzte Mal, als er den König, die Königin und den Kardinal gesehen, der Kardinal eine sehr sorgliche Miene hatte, der König sehr unruhig war, und die Augen der Königin andeuteten, daß sie geweint oder gewacht hatte; aber Letzteres veranlaßte keine Verwunderung bei ihm, denn die Königin wachte und weinte viel seit ihrer Verheirathung.
Herr von Treville empfahl jedenfalls Athos den Dienst des Königs und besonders den bei der Königin, und ersuchte ihn, dieselbe Empfehlung seinen Kameraden zu überbringen.
D'Artagnan verließ seine Wohnung nicht; er hatte sein Zimmer in ein Observatorium verwandelt. Von seinem Fenster aus sah er diejenigen ankommen, welche gefangen genommen wurden. Da er ferner die Dielen seines Stubenbodens aufgebrochen hatte und nur ein einfacher Plafond ihn vor dem unter ihm liegenden Zimmer trennte, wo die Verhöre stattfanden, so vernahm er Alles, was zwischen den Inquisitoren und den Angeklagten vorging.
Die Verhöre, welche stets mit einer sorgfältigen Durchsuchung der verhafteten Personen verbunden waren, glichen sich beinahe gänzlich ihrem Inhalt nach:»Hat Euch Madame Bonacieux etwas für ihren Gatten oder für irgend eine andere Person zugestellt?«
«Hat Euch Herr Bonacieux irgend etwas für seine Frau oder für irgend eine andere Person zugestellt?«
«Hat Euch die eine oder der andere von ihnen irgend eine vertrauliche Mittheilung gemacht?«
«Wenn sie etwas wüßten, so würden sie nicht so fragen, «sagte d'Artagnan zu sich selbst.»Was wollen sie nur erfahren? Ob sich der Herzog von Buckingham nicht in Paris befindet, und ob er nicht mit der Königin eine Zusammenkunft gehabt hat oder haben soll.«
D'Artagnan blieb bei dieser Ansicht stehen, der es nach Allem, was er erfahren hatte, nicht an Wahrscheinlichkeit gebrach.
Mittlerweile war die Mausfalle permanent und die Wachsamkeit d'Artagnans ebenso. Am zweiten Tag nach der Verhaftung des armen Bonacieux, als Athos d'Artagnan so eben verlassen hatte, um sich zu Herrn von Treville zu begeben, als es gerade neun Uhr geschlagen und Planchet, der seines Herrn Bett noch nicht gemacht hatte, eben seine Arbeit verrichtete, hörte man an die Hausthüre klopfen. Alsbald wurde diese Thüre geöffnet und wieder verschlossen. Es hatte sich Jemand in der Mausfalle fangen lassen.
D'Artagnan stürzte nach der Stelle, wo die Dielen weggenommen waren, legte sich mit dem Bauch auf den Boden und horchte. Es wurde ein Geschrei vernehmbar, dann folgte ein starkes Seufzen, das man zu ersticken suchte, von einem Verhör war nicht die Rede.
«Teufel!«sprach d'Artagnan zu sich selbst,»es scheint mir, das ist eine Frau; man durchsucht sie, sie widersteht, man thut ihr Gewalt an. Die Schurken!«
D'Artagnan hatte, trotz seiner Klugheit, die größte Mühe, sich von der Scene entfernt zu halten, welche unten vorging.
«Aber ich sage Euch, daß ich die Hausfrau bin, meine Herren, ich sage Euch, daß ich die Frau Bonacieux bin, ich sage Euch, daß ich im Dienste der Königin stehe, «rief die Unglückliche.
«Frau Bonacieux!«murmelte d'Artagnan;»sollte ich so glücklich sein, das gefunden zu haben, was Jedermann sucht?«
«Gerade Euch haben wir hier erwartet, «sprachen die Fragenden unten.
Die Stimme der Frau wurde immer dumpfer; das Tafelwerk ertönte von einer geräuschvollen Bewegung, das Opfer widerstand, so weit eine Frau vier Männern widerstehen kann.
«Vergebung, meine Herren, vergebt…«murmelte die Stimme, welche nur noch unartikulirte Töne hören ließ.
«Sie knebeln sie! sie schleppen sie fort!«rief d'Artagnan und sprang wie eine Feder auf.»Meinen Degen! ich habe ihn zum Glück an meiner Seite. Planchet!«
«Gnädiger Herr!«
«Lauf schnell, suche Athos, Porthos und Aramis auf. Einer von diesen Dreien wird sicherlich zu Hause sein; vielleicht sind alle drei heimgekehrt. Sie sollen sich bewaffnen und rasch hieher kommen. Ah, ich erinnere mich, Athos ist bei Herrn von Treville.«
«Aber wohin geht Ihr, gnädiger Herr, wohin geht Ihr?«
«Ich steige durch das Fenster hinab, «rief d'Artagnan,»um schneller an Ort und Stelle zu sein. Du, lege die Diele wieder ein, fege den Boden, geh' durch die Thüre und lauf, wohin ich Dir gesagt habe.«
«O, mein Herr, mein Herr, Ihr bringt Euch ums Leben, «rief Planchet.
«Schweig, Dummkopf, «sprach d'Artagnan und sich mit der Hand an der Randleiste des Fensters haltend, glitt er vom ersten Stockwerk, das glücklicher Weise nicht hoch war, hinab, ohne die geringste Verletzung zu erleiden.
Dann klopfte er an die Thüre und murmelte dabei:
«Ich will mich ebenfalls in der Mausfalle fangen lassen, aber wehe den Katzen, die sich an einer solchen Maus reiben.«

Kaum hatte der Klopfer unter der Hand des jungen Mannes ertönt, als das Geräusch aufhörte; es näherten sich Tritte, die Thüre öffnete sich und d'Artagnan stürzte mit bloßem Degen in das Zimmer des Meisters Bonacieux, dessen Thüre, ohne Zweifel durch eine Feder in Bewegung gesetzt, sich von selbst wieder schloß.
Dann vernahmen die übrigen Bewohner des unglücklichen Hauses, so wie die nächsten Nachbarn ein gewaltiges Geschrei, ein Stampfen, ein Degengeklirr und ein Zertrümmern von Geräthschaften; einen Augenblick nachher konnten die Menschen, welche erstaunt über diesen Lärmen sich an ihr Fenster gestellt hatten, um die Ursache zu erfahren, deutlich sehen, wie die Thür sich wieder öffnete und vier schwarz gekleidete Menschen nicht heraus gingen, sondern gleich aufgescheuchten Raben herausflogen, am Boden und an den Tischecken Federn von ihren Flügeln zurücklassend, d.h. Fetzen von ihren Kleidern und Stücke von ihren Mänteln.
D'Artagnan hatte mit leichter Mühe den Sieg errungen, denn nur ein einziger von den Alguazils war bewaffnet, und dieser vertheidigte sich nur der Form wegen. Die drei andern hatten es allerdings versucht, den jungen Mann mit Stühlen, Bänken und Töpfen niederzuschlagen, aber zwei bis drei Hiebe vom Flammberg des Gascogners flößten ihnen den gehörigen Schrecken ein. Zehn Minuten waren hinreichend, ihre Niederlage zu bewerkstelligen, und d'Artagnan blieb Herr des Schlachtfeldes.
Die Nachbarn, welche ihre Fenster mit der in jenen Zeiten fortwährender Aufstände und Streitigkeiten den Parisern eigenen Kaltblütigkeit geöffnet hatten, schlossen sie wieder, sobald sie die vier schwarzen Männer entfliehen sahen; ihr Instinkt sagt ihnen, daß für den Augenblick alles zu Ende war; überdies war es bereits spät geworden, und damals, wie heut zu Tage legte man sich im Quartier des Luxemburg frühe schlafen.
Allein mit Frau Bonacieux, drehte sich d'Artagnan nach dieser um. Die arme Frau war auf einen Lehnstuhl zurückgesunken und halb ohnmächtig. D'Artagnan schaute sie mit einem raschen Blick prüfend an. Es war eine reizende Frau von fünf- bis sechsundzwanzig Jahren, brünett, mit blauen Augen, leicht aufgestülpter Nase und einem von Rosa und Opal marmorirten Teint. Hier aber hörten die Zeichen auf, nach welchen man sie mit einer vornehmen Dame hätte verwechseln können. Die Hände waren weiß, aber nicht zart, die Füße kündigten keine Frau von Stand an. Zum Glücke konnte sich d'Artagnan noch nicht mit allen diesen Einzelnheiten beschäftigen.
Als d'Artagnan in seiner Musterung der Frau Bonacieux bis zu den Füßen gelangte, sah er auf dem Boden ein feines Batisttuch, das er seiner Gewohnheit gemäß aufhob, und erkannte an der Ecke dieselbe Zeichnung, wie an dem Taschentuch, wegen dessen er sich mit Aramis beinahe auf Leben und Tod hätte schlagen müssen. Von dieser Zeit an mißtraute d'Artagnan allen mit Wappen verzierten Sacktüchern und er steckte deshalb das von ihm aufgehobene, ohne ein Wort zu sagen, in die Tasche der Frau Bonacieux.
In diesem Augenblick kam Frau Bonacieux wieder zu sich; sie schlug die Augen auf, schaute erschrocken um sich und sah, daß das Zimmer leer und sie mit ihrem Befreier allein war. Sie reichte ihm alsbald lächelnd die Hände. Frau Bonacieux besaß das reizendste Lächeln in der Welt.
«Ah! mein Herr, «sprach sie,»Ihr habt mich gerettet. Erlaubt mir, daß ich Euch danke.«
«Madame, «sagte d'Artagnan,»ich habe nicht mehr gethan, als jeder Edelmann an meiner Stelle gethan haben würde. Ihr seid mir also keinen Dank schuldig.«
«Gewiß, mein Herr, gewiß, und ich hoffe, Euch beweisen zu können, daß Ihr keiner Undankbaren einen Dienst geleistet habt. Aber was wollten denn diese Menschen, die ich Anfangs für Diebe gehalten habe, und warum ist Herr Bonacieux nicht hier?«
«Madame, diese Menschen waren bei weitem gefährlicher, als Diebe sein könnten; denn es sind Schergen des Herrn Kardinals, und was Euern Gatten, den Herrn Bonacieux, betrifft, so befindet sich dieser nicht hier, weil man ihn gestern verhaftet und nach der Bastille abgeführt hat.«
«Mein Mann in der Bastille!«rief Frau Bonacieux;»o mein Gott, was hat er denn gethan, dieser arme liebe Mann, er ist ja die Unschuld selbst!«
Und etwas wie ein Lächeln trat auf dem noch erschrockenen Antlitz der jungen Frau hervor.
«Was er gethan hat, Madame?«sprach d'Artagnan;»ich glaube, sein Verbrechen besteht einzig und allein darin, daß er zugleich das Glück und das Unglück hat, Euer Gatte zu sein.«—»Aber, mein Herr, Ihr wißt also…«—»Ich weiß, daß man Euch entführt hat, Madame.«—»Und wer hat dies gethan? Wißt Ihr es? O! wenn ihr es wißt, so sagt es mir.«—»Ein Mann von vierzig bis fünfundvierzig Jahren, mit schwarzen Haaren, dunkler Gesichtsfarbe und einer Narbe an der linken Schläfe.«—»So ist es, so ist es, aber sein Name?«—»Ah! sein Name? Ich weiß ihn nicht.«—»Und mein Mann, wußte er, daß man mich gewaltsam weggebracht hatte?«—»Er war von dem Entführer selbst davon benachrichtigt worden.«—»Und hat er irgend einen Verdacht in Beziehung auf die Ursache dieses Ereignisses?«fragte Frau Bonacieux mit einer Verlegenheit. — »Er schrieb dasselbe einer politischen Ursache zu.«—»Anfangs zweifelte ich daran, und nun theile ich seine Ansicht. Also hat dieser gute Herr Bonacieux mich nicht einen Augenblick im Verdacht gehabt?«—»Ach! weit entfernt, Madame. Er war zu stolz auf Eure Klugheit und besonders auf Eure Liebe.«
Ein zweites, beinahe unmerkliches Lächeln umspielte die rosigen Lippen der schönen jungen Frau.
«Aber wie ist es Euch gelungen zu entfliehen?«fuhr d'Artagnan fort.
«Ich benützte einen Augenblick, wo ich allein blieb, und da ich seit diesem Morgen wußte, was ich von meiner Entführung zu halten hatte, so ließ ich mich mit Hülfe meiner Betttücher vom Fenster herab und lief hierher, in der Hoffnung, meinen Mann zu finden.«
«Um Euch unter seinen Schutz zu stellen?«
«Oh! nein, der arme liebe Mann, ich wußte wohl, daß er unfähig wäre, mich zu vertheidigen. Da er uns aber zu etwas Anderem dienen konnte, so wollte ich ihn hievon in Kenntniß setzen.«
«Wovon?«
«O, das ist nicht mein Geheimniß, ich kann es Euch also nicht sagen.«
«Uebrigens, «sprach d'Artagnan,»verzeiht, Madame, daß ich, ein einfacher Soldat, Euch an Klugheit erinnere, übrigens glaube ich, daß wir uns hier nicht am geeigneten Orte zu vertraulichen Mittheilungen befinden. Die Menschen, welche ich in die Flucht geschlagen habe, werden binnen Kurzem mit bewaffneter Mannschaft zurückkehren, und wenn sie uns hier finden, sind wir verloren. Ich habe wohl drei von meinen Freunden benachrichtigen lassen, aber wer weiß, ob man sie zu Hause traf?«
«Ja, ja, Ihr habt Recht, «rief Frau Bonacieux erschrocken,»fliehen wir, retten wir uns!«
Bei diesen Worten nahm sie d'Artagnan beim Arm und suchte ihn fortzuziehen.
«Aber wohin fliehen?«sprach d'Artagnan.»Wo werden wir sicher sein?«
«Entfernen wir uns zuerst von diesem Hause und das Uebrige wird sich finden.«
Und der junge Mann und die junge Frau gingen rasch, ohne auch nur die Hausthüre zu verschließen, durch die Rue des Fosses — Monsieur-le-Prince und hielten erst auf der Place Saint-Sulpice an.
«Und was fangen wir nun an?«fragte d'Artagnan,»und wohin soll ich Euch führen?«
«Ich bin sehr in Verlegenheit, Euch hierauf zu antworten, «sagte Frau Bonacieux.»Es war meine Absicht, Herrn de la Porte durch meinen Mann benachrichtigen zu lassen, damit er uns genau sagen könnte, was seit drei Tagen im Louvre vorgegangen ist, und ob es nicht gefährlich für mich sei, dort zu erscheinen.«
«Aber ich kann eben so wohl Herrn de la Porte benachrichtigen, «sagte d'Artagnan.
«Allerdings, nur ist dabei ein unglücklicher Umstand zu bedenken. Herrn Bonacieux kennt man im Louvre und ließe ihn passiren, während man Euch nicht kennt und Euch die Thüre verschließen würde.«
«Ah, bah!«sprach d'Artagnan,»Ihr habt gewiß an irgend einer Pforte des Louvre einen Hausmeister, der Euch ergeben ist, und mit Hülfe eines Losungswortes…«
Frau Bonacieux schaute den jungen Mann fest an.
«Und wenn ich Euch dieses Losungswort gebe,»sprach sie,»würdet Ihr es wohl vergessen, sobald Ihr Euch desselben bedient hättet?«—»Bei meiner Ehre, so wahr ich ein Edelmann bin, «sagte d'Artagnan mit einem Ton, der keinen Zweifel an seiner Aufrichtigkeit übrig ließ. —»Gut, ich glaube Euch, Ihr seht aus, wie ein braver junger Mann. Ueberdies ist Euer Glück vielleicht die Folge Eurer Ergebenheit.«—»Ich werde ohne ein Versprechen und freiwillig Alles thun, was in meinen Kräften liegt, um dem König zu dienen und der Königin angenehm zu sein, «sagte d'Artagnan.»Verfügt also über mich, als über einen Freund.«—»Aber ich, wohin werdet Ihr mich einstweilen bringen?«—»Habt Ihr Niemand, bei dem Herr de la Porte Euch abholen konnte?«—»Nein, ich will mich Niemand anvertrauen.«—»Halt!«sprach d'Artagnan,»wir sind an der Thüre von Athos. Ja, so geht es.«—»Wer ist Athos?«—»Einer von meinen Freunden.«—»Aber wenn er zu Hause ist, so sieht er mich.«—»Er ist nicht zu Hause, und ich nehme den Schlüssel mit, nachdem ich Euch in sein Zimmer geführt habe.«—»Und wenn er zurückkommt?«—»Er wird nicht zurückkommen. Ueberdies wird man ihm sagen, ich habe eine Frau gebracht und diese Frau befinde sich in seiner Wohnung.«—»Das wird meinen Ruf zu sehr gefährden, wißt Ihr wohl?«—»Was ist Euch daran gelegen? Man kennt Euch nicht, und abgesehen davon, befinden wir uns in einer Lage, wo man sich einiger Maßen über die Schicklichkeit wegsetzen muß.«—»Gehen wir also zu Eurem Freunde. Wo wohnt er?«—»In der Rue Ferou, zwei Schritte von hier.«—»Vorwärts!«
Uno beide setzten sich wieder in Marsch. Athos war, wie d'Artagnan vorausgesehen hatte, nicht zu Hause. Dieser nahm den Schlüssel, den man ihm als einem Freunde des Miethmannes zu geben gewohnt war, stieg die Treppe hinauf und führte Frau Bonacieux in die von uns bereits beschriebene Wohnung.
«Thut wie daheim, «sprach er,»schließt die Thüre von innen und öffnet Niemand, wenn Ihr nicht dreimal auf folgende Weise klopfen hört; gebt Acht. «Und er klopfte dreimal, zweimal kurz hinter einander und sehr stark, einmal entfernter und leichter.
«Gut, «sprach Frau Bonacieux. Nun ist es an mir. Euch Instructionen zu geben.«—»Ich höre.«—»Begebt Euch nach der Pforte des Louvre auf der Seite der Rue de l'Echelle und fragt nach Germain.«—»Gut, und dann?«—»Er wird Euch fragen, was Ihr wollt, und Ihr antwortet ihm mit den zwei Worten Tours und Brüssel. Sogleich wird er sodann zu Euern Befehlen stehen.«—»Und was soll ich ihm befehlen?«—»Herrn de la Porte, den Kammerdiener der Königin, zu holen.«—»Und wenn er ihn geholt hat und Herr de la Porte kommt?«—»So schickt Ihr ihn zu mir.«—»Ganz gut. Aber wo und wie werde ich Euch wiedersehen?«—»Ist Euch viel daran gelegen, mich wiederzusehen?«—»Gewiß.«—»Ueberlaßt mir die Sorge hiefür und seid ruhig.«—»Ich baue auf Euer Wort.«—»Rechnet darauf.«
D'Artagnan verabschiedete sich von Frau Bonacieux mit dem verliebtesten Blick, den er auf ihrer reizenden kleinen Person zu concentriren vermochte, und während er die Treppen hinabstieg, hörte er die Thüre doppelt hinter sich verschließen. Mit zwei Sprüngen war er am Louvre. Als er durch die Pforte an der Rue de l'Echelle trat, schlug es zehn Uhr. Die von uns mitgetheilten Ereignisse waren im Verlauf einer halben Stunde erfolgt.
Alles ging, wie Frau Bonacieux vorhergesagt hatte. Auf das bestimmte Losungswort verbeugte sich Germain; zwei Minuten nachher befand sich de la Porte in der Loge; mit zwei Worten theilte ihm d'Artagnan das Nothwendige mit und bezeichnete ihm den Aufenthalt der Frau Bonacieux. Sobald de la Porte die Adresse genau wußte, entfernte er sich in größter Eile; kaum hatte er jedoch zehn Schritte gemacht, als er zurückkehrte und zu d'Artagnan sagte:
«Junger Mann, einen Rath!«—»Welchen?«—»Man könnte Euch wegen dessen, was vorgefallen ist, beunruhigen.«—»Ihr glaubt?«—»Ja, habt Ihr einen Freund, dessen Uhr nachgeht?«—»Nun?«—»Geht zu ihm, damit er bezeugen kann, Ihr wäret um halb zehn Uhr bei ihm gewesen. Das nennt man in der Justiz ein Alibi.«
D'Artagnan fand den Rath klug. Er lief über Hals und Kopf und kam zu Herrn von Treville. Aber statt wie alle Welt in den Salon zu gehen, bat er, in sein Cabinet eingelassen zu werden. Da d'Artagnan einer der täglichen Gäste des Hotels war, so setzte man seiner Bitte keine Schwierigkeiten entgegen und benachrichtigte Herrn von Treville, sein junger Landsmann, der ihm etwas Wichtiges mitzutheilen habe, verlange eine Privataudienz. Nach fünf Minuten fragte Herr von Treville d'Artagnan, in was er ihm zu Dienst sein könne, und welchem Umstand er seinen späten Besuch zuzuschreiben habe?
«Um Vergebung, gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan, der den Augenblick seines Alleinseins dazu benützt hatte, die Uhr um drei Viertelstunden zurückzurücken;»ich dachte, da es erst neun Uhr fünfundzwanzig Minuten sei, so könne ich mich wohl noch bei Euch einfinden.«
«Neun Uhr fünfundzwanzig Minuten!«rief Herr von Treville und schaute nach seiner Pendeluhr;»das ist unmöglich!«
«Seht selbst, gnädiger Herr, dort ist der Beweis.«
«Es ist richtig, «versetzte Herr von Treville,»ich hätte geglaubt, es wäre später. Doch laßt hören, was wollt Ihr von mir?«
D'Artagnan machte nun Herrn von Treville eine lang Geschichte über die Königin, er setzte ihm seine Befürchtungen in Beziehung auf seine Majestät auseinander, erzählte ihm, was er von den Projekten des Kardinals in Betreff Buckinghams hatte sagen hören, und Alles dies mit einer Ruhe, mit einer festen Haltung, wodurch sich Herr von Treville um so leichter bethören ließ, als er ja selbst wahrgenommen hatte, daß etwas Neues zwischen dem König, der Königin und dem Kardinal vorging.
Als es zehn Uhr schlug, verließ d'Artagnan Herrn von Treville, der ihm für seine Nachrichten dankte und ihm empfahl, den Dienst des Königs und der Königin wohl im Auge und im Herzen zu haben. Aber unten an der Treppe erinnerte sich d'Artagnan, daß er seinen Stock vergessen hatte. Er stieg schnell wieder hinauf, kehrte in das Cabinet zurück, rückte die Uhr mit dem Finger an ihre Stunde vor, damit man am andern Morgen nicht bemerken konnte, daß man sie in Unordnung gebracht hatte, und da er nun eines Zeugen für sein Alibi gewiß war, lief er wieder die Treppe hinab und befand sich in Kurzem abermals auf der Straße.
XI. Die Intrigue schürzt sich
Als d'Artagnan seinen Besuch bei Herrn von Treville gemacht hatte, nahm er den weitesten Weg, um nach Hause zu gehen.
An was dachte d'Artagnan, als er sich so weit von seiner Straße entfernte, die Gestirne des Himmels betrachtete, bald seufzte, bald lächelte?
Er dachte an Frau Bonacieux. Für einen Musketierlehrling war diese junge Frau fast ein Liebesideal. Hübsch, mysteriös, beinahe in alle Geheimnisse des Hofes eingeweiht, welche so viel reizenden Ernst auf ihren anmuthigen Zügen wiederspiegelten, stand sie im Verdacht, nicht unempfindlich zu sein, was für Neulinge in der Liebe einen unwiderstehlichen Reiz bildet. Ueberdies hatte d'Artagnan sie aus den Händen dieser Teufel befreit, die sie mißhandeln und durchsuchen wollten. Und dieser wichtige Dienst hatte Dankbarkeitsgefühle bei ihr gegründet, welche so leicht einen zärtlicheren Charakter annehmen.
D'Artagnan sah bereits, so rasch gehen die Träume auf den Flügeln der Einbildungskraft, einen Boten von der jungen Frau vor sich, der ihm ein Rendezvousbillet, eine goldene Kette oder einen Diamant zustellte. Wir haben schon erwähnt, daß junge Cavaliere, ohne sich zu schämen, Geld von ihrem König annahmen; fügen wir noch bei, daß sie in jenen Zeiten leichter Moral auch vor ihren Geliebten nicht errötheten, und daß diese ihnen beinahe beständig kostbare und dauerhafte Erinnerungen zurückließen, als ob sie die Gebrechlichkeit ihrer Gefühle durch die Festigkeit ihrer Geschenke hätten gutmachen wollen.
Man machte damals seinen Weg durch die Frauen, ohne sich dessen zu schämen. Diejenigen, welche nur schön waren, gaben ihre Schönheit, und hievon rührt ohne Zweifel das Sprichwort: daß das schönste Mädchen der Welt nur das geben kann, was sie hat. Die Reichen gaben überdies einen Theil ihres Geldes, und man könnte gar manche Helden aus dieser galanten Epoche anführen, welche erstens ihre Sporen und zweitens ihre Schlachten nicht gewonnen hätten ohne die mehr oder minder gespickte Börse, die ihre Geliebte ihnen an den Sattelbogen befestigte.
D'Artagnan besaß nichts; die Blödigkeit des Provinzbewohners, — ein leichter Firniß, eine ephemere Blüthe, ein Pfirsichflaum, — war unter dem Winde der nicht sehr orthodoxen Rathschläge verdunstet, welche die drei Musketiere ihrem Freunde gaben. D'Artagnan betrachtete sich, nach dem seltsamen Gebrauch jener Zeit, in Paris wie im Felde, und dies nicht mehr und nicht weniger als in Flandern: der Spanier da unten, die Frau hier. Es gab überall Feinde, die man zu überwinden hatte, überall waren es Steuern, die man eintreiben zu müssen glaubte.
Aber wir können nicht leugnen, daß d'Artagnan in diesem Augenblick von einem edleren, uneigennützigeren Gefühle bewegt war. Der Krämer hatte ihm gesagt, er sei reich; der junge Mann konnte sich leicht denken, daß bei einem albernen Menschen, wie Herr Bonacieux, die Frau den Kassenschlüssel in der Hand haben mußte. Aber Alles dies übte durchaus keinen Einfluß auf die Empfindung aus, welche der Anblick der Frau Bonacieux hervorgebracht hatte, und das Interesse war diesem Liebesanfang, der Folge dieses Anblicks, beinahe fremd geblieben; wir sagen beinahe, denn der Gedanke, daß eine schöne, anmuthige, geistreiche junge Frau zu gleicher Zeit reich ist, benimmt diesem Liebesanfang durchaus nichts, sondern verstärkt ihn vielmehr. Es gibt bei der Wohlhabenheit eine Menge von aristokratischen Launen und Bedürfnissen, die der Schönheit sehr gut stehen. Ein feiner weißer Strumpf, ein seidenes Kleid, ein Spitzenbesatz, ein schöner Schuh am Fuß, ein frisches Band auf dem Kopfe machen eine häßliche Frau nicht hübsch, aber eine hübsche Frau schön, abgesehen von den Händen, die bei Allem dem gewinnen. Die Hände müssen bei den Frauen müßig bleiben, um schön zu bleiben
Dann war d'Artagnan, wie der Leser wohl weiß, da wir ihm seinen Vermögensstand nicht verborgen haben, kein Millionär; er hoffte, es eines Tags zu werden, aber die Zeit, die er selbst für diese glückliche Veränderung der Dinge feststellte, war ziemlich weit entfernt. Bis dahin, welche Verzweiflung, eine Frau die tausenderlei Kleinigkeiten verlangen zu sehen, die das Glück der Frauen bilden, und ihr eben diese tausenderlei Kleinigkeiten nicht geben zu können! Wenn die Frau reich ist und der Liebhaber nicht, so gibt sie sich selbst, was ihr der Liebhaber nicht bieten kann, und obgleich sie sich diesen Genuß gewöhnlich mit dem Gelde ihres Mannes verschafft, so fließt doch ihr Dank sehr selten diesem zu.
Geneigt, der zärtlichste Liebhaber zu sein, war d'Artagnan mittlerweile der ergebenste Freund. Mitten unter den verliebten Entwürfen auf die Frau des Krämers, vergaß er die seinigen nicht; die hübsche Bonacieux war ganz die Frau, die man auf der Ebene St. Denis oder auf dem Markte St. Germain spazieren führen konnte, in Gesellschaft von Athos, Porthos und Aramis, denen er eine solche Eroberung mit Stolz zeigen würde. Wenn man lang gegangen ist, stellt sich der Hunger ein; dies hatte d'Artagnan seit ewiger Zeit bemerkt. Man konnte da jene kleinen Diners einnehmen, wobei man auf der einen Seite die Hand eines Freundes und auf der andern den Fuß einer Geliebten berührt. Und dann konnte d'Artagnan in dringlichen Augenblicken und peinlichen Lagen der Retter seiner Freunde werden.
Herr Bonacieux aber, den d'Artagnan in die Hände der Sbirren gestoßen, den er laut verläugnet und dem er ganz leise Rettung versprochen hatte? Wir müssen unsern Lesern gestehen, daß d'Artagnan auf keine Weise hieran dachte, oder daß er, wenn er auch daran dachte, sich höchstens sagte, der Mann sei ganz gut da, wo er sich befinde, wo dies auch sein möchte. Für den Augenblick wollen wir es machen, wie der verliebte Gascogner; wir kommen jedoch später auf den würdigen Krämer zurück.
Während d'Artagnan seine zukünftige Liebe überdachte, mit der Nacht sprach und den Sternen zulächelte, ging er die Rue Cherche-Midi oder Chasse-Midi, wie man sie damals nannte, hinauf. Da er sich in dem Quartier von Aramis befand, so kam ihm der Gedanke, seinem Freund einen Besuch zu machen und ihm die Gründe auseinanderzusetzen, die ihn bewogen hatten, denselben durch Planchet zu einem augenblicklichen Besuch in der Mausfalle auffordern zu lassen. Wäre Aramis zu Hause gefunden worden, so würde er ohne Zweifel nach der Rue des Fossoyers gelaufen sein und dort Niemand als seine zwei Kameraden gefunden haben, welche eben so wenig, wie er selbst gewußt hätten, was dies bedeuten sollte. Diese Störung verdiente wohl aufgeklärt zu werden; das war es, was sich d'Artagnan ganz laut sagte.
Ganz leise dachte er, es sei für ihn eine Gelegenheit, von der hübschen, kleinen Bonacieux zu sprechen, welche seinen Geist, wenn auch nicht sein Herz, bereits gänzlich erfüllt hatte. Bei einer ersten Liebe darf man keine Discretion fordern; diese erste Liebe ist von so großer Freude begleitet, daß sie ausströmen muß, wenn sie uns nicht ersticken soll.
Paris war seit zwei Stunden düster und fing an, öde zu werden. Es schlug elf Uhr auf allen Glockentürmen des Faubourg St. Germain. Das Wetter war mild. D'Artagnan ging eine Gasse entlang, welche auf der Stelle lag, wo sich jetzt die Rue d'Assas hinzieht. Er athmete die balsamischen Ausdünstungen ein, welche der Wind aus der Rue de Vaugirard und den daran anstoßenden, vom Abendthau erfrischten Gärten herübertrug. Aus der Ferne tönte das durch gute Fensterläden etwas gedämpfte Geräusch der auf der Ebene zerstreuten Schenken. Am Ende der Gasse angelangt, wandte sich d'Artagnan nach links. Das von Aramis bewohnte Haus lag zwischen der Rue Cassette und der Rue Servandoni. D'Artagnan hatte bereits die Rue Cassette durchschritten und erkannte die Hausthüre seines Freundes, welche unter Sykomoren und Rebwinden vergraben war, die über derselben einen schweren Wulst bildeten, als er etwas wie einen Schatten erblickte, der aus der Rue Servandoni hervorkam. Dieses Etwas war in einen Mantel gehüllt und d'Artagnan hielt es Anfangs für einen Mann. Aber an der Feinheit des Wuchses und der Unsicherheit des Ganges erkannte er bald, daß es eine Frau war. Diese Frau schlug, als wäre sie ungewiß über das Haus, das sie suchte, die Augen auf, um sich zu orientieren, blieb stille stehen, kehrte sich um, ging einige Schritte rückwärts und wieder vorwärts. Das reizte die Neugierde d'Artagnan's.
«Wenn ich ihr meine Dienste anböte, «dachte er;»an ihrem Wesen erkennt man, daß sie jung ist; vielleicht ist sie auch hübsch. Oh! ja. Aber eine Frau, welche um diese Zeit in den Straßen umherläuft, sucht in der Regel nichts Anderes, als ihren Liebhaber. Pest! Rendezvous zu stören, wäre eine schlimme Einleitung zu meinem Liebeshandel!«
Die junge Frau ging indessen immer vorwärts, und zählte die Häuser und Fenster. Das war übrigens weder schwierig noch langwierig. Es gab in diesem Theil der Straße nur drei Hotels und zwei Fenster, welche auf die Straße gingen. Das eine war das eines Pavillons, welcher mit der Wohnung von Aramis parallel lag, das andere das von Aramis selbst.
«Bei Gott, «sprach d'Artagnan, dem die Nichte des Theologen einfiel, zu sich selbst,»bei Gott es wäre drollig, wenn diese verspätete Taube das Haus unseres Freundes aufsuchte. Aber, bei meiner Seele, es sieht so aus. Ah, mein lieber Aramis, diesmal wollen wir Dir auf die Sprünge kommen.«
D'Artagnan machte sich so schmal als möglich und verbarg sich auf der dunkelsten Seite der Straße bei einer steinernen Bank, welche im Hintergrund einer Nische stand.
Die junge Frau schritt immer vorwärts; abgesehen von dem leichten Gang, der sie verrathen hatte, ließ sie ein leichtes Husten vernehmen, das eine äußerst frische Stimme offenbarte. D'Artagnan hielt es für ein Signal. Aber ob nun das Husten durch em gleichbedeutendes Zeichen erwiedert wurde, das der Unentschlossenheit der nächtlichen Sucherin ein Ende machte, oder ob sie ohne fremde Hülfe erkannt hatte, daß sie am Ziele ihrer Wanderung angelangt war, — sie näherte sich entschlossen dem Fensterladen von Aramis und klopfte dreimal in gleichen Zwischenräumen mit gekrümmtem Finger daran.
«Das ist allerdings bei Aramis, «murmelte d'Artagnan.»Ah, mein Herr Heuchler, ich ertappe Euch bei den theologischen Studien!«
Die Unbekannte hatte kaum dreimal geklopft, als der innere Kreuzstock sich öffnete und ein Licht durch den Laden sichtbar wurde.
«Ah, ah!«flüsterte der Horcher,»nicht durch die Thüren, sondern durch die Fenster, ah, ah! der Besuch war erwartet. Schön! der Laden wird sich öffnen und die Dame einsteigen. Sehr gut!«
Aber zum großen Erstaunen d'Artagnans blieb der Laden geschlossen, das Licht, welches einen Augenblick geflammt hatte, verschwand wieder, und Alles versank abermals in die frühere Dunkelheit.
D'Artagnan dachte, dies könne nicht lange so dauern, und horchte und schaute mit gespannten Ohren und weit geöffneten Augen. Er hatte Recht. Nach Verlauf einiger Sekunden ertönten zwei dumpfe Schläge im Innern.
Die junge Frau auf der Straße antwortete durch ein einmaliges Klopfen und der Laden öffnete sich.
Man kann sich leicht denken, mit welcher Gier d'Artagnan schaute und horchte.
Zum Unglück hatte man das Licht in ein anderes Zimmer gebracht. Aber die Augen des jungen Mannes waren an die Nacht gewöhnt. Ueberdieß haben die Augen der Gascogner, wie man versichert, die Eigenschaft, daß sie, wie die Katzen, in der Finsterniß sehen.
D'Artagnan bemerkte also, wie die junge Frau aus ihrer Tasche einen weißen Gegenstand herausholte, den sie lebhaft auseinanderwickelte, und der sodann die Gestalt eines Sacktuches annahm. Sobald dieser Gegenstand entwickelt war, zeigte sie der Person im Hause eine Ecke desselben.
Dies erinnerte d'Artagnan an das Taschentuch, das er zu den Füßen der Frau Bonacieux gefunden, und welches ihn an das zu den Füßen von Aramis gefundene erinnert hatte.
«Was Teufel konnte denn dieses Taschentuch bedeuten?«
Auf der Stelle, wo er stand, vermochte d'Artagnan das Gesicht von Aramis nicht zu sehen. Wir sagen, von Aramis, weil d'Artagnan nicht im Geringsten zweifelte, daß sein Freund es sei, der von innen mit der Dame außen sprach. Die Neugierde trug den Sieg über die Klugheit davon, und den Umstand benutzend, daß die zwei Personen, welche wir in Scene gesetzt haben, ganz von der Aufmerksamkeit gefesselt zu sein schienen, die sie dem Anblick des Taschentuchs widmeten, verließ er sein Versteck und drückte sich, rasch wie ein Blitz, aber mit gedämpften Tritten, an eine Mauerecke, von wo aus sein Auge vollkommen in's Innere von Aramis Wohnung dringen konnte.
Hier angelangt, stieß d'Artagnan beinahe einen Schrei des Erstaunens aus. Nicht Aramis sprach mit dem nächtlichen Besuche, sondern eine Frau. D'Artagnan sah wohl genug, um die Form ihrer Kleidung zu erkennen, aber nicht genug, um ihre Züge zu unterscheiden.
In demselben Augenblick zog die Frau in der Wohnung ein zweites Taschentuch hervor, und vertauschte es mit dem, welches man ihr gezeigt hatte. Dann wurden einige Worte zwischen den zwei Frauen gewechselt, der Laden verschloß sich wieder, die Frau, welche sich außen befand, wandte sich um und ging auf vier Schritte, die Kappe ihres Mantels niederschlagend, an d'Artagnan vorüber; aber letztere Vorsichtsmaßregel war zu spät genommen worden, d'Artagnan hatte bereits Frau Bonacieux erkannt.
Frau Bonacieux! Dieser Verdacht hatte sich schon in seinem Geiste geregt, als sie das Taschentuch hervorzog; aber welche Wahrscheinlichkeit war vorhanden, daß Frau Bonacieux, die nach Herrn de la Porte geschickt hatte, um sich nach dem Louvre zurückführen zu lassen, allein um halb zwölf Uhr in der Nacht, auf die Gefahr, abermals verhaftet zu werden, in den Straßen umhergehen würde?
Es mußte also eine sehr wichtige Angelegenheit im Spiele sein, und was für wichtige Angelegenheiten gibt es für eine Frau von fünfundzwanzig Jahren? Die Liebe.
Aber setzte sie sich für eigene Rechnung oder für Rechnung einer andern Person solchen Zufällen aus? Das war es, was sich der junge Mann selbst fragte; denn der Dämon der Eifersucht nagte nicht mehr und nicht minder an seinem Herzen, als wenn er bereits ein in volles Recht eingesetzter Liebhaber gewesen wäre.
Es gab übrigens ein sehr einfaches Mittel, sich zu überzeugen, wohin Frau Bonacieux ging. Er brauchte ihr nur zu folgen, und dieses Mittel war so einfach, daß d'Artagnan es ganz von selbst und instinktmäßig anwandte.
Aber bei dem Anblick des jungen Mannes, der von der Mauer hervortrat, wie eine Statue aus ihrer Nische, und bei dem Geräusch der Tritte, die sie hinter sich erdröhnen hörte, stieß Frau Bonacieux einen kurzen Schrei aus und entfloh.
D'Artagnan lief ihr nach. Es wurde ihm nicht schwer, eine Frau zu erreichen, die durch ihren Mantel im Laufe gehemmt wurde. Er hatte sie also schon innerhalb des ersten Drittels der Straße eingeholt, in die sie sich flüchtete. Die Unglückliche war erschöpft, nicht vor Ermüdung, sondern vor Schrecken, und als ihr d'Artagnan die Hand auf die Schulter legte, stürzte sie auf die Kniee und schrie mit erschreckter Stimme:
«Tödtet mich, wenn Ihr wollt, aber Ihr sollt nichts erfahren.«
D'Artagnan schlang seinen Arm um ihren Leib und hob sie auf. Da er aber an ihrem Gewichte bemerkte, daß sie einer Ohnmacht nahe war, so beeilte er sich, sie durch Betheuerungen seiner Ergebenheit zu beruhigen. Diese Betheuerungen galten der Frau Bonacieux Nichts, denn man kann solche mit den schlimmsten Absichten der Welt geben, aber die Stimme war Alles. Die junge Frau glaubte den Klang dieser Stimme zu erkennen; sie öffnete die Augen, warf einen Blick auf den Mann, der ihr so bange gemacht hatte, erkannte d'Artagnan und stieß einen Freudenschrei aus.
«Ah, Ihr seid's, Ihr seid's, «sprach sie,»Gott sei gelobt!«—»Ja, ich bin's, «erwiederte d'Artagnan,»Gott hat mich gesandt, über Euch zu wachen.«—»Seid Ihr mir in dieser Absicht gefolgt?«fragte mit kokettem Lächeln die junge Frau, deren etwas spöttischer Charakter wieder die Oberhand gewann, und deren Furcht gänzlich verschwunden war, seit sie in dem vermeintlichen Feind einen Freund erkannt hatte. — »Nein, «sprach d'Artagnan,»nein, ich gestehe es, der Zufall hat mich Euch in den Weg geführt. Ich sah eine Frau an das Fenster eines meiner Freunde klopfen.«—»Eines Eurer Freunde?«unterbrach ihn Frau Bonacieux. — »Allerdings; Aramis ist einer meiner besten Freunde.«—»Aramis? wer ist dies?«—»Geht doch! wollt Ihr etwa behaupten, Ihr kennet Aramis nicht?«—»Ich höre zum ersten Mal seinen Namen aussprechen.«—»Ihr kommt also auch zum ersten Mal an dieses Haus?«—»Allerdings!«—»Und Ihr wußtet nicht, daß es von einem jungen Menschen bewohnt war?«—»Nein.«—»Von einem Musketier?«—»Keineswegs.«—»Ihr habt also nicht ihn aufgesucht?«—»Durchaus nicht. Ueberdieß habt Ihr wohl gesehen, daß die Person, mit der ich sprach, eine Frau war.«—»Allerdings; aber diese Frau gehört wohl zu den Freundinnen von Aramis?«—»Ich weiß es nicht.«—»Da sie bei ihm wohnt.«—»Das geht mich nichts an.«—»Aber wer ist sie denn?«—»Oh! das ist nicht mein Geheimniß.«—»Liebe Frau Bonacieux, Ihr seid reizend, aber zugleich die geheimnißvollste Frau…«—»Verliere ich dabei?«—»Nein, Ihr seid im Gegentheil anbetungswürdig.«—»Dann gebt mir den Arm.«—»Sehr gerne; und nun?…«—»Nun führt mich.«—»Wohin?«—»Wohin ich gehe.«—»Aber wohin geht Ihr?«—»Ihr werdet es sehen, da Ihr mich an der Thüre verlassen müßt.«—»Soll ich Euch erwarten?«—»Das wird unnöthig sein.«—»Ihr werdet also allein zurückkehren?«—»Vielleicht ja, vielleicht nein.«—»Aber wird die Person, die Euch sodann begleitet, ein Mann oder eine Frau sein?«—»Ich weiß es noch nicht.«—»Das werde ich wohl erfahren.«—»Wie dies?«—»Ich werde Euch erwarten, um Euch herauskommen zu sehen.«—»In diesem Falle adieu!«—»Wie so?«—»Ich bedarf Eurer nicht.«—»Aber Ihr erbatet Euch ja…«—»Die Hülfe eines Edelmannes und nicht die Überwachung eines Spions.«—»Das Wort ist etwas hart.«—»Wie nennt man diejenigen, welche den Leuten ungeheißen folgen?«—»Indiscrete.«—»Das Wort ist zu weich.«—»Nun, Madame, ich sehe wohl, daß man alles thun muß, was Ihr haben wollt.«—»Warum habt Ihr Euch des Verdienstes beraubt, es sogleich zu thun?«—»Gibt es nicht Menschen, welche zu bereuen wissen?«—»Ihr bereuet also ernstlich? — »Ich weiß dies selbst nicht. Ich weiß nur so viel, daß ich Euch Alles zu thun verspreche, was Ihr haben wollt, wenn Ihr mich Euch bis dahin begleiten laßt, wohin Ihr geht.«—»Und Ihr verlaßt mich sodann?«—»Ja.«—»Ohne mich bei meinem Austritt zu bespähen?«—»Nein.«—»Auf Ehrenwort?«—»So wahr ich ein Edelmann bin!«—»Gebt mir Euren Arm und dann vorwärts!«
D'Artagnan bot seinen Arm der Frau Bonacieux, welche sich halb lachend, halb zitternd daran hing, und sie gewannen die Höhe der Rue de la Harpe. Hier angelangt, schien die junge Frau zu zögern, wie sie dies bereits in der Rue de Vaugirard gethan hatte. Aber sie erkannte wohl an gewissen Zeichen die Thüre, näherte sich dieser und sprach:
«Nun, mein Herr, hier habe ich Geschäfte. Ich danke Euch tausendmal für das ehrenvolle Geleite, das mich vor allen Gefahren beschützt hat; aber der Augenblick, Wort zu halten, ist gekommen. Ich bin am Orte meiner Bestimmung.«
«Und Ihr habt bei Eurer Rückkehr nichts mehr zu befürchten?«
«Ich habe nur die Diebe zu fürchten.«
«Ist das nichts?«»Was könnten sie mir nehmen? ich habe keinen Pfennig bei mir.«
«Ihr vergeßt das schön gestickte Taschentuch mit dem Wappen.«
«Welches?«
«Das, welches ich zu Euren Füßen gefunden und wieder in Eure Tasche gesteckt habe.«
«Schweigt, schweigt. Unglücklicher!«rief die junge Frau.»Wollt Ihr mich verderben?«
«Ihr seht, daß immer noch Gefahr für Euch vorhanden ist, da Euch ein einziges Wort zittern macht und Ihr eingesteht, daß Ihr verloren wäret, wenn man dieses Wort hören würde. Ah! Madame, «fuhr d'Artagnan fort, indem er ihre Hand ergriff und mit glühenden Blicken betrachtete,»seid edelmüthiger, vertraut Euch mir an; habt Ihr nicht in meinen Augen gelesen, daß in meinem Herzen nur Ergebenheit und Mitgefühl herrschen?«
«Allerdings, «antwortete Frau Bonacieux,»verlangt meine Geheimnisse von mir und ich werde sie Euch sagen; aber bei fremden Geheimnissen ist mir dies nicht möglich.«
«Gut, «sprach d'Artagnan,»ich werde sie zu entdecken wissen; da diese Geheimnisse Einfluß auf Euer Leben üben können, so müssen sie die meinigen werden.«
«Hütet Euch wohl, «rief die junge Frau mit einem Ernst, der d'Artagnan unwillkürlich beben machte.»Oh! mischt Euch auf keinerlei Weise in meine Angelegenheiten, sucht mich nicht in der Erfüllung meiner Aufgabe zu unterstützen, ich bitte Euch darum, bei der Theilnahme, die ich Euch einflöße, bei dem Dienste, den Ihr mir geleistet habt, und den ich in meinem ganzen Leben nicht vergessen werde. Glaubt vielmehr, was ich Euch sage. Beschäftigt Euch nicht mehr mit mir, ich sei für Euch gar nicht mehr vorhanden, es sei, als ob Ihr mich gar nicht gesehen hättet.«
«Muß Aramis dasselbe thun, wie ich?«fragte d'Artagnan gereizt.
«Ihr habt diesen Namen schon zwei- oder dreimal ausgesprochen, mein Herr, und ich sagte Euch doch, daß ich ihn nicht kenne.«
«Ihr kennt den Mann nicht, an dessen Laden Ihr geklopft habt? Ihr haltet mich doch für gar zu leichtgläubig, Madame!«»Gesteht, daß Ihr, um mich zum Sprechen zu veranlassen, diese Geschichte erfindet und diese Person schafft.«
«Ich erfinde nichts, ich schaffe nichts, Madame, ich sage die strenge Wahrheit.«
«Und Ihr behauptet, einer von Euren Freunden wohne in diesem Hause?«
«Ich behaupte und wiederhole es zum dritten Male, in diesem Hause wohnt mein Freund, und dieser Freund ist Aramis.«
«Alles das wird sich später erklären, für jetzt, mein Herr, schweigt.«
«Wenn Ihr mein Herz ganz unverhüllt sehen könntet, «sprach d'Artagnan,»so würdet Ihr darin so viel Neugierde lesen, daß Ihr Mitleid mit mir hättet, und so viel Liebe, daß Ihr sogleich eben diese Neugierde befriedigen würdet. Man hat von Liebenden nichts zu befürchten.«
«Ihr sprecht sehr rasch von Liebe, mein Herr, «sagte die junge Frau, den Kopf schüttelnd.
«Weil die Liebe mich rasch und zum ersten Male erfaßt hat, und weil ich noch nicht zwanzig Jahre alt bin.«
Die junge Frau schaute ihn verstohlen an.
«Hört, ich bin der Sache bereits auf der Spur, «versetzte d'Artagnan.»Vor drei Monaten hätte ich beinahe ein Duell mit Aramis wegen eines Taschentuchs gehabt, das ganz dem ähnlich ist, das Ihr der Frau, welche bei ihm war, gegen ein auf dieselbe Weise bezeichnetes Tuch vorwieset.«
«Mein Herr, «erwiederte die junge Frau,»ich schwöre Euch, Ihr ermüdet mich mit diesen Fragen.«
«Aber Ihr, die Ihr so klug seid, Madame, bedenkt doch: wenn man Euch verhaftete und dieses Taschentuch bei Euch fände, würdet Ihr hiedurch nicht gefährdet?«
«Warum denn, sind die Anfangsbuchstaben nicht die meinigen: C. B. Constance Bonacieux?«
«Oder Camille von Bois-Tracy.«
«Stille, mein Herr, stille! da die Gefahren, denen ich ausgesetzt bin, Euch nicht zurückhalten, so bedenkt, wie Ihr gefährdet seid.«»Ich?«
«Ja, Ihr, Eure Freiheit ist bedroht. Euer Leben steht auf dem Spiele, wenn Ihr mich kennt.«
«Dann verlasse ich Euch nicht mehr.«
«Mein Herr, «sprach die junge Frau flehend und die Hände faltend,»mein Herr, im Namen des Himmels, im Name der Ehre eines Militärs, im Namen der Ritterlichkeit eines Edelmannes, entfernt Euch; hört, es schlägt Mitternacht, es ist die Stunde, wo man mich erwartet.«
«Madame, «erwiederte der junge Mann sich verbeugend,»wenn man mich so bittet, kann ich nichts verweigern; seid ruhig, ich entferne mich.«
«Aber Ihr folgt mir nicht, Ihr bespäht mich nicht?«
«Ich gehe sogleich nach Hause.«
«Oh! ich wußte wohl, daß Ihr ein braver junger Mann seid!«rief Frau Bonacieux, indem sie ihm eine Hand reichte und die andere an den Klopfer einer beinahe in der Mauer verborgenen Thür legte.
D'Artagnan ergriff die Hand, die man ihm darbot, und bedeckte sie mit glühenden Küssen.
«Ach! ich wollte, ich hätte Euch nie gesehen, «rief d'Artagnan mit jener naiven Derbheit, welche die Frauen häufig den künstlichen Redensarten der Höflichkeit vorziehen, weil sie den Grund der Denkungsart enthüllt und zum Beweise dient, daß das Herz den Sieg über den Geist davon trägt.
«Nun!«erwiederte Frau Bonacieux, mit beinahe schmeichelndem Tone, und drückte dabei d'Artagnans Hand, welche die ihrige noch nicht losgelassen hatte,»nun! ich sage noch nicht so viel, wie Ihr: was für heute verloren ist, ist nicht für die Zukunft verloren. Wer weiß, ob ich nicht, wenn ich eines Tags entbunden bin. Eure Neugierde befriedige.«
«Und leistet Ihr meiner Liebe dasselbe Versprechen?«rief d'Artagnan in der höchsten Freude.
«Ah! von dieser Seite will ich mich zu nichts verpflichten, das hängt von den Gefühlen ab, die Ihr mir einzuflößen wissen werdet.«
«Also heute, Madame…«»Heute, mein Herr, stehe ich erst bei der Dankbarkeit!«
«Ah! Ihr seid zu reizend, «sprach d'Artagnan traurig,»und Ihr mißbraucht meine Liebe.«
«Nein, ich gebrauche Euern Edelmuth, das ist das Ganze. Aber glaubt mir, bei gewissen Menschen findet sich Alles wieder.«
«Oh! Ihr macht mich zum glücklichsten Sterblichen. Vergeßt diesen Abend nicht, gedenket dieses Versprechens.«
«Seid unbesorgt, zu geeigneter Zeit, an geeignetem Orte werde ich mich an Alles erinnern. Aber nun geht, geht in des Himmels Namen! Man erwartet mich auf den Schlag zwölf, und ich habe mich bereits verspätet.«
«Um fünf Minuten.«
«Ja, aber unter gewissen Umständen sind fünf Minuten fünf Jahrhunderte.«
«Wenn man liebt.«
«Ei! wer sagt Euch denn, daß ich es nicht mit einem Liebenden zu tun habe?«
«Ein Mann erwartet Euch, «rief d'Artagnan,»ein Mann?«
«Geht, soll der Streit schon wieder beginnen?«sprach Frau Bonacieux mit einem leichten Lächeln, das nicht ganz von Unruhe frei war.
«Nein, nein, ich gehe, ich gehe, ich entferne mich, ich glaube Euch, ich will das volle Verdienst meiner Ergebenheit haben, und wäre diese auch eine Albernheit. Gott befohlen, Madame! Gott befohlen!«
Und als fühlte er nicht die Kraft in sich, von der Hand, die er hielt, sich anders als durch ein gewaltsames Losreißen zu trennen, lief er rasch weg, während Frau Bonacieux, wie bei dem Fensterladen, dreimal langsam und in denselben Zwischenräumen klopfte; an der Ecke der Straße drehte er sich um; man hatte die Thüre geöffnet und wieder geschlossen. Die schöne Krämerin war verschwunden.
D'Artagnan setzte seinen Weg fort; er hatte sein Wort gegeben, Frau Bonacieux nicht zu beobachten, und hätte sein Leben von dem Orte, wohin sie ging, und von der Person, die sie begleiten sollte, abgehangen, d'Artagnan wäre nach Hause gegangen, weil er es zugejagt hatte. Nach fünf Minuten befand er sich in der Rue des Fossoyeurs.
«Armer Athos, «sprach er,»er wird nicht wissen, was dies heißen soll. Er ist ohne Zweifel, mich erwartend, eingeschlafen, oder nach Hause gegangen, und dort wird er erfahren haben, daß eine Frau in seine Wohnung gekommen ist. Eine Frau bei Athos. Uebrigens war auch eine bei Aramis, «fuhr d'Artagnan fort.»Das ist eine ganz seltsame Geschichte, und ich bin neugierig, wie das Alles enden wird.«
«Schlimm, gnädiger Herr, schlimm, «antwortete eine Stimme, an welcher der junge Mann Planchet erkannte, denn nach Art der Leute, welche ganz und gar von ihren Gedanken in Anspruch genommen sind, war er laut mit sich sprechend in den Gang gelangt, an dessen Hintergrund die Treppe lag, die nach seinem Zimmer führte.
«Wie so, schlimm? Was willst Du damit sagen, Dummkopf?«fragte d'Artagnan,»und was ist denn vorgefallen?«—»Alles mögliche Unglück.«—»Was denn?«—»Erstens hat man Athos verhaftet.«—»Verhaftet! Athos! verhaftet! Warum?«—»Man hat ihn in Eurer Wohnung gefunden und für Euch gehalten.«—»Und durch wen ist er verhaftet worden?«—»Durch die Wache, welche die schwarzen Menschen holen wollte, welche Ihr in die Flucht geschlagen habt.«—»Warum hat er nicht seinen Namen genannt? Warum hat er nicht gesagt, daß er gar nichts von dieser Angelegenheit wisse?«—»Er hat sich wohl gehütet, gnädiger Herr; er näherte sich mir im Gegentheil und sagte: ›Dein Herr bedarf seiner Freiheit in diesem Augenblick, ich nicht, da er Alles weiß und ich nichts. Man wird glauben, er sei verhaftet, und dadurch gewinnt er Zeit. In drei Tagen sage ich, wer ich bin, und dann muß man mich wohl gehen lassen.‹ —»Bravo, Athos! edles Herz, daran erkenne ich ihn, «murmelte d'Artagnan.»Und was thaten die Sbirren?«—»Vier haben ihn, ich weiß nicht wohin, nach der Bastille oder nach dem Fort-l'Evêque geführt, zwei sind mit den schwarzen Männern zurückgeblieben, welche alles durchsuchten und alle Papiere in Beschlag nahmen. Während dieser Expedition hielten die zwei letzten Wache vor der Thüre; sobald Alles zu Ende gebracht war, zogen sie ab und ließen das Haus leer und offen.«—»Und Porthos und Aramis?«—»Ich fand sie nicht, sie kamen nicht.«—»Aber sie können jeden Augenblick kommen, denn Du hast ihnen doch sagen lassen, daß ich sie erwarte?«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Gut, geh nicht von der Stelle; wenn sie kommen, sage ihnen, was mir begegnet ist, sie mögen mich in der Herberge zum Fichtenapfel erwarten; hier ist Gefahr, das Haus kann bespäht werden. Ich laufe zu Herrn von Treville, um ihm alles mitzuteilen, und kehre dann zu ihnen zurück.«—»Ganz wohl, gnädiger Herr, «sprach Planchet. — »Aber Du bleibst. Du hast keine Furcht?«sagte d'Artagnan, noch einmal zurückkehrend, um seinem Diener Muth einzuschärfen. — »Seid ruhig, «erwiederte Planchet,»Ihr kennt mich noch nicht; ich bin muthig, wenn ich einmal anfange; ich brauche nur anzufangen; überdieß bin ich ein Picarde.«—»Abgemacht also, «sagte d'Artagnan:»Du läßt Dich eher tödten, als daß Du von deinem Posten weichst.«—»Ja, Herr, es gibt nichts, was ich nicht thun würde, um Euch meine Anhänglichkeit zu beweisen.«—»Gut, «sprach d'Artagnan zu sich selbst;»die Methode, welche ich bei diesem Burschen in Anwendung gebracht habe, scheint offenbar gut zu sein; ich werde bei Gelegenheit weiteren Gebrauch davon machen.«
Und mit der ganzen Geschwindigkeit seiner, durch die verschiedenen Märsche dieses Tages bereits etwas ermüdeten Beine lief d'Artagnan nach der Rue du Colombier.
Herr von Treville war nicht zu Hause; seine Compagnie hatte die Wache im Louvre; er war bei seiner Compagnie.
Man mußte nothwendig zu Herrn von Treville gelangen; es war sehr wichtig, ihn von allen Vorgängen in Kenntniß zu setzen. D'Artagnan beschloß, den Versuch zu machen, ob er in den Louvre könnte. Seine Uniform als Gardist von der Compagnie des Herrn des Essarts sollte ihm als Paß dienen.
Er ging also durch die Rue des Petits-Augustins hinab und an dem Quai hinauf, um den Pont Neuf zu erreichen. Einen Augenblick kam ihm der Gedanke, in der Fähre über den Fluß zu setzen; als er aber am Rande des Wassers stand, steckte er mechanisch die Hand in die Tasche und bemerkte, daß er kein Geld bei sich hatte, um den Fährmann zu bezahlen.
In dem Augenblick, wo er auf die Höhe der Rue Guenegaud gelangte, sah er aus der Rue Dauphine eine aus zwei Personen bestehende Gruppe hervorkommen, deren Erscheinung ihn sehr in Erstaunen setzte.
Die zwei Personen, welche die Gruppe bildeten, waren ein Mann und eine Frau.
Die Frau hatte die Gestalt der Frau Bonacieux, und der Mann war Aramis zum Täuschen ähnlich.
Die Frau trug überdies den schwarzen Mantel, dessen Umrisse d'Artagnan noch auf dem Laden der Rue Vaugirard und auf der Thüre der Rue de la Harpe vor sich sah.
Noch mehr, der Mann trug die Musketier-Uniform.
Die Mantelkappe der Frau war vorgeschlagen; der Mann hielt ein Sacktuch vor sein Gesicht; beide hatten, wie diese Vorsicht bewies, ein Interesse dabei, nicht erkannt zu werden.
Sie schlugen den Weg nach der Brücke ein; es war auch d'Artagnans Weg, da sich dieser nach dem Louvre begab. D'Artagnan folgte ihnen. Kaum hatte er aber zwanzig Schritte gemacht, als er überzeugt war, daß diese Frau nur Frau Bonacieux, dieser Mann nur Aramis sein könne.
Sogleich regte sich der ganze Argwohn der Eifersucht in seinem bewegten Herzen.
Er glaubte sich doppelt verrathen: von seinem Freunde und von derjenigen, welche er bereits wie eine Geliebte liebte. Frau Bonacieux hatte ihm bei allen Göttern geschworen, sie kenne Aramis nicht, und eine Viertelstunde nach diesem Schwur findet er sie am Arme von Aramis.
D'Artagnan bedachte nicht einmal, daß er die hübsche Frau erst seit drei Stunden kannte, daß sie ihm zu nichts verpflichtet war, als zu einiger Dankbarkeit für ihre Errettung aus den Händen der schwarzen Männer, und daß sie ihm gar nichts versprochen hatte. Er betrachtete sie als einen beleidigten, verachteten, verspotteten Liebhaber, das Blut und der Zorn stiegen ihm ins Gesicht, und er beschloß, sich Aufklärung über alles zu verschaffen.
Die junge Frau und der junge Mann bemerkten, daß man ihnen folgte, und verdoppelten ihre Schritte.
D'Artagnan lief schneller, überholte sie und kehrte sich gegen sie in dem Augenblicke um, wo sie sich vor der Samaritaine befanden, welche durch eine Laterne beleuchtet wurde, die ihr Licht über diesen Theil der Brücke verbreitete.
D'Artagnan blieb vor ihnen stehen und sie standen vor ihm stille.
«Was wollt Ihr, mein Herr?«fragte der Musketier, einen Schritt zurückweichend und mit einer fremdartigen Betonung, woraus d'Artagnan ersah, daß er sich in einem Theil seiner Vermuthung getäuscht habe.
«Das ist nicht Aramis, «rief er.
«Nein, mein Herr, es ist nicht Aramis, und da ich aus Eurem Ausrufe erkenne, daß Ihr mich für einen Andern gehalten habt, so vergebe ich Euch.«
«Ihr vergebt mir!«rief d'Artagnan.
«Ja, «erwiederte der Unbekannte,»laßt mich meines Wegs ziehen, da Ihr mit mir nichts zu schaffen habt.«
«Ihr habt Recht, mein Herr, ich habe mit Euch nichts zu thun, wohl aber mit dieser Frau.«
«Mit dieser Frau! Ihr kennt sie nicht, «sprach der Fremde.
«Ihr täuscht Euch, Herr, ich kenne sie.«
«Ah!«sagte Frau Bonacieux mit einem Tone des Vorwurfs,»ah, mein Herr, ich hatte Euer Ehrenwort als Militär und Edelmann und glaubte darauf zählen zu dürfen.«
«Und Ihr, Madame, «erwiederte d'Artagnan verlegen,»Ihr habt mir versprochen…«
«Nehmet meinen Arm, Madame, «sprach der Fremde, und wir wollen weiter gehen.«
Betäubt, niedergebeugt, vernichtet durch Alles, was ihm begegnete, blieb d'Artagnan indessen mit gekreuzten Armen vor dem Musketier und Frau Bonacieux stehen.
Der Musketier trat zwei Schritte vorwärts und suchte d'Artagnan mit der Hand auf die Seite zu schieben.
D'Artagnan sprang zurück und zog seinen Degen.
Zu gleicher Zeit und mit Blitzesschnelligkeit zog der Unbekannte ebenfalls vom Leder.
«Im Namen des Himmels, Mylord, «rief Frau Bonacieux, sich zwischen die Kämpfenden werfend und nach dem Degen greifend.
«Mylord, «rief d'Artagnan, plötzlich durch einen Gedanken erleuchtet,»Mylord, um Vergebung. Gnädiger Herr, solltet Ihr es sein…«
«Mylord Herzog von Buckingham, «sagte Frau Bonacieux mit lauter Stimme,»und nun könnt Ihr uns Alle ins Verderben stürzen.«
«Mylord und Madame, ich bitte um Vergebung, tausendmal um Vergebung; aber ich liebe, Mylord, und war eifersüchtig, und Ihr wißt, was lieben heißt, Mylord. Vergebt mir und sagt mir, wie ich mich für Eure Herrlichkeit kann tödten lassen?«
«Ihr seid ein braver junger Mann, «sprach Buckingham und reichte d'Artagnan eine Hand, die dieser ehrfurchtsvoll drückte.»Ihr bietet mir Eure Dienste, ich nehme sie an; folgt mir auf zwanzig Schritte bis zum Louvre, und wenn uns Jemand verfolgt, so tödtet ihn.«
D'Artagnan nahm seinen bloßen Degen unter den Arm, ließ Frau Bonacieux und den Herzog zwanzig Schritte vorausgehen und folgte ihnen, bereit, die Anweisung des edlen und eleganten Ministers von Carl I. buchstäblich zu vollstrecken.
Glücklicherweise hatte der junge Mann keine Gelegenheit, dem Herzog diesen Beweis von Ergebenheit abzulegen, und die junge Frau und der hübsche Musketier erreichten die Pforte des Louvre an der Rue de l'Echelle, ohne beunruhigt zu werden.
D'Artagnan begab sich sogleich nach der Schenke zum Fichtenapfel, wo er Porthos und Aramis fand, die seiner harrten.
Er gab ihnen keine nähere Erklärung über die Störung, die er beiden verursacht hatte, sondern sagte nur, er habe die Angelegenheit, wobei er ihren Beistand einen Augenblick für nothwendig erachtet, allein abgemacht. Fortgerissen durch den Gang unserer Erzählung, wollen wir die drei Freunde nach Hause gehen lassen und dem Herzog mit seiner Führerin in die Gänge des Louvre folgen.
XII. George Villiers, Herzog von Buckingham
Frau Bonacieux und der Herzog gelangten ohne Mühe in den Louvre; von Frau Bonacieux war es bekannt, daß sie im Dienste der Königin stand. Der Herzog trug die Uniform der Musketiere des Herrn von Treville, welche an diesem Abend die Wache hatten. Ueberdies war Germain im Interesse der Königin, und wenn etwas vorfiel, so wäre Frau Bonacieux ganz einfach beschuldigt worden, sie habe ihren Liebhaber in den Louvre gebracht; sie nahm das Verbrechen auf sich: ihr Ruf war allerdings verloren, aber welchen Werth hat in der Welt der Ruf einer kleinen Krämerin!
Sobald der Herzog und die junge Frau sich im Innern des Hofes befanden, gingen sie ungefähr zwanzig Schritte an einer Mauer hin. Nachdem sie diesen Raum durchwandert hatten, stieß Frau Bonacieux an eine kleine Thüre, welche bei Tag offen, aber in der Nacht gewöhnlich geschlossen war. Die Thüre gab nach, Beide traten ein und befanden sich in der Dunkelheit; Frau Bonacieux kannte jedoch alle Winkel und Räume dieses für die Leute vom Gefolge bestimmten Theiles vom Louvre. Sie verschloß die Thüre hinter sich, nahm den Herzog bei der Hand, machte tastend einige Schritte, faßte ein Geländer, berührte mit dem Fuß eine Stufe und fing an eine Treppe hinaufzusteigen, wobei der Herzog zwei Stockwerke zählte. Dann wandte sie sich nach der rechten Seite, folgte einer langen Flur, stieg wieder ein Stockwerk hinab, machte noch einige Schritte, steckte einen Schlüssel in ein Schloß, öffnete eine Thüre, schob den Herzog in ein nur durch eine Nachtlampe beleuchtetes Zimmer und sagte zu ihm:»Bleibt hier, Mylord Herzog, man wird kommen!«Hierauf entfernte sie sich durch dieselbe Thüre, welche sie mit dem Schlüssel wieder verschloß, so daß sich der Herzog buchstäblich gefangen fand.
Obschon sich der Herzog von Buckingham von aller Welt abgeschnitten sah, so befiel ihn doch nicht die geringste Furcht; eine der hervorspringendsten Seiten seines Charakters bestand in der Aufsuchung von Abenteuern und in der Liebe zum Romantischen. Tapfer, kühn, unternehmend, war es nicht das erste Mal, daß er sein Leben in solchen Versuchen wagte; er hatte erfahren, daß die angebliche Botschaft von Anna von Oesterreich, im Vertrauen auf deren Inhalt er nach Paris kam, eine Falle war, und statt nach England zurückzukehren, hatte er die Lage, in die man ihn versetzt, mißbraucht und der Königin erklärt, er würde nicht zurückkehren, ohne sie gesehen zu haben. Die Königin hielt seinem Drängen Anfangs eine gänzliche Weigerung entgegen, später aber befürchtete sie, der Herzog könnte außer sich gerathen und eine Thorheit begehen. Schon war sie entschlossen, ihn zu empfangen und ihn zu bitten, er möge sogleich abreisen, als gerade an dem Abend dieser Entscheidung Frau Bonacieux, welche den Herzog zu suchen und nach dem Louvre zu führen beauftragt war, verhaftet wurde. Zwei Tage lang wußte man durchaus nicht, was aus ihr geworden war, und Alles blieb ausgesetzt. Aber sobald sie ihre Freiheit wieder erlangt und mit La Porte die Verbindung wiederhergestellt hatte, nahmen die Dinge wieder ihren Lauf, und sie erfüllte den gefahrvollen Auftrag, den sie ohne ihre Verhaftung drei Tage früher vollführt haben würde.
Als sich Buckingham allein sah, näherte er sich einem Spiegel. Die Musketierkleidung stand ihm vortrefflich. Damals ein Mann von fünf und dreißig Jahren, galt er mit Recht für den schönsten Baron und zierlichsten Cavalier von Frankreich und England. Der Liebling zweier Könige, im Besitze eines Vermögens von Millionen, allmächtig in einem Reiche, das er nach seiner Laune aufregte oder beruhigte, war George Villiers, Herzog von Buckingham, eine jener fabelhaften Existenzen, welche noch nach Jahrhunderten die Nachwelt in fortwährendes Erstaunen setzen. Seiner sicher, überzeugt von seiner Macht, gewiß, daß die Gesetze, welche Andere beherrschen, ihn nicht erreichen konnten, ging er gerade auf das Ziel los, das er sich gesteckt hatte, und war dasselbe auch so erhaben, so blendend, daß es für einen Andern eine Thorheit gewesen wäre, nur seinen Blick darauf zu werfen. So war es ihm gelungen, sich wiederholt der schönen und stolzen Anna von Oesterreich zu nähern und durch die Macht der Verblendung ihre Liebe zu gewinnen.
George Villiers stellte sich, wie gesagt, vor einen Spiegel und gab seinem schönen blonden Haare die Wellenlinien wieder, die das Gewicht seines Hutes niedergedrückt hatte, strich seinen Schnurrbart in die Höhe und lächelte, glücklich und stolz, dem so lange ersehnten Augenblick nahe zu sein, sich selbst in übermüthiger Hoffnung zu.
In diesem Augenblick öffnete sich eine verborgene Tapetenthüre und eine Dame erschien. Buckingham sah diese Erscheinung im Spiegel; er stieß einen Schrei aus, es war die Königin!
Anna von Oesterreich zählte damals sechs bis sieben und zwanzig Jahre, das heißt sie stand im vollen Glanze ihrer Schönheit. Ihr Gang war der einer Königin oder Göttin. Ihre Augen, welche Smaragdreflexe warfen, waren unendlich schön und zugleich voll Sanftmuth und Majestät. Ihr Mund war klein und frischroth, und obgleich ihre Unterlippe, wie bei allen Prinzen vom Hause Oesterreich, etwas vortrat, so war er doch äußerst anmuthig in seinem Lächeln, aber ungemein wegwerfend in der Geringschätzung. Ihre Haut war berühmt wegen ihrer sammetartigen Weichheit; ihre Hand und ihre außerordentlich reizenden Arme wurden von den Dichtern der Zeit als unvergleichlich besungen. Ihre Haare, welche in ihrer Jugend blond, nunmehr aber kastanienbraun geworden waren, umrahmten auf eine bewunderungswürdige Weise ihr Antlitz, dem der strengste Richter nur etwas weniger Röthe und der anspruchsvollste Bildhauer nur eine etwas feinere Nase hätte wünschen können.
Buckingham stand geblendet da; nie war ihm Anna von Oesterreich auf den Bällen, bei den Feten, bei den Carroussels so schön vorgekommen, als sie ihm in diesem Augenblick in ihrem einfachen weißen Seidenkleide erschien. Sie war begleitet von Donna Estefania, der einzigen von ihren spanischen Frauen, welche nicht durch die Eifersucht des Königs oder die Verfolgungen von Richelieu vertrieben worden war.
Anna von Oesterreich ging zwei Schritte vorwärts; Buckingham stürzte auf seine Kniee und küßte, ehe es die Königin verhindern konnte, den Saum ihres Kleides.
«Herzog, Ihr wißt bereits, daß ich Euch nicht habe schreiben lassen?«
«O ja, Madame, ja, Ew. Majestät. Ich weiß, daß ich ein Thor, ein Wahnsinniger gewesen bin, glauben zu können, der Schnee würde sich beleben, der Marmor erwärmen; aber was wollt Ihr? wenn man liebt, glaubt man leicht an die Liebe; überdies habe ich bei dieser Reise nicht Alles verloren, da ich Euch sehe.«
«Ja, «erwiederte Anna,»aber Ihr wißt, warum und wie ich Euch sehe, Mylord. Ich sehe Euch aus Mitleid für Euch selbst; ich sehe Euch, weil Ihr, unempfindlich für alle meine Qualen, hartnäckig in einer Stadt verweilt, wo Ihr Euer Leben wagt und meine Ehre bloßstellt. Ich sehe Euch, um Euch zu sagen, daß uns Alles trennt, die Tiefe des Meeres, die Zwistigkeiten der Königreiche, die Heiligkeit der Schwüre. Es ist ein wahrer Frevel, gegen so viele Dinge zu kämpfen, Mylord. Ich sehe Euch endlich, um Euch zu sagen, daß wir uns nicht mehr sehen dürfen.«
«Sprecht, Madame, sprecht, Königin, «erwiederte Buckingham,»die Sanftheit Eurer Stimme verhüllt die Härte Eurer Worte. Ihr sprecht von Frevel! aber der Frevel liegt in der Trennung von Herzen, welche Gott für einander geschaffen hatte.«
«Mylord!«rief die Königin,»Ihr vergeht, daß ich Euch nie gesagt habe, ich liebe Euch.«
«Aber Ihr habt mir auch nie gesagt, Ihr liebet mich nicht, und in der That, eine solche Aeußerung wäre von Seiten Eurer Majestät eine zu große Undankbarkeit. Denn sagt mir, wo würdet Ihr eine Liebe finden, die der meinigen gliche, eine Liebe, welche weder die Zeit, noch die Entfernung, noch die Verzweiflung zu ersticken vermögen; eine Liebe, die sich mit einem entfallenen Bande, einem verlorenen Blicke, einem entschlüpften Worte begnügt? Vor drei Jahren, Madame, habe ich Euch zum ersten Male gesehen, und seit drei Jahren liebe ich Euch auf diese Weise. Soll ich Euch sagen, wie Ihr gekleidet wäret, als ich Euch zum ersten Male sah, soll ich jedes Stück Eurer damaligen Toilette beschreiben? Ich sehe Euch noch vor mir: Ihr saßet nach spanischer Sitte, auf Polstern; Ihr hattet ein Kleid von grüner Seide mit Gold- und Silberstickerei, lange, an Euren schönen, Euren bewunderungswürdigen Armen mit großen Diamanten befestigte Aermel, eine geschlossene Krause, auf Eurem Haupt eine kleine Mütze von der Farbe Eures Kleides und auf dieser Mütze eine Reiherfeder. Oh! ich schließe die Augen und sehe Euch, wie Ihr damals waret. Ich öffne sie wieder, und sehe Euch, wie Ihr jetzt seid — noch hundertmal schöner!«
«Welche Thorheit!«murmelte Anna von Oesterreich, die nicht den Muth besaß, dem Herzog zu grollen, weil er ihr Porträt so gut in seinem Innern bewahrt hatte;»welche Thorheit, eine vergebliche Leidenschaft mit solchen Erinnerungen zu nähren!«
«Und wovon soll ich denn leben? ich habe nur Erinnerungen. Das ist mein Glück, mein Schatz, meine Hoffnung! So oft ich Euch sehe, finde ich einen Diamant mehr, den ich in dem Gefässe meines Herzens einschließe. Dieser ist der vierte, den Ihr fallen laßt und ich aufraffe; denn in drei Jahren, Madame, habe ich Euch nur vier Mal gesehen, das erste Mal, wie ich so eben gesagt, das zweite Mal bei Frau von Chevreuse, das dritte Mal in den Gärten von Amiens…«
«Herzog, «rief die Königin,»sprecht mir nicht von diesem Abend.«
«Oh, sprechen wir im Gegenteil davon, Madame, sprechen wir davon, es ist der schönste, leuchtendste Abend meines Lebens. Ihr erinnert Euch jener herrlichen Nacht! Wie schön und balsamisch war die Lust, wie war der Himmel so blau und mit Sternen bestreut. Ach! damals, Madame, konnte ich einen Augenblick mit Euch allein sein; damals wäret Ihr bereit, mir Alles mitzutheilen, die Einsamkeit Eures Lebens, den Kummer Eures Herzens. Ihr lehntet Euch auf meinen Arm, auf diesen hier. Als ich meinen Kopf nach Eurer Seite neigte, da streiften Eure schönen Haare mein Gesicht, und so oft sie es streiften, bebte ich vom Scheitel bis zu den Zehen. Oh! Königin! Königin! Oh! Ihr wißt nicht Alles, was ein solcher Augenblick an himmlischen, paradiesischen Freuden in sich schließt. Meine Güter, mein Vermögen, meinen Ruhm, mein ganzes übriges Leben würde ich für einen solchen Augenblick und für eine solche Nacht hingeben: denn in dieser Nacht, Madame, in dieser Nacht liebtet Ihr mich, das schwöre ich Euch.«
«Mylord, ja, es ist möglich, daß der Einfluß des Ortes, der Zauber jener schönen Nacht, das Blendwerk Eures Blickes, daß die tausend Umstände, welche sich zuweilen vereinigen, um eine Frau ins Verderben zu stürzen, sich in diesem unseligen Augenblick um mich gruppirt haben; aber Ihr mußtet wahrnehmen, Mylord, daß die Königin der schwach werdenden Frau zu Hülfe kam: bei dem ersten Wort, das Ihr zu sagen wagtet, bei der ersten Kühnheit, auf die ich zu antworten hatte, rief ich die Hülfe herbei.«
«Oh! ja, ja, das ist wahr, und eine andere Liebe, als die meinige, wäre dieser Prüfung unterlegen. Aber meine Liebe ist nur noch glühender und beständiger daraus hervorgegangen. Ihr glaubtet mich zu fliehen, indem Ihr nach Paris zurückkehrtet, Ihr glaubtet, ich würde es nicht wagen, den Schatz zu verlassen, dessen Bewachung mein Herr mir übertragen hatte. Ach! was liegt mir an allen Schätzen der Welt und an allen Königen der Erde! Nach acht Tagen war ich zurückgekehrt, Madame. Diesmal hattet Ihr mir nichts zu sagen. Ich hatts meine Gnade, mein Leben eingesetzt, um Euch zum zweiten Mal zu sehen. Ich berührte nicht einmal Eure Hand und Ihr vergabt mir, als Ihr mich so unterwürfig, so reumüthig erblicktet.«
«Ja, aber die Verleumdung hat sich aller dieser Thorheiten bemächtigt, an denen ich, wie Ihr wohl wißt, nicht im Geringsten schuldig war. Der König hat, durch den Kardinal aufgereizt, ein furchtbares Geschrei erhoben; Frau von Verne wurde fortgejagt, Putange verbrannt, Frau von Chevreuse fiel in Ungnade, und als Ihr als Botschafter nach Frankreich zurückkehren wolltet, widersetzte sich der König selbst, Mylord, wie Ihr Euch wohl erinnern werdet.«
«Ja, und Frankreich wird die Weigerung seines Königs mit einem Kriege bezahlen. Ich kann Euch nicht mehr sehen, Madame, wohl! Ihr sollt jeden Tag von mir sprechen hören. Welchen Zweck glaubt Ihr wohl, daß diese Expedition von Re und das von mir beabsichtigte Bündniß mit den Protestanten von La Rochelle haben? Das Vergnügen, Euch zu sehen. Ich habe nicht die Hoffnung, mit gewaffneter Hand bis nach Paris vorzudringen das weiß ich wohl. Aber dieser Krieg kann einen Frieden herbeiführen; dieser Friede wird die Person eines Unterhändlers nöthig machen, und dieser Unterhändler werde ich sein. Man wird es nicht mehr wagen, mich zurückweisen, ich werde nach Paris zurückkommen, Euch sehen und einen Augenblick glücklich sein. Tausende von Menschen müssen allerdings mein Glück mit ihrem Leben bezahlen, aber was liegt mir daran, wenn ich nur Euch sehe? Alles dieß ist vielleicht thöricht, vielleicht wahnsinnig, aber sagt mir, welche Frau hat einen liebenderen Liebhaber, welche Königin einen glühenderen Diener?«
«Mylord! Mylord! Ihr beruft Euch zu Eurer Vertheidigung auf Dinge, welche Euch noch mehr anklagen. Mylord, alle diese Beweise von Liebe, die Ihr mir geben wollt, sind beinahe Verbrechen.«
«Weil Ihr mich nicht liebt, Madame; wenn Ihr mich liebtet, würdet Ihr alles das ganz anders ansehen; wenn Ihr mich liebtet, oh! es wäre zu viel Glück, ich würde närrisch werden. Ah! Frau von Chevreuse, von der Ihr so eben gesprochen habt, Frau von Chevreuse war minder grausam als Ihr. Holland liebte sie und sie erwiederte seine Liebe.«
«Frau von Chevreuse war nicht Königin, «murmelte Anna von Oesterreich, wider Willen durch den Ausdruck einer so innigen Liebe besiegt.
«Ihr würdet mich also lieben, wenn Ihr nicht Ihr wäret, Madame, Ihr würdet mich also lieben? Ich darf also glauben, daß Euch nur die Würde Eures Ranges so grausam gegen mich macht! Ich darf glauben, daß der arme Buckingham hätte hoffen dürfen wenn Ihr Frau von Chevreuse gewesen wäret? Dank, für die süßen Worte, oh! meine schöne Majestät! hundertfachen Dank!«
«Ei, Mylord, Ihr habt schlecht verstanden, falsch ausgelegt; ich wollte nicht sagen…«
«Stille, stille, «erwiederte der Herzog,»wenn ein Irrthum mich glücklich macht, so seid nicht so grausam, ihn mir zu benehmen. Ihr sagtet mir selbst, man habe mir eine Falle gelegt. Ich werde vielleicht mein Leben darin lassen; denn ich habe seltsamer Weise seit einiger Zeit Vorgefühle meines nahe bevorstehenden Todes. «Und der Herzog lächelte traurig, aber voll Grazie.
«Oh! mein Gott!«rief Anna von Oesterreich mit einem Ausdruck des Schreckens, welcher eine größere Theilnahme für den Herzog kundgab, als sie es gestehen wollte.
«Ich sage dies nicht, um Euch zu erschrecken, Madame. Nein, es ist sogar lächerlich, daß ich es Euch sage. Glaubt mir, dergleichen Träume beschäftigen mich durchaus nicht. Aber das Wort, das Ihr so eben zu mir gesprochen, die Hoffnung, die Ihr mir beinahe gegeben, wird Alles, sogar mein Leben bezahlt haben.«
«Auch ich, Herzog, «sprach Anna von Oesterreich,»auch ich habe Ahnungen und Träume. Ich sah Euch im Traume verwundet, blutend auf der Erde ausgestreckt.«
«Auf der linken Seite verwundet, nicht wahr, und zwar mit einem Messer?«unterbrach Buckingham die Königin.
«Ja, so ist es, Mylord, so ist es, auf der linken Seite mit einem Messer, wer konnte Euch sagen, daß mir dieses träumte? Ich habe es nur Gott in meinem Gebete anvertraut.«
«Ich verlange nicht mehr, und Ihr liebt mich, Madame, das ist gewiß.«
«Ich liebe Euch, ich?«
«Ja, Ihr. Würde Euch Gott dieselben Träume schicken, wie mir, wenn Ihr mich nicht liebtet? Hätten wir dieselben Ahnungen, wenn sich unser beiderseitiges Dasein nicht durch das Herz berührte? Ihr liebt mich, o Königin, und werdet mich beweinen.«
«Oh mein Gott! mein Gott!«rief Anna von Oesterreich,»das ist mehr, als ich ertragen kann. Geht, Herzog, ums Himmels, willen, geht, entfernt Euch! Ich weiß nicht, ob ich Euch liebe oder ob ich Euch nicht liebe; aber ich weiß nur so viel, daß ich nicht meineidig sein werde. Habt also Mitleid mit mir und geht. Oh! wenn Ihr in Frankreich getroffen würdet, wenn Ihr in Frankreich sterben müßtet, und ich könnte glauben. Eure Liebe für mich wäre die Ursache Eures Todes — ich wüßte mich nie mehr zu trösten: ich würde wahnsinnig. Geht also, geht, ich flehe Euch an.«
«Oh! wie schön seid Ihr so, wie liebe ich Euch!«sprach Buckingham.
«Entfernt Euch, geht, ich bitte Euch, und kommt später wieder; kommt als Botschafter, als Minister, kommt umgeben von Garden, die Euch vertheidigen, von Dienern, die Euch bewachen werden, und dann fürchte ich nicht mehr für Euer Leben und werde mich glücklich schätzen, Euch wieder zu sehen.«
«Oh! ist es wahr, was Ihr mir sagt?«
«Ja…«
«Nun wohl, ein Pfand Eurer Huld, einen Gegenstand, der von Euch kommt und mich daran erinnert, daß ich nicht träumte, irgend eine Sache, die Ihr getragen habt und die ich selbst tragen kann, einen Ring, ein Halsband, eine Kette.«
«Und geht Ihr gewiß, wenn ich Euch gebe, was Ihr von mir verlangt?«
«Ja, sogleich, ja.«
«Ihr verlaßt Frankreich? Ihr kehrt nach England zurück?«
«Ja, ich schwöre es.«
«Dann wartet einen Augenblick.«
Anna von Oesterreich ging in ihr Gemach zurück und kam beinahe in demselben Augenblick wieder heraus. Sie hielt in der Hand ein mit Gold incrustirtes Kistchen von Rosenholz.
«Hört, Mylord Herzog, hört, «sprach sie,»behaltet dies zur Erinnerung an mich.«
«Buckingham nahm das Kistchen und sank zum zweiten Male auf die Kniee.
«Ihr habt mir versprochen, abzureisen, «sprach die Königin.
«Und ich halte mein Wort, Eure Hand, Eure Hand, Madame, und ich reise.«
Anna reichte ihm die Hand, indem sie zugleich die Augen schloß und sich auf Estefania stützte, denn sie fühlte, daß ihre Kräfte zusammenbrachen.
Buckhingham drückte seine Lippen leidenschaftlich auf diese schöne Hand, stand dann auf und rief:
«Ehe sechs Monate vergehen, habe ich Euch wieder gesehen, wenn ich nicht todt bin, Madame, und sollte ich auch die ganze Welt umkehren.«
Seinem Versprechen getreu, stürzte er aus dem Zimmer.
Auf der Flur traf er Frau Bonacieux, die ihn erwartete und mit denselben Vorsichtsmaßregeln und mit demselben Glücke aus dem Louvre zurückführte.
XIII. Herr Bonacieux
Bei dieser ganzen Geschichte spielte eine Person mit, um die man sich, trotz ihrer bedenklichen Lage, nur wenig zu beunruhigen schien: diese Person war Herr Bonacieux, der ehrenwerthe Märtyrer politischer und verliebter Intriguen, die sich in dieser zugleich so ritterlichen und so galanten Epoche so gut mit einander vermengten.
Zum Glück erinnert sich der Leser, oder er erinnert sich auch nicht, daß wir ihn nicht aus dem Blick zu lassen versprochen haben.
Die Schergen, welche ihn verhaftet hatten, führten ihn geraden Wegs nach der Bastille, wo man ihn ganz zitternd an einem Zug Soldaten, welche ihre Musketen luden, vorübergehen ließ. Von hier in eine halb unterirdische Galerie gebracht, wurde er von Seiten derjenigen, welche ihn verhaftet hatten, der Gegenstand der gröbsten Beleidigungen, der größten Mißhandlungen. Die Sbirren sahen, daß sie es mit keinem Edelmann zu thun hatten, und behandelten ihn als einen armen Schlucker.
Nach Verlauf einer halben Stunde machte ein Gerichtsschreiber seinen Qualen, aber nicht seiner Unruhe ein Ende, indem er befahl, Herrn Bonacieux ins Verhörzimmer zu bringen. Gewöhnlich befragte man die Gefangenen in ihrem Zimmer, aber mit Herrn Bonacieux machte man nicht so viel Umstände.
Zwei Garden ergriffen den Krämer, ließen ihn durch einen Hof schreiten, sodann in eine Flur eintreten, wo drei Schildwachen standen, öffneten eine Thüre und stießen ihn in eine niedrige Stube, in der das ganze Geräthe aus einem Tische, einem Stuhl und einem Commissär bestand. Der Commissär saß auf dem Stuhle und schrieb auf dem Tisch. Die zwei Garden führten den Gefangenen vor den Tisch und entfernten sich auf ein Zeichen des Commissärs aus dem Bereich seiner Stimme. Der Commissär, welcher bis dahin seinen Kopf gesenkt gehalten hatte, erhob ihn nun, um zu sehen, mit wem er es zu thun hätte. Dieser Commissär war ein Mann von widerlicher Miene, mit spitziger Nase, gelben, hervorstehenden Backenknochen, kleinen, aber forschenden und lebhaften Augen, ein Mann, dessen Physiognomie eine Mischung von Marder und Fuchs zu sein schien. Sein von einem langen Halse getragenes Haupt trat, sich wiegend, aus seinem schwarzen Gewande beinahe mit derselben Bewegung hervor, die man bei der Schildkröte wahrnimmt, wenn sie den Kopf aus ihrer Schale herausstreckt.
Er fing damit an, daß er Herrn Bonacieux nach Namen und Vornamen, Alter und Domicil fragte. Der Angeklagte antwortete, er heiße Jacques Michel Bonacieux, sei einundfünfzig Jahre alt, Krämer, der sich vom Geschäfte zurückgezogen, und wohne in der Rue des Fossoyeurs, Nro. 11.
Statt mit dem Verhör fortzufahren, hielt ihm der Commissär nun eine lange Rede über die Gefahr, die ein unbedeutender Bürger laufe, wenn er sich in die öffentlichen Angelegenheiten mische. Diese Predigt verband er mit einer Erläuterung, worin er von der Macht und den Handlungen des Herrn Kardinals, dieses unvergleichlichen Ministers, dieses Besiegers früherer Minister, dieses Beispiels zukünftiger Minister sprach, von einer Macht und von Handlungen, denen Niemand ungestraft in den Weg trete.
Nach diesem zweiten Theil seiner Rede heftete er seinen Sperberblick auf den armen Bonacieux, und forderte ihn auf, den Ernst seiner Lage in Betracht zu ziehen.
Die Betrachtungen des Krämers waren alle angestellt. Er wünschte den Augenblick zum Teufel, wo Herr La Porte den Gedanken gehabt hatte, ihn mit seiner Pathin zu verheirathen, und mehr noch den Augenblick, wo eben diese Pathin in die Garderobe der Königin aufgenommen wurde.
Der Grundstoff im Charakter von Meister Bonacieux war verhärtete Selbstsucht, vermischt mit schmutzigem Geiz und gewürzt mit außerordentlicher Feigheit. Die Liebe, die ihm seine junge Frau eingeflößt hatte, war ein ganz secundäres Gefühl und konnte mit den aufgezählten Gefühlen nicht in die Schranken treten.
Herr Bonacieux überdachte sich in der That, was man ihm so eben gesagt hatte.
«Aber, mein Herr Commissär, «sprach er schüchtern,»glaubt mir, daß ich mehr als irgend ein Mensch das Verdienst der unvergleichlichen Eminenz, von der wir regiert zu werden die Ehre haben, kenne und zu schätzen weiß.«
«Wirklich?«fragte der Commissär mit etwas zweifelhafter Miene.»Aber wenn dem in der That so ist, wie kommt ihr in die Bastille?«
«Wie ich hieher komme, oder vielmehr, warum ich hier bin, «erwiederte Bonacieux,»das kann ich Euch unmöglich sagen, weil ich es selbst nicht weiß; aber sicherlich nicht, weil ich den Herrn Kardinal beleidigt habe, wenigstens nicht wissentlich.«
«Ihr müßt doch ein Verbrechen begangen haben, da Ihr hier des Hochverraths angeklagt seid.«
«Des Hochverraths!«rief Bonacieux erschrocken.»Des Hochverraths! wie sollte ein armer Krämer, der die Hugenotten haßt und die Spanier verabscheut, des Hochverraths angeklagt sein? Bedenkt doch, mein Herr, dies ist in der That rein unmöglich.«
«Herr Bonacieux, «sprach der Commissär, und schaute dabei den Angeklagten an, als ob seine kleinen Augen die Macht besäßen, in der Tiefe der Herzen zu lesen,»Herr Bonacieux, habt Ihr eine Frau?«
«Ja, mein Herr, «antwortete der Krämer, am ganzen Leibe zitternd, denn er fühlte, daß in diesem Punkte der böse Knoten der ganzen Angelegenheit liegen mußte;»das heißt, ich hatte eine.«
«Wie? Ihr hattet eine! Was habt Ihr gemacht, wenn Ihr sie nicht mehr besitzt?«
«Man hat sie mir entführt, mein Herr.«
«Man hat sie Euch entführt?«sprach der Commissär.»Ah!«
Bonacieux fühlte bei diesem Ah, daß sich die Angelegenheit immer mehr verwickelte.
«Man hat sie Euch entführt?«versetzte der Commissär;»und wißt Ihr, wer der Mann ist, der diesen Raub begangen hat?«
«Ich glaube. Ihn zu kennen.«
«Wer ist es?«
«Bedenkt, daß ich nichts behaupte, mein Herr Commissär, sondern nur vermuthe.«
«Wen habt Ihr im Verdacht? Antwortet offenherzig.«
Herr Bonacieux war in der größten Verlegenheit; sollte er Alles leugnen oder Alles sagen? Leugnete er Alles, so konnte man glauben, er wisse zu viel, um zu gestehen; sagte er Alles, so war dies ein Beweis von gutem Willen. Er entschloß sich, Alles zu sagen.
«Ich habe, «sprach er,»einen großen Mann von bräunlicher Gesichtsfarbe und stolzer Miene im Verdacht, der ganz aussieht, wie ein vornehmer Herr; er folgte uns wiederholt, wie es mir vorkam, wenn ich meine Frau vor der Pforte des Louvre erwartete, um sie nach Haus zu begleiten.«
Der Commissär schien sich etwas beunruhigt zu fühlen.
«Und sein Name?«sprach er.
«Ah, was seinen Namen betrifft, den weiß ich nicht. Aber wenn ich ihm je begegne, und wäre es unter tausend Menschen, werde ich ihn sogleich wieder erkennen, dafür stehe ich Euch.«
Die Stirne des Commissärs verfinsterte sich.
«Ihr werdet ihn unter tausend Menschen wieder erkennen, sagt Ihr?«fuhr er fort.
«Das heißt, erwiederte Bonacieux, welcher einsah, daß er einen falschen Weg eingeschlagen hatte,»das heißt…«
«Ihr habt mir geantwortet, Ihr würdet ihn wieder erkennen, «sprach der Commissär,»schon gut, das ist für heute genug. Ehe wir weiter gehen, muß Jemand davon in Kenntniß gesetzt werden, daß Ihr den Räuber Eurer Frau kennt.«
«Aber ich habe Euch nicht gesagt, ich kenne ihn!«rief Bonacieux in Verzweiflung.»Ich sagte Euch im Gegentheil…«
«Führt den Gefangenen ab, «sprach der Commissär zu den Wachen.
«Und wohin soll man ihn führen?«fragte der Gerichtsschreiber.
«In einen Kerker.«
«In welchen?«
«Oh, mein Gott! in den nächsten besten, wenn er nur fest ist, «erwiederte der Commissär mir einer Gleichgültigkeit, die den armen Bonacieux schaudern machte.
«Wehe, wehe!«sprach er zu sich selbst,»das Unglück lastet auf meinem Haupt; meine Frau wird ein furchtbares Verbrechen begangen haben; man hält mich für ihren Mitschuldigen und bestraft mich mit ihr. Sie wird gesprochen, sie wird eingestanden haben, ich sei mit Allem vertraut; eine Frau ist so schwach! Ein Kerker! der nächste beste! so geht es! eine Nacht ist bald vorüber, und dann morgen Galgen und Rad! Oh! mein Gott, mein Gott, erbarme Dich meiner!«
Ohne im Geringsten auf das Klagegeschrei des Meisters Bonacieux zu hören, ein Geschrei, woran sie übrigens gewöhnt sein mußten, nahmen die zwei Wachen den Gefangenen beim Arm und führten ihn weg, während der Commissär in Eile einen Brief schrieb, auf den der Gerichtschreiber wartete.
Bonacieux schloß kein Auge; nicht als ob sein Kerker zu abscheulich gewesen wäre, sondern weil seine Unruhe zu groß war. Er blieb die ganze Nacht auf seiner Bank, er zitterte bei dem geringsten Geräusche, und als die ersten Strahlen des Tages in seine Kammer drangen, kam es ihm vor, als hätte das Morgenroth eine Leichenfärbung angenommen.
Plötzlich hörte er die Riegel klirren und sprang erschrocken auf. Der Unglückliche glaubte, man komme, um ihn zu holen und nach dem Schaffot zu führen. Aber als er statt des erwarteten Henkers seinen Commissär und seinen Gerichtsschreiber vom vorigen Tage erscheinen sah, war er sehr geneigt, ihnen um den Hals zu fallen.
«Eure Angelegenheit hat sich seit gestern Abend sehr verwirrt, mein braver Mann, «sagte der Kommissär,»und ich rathe Euch, die Wahrheit unumwunden zu gestehen, denn nur Eure Reue vermag den Zorn des Kardinals zu beschwören.«
«Ich bin bereit. Alles zu sagen, «rief Bonacieux,»wenigstens Alles, was ich weiß. Fragt, ich bitte Euch.«
«Vor Allem: wo ist Eure Frau?«
«Ich sagte Euch doch, man habe sie mir entführt.«
«Ja, aber seit gestern Mittag um fünf Uhr ist sie durch Eure Hülfe entflohen.«
«Meine Frau ist entflohen?«rief Bonacieux.»Oh, die Unglückliche! Mein Herr, wenn sie entflohen ist, so bin ich nicht Schuld, ich schwöre es Euch.«
«Was hattet Ihr dann bei Herrn d'Artagnan, Eurem Nachbar zu thun, mit welchem Ihr an diesem Tag eine lange Konferenz hieltet?«
«Ach! ja, Herr Commissär, ja, das ist wahr, und ich gestehe, daß ich Unrecht hatte. Ja, ich bin bei Herrn d'Artagnan gewesen.«
«Und was war der Zweck Eures Besuches?«
«Ich wollte ihn bitten, mir meine Frau aufsuchen zu helfen. Ich glaubte mich berechtigt, sie zurückzufordern; aber ich täuschte mich, wie es scheint, und bitte um Vergebung.«
«Was antwortete Herr d'Artagnan?«
«Herr d'Artagnan hat mir seinen Beistand zugesagt; aber ich sah bald ein, daß er mich verrieth.«
«Ihr wollt der Justiz eine Lüge aufschwatzen! Herr d'Artagnan hat einen Vertrag mit Euch abgeschlossen, hat kraft dieses Vertrags die Polizei, welche Eure Frau verhafteten, in die Flucht gejagt, und alle Nachforschungen vereitelt.«
«Herr d'Artagnan hat meine Frau entführt? Ei, ei, was sagt Ihr mir da?«
«Zum Glück ist Herr d'Artagnan in unsern Händen und Ihr sollt ihm gegenüber gestellt werden.«
«Ah! meiner Treu, das ist mir ungemein lieb;«rief Bonacieux,»es soll mir gar nicht leid thun, ein bekanntes Gesicht zu sehen.«
«Laßt Herrn d'Artagnan eintreten, «sprach der Commissär zu den zwei Wachen.
Die Wachen ließen Athos eintreten.
«Herr d'Artagnan, «sprach der Commissär, sich an Athos wendend,»erklärt, was zwischen Euch und diesem Herrn vorgefallen ist.«
«Aber Ihr zeigt mir ja gar nicht d'Artagnan, «rief Bonacieux.
«Wie, das ist nicht d'Artagnan?«sprach der Commissär.
«Keineswegs, «antwortete Bonacieux.
«Wie heißt dieser Herr?«fragte der Commissär.
«Ich kann es Euch nicht sagen, ich kenne ihn nicht.«
«Wie, Ihr kennt ihn nicht?«
«Nein!«
«Ihr habt ihn nie gesehen?«
«Doch; aber ich weiß nicht, wie er heißt.«
«Euer Name?«fragte der Commissär.
«Athos«, antwortete der Musketier.
«Das ist kein Menschenname, sondern der Name eines Berges, «rief der arme Untersuchungsrichter, der den Kopf zu verlieren anfing.
«Es ist mein Name, «sprach Athos ruhig.
«Aber Ihr sagtet doch, Ihr hießet d'Artagnan?«
«Ich?«
«Ja, Ihr!«
«Man hat zu mir gesagt: Ihr seid Herr d'Artagnan? ich erwiederte: Ihr glaubt? Meine Wachen meinten, sie wüßten es gewiß; ich wollte ihnen nicht widersprechen; überdies konnte ich mich täuschen.«
«Mein Herr, Ihr beleidigt die Majestät der Justiz!«
«Durchaus nicht, «entgegnete Athos gelassen.
«Ihr seid Herr d'Artagnan?«
«Seht, Ihr sagt es mir noch einmal.«
«Nun ich sage Euch, mein Herr Commissär, «rief Bonacieux,»daß man hier keinen Augenblick zweifeln darf. Herr d'Artagnan wohnt in meinem Hause, und ich muß ihn folglich kennen, obgleich er mir meinen Miethzins nicht bezahlt, und gerade aus diesem Grunde. Herr d'Artagnan ist ein junger Mann von kaum neunzehn bis zwanzig Jahren, und dieser Herr ist gewiß dreißig Jahre alt. Herr d'Artagnan steht bei den Garden des Herrn des Essarts, und dieser Herr bei der Musketiercompagnie des Herrn von Treville. Schaut die Uniform an, mein Herr Commissär, schaut die Uniform an.«
«Es ist wahr, «murmelte der Commissär,»es ist bei Gott wahr!«
In diesem Augenblicke wurde die Thüre rasch geöffnet, und ein von einem Gefangenenwärter der Bastille eingeführter Bote übergab dem Commissär einen Brief.
«Oh! die Unglückliche!«rief der Commissär.
«Wie? was sagt Ihr? von wem sprecht Ihr? Hoffentlich nicht von meiner Frau?«
«Im Gegentheil gerade von ihr. Eure Angelegenheit steht ganz schön!«
«Ah, «rief der Krämer in Verzweiflung,»macht mir das Vergnügen und sagt mir, wie sich meine Angelegenheit durch das verschlimmern kann, was meine Frau thut, während ich im Gefängniß sitze.«
«Weil das, was sie thut, die Folge eines unter Euch abgekarteten höllischen Planes ist.«
«Ich schwöre Euch, Herr Commissär, daß Ihr in einem gewaltigen Irrthume befangen seid; daß ich nicht das Mindeste von dem weiß, was meine Frau thun sollte; daß ich dem, was sie gesagt hat, völlig fremd bin, und daß ich sie, wenn sie Dummheiten begangen hat, verleugne, verfluche.«
«Ei, «sprach Athos zu dem Commissär,»wenn Ihr mich hier nicht braucht, so schickt mich irgendwo hin. Dieser Herr Bonacieux ist ein sehr langweiliger Geselle.«
«Führt die Gefangenen in ihre Kerker zurück, «sprach der Commissär, mit derselben Geberde Athos und Bonacieux bezeichnend,»und man bewache sie mit der größten Strenge!«
«Wenn Ihr indessen mit Herrn d'Artagnan zu thun habt, «sagte Athos mit seiner gewöhnlichen Ruhe, «so sehe ich nicht ganz ein, warum ich seine Stelle vertreten soll.«
«Thut, was ich gesagt habe, «rief der Commissär,»und beobachtet das tiefste Stillschweigen, hört Ihr?«
Athos folgte den Wachen mit einem Achselzucken, und Herr Bonacieux mit einem Klagegeschrei, das einem Tiger hätte das Herz zerreißen mögen.
Man führte den Krämer in denselben Kerker, wo er die Nacht zugebracht hatte, und ließ ihn hier den ganzen Tag. Den ganzen Tag weinte Herr Bonacieux, wie ein wahrer Krämer, denn er war durchaus kein Mann vom Schwerte, wie er uns selbst gesagt hat.
Abends gegen neun Uhr, in dem Augenblick, wo er sich entschloß, zu Bette zu gehen, hörte er Tritte in der Hausflur. Diese Tritte näherten sich seinem Kerker, die Thüre wurde geöffnet, die Wachen erschienen.
«Folgt mir, «sagte ein Gefreiter, der hinter den Wachen ging.
«Euch folgen!«rief Bonacieux,»Euch folgen, zu dieser Stunde! und wohin denn, mein Gott?«
«Wohin wir Euch zu führen den Befehl haben.«
«Aber das ist keine Antwort.«
«Es ist die einzige, die wir Euch geben können.«
«Ach! mein Gott, mein Gott, «murmelte der arme Krämer,»diesmal bin ich verloren.«
Und er folgte maschinenmäßig ohne Widerstand den Wachen, die ihn holten. Er ging durch dieselbe Flur, durch die er bereits gegangen war, durchschritt einen ersten Hof und dann ein zweites Hauptgebäude. Vor dem Thore des Einfahrthofes fand er einen von vier Reitern umgebenen Wagen. Man ließ ihn in diesen Wagen einsteigen, der Gefreite setzte sich neben ihn. Man verschloß den Kutschenschlag mit einem Schlüssel, und Beide befanden sich in einem fahrenden Gefängnisse.
Das Gefährt setzte sich langsam wie ein Leichenwagen in Bewegung. Durch das geschlossene Gitter gewahrte der Gefangene die Häuser und das Pflaster, mehr nicht. Aber als wahrer Pariser erkannte Bonacieux jede Straße an den Ecksteinen, an den Schilden, an den Laternen. Als sie zu St. Paul gelangten, wo man die Verurtheilten der Bastille hinrichtete, war er einer Ohnmacht nahe und bekreuzte sich zweimal. Er glaubte, der Wagen würde hier halten, aber er ging weiter. Später erfaßte ihn abermals ein gewaltiger Schrecken, als er an dem Kirchhof St. Jean vorüberfuhr, wo man die Staatsverbrecher beerdigte. Ein einziger Umstand beruhigte ihn einigermaßen, nämlich daß man ihnen vor der Einscharrung gewöhnlich den Kopf abschnitt, und sein Kopf saß noch auf seinen Schultern. Als er aber sah, daß der Wagen die Straße nach der Grève einschlug, als er die spitzigen Dächer des Stadthauses bemerkte und wahrnahm, daß man unter der Arcade einbog, da glaubte er, jetzt sei Alles aus. Er wollte dem Gefreiten beichten; da ihm dieser aber alles Gehör verweigerte, so stieß er ein so erbarmungswürdiges Geschrei aus, daß ihm der Gefreite erklärte, wenn er nicht aufhöre, ihm die Ohren voll zu schreien, so werde er ihm einen Knebel anlegen. Diese Drohung beruhigte Bonacieux einigermaßen. Wollte man ihn an der Grève hinrichten, so lohnte es sich nicht der Mühe, ihn zu knebeln, da man die Richtstätte beinahe erreicht hatte. Der Wagen fuhr in der That über den unseligen Ort hin, ohne anzuhalten. Jetzt war nichts mehr zu befürchten, als die Croix-du-Trahoir, und der Wagen nahm seinen Weg wirklich gerade in dieser Richtung.
Diesmal konnte man nicht mehr zweifeln. Auf der Croix-du-Trahoir wurden Verbrecher untergeordneten Ranges hingerichtet. Bonacieux hatte sich des St. Paul oder des Grève-Platzes würdig gehalten. An der Croix-du-Trahoir sollten sein Leben und sein Schicksal sich endigen! Er konnte das unglückliche Kreuz noch nicht sehen, aber er hatte ein Gefühl, als ob es ihm entgegen käme. Als nur noch etwa zwanzig Schritte zurückzulegen waren, hörte er ein Geräusch und der Wagen hielt stille. Das war mehr, als der arme, durch die rasch auf einander erfolgten Gemüthsbewegungen niedergeschmetterte Krämer zu ertragen vermachte. Er stieß einen schwachen Seufzer aus, den man für den letzten Athemzug eines Sterbenden hätte halten können, und sank in Ohnmacht.
XIV. Der Mann von Meung
Der Zusammenlauf fand nicht statt, weil man einen für den Galgen bestimmten Menschen erwartete, sondern er wurde durch die Anschauung eines Gehenkten veranlaßt. Einen Augenblick aufgehalten, fuhr der Wagen bald wieder weiter, setzte seinen Weg durch die Menge fort, gelangte in die Rue St. Honoré, wandte sich nach der Rue des Bons-Enfants und hielt vor einer niedern Pforte an.
Die Thüre öffnete sich; zwei Wachen nahmen Bonacieux, der von dem Gefreiten unterstützt wurde, in ihre Arme, und man stieß ihn in einen Gang, ließ ihn eine Treppe hinaufsteigen und setzte ihn in einem Vorzimmer nieder. Alle dese Bewegungen hatten sich für ihn maschinenmäßig bewerkstelligt. Er war gegangen, wie man im Traume geht; er hatte die Gegenstände in einem Nebel gesehen. Seine Ohren hatten Töne vernommen, ohne ihre Bedeutung zu verstehen. Man hätte ihn in diesem Augenblick hinrichten können, und er würde nicht die geringste Geberde zu seiner Vertheidigung unternommen, keinen Schrei ausgestoßen haben, um Mitleid zu erflehen.
Er blieb also, den Rücken an die Wand gelehnt und die Arme herabhängend, auf derselben Stelle der Bank sitzen, wo ihn die Wachen niedergesetzt hatten. Da er jedoch bei Umherschauen nichts Bedrohliches gewahr wurde, da nichts eine wirkliche Gefahr andeutete, da die Bank geziemend ausgepolstert und die Wand mit schönem Corduanleder tapeziert war, da prächtige rothe Damastvorhänge, vom Fenster herabwogten, so begriff er allmälig, daß seine Furcht übertrieben war, und er fing an, seinen Kopf nach rechts und links, und von unten nach oben zu bewegen. Durch diese Bewegung, der sich Niemand widersetzte, gewann er etwas Muth; er wagte es, zuerst ein Bein, dann das andere vorzuziehen; dann erhob er sich vorsichtig mit Hülfe seiner Hände auf seiner Bank und stand bald auf seinen Füßen.
In diesem Augenblicke öffnete ein hübscher Offizier einen Thürvorhang. Er wechselte noch ein paar Worte mit einer im anstoßenden Zimmer befindlichen Person, wandte sich sodann gegen den Gefangenen um und sagte:
«Seid Ihr Bonacieux?«
«Ja, mein Herr Offizier, «stammelte der Krämer, mehr todt als lebendig,»Euch zu dienen.«
«Tretet ein, «sagte der Offizier.
Und er trat auf die Seite, daß der Krämer durchgehen konnte. Dieser gehorchte ohne Erwiederung und trat in das Zimmer, wo man ihn zu erwarten schien.
Es war ein großes, an den Wänden mit Vertheidigungs- und Angriffswaffen geschmücktes, geschlossenes und lustloses Cabinet, in welchem bereits ein Feuer brannte, obgleich man erst am Ende des Monats September war. Ein viereckiger, mit Büchern und Papieren bedeckter Tisch, auf welchem ein ungeheurer Plan der Stadt Rochelle entrollt war, nahm die Mitte des Zimmers ein. Vor dem Kamin stand ein Mann von mittlerer Gestalt, stolzer, hochmütiger Miene, mit durchdringenden Augen, breiter Stirne und abgemagertem Gesichte, das durch Schnurr- und Knebelbart noch länger wurde. Obgleich er erst sechs- bis siebenunddreißig Jahre alt sein mochte, so fingen doch Haupthaare, Schnurrbart und Knebelbart an grau zu werden. Dieser Mann trug zwar keinen Degen, sah aber ganz wie ein Krieger aus, und seine büffelledernen, noch leicht mit Staub bedeckten Stiefel deuteten an, daß er im Verlauf des Tages geritten war.

Dieser Mann war Armand Jean Duplessis, Kardinal von Richelieu, nicht wie man ihn uns darstellt, hinfällig wie ein Greis, leidend wie ein Märtyrer, mit gebrochenem Körper, erloschener Stimme, in einem großen Lehnstuhl begraben, nur durch die Kraft seines Genies lebend und den Kampf mit Europa einzig und allein durch die ewige Thätigkeit seines Geistes aushaltend; sondern, so wie er in Wirklichkeit zu dieser Zeit war, das heißt ein galanter Kavalier von aufrechter Haltung, zwar schwach von Körper, aber unterstützt von jener moralischen Kraft, die ihn zu einem der außerordentlichsten Menschen machte, welche je gelebt haben; jetzt, nachdem er den Herzog von Revers in seinem Herzogthum Mantua aufrecht erhalten, nachdem er Nimes, Castres und Uzés genommen hatte, mit den Vorbereitungen beschäftigt, um die Engländer von der Insel Re zu vertreiben und La Rochelle zu belagern.
Beim ersten Anblick bezeichnete nichts den Kardinal, und diejenigen, welche sein Gesicht nicht kannten, konnten unmöglich errathen, vor wem sie sich befanden.
Der arme Krämer blieb vor der Thüre stehen, während die Augen der so eben beschriebenen Person auf ihn gerichtet waren, als wollten sie bis in die tiefste Tiefe seiner Gedanken dringen.
«Ist das Bonacieux?«fragte er nach kurzem Stillschweigen.
«Ja, Monseigneur, «antwortete der Offizier.
«Gut; gebt mir diese Papiere und laßt uns allein.«
Der Offizier nahm die bezeichneten Papiere vom Tisch, übergab sie, verbeugte sich zur Erde und trat ab.
Bonacieux erkannte in diesen Papieren das Verhör in der Bastille. Von Zeit zu Zeit schlug der Mann am Kamin die Augen von den Schriften auf und bohrte sie wie zwei Dolche dem armen Krämer in den Grund des Herzens.
Nachdem der Kardinal zwei Minuten gelesen und zwei Sekunden geprüft hatte, war er entschieden.
«Dieser Kopf da hat nicht conspirirt, «murmelte er,»doch gleich viel, sehen wir ein wenig nach.«
«Ihr seid des Hochverraths angeklagt, «sprach der Kardinal langsam.
«Das hat man mir bereits gesagt, Monseigneur, «rief Bonacieux, indem er dem Fragenden den Titel gab, welchen er von dem Offizier gehört hatte;»aber ich schwöre Euch, daß ich nichts davon wußte.«
Der Kardinal unterdrückte ein Lächeln.
«Ihr habt mit Eurer Frau, mit Frau von Chevreuse und mit Mylord Herzog von Buckingham conspirirt.«—»In der That, Monseigneur, «antwortete der Krämer,»ich habe sie alle diese Namen aussprechen hören.«—»Und bei welcher Veranlassung?«—»Sie sagte, der Kardinal von Richelieu habe den Herzog von Buckingham nach Paris gelockt, um ihn und die Königin mit ihm zu verderben.«—»Das sagte sie?«rief der Kardinal heftig. — »Ja, Monseigneur; aber ich erwiederte ihr, sie hätte Unrecht, solche Worte zu sprechen, und Seine Eminenz sei unfähig…«—»Schweigt! Ihr seid ein Dummkopf, «versetzte der Kardinal. — »Meine Frau hat mir gerade dasselbe geantwortet, gnädigster Herr.«—»Wißt Ihr, wer Eure Frau entführt hat?«—»Nein, Monseigneur!«—»Ihr habt jedoch Verdacht?«—»Ja, Monseigneur, aber dieser Verdacht schien dem Herrn Commissär ärgerlich zu sein und ich habe ihn nicht mehr.«—»Eure Frau ist entflohen; wußtet Ihr es?«—»Nein Monseigneur, ich habe es erst erfahren, seit ich im Gefängniß bin, und zwar einzig und allein durch die Vermittlung des Herrn Commissärs, eines sehr liebenswürdigen Mannes!«
Der Kardinal unterdrückte ein zweites Lächeln.
«Dann wißt Ihr also auch nicht, was aus Eurer Frau seit Ihrer Flucht geworden ist?«—»Durchaus nicht, Monseigneur; aber sie muß in den Louvre zurückgekommen sein.«—»Um ein Uhr Morgens war sie noch nicht zurückgekehrt.«—»Aber mein Gott, was ist dann aus ihr geworden?«—»Man wird es erfahren, seid ruhig; man verbirgt dem Kardinal nichts; der Kardinal weiß Alles.«—»Glaubt Ihr in diesem Fall, Monseigneur, der Kardinal werde sich herablassen, mir zu sagen, was aus meiner Frau geworden ist?«—»Vielleicht; aber zuvor müßt Ihr Alles gestehen, was Ihr in Beziehung auf die Verhältnisse Eurer Frau zu Frau von Chevreuse wißt.«—»Monseigneur, ich weiß nichts, ich habe diese nie gesehen.«—»Kehrte Eure Frau, wenn Ihr sie im Louvre abholtet, unmittelbar in Euer Haus zurück?«—»Beinahe nie, sie hatte Geschäfte mit Leinwandhändlern, zu denen ich sie führte.«—»Mit wie viel Leinwandhändlern?«—»Mit zwei, gnädigster Herr.«—»Wo wohnen sie?«—»Der eine in der Rue de Vaugirard, der andere in der Rue de la Harpe.«—»Gingt Ihr mit ihr hinein?«—»Nie, Monseigneur, ich erwartete sie an der Thüre.«— Welchen Vorwand nahm sie, um allein hineinzugehen?«—»Keinen, sie sagte mir, ich sollte warten, und ich wartete.«—»Ihr seid ein gefälliger Gatte, mein lieber Herr Bonacieux«, sprach der Kardinal.
«Er hat mich seinen lieben Herrn genannt, «sagte der Krämer zu sich selbst;»Teufel, die Sache geht gut.«
«Würdet Ihr die Thüren wieder erkennen?«—»Ja.«—»Wißt Ihr die Nummern?«—»Ja.«—»Welche sind es?«—»Nro. 25 in der Rue de Vaugirard, Nro. 75 in der Rue de la Harpe.«—»Gut, «sagte der Kardinal.
Bei diesen Worten nahm er ein silbernes Glöckchen, läutete, und der Offizier trat wieder ein.
«Sucht mir Rochefort, «sagte er mit leiser Stimme,»und er soll sogleich hieher kommen, sobald er zurückgekehrt ist.«
«Der Graf ist da, «erwiederte der Offizier,»und wünscht mit Ew. Eminenz zu sprechen.«
«Er komme, er komme!«sagte der Kardinal lebhaft.
Der Offizier entfernte sich mit der Geschwindigkeit, mit der alle Diener Richelieus zu gehorchen pflegten.
«Mit Ew. Eminenz!«murmelte Bonacieux, und drehte ganz verwirrt seine Augen in ihren Höhlen.
Es waren noch keine fünf Sekunden seit dem Verschwinden des Offiziers abgelaufen, als die Thüre sich öffnete und eine neue Person eintrat.
«Er ist es!«rief Bonacieux.
«Wer?«fragte der Kardinal.
«Derjenige, welcher mir meine Frau entführt hat.«
Der Kardinal läutete zum zweiten Male. Der Offizier erschien wieder.
«Uebergebt diesen Menschen seinen zwei Wachen und er soll warten, bis ich ihn vor mich rufe.«
«Nein, Monseigneur, nein, er ist es nicht, «schrie Bonacieux,»ich habe mich getäuscht; es ist ein Anderer, der nicht die geringste Aehnlichkeit mit ihm hat. Dieser Herr ist ein rechtschaffener Mann.«
«Führt diesen Dummkopf weg, «sprach der Kardinal.
Der Offizier nahm Bonacieux beim Arm und führte ihn in das Vorzimmer, wo er seine zwei Wachen fand.
Die zuletzt eingeführte Person folgte Bonacieux ungeduldig mit den Augen, bis man ihn aus der Thüre gebracht hatte, und sobald diese wieder verschlossen war, näherte sie sich lebhaft dem Kardinal und sprach:
«Sie haben sich gesehen!«—»Wer?«fragte die Eminenz. — »Er und sie.«—»Die Königin und der Herzog!«rief Richelieu. — »Ja.«—»Und wo?«—»Im Louvre.«—»Wißt Ihr es gewiß?«—»Ganz gewiß!«—»Wer hat es Euch gesagt?«—»Frau von Lannoy, welche Ew. Eminenz ganz ergeben ist, wie Ihr wißt.«—»Warum hat sie es nicht früher gesagt?«—»Die Königin ließ zufälligerweise oder aus Mißtrauen Frau von Surgis in ihrem Zimmer schlafen und behielt sie den ganzen Tag.«—»Das ist schön, wir sind geschlagen; doch wir wollen unsere Revanche nehmen.«—»Ich werde Euch von ganzem Herzen unterstützen, gnädiger Herr, seid ruhig.«—»Wie ist das zugegangen?«—»Um halb ein Uhr war die Königin bei ihren Frauen…«—»Gut.«—»Als man ihr ein Taschentuch von Seiten ihrer Weißzeugverwalterin zustellte.«—»Hernach?…«—»Sogleich gab die Königin eine große Unruhe kund und erbleichte trotz der Schminke, mit der sie ihr Antlitz bedeckt hatte.«—»Hernach, hernach?«—»Sie stand jedoch auf, und sagte mit bewegter Stimme:»Meine Damen, wartet hier zehn Minuten auf mich, ich komme zurück. «Und sie öffnete die Thüre ihres Alkovens und entfernte sich.«—»Warum hat Frau von Lannoy Euch nicht in demselben Augenblick davon unterrichtet?«—»Es war noch nichts gewiß. Ueberdies hatte die Königin gesagt:»Meine Damen, wartet auf mich, «und sie wagte es nicht, ungehorsam gegen ihre Gebieterin zu sein.«—»Und wie lange ist die Königin aus dem Zimmer geblieben?«—»Drei Viertelstunden.«—»Keine ihrer Frauen begleitete sie?«—»Donna Estefania allein.«—»Und sie kehrte dann zurück?«—»Ja, um ein kleines Kistchen von Rosenholz mit ihrem Namenszuge zu holen und sich sogleich wieder zu entfernen.«—»Und als sie später wieder kam, brachte sie dieses Kistchen zurück?«—»Nein.«—»Weiß Frau von Lannoy, was in diesem Kistchen enthalten war?«—»Ja, die Diamant-Nestelstifte, welche Se. Majestät der Königin gegeben hatte.«—»Und sie kehrte ohne das Kistchen zurück?«—»Ja.«—»Frau von Lannoy meint, sie habe es Buckingham gegeben?«—»Sie ist fest davon überzeugt.«—»Wie so?«—»Im Verlauf des Tages suchte Frau von Lannoy als Kammerdame der Königin nach dem Kistchen, stellte sich beunruhigt darüber, daß sie es nicht fand, und fragte endlich die Königin danach.«—»Und die Königin…«—»Wurde sehr roth und erwiederte, sie habe am Tage vorher einen von den Nestelstiften zerbrochen und das Ding zur Ausbesserung ihrem Goldschmied geschickt.«—»Man muß dahin gehen und sich überzeugen, ob es wahr ist oder nicht.«—»Ich bin dort gewesen.«—»Nun, der Goldschmied…«—»Hat keine Sylbe davon erfahren.«—»Gut! gut! Rochefort, es ist noch nicht Alles verloren und vielleicht… vielleicht steht Alles auf's Beste.«—»Ich zweifle allerdings nicht, daß das Genie Ew. Eminenz…«—»Die Thorheiten meines Agenten wieder gut macht, nicht wahr?«—»Das war ich im Begriff zu sagen, wenn Ew. Eminenz mich hätte aussprechen lassen.«—»Wißt Ihr nun, wo sich die Herzogin von Chevreuse und der Herzog von Buckingham verborgen hielten?«—»Nein, Monseigneur, meine Leute konnten mir nichts Bestimmtes hierüber sagen.«—»Ich weiß es.«—»Ihr, Monseigneur?«—»Wenigstens vermuthe ich es. Die eine von diesen zwei Personen hielt sich in der Rue de Vaugirard No. 25, die andere in der Rue de la Harpe No. 75 auf. — »Befehlen Ew. Eminenz, daß ich beide verhaften lasse?«—»Es ist ohne Zweifel zu spät, sie werden abgereist sein.«—»Gleichviel, man kann sich Gewißheit verschaffen.«—»Nehmt zehn Mann von meinen Wachen und durchsucht die zwei Häuser.«—»Ich gehe, Monseigneur.«
Rochefort eilte aus dem Zimmer.
Als der Kardinal allein war, dachte er einen Augenblick nach und läutete zum dritten Male.
Derselbe Offizier erschien.
«Laßt den Gefangenen eintreten, «sprach der Kardinal.
Meister Bonacieux wurde abermals eingeführt und der Offizier zog sich auf ein Zeichen des Kardinals zurück.
«Ihr habt mich getäuscht, «sprach der Kardinal mit strengem Tone.
«Ich!«rief Bonacieux,»ich Ew. Eminenz täuschen!«
«Wenn Euere Frau in die Rue de Vaugirard und in die Rue de la Harpe ging, ging sie nicht zu Leinwandhändlern.«
«Wohin ging sie denn, gerechter Gott!«
«Sie ging zu der Herzogin von Chevreuse und zu dem Herzog von Buckingham.«
«Ja, «sagte Bonacieux, alle seine Erinnerungen in sich sammelnd,»ja, so ist es, Ew. Eminenz haben Recht. Ich bemerkte meiner Frau wiederholt, es sei sonderbar, daß Leinwandhändler in solchen Häusern wohnen, die gar keine Schilder haben, und da lachte sie jedesmal laut auf. Ach! Monseigneur, «fuhr Bonacieux sich dem Richelieu zu Füßen werfend fort,»ach! Ihr seid wohl der Kardinal, der große Kardinal, der Mann von erhabenem Geiste, den alle Welt verehrt!«
So geringfügig auch der Sieg war, den er über einen so gewöhnlichen Menschen, wie Bonacieux, davon getragen hatte, so freute sich doch der Kardinal nichtsdestoweniger einen Augenblick darüber; aber sogleich, als wäre ein neuer Gedanke in ihm aufgetaucht, spielte ein Lächeln um seine Lippen, und er sprach, dem Krämer die Hand reichend:
«Steht auf, mein Freund, Ihr seid ein braver Mann.«
«Der Kardinal hat meine Hand berührt! ich habe die Hand des großen Mannes berührt!«rief Bonacieux.»Der große Mann hat mich seinen Freund genannt.«
«Ja, mein Freund, ja, «sprach der Kardinal mit dem väterlichen Tone, den er zuweilen anzunehmen wußte, wodurch aber nur diejenigen hintergangen wurden, sie ihn nicht kannten;»und da man Euch ungerechter Weise im Verdacht gehabt hat, so verdient Ihr eine Entschädigung. Nehmt diesen Sack mit hundert Pistolen und vergebt mir.«
«Ob ich Euch vergebe, Monseigneur!«sagte Bonacieux, zögerte jedoch, den Sack zu nehmen, ohne Zweifel aus Furcht, das angebliche Geschenk möchte nur ein Scherz sein.»Es stand Euch ganz frei, mich verhaften zu lassen, es steht Euch vollkommen frei, mich foltern, mich hängen zu lassen, Ihr seid der Herr, und ich hätte kein Wörtchen darüber zu sagen gehabt. Euch verzeihen, Monseigneur? Geht, das kann nicht Euer Ernst sein.«
«Ah! mein lieber Herr Bonacieux, Ihr wollt Großmuth üben, wie ich sehe, und ich danke Euch dafür. Ihr nehmt also diesen Sack und geht ohne Groll?«
«Ich gehe entzückt, Monseigneur.«
«So lebt wohl, oder vielmehr auf Wiedersehen, denn ich hoffe, wir werden uns wieder sehen.«
«So oft es Monseigneur haben will, ich stehe ganz Eurer Eminenz zu Befehlen.«
«Seid ruhig, das wird oft vorkommen, denn Eure Unterhaltung hat mich in hohem Maße ergötzt.«
«Ah! Monseigneur!«
«Auf Wiedersehen, Herr Bonacieux, auf Wiedersehen.«
Der Kardinal machte ein Zeichen mit der Hand, das Bonacieux mit einer Verbeugung bis zur Erde erwiederte. Dann entfernte er sich rückwärts, und als er im Vorzimmer war, hörte ihn der Kardinal aus vollem Halse schreien:»Es lebe Monseigneur! Es lebe Se. Eminenz! Es lebe der große Kardinal!«
Der Kardinal vernahm mit einem Lächeln die geräuschvolle Kundgebung der enthusiastischen Gefühle von Meister Bonacieux; als sich das Geschrei in der Ferne verloren hatte, sagte er:»Das ist nunmehr ein Mensch, der sich für mich todtschlagen ließe.«
Und der Kardinal betrachtete mit der größten Aufmerksamkeit die Karte von la Rochelle, welche, wie gesagt, auf seinem Schreibtische ausgebreitet lag, und zog mit dem Bleistift eine Linie, wo sich der bekannte Damm sich hinziehen sollte, der achtzehn Monate später den Hafen der belagerten Stadt schloß.
Als er ganz in seine strategischen Betrachtungen vertieft war, öffnete sich die Thüre wieder und Rochefort trat ein.
«Nun?«sprach der Kardinal, sich mit einer Schnelligkeit erhebend, die verrieth, welch hohes Gewicht er auf den Auftrag legte, den er dem Grafen ertheilt hatte.
«Nun, «sprach dieser,»eine junge Frau von sechs- bis achtundzwanzig Jahren und ein Mann von fünfunddreißig bis vierzig Jahren haben wirklich, die eine vier Tage, der andere fünf, in den von Ew. Eminenz bezeichneten Häusern gewohnt; aber die Frau ist in der vergangenen Nacht und der Mann diesen Morgen abgereist.«
«Sie waren es!«rief der Herzog auf die Pendeluhr schauend;»und nun, «fuhr er fort,»ist es zu spät, um ihnen nachzusetzen; die Herzogin ist in Tours, der Herzog in Boulogne. Man muß sie in London treffen.«
«Was sind Ew. Eminenz Befehle?«
«Kein Wort verlaute von dem, was vorgefallen ist. Die Königin verharre in vollkommener Sicherheit; sie darf nicht erfahren, daß wir ihr Geheimniß wissen; sie soll glauben, wir forschen irgend einer Verschwörung nach. Schickt mir den Siegelbewahrer Seguier.«
«Und dieser Mensch? was hat Ew. Eminenz mit ihm gemacht?«
«Was für ein Mensch?«fragte der Kardinal.
«Dieser Bonacieux?«
«Ich habe Alles aus ihm gemacht, was man aus ihm machen konnte. Ich habe ihn zum Spion seiner Frau gemacht.«
Der Graf von Rochefort verbeugte sich als ein Mann, der die große Ueberlegenheit seines Herrn anerkennt, und ging ab.
Wieder allein setzte sich der Kardinal abermals, schrieb einen Brief, den er mit seinem Privatsiegel verschloß, und läutete. Der Offizier trat zum vierten Male ein.
«Laßt mir Vitray kommen, «sprach er,»und sagt ihm, er solle sich zur Reise bereit halten.«
Einen Augenblick nachher stand der verlangte Mann gestiefelt und gespornt vor ihm.
«Vitray, «sagte der Kardinal,»Ihr geht sogleich nach London. Ihr haltet Euch nicht einen Augenblick unterwegs auf; diesen Brief übergebt Ihr Mylady; hier ist eine Anweisung von zweihundert Pistolen; geht zu meinem Schatzmeister und laßt sie Euch ausbezahlen. Eben so viel erhaltet Ihr, wenn Ihr in sechs Tagen zurück seid und Euern Auftrag gut vollzogen habt.«
Ohne ein Wort zu erwiedern, verbeugte sich der Bote, nahm den Brief und die Anweisung von zweihundert Pistolen und ging ab.
Der Brief enthielt Folgendes:
«Mylady!
«Findet Euch auf dem ersten Balle ein, den der Herzog von Buckingham besucht. Er wird an seinem Wamms zwölf Diamantnestelstifte tragen. Nähert Euch ihm und schneidet zwei davon ab.
«Sobald diese Nestelstifte in Euren Händen sind, gebt mir Nachricht.«
XV. Beamter und Kriegsmann
Als am Tage nach diesen Ereignissen Athos nicht erschien, wurde Herr von Treville durch d'Artagnan und Porthos von seinem Verschwinden in Kenntniß gesetzt.
Aramis hatte sich einen Urlaub von fünf Tagen erbeten und befand sich, der Sage nach, in Familienangelegenheiten in Rouen.
Herr von Treville war der Vater seiner Soldaten. Der Geringste und Unbekannteste unter ihnen war, sobald er die Uniform seiner Kompagnie trug, seiner Hülfe und seines Beistandes so sicher, als es nur sein eigener Bruder hätte sein können.
Er begab sich also sogleich zu dem Kriminalrichter. Man ließ den Offizier kommen, der den Posten an der Croix-Rouge kommandirte, und aus den Nachrichten, die man nach und nach erhielt, ging hervor, daß Athos für den Augenblick im Fort-l'Evéque einquartirt war.
Athos hatte alle Prüfungen durchgemacht, denen Bonacieux unterworfen gewesen war.
Wir haben der Konfrontationsscene zwischen den zwei Gefangenen beigewohnt. Athos, welcher bis dahin nichts gesagt hatte, weil er dachte, d'Artagnan könnte ebenfalls beunruhigt worden sein und die nöthige Zeit nicht gefunden haben, erklärte von diesem Augenblick an, er heiße Athos und nicht d'Artagnan. Uebrigens kenne er weder Herrn noch Dame Bonacieux; er habe noch nie weder mit dem einen noch mit der andern gesprochen, er sei gegen zehn Uhr Abends gekommen, um Herrn d'Artagnan, seinen Freund, zu besuchen, aber bis zu dieser Stunde sei er bei Herrn von Treville gewesen, wo er zu Mittag gespeist habe; zehn Zeugen könnten, fügte er bei, diese Thatsache beweisen, und er nannte mehrere ausgezeichnete Edelleute, worunter den Herrn Herzog de la Tremouille.
Der zweite Kommissär wurde gleich dem ersten gewaltig verblüfft durch die einfache und feste Erklärung des Musketiers, an dem er, wie Civilbeamte Kriegsmännern gegenüber zu thun lieben, so gerne sein Müthchen gekühlt hätte, aber die Namen des Herrn von Treville und des Herrn Herzogs erheischten Respekt.
Athos wurde ebenfalls zu dem Kardinal geschickt, aber zum Unglück befand sich dieser bei dem König im Louvre.
In demselben Augenblick traf Herr von Treville, der von dem Kriminalrichter und dem Gouverneur des Fort-l'Evèque kam, ohne Athos gefunden zu haben, bei dem König ein.
Als Kapitän der Musketiere hatte Herr von Treville zu jeder Stunde Eintritt bei dem König.
Man kennt die Vorurtheile des Königs gegen die Königin, welche auf eine geschickte Weise durch den Kardinal genährt wurden, der im Punkte der Intriguen Frauen viel mehr mißtraute, als Männern. Eine der bedeutendsten Ursachen dieser Vorurtheile war die Freundschaft Annas von Oesterreich für Frau von Chevreuse. Diese zwei Frauen bereiteten ihm mehr Unruhe, als die Kriege mit Spanien, die Streitigkeiten mit England und die Finanzverlegenheiten. In seinen Augen und nach seiner Ueberzeugung unterstützte Frau von Chevreuse die Königin nicht nur in ihren politischen Intriguen, sondern auch, was ihn noch viel mehr quälte, in ihren Liebeshändeln.
Bei dem ersten Wort des Kardinals, daß Frau von Chevreuse, die man an ihrem Verbannungsorte Tours glaubte, nach Paris gekommen sei und der Polizei zum Trotz fünf Tage hier verweilt habe, gerieth der König in furchtbaren Zorn. Launisch und ungetreu, wollte der König Ludwig der Gerechte und Ludwig der Keusche heißen. Der Nachwelt wird es schwer werden, diesen Charakter zu begreifen, den die Geschichte nur durch Thatsachen und nie durch Urtheile erklärt.
Als aber der Kardinal beifügte, Frau von Chevreuse sei nicht nur nach Paris gekommen, sondern auch mittelst einer der geheimnißvollen Korrespondenzen, die man damals eine Kabale nannte, mit der Königin in Verbindung getreten; als er versicherte, er, der Kardinal, sei nahe daran gewesen, die verborgensten Fäden dieser Intrigue zu enthüllen, aber in dem Augenblick, wo man die Abgeordnete der Königin bei der Verbannten mit allen Beweisen auf der That hätte ertappen können, habe ein Musketier sich unterstanden, den Gang der Gerechtigkeit gewaltsam zu unterbrechen und mit dem Degen in der Hand über ehrliche Männer des Gesetzes herzufallen, welche beauftragt gewesen, die ganze Angelegenheit unparteiisch zu untersuchen, um sie dem Könige vor Augen zu legen, da konnte Ludwig XIII. nicht mehr an sich halten: er that, mit jener bleichen, stummen Entrüstung, die diesen Fürsten, wenn sie zum Ausbruch kam, bis zur kalten Grausamkeit führte, einen Schritt gegen das Gemach der Königin.
Und dennoch hatte der Kardinal in der ganzen Sache noch nicht ein Wort von dem Herzog von Buckingham gesprochen.
Jetzt trat Herr von Treville ein, kalt, höflich und in tadelloser Haltung.
Durch die Gegenwart des Kardinals und durch die Entstellung in den Gesichtszügen des Königs genugsam über das Vorgefallene unterrichtet, fühlte sich Herr von Treville stark, wie Simson vor den Philistern.
Ludwig XIII. legte bereits die Hand an den Knopf der Thüre. Bei dem Geräusche, das Herrn von Treville's Eintritt verursachte, drehte er sich um.
«Ihr kommt zu gelegener Zeit, mein Herr, «sprach der König, der, wenn seine Leidenschaften einen gewissen Grad erreicht hatten, sich nicht mehr zu verstellen wußte,»und ich erfahre schöne Dinge von Euren Musketieren.«
«Und ich, «sprach Herr von Treville kalt,»ich habe Ew. Majestät schöne Dinge von Ihren Civildienern zu melden.«
«Wenn es gefällig wäre?«fragte der König stolz.
«Ich habe die Ehre, Ew. Majestät zu benachrichtigen, «fuhr Herr von Treville in demselben Tone fort,»daß eine Anzahl von Prokuratoren, Kommissären und Leuten von der Polizei — sehr schätzenswerthe Leute, aber, wie es scheint, sehr erbittert gegen die Uniform, sich erlaubt hat, einen meiner Musketiere in einem Hause zu verhaften, über die offene Straße zu führen, und auf einen Befehl, dessen Vorzeigung man mir verweigerte, in's Fort-l'Evêque zu werfen, und Alles dies, sage ich, ist einem meiner Musketiere, oder vielmehr Eurer Musketiere, Sire, einem Mann von tadellosem Benehmen, von beinahe erhabenem Ruf, einem Mann, der Ew. Majestät vortheilhaft bekannt ist, Herrn Athos, widerfahren.«
«Athos, «sprach der König maschinenmäßig;»ja, in der That, ich kenne diesen Namen.«
«Ew. Majestät belieben sich seiner zu erinnern, «sagte Herr von Treville,»Athos ist der Musketier, der bei dem ärgerlichen Duelle, das Ihr kennt, Herrn von Cahusac schwer zu verwunden das Unglück hatte. Apropos, Monseigneur, «fuhr Herr von Treville sich gegen den Kardinal wendend fort,»Herr von Cahusac ist völlig wiederhergestellt, nicht wahr?«
«Ich denke, «sagte der Kardinal, sich vor Zorn in die Lippen beißend.
«Herr Athos wollte also einen seiner Freunde besuchen, welcher gerade nicht zu Hause war, einen Bearner, der als Kadett bei den Garden Seiner Majestät, Kompagnie des Essarts steht; aber kaum befand er sich im Zimmer seines Freundes und hatte in Erwartung desselben ein Buch genommen, als ein Haufen von Schergen und Soldaten das Haus belagert und mehrere Thüren einstößt.«
Der Kardinal machte dem König ein Zeichen, welches bedeuten sollte:
«Es geschah in der Angelegenheit, von der ich gesprochen habe.«
«Wir wissen Alles, was Ihr uns da sagt, denn es ist Alles in unserem Dienste geschehen, «sagte der König.
«Dann geschah es wohl auch im Dienste Ew. Majestät, daß man einen meiner Musketiere ganz unschuldig ergriff, wie einen Missethäter zwischen zwei Wachen stellte und mitten durch einen frechen Pöbelhaufen diesen ehrenfesten Mann hindurchführte, der zehnmal sein Blut im Dienste Seiner Majestät vergossen hat und noch zu vergießen bereit ist.«
«Bah!«sprach der König erschüttert,»ist die Sache wirklich so gegangen?«
«Herr von Treville, «versetzte der Kardinal mit dem größten Phlegma,»verschweigt, daß dieser unschuldige Musketier, dieser ehrenfeste Mann, eine Stunde vorher vier Instruktions-Kommissäre, welche ich zur Untersuchung einer sehr wichtigen Angelegenheit abgeschickt, mit dem Degen in der Faust angegriffen und in die Flucht geschlagen hatte.«
«Ich fordere Ew. Eminenz auf, dies zu beweisen, «rief Herr von Treville mit seiner ganzen gascognischen Freimüthigkeit und mit seiner vollen militärischen Derbheit;»denn Herr Athos, ein Mann von vortrefflichen Eigenschaften, erzeigte mir eine Stunde vorher, nachdem er bei mir zu Mittag gespeist hatte, die Ehre, sich im Salon meines Hotels mit dem Herrn Herzog de la Tremouille und dem Herrn Grafen von Chalus zu unterhalten.«
Der König schaute den Kardinal an.
«Ein Protokoll beglaubigt, was ich sagte, «antwortete der Kardinal ganz laut auf die stumme Frage Seiner Majestät,»und die Mißhandelten haben folgende Urkunde abgefaßt, die ich Ew. Majestät zu überreichen die Ehre habe.«
«Ist ein Protokoll von Beamten so viel werth, als das Ehrenwort eines Kriegsmanns?«erwiederte Herr von Treville in stolzem Tone.
«Ruhig, ruhig, Treville! schweigt, «sagte der König.
«Hegt Seine Eminenz einen Verdacht gegen einen meiner Musketiere, «sprach Treville,»so ist die Gerechtigkeit des Herrn Kardinals so weltbekannt, daß ich selbst eine Untersuchung verlange.«
«In dem Hause, wo diese gerichtliche Besichtigung vorgenommen wurde, «fuhr der Kardinal leidenschaftslos fort,»wohnt, wie ich glaube, ein Bearner, ein Freund des Musketiers.«
«Ja, Ew. Eminenz, so ist es.«
«Glaubt Ihr nicht, daß dieser junge Mensch schlimmen Rath gegeben hat…«
«Herrn Athos, einem Manne, der doppelt so alt ist, «unterbrach ihn Herr von Treville;»nein, Monseigneur, überdies hat Herr d'Artagnan den Abend bei mir zugebracht.«
«Ah! es scheint in der That, die ganze Welt brachte den Abend bei Euch zu?«erwiederte der Kardinal.
«Sollte Ew. Eminenz an meinem Worte zweifeln?«sprach Herr von Treville, dessen Stirne der Zorn roth färbte.
«Nein, davor soll mich Gott bewahren!«sagte der Kardinal;»aber es handelt sich nur darum, zu welcher Stunde er bei Euch war?«
«Ah! das kann ich Ew. Eminenz genau sagen, denn als er eintrat, sah ich auf der Uhr, daß es halb zehn war, obschon ich glaubte, es müßte später sein.«
«Und um welche Zeit hat er Euer Hotel verlassen?«
«Um halb elf Uhr, gerade eine Stunde nach dem Vorfall.«
«Aber, «fuhr der Kardinal fort,»der nicht einen Augenblick an der Redlichkeit des Herrn von Treville zweifelte und gewahr wurde, daß der Sieg seinen Händen entschlüpfen wollte;»aber Athos ist doch in dem Hause der Rue des Fossoyeurs verhaftet worden.«
«Ist es einem Freunde verboten, einen Freund zu besuchen? ist es einem Musketier von meiner Compagnie verboten, mit einem Gardisten von der Compagnie des Essarts Brüderschaft zu halten?«
«Ja, wenn das Haus, wo man mit diesem Freunde Brüderschaft pflegt, verdächtig ist.«
«Weil dieses Haus verdächtig ist, Treville, «sprach der König;»vielleicht wußtet Ihr das nicht?«
«In der That, Sire, ich wußte es nicht. Jedenfalls kann es überall verdächtig sein, nur ziehe ich in Abrede, daß es in dem Theile, welchen Herr d'Artagnan bewohnt, verdächtig ist, denn ich darf wohl im Vertrauen auf seine eigenen Aeußerungen versichern, daß es keinen ergebenern Diener Ew. Majestät, keinen innigern Bewunderer des Herrn Kardinals gibt.«
«Ist das nicht jener d'Artagnan, welcher eines Tags bei dem unglücklichen Streit in der Nähe des Klosters der Karmeliter-Barfüßer Jussac verwundete?«fragte der König und schaute dabei den Kardinal an, der vor Aerger im ganzen Gesicht roth wurde.
«Und am andern Tage Bernajoux. Ja, Sire, ja, es ist derselbe, Ew. Majestät haben ein gutes Gedächtniß.«
«Nun, was wollen wir beschließen?«sagte der König. — »Ich werde die Schuld beweisen.«–
«Und ich leugne sie. Aber Seine Majestät hat Richter und diese Richter sollen entscheiden.«
«Ganz gut, «versetzte der König,»übergeben wir den ganzen Prozeß den Richtern; es ist ihre Sache zu urtheilen, und sie werden urtheilen.«
«Nur ist es sehr traurig, «sprach Herr von Treville,»daß in den gegenwärtigen unglücklichen Zeiten ein Mann beim reinsten Leben, bei der vorwurfsfreiesten Tugend, der Bosheit und Verfolgung nicht entgeht. Die Armee wird auch ganz sicherlich sehr unzufrieden sein, wenn sie sieht, daß sie bei Polizei-Angelegenheiten der strengsten Behandlung preisgegeben wird.«
Das Wort war unklug, aber Herr von Treville hatte es ausgesprochen, weil er mit dem Stand der Dinge genau vertraut war. Er wollte eine Explosion herbeifuhren, denn bei dieser Gelegenheit gibt eine Mine Feuer und Feuer erleuchtet.
«Polizei-Angelegenheiten!«rief der König, Herrn von Treville's Worte aufnehmen».»Polizei-Angelegenheiten!«und was wißt denn Ihr davon, mein Herr? Kümmert Euch um Euere Musketiere und macht mich nicht toll. Hört man Euch, so sollte man glauben, Frankreich wäre in Gefahr, wenn unglücklicherweise ein Musketier verhaftet wird! Ei! was für ein Lärm um einen Musketier! Ich lasse zehn verhaften, bei Gott, hundert, ja, die ganze Compagnie, und man soll nicht mucksen.«
«Die Musketiere sind schuldig, sobald Ew. Majestät einen Verdacht gegen sie hegen, «entgegnete Herr von Treville,»auch seht Ihr mich bereit, Sire, Euch meinen Degen zu übergeben; denn ich zweifle nicht daran, daß der Herr Kardinal, nachdem er meine Soldaten verklagt hat, am Ende auch mich verklagen wird, und es ist somit besser, daß ich mich selbst in Verhaft gebe, mit Herrn Athos, der bereits verhaftet ist, und mit Herrn d'Artagnan, den man noch verhaften wird.«
«Gascogner-Kopf, wollt Ihr schweigen!«rief der König.
«Sire, «antwortete Treville, ohne die Stimme im Geringsten zu dämpfen,»befehlt, mir meinen Musketier zurückzugeben oder Gericht über ihn zu halten.«
«Man wird Gericht über ihn halten, «sagte der Kardinal.
«Nun, desto besser, in diesem Falle werde ich Seine Majestät bitten, für ihn plaidiren zu dürfen.«
Der König fürchtete ein großes Aufsehen und sprach:»Wenn Seine Eminenz nicht persönliche Motive hätte…«
Der Kardinal sah den König kommen und ging ihm entgegen.
«Um Vergebung, «sagte er,»wenn Ew. Majestät in mir einen Richter von vorgefaßter Meinung erblicken, so ziehe ich mich zurück.«
«Hört, «sprach der König,»schwört Ihr mir bei meinem Vater, daß Herr Athos während des Vorfalls bei Euch gewesen ist und keinen Theil daran genommen hat?«
«Bei Eurem glorreichen Vater und bei Euch selbst, der Ihr das seid, was ich auf der Welt am innigsten liebe und verehre, schwöre ich!«
«Wollt bedenken, Sire, «sprach der Kardinal,»wenn wir den Gefangenen so entlassen, wird man nie mehr die Wahrheit erfahren.«
«Herr Athos wird stets vorhanden und bereit sein, den Gerichten Rede und Antwort zu stehen, wenn sie ihn zu befragen Lust haben, «entgegnete Herr von Treville.»Er wird nicht desertiren, dafür stehe ich.«
«Gewiß, er wird nicht desertiren, «sprach der König,»man kann ihn immer wieder finden, wie Herr von Treville sagt. Ueberdies, «fügte er mit gedämpfter Stimme und einem flehenden Blick auf Se. Eminenz hinzu,»überdies wollen wir sie sicher machen, das ist Politik.«
Diese Politik Ludwigs XIII. machte Richelieu lächeln.
«Befehlt, Sire, «sprach er,»Euch steht das Recht der Begnadigung zu.«
«Das Recht der Begnadigung ist nur auf Schuldige anwendbar, «entgegnete Treville, der das letzte Wort haben wollte,»und mein Musketier ist unschuldig. Ihr laßt also nicht Gnade, sondern Gerechtigkeit widerfahren, Sire.«
«Er ist im Fort-l'Evêque?«sagte der König.
«Ja, Sire, und in engem Gewahrsam, in einem Kerker, wie der gemeinste Verbrecher.«
«Teufel! Teufel!«murmelte der König,»was soll man da thun?«
«Den Freilassungsbefehl unterzeichnen und Alles ist abgemacht, «sprach der Kardinal;»ich halte, wie Ew. Majestät, die Gewährschaft des Herrn von Treville für mehr als genügend.«
Treville verbeugte sich ehrfurchtsvoll und mit einer Freude, die nicht ohne alle Beimischung von Furcht war; er hätte einen hartnäckigen Widerstand diesem plötzlichen Nachgeben vorgezogen.
Der König unterzeichnete den Freilassungsbefehl, den Herr von Treville ohne Verzug forttrug.
Im Augenblick seines Abgangs lächelte ihm der Kardinal freundschaftlich zu und sagte zu dem König:
«Es herrscht bei Euren Musketieren eine schöne Harmonie zwischen den Führern und Soldaten, das ist sehr ersprießlich für den Dienst und sehr ehrenvoll für Alle.«
«Er wird mir demnächst einen schlimmen Streich spielen, «dachte Treville.»Man hat nie das letzte Wort bei einem solchen Menschen. Aber eilen wir; dem König kann gleich wieder ein anderer Kopf wachsen; denn im Ganzen ist es schwieriger, einen Menschen, der einmal herausgekommen ist, wieder nach der Bastille oder dem Fort-l'Evêque zu bringen, als einen Gefangenen zu bewachen, den man eingekerkert hat.«
Herr von Treville hielt triumphirend seinen Einzug im Fort-l'Evêque, wo er den Musketier befreite, den seine Ruhe nicht einen Augenblick verlassen hatte.
Als er zum ersten Mal d'Artagnan wieder sah, sprach er:
«Ihr kommt gut weg. Euer Degenstich gegen Jusac ist nun bezahlt. Es bleibt noch der gegen Bernajoux im Rest, aber seid immerhin auf Eurer Hut!«
Herr von Treville hatte übrigens Recht, dem Kardinal zu mißtrauen und zu glauben, es sei noch nicht Alles vorbei; denn kaum hatte der Kapitän der Musketiere hinter sich geschlossen, als Seine Eminenz zu dem König sagte:
«Nun, da wir allein sind, wollen wir ernsthaft sprechen, wenn es Ew. Majestät gefällig ist. — Sire, der Herzog von Buckingham war fünf Tage lang in Paris, und ist erst diesen Morgen abgereist.«
XVI. Worin der Herr Siegelbewahrer Seguier mehrmals die Glocke suchte, um zu läuten, wie er auch sonst gethan
Man kann sich unmöglich einen Begriff von dem Eindruck machen, den diese paar Worte bei Ludwig XIII. hervorriefen. Er wurde abwechselnd blaß und roth, und der Kardinal sah sogleich, daß er mit einem einzigen Schlag das verlorene Terrain wieder gewonnen hatte.
«Herr von Buckingham in Paris!«rief der König.»Und was hat er hier gemacht?«
«Ohne Zweifel mit den Hugenotten und den Spaniern, Euern Feinden, conspirirt.«
«Nein, bei Gott, nein! er hat mit Frau von Chevreuse, Frau von Longueville und dem Condé gegen mein Glück conspirirt.«
«Oh, welcher Gedanke, Sire! Die Königin ist zu klug, zu vernünftig und liebt Ew. Majestät zu sehr.«
«Das Weib ist schwach, mein Herr Kardinal, «sprach der König,»und was die allzugroße Liebe betrifft, so habe ich meine eigene Ansicht darüber.«
«Nichtsdestoweniger behaupte ich, «sagte der Kardinal,»daß der Herzog von Buckingham in rein politischen Zwecken nach Paris gekommen ist.«
«Und ich bin überzeugt, daß er anderer Dinge wegen sich hier eingefunden hat, mein Herr Kardinal. Aber wenn die Königin sich verfehlt hat, so mag sie zittern!«
«Obgleich mein Geist nur mit dem größten Widerwillen bei einem solchen Verrathe verweilt, «erwiederte der Kardinal,»so bringen mich Ew. Majestät doch auf einen Gedanken: Frau von Lannoy, die ich auf Ew. Majestät Befehl wiederholt befragt habe, sagt mir, Ihre Majestät habe in der letzten Nacht sehr lange gewacht, diesen Morgen viel geweint und den ganzen Tag geschrieben.«»So ist's, «sprach der König;»gewiß an ihn. Kardinal, ich muß die Papiere der Königin haben.«
«Aber wie diese nehmen, Sire! Es scheint mir, daß weder ich, noch Ew. Majestät einen solchen Auftrag vollziehen kann.«
«Wie hat man's bei der Marschallin d'Ancre gemacht?«rief der König, im höchsten Grade zornig.»Man hat zuerst ihre Schränke und dann sie selbst untersucht.«
«Die Marschallin d'Ancre, Sire, war nur die Marschallin d'Ancre, eine florentinische Abenteurerin, und weiter nichts, während die erhabene Gemahlin Eurer Majestät, Anna von Oesterreich, Königin von Frankreich, das heißt eine der größten Fürstinnen der Welt ist.«
«Sie ist darum nur um so schuldiger, mein Herr Herzog! Je mehr sie ihre hohe Stellung vergessen hat, desto tiefer ist sie hinabgestiegen. Ich bin überdieß schon längst entschlossen, allen diesen kleinen politischen Intriguen und Liebeshändeln ein Ende zu machen. Sie hat auch einen gewissen la Porte bei sich…«
«Den ich für den Hauptschuldigen beim Ganzen halte, «sagte der Kardinal.
«Ihr glaubt also wie ich, daß sie mich täuscht?«sprach der König.
«Ich glaube und wiederhole Ew. Majestät, daß die Königin gegen die Macht ihres Königs conspirirt; aber ich habe keineswegs gesagt, gegen seine Ehre.«
«Und ich sage Euch, gegen Beides. Ich sage Euch, daß die Königin mich nicht liebt; ich sage Euch, daß sie einen Andern liebt; ich sage Euch, daß sie den Herzog von Buckingham liebt! Warum habt Ihr ihn nicht während seines Aufenthalts in Paris verhaften lassen?«
«Den Herzog verhaften! Den ersten Minister Karls I. verhaften! Bedenkt doch, Sire, welches Aufsehen dies machen müßte, und wenn es sich zeigte, daß der Verdacht Eurer Majestät nicht grundlos gewesen wäre, woran ich immer noch zweifle, welch ein furchtbarer Lärm! welch ein verzweifelter Scandal!«
«Aber da er sich wie ein Vagabund, wie ein Dieb bloßstellte, mußte man…«
Ludwig XIII. hielt erschrocken über das, was er zu sagen im Begriff war, selbst inne, während Richelieu mit großer Spannung vergeblich das Wort erwartete, das auf seinen Lippen fest hielt.
«Man müßte…?«
«Nichts, «sagte der König,»aber Ihr habt ihn doch während der ganzen Zeit, die er sich in Paris aufhielt, nicht aus dem Gesichte verloren?«
«Nein, Sire.«
«Wo wohnte er?«
«In der Rue de la Harpe, Nro. 75.«
«Wo ist dies?«
«Neben dem Luxemburg.«
«Und Ihr seid überzeugt, daß die Königin und er sich nicht gesehen haben?«
«Ich glaube, daß die Königin zu fest an ihren Pflichten hängt, Sire.«
«Aber sie wechselten Briefe, an ihn hat die Königin den ganzen Tag geschrieben. Mein Herr Herzog, ich muß diese Briefe haben.«
«Sire, wenn indessen…«
«Mein Herr Herzog, ich will sie haben, um welchen Preis es auch sein mag.«
«Ich erlaube mir indessen, Ew. Majestät zu bemerken…«
«Verrathet Ihr mich also auch, Herr Kardinal, daß Ihr Euch stets auf diese Art meinem Willen widersetzt? Seid Ihr im Einverständniß mit dem Spanier und dem Engländer? mit Frau von Chevreuse und der Königin?«
«Sire, «antwortete der Kardinal lächelnd,»ich glaubte mich vor einem solchen Verdachte geschützt.«
«Mein Herr Kardinal, Ihr habt mich verstanden, ich will diese Briefe haben.«
«Es dürfte nur ein Mittel geben.«
«Welches?«
«Man müßte den Herrn Siegelbewahrer Seguier damit beauftragen. Die Sache gehört ganz zu den Verpflichtungen seines Amtes.«
«Man soll ihn sogleich holen lassen.«
«Er muß bei mir sein, Sire. Ich habe ihn zu mir bestellt, und als ich in den Louvre ging, Befehl gegeben, ihn warten zu lassen, wenn er sich einfinden würde.«
«Man hole ihn sogleich hieher.«
«Die Befehle Ew. Majestät sollen vollzogen werden, aber…«
«Was aber?«
«Aber die Königin wird sich vielleicht weigern, zu gehorchen.«
«Meinen Befehlen?«
«Ja, wenn sie nicht weiß, daß diese Befehle von dem König herrühren.«
«Gut! damit sie daran nicht zweifelt, will ich sie selbst in Kenntniß setzen.«
«Ew. Majestät werden nicht vergessen, daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um einen Bruch abzuwenden.«
«Ja, Herzog, ja, ich weiß, daß Ihr vielleicht zu nachsichtig seid, und ich sage Euch, daß wir später hierüber sprechen müssen.«
«Wann es Ew. Majestät belieben wird; aber ich werde stets glücklich und stolz sein, Sire, mich dem guten Einvernehmen aufzuopfern, von dem ich wünsche, daß es beständig zwischen dem König und der Königin von Frankreich herrschen möge.«
«Gut, Kardinal, gut. Aber laßt mir mittlerweile den Herrn Siegelbewahrer holen.«
Und Ludwig XIII. öffnete die Verbindungsthüre und ging in die Flur, welche von seinen Zimmern in die Gemächer Anna's von Oesterreich führte.
Die Königin befand sich inmitten ihrer Frauen; um sie her saßen Frau von Guitaut, Frau von Sablé, Frau von Montbazon und Frau von Guémené. In einem Winkel stand die spanische Kammerfrau, Donna Estefania, die ihr von Madrid gefolgt war. Frau von Guémené las vor, und Alle horchten aufmerksam auf die Vorleserin, mit Ausnahme der Königin, welche im Gegentheil diese Lektüre befohlen hatte, um, während sie sich den Anschein gab zu hören, dem Faden ihrer eigenen Gedanken folgen zu können.
Diese Gedanken waren, so sehr sie auch durch einen letzten Widerschein der Liebe vergoldet wurden, darum nicht minder trauriger Natur. Des Vertrauens ihres Gatten beraubt, verfolgt von dem Hasse des Kardinals, der ihr nicht vergeben konnte, daß sie ein zärtlicheres Gefühl zurückgewiesen, das Beispiel der Königin Mutter vor Augen, welche von diesem Hasse ihr ganzes Leben hindurch gequält wurde, obgleich Maria von Medicis, wenn man den Memoiren jener Zeit glauben darf, Anfangs dem Kardinal ein Glück zugestanden, das Anna von Oesterreich beständig verweigerte — hatte sie ihre ergebensten Diener, ihre innigsten Vertrauten, ihre liebsten Günstlinge fallen sehen. Sie brachte Unglück über Alles, was sie berührte; ihre Freundschaft war ein unseliges Zeichen, das Verfolgung hervorrief. Frau von Chevreuse und Frau von Vernet waren verbannt; La Porte verbarg seiner Gebieterin nicht, daß er jeden Augenblick einer Verhaftung entgegen sah.
Während sie aber in ihre düsteren Gedanken vertieft war, öffnete sich die Thüre und der König trat ein.
Die Vorleserin schwieg sogleich, alle Damen standen auf und es herrschte allgemeines Stillschweigen. Der König enthielt sich aller Höflichkeitsbezeigungen, blieb vor der Königin stehen und sagte mit bebender Stimme:
«Madame, Ihr erhaltet einen Besuch von dem Herrn Kanzler, der Euch gewisse Angelegenheiten mittheilen wird, mit denen ich ihn beauftragt habe.«
Die unglückliche Königin, welche man beständig mit Ehescheidung, Verbannung und sogar mit einem Urtheile bedrohte, erbleichte unter der Schminke, und konnte nicht umhin zu erwiedern:
«Aber warum dieser Besuch, Sire? was wird mir der Herr Kanzler sagen, das mir Ew. Majestät nicht selbst sagen könnten?«
Der König wandte sich auf den Fersen um, ohne eine Antwort zu geben, und beinahe in demselben Augenblicke kündigte der Kapitän der Garden, Herr von Guitaut, den Besuch des Herrn Kanzlers an.
Als der Kanzler erschien, war der König bereits durch eine andere Thüre abgegangen.
Der Kanzler trat halb lächelnd, halb erröthend ein, wie wir ihn im Verlaufe dieser Geschichte wieder finden werden. Es kann nicht schaden, wenn unsere Leser sogleich seine Bekanntschaft machen.
Dieser Kanzler war ein drolliger Mensch. Des Roches le Masler, Kanonikus bei Notre-Dame, früher Kammerdiener des Kardinals, schlug ihn Seiner Eminenz als einen ergebenen, zuverlässigen Mann vor. Der Kardinal vertraute hierauf und befand sich gut dabei.
Man erzählte sich gewisse Geschichten von ihm; unter andern folgende:
Nach einer stürmischen Jugend hatte er sich in ein Kloster zurückgezogen, um wenigstens eine Zeit lang die Thorheiten seiner Jugend zu büßen; aber bei seinem Eintritte konnte der arme Reumüthige nicht so schnell die Thüre schließen, daß die Leidenschaften, welche er floh, nicht mit ihm eingezogen wären. Er war ohne Unterlaß von ihnen belagert, und der Superior, dem er dieses Unglück anvertraut hatte, empfahl ihm, er solle, um sich vor diesen Anfällen zu schützen und den versuchenden Teufel zu beschwören, seine Zuflucht zu der Glocke nehmen und mit aller Gewalt läuten. Dadurch würden die Mönche benachrichtigt werden, daß die Versuchung einen Bruder belagere, und die ganze Gemeinde würde Gebete für sein Heil verrichten.
Der Rath schien dem zukünftigen Kanzler gut. Er beschwor den bösen Geist mit starker Unterstützung der Gebete, welche die Mönche verrichteten. Aber der Teufel läßt sich nicht leicht aus einem Orte vertreiben, wo er seine Garnison eingelegt hat.
In demselben Maße, wie man die Exorcismen verdoppelte, verdoppelte er seine Versuchungen, so daß die Glocke Tag und Nacht ertönte und das heiße Verlangen des Reumüthigen nach Abtödtung des Fleisches kund gab.
Die Mönche hatten Tag und Nacht keine Ruhe mehr; sie mußten den ganzen Tag die Treppe auf- und abspringen, welche zu der Kapelle führte; in der Nacht waren sie außer den Completen und Frühmetten noch genöthigt, sich zwanzigmal aus ihren Betten zu erheben und auf den Boden ihrer Zellen niederzustürzen.
Man weiß nicht, ob der Teufel nachließ, oder ob die Mönche müde wurden; nur so viel ist gewiß, daß der Reumüthige nach Verlauf von drei Monaten mit dem Ruf des furchtbarsten Besessenen, der je gelebt, wieder in der Welt erschien.
Als er das Kloster verließ, trat er in die Magistratur, wurde nach seinem Oheim Parlaments-Präsident, schlug sich auf die Partei Richelieu's, was nicht wenig Scharfsinn verrieth, erhielt seine Ernennung als Kanzler, diente Sr. Eminenz mit dem größten Eifer in seinem Hasse gegen die Königin Mutter und in seiner Rache gegen Anna von Oesterreich; stachelte die Richter in der Angelegenheit von Chalais auf, unterstützte die Versuche des Herrn von Laffemas, Großwildmeisters von Frankreich, und erhielt endlich, in das volle, so wohl erworbene Vertrauen des Kardinals eingesetzt, den seltsamen Auftrag, zu dessen Vollstreckung er sich bei der Königin einfand.
Die Königin stand noch bei seinem Eintritte, aber so bald sie ihn gewahr wurde, setzte sie sich nieder in ihr Fauteuil und gab ihren Frauen ein Zeichen, auf ihre Kissen und Tabourets niederzusitzen. In höchst stolzem Tone fragte Anna von Oesterreich:
«Was wollt Ihr, mein Herr? und in welcher Absicht erscheint Ihr hier?«
«Um hier im Namen des Königs und in aller Ehrfurcht, die ich Ew. Majestät schuldig bin, eine genaue Durchsuchung Eurer Papiere anzustellen.«
«Wie? mein Herr! eine Durchsuchung meiner Papiere! Mir dies! Das ist eine unwürdige Handlungsweise.«
«Wollt mir vergeben, Madame, aber unter diesen Umständen bin ich nur das Werkzeug, dessen sich der König bedient. Ist Se. Majestät nicht so eben von hier weggegangen? Hat er Euch nicht selbst aufgefordert, dieses Besuchs gewärtig zu sein?«
«Sucht also, mein Herr. Ich bin, wie es scheint, eine Verbrecherin; Estefania, gebt ihm die Schlüssel zu meinen Tischen und meinen Secretären.«
Der Kanzler suchte der Form wegen in diesen Meubeln, aber er wußte wohl, daß die Königin den Brief, welchen sie am Tage geschrieben, in keinem derselben verschließen würde.
Nachdem der Kanzler zwanzigmal die Schubladen des Secretärs geöffnet und wieder verschlossen hatte, mußte er, wie sehr er auch zögerte, seinen Auftrag zu Ende führen, das heißt, die Königin selbst durchsuchen. Der Kanzler trat gegen Anna von Oesterreich vor und sagte mit äußerst verlegenem Ton und verwirrter Miene:
«Nun habe ich noch die Hauptdurchsuchung vorzunehmen.«
«Welche?«fragte die Königin, die nicht begriff oder vielmehr nicht begreifen wollte.
«Seine Majestät weiß gewiß, daß heute ein Brief von Euch geschrieben worden und daß derselbe noch nicht an seine Adresse abgegangen ist. Dieser Brief findet sich weder in Eurem Tische noch in Eurem Secretär, und doch ist er irgendwo.«
«Solltet Ihr es wagen, Hand an Eure Königin zu legen!«rief Anna von Oesterreich, sich hoch aufrichtend und einen Blick auf den Kanzler heftend, dessen Ausdruck beinahe drohend wurde.
«Ich bin ein getreuer Unterthan des Königs, Madame, und Alles, was Seine Majestät mir befiehlt, werde ich thun.«
«Wohl, das ist wahr, «sprach Anna von Oesterreich,»und der Herr Kardinal ist von seinen Spionen gut bedient worden. Ich habe heute einen Brief geschrieben und dieser ist noch nicht abgegangen. Hier ist der Brief.«
Und die Königin legte hiebei ihre schöne Hand an den Leib.
«Dann gebt mir diesen Brief, Madame, «sprach der Kanzler.
«Ich werde ihn nur dem König geben, mein Herr, «sagte Anna.
«Wäre es des Königs Wille gewesen, den Brief selbst in Empfang zu nehmen, so würde er ihn von Euch gefordert haben. Aber ich wiederhole Euch, er hat mich beauftragt, ihn zu fordern, und wenn Ihr mir denselben nicht geben solltet…«
«Nun?«
«So bin ich ebenfalls beauftragt, ihn zu nehmen.«
«Wie? was wollt Ihr damit sagen?«
«Daß meine Befehle weit gehen, Madame, und daß ich bevollmächtigt bin, das verdächtige Papier sogar an der Person Eurer Majestät zu suchen.«
«Wie abscheulich!«rief die Königin.
«Wollt Euch also etwas leichter ergeben, Madame.«
«Dieses Benehmen ist eine schändliche Gewaltthat; wißt Ihr das, mein Herr?«
«Der König befiehlt, Madame, entschuldigt.«
«Ich werde es nicht dulden, nein, nein, eher sterben!«rief die Königin, bei der sich das kaiserliche Blut der Spanierin und Oesterreicherin empörte.

Der Kanzler machte eine tiefe Verbeugung; mit der klaren Absicht, keinen Zollbreit von der Erfüllung des Auftrags, den er übernommen, zurückzuweichen, und wie es etwa ein Henkersknecht in der Folterkammer hätte thun mögen, näherte er sich Anna von Oesterreich, aus deren Augen man jetzt Thränen der Wuth hervorstürzen sah.
Die Königin war, wie gesagt, eine große Schönheit. Der Auftrag konnte als äußerst delikat angesehen werden, aber der König war durch seine Eifersucht gegen Buckingham so weit gekommen, daß er gegen Niemand mehr Eifersucht fühlte.
Ohne Zweifel suchte der Kanzler Seguier in dieser Minute mit seinen Augen den Strang der berüchtigten Glocke, da er ihn aber nicht fand, so faßte er seinen Entschluß und streckte die Hand nach dem Orte aus, wo das Papier nach dem Geständniß der Königin verwahrt war. Anna von Oesterreich wurde so bleich, daß man hätte glauben sollen, sie würde sterben; einen Schritt rückwärts machend, stützte sie sich, um nicht zu fallen, mit der linken Hand auf einen Tisch, der hinter ihr stand, zog mit der rechten ein Papier aus ihrem Busen hervor, und reichte es dem Siegelbewahrer.
«Nehmt, hier ist der Brief!«rief die Königin mit zitternder Stimme,»nehmt und befreit mich von Eurer gehässigen Gegenwart.«
Der Kanzler, der ebenfalls von einer leicht begreiflichen Aufregung zitterte, nahm den Brief, verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.
Kaum war die Thüre hinter ihm geschlossen, als die Königin halb ohnmächtig in die Arme ihrer Frauen sank.
Der Kanzler trug den Brief zum König, ohne ein einziges Wort zu lesen. Der König ergriff ihn mit zitternder Hand, suchte die Adresse, welche fehlte, wurde sehr bleich, öffnete ihn langsam und las den Inhalt sehr rasch, als er bei den ersten Worten bemerkte, daß er an den König von Spanien gerichtet war.
Es war ein förmlicher Angriffsplan gegen Richelieu. Die Königin forderte ihren Bruder und den Kaiser von Oesterreich auf, sich zu stellen, als würden sie, verletzt durch die Politik Richelieu's der sich unablässig mit der Erniedrigung des Hauses Oesterreich beschäftigte, Frankreich den Krieg erklären, und sodann als Friedensbedingung die Entfernung des Kardinals zu fordern; aber von Liebe stand kein Wörtchen in dem Briefe.
Hocherfreut darüber, erkundigte sich der König, ob der Kardinal noch im Louvre sei. Man sagte ihm. Seine Eminenz erwarte im Arbeitskabinet die Befehle Sr Majestät.
Der König begab sich sogleich zu ihm.
«Hört, Herzog, «sprach er,»Ihr hattet Recht, und ich hatte Unrecht. Die ganze Intrigue ist politischer Natur, und die Liebe wird in diesem Briefe von keiner Silbe berührt. Dagegen ist sehr viel von Euch die Rede.«
Der Kardinal nahm den Brief und las ihn mit der größten Aufmerksamkeit. Nachdem er damit zu Ende war, las er ihn noch einmal.
«Gut, Ew. Majestät, «sagte er.»Ihr seht, wohin meine Feinde zielen. Man bedroht Euch mit zwei Kriegen, wenn Ihr mich nicht entfernt. An Eurer Stelle, Sire, würde ich in der That bei so mächtigem Andringen nachgeben, und ich würde mich wahrhaft glücklich fühlen, mich von den Geschäften zurückziehen zu dürfen.«
«Was sagt Ihr da, Herzog?«
«Ich sage, Sire, daß meine Gesundheit in diesen Kämpfen zu Grunde geht; ich sage, daß ich aller Wahrscheinlichkeit nach die Strapazen der Belagerung von La Rochelle nicht aushalten kann, und daß Ihr besser Herrn von Condé oder Herrn von Bassompierre oder irgend einen tapfern Mann, der seinem Stande nach zum Kriegsführen bestimmt ist, hiezu ernennen würdet, aber nicht mich, der ich ein Mann der Kirche bin, und den man beständig von seinem Beruf abzieht, um ihn zu Dingen zu gebrauchen, für welche er keine Geschicklichkeit besitzt. Ihr werdet glücklicher im Innern und, ich zweifle nicht daran, auch nach außen größer sein.«
«Mein Herr Herzog, «sprach der König,»ich begreife, seid nur ruhig. Alle diejenigen, welche in diesem Briefe genannt sind, und die Königin selbst, sollen nach Verdienst bestraft werden.«
«Was sagt Ihr, Sire? Gott behüte mich, daß die Königin meinetwegen die geringste Unannehmlichkeit erfahre; sie hat mich immer für ihren Feind gehalten, Sire, obgleich Ew. Majestät bezeugen kann, daß ich stets ihre Partie, sogar gegen Euch genommen habe. Oh! wenn sie Ew. Majestät in Beziehung auf die Ehre verriethe, dann wäre es etwas Anderes und ich wäre der Erste, der sagen müßte: keine Gnade für die Schuldige! Zum Glück ist dem nicht so, und Eure Majestät haben einen neuen Beweis hiefür erlangt.«
«Das ist wahr, Herr Kardinal, «erwiederte der König,»und Ihr habt Recht, wie immer. Aber die Königin verdient darum nicht minder meinen ganzen Zorn.«
«Ihr habt den ihrigen auf Euch gezogen, Sire, und wenn sie Ew. Majestät ernstlich grollen würde, so könnte ich es wohl begreifen!..«
«So werde ich stets meine Feinde und die Eurigen behandeln, Herzog, so hoch sie gestellt sein mögen, und welche Gefahr ich auch bei strenger Behandlung derselben laufen könnte.«
«Die Königin ist meine Feindin, aber nicht die Eurige, Sire. Sie ist im Gegenteil eine gehorsame und tadellose Gattin. Laßt mich also für sie ein Wort einlegen.«–
«Sie demüthige sich und komme mir zuerst entgegen.«
«Im Gegentheil, Sire, gebt Ihr das Beispiel. Ihr habt zuerst Unrecht gehabt, denn in Euch ist der Verdacht gegen die Königin entstanden.«
«Ich den ersten Schritt thun?«sagte der König.»Nie!«
«Sire, ich flehe Euch an.«
«Uebrigens, wie sollte ich ihr zuerst entgegenkommen?«
«Indem Ihr irgend Etwas veranstaltet, wovon Ihr wißt, daß es ihr angenehm ist.«
«Was?«
«Gebt einen Ball. Ihr wißt, wie gerne die Königin tanzt. Ich stehe dafür, daß ihr Groll gegen eine solche Aufmerksamkeit nicht Stand halten wird.«
«Mein Herr Kardinal, es ist Euch bekannt, daß ich die weltlichen Freuden nicht liebe.«
«Die Königin wird Euch um so dankbarer sein, weil sie Eure Antipathie gegen dieses Vergnügen kennt. Ueberdies wird es ihr eine Gelegenheit bieten, die schönen Diamant-Nestelstifte zu tragen, die Ihr Eurer Gemahlin an ihrem Namenstag geschenkt habt, ohne daß sie sich bis jetzt damit schmücken konnte.«
«Wir werden sehen, Herr Kardinal, wir werden sehen, «sagte der König, der, voll Freude darüber, daß die Königin eines Verbrechens, um das er sich nichts kümmerte, schuldig, und in Betreff eines Vergehens, das er so sehr fürchtete, unschuldig befunden worden, sehr geneigt war, sich mit ihr auszusöhnen;»wir werden sehen, aber bei meiner Ehre, Ihr seid zu nachsichtig.«
«Sire, «sprach der Kardinal,»überlaßt die Strenge Euren Ministern, die Nachsicht ist eine königliche Tugend; wendet sie an, und Ihr werdet Euch überzeugen, daß Ihr Euch gut dabei befindet.«
Als der Kardinal sodann die Uhr elf schlagen hörte, machte er eine tiefe Verbeugung, bat den König, sich beurlauben zu dürfen, und forderte ihn, ehe er sich entfernte, noch einmal auf, sich mit der Königin zu versöhnen.
Anna von Oesterreich, welche in Folge des ihr abgenommenen Briefes Vorwürfe erwartete, war sehr erstaunt, als sie den König am andern Tage Annäherungsversuche machen sah. Ihre erste Bewegung war zurückweisend. Der Stolz der Frau und die Würde der Königin waren so grausam verletzt worden, daß sie sich nicht sogleich von diesem Schlag erholen konnte. Doch ließ sie sich von den Frauen ihrer Umgebung bereden und that, als wollte sie allmählig vergessen. Der König benützte den ersten Moment eines Entgegenkommens, um ihr zu sagen, er gedenke ein Fest zu geben.
Ein Fest war etwas so Seltenes für die arme Anna von Oesterreich, daß bei dieser Ankündigung, wie es der Kardinal vorhergesehen hatte, die letzte Spur ihres Grolles, wenn nicht in ihrem Herzen, doch wenigstens auf ihrem Gesichte verschwand. Sie fragte, an welchem Tage dieses Fest statt haben sollte, aber der König antwortete, er müsse sich über diesen Punkt mit dem Kardinal verständigen.
Der König fragte den Richelieu wirklich jeden Tag, wann das Fest gegeben werden solle, und jeden Tag schob Richelieu eine bestimmte Aeußerung darüber unter irgend einem Vorwande hinaus.
Am achten Tage nach der von uns mitgetheilten Scene bekam der Kardinal einen Brief mit dem Stempel von London, der nur folgende Zeilen enthielt:
«Ich habe sie, aber ich kann London nicht verlassen, weil es mir an Geld fehlt; schickt mir fünfhundert Pistolen, und vier bis fünf Tage nach Empfang derselben bin ich in Paris.«
An demselben Tag, wo der Kardinal diesen Brief empfangen hatte, richtete der König seine gewöhnliche Frage an ihn.
Richelieu zählte an den Fingern und sagte ganz leise zu sich selbst:
«Sie wird, schreibt sie, vier bis fünf Tage nach Empfang des Geldes ankommen; das Geld braucht vier bis fünf Tage, um dort anzukommen, sie braucht vier bis fünf Tage, um hierher zu kommen: das macht zehn Tage; nun rechnen wir noch conträre Winde, etwaige Unfälle, Weiberschwäche dazu, und setzen wir zwölf Tage.«
«Nun, Herr Herzog, «sprach der König,»habt Ihr Eure Rechnung gemacht?«
«Ja, Sire, heute ist der 20. September; der Rath der Stadt Paris giebt am 3. Oktober ein Fest. Das trifft vortrefflich zusammen: dann sieht es nicht aus, als ob Ihr Euch so große Mühe gäbet, um die Königin zu versöhnen.«
«Doch, «fügte der Kardinal bei,»vergeßt nicht, Sire, am Vorabend des Festes Ihrer Majestät zu sagen, daß Ihr zu sehen wünscht, wie ihr die diamantenen Nestelstifte stehen.«
XVII. Die Haushaltung Bonacieux
Es war das zweite Mal, daß der Kardinal der diamantenen Nestelstifte gegen den König erwähnte. Ludwig XIII. war über diese Wiederholung betroffen und dachte, es müsse ein Geheimniß dahinter liegen, daß er ihm diesen Gegenstand so dringend empfahl.
Mehr als einmal hatte sich der König dadurch gedemüthigt gesehen, daß der Kardinal, der eine vortreffliche Polizei besaß, obgleich diese noch nicht die Vollendung der modernen Polizei erreicht hatte, über das, was in seinem eigenen Haushalt vorging, besser unterrichtet war, als er selbst. Er hoffte nun aus einem Gespräch mit Anna von Oesterreich einiges Licht zu gewinnen und sodann mit irgend einem Geheimniß, das der Kardinal mühte, zur Eminenz zurückzukehren, was ihn in den Augen seines Ministers unendlich erhöhen müßte.
Er suchte deßhalb die Königin auf und knüpfte seiner Gewohnheit gemäß die Unterredung mit neuen Drohungen gegen ihre Umgebung an. Anna von Oesterreich senkte den Kopf, ließ den Strom verlaufen, ohne zu antworten, und hoffte, er werde am Ende von selbst stille stehen; aber das war es nicht, was Ludwig XIII. wollte. Ludwig XIII. wollte einen Wortwechsel, aus dem irgend ein Lichtfunke hervorspringen würde, denn er war überzeugt, daß der Kardinal einen Hintergedanken habe und ihm eine von jenen furchtbaren Ueberraschungen bereite, welche Seine Eminenz herbeizuführen wußte. Er gelangte zu diesem Ziele durch seine Beharrlichkeit im Anschuldigen.
«Aber, «rief Anna von Oesterreich, dieser unbestimmten, schwankenden Angriffe müde,»aber, Sire, Ihr sagt mir nicht Alles, was Ihr auf dem Herzen habt; was habe ich denn gethan? Sprecht, welches Verbrechen habe ich begangen? Es ist nicht möglich, daß Ew. Majestät all diesen Lärmen wegen eines Briefes machen, den ich an meinen Bruder geschrieben.«
Seinerseits so direct angegriffen, wußte der König nicht, was er antworten sollte. Er dachte, dies sei der geeignete Augenblick, die Aufforderung anzubringen, die er erst am Vorabend des Festes machen sollte.
«Madame, «sprach er mit Hoheit,»es wird alsbald ein Ball im Rathhaus stattfinden. Ich erwarte, daß Ihr unsern braven Rathsherrn die Ehre anthun werdet, daselbst in Ceremonienkleidern und besonders mit den diamantenen Nestelstiften, die ich Euch an Euerem Namensfest gegeben habe, zu erscheinen. Das ist meine Antwort.«
Die Antwort war furchtbar; Anna von Oesterreich glaubte, Ludwig XIII. wisse Alles, und der Kardinal habe ihn zu dieser sechs- bis siebentägigen Verstellung bestimmt, die übrigens in seinem Charakter lag. Sie wurde todesblaß, stützte ihre bewunderungswürdig schöne Hand, welche jetzt von Wachs zu sein schien, auf eine Console, schaute den König mit erschrockenen Augen an und antwortete keine Sylbe.
«Ihr versteht, Madame, «sagte der König, der sich an dieser Verlegenheit in seiner ganzen Ausdehnung ergötzte, aber ohne die Ursache zu errathen,»Ihr versteht?«
«Ja, Sire, ich verstehe, «stammelte die Königin.
«Ihr werdet auf diesem Balle erscheinen?«
«Ja!«
«Mit Euren Nestelstiften?«
«Ja!«
Die Blässe der Königin nahm wo möglich noch zu, der König bemerkte es und waidete sich daran mit jener kalten Grausamkeit, welche eine der schlimmsten Seiten seines Charakters bildete.
«Dann ist die Sache abgemacht, «sprach der König,»und das ist Alles, was ich Euch zu sagen hatte.«
«Aber an welchem Tage soll der Ball stattfinden?«fragte Anna von Oesterreich.
Ludwig XIII. fühlte instinktmäßig, daß er auf diese Frage, welche die Königin mit beinahe ersterbender Stimme gethan hatte, nicht antworten durfte.
«Sehr bald, Madame, «sagte er,»aber ich erinnere mich nicht mehr genau des Datums und werde den Kardinal fragen.«
«Also hat Euch der Kardinal dieses Fest angekündigt!«rief die Königin. — »Ja, Madame, «erwiederte der König erstaunt.»Aber warum dies?«—»Er hat Euch gesagt, Ihr sollet mich auffordern, dabei mit diesen Nestelstiften zu erscheinen.«—»Das heißt, Madame…«—»Er, Sire!«—»Was liegt daran, ob er oder ich? Ist diese Aufforderung etwa ein Verbrechen?«—»Nein, Sire!«—»So werdet Ihr also erscheinen?«—»Ja, Sire!«—»Gut, «sprach der König sich entfernend,»ich zähle darauf.«
Die Königin machte eine Verbeugung, weniger aus Etikette, als weil ihre Kniee unter ihr brachen.
Der König schien entzückt.
«Ich bin verloren, «murmelte die Königin,»verloren, denn der Kardinal weiß Alles. Und er ist es, der den König antreibt, welcher nichts weiß, aber bald Alles erfahren wird. Ich bin verloren! Mein Gott! mein Gott! mein Gott!«
Sie knieete auf ein Kissen nieder und betete, den Kopf zwischen die zitternden Arme gesenkt.
Ihre Lage war in der That furchtbar. Buckingham war nach London zurückgekehrt. Frau von Chevreuse befand sich in Tours. Strenger als je überwacht, hatte die Königin eine geheime Ahnung, daß sie von einer ihrer Frauen verrathen wurde, ohne sich sagen zu können, von welcher. La Porte konnte den Louvre nicht verlassen. Sie hatte nicht eine Seele auf der Welt, der sie sich anvertrauen durfte.
Bei dem Unglück, das sie bedrohte, und bei der Verlassenheit, der sie preisgegeben war, brach sie in heftiges Schluchzen aus.
«Kann ich Ew. Majestät nichts nützen?«sprach plötzlich eine Stimme voll Sanftmuth und Mitleid.
Die Königin wandte sich lebhaft um, denn man konnte sich im Ausdruck dieser Stimme nicht täuschen: es war eine Freundin, welche so sprach.
An einer der Thüren, welche in das Gemach der Königin führten, erschien wirklich die hübsche Frau Bonacieux; sie war, als der König eintrat, damit beschäftigt gewesen, Kleider und Weißzeug in einem Kabinet zu ordnen. Sie konnte sich nicht entfernen und hatte Alles gehört. Die Königin stieß einen durchdringenden Schrei aus, als sie sich überrascht sah; denn in ihrer Angst erkannte sie anfangs die junge Frau nicht, die ihr La Porte gegeben hatte.
«O, fürchtet nichts, Madame, «sagte die junge Frau, die Hände faltend und selbst über die Bangigkeit der Königin weinend.»Ich gehöre Ew. Majestät mit Leib und Seele, und so fern ich Euch stehe, so untergeordnet meine Stellung ist, so glaube ich doch das Mittel gefunden zu haben, Ew. Majestät aller Pein zu entziehen.«
«Ihr! O Himmel, Ihr!«rief die Königin.»Aber seht, schaut mir ins Gesicht. Ich bin von allen Seiten verrathen; kann ich mich Euch anvertrauen?«
«O, Madame!«rief die junge Frau auf die Kniee fallend,»o, bei meiner Seele, ich bin bereit, für Euch zu sterben!«
Dieser Ruf kam aus der Tiefe des Herzens und man konnte sich über seine Wahrheit so wenig täuschen, als bei dem ersten.
«Ja, «fuhr Frau Bonacieux fort,»ja es gibt Verräther hier. Aber bei der heiligen Jungfrau beschwöre ich Euch, daß Niemand ergebener sein kann, als ich es Ew. Majestät bin. Diese Nestelstifte, welche der König fordert, habt Ihr dem Herzog von Buckingham gegeben, nicht wahr? Diese Nestelstifte waren in einem Kistchen von Rosenholz verschlossen, das er unter seinem Arm trug. Täusche ich mich? ist es nicht so?«
«Oh! mein Gott! mein Gott!«murmelte die Königin, der die Zähne vor Angst klapperten.
«Nun, «fuhr Frau Bonacieux fort,»man muß diese Nestelstifte wieder bekommen.«—»Ja, allerdings, das muß sein!«rief die Königin,»aber wie soll man dies machen, wie dazu gelangen?«—»Man muß Jemand zu dem Herzog schicken.«—»Aber wen?… wem mich anvertrauen?«—»Habt Vertrauen zu mir, Madame; erweist mir diese Ehre, und ich werde den Boten finden.«—»Aber ich werde schreiben müssen!«—»Oh! ja, das ist unerläßlich. Zwei Worte von Ew. Majestät Hand und Euer Privatsiegel.«—»Aber diese zwei Worte sind meine Verdammung, die Ehescheidung, die Verbannung!«—»Ja, wenn sie in böse Hände fallen. Aber ich stehe dafür, daß diese zwei Worte ihrer Adresse zugestellt werden.«—»O mein Gott! Ich muß also mein Leben, meine Ehre, meinen Ruf in Eure Hände legen.«—»Ja, ja, Madame, das muß sein, und ich werde Alles dies retten!«—»Aber wie? sagt mir dies wenigstens.«—»Mein Gatte ist vor zwei oder drei Tagen in Freiheit gesetzt worden, ich habe noch nicht Zeit gehabt, ihn zu sehen; er ist ein braver, ehrlicher Mann, der weder Haß noch Liebe für irgend Jemand hegt. Er wird thun, was ich haben will. Er wird auf einen Befehl von mir abreisen, ohne zu wissen, was er mit sich trägt, und den Brief Ew. Majestät an seine Adresse abgeben, ohne zu erfahren, daß er von Eurer Majestät herrührt.«
Die Königin ergriff die zwei Hände der jungen Frau mit leidenschaftlicher Begeisterung, schaute sie an, als wollte sie in der Tiefe ihres Herzens lesen, und küßte sie zärtlich, als sie nur Aufrichtigkeit in ihren schönen Augen gewahr wurde.
«Thu' dies, «rief sie,»und Du hast mir das Leben, Du hast mir die Ehre gerettet!«—»O, schlaget den Dienst, den ich Euch zu leisten so glücklich bin, nicht allzuhoch an. Ich habe Ew. Majestät, die nur das Opfer treuloser Komplotte ist, nichts zu retten.«—»Das ist wahr, das ist wahr, mein Kind, «sprach die Königin,»und Du hast Recht.«—»Gebt mir also den Brief, Madame, die Zeit drängt.«
Die Königin lief nach einem Tischchen, worauf sich Dinte, Papier und Federn befanden. Sie schrieb zwei Zeilen, versiegelte den Brief mit ihrem Siegel und stellte ihn Frau Bonacieux zu.
«Nun aber, «sagte die Königin,»nun aber vergessen wir eine sehr notwendige Sache.«—»Welche?«—»Das Geld.«
Frau Bonacieux erröthete.
«Ja, das ist wahr, «sagte sie,»und ich gestehe Eurer Majestät, daß mein Mann…«—»Dein Mann hat keines, nicht wahr, das willst Du mir sagen?«—»Gewiß, er hat, aber er ist sehr geizig, das ist sein Fehler. Uebrigens dürfen sich Ew. Majestät hiedurch nicht beunruhigen lassen, wir werden Mittel finden…«—»Ich habe auch keines, «sprach die Königin (diejenigen, welche die Memoiren der Frau von Moteville lesen, werden über diese Antwort nicht staunen),»aber warte!«
Anna von Oesterreich eilte nach ihrem Geschmeidekästchen.
«Halt, «sagte sie,»hier ist ein Ring von großem Werthe, wie man mich versichert. Er kommt von meinem Bruder, dem König von Spanien; er gehört mir, und ich kann darüber verfügen. Nimm diesen Ring, mach ihn zu Gelde und schick Deinen Mann auf die Reise.«
«In einer Stunde soll Euch gehorcht sein.«
«Du siehst die Adresse, «fügte die Königin bei, indem sie so leise sprach, daß man kaum hören konnte, was sie sagte:»An Mylord Herzog von Buckingham in London.«
«Der Brief soll ihm selbst eingehändigt werden.«
«Edelmüthiges Kind!«rief Anna von Oesterreich.
Frau Bonacieux küßte der Königin die Hände, verbarg das Parier in ihrem Schnürleib und verschwand mit der Leichtigkeit eines Vogels.
Zehn Minuten nachher war sie in ihrem Hause. Sie hatte, wie sie der Königin gesagt, ihren Gatten, seid er in Freiheit gesetzt worden war, nicht wieder gesehen und wußte nichts von der Veränderung, welche in ihm, in Beziehung auf den Kardinal vorgegangen war; einer Veränderung, die durch die Schmeichelei und das Geld seiner Eminenz bewerkstelligt und seitdem durch einige Besuche des Grafen von Rochefort gekräftigt worden, welche der beste Freund von Bonacieux wurde und diesen ohne alle Mühe glauben machte, die Entführung seiner Frau sei nicht durch irgend eine Schuld herbeigeführt worden, sondern er habe sie nur als eine politische Vorsichtsmaßregel zu betrachten.
Sie fand Herr Bonacieux allein: der arme Mann brachte mit großer Anstrengung wieder Ordnung in das Haus, dessen Geräthe er beinahe alles zertrümmert, und dessen Schränke er beinahe leer fand, da die Gerechtigkeit nicht zu den drei Dingen gehört, von denen der König Salomo sagt, daß sie keine Spuren ihres Erscheinens zurücklassen. Die Magd war bei der Verhaftung ihres Herrn entflohen. Des armen Mädchens hatte sich ein solcher Schrecken bemächtigt, daß sie von Paris bis in ihr Heimathland Burgund eilte.
Der würdige Krämer hatte sogleich nach seiner Rückkehr in sein Haus seine Frau benachrichtigt, und diese hatte ihm hieraus mit ihrem Glückwunsche und mit der Ankündigung geantwortet, daß der erste Augenblick, wo sie sich ihren Verpflichtungen entziehen könne, vollständig einem Besuche bei ihm gewidmet werden solle.
Dieser erste Augenblick ließ fünf Tage auf sich warten, was unter allen andern Umständen Meister Bonacieux sehr lange vorgekommen sein würde: aber er hatte in dem Besuche, den er dem Kardinal gemacht, und in den Besuchen, die ihm Rochefort machte, reichlichen Stoff zum Nachdenken gefunden, und bekanntlich verkürzt nichts die Zeit so sehr, als das Nachdenken. Ueberdies waren die Betrachtungen von Bonacieux insgesammt rosenfarbig. Rochefort nannte ihn seinen Freund, seinen lieben Bonacieux, und versicherte ihn unaufhörlich, der Kardinal halte große Stücke auf ihn. Der Krämer sah sich bereits auf dem Weg der Ehre und des Glückes.
Frau Bonacieux hatte ihrerseits auch nachgedacht, allerdings über etwas ganz Anderes, als über den Ehrgeiz. Unwillkürlich kam ihr immer und immer wieder der schöne, muthige, junge Mann in den Sinn, der so verliebt schien. Mit achtzehn Jahren an Herrn Bonacieux verheirathet, stets unter den Freunden ihres Gatten lebend, welche gar wenig geeignet waren, einer jungen Frau, deren Herz hoch über ihrer bürgerlichen Stellung stand, Gefühle einzuflößen, war Madame Bonacieux unempfindlich für gewöhnliche Verführung geblieben; der Titel eines Edelmannes übte besonders in dieser Epoche einen großen Einfluß auf das Bürgerthum aus, und d'Artagnan war Edelmann; überdies trug er die Uniform der Garden, welche nach der Musketier-Uniform bei den Damen in der höchsten Achtung stand. Er war, wir wiederholen es, schön, jung, abenteuerlich. Er sprach von Liebe wie ein Mann, welcher liebt und nach Gegenliebe dürstet; darin lag mehr, als es bedurfte, um ein dreiundzwanzigjähriges Köpfchen zu verdrehen. Und Frau Bonacieux war gerade bei diesem glücklichen Lebensalter angelangt.
Die zwei Gatten trafen also, obgleich sie sich seit mehr als acht Tagen nicht gesehen hatten, obgleich im Verlauf dieser Woche wichtige Ereignisse unter ihnen vorgefallen waren, nicht ohne allen Zwang wieder zusammen; dessenungeachtet gab Herr Bonacieux eine wahre Freude kund und ging mit offenen Armen auf seine Frau zu.
Frau Bonacieux bot ihm die Stirne.
«Sprechen wir ein wenig, «sagte sie.
«Wie?«fragte Bonacieux erstaunt.
«Ja, allerdings; ich habe Dir eine Sache von der größten Wichtigkeit mitzutheilen.«
«In der That, ich habe ebenfalls einige sehr ernsthafte Fragen an Dich zu richten. Ich bitte Dich, erkläre mir ein wenig Deine Entführung.«
«Es handelt sich in diesem Augenblicke nicht hievon, «sagte Frau Bonacieux.
«Und wovon handelt es sich denn? von meiner Gefangenschaft?«
«Ich habe sie an demselben Tage erfahren; aber da Du keines Verbrechens, keiner Intriguen schuldig warst, da Du nichts wußtest, was Dich oder sonst Jemand hätte gefährden können, so legte ich nicht mehr Gewicht auf dieses Ereigniß, als es verdiente.«
«Ihr sprecht freundlich, Madame!«versetzte Bonacieux verletzt durch die geringe Theilnahme, welche seine Frau für ihn an den Tag legte.»Wißt Ihr, daß ich einen Tag und eine Nacht in einem Kerker der Bastille saß!«
«Ein Tag und eine Nacht sind bald vorüber. Lassen wir Deine Gefangenschaft und kommen wir auf das, was mich hieher führt.«
«Wie? was Dich hieher führt! Also nicht das Verlangen, einen Gatten wiederzusehen, von dem Du seit acht Tagen getrennt bist?«fragte der Krämer in äußerst gereiztem Tone.
«Zuerst dies und dann etwas Anderes.«
«Sprich!«
«Eine Sache von dem größten Interesse, wovon vielleicht unser zukünftiges Glück abhängt.«
«Unser zukünftiges Glück hat sich bedeutend verändert, seitdem ich Dich nicht mehr gesehen habe, und es sollte mich nicht wundern, wenn uns in einigen Monaten gar viele Leute darum beneiden würden.«
«Ja, besonders wenn Du die Anweisungen befolgen willst, die ich Dir geben werde.«
«Mir?«
«Ja, Dir! Es ist eine gute und heilige Handlung zu vollbringen, mein Freund, und vielleicht viel Geld dabei zu gewinnen.«
Frau Bonacieux wußte, daß sie ihren Mann bei der schwachen Seite faßte, wenn sie von Geld sprach.
Aber ein Mensch, und wäre es auch ein Krämer, ist, wenn er zehn Minuten mit dem Kardinal von Richelieu gesprochen hat, nicht mehr derselbe Mensch.
«Viel Geld zu gewinnen!«— sagte Bonacieux. — »Ja, viel!«
«Wie viel ungefähr?«—»Etwa tausend Pistolen.«—»Was Du von mir zu verlangen hast, ist also sehr wichtig?«—»Ja!«
«Was ist zu thun?«—»Du reisest sogleich ab, ich gebe Dir ein Papier, das Du unter keinem Vorwand aus Deinen Händen lassest, und nur an seine Adresse abgibst.«—»Und wohin soll ich reisen?«—»Nach London.«—»Ich nach London! Geh, Du scherzest; ich habe nichts in London zu thun!«—»Aber für Andere ist es nothwendig, daß Du dahin gehst.«—»Wer sind die Anderen? Ich sage Dir, daß ich nichts mehr blindlings thue, und will nicht nur wissen, welchen Gefahren ich mich aussetze, sondern für wen ich mich aussetze.«—»Eine vornehme Person schickt Dich, eine vornehme Person erwartet Dich. Die Belohnung wird Deine Wünsche übertreffen. Das ist Alles, was ich Dir versprechen kann.«—»Abermals Intriguen! immer Intriguen! ich danke, ich traue jetzt nicht mehr, und der Herr Kardinal hat mich hierüber aufgeklärt.«—»Der Kardinal?«rief Frau Bonacieux,»hast Du den Kardinal gesehen?«—»Er hat mich rufen lassen, «antwortete der Krämer stolz. — »Und Du hast seiner Einladung Folge geleistet, unkluger Mann?«—»Ich muß gestehen, daß es nicht in meiner Wahl stand, mich zu ihm zu begeben oder nicht; denn ich befand mich zwischen zwei Wachen. Ich kann nicht läugnen, daß ich, da ich damals Seine Eminenz nicht kannte, sehr entzückt gewesen wäre, mich von diesem Besuche frei machen zu können.«—»Er hat Dich also mißhandelt? er hat Dich bedroht?«—»Er hat mir die Hand gereicht und mich seinen Freund genannt — seinen Freund! hörst Du wohl? Ich bin der Freund des großen Kardinals!«—»Des großen Kardinals!«—»Wollt Ihr ihm vielleicht diesen Titel streitig machen, Madame?«—»Ich bestreite nichts, ich sage nur, daß die Gunst eines Ministers eine Eintagsfliege ist, und daß man ein Thor sein muß, um sich an einen Minister zu hängen. Es gibt Gewalten, die über den seinigen stehen, und nicht auf der Laune eines Menschen oder dem Ausgang eines Ereignisses beruhen; mit diesen Gewalten muß man sich verbinden.«—»Es thut mir leid, Madame, aber ich kenne keine andere Gewalt, als die des großen Mannes, dem ich zu dienen die Ehre habe.«—»Du dienst also dem Kardinal?«—»Ja, Madame, und als sein Diener werde ich nicht zugeben, daß Ihr Euch in Komplotte gegen die Sicherheit des Staates einlasset, und eine Frau, die keine Französin ist und ein spanisches Herz hat, in ihren Intriguen unterstützt. Zum Glück ist der große Kardinal da. Sein wachendes Auge dringt bis in die Tiefe des Herzens.«
Bonacieux wiederholte Wort für Wort eine Phrase, die er vom Grafen von Rochefort gehört hatte. Aber die arme Frau, die auf ihren Gatten gerechnet und sich in dieser Hoffnung bei der Königin für ihn verantwortlich gemacht hatte, zitterte darum nicht minder über die Gefahr, in die sie sich beinahe gestürzt, so wie über die Ohnmacht, in welche sie sich versetzt sah. Da sie jedoch die Schwäche und besonders die Habgier ihres Mannes kannte, so verzweifelte sie noch nicht daran, ihn zu ihrem Ziele zu lenken.
«Ah, Ihr seid ein Kardinalist, mein Herr, «rief sie,»ah! Ihr dient der Partei derjenigen, welche Eure Frau mißhandeln und Eure Königin beleidigen!«—»Die Privatinteressen sind nichts den allgemeinen Interessen gegenüber. Ich bin für diejenigen, welche den Staat retten, «sagte Bonacieux mit Pathos.
Das war abermals eine Phrase des Grafen von Rochefort, die er im Kopfe behalten hatte und hier gut angebracht glaubte.
«Und wißt Ihr, was der Staat ist, von dem Ihr sprecht?«sagte Frau Bonacieux die Achseln zuckend.»Begnügt Euch, ein Bürger ohne alle seine Unterscheidungen zu sein, und haltet Euch auf die Seite, welche Euch am meisten Vortheil bietet.«—»Ei, ei!«erwiederte Bonacieux, und schlug auf einen Sack mit gerundetem Wanste, der einen silbernen Ton von sich gab.»Was sagt Ihr hievon, Frau Predigerin?«—»Woher kommt dieses Geld?«—»Ihr errathet es nicht?«—»Vom Kardinal?«—»Von ihm und von meinem Freunde, dem Grafen von Rochefort.«—»Von dem Grafen von Rochefort! Aber das ist ja derjenige, welcher mich weggeschleppt hat.«—»Das kann sein, Madame.«—»Und Ihr nehmt Geld von diesem Menschen an?«—»Habt Ihr mir nicht gesagt, diese Entführung sei ganz politischer Natur gewesen?«—»Ja, aber der Zweck dabei war, mich zu einem Verrath an meiner Gebieterin zu veranlassen, mir durch Foltern Geständnisse zu erpressen, welche die Ehre und vielleicht das Leben der erhabenen Fürstin bloßstellen sollten.«—»Madame, «entgegnete Bonacieux,»Eure erhabene Fürstin ist eine treulose Spanierin, und was der große Kardinal thut, ist wohlgethan.«—»Mein Herr, «sprach die junge Frau,»ich kannte Euch als feig, geizig und einfältig, aber ich wußte nicht, daß Ihr ehrlos seid!«—»Madame, «sagte Bonacieux, der seine Frau nie zornig gesehen hatte und vor dem ehelichen Grimme zurückwich;»Madame, was sagt Ihr da?«—»Ich sage, daß Ihr ein Elender seid!«fuhr Madame Bonacieux fort, der es nicht entging, daß sie wieder einigen Einfluß auf ihren Gatten gewann.»Ah! Ihr treibt Politik, Ihr! und zwar kardinalistische Politik! Ah! Ihr verkauft um schnödes Gold Leib und Seele an den Teufel!«—»Nein, aber an den Kardinal.«—»Das ist ganz dasselbe. Wer Richelieu sagt, sagt Satan.«—»Schweigt, Madame, schweigt, man könnte Euch hören!«—»Ihr habt Recht, und ich würde mich Eurer Feigheit schämen.«—»Aber was verlangt Ihr denn von mir? laßt hören!«—»Ich habe Euch gesagt, mein Herr, daß Ihr stehenden Fußes abreisen und den Auftrag, dessen ich Euch würdige, sogleich vollziehen sollt, unter dieser Bedingung vergebe ich Alles, vergesse ich Alles; mehr noch«— sie reichte ihm die Hand —»ich schenke Euch wieder meine Freundschaft.«
Bonacieux war feig und geizig, aber er liebte seine Frau; er ließ sich erweichen. Ein Mann von fünfzig Jahren grollt einer Frau von dreiundzwanzig nicht lange. Madame Bonacieux sah, daß er schwankte, und sagte:
«Nun, seid Ihr entschlossen?«—»Aber, meine liebe Freundin, bedenkt doch einen Augenblick, was Ihr von mir fordert; London ist weit von Paris, sehr weit, und es ist vielleicht mit dem Auftrag, den Ihr mir gebt, Gefahr verbunden.«—»Was ist daran gelegen, wenn Ihr sie vermeidet?«—»Hört, Madame Bonacieux, hört, «sagte der Krämer,»ich widersetze mich entschieden Euerem Ansinnen: die Intriguen machen mir bange. Ich habe die Bastille gesehen. Brrrr! Die Bastille ist furchtbar. Wenn ich nur daran denke, überläuft mich eine Schauer. Man hat mich mit der Folter bedroht. Wißt Ihr, was die Folter ist? steile, die man einem zwischen die Beine treibt, bis die Knochen krachen! Nein, ich bin entschlossen, ich gehe nicht. Ei, der Teufel! warum geht Ihr nicht selbst? Denn in der That, ich glaube, daß ich mich jetzt in Beziehung auf Euere Person nicht getäuscht habe: Ihr seid ein Mann und noch dazu einer der wüthendsten.«—»Und Ihr, Ihr seid ein Weib, ein elendes, albernes, dummes Weib. Ah! Ihr habt Furcht! Nun wohl! wenn Ihr nicht in diesem Augenblick reist, lasse ich Euch auf Befehl der Königin verhaften und in die Bastille setzen, die Ihr so sehr fürchtet.«
Bonacieux versank in tiefes Nachdenken; er erwog reiflich in seinem Gehirne die zwei Grimme, den des Kardinals und den der Königin: der des Kardinals gewann in einem ungeheuer Grade die Oberhand.
«Laßt mich im Namen der Königin verhaften, «sprach er;»ich fordere meine Freilassung von Seiner Eminenz.«
Madame Bonacieux sah ein, daß sie zu weit gegangen war, und erschrack darüber, daß sie sich hatte so fortreißen lassen. Sie betrachtete einen Augenblick nicht ohne Bangigkeit dieses alberne Gesicht, auf dem eine unüberwindliche Entschlossenheit zu lesen war, wie gewöhnlich bei Albernen, welche Furcht haben.
«Nun gut, es sei so!«sagte sie,»Ihr habt vielleicht am Ende Recht; ein Mann sieht in der Politik weiter, als ein Weib, und Ihr besonders, Herr Bonacieux, der Ihr mit dem Kardinal gesprochen habt; aber dennoch ist es sehr hart, «fügte sie bei,»daß mein Gatte, daß ein Mann, aus dessen Liebe ich rechnen zu dürfen glaubte, mich so unfreundlich behandelt und meine Launen nicht befriedigt.«
«Weil Euere Launen zu weit führen könnten, «entgegnete Bonacieux triumphirend,»und weil ich nicht traue.«
«Ich werde also Verzicht leisten, «sprach die junge Frau seufzend,»gut, reden wir nicht mehr davon.«
«Wenn Ihr nur wenigstens sagen wolltet, was ich in London zu thun hätte, «fragte Bonacieux, dem es etwas spät einfiel, daß ihm Rochefort aufgetragen hatte, er solle die Geheimnisse seiner Frau zu erforschen suchen.
«Ihr braucht es nicht zu wissen, «antwortete die junge Frau, welche ein instinktmäßiges Mißtrauen nun wieder zurücktrieb,»es handelte sich um eine Bagatelle, wie sie die Frauen oft zu bekommen wünschen, um einen Einkauf, wobei viel zu gewinnen gewesen wäre.«
Aber je mehr sich die junge Frau vertheidigte, desto mehr kam Bonacieux auf die Meinung, das Geheimniß, welches sie ihm anzuvertrauen sich weigerte, müsse von großem Belang sein. Er beschloß deßhalb, sogleich zu dem Grafen von Rochefort zu laufen und ihm mitzutheilen, die Königin suche einen Boten, um ihn nach England zu schicken.
«Verzeiht, wenn ich Euch verlasse, meine liebe Madame Bonacieux, «sagte er,»aber da ich nicht wußte, daß Ihr kommen würdet, so hatte ich mich mit einem von meinen Freunden zusammenbestellt, ich komme sogleich wieder, und wenn Ihr eine halbe Minute auf mich warten wollt, so hole ich Euch ab, sobald ich meinen Freund abgefertigt habe, und führe Euch, da es bereits spät zu werden anfängt, in den Louvre zurück.«
«Ich danke, mein Herr, «erwiederte Madame Bonacieux.»Ihr seid nicht muthig genug, um mir von irgend einem Nutzen zu sein, und ich werde allein in den Louvre zurückkehren.«
«Wie es Euch gefällig ist, Madame Bonacieux, «versetzte der Exkrämer.»Werde ich Euch bald wieder sehen?«
«Ohne Zweifel; in der nächsten Woche wird mir mein Dienst hoffentlich einige Freiheit gönnen, und ich gedenke diese zu benützen, um die Ordnung in unsern Sachen wieder herzustellen, welche ein wenig durcheinander gebracht worden sein müssen.«
«Gut, ich erwarte Euch; Ihr seid mir nicht böse?«
«Ich! nicht im mindesten.«
«Also, auf baldiges Wiedersehen?«
«Gewiß. «Bonacieux küßte seiner Frau die Hand und entfernte sich rasch.
«Schön, «sagte Madame Bonacieux, als ihr Mann die Hausthüre geschlossen hatte und sie sich allein befand,»diesem Schwachkopf fehlte nichts mehr, als daß er ein Kardinalist wurde. Und ich, die ich der Königin dafür stand, ich, die ich meiner armen Gebieterin versprochen habe… Ah! mein Gott! mein Gott! sie wird mich für eine von den Elenden halten, von denen der Palast wimmelt und die man in ihre Nähe gebracht hat, um sie auszuspioniren. Ah! Herr Bonacieux, ich habe Euch nie sehr geliebt, aber jetzt steht es noch schlimmer! Ich hasse Euch und gebe Euch mein Wort, Ihr sollt es mir bezahlen.«
In dem Augenblicke, wo sie diese Worte sprach, vernahm sie einen Schlag an den Plafond, sie hob den Kopf in die Höhe und eine Stimme, welche durch die Decke kam, rief ihr zu:»Liebe Madame Bonacieux, öffnet mir die kleine Thüre und ich komme zu Euch hinab.«
XVIII. Der Liebhaber und der Gatte
«Aber, Madame Bonacieux, «sagte d'Artagnan, durch die Thüre eintretend, welche ihm die junge Frau öffnete,»erlaubt mir. Euch zu bemerken. Ihr habt da einen traurigen Mann.«
«Hörtet Ihr denn unser Gespräch?«fragte Madame Bonacieux lebhaft und schaute dabei d'Artagnan unruhig an.
«Vollkommen.«
«Aber, mein Gott, wie dies?«
«Durch ein mir bekanntes Verfahren, durch welches ich auch Euer etwas belebteres Gespräch mit der Polizei vernahm.«
«Und was habt Ihr von dem, was wir sagten, verstanden.«
«Tausenderlei Dinge. Vor allem, daß Euer Gatte ein armseliger Tropf ist; ferner daß Ihr glücklicher Weise in Verlegenheit seid, denn dies ist mir sehr angenehm, weil es mir Gelegenheit bietet. Euch zu Diensten zu sein, und Gott weiß, daß ich bereit bin, mich für Euch in die Flammen zu stürzen; endlich, daß die Königin eines braven, gescheiten und ergebenen Mannes zu einer Reise nach London bedarf. Ich besitze wenigstens zwei von diesen Eigenschaften, und hier bin ich.«
Madame Bonacieux antwortete nicht; aber ihr Herz schlug gewaltig vor Freude, und eine geheime Hoffnung erglänzte in ihren Augen.
«Und welche Bürgschaft könnt Ihr mir geben, «fragte sie,»wenn ich mich entschließe, Euch diese Sendung anzuvertrauen?«—»Meine Liebe für Euch. Sprecht, befehlt, was soll ich thun?«—»Mein Gott, mein Gott, «murmelte die junge Frau,»darf ich Euch ein solches Geheimnis anvertrauen, Herr? Ihr seid beinahe noch ein Kind.«—»Ich sehe schon, daß irgend Jemand für mich gut stehen müßte.«—»Ich kann nicht leugnen, daß mich dies ungemein beruhigen würde.«—»Kennt Ihr Athos?«—»Nein!«—»Porthos?«—»Nein!«—»Aramis?«— Nein. Wer sind diese Herren?«—»Musketiere des Königs. Kennt Ihr Herrn von Treville, ihren Kapitän?«—»O ja, diesen kenne ich; nicht persönlich, aber ich habe oft von ihm als einem braven und rechtschaffenen Edelmann sprechen hören.«—»Ihr fürchtet nicht, von ihm an den Kardinal verrathen zu werden, nicht wahr?«—»O nein, gewiß nicht.«—»Nun, so enthüllt diesem Euer Geheimniß, und fragt ihn, ob Ihr es mir, so wichtig, so kostbar, so furchtbar es auch sein mag, anvertrauen könnt?«—»Aber das Geheimniß gehört nicht mir und ich kann es nicht auf diese Art enthüllen.«—»Ihr wolltet es Herrn Bonacieux anvertrauen, «sprach d'Artagnan etwas ärgerlich. — »Wie man einen Brief einem hohlen Baume, dem Flügel einer Taube, dem Halsbande eines Hundes anvertraut.«—»Und doch seht Ihr wohl, daß ich Euch liebe.«—»Ihr sagt es.«—»Ich bin ein gefälliger Mann!«—»Ich glaube es.«—»Ich habe Muth.«—»Oh! davon bin ich überzeugt.«—»Dann stellt mich auf die Probe.«
Madame Bonacieux schaute den jungen Mann mit einem letzten Zögern an. Aber es lag ein solcher Eifer in seinen Augen, eine solche Überzeugungskraft in seiner Stimme, daß sie sich hingezogen fühlte, d'Artagnan sich anzuvertrauen. Ueberdieß befand sie sich in einem jener Verhältnisse, wo man Alles für Alles wagen muß. Die Königin war eben so wohl durch eine zu große Zurückhaltung, als durch ein zu großes Vertrauen verloren. Dann müssen wir gestehen, daß das Gefühl, welches sich unwillkürlich für diesen jungen Beschützer in ihr regte, ihr vollends den Mund verschloß.
«Hört, «sprach sie, ich füge mich Eueren Betheuerungen, ich gebe Eueren Versicherungen nach; aber ich schwöre Euch vor Gott, der uns hört, daß ich, wenn Ihr mich verrathet und meine Feinde mich tödten, Euch meines Todes anklage.«
«Und ich schwöre Euch vor Gott, Madame, «sagte d'Artagnan,»daß ich, wenn ich bei der Vollziehung Euerer Befehle ergriffen werde, sterbe, ehe ich irgend etwas thue oder sage, was einen Menschen gefährden könnte.«
Hierauf vertraute ihm die junge Frau das furchtbare Geheimniß an, das ihm der Zufall theilweise vor der Samaritaine geoffenbart hatte.
Das war ihre gegenseitige Liebeserklärung.
D'Artagnan strahlte vor Stolz und Freude. Das Geheimniß, welches er nun besaß, die Frau, die er liebte, das Vertrauen und die Liebe machten ihn zum Riesen.
«Ich reise, «sagte er,»ich reise auf der Stelle.«—»Wie! Ihr reist!«rief Madame Bonacieux,»und Euer Kapitän, Euer Regiment? — »Bei meiner Seele! Ihr habt mich das ganz und gar vergessen gemacht, liebe Constanze. Ja, Ihr habt Recht, ich bedarf eines Urlaubs.«—»Abermals ein Hinderniß!«murmelte Madame Bonacieux schmerzlich. — »Oh! was dieses betrifft, «rief d'Artagnan nach kurzem Bedenken,»seid ruhig, ich werde es zu beseitigen wissen.«—»Wie dies?«—»Ich suche noch diesen Abend Herrn von Treville auf und veranlasse ihn, seinen Schwager, Herrn des Essarts, um diese Gunst für mich zu bitten.«—»Nun, noch etwas Anderes.«—»Was?«fragte d'Artagnan, als er sah, daß Madame Bonacieux fortzufahren zögerte. — »Habt Ihr vielleicht kein Geld?«—»Vielleicht ist zu viel, «erwiederte d'Artagnan lächelnd. — »Gut, «versetzte Madame Bonacieux, öffnete einen Schrank und zog daraus den Sack, den ihr Gatte vor einer halben Stunde so verliebt gestreichelt hatte;»gut, so nehmt diesen Sack.«—»Den Sack des Kardinals!«rief d'Artagnan mit lautem Lachen, denn er hatte, wie man sich erinnert, durch Wegnahme seiner Fließen keine Silbe von der Unterredung des Krämers und seiner Frau verloren. — »Ja freilich, «antwortete Madame Bonacieux;»Ihr seht, daß er sich unter einer sehr ehrwürdigen Gestalt präsentirt.«—»Bei Gott!«rief d'Artagnan, es wird doppelt belustigend sein, die Königin mit dem Gelde Seiner Eminenz zu retten!«—»Ihr seid ein liebenswürdiger und artiger junger Mann, «sagte Madame Bonacieux.»Glaubt mir, Ihre Majestät wird nicht undankbar sein.«
«Oh! ich bin bereits großartig belohnt, «rief d'Artagnan.»Ich liebe Euch. Ihr erlaubt mir, es Euch zu sagen, das ist bereits mehr Glück, als ich zu hoffen wagte.«—»Stille, «sprach Madame Bonacieux zitternd. — »Was?«
«Man spricht auf der Straße.«–
«Es ist die Stimme…«–
«Meines Mannes, ja ich erkenne sie.«–
D'Artagnan lief an die Thüre, und stieß den Riegel vor.
«Er wird nicht eher eintreten, als bis ich weggegangen bin, «sprach er,»und dann öffnet Ihr ihm.«
«Aber ich sollte ebenfalls weggegangen sein. Wie ließe sich das Verschwinden des Geldes rechtfertigen, wenn ich hier wäre?«—»Ihr habt Recht, wir müssen fortgehen.«—»Wie dies? Er wird uns gehen sehen.«—»Dann müssen wir in meine Wohnung hinauf.«—»Ach! rief Madame Bonacieux,»Ihr sagt mir dies in einem Tone, der mich bange macht.«
Madame Bonacieux sprach diese Worte mit einer Thräne in den Augen. D'Artagnan gewahrte diese Thräne und warf sich beunruhigt, gerührt vor ihr auf die Kniee.
«Bei mir, «sagte er,»seid Ihr so sicher, wie in der Kirche, darauf gebe ich Euch mein Edelmannswort.«
«So laßt uns gehen, «erwiederte sie;»ich traue Euch, mein Freund.«
D'Artagnan öffnete vorsichtig den Riegel wieder. Beide schlüpften leicht wie Schatten durch die innere Thüre des Ganges, stiegen geräuschlos die Treppe hinauf und traten in das Zimmer d'Artagnans.
Sobald sich der junge Mann hier befand, verbarrikadierte er zu größerer Sicherheit die Thüre; dann näherten sich beide dem Fenster und sahen durch einen Spalt des Ladens Herrn Bonacieux, der mit einem in einen Mantel gehüllten Mann sprach.
Beim Anblick dieses Mannes im Mantel sprang d'Artagnan auf und stürzte mit halbgezogenem Degen nach der Thüre. Es war der Mann von Meung.
«Was wollt Ihr thun?«rief Madame Bonacieux,»Ihr richtet uns zu Grunde.«—»Aber ich habe geschworen, diesen Menschen zu tödten!«sagte d'Artagnan. — »Euer Leben ist in diesem Augenblick Andern geweiht und gehört nicht Euch. Ich verbiete Euch im Namen der Königin, Euch in irgend eine Gefahr zu begeben, außer in die der Reise.«—»Und in Eurem Namen befehlt Ihr mir nichts?«—»In meinem Namen, «sagte Madame Bonacieux äußerst bewegt,»in meinem Namen bitte ich Euch. Aber horchen wir! Es scheint mir, sie sprechen von mir. «D'Artagnan näherte sich dem Fenster und lauschte.
Herr Bonacieux hatte die Thüre wieder geöffnet und kehrte, als er die Wohnung leer fand, zu dem Manne im Mantel zurück, den er einen Augenblick allein gelassen hatte.
«Sie ist fort, «sprach er,»sie wird in den Louvre zurückgekehrt sein.«—»Ihr wißt gewiß, «erwiederte der Fremde,»daß sie nicht vermuthet, in welcher Absicht Ihr weggegangen seid?«
«Allerdings, «antwortete Bonacieux mit anmaßendem Tone.»Es ist eine zu gedankenlose Frau.«—»Ist der Gardecadet zu Hause?«—»Ich glaube nicht. Sein Laden ist, wie Ihr seht, geschlossen, und man sieht kein Licht durch die Spalten glänzen.«—»Gleich viel, man sollte sich vergewissern.«—»Wie dies?«—»Indem man an die Thüre klopfen würde.«—»Ich werde nach seinem Bedienten fragen.«—»Geht!«
Bonacieux kehrte in sein Haus zurück, ging durch dieselbe Thüre, durch welche die zwei Flüchtlinge geschlüpft waren, stieg bis zu dem Vorplatze d'Artagnan's hinauf und klopfte.
Niemand antwortete. Um eine größere Figur zu spielen, hatte Porthos diesen Abend Planchet entlehnt. D'Artagnan hütete sich wohl, ein Lebenszeichen von sich zu geben.
Im Augenblick, wo der Finger von Bonacieux an der Thüre ertönte, schlugen die Herzen der jungen Leutchen gewaltig.
«Es ist Niemand zu Hause, «sagte Bonacieux. — »Gut, doch gehen wir immerhin zu Euch hinein. Wir sind sicherer als auf einer Thürschwelle.«—»Ach, mein Gott, «murmelte Madame Bonacieux,»wir werden nichts mehr hören.«—»Im Gegentheil, «sprach d'Artagnan,»wir hören nur besser.«
D'Artagnan hob die drei bis vier Fließen auf, welche aus seinem Zimmer ein zweites Dionysiusrohr machten, breitete einen Teppich auf dem Boden aus, legte sich auf die Kniee und gab Madame Bonacieux durch ein Zeichen zu verstehen, sie möge sich, wie er, gegen die Oeffnung neigen.
«Ihr wißt gewiß, daß Niemand zu Hause ist, «sprach der Unbekannte. — »Ich stehe dafür, «sagte Bonacieux —»Und Ihr glaubt, daß Euere Frau…«—»In den Louvre zurückgekehrt ist.«—»Ohne mit irgend Jemand zu sprechen, außer mit Euch?«—»Ich bin dessen gewiß.«—»Das ist ein wichtiger Punkt, versteht Ihr.«—»Also hat die Nachricht, die ich Euch überbracht habe, einigen Werth?…«—»Einen sehr großen Werth, mein lieber Bonacieux, ich will es Euch nicht verbergen.«—»Dann wird der Kardinal mit mir zufrieden sein.«—»Ich zweifle nicht daran.«—»Der große Kardinal!«—»Ihr wißt gewiß, daß Euere Frau in Euerer Unterredung mit Euch keinen Eigennamen ausgesprochen hat.«—»Ich glaube nicht.«—»Sie hat weder Frau von Chevreuse, noch Herrn von Buckingham, noch Frau von Vernet genannt?«—»Nein, sie hat mir nur gesagt, sie wolle mich nach London schicken, um den Interessen einer vornehmen Person zu dienen.«—»Der Verräther!«murmelte Madame Bonacieux. — »Stille, «sagte d'Artagnan und nahm sie bei der Hand, die sie ihm, ohne daran zu denken, überließ.
«Wie dem sein mag, «fuhr der Mann im Mantel fort,»Ihr seid ein Thor, daß Ihr Euch nicht gestellt habt, als wollet Ihr den Auftrag übernehmen. Ihr hättet jetzt den Brief, der Staat, den man bedroht, wäre gerettet, und Ihr…«—»Und ich?… — »Nun, der Kardinal würde Euch in den Adelstand erheben.«—»Hat er Euch dies gesagt?«—»Ja, er wollte Euch diese Ueberraschung bereiten.«—»Seid ruhig, «erwiederte Bonacieux,»meine Frau betet mich an, und es ist noch Zeit.«—»Der Dummkopf!«murmelte Madame Bonacieux. — »Stille!«sagte d'Artagnan und drückte ihr die Hand noch stärker. — »Wie, ist es noch Zeit?«versetzte der Mann in dem Mantel. — »Ich kehre in den Louvre zurück, ich frage nach Madame Bonacieux, ich sage, ich habe mir die Sache überdacht, ich knüpfe die Angelegenheit wieder an, ich erhalte den Brief und laufe zu dem Kardinal.«—»Nun! geht geschwind. Ich werde bald zurückkehren, um den Erfolg Eueres Ganges zu erfahren.«
Der Unbekannte entfernte sich.
«Der Schändliche!«sagte Madame Bonacieux, sich mit diesem Beinamen abermals an ihren Gatten wendend.
«Stille!«wiederholte d'Artagnan, und drückte ihr die Hand immer stärker.
Ein furchtbares Gekreische unterbrach jetzt die Betrachtungen d'Artagnans und der Frau Bonacieux. Ihr Gatte hatte das Verschwinden seines Sackes bemerkt und schrie um Hilfe gegen Diebe.
«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»er wird das ganze Quartier in Aufruhr bringen!«
Bonacieux schrie lange Zeit, aber da dergleichen Geschrei, weil es sehr häufig vorkam, Niemand nach der Rue des Fossoyeurs zog, und da überdies das Haus des Krämers seit einiger Zeit in ziemlich schlimmem Rufe stand, so ging er, als er Niemand kommen sah, hinaus, ohne in seinem Gekreische nachzulassen, und man hörte seine Stimme in der Richtung der Rue du Bac verhallen.
«Und nun, da er fort ist, ist es an Euch wegzugehen, «sagte Madame Bonacieux.»Muth und besonders Klugheit! Bedenkt, daß Ihr Euch der Königin weiht.«
«Ihr und Euch!«rief d'Artagnan,»seid ruhig, schöne Constanze, ich werde Ihrer Dankbarkeit würdig wiederkehren, aber werdet Ihr mich dann auch Eurer Liebe würdig halten?«
Die junge Frau antwortete nur durch eine lebhafte Röthe, welche ihre Wangen färbte. Einige Augenblicke nachher entfernte sich auch d'Artagnan, ebenfalls in einen großen Mantel gehüllt, aus welchem kavaliermäßig die Scheide eines langen Degens vorstand.
Madame Bonacieux folgte ihm mit jenem langen Liebesblicke, womit die Frau den Mann begleitet, von dem sie sich geliebt fühlt; aber nachdem er an der Straßenecke verschwunden war, fiel sie auf ihre Kniee, faltete die Hände und rief:
«O! mein Gott! mein Gott! beschütze die Königin, beschütze mich!«
XIX. Feldzugsplan
D'Artagnan begab sich geraden Wegs zu Herrn von Treville. Er hatte überlegt, daß in einigen Minuten der Kardinal durch diesen verdammten Unbekannten, welcher sein Agent zu sein schien, benachrichtigt sein mußte, und dachte mit Recht, daß man keinen Augenblick verlieren dürfe.
Das Herz des jungen Mannes strömte vor Freude über. Ein Abenteuer, wobei Ruhm zu erwerben und Geld zu gewinnen war, bot sich ihm dar, und hatte ihn als erste Ermuthigung einer Frau näher gebracht, die er anbetete. Dieser Zufall that beinahe auf den ersten Schlag mehr für ihn, als er von der Vorsehung zu verlangen gewagt hätte.
Herr von Treville befand sich mit seinem gewöhnlichen Hofe von Edelleuten in seinem Salon. D'Artagnan, den man als einen Vertrauten des Hauses kannte, begab sich geradezu in sein Kabinet und ließ ihn benachrichtigen, daß er ihn in einer wichtigen Angelegenheit erwarte.
D'Artagnan war hier seit etwa fünf Minuten, als Herr von Treville eintrat. Beim ersten Blicke und aus der Freude, die aus seinem Antlitz strahlte, erkannte der würdige Kapitän, daß wirklich etwas Neues vorging.
Den ganzen Weg entlang hatte d'Artagnan sich gefragt, ob er sich Herrn von Treville anvertrauen oder ob er ihn nur bitten sollte, ihm Carte blanche in einer wichtigen Angelegenheit zu bewilligen. Aber Herr von Treville war stets so vollkommen gut gegen ihn gewesen, er war so sehr dem König und der Königin ergeben, er haßte den Richelieu so von ganzem Herzen, daß der junge Mann sich entschloß, ihm Alles zu sagen.
«Ihr habt mich bitten lassen, mein junger Freund?«sprach Herr von Treville. — »Ja, mein Herr, «sprach d'Artagnan,»und Ihr werdet mir diese Störung hoffentlich vergeben, wenn Ihr erfahrt, wie wichtig die Angelegenheit ist, um die es sich handelt.«—»Sprecht, ich höre!«—»Es handelt sich um nichts Geringeres, «sagte d'Artagnan, die Stimme dämpfend,»als um die Ehre, und vielleicht um das Leben der Königin.«—»Was sprecht Ihr da?«fragte Herr von Treville, indem er sich rings umschaute, ob sie auch gewiß allein seien, und heftete dann wieder seinen Blick auf d'Artagnan.
«Ich sage, gnädiger Herr, daß mir der Zufall ein Geheimniß in die Hände gespielt hat…«—»Das Ihr hoffentlich bewahren werdet, junger Mann! Bei Eurem Leben warne ich Euch!«—»Das ich aber Euch anvertrauen muß, gnädiger Herr, denn Ihr allein könnt mich in der Sendung unterstützen, die ich von der Königin erhalten habe.«—»Gehört das Geheimniß Euch?«—»Nein, der Königin.«—»Seid Ihr von Ihrer Majestät bevollmächtigt, es mir anzuvertrauen?«—»Nein, es ist mir im Gegentheil das tiefste Stillschweigen anempfohlen.«—»Und warum wollt Ihr es mir gegenüber brechen?«—»Weil ich, wie gesagt, ohne Euch nichts thun kann, und weil ich fürchte, Ihr könntet mir die Gnade, um die ich Euch bitte, abschlagen, wenn Ihr nicht wüßtet, in welcher Absicht ich Euch bitte.«—»Behaltet Euer Geheimniß, junger Mann, und nennt mir Euern Wunsch.«—»Ich wünsche, daß Ihr mir bei Herrn des Essarts einen Urlaub von vierzehn Tagen verschaffet.«—»Wann dies?«—»Noch in dieser Nacht.«—»Ihr verlaßt Paris?«—»Ich gehe in einem Auftrag.«—»Könnt Ihr mir sagen, wohin?«—»Nach London.«—»Hat Jemand ein Interesse dabei, daß Ihr Euer Ziel nicht erreicht?«—»Der Kardinal würde, glaube ich. Alles in der Welt dafür geben, wenn es mir nicht gelänge.«—»Und Ihr reist allein?«—»Ich reise allein.«—»In diesem Fall kommt Ihr nicht über Bondy hinaus; das sage ich Euch, so wahr ich Treville heiße.«—»Wie so?«—»Man läßt Euch ermorden.«—»Dann sterbe ich in der Erfüllung meiner Pflicht.«—»Aber Eure Sendung ist nicht vollzogen.«— Das ist wahr, «sprach d'Artagnan. — »Glaubt mir, «fuhr Treville fort,»bei dergleichen Unternehmungen müssen es vier sein, wenn einer ankommen soll.«—»Ihr habt Recht, gnädiger Herr, «sagte d'Artagnan,»aber Ihr kennt Porthos, Athos und Aramis und wißt, daß ich über diese verfügen kann.«—»Ohne ihnen das Geheimniß anzuvertrauen, das ich nicht wissen wollte?«—»Wir haben uns ein für allemal blindes Vertrauen und Ergebenheit unter jeder Bedingung geschworen. Ueberdies könnt Ihr ihnen sagen, daß Ihr volles Vertrauen in mich setzt, und sie werden nicht minder gläubig sein, als Ihr.«—»Ich kann nicht mehr thun, als jedem von ihnen einen Urlaub von vierzehn Tagen schicken: Athos, der immer noch an seiner Wunde leidet, um die Bäder von Farges zu besuchen; Porthos und Aramis, um ihrem Freunde zu folgen, den sie in einer so schmerzlichen Lage nicht verlassen wollen. Die Übersendung des Urlaubs wird ihnen zum Beweise dienen, daß ich die Reise billige.«—»Ich danke, gnädiger Herr, für diese hundertfache Güte.«—»Sucht sie also sogleich auf, und bringt Alles noch in dieser Nacht zur Ausführung. Doch schreibt mir vor Allem Euer Urlaubsgesuch an Herrn des Essarts. Vielleicht hattet Ihr einen Spion auf Euren Fersen, und Euer Besuch, der in diesem Falle dem Kardinal bereits bekannt ist, wird hierdurch legitimirt.«
D'Artagnan faßte die Meldung ab; Herr von Treville übernahm sie mit der Versicherung, vor zwei Uhr Morgens sollen die vier Urlaube in den Wohnungen der verschiedenen Reisenden sein.
«Habt die Güte, den meinigen zu Athos zu schicken, «sagte d'Artagnan.»Ich fürchte ein schlimmes Zusammentreffen, wenn ich nach Hause heimkehren würde.«—»Seid unbesorgt. Gott befohlen und glückliche Reise! Doch hört, «sagte Herr von Treville zurückrufend.
D'Artagnan kehrte noch einmal um.
«Habt Ihr Geld?«
D'Artagnan ließ den Sack erklingen, den er in seiner Tasche hatte.
«Genug?«fragte Herr von Treville. — »Dreihundert Pistolen.«—»Gut! damit kann man bis ans Ende der Welt kommen.«
D'Artagnan verbeugte sich vor Herrn von Treville, der ihm die Hand reichte; der junge Gardist drückte sie mit einer Mischung von Ehrfurcht und Dankbarkeit. Seit seiner Ankunft in Paris hatte er nur Rühmenswertes von diesem vortrefflichen Manne zu erfahren gehabt, den er stets würdig, redlich, groß in seinem ganzen Benehmen fand.
Zuerst suchte er Aramis auf; er war nicht mehr zu seinem Freunde gekommen seit dem bekannten Abend, wo er Frau Bonacieux folgte. Mehr noch, er hatte den jungen Musketier kaum gesehen, und so oft er ihn wiedersah, glaubte er das Gepräge tiefer Schwermuth auf seinem Antlitz wahrzunehmen.
Auch diesen Abend wachte Aramis düster und träumerisch; d'Artagnan richtete einige Fragen an ihn über diese lange anhaltende Schwermuth; Aramis entschuldigte sich mit einem Commentar über das neunzehnte Kapitel des heiligen Augustin, den er in lateinischer Sprache bis zur nächsten Woche schreiben müsse, was seinen Geist sehr in Anspruch nehme.
Die zwei Freunde hatten kaum einige Minuten miteinander geplaudert, als ein Diener von Herrn von Treville mit einem versiegelten Päckchen eintrat.
«Was ist das?«fragte Aramis. — »Der Urlaub, den der Herr verlangt hat, «antwortete der Lakai. — »Ich? ich habe keinen Urlaub verlangt.«—»Schweigt und nehmt, «sagte d'Artagnan.»Und Ihr, mein Freund, habt hier eine halbe Pistole für Euere Mühe. Ihr sagt Herrn von Treville, Herr Aramis lasse ihm von Herzen danken. Geht.«
Der Bediente verbeugte sich bis zur Erde und trat ab.
«Was soll das bedeuten?«fragte Aramis. — »Nehmt, was Ihr zu einer Reise von vierzehn Tagen braucht, und folgt mir.«
«Aber ich kann Paris diesen Augenblick nicht verlassen, ohne zu wissen…«
Aramis hielt inne.
«Was aus ihr geworden ist, nicht wahr?«fuhr d'Artagnan fort. — »Aus wem?«—»Aus der Frau, welche hier war, aus der Frau mit dem gestickten Taschentuch.«—»Wer sagt Euch, daß eine Frau hier war?«fragte Aramis und wurde dabei bleich wie der Tod. — »Ich habe sie gesehen.«—»Und Ihr wißt, wer es ist?«—»Ich glaube es wenigstens zu vermuthen.«—»Hört, «sprach Aramis,»da Ihr so viele Dinge wißt, wißt Ihr vielleicht auch, was aus dieser Frau geworden ist?«—»Meiner Ueberzeugung nach ist sie nach Tours zurückgekehrt.«—»Nach Tours? ja, so hieß es; Ihr kennt sie. Aber warum ist sie nach Tours zurückgekehrt, ohne mir etwas davon zu sagen?«—»Weil sie verhaftet zu werden fürchtete.«—»Warum hat sie mir nicht geschrieben?«—»Weil sie Euch einer Gefahr auszusetzen fürchtete.«—»D'Artagnan, Ihr gebt mir das Leben wieder!«rief Aramis;»ich hielt mich für verachtet, für verrathen. Ich war so glücklich, sie wieder zu sehen, und konnte nicht glauben, daß sie ihre Freiheit für mich auf das Spiel setzen würde, und doch, aus welcher andern Ursache sollte sie nach Paris gekommen sein?«—»Aus derselben Ursache, die uns heute zu der Reise nach England veranlaßt.«—»Und was ist dies?«—»Ihr sollt es eines Tages erfahren, Aramis; für den Augenblick aber werde ich die Zurückhaltung der Nichte des Doctors nachahmen.«
Aramis lächelte, denn er erinnerte sich dessen, was er an einem gewissen Abend seinen Freunden erzählt hatte.
«Nun also, da sie Paris verlassen hat, und da Ihr es gewiß wißt, d'Artagnan, so hält mich nichts hier zurück, und ich bin bereit, Euch zu folgen. Ihr sagt, wir gehen…«
Zunächst zu Athos, und wenn Ihr mitkommen wollt, so bitte ich Euch um Eile, denn wir haben bereits viel Zeit verloren. Doch bald hätte ich vergessen, setzt Bazin davon in Kenntniß.«
«Wird uns Bazin begleiten?«
«Vielleicht. In jedem Falle ist es gut, wenn er uns vorläufig zu Athos folgt.«
Aramis rief Bazin und nachdem er demselben Befehl gegeben hatte, ihn bei Athos aufzusuchen, sagte er:»Nun wollen wir gehen. «Ehe er jedoch sein Zimmer verließ, nahm er seinen Mantel, seinen Degen und seine Pistolen, und öffnete vergeblich mehrere Schubladen, um nachzusehen, ob nicht etwa irgend ein verirrtes Goldstück zu finden wäre. Nachdem er sich von der Fruchtlosigkeit seiner Nachsuchung überzeugt hatte, folgte er d'Artagnan, indem er sich fragte, wie es komme, saß der junge Gardecadett so gut wie er selbst wisse, wer die Frau gewesen, der er Gastfreundschaft gegeben, und besser als er, was aus ihr geworden.
Als sie aus dem Hause traten, legte Aramis seine Hand auf d'Artagnan's Arm, schaute ihn fest an und sagte:
«Ihr habt mit Niemand von dieser Frau gesprochen?«—»Mit Niemand auf dieser Welt.«—»Nicht einmal mit Athos und Porthos?«—»Ich habe nicht davon gehaucht.«—»Dann ist es gut.«
Und über diesen wichtigen Punkt beruhigt, setzte Aramis den Weg mit d'Artagnan fort und beide gelangten bald zu Athos.
Als sie eintraten, hielt er seinen Urlaub in der einen, den Brief des Herrn von Treville in der andern Hand.
«Könnt Ihr mir erklären, was dieser Brief und dieser Urlaub bedeuten sollen?«sprach Athos erstaunt.
«Mein lieber Athos, es ist mein Wille, da es Eure Gesundheit durchaus heischt, daß Ihr vierzehn Tage ausruht. Geht in die Bäder von Forges oder in jedes andere Bad, das Euch zusagen mag, und sorgt, daß Ihr Eure Gesundheit bald wieder herstellt.
Euer wohlaffectionirter Treville.«
«Nun! dieser Urlaub und dieser Brief bedeuten, daß Ihr mir folgen sollt, Athos!«—»In die Bäder von Forges?«—»Dahin oder wo andershin.«—»Im Dienste des Königs?«—»Des Königs oder der Königin: sind wir nicht Diener Ihrer Majestäten?«
In diesem Augenblick trat Porthos ein.
«Bei Gott, «sagte er,»das ist eine seltsame Geschichte. Seit wann bewilligt man bei den Musketieren den Leuten einen Urlaub, wenn sie ihn nicht verlangen?«—»Seitdem es Freunde gibt, die einen solchen für sie erbitten, «erwiederte d'Artagna», — »Ah, ah, «sagte Porthos,»da scheint etwas Neues vorzugehen.«—»Ja, wir reisen, «sprach Aramis. — »Nach welchem Lande?«fragte Porthos. — »Meiner Treu', ich weiß es nicht, «erwiederte Athos.»Frage d'Artagnan.«—»Nach London, meine Herren, «sagte d'Artagnan. — »Nach London!«rief Porthos,»und was sollen wir in London machen?«—»Das kann ich Euch nicht sagen, meine Herren, Ihr müßt mir trauen.«—»Aber um nach London zu gehen, «fügte Porthos bei,»braucht man Geld und ich habe keines.«—»Ich auch nicht, «sagte Aramis. — »Ich eben so wenig, «sprach Athos. — »Ich aber habe, «versetzte d'Artagnan, zog seinen Schatz aus seiner Tasche und legte ihn auf den Tisch.»In diesem Sack sind dreihundert Pistolen. Jeder von uns nimmt fünf und siebzig davon. Das ist genug, um nach London zu reisen und wieder zurückzukehren. Ueberdies seid ruhig wir erreichen nicht alle London.«—»Und warum dies?«—»Weil aller Wahrscheinlichkeit nach einige von uns auf dem Marsche bleiben werden.«—»Wir unternehmen also einen Feldzug?«—»Und zwar einen sehr gefährlichen, das sage ich Euch.«—»Ei, da wir Gefahr laufen, uns umbringen zu lassen, «sprach Porthos,»so möchte ich wenigstens wissen, warum?«—»Du wirst bald der Sache auf dem Grunde sein, «sprach Athos. — »Ich bin indessen auch der Meinung von Porthos, «sagte Aramis. — »Hat der König die Gewohnheit, Euch Rechenschaft abzulegen? Nein; er sagt ganz einfach: Meine Herren, man schlägt sich in der Gascogne oder in Flandern. Begebt Euch dahin, schlagt Euch. Warum? Um das Warum habt Ihr Euch nicht zu kümmern.«—»D'Artagnan hat Recht, «sagte Athos.»Hier sind unsere drei Urlaube, welche von Herrn von Treville kommen, und hier dreihundert Pistolen, welche Gott weiß woher kommen. Lassen wir uns tödten, wo man uns sagt, daß wir hingehen sollen. Lohnt sich das Leben nur der Mühe, so viele Fragen darüber zu machen? D'Artagnan, ich bin bereit. Dir zu folgen.«—»Und ich auch, «sprach Porthos. — »Und ich ebenfalls, «rief Aramis.»Auch ist es mir gar nicht unangenehm, Paris zu verlassen. Ich bedarf der Zerstreuung.«—»Gut! seid nur ruhig, Ihr sollt Zerstreuung finden, meine Herren, «sagte d'Artagnan. — »Und nun, wann reisen wir?«fragte Athos. — »Sogleich, «antwortete d'Artagnan,»es ist keine Minute zu verlieren!«—»Holla, Grimaud, Planchet, Mousqueton, Bazin!«riefen die vier jungen Leute ihren Lakaien zu.»Schmiert unsere Stiefel und führt unsere Pferde vom Hotel herbei!«
Jeder Musketier ließ wirklich im allgemeinen Hotel wie in einer Kaserne sein Pferd und das seines Lakaien.
Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin entfernten sich eiligst.
«Nun wollen wir einen Feldzugsplan entwerfen, «sagte Porthos.»Wohin gehen wir zuerst?«
«Nach Calais, «antwortete d'Artagnan.»Das ist die geradeste Linie, um nach London zu gelangen.«
«Nun so hört meinen Rath, «versetzte Porthos.
«Sprich!«
«Vier mit einander reisende Personen wären verdächtig; d'Artagnan wird jedem von uns seine Instruction geben. Ich reise voraus auf der Route von Boulogne, um den Weg zu lichten; Athos geht zwei Stunden später auf der Route von Amiens ab; Aramis folgt uns auf der von Noyon; d'Artagnan reist auf einer ihm beliebigen Straße in den Kleidern Planchets, während uns Planchet als d'Artagnan in der Uniform der Garden folgt.«
«Meine Herren, «sagte Athos,»es ist meine Ansicht, daß es nicht zuträglich sein kann, die Lakaien bei einer solchen Angelegenheit ins Vertrauen zu ziehen; ein Geheimnis wird von Edelleuten zufällig verrathen, aber von den Bedienten stets verkauft.«
«Der Plan von Porthos scheint mir unausführbar, «sprach d'Artagnan,»insofern ich selbst nicht weiß, welche Instructionen ich Euch geben soll. Ich bin der Ueberbringer eines Briefes, das ist das Ganze. Ich kann nicht drei Abschriften von dem Briefe machen, weil er versiegelt ist. Wir müssen also meiner Meinung nach in Gesellschaft reisen. Dieser Brief ist hier in meiner Tasche. «Und er deutete auf die Tasche, in welcher der Brief verwahrt war.»Werde ich getödtet, so nimmt ihn einer von Euch, und Ihr setzt den Marsch fort. Wird dieser getödtet, so ist die Reihe an einem Andern, u. s. f. Wenn nur einer ankommt, das ist genug.«
«Bravo, d'Artagnan, Dein Rath ist auch der meinige, «sprach Athos.»Man muß überdieß consequent sein. Ich will die Bäder gebrauchen; Ihr begleitet mich. Statt die Bäder von Forges zu gebrauchen, wähle ich Seebäder; das steht in meinem Belieben. Man will uns verhaften, ich zeige den Brief von Herrn von Treville, und Ihr zeigt Eure Urlaube; man greift uns an, wir vertheidigen uns; man stellt uns vor Gericht, wir behaupten steif und fest, daß wir nichts Anderes beabsichtigen, als uns ein Dutzendmal in das Meer zu tauchen; mit vier vereinzelten Menschen hätte man zu leichten Kauf, während wir zusammen eine Truppe bilden; wir bewaffnen die vier Lakaien mit Pistolen und Gewehren; schickt man eine Armee gegen uns, so liefern wir eine Schlacht, und der Ueberlebende bringt den Brief nach London, wie d'Artagnan gesagt hat.«
«Wohl gesprochen!«rief Aramis.»Du sprichst nicht viel, Athos, aber wenn Du sprichst, klingt es wie ein Evangelium. Ich schließe mich dem Plane von Athos an. Und Du, Porthos?
«Ich ebenfalls, «antwortete Porthos,»wenn er d'Artagnan zusagt. D'Artagnan ist als Ueberbringer des Briefes natürlich das Haupt der Unternehmung; er mag entscheiden, wir führen aus.«
«Gut!«sagte d'Artagnan; ich entscheide mich für den Plan von Athos, und wir reisen in einer halben Stunde.«
«Angenommen!«riefen im Chor die drei Musketiere.
Jeder von ihnen streckte die Hand nach dem Sacke aus, nahm fünf und siebenzig Pistolen und traf Anstalt zu schleuniger Abreise.
XX. Die Reise
Um zwei Uhr Morgens zogen die vier Abenteurer durch die Barriere St. Denis aus Paris; so lange es Nacht war, blieben sie stumm. Unter dem Einflüsse der Dunkelheit erblickten sie unwillkürlich überall Hinterhalte, erst bei den ersten Strahlen des Tages lösten sich ihre Zungen. Mit der Sonne kehrte ihre Heiterkeit wieder: es war wie am Vorabend einer Schlacht; das Herz klopfte in der Brust, die Augen lachten, man fühlte, daß das Leben, von dem man vielleicht scheiden sollte, am Ende doch ein schönes Ding war.
Der Anblick der Caravane hatte übrigens etwas Furchtbares: die Rappen der Musketiere, ihre martialische Tournure, die Gewohnheit der Schwadron, welche die edlen Gefährten der Soldaten regelmäßig marschiren läßt, hätten das strengste Incognito verrathen.
Die Bedienten folgten, bis an die Zähne bewaffnet.
Alles ging gut bis Chantilly, wo man gegen acht Uhr Morgens anlangte. Man mußte frühstücken und stieg vor einer Herberge ab, die sich durch einen Schild, den heiligen Martin darstellend, wie er die Hälfte seines Mantels einem Armen gibt, empfahl. Man schärfte den Lakaien ein, die Pferde nicht abzusatteln und sich zu schleunigem Wiederaufbruch bereit zu halten. Die vier Freunde traten in das gemeinschaftliche Wirthszimmer und setzten sich zu Tisch.
Ein Herr, welcher auf der Straße von Dampmartin angelangt war, saß an demselben Tisch und frühstückte. Er fing an von Regen und schönem Wetter zu sprechen. Die Reisenden antworteten; er trank ihre Gesundheit. Die Reisenden erwiederten diese Höflichkeit.
Aber in dem Augenblick, wo Mousqueton ankündigte, die Pferde seien bereit, und man vom Tische aufstand, schlug der Fremde Porthos die Gesundheit des Kardinals vor. Porthos antwortete: er sei ganz damit einverstanden, wenn der Fremde ebenfalls die Gesundheit des Königs trinken wolle. Der Fremde antwortete: er kenne keinen andern König, als Se. Eminenz. Porthos nannte ihn einen Trunkenbold; der Fremde zog seinen Degen.
«Ihr habt eine Albernheit begangen, «sprach Athos,»gleich viel, jetzt läßt sich nicht mehr zurückweichen. Tödtet diesen Menschen, und holt uns so schnell als möglich wieder ein.«
Und alle drei bestiegen wieder ihre Pferde und jagten mit verhängten Zügeln davon, während Porthos seinem Gegner versprach, er werde ihn mit allen in der Fechtkunst bekannten Stößen durchbohren.
«Dies der erste, «sagte Athos nach fünfhundert Schritten.
«Aber warum hat dieser Mensch eher Porthos, als jeden Andern angegriffen?«fragte Aramis.
«Weil Porthos viel lauter sprach als wir, weßhalb er ihn für unsern Führer gehalten hat.«
«Ich habe immer gesagt, dieser gascognische Kadett sei ein wahrer Brunnen der Weisheit, «murmelte Athos.
Und die Reisenden setzten ihren Marsch fort.
In Beauvais hielt man zwei Stunden an, sowohl um die Pferde ausschnaufen zu lassen, als um Porthos zu erwarten. Als dieser nach Verlauf von zwei Stunden nicht erschien und auch keine Nachricht von ihm eintraf, begab man sich wieder auf den Weg.
Eine Meile von Beauvais, an einer Stelle, wo die Straße zwischen zwei Böschungen eingezwängt war, stieß man auf acht bis zehn Menschen, welche, da man hier gerade das Pflaster aufgebrochen hatte, aussahen, als ob sie hier arbeiteten, um Löcher zu graben oder die Straße auszubessern.
Aramis, der seine Stiefel in diesem künstlichen Schlammloche zu beschmutzen fürchtete, redete sie mit harten Worten an. Athos wollte ihn zurückhalten, es war zu spät. Die Arbeiter fingen an, die Reisenden zu verspotten, und ihre Frechheit brachte den kalten Athos so sehr außer sich, daß er sein Pferd gegen einen von ihnen antrieb.
Nun wich jeder dieser Menschen bis zu dem Graben zurück und ergriff eine verborgene Muskete. Aramis wurde von einer Kugel getroffen, die durch seine Schulter drang, Mousqueton von einer andern, welche im fleischigen Theile der Lende stecken blieb. Mousqueton fiel indessen allein vom Pferde, nicht als ob er schwerer verwundet gewesen wäre; aber da er die Wunde nicht sehen konnte, so hielt er sich ohne Zweifel für viel gefährlicher verletzt, als er es in der That war.
«Das ist ein Hinterhalt!«rief d'Artagnan,»lassen wir unser Zündkraut unverbrannt, und vorwärts!«
Aramis nahm trotz seiner Wunde sein Pferd bei der Mähne, und dieses trug ihn mit den Andern fort. Das von Mousqueton holte sie wieder ein und galoppirte ganz allein und in seiner Reihe.
«Das gibt uns ein Pferd zum Wechseln, «sagte Athos.
«Ein Hut wäre mir lieber, «sprach d'Artagnan,»der meinige ist von einer Kugel fortgerissen worden. Es ist nur ein Glück, daß der Brief, den ich trage, nicht darin war.«
«Bei Gott! sie werden den armen Porthos tödten, wenn er vorüber kommt, «sprach Aramis.
«Wenn Porthos auf den Beinen wäre, so müßte er uns bereits eingeholt haben, «sagte Athos.»Meiner Meinung nach hat der Trunkenbold auf dem Kampfplatze den Rausch verloren.«
Und man galoppirte noch zwei Stunden lang, obgleich die Pferde so ermüdet waren, daß man befürchten mußte, sie werden bald den Dienst versagen.
Die Reisenden hatten einen Seitenweg eingeschlagen, in der Hoffnung, auf diese Art weniger beunruhigt zu werden; aber in Crevecour erklärte Aramis, er könne nicht weiter reiten. In der That hatte er seines ganzen Muthes bedurft, den er unter seiner eleganten Form und unter seinen höflichen Manieren verbarg, um bis hieher zu gelangen. Jeden Augenblick erbleichte er und man war genöthigt, ihn auf seinem Pferde zu unterstützen: man hob ihn vor der Thüre einer Schenke herab, ließ ihm Bazin, der übrigens bei einem Scharmützel mehr hinderlich als nützlich war, und zog weiter, in der Hoffnung, erst in Amiens Nachtlager zu halten.
«Beim Teufel!«sagte Athos, als sie sich auf zwei Herren und auf Grimaud und Planchet zusammengeschmolzen, wieder auf der Straße befanden,»beim Teufel! ich lasse mich nicht drankriegen, und stehe Euch dafür, daß mich von hier bis Calais Niemand dazu bringen wird, den Mund zu öffnen oder den Degen zu ziehen. Ich schwöre…«
«Schwören wir nicht, «sagte d'Artagnan,»galoppiren wir lieber, wenn es unsere Pferde gestatten.«
Die Reisenden spornten ihre Rosse so, daß sie ihre Kräfte wieder fanden. Man langte in Amiens um Mitternacht an und stieg vor der Herberge zur goldenen Lilie ab.
Der Wirth sah aus, wie der ehrlichste Mann von der Welt. Er empfing die Reisenden, seinen Leuchter in der einen, die baumwollene Mütze in der andern Hand; er wollte die zwei Reisenden jeden in einem vortrefflichen Zimmer einquartieren. Zum Unglück lag jedes von diesen Zimmern am äußersten Ende des Gasthauses. D'Artagnan und Athos weigerten sich. Der Wirth antwortete, er habe keine andere Ihrer Excellenzen würdige Zimmer; aber die Reisenden erklärten, sie würden in einer gemeinschaftlichen Stube jeder auf einer Matratze schlafen, die man auf den Boden werfen könne; der Wirth bestand auf seiner Meinung, die Reisenden gaben nicht nach, und er mußte thun, wie sie haben wollten.
Sie hatten ihr Bett geordnet und ihre Thüre von innen verbarrikadirt, als man vom Hof aus an ihre Läden klopfte. Sie fragten, wer da sei, erkannten die Stimme ihrer Bedienten und öffneten. Es waren wirklich Planchet und Grimaud.
«Grimaud kann allein die Pferde bewachen, «sagte Planchet.»Wenn die Herren erlauben, so werde ich mich quer vor ihre Thüre legen. Auf diese Art sind sie sicher, daß man nicht bis zu ihnen gelangt.«
«Und auf was willst Du schlafen?«sagte d'Artagnan.
«Hier ist mein Bett, «antwortete Planchet und zeigte einen Bund Stroh.
«Komm also, «sprach d'Artagnan,»Du hast Recht, das Gesicht des Wirthes will mir nicht zusagen, es ist zu freundlich.«
Planchet stieg durch das Fenster ein und legte sich quer vor die Thüre, während sich Grimaud in dem Stalle einschloß, nachdem er zuvor die Versicherung gegeben hatte, daß er und die Pferde um fünf Uhr Morgens bereit sein sollen.
Die Nacht ging ziemlich ruhig vorüber; man versuchte es wohl gegen zwei Uhr Morgens die Thüre zu öffnen; aber da Planchet plötzlich erwachte und:»
Wer da!«rief, so antwortete man ihm, man habe sich getäuscht, und zog ab. Um vier Uhr Morgens vernahm man einen gewaltigen Lärm im Stalle. Grimaud hatte die Hausknechte wecken wollen und diese schlugen ihn. Als man das Fenster öffnete, sah man den armen Burschen bewußtlos auf der Erde ausgestreckt. Ein Hieb mit der Heugabel hatte ihm den Kopf verletzt.
Planchet ging in den Hof hinab und wollte die Pferde satteln: die Pferde lahmten; nur das von Grimaud, welches am Tage vorher fünf bis sechs Stunden ohne Herrn gereist war, hätte den Marsch fortsetzen können. Aber in Folge eines unbegreiflichen Irrthums hatte der Thierarzt, den man ohne Zweifel holen ließ, um dem Pferde des Wirthes zur Ader zu lassen, dem von Grimaud zur Ader gelassen.
Die Sache fing an beunruhigend zu werden: alle diese rasch aufeinander folgenden Begebenheiten waren vielleicht das Resultat des Zufalls, aber sie konnten ebensowohl die Frucht eines Komplottes sein. Athos und d'Artagnan gingen hinaus, während sich Planchet erkundigte, ob man nicht in der Gegend drei Pferde zu kaufen finden könne. Vor der Thüre standen wirklich zwei Pferde gesattelt und gezäumt, frisch und kräftig. Das fügte sich gut. Er fragte, wo die Herren seien, man antwortete ihm, sie haben die Nacht in dem Wirthshause zugebracht und bezahlen in diese Augenblick ihre Zeche.
Athos ging hinab, um die Rechnung zu berichtigen, während d'Artagnan und Planchet an der Hausthüre stehen blieben; der Wirth befand sich in einem unteren nach hinten gelegenen Zimmer; man bat Athos, dahin zu gehen.
Athos trat ohne Mißtrauen ein und zog zwei Goldstücke hervor, um zu bezahlen. Der Wirth war allein und saß vor einem Bureau, an dem eine der Schubladen halb offen war. Er nahm das Geld, das ihm Athos darbot, drehte es wiederholt in der Hand um und rief plötzlich, es sei falsch, und er werde ihn und seine Gefährten als Falschmünzer in Verhaft nehmen lassen.
«Schurke, «sprach Athos gegen ihn vorrückend,»ich werde Dir die Ohren abschneiden!«
Aber der Wirth bückte sich, nahm zwei Pistolen aus einer der Schubladen, und richtete sie, um Hülfe rufend, gegen Athos.
In demselben Augenblick traten vier bis an die Zähne bewaffnete Männer durch die Seitenthüren ein und warfen sich auf Athos.
«Ich bin verloren, «schrie Athos mit der vollen Gewalt seiner Lunge;»mach Dich fort, d'Artagnan, fort, fort!«Und er drückte seine beiden Pistolen ab.
D'Artagnan und Planchet ließen sich diesen Zuruf nicht wiederholen; sie machten die zwei Pferde, welche vor der Thüre standen, los, sprangen in den Sattel, stießen ihnen die Sporen in den Leib und jagten im stärksten Galopp davon.
«Weißt Du, was aus Athos geworden ist?«fragte d'Artagnan.

«Ach! gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»ich habe zwei auf seine Schüsse fallen sehen, und bei einem Blicke, den ich noch durch die Glasthüre warf, kam es mir vor, als fuchtelte er mit den andern.«
«Braver Athos!«murmelte d'Artagnan.»Wenn ich bedenke, daß man ihn so im Stiche lassen muß! Uebrigens erwartet uns vielleicht zehn Schritte von hier dasselbe Schicksal. Vorwärts! Planchet, vorwärts! Du bist ein wackerer Bursche.«
«Ich habe es Euch gesagt, gnädiger Herr, «antwortete Planchet,»die Picarden erkennt man erst beim Gebrauch; übrigens bin ich hier in meiner Heimath und das feuert mich an.«
Beide spornten auf das Schönste und gelangten in einem Zuge nach Saint-Omer. Hier ließen sie ihre Pferde ausschnaufen, wobei sie aus Furcht vor irgend einem Unfalle die Zügel um den Arm schlangen, und aßen, vor der Thüre stehend, einen Bissen aus der Faust, wonach sie ihren Marsch wieder fortsetzten.
Hundert Schritte vor den Thoren von Calais stürzte d'Artagnans Pferd es war unmöglich, dasselbe wieder auf die Beine zu bringen; das Blut lief ihm aus der Nase und aus den Augen; es war noch das Pferd Planchets übrig, aber dieses stand stille, und man konnte es keinen Schritt mehr weiter treiben.
Zum Glück waren sie, wie gesagt, nur noch hundert Schritte von der Stadt entfernt. Sie ließen die beiden Rosse aus der Landstraße und liefen nach dem Hafen. Planchet machte seinen Gebieter auf einen Herrn aufmerksam, der eben mit seinem Bedienten ankam und nur fünfzig Schritte vor ihnen ging.
Sie näherten sich rasch diesem Herrn, der große Eile zu haben schien. Seine Stiefel waren mit Staub bedeckt, und er fragte, ob er nicht sogleich nach England überfahren könnte.
«Nichts leichter als das, «antwortete der Patron eines segelfertigen Schiffes; aber diesen Morgen ist ein Befehl eingetroffen, Niemand ohne ausdrückliche Erlaubniß des Herrn Kardinals passiren zu lassen.«
«Ich habe diese Erlaubniß, «sagte der Herr, ein Papier aus seiner Tasche ziehend;»hier ist sie.«
«So laßt sie vom Hafen-Gouverneur unterzeichnen und gönnt mir den Vorzug vor den anderen Schiffen.«
«Wo kann ich den Gouverneur finden?«
«In seinem Landhause.«
«Und wo liegt dieses?«
«Eine Viertelmeile von der Stadt! Ihr seht es dort, am Fuße jener Anhöhe, mit dem Schieferdache.«
«Gut!«rief der Herr und schlug von seinem Bedienten gefolgt den Weg nach dem Landhause des Gouverneurs ein.
D'Artagnan und Planchet folgten dem Herrn in einer Entfernung von fünfhundert Schritten.
Sobald sie vor der Stadt waren, beschleunigte d'Artagnan seine Schritte und holte den Herrn ein, als er eben in ein kleines Gehölze eintrat.
«Mein Herr, «sprach d'Artagnan,»Ihr scheint mir große Eile zu haben.«—»Im höchsten Grade.«—»Bedaure sehr, denn da ich ebenfalls große Eile habe, so wollte ich Euch um einen Dienst bitten.«—»Um welchen?«—»Mich vorausgehen zu lassen. Ich habe sechzig Meilen in vier und vierzig Stunden zurückgelegt und muß morgen Mittag in London sein.«—»Ich habe denselben Weg in vierzig Stunden gemacht und muß morgen früh um zehn Uhr in London sein.«—»Bedaure, mein Herr, aber da ich zuerst angekommen, werde ich nicht als zweiter gehen.«—»Es thut mir unendlich leid ich bin als zweiter angekommen, aber ich werde zuerst gehen.«—»Im Dienste des Königs?«sprach der Herr. — »In meinem Dienste!«antwortete d'Artagnan. — »Ihr scheint mir Händel zu suchen?«—»Beim Teufel! wie soll es anders sein?«—»Was verlangt Ihr von mir?«—»Wollt Ihr es wissen?«—»Allerdings.«—»Nun! ich verlange den Befehl, den Ihr bei Euch tragt, insofern ich keinen habe und doch desselben nothwendig bedarf.«—»Ihr scherzt hoffentlich?«—»Ich scherze nie.«—»Laßt mich ziehen.«—»Ihr kommt nicht von der Stelle.«—»Mein braver junger Mann, ich werde Euch den Schädel zerschmettern. Holla! Lubin, meine Pistolen.«—»Planchet, «sagte d'Artagnan,»übernimm Du den Bedienten, ich nehme den Herrn.«
Durch die erste That ermuthigt, sprang Planchet auf Lubin, warf ihn, stark und kräftig, wie er war, auf den Boden und setzte ihm das Knie auf die Brust.
«Macht Euer Geschäft ab, gnädiger Herr, «sagte Planchet,»ich bin mit dem meinigen fertig.«
Dies gewahrend, zog der Unbekannte seinen Degen und fiel gegen d'Artagnan aus, aber er hatte es mit einem gewaltigen Gegner zu thun.
In drei Sekunden versetzte ihm d'Artagnan drei Degenstöße und bei jedem Stoße sagte er:
«Einen für Athos, einen für Porthos, einen für Aramis!«
Beim dritten Stoße stürzte der Unbekannte wie eine träge Masse zur Erde.
D'Artagnan hielt ihn für todt oder wenigstens für ohnmächtig, und näherte sich ihm, um den Befehl zu nehmen; aber in dem Augenblicke, wo er die Hand ausstreckte, um ihn zu suchen, brachte ihm der Verwundete, der seinen Degen nicht losgelassen hatte, einen Stich in die Brust bei und rief:
«Einen für Euch!«
«Und einen für Dich! Wer zuletzt lacht, lacht am besten!«schrie d'Artagnan wüthend und spießte ihn mit einem vierten Stoße durch den Bauch an den Boden.
Diesmal schloß der Fremde, ohnmächtig geworden, die Augen.
D'Artagnan durchsuchte die Tasche, in welche er ihn den Ueberfahrsbefehl hatte stecken sehen, und nahm ihn. Er war auf den Namen des Grafen von Wardes ausgestellt.
Einen letzten Blick auf den schönen jungen Mann werfend, der kaum fünfundzwanzig Jahre alt sein mochte, und den er hier auf der Erde ausgestreckt, das Bewußtsein beraubt, vielleicht gar todt zurücklassen mußte, seufzte er über das seltsame Geschick, welches die Menschen dahinbringt, daß sie einander umbringen im Interesse von Leuten, die ihnen fremd sind, und denen ihr Dasein häufig ganz unbekannt ist.
Bald aber wurde er seinen Betrachtungen durch Lubin entzogen, der ein furchtbares Jammergeschrei ausstieß und mit aller Gewalt um Hilfe rief.
Planchet faßte ihn bei der Gurgel und schnürte sie ihm aus Leibeskräften zusammen.
«Gnädiger Herr, «sagte er,»so lange ich ihn so halte, wird er sicherlich nicht schreien, das weiß ich gewiß, aber sobald ich ihn loslasse, wird er wieder zu kreischen anfangen. Es ist ein Normann und die Normannen sind hartnäckige Bursche.«
Lubin suchte wirklich, so gepreßt er auch war, einige Töne von sich zu geben.
«Warte!«sprach d'Artagnan, nahm sein Taschentuch und knebelte ihn.
«Nun wollen wir ihn an einen Baum binden!«sagte Planchet.
Dies wurde gewissenhaft ausgeführt. Dann schleppte man den Grafen von Wardes in die Nähe seines Bedienten, und da die Nacht bereits einbrach und beide, der Verwundete und der Geknebelte, sich mehrere Schritte in einem Gehölze befanden, so mußten sie offenbar bis am andern Tage hier bleiben.
«Und nun zum Gouverneur, «rief d'Artagnan.
«Es scheint mir, Ihr seid verwundet?«sagte Planchet.
«Das ist jetzt von keiner Bedeutung, wir wollen uns mit dem Dringenderen beschäftigen, und dann nach der Wunde fragen, die mir übrigens durchaus nicht gefährlich zu sein scheint.«
Und beide eilten mit großen Schritten nach dem Landhause des würdigen Beamten.
Man kündigte den Grafen von Wardes an.
D'Artagnan wurde eingeführt.
«Ihr habt einen vom Kardinal unterzeichneten Paß?«sagte der Gouverneur. — »Ja, mein Herr, hier ist er.«—»Ah, ah! er ist in Ordnung und mit guten Empfehlungen versehen, «sprach der Gouverneur. — »Das ist ganz einfach, «erwiederte d'Artagnan,»ich gehöre zu seinen getreuesten Anhängern.«—»Es scheint. Seine Eminenz will irgend Jemand verhindern, nach England zu kommen?«—»Ja, einen gewissen d'Artagnan, einen Bearner Edelmann, der mit drei von seinen Freunden von Paris abgereist ist, in der Absicht, sich nach London zu begeben.«—»Kennt Ihr ihn persönlich, «fragte der Gouverneur. — »Wen?«—»Diesen d'Artagnan.«—»Sehr gut!«—»Gebt mir sein Signalement.«—»Nichts leichter!«
D'Artagnan gab Zug für Zug das Signalement des Grafen von Wardes.
«Hat er einen Begleiter?«fragte der Gouverneur.
«Ja, einen Bedienten, Namens Lubin.«
«Man wird auf sie Acht haben, und wenn man ihrer habhaft wird, mag Seine Eminenz ruhig sein, sie sollen unter sicherem Geleite nach Paris zurückgeführt werden.«
«Wenn Ihr dies thut, mein Herr Gouverneur, «sprach d'Artagnan,»werdet Ihr Euch ein großes Verdienst um den Kardinal erwerben.«
«Ihr seht ihn wohl bei Eurer Rückkehr, mein Herr Graf?«
«Das versteht sich.«
«Sagt ihm gefälligst, ich sei sein getreuer Diener.«
«Ich werde nicht ermangeln.«
Erfreut über diese Versicherung, visirte der Gouverneur den Paß und stellte ihn d'Artagnan zu.
D'Artagnan verlor keine Zeit mit unnützen Komplimenten, verbeugte sich vor dem Gouverneur, dankte ihm und ging weg.
Sobald er mit Planchet aus dem Hause war, setzten sie sich in raschen Lauf, machten einen langen Umweg, um das Gehölze zu vermeiden, und gelangten durch ein anderes Thor nach der Stadt zurück.
Das Schiff war immer noch zur Abfahrt bereit. Der Patron wartete am Hafen.
«Nun, wie steht's?«sagte er, sobald er d'Artagnan gewahr wurde. — »Hier ist der visirte Paß, «erwiederte dieser. — »Und der andere Herr?«—»Er wird heute nicht mehr abreisen, «sprach d'Artagnan,»aber seid ruhig, ich bezahle die Ueberfahrt für uns Beide.«—»In diesem Fall, zu Schiffe, «sagte der Patron. — »Zu Schiffe, «wiederholte d'Artagnan.
Und er sprang mit Planchet in den Nachen; fünf Minuten nachher waren sie an Bord.
Es war höchste Zeit; sie befanden sich kaum eine halbe Meile in See, als d'Artagnan eine Flamme bemerkte und einen Knall hörte.
Es war der Kanonenschuß, der das Schließen des Hafens ankündigte.
Nun mußte man sich endlich mit d'Artagnans Wunde beschäftigen. Zum Glück war sie, wie er selbst gedacht hatte, nicht gefährlich. Die Degenspitze hatte eine Rippe getroffen und war von dem Beine abgeglitten; überdieß hatte sich das Hemd an die Wunde festgeklebt und so waren nur einige Tropfen Blutes hervorgedrungen.
D'Artagnan war im höchsten Grad ermattet. Man breitete ihm eine Matratze auf dem Verdeck aus, er warf sich darauf und entschlummerte.
Am andern Morgen bei Tagesanbruch befand er sich noch drei bis vier Meilen von der Küste Frankreichs entfernt; der Wind war in der ganzen Nacht sehr schwach gewesen und man hatte eine kleine Strecke zurückgelegt.
Um zwei Uhr ging das Schiff in dem Hafen von Dover vor Anker.
Um halb drei Uhr setzte d'Artagnan den Fuß auf den Boden Englands und rief:»Endlich bin ich hier!«
Aber damit war es noch nicht genug. Man mußte London erreichen. In England war die Post ziemlich gut bedient. D'Artagnan und Planchet nahmen jeder einen Klepper. Ein Postillon ritt voraus, in vier Stunden langten sie vor den Thoren der Hauptstadt an.
Der Herzog befand sich mit dem König auf der Jagd.
D'Artagnan kannte London nicht. D'Artagnan verstand kein Wort Englisch; aber er schrieb den Namen Buckingham auf ein Papier und Jedermann zeigte ihm das Hotel des Herzogs.
D'Artagnan fragte nach dem ersten Kammerdiener Buckinghams, der ihn auf allen seinen Reisen begleitet hatte und vollkommen Französisch sprach. Er sagte ihm, er komme von Paris in einer Angelegenheit, bei der es sich um Leben und Tod handle, und müsse seinen Herrn sogleich sprechen.
Die Sicherheit, mit der d'Artagnan sein Verlangen ausdrückte, überzeugte Patrice, so hieß dieser Minister des Ministers. Er ließ zwei Pferde satteln und übernahm es, den jungen Gardisten zu begleiten. Planchet hatte man steif wie ein Rohr von seinem Rosse herabgehoben. Die Kräfte des armen Burschen waren völlig erschöpft. D'Artagnan schien von Eisen.
Man kam in dem Schlosse an und zog hier Erkundigung ein; der König und Buckingham waren auf der Beize in einem zwei bis drei Meilen von da entfernten Moore.
In zwanzig Minuten befand man sich an der bezeichneten Stelle. Bald hörte Patrice die Stimme seines Herrn, der seinen Falken zurückrief.
«Wen soll ich Mylord-Herzog ankündigen?«fragte Patrice.
«Den jungen Mann, der eines Abends auf dem Pont Neuf bei der Samaritaine Händel mit ihm gesucht hat.«
«Eine sonderbare Empfehlung!«
«Ihr werdet sehen, daß sie so viel werth ist, als irgend eine andere.«
Patrice setzte sein Pferd in Galopp, erreichte den Herzog und meldete ihm in den so eben erwähnten Worten einen Boten an, der seiner harrte.
Buckingham erkannte d'Artagnan sogleich, und da er vermuthete, daß in Frankreich etwas vorging, wovon man ihn in Kenntniß setzen wollte, so nahm er sich nicht die Zeit, zu fragen, wo der Bote sei, sondern galoppirte, als er von Ferne die Uniform der Garden erkannt hatte, gerade auf d'Artagnan zu. Patrice hielt sich aus Discretion entfernt.
«Es ist der Königin doch kein Unglück widerfahren?«rief Buckingham, alle seine Gedanken, seine ganze Liebe in diese Frage legend.
«Ich glaube nicht, aber ich bin der Ueberzeugung, daß sie eine große Gefahr läuft, der Eure Herrlichkeit allein sie entziehen kann.«
«Ich?«rief Buckingham.»Sollte ich so glücklich sein, ihr in irgendwie nützen zu können? Sprecht? sprecht!«
«Nehmt diesen Brief, «sagte d'Artagnan
«Diesen Brief? von wem kommt er?«
«Von Ihrer Majestät, wie ich glaube.«
«Von Ihrer Majestät, «sprach Buckingham und erbleichte dergestalt, daß d'Artagnan meinte, er würde in Ohnmacht fallen.
Er erbrach das Siegel.
«Woher dieser Riß?«sagte er und zeigte d'Artagnan eine Stelle, wo er durchbohrt war.
«Ah, ab!«rief d'Artagnan,»ich hatte das nicht gesehen. Der Degen des Grafen von Wardes wird dieses schöne Loch gemacht haben, als er ihn mir in die Brust stieß.«
«Ihr seid verwundet?«fragte Buckingham.
«O! nichts, «erwiederte d'Artagnan;»eine Schramme.«
«Gerechter Himmel! was habe ich gelesen?«rief der Herzog.»Patrice, bleibe hier, oder vielmehr suche den König auf, wo er auch sein mag, und sage Seiner Majestät, daß ich mich zu entschuldigen bitte; aber eine Angelegenheit von höchstem Belang rufe mich nach London zurück. Kommt, Herr, kommt!«
Und Beide schlugen im Galopp den Weg nach der Hauptstadt ein.
XXI.Die Gräfin von Winter
Den ganzen Weg entlang ließ sich der Herzog über Alles von d'Artagnan Bericht erstatten, nicht über Alles, was vorgefallen war, sondern über das, was d'Artagnan davon wußte. Indem er die Mittheilungen des jungen Mannes mit seinen Erinnerungen zusammenhielt, konnte er sich einen genauen Begriff von der Lage machen, von deren Mißlichkeit ihm der Brief der Königin, so kurz er auch war, einen Maßstab gab. Er wunderte sich besonders darüber, daß es dem Kardinal, dem so viel daran liegen mußte, daß der junge Mann England nicht erreichen konnte, nicht gelungen war, ihn auf dem Wege aufgreifen zu lassen. Als er sein Erstaunen hierüber kund gab, erzählte ihm d'Artagnan von den Vorsichtsmaßregeln, die er genommen, und wie er durch die aufopfernde Ergebenheit seiner drei Freunde, die er blutend und zerstreut auf der Straße zurückgelassen, mit einem Degenstiche sich durchgeschlagen, der durch das Billet der Königin gedrungen war, und den er dem Grafen von Wardes mit so furchtbarer Münze zurückbezahlt hatte. Während der Herzog auf diese Erzählung hörte, die mit der größten Einfachheit vorgetragen wurde, schaute er d'Artagnan mit erstaunter Miene an, als könnte er nicht begreifen, wie er so viel Muth, so viel Klugheit, so viel Ergebenheit mit einem Gesichte zusammenreimen sollte, das kaum zwanzig Jahre andeutete.
Die Pferde gingen wie der Wind, und in wenigen Minuten befanden sie sich vor den Thoren von London. D'Artagnan hatte geglaubt, der Herzog würde in der Stadt etwas langsamer reiten; aber dem war nicht so. Er setzte seinen Weg in größter Eile fort und kümmerte sich nicht darum, ob er die Leute auf der Straße niederwarf. Wirklich ereigneten sich mehrere Unfälle dieser Art während des Rittes durch die Stadt. Aber Buckingham drehte nicht einmal den Kopf um zu sehen, was aus denjenigen, welche er niederritt, geworden war. D'Artagnan folgte ihm mitten unter Schreien, welche viel Aehnlichkeit mit Verfluchungen hatten.
Im Hof seines Hotels sprang Buckingham von seinem Pferd, warf ihm gleichgültig den Zügel auf den Hals und stürzte nach der Treppe. D'Artagnan that dasselbe, jedoch mit etwas mehr Unruhe für diese edlen Thiers, deren Verdienst er würdigen gelernt hatte; aber zu seiner Befriedigung bemerkte er, daß drei bis vier Bedienten aus den Küchen und Ställen herbeiliefen und sich sogleich der Pferde bemächtigten.
Der Herzog ging so rasch, daß d'Artagnan Mühe hatte, ihm zu folgen. Er durchschritt nach einander mehrere Salons von einer Eleganz, von der selbst die vornehmen Herren Frankreichs keinen Begriff hatten, und gelangte endlich in ein Schlafgemach, das zugleich ein Wunder von Geschmack und Reichtum war. Im Alkoven dieses Gemachs war eine in der Tapete angebrachte Thüre, welche der Herzog mit einem kleinen goldenen Schlüssel öffnete, den er an einer Kette von demselben Metall am Halse trug. Aus Bescheidenheit war d'Artagnan zurückgeblieben. Aber in dem Augenblick, wo Buckingham die Schwelle dieser Thüre überschritt, drehte er sich um und sprach, als er das Zögern des jungen Mannes wahrnahm:
«Kommt, und wenn Ihr die Ehre habt, vor Ihrer Majestät erscheinen zu dürfen, so sagt ihr, was Ihr hier seht.«
Ermuthigt durch diese Aufforderung, folgte d'Artagnan dem Herzog, der die Thüre hinter sich schloß.
Beide befanden sich nun in einer kleinen mit persischer Seide tapezierten und mit Gold gestickten Kapelle, welche mit einer großen Anzahl von Kerzen stark beleuchtet war. Ueber einer Art von Altar und unter einem Prachthimmel von blauem Sammet, überragt von weißen und rothen Federn, gewahrte man ein Porträt in natürlicher Größe, Anna von Oesterreich so vollkommen ähnlich darstellend, daß d'Artagnan unwillkürlich einen Schrei des Erstaunens ausstieß. Man hätte glauben sollen, Ihre Majestät wäre im Begriff zu sprechen.
Auf dem Altar und unter dem Porträt stand das Kistchen, welches die diamantenen Nestelstifte enthielt.
Der Herzog näherte sich dem Altar, kniete davor nieder, wie ein Priester vor dem Christusbilde, und öffnete das Kistchen.
«Seht, «sprach er, indem er eine große ganz von Diamanten funkelnde blaue Bandschleife hervorzog,»seht, hier sind diese kostbaren Nestelstifte, mit denen ich mich begraben zu lassen geschworen hatte. Die Königin hat sie mir gegeben, die Königin nimmt sie mir wieder, ihr Wille geschehe, wie der Wille Gottes, in allen Dingen.«
Dann küßte er alle diese Stifte, von denen er sich trennen sollte, einen um den andern. Plötzlich stieß er einen furchtbaren Schrei aus.
«Was gibt es?«fragte d'Artagnan unruhig.»Was ist Euch, Mylord?«
«Alles ist verloren!«rief Buckingham, indem er todesbleich wurde;»zwei von diesen Nestelstiften fehlen; es sind nur noch zehn.«
«Hat Mylord sie verloren, oder glaubt er, man könnte sie ihm gestohlen haben?«
«Man hat sie mir gestohlen, «erwiederte der Herzog,»und das ist ein Streich des Kardinals! Seht, die Bänder, an denen sie befestigt waren, sind mit der Scheere durchschnitten.«
«Sollte Mylord vermuthen, wer den Diebstahl begangen hat?… Vielleicht sind sie noch in den Händen der Person.«
«Geduld!«rief der Herzog.»Ich trug diese Nestelstifte nur ein einziges Mal vor acht Tagen auf einem Ball des Königs in Windsor. Die Gräfin von Winter, mit der ich gespannt war, näherte sich nur auf diesem Ball. Diese Annäherung war eine Rache der eifersüchtigen Frau. Seitdem habe ich sie nicht wieder gesehen. Sie ist eine Agentin Richelieus.«
«Also gibt es auf der ganzen Welt Agenten von ihm?«rief d'Artagnan.
«Oh! ja, ja, «sprach Buckingham vor Zorn mit den Zähnen knirschend;»ja, er ist ein furchtbarer Gegner. Doch wann soll der bewußte Ball stattfinden?«
«Nächsten Montag.«
«Nächsten Montag! Fünf Tage also? Das ist mehr Zeit als wir brauchen. Patrice!«rief ver Herzog, die Thüre der Kapelle öffnend,»Patrice!«
Der Kammerdiener erschien.
«Meinen Juwelier und meinen Sekretär!«
Der Kammerdiener entfernte sich mit einer Geschwindigkeit, und Schweigsamkeit, woraus sich erkennen ließ, daß er an blinden und stummen Gehorsam gewöhnt war.
Aber obgleich man den Juwelier zuerst gerufen hatte, erschien doch der Sekretär vor diesem. Dies war ganz einfach, denn er wohnte im Hotel. Er fand Buckingham in seinem Schlafzimmer vor einem Tisch sitzend und eigenhändig einige Briefe schreibend.
«Herr Jakson, «sprach er,»Ihr begebt Euch stehenden Fußes zum Lordkanzler und sagt ihm, daß ich ihn mit Vollziehung dieser Befehle beauftrage. Ich verlange, daß sie sogleich bekannt gemacht werden sollen.«
«Aber, gnädigster Herr, wenn der Lordkanzler mich nach den Motiven fragt, die Eure Herrlichkeit zu so außerordentlichen Maßregeln veranlassen konnten, was soll ich antworten?«
«So habe es mir gefallen, und ich habe Niemand über meinen Willen Rechenschaft zu geben.«
«Ist das die Antwort, die er Seiner Majestät zu überbringen hat, «versetzte der Sekretär lächelnd,»wenn Seine Majestät zufällig so neugierig sein sollte, wissen zu wollen, warum kein Schiff aus den Häfen Großbritanniens auslaufen darf?«
«Ihr habt Recht, mein Herr, «antwortete Buckingham;»er mag in diesem Fall dem König sagen, ich habe den Krieg beschlossen, und diese Maßregel sei mein erster feindseliger Akt gegen Frankreich.«
Der Sekretär verbeugte sich und trat ab.
«Wir sind nun von dieser Seite her ruhig, «sprach Buckingham, sich gegen d'Artagnan umwendend.»Wenn die Nestelstifte noch nicht nach Frankreich abgegangen sind, so werden sie erst nach Euch ankommen.«
«Wie dies?«
«Ich habe einen Embargo aus alle Schiffe gelegt, welche sich zu dieser Stunde in den Häfen seiner Majestät befinden, und ohne besondere Erlaubniß wird es keines wagen, die Anker zu lichten.«
D'Artagnan betrachtete staunend diesen Mann, der die unbeschränkte Gewalt, womit ihn das Vertrauen des Königs bekleidet hatte, im Dienste seiner Liebschaften ausbeutete. Buckingham bemerkte am Gesichtsausdruck des jungen Mannes, was in seinem Innern vorging, und lächelte.
«Ja, «sagte er,»ja, Anna von Oesterreich ist meine wahre Königin, auf ein Wort von ihr verrathe ich mein Vaterland, meinen König, meinen Gott. Sie hat mich gebeten, den Protestanten von La Rochelle die Hülfe nicht zu schicken, die ich ihnen zugesagt hatte, und ich habe es gethan. Ich habe mein Wort gebrochen, aber gleich viel, ich gehorchte ihrem Wunsche; sagt, wurde ich nicht großmüthig für meinen Gehorsam bezahlt? denn diesem habe ich ihr Porträt zu verdanken.«
D'Artagnan staunte und bedachte, an welch schwachen und unbekannten Fäden oft die Geschicke der Völker und das Leben der Menschen hängen.
Er war ganz in Betrachtungen versunken, als der Goldschmied eintrat: er war ein Irländer und einer der geschicktesten Künstler seines Fachs; er gestand selbst, daß er jährlich hundert tausend Livres bei dem Herzog von Buckingham gewann.
«Herr O'Reilly, «sagte der Herzog, indem er ihn in die Kapelle führte,»betrachtet diese diamantenen Nestelstifte und sagt mir, was das Stück werth ist.«
Der Goldschmied warf einen Blick auf die zierliche Fassung, berechnete den Werth jedes einzelnen Diamants und antwortete ohne Zögern:
«Fünfzehnhundert Pistolen das Stück.«
«Wie viel Tage braucht man, um zwei solche Nestelstifte zu machen, wie diese sind? Ihr seht, daß zwei fehlen.«
«Acht Tage, Mylord.«
«Ich bezahle Euch dreitausend Pistolen für das Stück; übermorgen muß ich sie haben.«
«Mylord wird sie haben.«
«Ihr seid ein kostbarer Mann, Herr O'Reilly; aber das ist noch nicht Alles; diese Stifte kann man Niemand anvertrauen, sie müssen in meinem Palaste gemacht werden.«
«Unmöglich, Mylord, nur ich bin im Stande, die Arbeit so auszuführen, daß man den Unterschied zwischen den neuen und den alten nicht sieht.«
«Dann seid Ihr mein Gefangener, mein lieber Herr O'Reilly, und dürft den Palast von dieser Stunde an nicht mehr verlassen: entschließt Euch also. Nennt mir diejenigen Eurer Gehülfen, deren Ihr bedürft, und bezeichnet mir die Werkzeuge, die sie mitbringen sollen.«
Der Goldschmied kannte den Herzog! er wußte, daß jede Gegenbemerkung vergeblich gewesen wäre, und faßte also sogleich seinen Entschluß.
«Es wird mir erlaubt sein, meine Frau davon in Kenntniß zu setzen?«fragte er.
«Oh! es ist Euch auch erlaubt, sie zu sehen, mein lieber O'Reilly; seid unbesorgt, Euere Gefangenschaft soll mild sein, und da jede Störung eine Schadloshaltung heischt, so nehmt außer dem Preise für die zwei Nestelstifte, diese Anweisung auf tausend Pistolen, damit Ihr leichter die Beschwerde vergeht, die ich Euch verursache.«
D'Artagnan konnte sich von seinem Erstaunen über diesen Minister nicht erholen, der mit vollen Händen Menschen und Millionen in Bewegung setzte.
Der Goldschmied schrieb an seine Frau und schickte ihr die Anweisung auf tausend Pistolen, mit dem Auftrag, ihm dagegen seinen geschicktesten Gesellen, ein Sortiment von Diamanten, die er ihr dem Gewicht und Titel nach bezeichnete, und eine Anzahl von Instrumenten, deren er bedurfte, zuzusenden.
Buckingham führte den Goldschmied in das für ihn bestimmte Zimmer, welches nach Verlauf einer halben Stunde in eine Werkstätte verwandelt war; dann stellte er eine Wache vor jede Thüre mit dem strengen Verbot, irgend Jemand außer seinem Kammerdiener Patrice einzulassen. Es bedarf kaum der Erwähnung, daß es dem Goldschmied O'Reilly und seinem Gehülfen unter keinem Vorwand gestattet war, den Palast zu verlassen.
Nachdem der Herzog diesen Punkt geordnet hatte, kehrte er zu d'Artagnan zurück.
«Nun, mein junger Freund, «sprach er,»nun gehört England uns beiden; was wollt Ihr, was wünscht Ihr?«
«Ein Bett, «antwortete d'Artagnan;»das ist in diesem Augenblick für mich das wesentlichste Bedürfniß.«
Buckingham gab d'Artagnan ein Zimmer, das an das seinige stieß. Er wollte den jungen Mann bei der Hand behalten, nicht als ob er ihm mißtraut hätte, sondern um einen Menschen bei sich zu haben, mit dem er beständig von der Königin sprechen konnte.
Eine Stunde nachher wurde in London der Befehl verkündigt, kein nach Frankreich bestimmtes Schiff aus den Häfen auslaufen zu lassen, nicht einmal das Briefpaquetboot. Dies war in Aller Augen eine Kriegserklärung zwischen den zwei Königreichen.
Am zweiten Tag um elf Uhr waren die diamantenen Nestelstifte vollendet und so genau nachgeahmt, so vollkommen ähnlich, daß Buckingham die neuen nicht von den alten unterscheiden konnte, und daß das geübteste Kennerauge sich getäuscht hätte.
Sogleich ließ der Herzog d'Artagnan rufen.
«Hier sind die diamantenen Nestelstifte, die Ihr holen wolltet. Seid mein Zeuge, daß ich Alles gethan habe, was in der Macht eines Menschen lag.«
«Seid unbesorgt, Mylord, ich werde erzählen, was ich gesehen habe, aber Ew. Herrlichkeit legen die Nestelstifte nicht wieder in das Kistchen.«
«Das Kistchen wäre unbequem für Euch. Ueberdies ist es für mich um so kostbarer, als es mir allein bleibt. Ihr werdet sagen, daß ich es behalte.«
«Euer Auftrag soll Wort für Wort vollzogen werden, Mylord.«
«Und nun, «sprach Buckingham und schaute dabei den jungen Mann fest an,»wie soll ich meine Schuld gegen Euch abtragen?«
D'Artagnan erröthete bis unter das Weiß der Augen. Er sah, daß der Herzog ihn bewegen wollte, irgend etwas anzunehmen, und der Gedanke, daß das Blut seiner Gefährten und das seinige mit englischem Golde bezahlt werden sollte, widerstrebte ganz und gar seiner Denkungsart.
«Verständigen wir uns, Mylord, «versetzte d'Artagnan,»wägen wir die Umstände vorher genau ab, damit nicht nachher ein Mißverständniß daraus entstehe. Ich bin im Dienste des Königs und der Königin von Frankreich und gehöre zu der Gardekompagnie des Herrn des Essarts, welcher, wie sein Schwager, Herr von Treville, Ihren Majestäten ganz besonders ergeben ist. Ich habe also Alles für die Königin und nichts für Ew. Herrlichkeit gethan. Ueberdieß hätte ich vielleicht von Allem dem gar nichts ausgeführt, wenn es sich nicht darum gehandelt hätte, einer Person angenehm zu sein, welche meine Dame ist, wie die Königin die Eure.«
«Ja, «sprach der Herzog lächelnd,»und ich glaube sogar die andere Person zu kennen; es ist…«
«Mylord, ich habe sie nicht genannt, «unterbrach ihn der junge Mann lebhaft.
«Das ist wahr, «sprach der Herzog.»Also muß ich dieser Person für Eure Aufopferung dankbar sein?«
«Ihr habt es gesagt, Mylord; denn gerade zu dieser Stunde, wo von einem Krieg die Rede ist, gestehe ich, daß ich in Ew. Herrlichkeit nur einen Engländer und folglich einen Feind sehe, dem ich noch viel lieber auf dem Schlachtfeld, als im Park von Windsor oder in den Gängen des Louvre begegnen würde, was mich indessen nicht abhalten soll, meine Sendung zu vollziehen und mich nötigenfalls in Erfüllung derselben tödten zu lassen; aber ich wiederhole Ew. Herrlichkeit, daß Ihr mir persönlich ebenso wenig für das zu danken habt, was ich bei diesem zweiten Zusammentreffen für mich thue, als für das, was ich bei dem ersten für Euch gethan habe.«
«Wir sagen: ›Stolz wie ein Schottländer,‹ murmelte Buckingham.
«Und wir sagen: ›Stolz wie ein Gascogner,‹ antwortete d'Artagnan.»Die Gascogner sind die Schottländer Frankreichs.«
D'Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und schickte sich an zu gehen.
«Nun? Ihr geht, wie Ihr da seid! Auf welchem Wege, wie?«
«Das ist wahr!«
«Gott verdamm mich! die Franzosen bedenken gar nichts.«
«Ich hatte vergessen, daß England eine Insel ist, und daß Ihr der König derselben seid.«
«Geht in den Hafen, fragt nach der Brigg Sund, stellt dem Kapitän diesen Brief zu; er wird Euch nach einer Bucht führen, wo man Euch gewiß nicht erwartet, und wo gewöhnlich nur Fischerschiffe landen.«
«Wie heißt diese Bucht?«
«Saint Valery. Doch wartet: hier angelangt, geht Ihr in eine schlechte Herberge ohne Namen und Schild, in eine wahre Matrosenschenke; Ihr könnt Euch nicht täuschen; es giebt nur eine daselbst.«
«Hernach?«
«Ihr fragt nach dem Wirthe und sagt ihm: Forward.«
«Was soll das heißen?«
«Vorwärts: das ist das Losungswort. Er wird Euch ein gesatteltes Pferd geben und den Weg nennen, den Ihr einzuschlagen habt; auf dieselbe Art findet Ihr vier Relais auf Euerer Route. Wenn Ihr wollt, so gebt Ihr jedem derselben Eure Adresse in Paris, und die vier Pferde werden Euch dahin folgen. Zwei davon kennt Ihr bereits und es schien mir, Ihr wußtet sie als Liebhaber zu schätzen. Es sind die beiden, welche wir ritten. Glaubt mir, die zwei andern stehen nicht hinter ihnen zurück. Diese vier Pferde sind für das Feld ausgerüstet. So stolz Ihr auch sein mögt; werdet Ihr Euch doch nicht weigern, eines für Euch und die drei andern für Eure Gefährten anzunehmen. Ihr nehmt sie ja, um damit Krieg gegen uns zu führen. Der Zweck heiligt das Mittel, wie ihr Franzosen sagt, nicht wahr?«
«Ja, Mylord, ich nehme Euer Anerbieten an, «sprach d'Artagnan,»und wir werden, wenn es Gott gefällt, einen guten Gebrauch von Euren Geschenken machen.«
«Nun, Eure Hand, junger Mann, vielleicht treffen wir uns bald auf dem Schlachtfelde, mittlerweile scheiden wir gewiß als gute Freunde.«
«Ja, Mylord, aber in der Hoffnung, bald Feinde zu werden.«
«Seid ruhig, ich verspreche es Euch.«
«Ich baue auf Euer Wort, Mylord.«
D'Artagnan verbeugte sich vor dem Herzog und lief rasch nach dem Hafen.
Dem Tower von London gegenüber fand er das bezeichnete Schiff, stellte den Brief dem Kapitän zu, der ihn von dem Hafengouverneur visiren ließ und sogleich unter Segel ging.
Fünfzig Schiffe warteten zum Auslaufen bereit. Als d'Artagnan Bord an Bord an einem derselben vorüberfuhr, glaubte er die Frau von Meung zu erkennen, dieselbe, welche der unbekannte Edelmann Mylady genannt, und die er selbst so schön gefunden hatte.
Aber mit Hülfe der raschen Strömung und eines guten Windes ging das Schiff so geschwind, daß er in einem Augenblick den übrigen Fahrzeugen aus dem Auge war.
Am andern Tage gegen neun Uhr Morgens ankerte man vor Saint Valery.
D'Artagnan wandte sich sogleich nach der bezeichneten Herberge und erkannte dieselbe aus dem Geschrei, welches daraus hervordrang; man sprach von dem Krieg zwischen England und Frankreich als von einer nahe bevorstehenden und unzweifelhaften Sache, und die Matrosen feierten zum Voraus ein lustiges Gelage.
D'Artagnan durchschritt die Menge, ging auf den Wirth zu und sprach das Wort» Forward«aus. Sogleich deutete ihm der Wirth durch ein Zeichen an, er möge ihm folgen, entfernte sich mit ihm durch eine Thüre, welche nach dem Hofe ging, führte ihn in den Stall, wo ein völlig gesatteltes und aufgezäumtes Pferd seiner harrte und fragte ihn, ob er sonst noch etwas bedürfe.
«Ich brauche nur den Weg kennen zu lernen, den ich einzuschlagen habe, «sagte d'Artagnan.
«Geht von hier nach Blangy, und von Blangy nach Neufchatel. In Neufchatel steigt an der Herberge zur goldenen Egge ab, sagt dem Wirthe das Losungswort, und Ihr werdet wie hier ein Pferd mit Sattel und Zeug finden.«
«Habe ich Euch etwas zu entrichten?«fragte d'Artagnan.
«Es ist Alles bezahlt, «antwortete der Wirth,»und zwar reichlich. Geht also, und Gott geleite Euch.«
«Amen!«erwiederte der junge Mann und ritt im Galopp von dannen.
Vier Stunden später war er in Neufchatel.
Er befolgte streng die Instruktion, welche er erhalten hatte. In Neufchatel, wie zuvor in Saint Valery, fand er ein Pferd mit Sattel und Zeug, das seiner harrte. Er wollte die Pistolen aus dem Sattel nehmen, den er verließ, und in den andern übertragen; die Halfter waren bereits mit ähnlichen Pistolen ausgerüstet.
«Eure Adresse in Paris?«—»Hotel der Garden, Kompagnie des Essarts.«—»Gut, «antwortete der Wirth. — »Welche Route soll ich nehmen?«fragte d'Artagnan.
«Die von Rouen. Ihr laßt aber die Stadt zu Eurer Rechten. In dem kleinen Dorfe Ecouis haltet Ihr an. Es giebt dort nur eine Herberge, die zum französischen Thaler. Beurtheilt sie nicht nach ihrem Aussehen. In ihrem Stalle findet Ihr ein Pferd, das so viel werth ist, wie dieses.«
«Dasselbe Losungswort?«—»Ganz dasselbe.«—»Gott befohlen, Meister!«—»Glückliche Reise, edler Herr. Bedürft Ihr sonst noch etwas?«
D'Artagnan machte mit dem Kopf ein verneinendes Zeichen und gab seinem Pferde die Sporen. In Ecouis wiederholte sich dieselbe Scene. Er fand einen eben so zuvorkommenden Wirth, ein frisches, ausgeruhtes Pferd, ließ seine Adresse zurück, wie er es vorher gethan hatte, und ritt mit derselben Eile nach Pontoise. In Pontoise wechselte er zum letzten Male, und um neun Uhr Abends sprengte er in vollem Galopp in den Hof des Herrn von Treville. Er hatte beinahe sechszig Lieues in zwölf Stunden zurückgelegt.
Herr von Treville empfing ihn, als ob er ihn an demselben Morgen gesehen hätte, nur drückte er ihm die Hand etwas lebhafter, als gewöhnlich. Er theilte ihm mit, daß die Kompagnie des Herrn des Essarts im Louvre die Wache habe, und daß er sich sogleich auf seinen Posten begeben könne.
XXII. Das Ballet der Merlaison
Am folgenden Tag sprach man in allen Straßen von Paris nur von dem Ball, den die Herren Schöppen der Stadt dem König und der Königin gaben, und wobei Ihre Majestäten das berühmte Ballet der Merlaison, das Lieblingsballet des Königs, tanzen sollten.
Man traf wirklich seit acht Tagen im Stadthaus alle Anstalten zu dieser feierlichen Soiree. Der Stadtwerkmeister hatte Gerüste aufgeschlagen, auf welchen die eingeladenen Damen ihre Plätze bekommen sollten. Die Krämer der Stadt hatten die Säle mit zweihundert Flambeaux von weißem Wachs geschmückt, was in jener Zeit als ein unerhörter Luxus zu betrachten war; endlich waren zwanzig Geiger bestellt worden, und man hatte ihnen das Doppelte des gewöhnlichen Lohnes bewilligt, in Betracht — sagt der Bericht — daß sie die ganze Nacht spielen mußten.
Um zehn Uhr Morgens erschien der Sieur de la Coste, Fähnrich der Garden des Königs, gefolgt von zwei Gefreiten und von mehreren Leibbogenschützen, und forderte von dem Rathsschreiber der Stadt, Namens Clement, alle Schlüssel der Thüren, der Zimmer und Bureaux des Stadthauses. Diese Schlüssel wurden ihm sogleich zugestellt. An jedem derselben war ein Zettelchen befestigt, damit man sich auskennen sollte, und von diesem Augenblick an war dem Sieur de la Coste die Bewachung aller Thüren und Zugänge übertragen.
Um elf Uhr kam du Hallier, Kapitän der Garden, mit fünfzig Bogenschützen, die sich sogleich in dem Stadthaus an den Thüren, die man ihnen bezeichnete, aufstellten.
Um drei Uhr langten zwei Kompagnien Garden an, eine französische und eine schweizerische. Die Kompagnie der französischen Garden bestand zur Hälfte aus der Mannschaft des Herrn du Hallier, zur Hälfte aus der des Herrn des Essarts.
Um sechs Uhr fingen die Eingeladenen an einzutreten. Bei ihrem Eintritt wurden ihnen Plätze im großen Saal auf den hiezu bestimmten Gerüsten angewiesen.
Um neun Uhr traf die Gemahlin des ersten Präsidenten ein. Da diese nach der Königin die bedeutendste Person des Festes war, so wurde sie von den Herren der Stadt empfangen und in die Loge derjenigen gegenüber geführt, welche die Königin einnehmen sollte.
Um zehn Uhr trug man in dem kleinen Saal, auf der Seite der St. Jean-Kirche, und zwar dem silbernen Büffet der Stadt gegenüber, das von vier Bogenschützen bewacht wurde, das Zuckerwerk für den König auf.
Um Mitternacht hörte man einen gewaltigen Lärmen und zahlreiche Zurufe. Es war der König, welcher durch die Straßen zog, die vom Louvre nach dem Stadthause führten und insgesammt durch farbige Lampen beleuchtet waren.
Die Herren Schöppen, vor denen Sergenten mit Fackeln in den Händen einhergingen, eilten, in ihre Tuchgewänder gekleidet, dem König bis auf die Treppe entgegen, wo ihn der Prevot der Kaufleute mit einer Anrede bewillkommte, die der König dadurch erwiederte, daß er sein spätes Erscheinen entschuldigte, und die Schuld auf den Herrn Kardinal schob, der ihn bis elf Uhr mit Staatsangelegenheiten aufgehalten habe.
Se. Majestät erschien in großer Gala, und sein Gefolge bestand aus Sr. Königl. Hoheit Monsieur, dem Grafen von Soissons, dem Großprior, dem Herzog von Longueville, dem Herzog d'Elbeuf, dem Grafen d'Harcourt, dem Grafen de la Roch-Guyon, Herrn von Liancourt, Herrn von Baradas, dem Grafen von Cramail und dem Chevalier Souveray. Jedermann bemerkte, daß der König traurig und mißgestimmt war.
Man hatte ein Kabinet für den König und ein anderes für Monsieur bereitet; in jedem von diesen Kabineten lagen Maskenkleider.
Dasselbe hatte man für die Königin und die Frau Präsidentin gethan. Die Herren und Damen vom Gefolge Ihrer Majestäten sollten sich zwei und zwei in Zimmern ankleiden, welche zu diesem Ende eingerichtet waren.
Ehe der König in das Kabinet eintrat, gab er Befehl, ihn sogleich zu benachrichtigen, wenn der Herr Kardinal erscheinen würde.
Eine halbe Stunde nach dem Eintritt des Königs ertönten neue Zurufe; diese verkündeten die Ankunft der Königin; die Schöppen der Stadt thaten dasselbe, was sie bereits gethan hatten, und gingen, Sergenten voran, ihrem erhabenen Gaste entgegen.
Die Königin erschien im Saal. Man bemerkte, daß sie, wie der König, traurig und angegriffen aussah.
Im Augenblick, wo sie eintrat, öffnete sich der Vorhang einer kleinen Tribüne, die bis jetzt geschlossen gewesen war, und man erblickte den bleichen Kopf Richelieu's, der die Tracht eines spanischen Cavaliers angelegt hatte. Seine Augen hefteten sich auf die der Königin und ein Lächeln furchtbarer Freude umzuckte seine Lippen: die Königin trug ihre diamantenen Nestelstifte nicht.
Die Königin verweilte einige Zeit, um die Komplimente der Herren der Stadt in Empfang zu nehmen und die Begrüßungen der Damen zu erwidern.
Plötzlich erschien der König mit dem Kardinal an einer der Saalthüren. Der Kardinal sprach sehr leise mit ihm und der König war äußerst bleich.
Der König durchschritt die Menge; er war ohne Maske und hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, die Bänder seines Wammses knüpfen zu lassen; so näherte er sich der Königin und sprach mit erschütternder Stimme zu ihr:
«Madame, wenn ich fragen darf, warum tragt Ihr Euere diamantenen Nestelstifte nicht, da Ihr doch wißt, daß es mir angenehm gewesen wäre, dieselben zu sehen?«
Die Königin schaute um sich her und erblickte hinter sich den Kardinal, der mit wahrhaft teuflischer Miene lächelte.
«Sire, «antwortete die Königin mit bebender Stimme,»ich fürchtete, unter dieser großen Menschenmasse könnte mir damit ein Unglück begegnen.«
«Und Ihr habt Unrecht gehabt, Madame. Wenn ich Euch dieses Geschenk machte, so geschah es, damit Ihr Euch damit schmücken solltet. Ich wiederhole, Ihr habt Unrecht gehabt.«
Die Stimme des Königs zitterte vor Zorn. Jedermann sah und hörte mit Erstaunen und Niemand begriff, was vorging.
«Sire, «sagte die Königin,»ich kann sie im Louvre holen lassen, um den Wünschen Ew. Majestät zu entsprechen.«
«Thut das, Madame, thut das, und zwar so bald als möglich; denn in einer Stunde beginnt das Ballet.«
Die Königin verbeugte sich, um damit ihre Folgsamkeit anzudeuten, und begab sich mit ihren Damen in das für sie bestimmte Kabinet.
Der König kehrte ebenfalls in das seinige zurück.
Es herrschte einen Augenblick Unruhe und Verwirrung im Saale.
Jedermann konnte bemerken, daß etwas zwischen dem König und der Königin vorging; aber beide sprachen so leise, daß sich alle Anwesenden aus Ehrfurcht einige Schritte zurückzogen und somit Niemand etwas vernahm. Die Geigen ertönten mit aller Gewalt aber Niemand hörte sie.
Der König trat zuerst aus seinem Kabinet. Er trug ein äußerst elegantes Jagdcostüm, und Monsieur und die übrigen Großen hatten sich ebenso gekleidet. Es war dies das Costüm, welches dem König am besten stand, und worin er allerdings der erste Edelmann seines Königreichs zu sein schien.
Der Kardinal näherte sich dem König und übergab ihm ein Etui, der König öffnete es und fand darin zwei diamantene Nestelstifte.
«Was soll das bedeuten?«fragte er den Kardinal.
«Nichts, «antwortete dieser;»wenn die Königin Nestelstifte trägt, woran ich zweifle, so zählt sie, Sire, und wenn Ihr nur zehn findet, so fragt Ihre Majestät, wer ihr die Stifte, die Ihr hier in Händen habt, genommen haben könne.«
Der König schaute den Kardinal forschend an, aber er hatte nicht Zeit, eine Frage an ihn zu richten, ein Schrei der Verwunderung drang aus dem Munde aller Anwesenden. Schien der König der erste Edelmann seines Reiches zu sein, so war die Königin sicherlich die schönste Frau Frankreichs.
Die Tracht einer Jägerin stand ihr allerdings wunderbar schön. Sie trug einen Filzhut mit blauen Federn, ein durch Diamant-Agraffen befestigtes perlgraues Sammetoberkleid und ein durchaus mit Silber gesticktes Unterkleid von blauer Seide. Auf ihrer linken Schulter glänzten die Nestelstifte, gehalten von einer Schleife von derselben Farbe wie die Federn und das Unterkleid.
Der König bebte vor Freude, der Kardinal vor Zorn; doch in der Entfernung, in der sie von der Königin standen, konnten sie die Stifte nicht zählen. Die Königin hatte sie, so viel war gewiß; nur fragte es sich, hatte sie zehn oder zwölf?
In diesem Augenblick gaben die Geigen das Zeichen zum Ballet. Der König schritt gegen die Frau Präsidentin vor, mit der er tanzen sollte, und seine Hoheit Monsieur näherte sich der Königin. Man stellte sich in Ordnung und das Ballet begann.
Der König figurirte der Königin gegenüber, und so oft er an ihr vorüberkam, verschlang er mit seinen Blicken die Nestelstifte, die er nicht abzuzählen vermochte. Kalter Schweiß bedeckte die Stirne des Kardinals.
Das Ballet dauerte eine Stunde; es hatte sechszehn Entres.
Sobald das Ballet vorüber war, führte jeder Herr unter dem Beifallklatschen des ganzen Saales seine Dame an ihren Platz. Aber der König benützte das ihm zukommende Vorrecht, seine Dame da zu lassen, wo er sich gerade befand, um lebhaft auf die Königin zuzugehen.
«Ich danke Euch Madame, «sprach er,»für die Bereitwilligkeit, mit der Ihr meinen Wünschen Folge geleistet habt, aber ich glaube, es fehlen Euch zwei Nestelstifte, die ich Euch hier überbringe.«
Bei diesen Worten überreichte er die zwei Stifte, die ihm der Kardinal gegeben hatte.
«Wie, Sire!«sagte die Königin, die Erstaunte spielend,»Ihr gebt mir noch zwei andere, dann habe ich vierzehn.«
Der König zählte wirklich, und die zwölf Nestelstifte fanden sich an der Schulter Ihrer Majestät.
Der König rief den Kardinal und fragte in strengem Tone:»Ei, was soll das bedeuten, Herr Kardinal?«
«Sire, «antwortete der Kardinal,»das bedeutet, daß ich der Königin gerne diese Stifte verehrt hätte, und da ich es nicht wagte, dieselben Ihrer Majestät anzubieten, so wählte ich dieses Mittel.«
«Und ich bin Ew. Eminenz hiefür um so mehr zu Dank verpflichtet, «antwortete Anna von Oesterreich mit einem Lächeln, welches bewies, daß sie sich durchaus nicht von dieser geistreichen Galanterie täuschen ließ,»als ich die Ueberzeugung hege, daß diese zwei Stifte allein Euch mehr kosten, als die zwölf andern Seine Majestät gekostet haben.«
Dann zog sich die Königin, nachdem sie den König und den Kardinal gegrüßt hatte, wieder in das Zimmer zurück, wo sie sich angekleidet hatte und wo sie sich entkleiden sollte.
Die Aufmerksamkeit, welche wir am Anfang dieses Kapitels den von uns eingeführten hohen Personen schenken mußten, entfernte uns einen Augenblick von demjenigen, welchem Anna von Oesterreich den unerhörten Triumph zu verdanken hatte, den sie über den Kardinal davon trug, und der unbekannt, verloren unter der an der Thür sich drängenden Menge, diese Scene betrachtete, welche nur für vier Personen, für den König, die Königin, Seine Eminenz und ihn begreiflich war.
Die Königin hatte ihr Zimmer wieder erreicht und d'Artagnan schickte sich an abzugehen, als er fühlte, daß man leicht seine Schulter berührte; er wandte sich um und sah eine junge Frau, die ihn durch ein Zeichen aufforderte, ihr zu folgen. Das Gesicht dieser jungen Frau war mit einer schwarzen Sammetmaske bedeckt; aber trotz dieser Vorsichtsmaßregel, welche übrigens mehr Andern als ihm galt, erkannte er sogleich seine gewöhnliche Führerin, die heitere und geistreiche Frau Bonacieux.
Am Tag vorher hatten sie sich kaum bei dem Schweizer Germain, wohin sie d'Artagnan hatte rufen lassen, gesprochen, Die junge Frau eilte so sehr, der Königin die vortreffliche Nachricht von der Rückkehr ihres Boten zu überbringen, und somit konnten die beiden Liebenden nur sehr wenige Worte mit einander wechseln. Von einer doppelten Empfindung, von Liebe und Neugierde getrieben, folgte d'Artagnan Frau Bonacieux. Auf dem ganzen Weg und als es in den Hausfluren öde wurde, wollte d'Artagnan die junge Frau anhalten, ergreifen, betrachten, wenn auch nur für einen Augenblick; aber lebhaft wie ein Vogel entschlüpfte sie stets seinen Händen, und wenn er sprechen wollte, wurde er durch ihren, mit einer kleinen gebieterischen Miene voll Liebreiz auf den Mund gelegten Finger daran erinnert, daß er unter der Herrschaft einer Macht stand, der er blindlings gehorchen mußte und die ihm auch die leiseste Klage untersagte. Nachdem Beide ein paar Minuten lang die Kreuz und Quer gegangen waren, öffnete Frau Bonacieux eine Thüre und führte den jungen Mann in ein völlig dunkles Kabinet. Hier gab sie ihm ein neues Zeichen, stumm zu bleiben, schloß eine zweite, unter einer Tapete verborgene, Thüre auf, deren Oeffnung plötzlich ein lebhaftes Licht verbreitete, und verschwand.
D'Artagnan blieb einen Augenblick unbeweglich und fragte sich, wo er wäre; aber ein Lichtstrahl, der aus diesem Zimmer drang, die warme und von Wohlgerüchen geschwängerte Lust, die an ihn heranströmte, die Unterhaltung mehrerer Frauen in zugleich ehrfurchtsvoller und zierlicher Sprache, das mehrmals wiederholte Wort Majestät zeigten ihm plötzlich ganz klar, daß er sich in einem an das Zimmer der Königin stoßenden Kabinet befand.
Der junge Mann blieb im Schatten stehen und wartete der Dinge, die da kommen sollten.
Die Königin schien heiter und glücklich, worüber die Personen ihrer Umgebung ohne Zweifel gewaltig staunten, da sie im Gegenteil gewöhnlich beinahe kummervoll aussah. Die Königin schrieb dieses heitere Gefühl der Schönheit des Festes, dem Vergnügen, das ihr das Ballet verursacht habe, zu, und da es nicht erlaubt ist, einer Königin zu widersprechen, so überboten sich alle in Lobeserhebungen über die Galanterie der Herren Schöppen der Stadt Paris.
Obgleich d'Artagnan die Königin nicht kannte, so unterschied er doch bald ihre Stimme von den übrigen, einmal an dem etwas fremdartigen Accent und dann an jenem Gefühl der Oberherrschaft, das allen fürstlichen Reden ein eigenthümliches Gepräge verleiht. Er hörte, wie sie sich der offenen Thüre näherte und sich von derselben entfernte. Er sah sogar zwei- oder dreimal, wie der Schatten eines Körpers das Licht unterbrach. Endlich kamen plötzlich eine Hand und ein Arm von bewunderungswürdiger Form und Weiße durch die Tapete hervor. D'Artagnan begriff, daß dieß seine Belohnung war. Er warf sich auf ein Knie, ergriff diese Hand und drückte ehrfurchtsvoll seine Lippen darauf. Dann zog sich diese Hand zurück und ließ in der seinigen einen Gegenstand, in welchem er einen Ring erkannte. Alsbald schloß sich die Thüre wieder und d'Artagnan befand sich in völliger Finsterniß.
D'Artagnan steckte den Ring an seinen Finger und wartete abermals. Offenbar war noch nicht Alles zu Ende. Auf die Belohnung seiner Ergebenheit mußte der Lohn seiner Liebe folgen. Das Ballet war allerdings getanzt, aber das Fest hatte kaum seinen Anfang genommen. Man speiste um drei Uhr zu Nacht und die Glocke von St. Jean hatte bereits vor einiger Zeit drei Viertel nach zwei geschlagen.
Der Lärm der Stimmen nahm in der That in dem anstoßenden Zimmer allmählig ab. Dann hörte man, wie er sich entfernte; die Thüre des Kabinets, in welchem sich d'Artagnan befand, öffnete sich wieder und Frau Bonacieux trat heraus.
«Endlich kommt Ihr!«rief d'Artagnan.
«Stille!«sprach die junge Frau und legte ihre Hand auf seine Lippen;»stille! und geht auf demselben Weg zurück, aus dem Ihr gekommen seid.«
«Aber wo und wann werde ich Euch wiedersehen?«rief d'Artagnan.
«Ein Billet, das Ihr bei Eurer Rückkehr zu Hause findet, wird Euch das sagen. Geht, geht!«
Bei diesen Worten öffnete sie die Flurthüre und drängte d'Artagnan aus dem Kabinet.
D'Artagnan gehorchte wie ein Kind ohne Widerstand, ohne Einwendung, woraus hervorgeht, daß er wirklich sehr verliebt war.
XXIII. Das Rendezvous
D'Artagnan lief in aller Eile nach Haus, und obgleich es Morgens drei Uhr war und er die abscheulichsten Quartiere von Paris zu durchwandern hatte, begegnete ihm doch nichts Schlimmes. Bekanntlich wacht ein Gott über den Trunkenen und Verliebten.
Er fand die Thüre zu seinem Gange halb offen, stieg die Treppe hinauf und klopfte auf eine zwischen ihm und seinem Lakaien abgemachte Weise sachte an. Planchet, den er zwei Stunden vorher mit dem Befehl, auf ihn zu warten, aus dem Stadthaus zurückgeschickt hatte, öffnete ihm.
«Hat Jemand einen Brief für mich gebracht?«fragte d'Artagnan lebhaft.
«Niemand hat einen Brief gebracht, gnädiger Herr, «antwortete Planchet;»aber es ist einer ganz allein gekommen.«
«Was willst Du damit sagen, Dummkopf?«
«Ich will damit sagen, daß ich bei meiner Rückkehr, obgleich ich den Schlüssel Eurer Wohnung in der Tasche hatte, und dieser nicht aus derselben gekommen war, auf dem grünen Teppich des Tisches in Eurem Schlafzimmer einen Brief gefunden habe.«
«Und wo ist dieser Brief?«
«Ich ließ ihn, wo er war, gnädiger Herr. Es geht nicht mit natürlichen Dingen zu, daß Briefe auf diese Art zu den Leuten kommen. Wäre wenigstens das Fenster offen oder nur auch halb geöffnet gewesen, so würde ich nichts sagen. Aber nein, Alles war hermetisch verschlossen. Seid auf Eurer Hut, Herr, denn sicherlich ist hiebei ein Zauberwerk im Spiele. «Während dieser Zeit stürzte der junge Mann in das Zimmer und öffnete den Brief. Er war von Frau Bonacieux und in folgenden Worten abgefaßt:
«Man hat Euch lebhaften Dank abzustatten und zu überbringen. Findet Euch diesen Abend gegen zehn Uhr in St. Cloud vor dem Pavillon ein, der sich an der Ecke des Hauses von Herrn d'Estrées erhebt.
C. B.«
Als d'Artagnan diesen Brief las, fühlte er, wie sich sein Herz unter jenem süßen Kampfe, der Liebende quält und liebkost, erweiterte und zusammenschnürte.
Es war der erste Liebesbrief, den er erhielt, das erste Rendezvous, das ihm bewilligt wurde. Von der Trunkenheit der Freude übervoll, war sein Herz nahe daran, auf der Schwelle des irdischen Paradieses, das man Liebe nennt, zu brechen.
«Nun, gnädiger Herr, «sagte Planchet, der seinen Gebieter bald blaß, bald roth werden sah:»Nicht wahr, ich habe richtig errathen, es ist eine abscheuliche Geschichte?«
«Du täuschest Dich, Planchet, «antwortete d'Artagnan,»und zum Beweis hast Du hier einen Thaler, um meine Gesundheit dafür zu trinken.«
«Ich danke dem gnädigen Herrn für den Thaler, den er mir gibt, und verspreche ihm seine Anweisung pünktlich zu befolgen; darum ist es aber nicht minder wahr, daß Briefe, welche auf diese Art in die geschlossenen Häuser kommen…«
«Vom Himmel fallen, mein Freund, vom Himmel fallen.«
«Der gnädige Herr ist also zufrieden?«fragte Planchet.
«Mein lieber Planchet, ich bin der glücklichste der Sterblichen.«
«Und ich darf das Glück des gnädigen Herrn benützen, um mich schlafen zu legen?«
«Ja, geh.«
«Alle Segnungen des Himmels mögen auf den gnädigen Herrn herabströmen, darum ist es aber nicht minder wahr, daß dieser Brief…«
Und Planchet entfernte sich, den Kopf schüttelnd und mit einer Miene des Zweifels, den d'Artagnans Großmuth nicht gänzlich zu beseitigen vermocht hatte.
Allein in seinem Zimmer, las d'Artagnan das Billet wieder und wieder. Dann küßte er wohl zwanzigmal diese von seiner schönen Geliebten geschriebenen Zeilen. Endlich legte er sich nieder, entschlummerte und träumte goldene Träume.
Um sieben Uhr Morgens stand er auf und rief Planchet, der, mit noch einigen Spuren von der gestrigen Ausschweifung im Gesicht, auf den zweiten Ruf die Thüre öffnete.
«Planchet, «sagte d'Artagnan zu ihm,»ich entferne mich vielleicht für den ganzen Tag. Du bist also bis sieben Uhr Abends frei; aber um sieben Uhr halte Dich mit zwei Pferden bereit.«—»Ah, gnädiger Herr, «sprach Planchet,»es scheint, wir wollen uns die Haut noch an verschiedenen Stellen durchstechen lassen.«—»Du nimmst Deine Muskete und Deine Pistolen.«—»Schön, sagte ich's doch!«rief Planchet.»Dahinter steckt ganz bestimmt der verdammte Brief.«—»Sei ruhig, alberner Tropf, es handelt sich ganz einfach um eine Vergnügungspartie.«—»Ja, wie bei den Lustreisen von neulich, wo es Kugeln regnete und die Wolfsfallen blühten.«—»Wenn Du übrigens Furcht hast, Planchet, «sprach d'Artagnan,»so werde ich allein gehen. Ich will lieber allein reisen, als einen zitternden Gefährten bei mir haben.«—»Der gnädige Herr thut mir Unrecht, «sagte Planchet;»es scheint mir doch, er hat mich bei der Arbeit gesehen.«—»Ja, aber ich glaubte. Du hättest all Deinen Muth auf einmal verbraucht.«—»Der gnädige Herr wird sehen, daß ich vorkommenden Falls noch übrig habe, nur bitte ich, nicht zu verschwenderisch damit umzugehen, wenn mir noch lange etwas davon bleiben soll.«—»Meinst Du, Du könnest heute Abend noch eine gewisse Summe ausgeben?«—»Ich hoffe es.«—»Gut, ich zähle auf Dich.«—»Zur genannten Stunde werde ich bereit sein. Ich glaubte nur, der gnädige Herr hätte nur ein Pferd im Stalle der Garden.«—»Vielleicht findet sich in diesem Augenblick nur eines daselbst, aber diesen Abend werden vier dort sein.«—»Unsere Reise war, scheint es, eine Remonte-Reise?«—»Ganz richtig, «sagte d'Artagnan, schärfte Planchet seinen Austrag durch eine Geberde noch einmal ein und entfernte sich.
Herr Bonacieux stand an seiner Thür. D'Artagnan wollte vorbeigehen, ohne mit dem würdigen Krämer zu sprechen; aber dieser grüßte ihn so zuckersüß und freundlich, daß sich der Miethsmann nicht nur genöthigt sah, den Gruß zurückzugeben, sondern auch ein Gespräch mit ihm anzuknüpfen.
Wie sollte man nicht ein wenig Herablassung gegen einen Mann zeigen, dessen Frau einem für denselben Abend ein Rendezvous vor dem kleinen Pavillon des Herrn d'Estrées in St. Cloud gegeben hat? D'Artagnan näherte sich ihm mit der liebenswürdigsten Miene, die er anzunehmen im Stande war.
Man kam natürlich auf die Einkerkerung des armen Mannes zu sprechen. Herr Bonacieux, der nicht wußte, daß d'Artagnan seine Unterredung mit dem Manne von Meung gehört hatte, erzählte seinem jungen Miethsmanne die Verfolgungen dieses Ungeheuers von Laßmann, den er unabläßig während seiner Mittheilungen als den Henker des Kardinals bezeichnete, und verbreitete sich mit vielen Worten über die Bastille, die Riegel, die Pforten, die Luftlöcher, die Gitter und die Folterwerkzeuge.
D'Artagnan hörte ihm mit musterhafter Gefälligkeit zu und sagte, als er geendigt hatte:
«Und wie steht's mit Frau Bonacieux? Wißt Ihr, wer sie entführt hat? denn ich vergesse nicht, daß ich diesem unangenehmen Umstand die Ehre Eurer Bekanntschaft zu danken habe.«
«Ah!«rief Herr Bonacieux,»sie haben sich wohl gehütet, mir dies zu sagen, und meine Frau hat mir bei allen Göttern geschworen, daß sie nichts wisse. Aber Ihr selbst, «fuhr Bonacieux mit äußerst gutmüthigem Tone fort,»was ist mit Euch in allen diesen Tagen vorgegangen? Ich habe weder Euch, noch Eure Freunde gesehen, und Ihr habt wohl nicht auf dem Pflaster von Paris all den Staub gesammelt, den Planchet gestern aus Euren Stiefeln klopfte?«
«Ihr habt Recht, mein lieber Herr Bonacieux. Meine Freunde und ich machten eine kleine Reise.«
«Weit von hier?«
«O mein Gott, nein, höchstens vierzig Meilen; wir begleiteten Herrn Athos nach den Bädern von Forges, wo meine Freunde zurückgeblieben sind.«
«Und Ihr seid zurückgekehrt, nicht wahr?«versetzte Herr Bonacieux, indem er seinem Gesichte ein höchst witziges Aussehen zu geben trachtete.»Ein hübscher Junge, wie Ihr, erhält keine langen Urlaube von seiner Geliebten. Und wir wurden ungeduldig zurückerwartet, nicht wahr?«
«Meiner Treu, «erwiederte der junge Mann lachend,»ich gestehe Euch dies um so eher, mein lieber Herr Bonacieux, als ich sehe, daß man Euch nichts verbergen kann. Ja, ich wurde erwartet, und zwar sehr ungeduldig, das mögt Ihr glauben.«
Eine leichte Wolke zog über Bonacieux's Stirne, aber so leicht, daß es d'Artagnan nicht gewahr wurde.
«Und wir werden für unsern Eifer belohnt?«fuhr der Krämer mit einem beinahe unmerklichen Zittern seiner Stimme fort, einem Zittern, das d'Artagnan eben so wenig bemerkte, als die augenblickliche Wolke, welche einen Augenblick vorher das Antlitz des würdigen Mannes verdüstert hatte.
«Ah! schweigt doch, «sagte d'Artagnan lachend.
«Nein, «versetzte Bonacieux,»ich sage Euch dies nur, um zu erfahren, ob wir spät nach Hause kommen.«
«Warum diese Frage, mein lieber Wirth?«entgegnete d'Artagnan;»habt Ihr vielleicht im Sinn, auf mich zu warten?«
«Nein, aber seit meiner Verhaftung und dem Diebstahl, der bei mir begangen wurde, erschrecke ich, so oft ich eine Thüre öffnen höre, und zwar besonders bei Nacht. Verdammt! was wollt Ihr? Ich bin kein Kriegsmann.«
«Schon gut, erschreckt meinetwegen nicht, wenn ich erst um zwei oder drei Uhr zurückkehre; erschreckt nicht, wenn ich auch gar nicht nach Hause komme.«
Diesmal wurde Bonacieux so bleich, daß es d'Artagnan nicht entgehen konnte, weshalb er ihn auch fragte, was ihm sei.
«Nichts, «antwortete Bonacieux,»nichts; seit meinen Unglücksfällen bin ich Schwächen unterworfen, die mich plötzlich befallen, und es hat mich soeben ein Schauder überlaufen. Achtet nicht darauf, denn Ihr habt Euch doch nur damit zu beschäftigen, glücklich zu sein.«
«Dann habe ich Beschäftigung, denn ich bin es.«
«Noch nicht, wartet noch. Ihr sagtet diesen Abend.«
«Wohl, dieser Abend wird kommen, Gott sei Dank! Und Ihr erwartet ihn wohl mit eben so großer Ungeduld, als ich? Vielleicht wird Madame Bonacieux das eheliche Gemach besuchen.«
«Madame Bonacieux ist diesen Abend nicht frei, «erwiederte der Gatte sehr ernst;»sie wird durch ihren Dienst im Louvre zurückgehalten.«
«Desto schlimmer für Euch, mein lieber Wirth, desto schlimmer; wenn ich glücklich bin, wünsche ich, die ganze Welt wäre es; aber es scheint, das ist nicht möglich.«
Und der junge Mann entfernte sich, laut lachend über den Scherz, den er allein verstehen zu können glaubte.
«Unterhaltet Euch gut, «erwiederte Bonacieux mit einer Leichenstimme.
Aber d'Artagnan war bereits zu weit entfernt, um ihn zu hören, und hätte er ihn gehört, so würde er es in seiner Gemüthsstimmung gewiß nicht verstanden haben.
Er wandte sich nach dem Hotel des Herrn von Treville: sein Besuch war am Tag vorher, wie man sich erinnern wird, sehr kurz gewesen und hatte wenig Erläuterungen herbeigeführt.
Er fand Herrn von Treville in der vollen Freude seines Herzens. Der König und die Königin hatten sich auf dem Ball höchst freundlich gegen ihn benommen. Der Kardinal war allerdings unter dem Vorwand einer Unpäßlichkeit höchst verdrießlich gewesen. Er entfernte sich schon um ein Uhr Morgens. Ihre Majestäten kehrten erst um sechs Uhr in den Louvre zurück.
«Nun, «sprach Herr von Treville, die Stimme dämpfend und mit dem Blick alle Winkel des Zimmers durchforschend, um zu sehen, ob sie allein waren:»nun, sprechen wir von Euch, mein junger Freund, denn Eure glückliche Rückkehr spielt offenbar eine Rolle bei der Freude des Königs, bei dem Triumph der Königin und bei der Demüthigung Sr. Eminenz. Ihr müßt auf Eurer Hut sein.«—»Was habe ich zu fürchten?«antwortete d'Artagnan,»so lange ich mich des Glückes erfreue, bei Ihren Majestäten in Gunst zu stehen?«—»Glaubt mir. Alles. Der Kardinal ist nicht der Mann, eine Mystifikation zu vergessen, so lang er noch nicht mit dem Mystificirenden abgerechnet hat. Und dieser scheint mir ganz einem gewissen jungen Manne von meiner Bekanntschaft zu gleichen.«—»Glaubt Ihr, der Kardinal sei so gut unterrichtet, als Ihr, und wisse, daß ich in London gewesen bin?«—»Teufel! Ihr seid in London gewesen und von London habt Ihr diesen schönen Diamant mitgebracht, der an Eurem Finger glänzt? Nehmt Euch in Acht, mein lieber d'Artagnan. Es ist nichts Gutes um ein Geschenk von einem Feinde. Gibt es nicht hierüber einen lateinischen Vers?«… —»Ja, allerdings, «antwortete d'Artagnan, der nie die erste Regel der Elemente hatte in den Kopf bringen können und oft durch seine Unwissenheit seinen Lehrer in Verzweiflung brachte,»ja, allerdings, es gibt einen hierüber.«—»Ganz gewiß, «sprach Herr von Treville, dem es nicht an einem wissenschaftlichen Anstrich fehlte.»Und Herr von Benserade citirte mir ihn eines Tages… Geduld… ah! ich hab' es:
… Timeo Danaos et dona ferentes.
Das bedeutet:»Mißtrauet dem Feinde, wenn er Euch Geschenke gibt.«—»Dieser Diamant kommt nicht von einem Feinde, gnädiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»er kommt von der Königin.«—»Von der Königin! oh! oh!«sprach Herr von Treville;»das ist ein wahrhaft königlicher Juwel, der tausend Pistolen, wie einen Heller werth ist. Durch wen hat Euch die Königin dieses Geschenk zustellen lassen?«—»Sie hat es mir selbst übergeben.«—»Wo?«—»In dem Kabinet, welches an das Zimmer stößt, wo sie ihre Toilette wechselte.«—»Wie?«—»Indem sie mir die Hand zum Kusse reichte.«—»Ihr habt die Hand der Königin geküßt?«rief Herr von Treville d'Artagnan anschauend. — »Ihre Majestät hat mir die Ehre erzeigt, mir diese Gnade zu bewilligen.«—»Und dies in Gegenwart von Zeugen? Unvorsichtige, dreimal unvorsichtige Frau!«—»Nein, gnädiger Herr, seid unbesorgt. Niemand hat es gesehen, «erwiederte d'Artagnan und erzählte Herrn von Treville den Hergang der Sache. — »O die Weiber! die Weiber!«rief der alte Soldat,»ich erkenne sie an ihrer romanhaften Einbildungskraft. Alles entzückt sie, was geheimnißvoll klingt. Also habt Ihr nur den Arm gesehen, und nicht weiter? Ihr würdet der Königin begegnen und sie nicht wieder erkennen? Sie würde Euch begegnen und nicht wissen, wer Ihr seid?«—»Nein, aber durch diesen Diamant…«versetzte der junge Mann. — »Hört, «sprach Herr von Treville,»soll ich Euch einen Rath geben, einen guten Rath, einen Freundesrath?«—»Ihr werdet mir eine Ehre erweisen, gnädiger Herr, «sprach d'Artagnan. — »Wohl! so geht zu dem ersten besten Goldschmied und verkauft diesen Diamant um das, was er Euch dafür gibt! so jüdisch er auch sein mag, so werdet Ihr doch immerhin achthundert Pistolen dafür bekommen. Pistolen haben keinen Namen, junger Mann, aber dieser Ring hat einen furchtbaren Glanz, der seinen Träger verrathen kann.«—»Diesen Ring verkaufen! einen Ring, den ich von meiner Fürstin erhalten habe! nie!«sagte d'Artagnan. — »Dann dreht den Stein nach innen, armer Narr; denn man weiß, daß ein Junker aus der Gascogne keine solche Juwele in dem Schmuckkästchen seiner Mutter findet.«—»Ihr glaubt also, daß ich etwas zu befürchten habe?«fragte d'Artagnan. — »Das heißt, junger Mann, daß Derjenige, welcher auf einer Mine einschläft, deren Lunte angezündet ist, sich im Vergleich mit Euch für sicher halten darf.«—»Teufel!«sprach d'Artagnan, den der bestimmte Ton des Herrn von Treville zu beunruhigen anfing,»Teufel! und was soll ich thun?«—»Stets uns vor Allem auf Eurer Hut sein. Der Kardinal hat ein beharrliches Gedächtniß und eine lange Hand; glaubet mir, er wird Euch einen schlimmen Streich spielen.«—»Aber welchen?«—»Weiß ich es? Hat er nicht alle Ränke des Teufels in seinem Dienste? Das Geringste, was Euch widerfahren kann, ist, daß man Euch verhaftet.«—»Wie, man sollte es wagen, einen Mann im Dienste Seiner Majestät zu verhaften?«—»Bei Gott, hat man sich bei Athos viel darum bekümmert; glaubt jeden Falls, junger Thor, einem Manne, der seit dreißig Jahren bei Hofe lebt, entschlummert nicht in Eurer Sicherheit, oder Ihr seid verloren. Seht vielmehr im Gegentheil überall Feinde, das sage ich Euch. Sucht man einen Streit mit Euch, weicht aus, und wäre es ein Kind von zehn Jahren, das mit Euch anbinden wollte; greift man Euch bei Tag oder bei Nacht an, nehmt fechtend Euern Rückzug und schämt Euch dessen nicht; geht Ihr über eine Brücke, so betastet die Bretter, aus Furcht, es könnte etwas unter Euren Füßen weichen; kommt Ihr an einem Ort vorüber, wo man ein Haus baut, schaut in die Höhe, es könnte Euch ein Stein auf den Kopf fallen; kehrt Ihr spät in der Nacht heim, so laßt Euch von Eurem Bedienten begleiten, und dieser sei bewaffnet, wenn Ihr Euch überhaupt auf Euren Bedienten verlassen könnt. Mißtraut aller Welt, Euren Freunden, Eurem Bruder, Eurer Geliebten besonders.«
D'Artagnan erröthete.
«Meiner Geliebten, «wiederholte er mechanisch,»und warum ihr mehr, als einer andern?«
«Die Geliebte ist das Lieblingsmittel des Kardinals, es gibt kein wirksameres; eine Frau verkauft Euch um zehn Goldstücke, dies beweist Delila. Ihr kennt die heilige Schrift, he?«
D'Artagnan dachte an das Rendezvous, das ihm Madame Bonacieux für diesen Abend gegeben hatte, aber unserem Helden zum Lob sei es gesagt, die schlechte Meinung, welche Herr von Treville im Allgemeinen von den Frauen hatte, flößte ihm nicht den geringsten Verdacht gegen seine junge Wirthin ein.
«Aber apropos, «versetzte Herr von Treville,»was ist denn aus Euern drei Gefährten geworden?«—»Ich war im Begriff, Euch zu fragen, ob Ihr keine Kunde von Ihnen erhalten hättet.«
«Keine, mein Herr.«—»Nun, ich habe sie auf meiner Reise zurückgelassen. Porthos in Chantilly mit einem Duell auf den Armen, Aramis in Crevecoeur mit einer Kugel in der Schulter, Athos in Amiens mit einer Falschmünzeranklage auf dem Leibe.«
«Seht Ihr!«rief Herr von Treville,»und wie seid Ihr entkommen?«—»Ich muß gestehen, durch ein Wunder, gnädiger Herr, mit einem Degenstich in der Brust, und indem ich den Grafen von Wardes auf der Straße von Calais in die Gosse spießte, wie einen Schmetterling in die Tapete.«—»Da seht Ihr abermals! Von Wardes, emen Mann des Kardinals, einen Vetter von Rochefort; hört, mein Freund, es kommt mir ein Gedanke.«—»Sprecht, gnädiger Herr.«—»An Eurer Stelle würde ich etwas thun.«—»Was?«—»Während ich Seine Eminenz suchen ließe, würde ich ganz in aller Stille den Weg nach der Picardie einschlagen und mich nach meinen drei Gefährten erkundigen. Den Teufel! sie verdienen wohl diese kleine Aufmerksamkeit von Euch.«—»Der Rath ist gut und ich werde morgen reisen.«—»Morgen! und warum nicht diesen Abend?«—»Diesen Abend hält mich eine unerläßliche Angelegenheit in Paris zurück.«—»Ah! junger Mann! junger Mann! irgend ein Liebschäftchen. Nehmt Euch in Acht, ich muß Euch wiederholen, das Weib hat uns insgesammt ins Verderben gestürzt, und wird uns verderben, so lange wir bestehen. Folget mir, reist noch diesen Abend.«—»Unmöglich, gnädiger Herr.«—»Ihr habt Euer Wort gegeben?«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Das ist ein ander Ding, aber versprecht mir, morgen zu reisen, wenn Ihr in dieser Nacht nicht getödtet werdet.«—»Ich verspreche es Euch.«—»Braucht Ihr Geld?«—»Ich habe noch fünfzig Pistolen. Mehr brauche ich, glaube ich, nicht.«—»Aber Euere Gefährten.«—»Ich denke nicht, daß es ihnen daran fehlt. Wir sind jeder mit fünfundsiebenzig Pistolen in der Tasche von Paris abgereist.«—»Werde ich Euch noch vor Euerem Abgang sehen?«—»Es ist nicht wahrscheinlich, gnädiger Herr, wenn nichts Neues vorfällt.«—»Dann glückliche Reise!«—»Ich danke, gnädiger Herr.«
D'Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville, mehr als je gerührt durch seine wahrhaft väterliche Fürsorge für seine Musketiere.
Er ging hinter einander zu Athos, zu Porthos und zu Aramis. Keiner von ihnen war zurückgekehrt. Auch ihre Bedienten waren noch abwesend und man hatte nicht die geringste Kunde von ihnen.
Wohl hätte er sich gern bei ihren Geliebten nach ihnen erkundigt, aber er kannte weder die von Porthos, noch die von Aramis; — Athos hatte keine.
Als er an dem Hotel der Garden vorüberkam, warf er einen Blick in den Stall; drei von den vier Pferden waren bereits eingetroffen. Obgleich sehr erstaunt, war Planchet doch schon im Zug, sie zu striegeln, und hatte zwei von ihnen vollkommen geputzt.
«Ah! gnädiger Herr!«sprach er, als er d'Artagnan gewahr wurde,»wie freut es mich. Euch zu sehen!«—»Und warum, Planchet?«fragte der junge Mann. — »Habt Ihr Vertrauen zu Herrn Bonacieux, unserem Wirthe?«—»Ich? nicht im mindesten.«—»Oh! daran thut Ihr sehr wohl, gnädiger Herr.«—»Warum diese Frage?«—»Darum weil ich, während Ihr mit ihm plaudertet, Euch beobachtete, ohne Euch zu hören; sein Gesicht hat zwei- bis dreimal die Farbe gewechselt.«—»Bah!«—»Nur mit dem Briefe beschäftigt, den er erhalten, hat es der gnädige Herr nicht wahrgenommen; aber ich, den der auf so seltsame Weise ins Haus gekommene Brief behutsam gemacht hatte, ich habe keine Bewegung seiner Physiognomie verloren.«—»Und Du fandest sie?«—»Verrätherisch, gnädiger Herr.«—»In der That?«—»Mehr noch — so bald der gnädige Herr ihn verlassen hatte und an der Straßenecke verschwunden war, nahm Herr Bonacieux seinen Hut, verschloß die Thüre und lief aus Leibeskräften durch die entgegengesetzte Straße.«—»Du hast wirklich Recht, Alles dies kommt mir sehr zweideutig vor; sei ohne Sorge, wir bezahlen ihm unsern Miethzins nicht eher, als bis er uns die ganze Geschichte auf eine kategorische Weise erklärt hat.«—»Der gnädige Herr scherzt, aber er wird sehen.«—»Was willst Du, Planchet! was geschehen soll, steht im Buche des Schicksals geschrieben.«—»Der gnädige Herr verzichtet also nicht auf seinen Abendspazierritt?«»Ganz im Gegentheil, Planchet, je mehr ich Herrn Bonacieux grolle, desto mehr bin ich entschlossen, mich bei dem Rendezvous einzufinden, das mir der Brief gegeben hat, der Dich so sehr beunruhigt.«—»Wenn es also des Entschluß der gnädigen Herrn ist…«—»Der unerschütterliche Entschluß, mein Freund. Um sieben Uhr halte Dich hier am Hotel bereit. Ich hole Dich ab.«
Als Planchet sah, daß keine Hoffnung vorhanden war, seinen Herrn zur Verzichtleistung auf sein Vorhaben zu bewegen, stieß er einen tiefen Seufzer aus und schickte sich an, auch das dritte Pferd zu striegeln.
D'Artagnan, im Grund ein sehr kluger junger Mann, ging, um zu Mittag zu speisen, nicht nach Hause, sondern zu dem gascognischen Priester, der zur Zeit, wo die vier Freunde auf der Hefe waren, ein Chocoladefrühstück zum Besten gegeben hatte.
XXIV. Der Pavillon
Um sieben Uhr befand sich d'Artagnan bei dem Hotel der Garden. Er fand Planchet unter den Waffen. Das vierte Pferd war eingetroffen. Planchet hatte seine Muskete und eine Pistole bei sich. D'Artagnan war mit seinem Degen bewaffnet und steckte zwei Pistolen in seinen Gürtel. Dann schwangen sich beide zu Pferd und zogen geräuschlos ab. Es war finstere Nacht, und Niemand sah, wie sie sich entfernten. Planchet ritt zehn Schritte hinter seinem Herrn.
D'Artagnan ritt über die Quais, zog durch die Porte de la Conference und schlug sodann den reizenden Weg ein, der nach Saint-Cloud führt und damals noch viel schöner war, als heut zu Tage.
So lange man in der Stadt war, hielt sich Planchet in der ehrfurchtsvollen Entfernung, die er sich vorgeschrieben hatte; aber als der Weg öder und dunkler zu werden anfing, näherte er sich ganz sachte, so daß er, als man das Bois de Boulogne erreichte, auf eine ganz natürliche Weise neben seinem Herrn einherzog. Wir können nicht verschweigen, daß die zitternde Bewegung der großen Bäume und der Widerschein des Mondes in dem düsteren Gehölz ihm eine lebhafte Unruhe verursachte. D'Artagnan bemerkte, daß in seinem Bedienten etwas Außerordentliches vorging, und fragte ihn:
«Ei, mein Herr Planchet, was haben wir denn?«—»Findet Ihr nicht, gnädiger Herr, daß die Wälder gerade wie die Kirchen sind?«—»Warum dies, Planchet?«—»Weil man in diesen, wie in jenen nicht laut zu sprechen wagt.«—»Warum wagst Du nicht laut zu sprechen, Planchet? Weil Du Furcht hast?«—»Furcht gehört zu werden, ja, gnädiger Herr.«—»Furcht gehört zu werden? Unser Gespräch ist doch moralischer Natur und Niemand wird etwas dagegen einzuwenden haben!«
«Ach, gnädiger Herr, «versetzte Planchet, auf den in ihm vorherrschenden Gedanken zurückkommend,»daß dieser Herr Bonacieux etwas Duckmäuserisches in seinen Augenbraunen und etwas Widerwärtiges im Spiele seiner Lippen hat, ist gewiß nicht zu läugnen!«—»Wer Teufel heißt Dich an Bonacieux denken?«—»Gnädiger Herr, man denkt, an was man kann, und nicht an was man will.«—»Weil Du ein Hasenherz bist, Planchet.«—»Gnädiger Herr, wir wollen nicht die Klugheit mit der Feigheit verwechseln; die Klugheit ist eine Tugend.«—»Und Du bist tugendhaft, nicht wahr, Planchet?«—»Gnädiger Herr, ist das nicht ein Musketenlauf, was da unten glänzt? Wenn wir uns bückten?«
«Wahrlich, «murmelte d'Artagnan, der sich an den Rath des Herrn von Treville erinnerte,»wahrlich, dieses Vieh könnte mir am Ende bange machen. «Und er setzte sein Pferd in Trab.
Planchet folgte der Bewegung seines Herrn so genau, als ob er sein Schatten gewesen wäre, und hielt sich trabend an seiner Seite.
«Werden wir die ganze Nacht so marschiren, gnädiger Herr?«fragte er. — »Nein, Planchet, denn Du bist an Ort und Stelle.«—»Wie! ich bin an Ort und Stelle! Und der gnädige Herr?«—»Ich gehe noch einige Schritte.«—»Und der gnädige Herr läßt mich hier allein?«—»Hast Du bange, Planchet?«—»Nein, aber ich erlaube mir zu bemerken, daß die Nacht sehr kalt sein wird, daß die Kühle Rheumatismen verursacht, und daß ein mit Rheumatismus behafteter Lakai ein trauriger Bedienter ist, besonders für einen so rüstigen Mann, wie der gnädige Herr.«—»Wohl, wenn Du frierst, Planchet, so gehe in eine von den Schenken, die Du da unten siehst, und erwarte mich morgen früh um sechs Uhr vor der Thüre.«—»Gnädiger Herr, ich habe den Thaler, den Ihr mir diesen Morgen gegeben, ehrfurchtsvoll verspeist und vertrunken, so daß mir kein elender Sou mehr übrig bleibt, falls ich frieren würde.«—»Hier ist eine halbe Pistole. Morgen also.«
D'Artagnan stieg vom Pferde, warf Planchet den Zügel über den Arm, hüllte sich in seinen Mantel und ging rasch weg.
«Gott wie kalt, «rief Planchet, sobald er seinen Herrn aus dem Gesicht verloren hatte, und um sich so schnell als möglich wieder zu erwärmen, klopfte er eiligst an die Thür eines Hauses, das mit allen Zeichen einer Schenke geschmückt war.
D'Artagnan, der einen kleinen Fußpfad eingeschlagen hatte, setzte mittlerweile seine Wanderung fort und erreichte Saint Cloud, aber statt die Landstraße zu nehmen, wandte er sich hinter das Schloß, ging durch eine ziemlich verborgene Gasse und befand sich bald vor dem bezeichneten Pavillon. Dieser lag an einem völlig öden Ort. Eine große Mauer, an deren Ecke er den Pavillon gewahr wurde, zog sich an der einen Seite dieser Gasse hin, auf der andern beschützte eine Hecke, in deren Hintergrund sich eine elende Hütte erhob, einen kleinen Garten gegen die Vorübergehenden.
Er hatte die Stelle des Rendezvous erreicht, und da man ihm nicht angedeutet hatte, daß er seine Gegenwart durch ein Signal kundgeben sollte, so wartete er.
Nicht das geringste Geräusch ließ sich vernehmen; man hätte in der That glauben sollen, man wäre hundert Meilen von der Hauptstadt entfernt. D'Artagnan lehnte sich an die Hecke, nachdem er einen Blick hinter sich geworfen hatte. Jenseits der Hecke des Gartens und der Hütte hüllte ein düsterer Nebel den unermeßlichen Raum in seine Falten, wo Paris schläft, eine gähnende Leere, in welcher noch einige leuchtende Punkte, düstere Sterne dieser Hölle glänzten.
Aber für d'Artagnan kleideten sich alle diese Ansichten in eine glückliche Gestalt, alle Gedanken hatten ein Lächeln, alle Finsternisse waren durchsichtig. Die Stunde des Rendezvous sollte schlagen. Nach Verlauf einiger Minuten ließ wirklich der Glockenthurm von Saint Cloud langsam zehn Schläge aus seinem blöckenden Rachen fallen. Es lag etwas Trauriges in dieser ehernen, mitten in der Nacht wehklagenden Stimme.
Aber jeder dieser Schläge, welcher die erwartete Stunde bildete, vibrirte harmonisch in dem Herzen des jungen Mannes.
Seine Augen blieben auf den kleinen an der Ecke der Mauer liegenden Pavillon gerichtet, dessen Fenster insgesammt durch Läden verschlossen waren, mit Ausnahme eines einzigen im ersten Stock. Durch dieses Fenster glänzte ein sanftes Licht, welches das zitternde Laubwerk einiger Linden versilberte, die eine Gruppe bildend, sich vor dem Park erhoben. Hinter diesem so anmuthig beleuchteten Fenster erwartete ihn offenbar die hübsche Madame Bonacieux.
Von diesem süßen Gedanken gewiegt, harrte d'Artagnan eine halbe Stunde ohne die geringste Ungeduld, die Augen auf die reizende kleine Wohnung geheftet, von der er theilweise den Plafond mit den vergoldeten Leisten erblickte, welche auf die Eleganz des Uebrigen schließen ließen.
Im Glockenthurm von Saint Cloud schlug es halb elf Uhr. Diesmal durchlief ein Schauer die Adern unsres Helden, ohne daß er begriff, warum. Vielleicht bemächtigte sich die Kälte seiner, und er nahm eine ganz körperliche Empfindung für einen moralischen Eindruck.
Dann kam ihm der Gedanke, er habe schlecht gelesen und das Rendezvous sei erst auf elf Uhr bestimmt.
Er näherte sich dem Fenster, stellte sich in einen Lichtstrahl, zog den Brief aus der Tasche, und las ihn abermals; er hatte sich nicht getäuscht; das Rendezvous war auf zehn Uhr festgesetzt. Er begab sich wieder auf seinen Posten und fing an über diese Stille und Einsamkeit sehr traurig zu werden.
Es schlug elf Uhr.
D'Artagnan begann nun wirklich zu fürchten, es könnte Madame Bonacieux etwas widerfahren sein.
Er schlug dreimal in seine Hände — das gewöhnliche Zeichen der Verliebten — aber Niemand antwortete, nicht einmal das Echo.
Dann dachte er, nicht ohne einen gewissen Aerger, die junge Frau sei vielleicht, während sie ihn erwartete, eingeschlafen. Er näherte sich der Mauer und suchte hinaufzusteigen, aber sie war neu bestrichen und d'Artagnan brach sich vergeblich die Nägel ab.
In diesem Augenblick bemerkte er die Bäume, deren Blätter fortwährend von dem Licht versilbert wurden, und da einer derselben auf den Weg vorsprang, so glaubte er, aus seinen Zweigen würde sein Blick in den Pavillon dringen können.
Der Baum war leicht zu ersteigen. D'Artagnan zählte überdies erst zwanzig Jahre und erinnerte sich seiner Schülerübungen. Sogleich befand er sich mitten unter den Zweigen und durch die durchsichtigen Scheiben tauchten seine Augen in das Innere des Pavillons.
Seltsamer Anblick, der d'Artagnan vom Scheitel bis zur Fußsohle schaudern machte — dieses sanfte Licht, diese ruhige Lampe beleuchtete eine Scene furchtbarer Störung: eine der Fensterscheiben war zerbrochen, die Thüre hatte man eingestoßen und sie hing halb zertrümmert an ihren Angeln, ein Tisch, auf dem ein elegantes Abendbrod gestanden haben mußte, lag auf dem Boden, Scherben von den Flaschen lagen aus dem Fußteppich umher, und zwischen denselben sah man Früchte und Speisen umhergeworfen; Alles zeugte dafür, daß in diesem Zimmer ein heftiger, verzweiflungsvoller Kampf stattgefunden hatte; d'Artagnan glaubte sogar mitten unter diesem seltsamen Durcheinander Fetzen von Kleidern und Blutflecken an dem Tischtuch und an den Vorhängen zu erkennen.
Er beeilte sich mit gräßlichem Herzklopfen wieder auf die Straße herabzusteigen und wollte sehen, ob er keine andere Spuren von Gewaltthat wahrnehmen könnte.
Das sanfte Licht glänzte immer noch in der Stille der Nacht. D'Artagnan bemerkte jetzt, was ihm früher entging, da ihn nichts vorher zu einer näheren Prüfung antrieb, daß der Boden, da und dort eingetreten und durchlöchert, verworrene Spuren von Menschentritten und Pferdehufen zeigte. Ueberdies hatten die Räder eines Wagens, der von Paris zu kommen schien, in der weichen Erde einen tiefen Eindruck ausgehöhlt, der nicht über die Höhe des Pavillons ging und gegen Paris zurückkehrte.
Seine Nachsuchungen weiter verfolgend, fand d'Artagnan in der Nähe der Mauer einen Frauenhandschuh, der jedoch an allen Punkten, wo er die schmutzige Erde nicht berührt hatte, von tadelloser Frische war. Es war in der That einer jener duftenden Handschuhe, wie die Liebenden sie so gerne einer hübschen Hand entreißen.
Je länger d'Artagnan seine Forschungen fortsetzte, desto stärker troff ein eisiger Schweiß von seiner Stirne. Sein Herz schnürte sich in furchtbarerer Angst zusammen, sein Athem wurde keuchend, und dennoch suchte er sich durch den Gedanken zu beruhigen, dieser Pavillon habe vielleicht nichts mit Madame Bonacieux gemein; die junge Frau habe ihn ja vor und nicht in den Pavillon beschieden; sie könnte in Paris durch ihren Dienst, durch die Eifersucht ihres Gatten zurückgehalten worden sein. Aber alle diese Betrachtungen wurden abgeschwächt, zerstört, über den Haufen geworfen durch jenes schmerzliche innere Gefühl, das sich bei gewissen Veranlassungen unseres ganzen Seins bemächtigt und uns durch Alles das, was wir zu hören bestimmt sind, zuruft, daß ein großes Unglück über uns schwebe.
D'Artagnan wurde nun beinahe wahnsinnig; er lief nach der Landstraße, schlug denselben Weg ein, den er bereits gemacht hatte, und ging bis zu der Fähre um den Fährmann zu befragen.
Gegen sieben Uhr Abends hatte der Fährmann eine in einen schwarzen Mantel gehüllte Frau übergesetzt, der viel daran zu liegen schien, daß man sie nicht erkenne, aber gerade wegen der Vorsichtsmaßregel, die sie nahm, betrachtete sie der Fährmann mit größerer Aufmerksamkeit und erkannte, daß es eine junge und schöne Frau war.
Damals, wie heut zu Tage gab es eine Menge junger und schöner Frauen, welche nach St. Cloud kamen, und denen sehr viel daran lag, nicht erkannt zu werden, und dennoch zweifelte d'Artagnan nicht einen Augenblick daran, daß Madame Bonacieux von dem Fährmann erkannt worden war.
D'Artagnan benützte die Lampe, welche in der Hütte des Fährmanns glänzte, um das Billet von Madame Bonacieux noch einmal zu lesen und sich zu überzeugen, daß er sich nicht getäuscht, daß das Rendezvous in St. Cloud, und nicht anderswo, vor dem Pavillon des Herrn d'Estrées und nicht in einer andern Straße stattfinden sollte. Alles wirkte zusammen, um d'Artagnan zu beweisen, daß seine Ahnungen ihn nicht täuschten und daß sich ein großes Unglück ereignet hatte.
Er lief rasch auf dem Weg nach dem Schlosse zurück; er dachte, es sei in dem Pavillon vielleicht etwas Neues vorgefallen, und es müssen ihn Nachrichten dort erwarten.
Die Gasse war immer noch öde und derselbe ruhige, sanfte Schein verbreitete sich aus dem Zimmer. D'Artagnan dachte nun an das blinde und taube Gemäuer, das aber ohne Zweifel gesehen hatte und vielleicht sprechen konnte. Die Thüre des Zauns war geschlossen, aber er sprang über die Hecke und näherte sich der Hütte trotz des Bellens eines Kettenhundes.
Auf die ersten Schläge antwortete Niemand; es herrschte eine Todesstille in der Hütte wie in dem Pavillon; da jedoch diese Hütte seine letzte Zuflucht war, so blieb er beharrlich.
Bald glaubte er im Innern ein leichtes Geräusch zu vernehmen, ein furchtsames Geräusche, ein Geräusch, das zitterte, gehört zu werden.
D'Artagnan hörte nun auf zu klopfen, und bat mit einem Ton so voll Unruhe und Versprechungen, voll Schrecken und Schmeichelei, daß seine Stimme auch den Furchtsamsten beruhigen mußte. Endlich wurde ein alter, wurmstichiger Laden ein wenig geöffnet, aber sogleich wieder geschlossen, als der Schein einer elenden Lampe, welche in einem Winkel brannte, d'Artagnans Wehrgehänge, seinen Degengriff und den Schaft seiner Pistolen beleuchtete. So rasch die Bewegung gewesen war, so hatte d'Artagnan doch Zeit gehabt, flüchtig den Kopf eines Greises wahrzunehmen.
«Um Gottes willen!«rief er,»hört mich. Ich erwarte Jemand, der nicht kommt, und sterbe vor Unruhe. Sollte ein Unglück in der Gegend vorgefallen sein? Sprecht!«
Das Fenster öffnete sich langsam zum zweiten Male und dasselbe Gesicht erschien wieder, nur war es viel bleicher als das erste Mal.
D'Artagnan erzählte ganz unumwunden seine Geschichte beinahe bis auf die Namen. Er sagte, wie er mit einer jungen Frau vor diesem Pavillon hätte Rendezvous haben sollen, und wie er, da sie nicht erschienen, auf eine Linde gestiegen und beim Lampenschein die Zerstörung im Innern des Zimmers gesehen habe.
Der Greis hörte ihm aufmerksam zu und bestätigte durch Zeichen, daß es sich so verhalten müsse. Als d'Artagnan geendigt hatte, schüttelte er den Kopf mit einer Miene, die nichts Gutes andeutete.
«Was wollt Ihr sagen?«rief d'Artagnan.»Ich beschwöre Euch im Namen des Himmels, erklärt Euch.«
«Oh! Herr, «sprach der Greis,»fragt mich nicht; denn wenn ich Euch sagte, was ich gesehen habe, würde es mir sicherlich schlimm ergehen.«
«Ihr habt also etwas gesehen?«versetzte d'Artagnan.»In diesem Falle bitte ich Euch um Gotteswillen, «fuhr er, dem Alten ein Goldstück zuwerfend fort,»sagt, sagt, was Ihr gesehen habt, und ich gebe Euch mein Wort als Edelmann, daß nichts von dem, was Ihr mir mittheilt, über meine Lippen kommen soll.«
Der Greis las in d'Artagnans Gesicht so viel Schmerz und Offenherzigkeit, daß er ihm ein Zeichen gab, er möge hören, und mit leiser Stimme sprach:
«Es war ungefähr neun Uhr; ich vernahm ein Geräusch auf der Straße, und wollte wissen, was das sein könnte, als man sich meiner Thüre näherte und ich sah, daß Jemand hereinzukommen suchte. Da ich arm bin und mich nicht vor Dieben zu fürchten habe, so öffnete ich und erblickte einige Schritte vor mir drei Männer; im Schatten stand ein Wagen mit angespannten Pferden und Reitpferden. Letztere gehörten offenbar den drei Männern, welche als Reiter gekleidet waren.«
«Aber meine guten Herren, «rief ich,»was verlangt Ihr?«
«Du mußt eine Leiter haben, «sprach derjenige von ihnen, welcher der Anführer der Escorte zu sein schien.
«Ja Herr, diejenige, mit welcher ich mein Obst pflücke.«
«Gib sie uns, und geh wieder in Deine Hütte; hier ist ein Thaler für die Störung. Erinnere Dich jedoch, daß Du, wenn Du ein Wort von dem sagst, was Du sehen oder hören wirst (und Du wirst sehen und hören, wie sehr wir Dich auch bedrohen mögen), daß Du, sage ich, verloren bist.«
«Bei diesen Worten warf er mir einen Thaler zu, den ich aufhob, und nahm meine Leiter.
«Nachdem ich die Thüre der Hecke hinter ihnen verschlossen hatte, stellte ich mich wirklich, als kehrte ich in das Haus zurück, aber ich ging sogleich wieder durch eine Hinterthüre hinaus, schlüpfte in den Schatten, und es gelang mir, das Hollundergebüsch zu erreichen, aus dem ich Alles sehen konnte, ohne selbst gesehen zu werden.
«Die drei Männer hatten den Wagen ohne Geräusch vorfahren lassen und zogen einen kleinen, dicken, kurzen, ärmlich gekleideten Mann heraus, welcher vorsichtig die Leiter hinaufkletterte, duckmäuserisch in das Innere des Zimmers schaute, leise wieder herabstieg und mit gedämpfter Stimme murmelte:
«Sie ist es!«
«Sogleich näherte sich derjenige, welcher mit mir gesprochen hatte, der Pavillonthüre und öffnete sie mit einem Schlüssel, den er bei sich trug, verschloß die Thüre wieder und verschwand. Zu gleicher Zeit stiegen die zwei Anderen die Leiter hinauf. Der kleine Alte blieb am Kutschenschlag, der Kutscher hielt die Wagenpferde und ein Lakai die Reitpferde.
«Plötzlich ertönte ein gewaltiges Geschrei in dem Pavillon. Eine Frau lief an das Fenster und öffnete es, als wollte sie sich hinausstürzen. Aber sobald sie die zwei Männer erblickte, warf sie sich zurück; die zwei Männer sprangen ihr ins Zimmer nach.
«Nun sah ich nichts mehr, aber ich hörte ein Getöse, wie wenn Möbel zerschlagen würden. Die Frau kreischte und schrie um Hülfe. Bald wurde ihr Geschrei erstickt. Die drei Männer näherten sich, die Frau in ihren Armen tragend, dem Fenster. Zwei stiegen auf der Leiter herab und brachten sie in den Wagen, in den der kleine Alte nach ihr hineinkletterte. Derjenige, welcher im Pavillon geblieben war, verschloß das Fenster wieder, trat einen Augenblick nachher zur Thüre heraus und überzeugte sich, daß die Frau im Wagen gut untergebracht war; seine zwei Gefährten erwarteten ihn bereits zu Pferde. Er sprang ebenfalls in den Sattel; der Lakai nahm seinen Platz neben dem Kutscher; der Wagen entfernte sich, von den drei Reitern geleitet, im Galopp, und Alles war vorüber. Von diesem Augenblick an habe ich nichts mehr gehört, nichts mehr gesehen.«
Niedergeschmettert von einer so furchtbaren Kunde, blieb d'Artagnan stumm und unbeweglich, während in seinem Innern alle Teufel des Zorns und der Eifersucht wütheten.
«Aber, mein edler Herr, «versetzte der Greis, auf den diese Verzweiflung eine größere Wirkung hervorbrachte, als wenn er geschrieen und geweint hätte;»laßt Euch doch nicht vom Schmerz so sehr niederbeugen, sie haben sie Euch nicht getödtet, das ist die Hauptsache.«
«Wißt Ihr vielleicht, «sprach d'Artagnan,»wer der Mann ist, der diese höllische Expedition anführte?«
«Ich kenne ihn nicht.«
«Aber da er mit Euch sprach, so konntet ihr ihn doch wohl sehen?«
«Ah! Ihr verlangt sein Signalement von mir.«
«Ja.«
«Ein großer, magerer Mann von schwärzlicher Gesichtsfarbe, mit schwarzem Schnurrbart, schwarzen Augen und dem ganzen Wesen eines Edelmanns.«
«Der ist es!«rief d'Artagnan,»abermals er! immer er! das ist mein böser Dämon, wie es scheint! Und der Andere?«
«Welcher?«
«Der Kleine.«
«Ah! das ist kein vornehmer Herr! Dafür stehe ich. Auch trug er keinen Degen, und die Andern behandelten ihn durchaus nicht mit Achtung.«
«Irgend ein Lakai, «murmelte d'Artagnan.»Oh! arme Frau, arme Frau! Was haben sie mit Dir gemacht?«
«Ihr habt mir Geheimhaltung versprochen, «sagte der Greis.
«Ich erneuere Euch mein Versprechen. Seid unbesorgt, ich bin ein Edelmann. Ein Edelmann hat nur sein Ehrenwort, und ich habe Euch das meinige gegeben.«
Mit tief verwundeter Seele schlug d'Artagnan wieder den Weg nach der Fähre ein. Bald konnte er nicht glauben, daß es Madame Bonacieux gewesen, und er hoffte sie am andern Tage wieder im Louvre zu finden; bald befürchtete er, sie könnte einen Liebeshandel mit einem Andern haben, und ein Eifersüchtiger habe sie überfallen und entführt. Er schwankte, er wüthete, er verzweifelte.
«O wenn meine Freunde hier wären!«rief er,»dann hätte ich wenigstens Hoffnung, sie wieder zu finden, aber wer weiß, was aus ihnen geworden ist?«
Es war beinahe Mitternacht, und er mußte Planchet aufsuchen. D'Artagnan ließ sich nach und nach alle Schenken öffnen, in denen er etwas Licht bemerkte. In keiner derselben fand er Planchet. Bei der sechsten bedachte er, daß die Nachforschung etwas gewagt war. D'Artagnan hatte seinen Bedienten erst auf sechs Uhr Morgens bestellt, und derselbe befand sich in seinem Rechte, wo er auch sein mochte. Ueberdieß kam dem jungen Manne der Gedanke, daß er, wenn er in der Nähe des Ortes bliebe, wo das Ereigniß vorgefallen war, vielleicht einige Aufklärung über die geheimnißvolle Geschichte erhalten würde. In der sechsten Schenke blieb d'Artagnan also, verlangte eine Flasche Wein erster Qualität, und zog sich in den dunkelsten Winkel zurück, entschlossen hier den Tag zu erwarten. Aber auch diesmal wurde er in seiner Hoffnung getäuscht, und obgleich er mit gespitzten Ohren horchte, vernahm er doch mitten unter den Flüchen, den Späßen und den Grobheiten, welche die Arbeiter, Lakaien und Fuhrleute, in deren ehrenwerthe Gesellschaft er gerathen war, einander zuwarfen, durchaus nichts, was ihn auf die Spur der entführten Frau bringen konnte. Nachdem er also, um kein Aufsehen zu erregen, seine Flasche in aller Muße geleert hatte, mußte er in seinem «Winkel eine möglichst entsprechende Lage suchen und wohl oder übel schlafen. D'Artagnan zählte, wie man sich erinnern wird, erst zwanzig Jahre, und in diesem Alter hat der Schlaf unverjährbare Rechte, die er gebieterisch auch von dem verzweiflungsvollsten Gemüthe fordert.
Gegen sechs Uhr Morgens erwachte d'Artagnan mit jener Unbehaglichkeit, welche gewöhnlich bei Tagesanbruch nach einer schlechten Nacht eintritt. Seine Toilette machte ihm nicht lange zu schaffen; er betastete sich, um sich zu überzeugen, daß man seinen Schlaf nicht zu einer Beraubung benützt hatte, und als er seinen Diamant am Finger, seine Börse in der Tasche und seine Pistolen im Gürtel fand, stand er auf, bezahlte seine Flasche und ging hinaus, um nachzusehen, ob ihn das Glück beim Aufsuchen seines Lakaien am Morgen nicht mehr begünstigen würde, als in der Nacht. Das Erste, was er durch den feuchten, graulichen Nebel erblickte, war wirklich der ehrliche Planchet, der ihn, die zwei Pferde an der Hand, vor der Thüre einer kleinen Winkelschenke erwartete, vor welcher d'Artagnan vorübergegangen war, ohne nur ihr Dasein zu ahnen.
XXV. Porthos
Statt sich unmittelbar nach Haus zu begeben, stieg d'Artagnan vor dem Hotel des Herrn von Treville ab und sprang rasch die Treppe hinauf. Diesmal war er entschlossen, ihm Alles zu erzählen, was sich ereignet hatte. Er hoffte von ihm einen guten Rat in der ganzen Angelegenheit; indem Herr von Treville die Königin beinahe täglich sah, so konnte dieser auch bei Ihrer Majestät Erkundigungen über die arme Frau einziehen, welche man ohne Zweifel ihre Ergebenheit für ihre Gebieterin bezahlen ließ.
Herr von Treville hörte die Erzählung des jungen Mannes mit einem Ernste an, woraus hervorging, daß er in diesem ganzen Abenteuer etwas Anderes sah, als eine Liebesintrigue. Als d'Artagnan vollendet hatte, sagte er:
«Hm! das riecht auf eine Meile nach dem Kardinal.«
«Aber was ist zu thun?«fragte d'Artagnan.
«Nichts, durchaus nichts, zu dieser Stunde, als Paris, wie ich Euch gesagt habe, so schnell als möglich zu verlassen. Ich werde die Königin sehen, ich werde ihr alle einzelnen Umstände von dem Verschwinden der armen Frau, wovon sie vielleicht noch gar nichts weiß, mittheilen; diese Umstände werden ihr als Leitfaden dienen, und bei Eurer Rückkehr habe ich vielleicht gute Kunde für Euch. Verlaßt Euch auf mich.«
D'Artagnan wußte, daß Herr von Treville, obgleich Gascogner, nicht die Gewohnheit hatte, zu viel zu versprechen, und daß er, wenn er zufällig versprach, Wort hielt. Er verabschiedete sich von ihm, voll Dankbarkeit für das Vergangene und für die Zukunft, und der würdige Kapitän, der eine lebhafte Theilnahme für diesen so muthigen, so entschlossenen jungen Mann fühlte, drückte ihm liebevoll die Hand und wünschte ihm glückliche Reise.
Entschlossen, sogleich den Rath des Herrn von Treville in Ausführung zu bringen, wanderte d'Artagnan nach der Rue des Fossoyeurs, um beim Packen seines Mantelsacks gegenwärtig zu sein. Als er sich Nro. 11 näherte, erkannte er Herrn Bonacieux, der in einem Morgenanzug auf der Schwelle seiner Thüre stand. D'Artagnan erinnerte sich alles dessen, was ihm der kluge Planchet Tags zuvor über den zweideutigen Charakter seines Wirthes gesagt hatte, und schaute ihn aufmerksamer an, als je zuvor. Außer der gelblichen krankhaften Blässe, welche die Einsickerung der Galle in das Blut andeutet und nur zufällig sein konnte, bemerkte d'Artagnan etwas duckmäuserisch Treuloses in der Art und Weise, wie er sein Gesicht zu runzeln gewohnt war. Ein Schelm lacht nicht auf dieselbe Art, wie ein ehrlicher Mann, ein Heuchler weint nicht dieselben Thränen, wie ein Mann von Treu und Glauben. Jede Falschheit ist eine Maske; so gut diese auch gemacht sein mag, mit etwas Geduld und Aufmerksamkeit lernt man sie immer vom Gesicht unterscheiden.
D'Artagnan kam es also vor, als ob Herr Bonacieux eine Maske trüge, und zwar eine der unangenehmsten, die man sehen konnte.
Ueberwältigt von dem Widerwillen, den ihm dieser Mensch einflößte, ging er an ihm vorüber, ohne mit ihm zu sprechen, als Herr Bonacieux, wie am Tage zuvor, d'Artagnan anrief.
«Ei! ei! junger Mann, «sprach er,»es scheint mir, wir machen Faschingsnächte? Morgens sieben Uhr, pest! Ihr wollt wahrscheinlich den Gebrauch umdrehen, und kommt nach Haus, wenn Andere ausgehen.«
«Euch kann man diesen Vorwurf nicht machen, Meister Bonacieux, denn Ihr seid ein wahres Muster von einem geordneten Mann. Wenn man eine hübsche junge Frau hat, braucht man allerdings dem Glücke nicht nachzulaufen; das Glück sucht Euch auf, nicht wahr, Herr Bonacieux?«
Bonacieux wurde bleich wie der Tod, und schnitt eine Grimasse, welche ein Lächeln bedeuten sollte.
«Ah! ah!«sprach Bonacieux,»Ihr seid ein lustiger Geselle. Aber wo seid Ihr denn die ganze Nacht umhergelaufen, junger Herr? Die Nebenwege scheinen nicht sehr gut gewesen zu sein.«
D'Artagnan senkte seine Augen gegen seine ganz mit Koth bedeckten Stiefel, aber bei dieser Bewegung traf sein Blick zugleich die Schuhe und Strümpfe des Krämers; man hätte in der That glauben sollen, sie wären in denselben Schlamm getaucht worden; an den einen, wie an den andern zeigten sich ganz dieselben Schmutzflecken.
Plötzlich durchzuckte ein Gedanke d'Artagnans Geist; der kleine, kurze, dicke, gräuliche, lakaienartige, schlecht gekleidete Mann, der von den Kriegsleuten, welche die Escorte bildeten, ohne alle Achtung behandelt worden, war Bonacieux selbst. Der Mann hatte die Entführung seiner Frau geleitet.
D'Artagnan fühlte ungeheure Lust, dem Krämer an die Gurgel zu springen und ihn zu erdrosseln; allein er war, wie gesagt, ein kluger Bursche und hielt sich zurück. Aber der Aufruhr, der in seinem Innern vorging, drückte sich so sichtbar auf seinem Antlitz aus, daß Bonacieux darüber in Schrecken gerieth und einen Schritt zurückzuweichen suchte; er befand sich jedoch gerade vor dem geschlossenen Thürflügel, und dieses materielle Hinderniß, auf das er stieß, zwang ihn, auf seiner Stelle zu bleiben.
«Ei! ei! Ihr spaßt, mein guter Herr, «sagte d'Artagnan,»mir scheint es, wenn meine Stiefel des Schwammes bedürfen, so fordern Eure Schuhe und Eure Strümpfe einigermaßen die Bürste. Solltet Ihr etwa ebenfalls herumgestrichen sein, Meister Bonacieux? Ah! Teufel, das wäre unverzeihlich bei einem Mann von Eurem Alter, und vollends bei einem Mann, der eine so hübsche Frau hat, wie Ihr.«
«Ach! mein Gott, nein, «sagte Bonacieux,»aber ich war gestern in Saint-Mandé, um Erkundigungen über eine Magd einzuziehen, da ich nothwendig eine solche dingen muß; und da die Wege schlecht waren, so brachte ich all den Schmutz mit, dessen ich mich aus Mangel an Zeit noch nicht entledigen konnte.«
Der von Bonacieux als Ziel seiner Wanderung bezeichnete Ort war eine neue Bestätigung des Verdachtes, welcher sich in d'Artagnan geregt hatte. Bonacieux nannte Saint-Mandé, weil Saint-Mandé gerade in der entgegengesetzten Richtung von Saint-Cloud lag.
Diese Vermuthung gereichte ihm zum ersten Trost. Wußte Bonacieux, wo seine Frau war, so konnte man immerhin zu gewagten Mitteln greifen und den Krämer zwingen, den Mund aufzuthun und sein Geheimniß zu verrathen. Man mußte diese Vermuthung in Gewißheit verwandeln.
«Ich bitte um Vergebung, mein lieber Herr Bonacieux, wenn ich mit Euch ohne alle Umstände verfahre, «sprach d'Artagnan,»aber nichts greift so sehr an, als eine Nacht nicht geschlafen zu haben, und mich plagt ein wüthender Durst; erlaubt mir ein Glas Wasser bei Euch zu trinken, Ihr wißt, Nachbarn verweigern das einander nicht.«
Und ohne die Antwort seines Wirthes abzuwarten, trat d'Artagnan rasch in das Haus ein, und warf einen Blick auf das Bett. Es war unberührt und Bonacieux hatte sich nicht schlafen gelegt. Es unterlag keinem Zweifel, er war erst seit ein paar Stunden zurückgekehrt und hatte seine Frau an den Ort, wohin man sie führte, oder wenigstens bis zum ersten Relais begleitet.
«Ich danke, Meister Bonacieux, «sagte d'Artagnan sein Glas leerend,»das war Alles, was ich von Euch wollte. Nun gehe ich in mein Zimmer, lasse mir von Planchet meine Stiefel putzen, und ist er damit fertig, so schicke ich ihn, wenn Ihr wollt, zu Euch, daß er Eure Schuhe bürstet.«
Und er verließ den Krämer, der über diesen seltsamen Abschied ganz erstaunt war und sich fragte, ob er sich nicht durch irgend eine unbesonnene Rede bloßgestellt habe.
Oben auf der Treppe fand d'Artagnan seinen Diener Planchet in der größten Bestürzung.
«Ah! gnädiger Herr, «rief der Lakai, sobald er seinen Herrn erblickt,»endlich seid Ihr hier, ich konnte Eure Rückkehr kaum erwarten!«—»Was gibt es denn?«—»Oh! ich wette hundert, ich wette tausend, gnädiger Herr, gegen Eins, daß Ihr den Besuch nicht errathet, den ich in Eurer Abwesenheit für Euch erhalten habe.«—»Wann?«—»Vor einer halben Stunde, während Ihr bei Herrn von Treville wäret.«—»Wer ist denn hier gewesen? sprich.«—»Herr von Cavois.«—»Herr von Cavois?«—»In eigener Person.«—»Der Kapitän der Leibwachen Seiner Eminenz?«—»Er selbst.«—»Er wollte mich ohne Zweifel verhaften?«—»Ich habe es vermuthet trotz seiner freundlichen Miene. — »Er sah freundlich aus, sagst Du?«—»Er war ganz Honig, gnädiger Herr.«—»Wirklich?«—»Er sagte, er komme von Seiner Eminenz, die Euch sehr wohl wolle, um Euch zu bitten, ihm ins Palais Royal zu folgen.«—»Und Du hast ihm geantwortet?«—»Es sei dies nicht möglich, insofern Ihr Euch außer dem Hause befändet, wie er selbst sehen könne.«—»Was sagte er hierauf?«—»Ihr würdet wohl nicht verfehlen, ihn im Verlauf des Tages zu besuchen; dann fügte er noch ganz leise bei: ›Sage Deinem Herrn, Seine Eminenz sei sehr wohl gesinnt gegen ihn, und sein Glück hänge vielleicht von dieser Zusammenkunft ab.‹ —»Diese Falle war für den Kardinal ziemlich ungeschickt gestellt, «versetzte der junge Mann lächelnd. — »Ich habe die Falle auch gesehen und erwiederte, Ihr würdet bei Euerer Rückkehr sehr bedauern, nicht sogleich da gewesen zu sein.«— ›Wohin ist er gegangen?‹ — fragte Herr von Cavois. — ›Nach Troyes in der Champagne,‹ antwortete ich.«— ›Und wann ist er abgereist?‹ — ›Gestern Abend.‹»Planchet, mein Freund, «unterbrach ihn d'Artagnan,»Du bist in der That ein herrlicher Bursche.«—»Ich dachte natürlich, wenn Ihr Herrn von Cavois sehen wolltet, so sei es immer noch Zeit, mich Lügen zu strafen und zu sagen, Ihr habet keine Reise unternommen: ich hätte in diesem Falle gelogen, und da ich kein Edelmann bin, so kann ich wohl lügen.«—»Sei unbesorgt. Du sollst Deinen Ruf als wahrheitsliebender Mann behalten; in einer Viertelstunde reisen wir.«—»Diesen Rath wollte ich eben dem gnädigen Herrn geben; und wohin gehen wir? das möchte ich wohl erfahren, ohne neugierig zu sein.«—»Gerade in entgegengesetzter Richtung von der Gegend, die Du genannt hast. Dir scheint übrigens an Nachrichten von Grimaud, Mousqueton und Bazin nicht so viel zu liegen, wie wir an Nachrichten über Athos, Porthos und Aramis.«—»Oh! gewiß! gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»und ich reise, wann Ihr wollt; die Provinzluft taugt, wie ich glaube, in diesem Augenblick besser für uns als die Pariser Luft. Also…»Schnüre Deine Bündel, Planchet, und dann vorwärts; ich gehe mit den Händen in der Tasche, damit man keinen Verdacht schöpft, voraus. Du holst mich im Hotel der Garden ein. Doch — beiläufig gesagt — Du hattest Recht in Beziehung auf unsern Wirth, das ist offenbar eine schändliche Canaille.«—»Oh! glaubt mir immer, wenn ich Euch etwas sage; ich bin ein Physiognomiker, ich!«
D'Artagnan ging verabredeter Maßen zuerst hinab und wandte sich, um sich keinen Vorwurf machen zu müssen, zum letzten Mal nach der Wohnung seiner drei Freunde; man hatte keine Nachricht von ihnen erhalten; nur ein ganz von Wohlgerüchen geschwängerter Brief von äußerst zarter und zierlicher Handschrift war für Aramis eingelaufen. D'Artagnan übernahm denselben. Zehn Minuten nachher traf Planchet mit ihm in den Ställen des Hotels der Garden zusammen. Um keine Zeit zu verlieren, hatte d'Artagnan sein Pferd bereits selbst gesattelt.
«Gut so, «sagte er zu Planchet, als er den Mantelsack festgeschnallt hatte;»nun sattle auch vie drei andern Pferde und dann vorwärts.«
«Glaubt Ihr, daß wir jeder mit zwei Pferden schneller reisen?«fragte Planchet mit einer verschmitzten Miene.
«Nein, nein, schlechter Spaßvogel, «antwortete d'Artagnan,»aber mit unsern vier Pferden können wir unsere drei Freunde zurückbringen, wenn wir sie überhaupt noch lebend finden.«
«Das wäre ein großes Glück, «sprach Planchet,»aber man darf an der Barmherzigkeit Gottes nicht verzweifeln.«
«Amen, «rief d'Artagnan und stieg zu Pferde.
Beide verließen das Hotel der Garden, jedoch auf verschiedenen Straßen, der Eine um den Wog durch die Barriere de la Villete zu nehmen, der Andere, um durch die Barriere Montmartre zu reiten, und jenseits Saint-Denis sollten sie sich sodann wiederzusammenfinden — ein strategisches Manöver, das von beiden Seiten mit gleicher Pünktlichkeit ausgeführt und von den glücklichsten Resultaten gekrönt wurde. D'Artagnan und Planchet ritten also mit einander in Pierresitte ein.
Planchet war allerdings muthiger bei Tag als bei Nacht. Seine natürliche Klugheit verließ ihn jedoch keinen Augenblick. Er hatte keinen von den Vorfällen der ersten Reise vergessen und glaubte in allen Menschen, denen er auf der Reise begegnete. Feinde zu erblicken. Dem zu Folge hielt er unablässig den Hut in der Hand, was ihm strenge Verweise von Seiten d'Artagnan's zuzog, welcher befürchtete, man möchte ihn bei diesem Uebermaß von Höflichkeit für einen Mann von geringem Stande ansehen.
Wurden die Vorübergehenden wirklich durch das artige Benehmen Planchets gerührt oder hatte man diesmal Niemand an dem Wege des jungen Mannes in Hinterhalt gelegt — unsere Reisenden gelangten jedenfalls, ohne irgend einen Unfall zu erleben, nach Chantilly und stiegen vor dem Gasthause zum großen Sanct Martin ab, wo sie bei ihrer ersten Reise angehalten hatten.
Der Wirth trat ehrfurchtsvoll auf die Schwelle seiner Thüre, als er einen jungen Mann, mit einem Lakaien und zwei Handpferden kommen sah. Da d'Artagnan bereits elf Meilen zurückgelegt hatte, so hielt er es für zweckdienlich, einzukehren, ob Porthos in dem Wirthshaus wäre oder nicht. Vielleicht war es auch nicht der Klugheit gemäß, mit der Thüre ins Haus zu fallen und sich sogleich zu erkundigen, was aus dem Musketier geworden. Durch diese Betrachtungen bewogen, stieg d'Artagnan ab, ohne sich nach irgend Jemand zu erkundigen, empfahl die Pferde seinem Lakaien, trat in ein kleines Zimmer, das zur Aufnahme von Gästen bestimmt war, welche allein zu bleiben wünschten, und verlangte von dem Wirth eine Flasche von seinem besten Wein, und ein Frühstück so gut, als man es haben könne; dieses Verlangen bestärkte den Gastgeber noch mehr in der guten Meinung, die er beim ersten Blick von dem Reisenden gefaßt hatte.
D'Artagnan wurde auch mit wunderbarer Geschwindigkeit bedient. Das Regiment der Garden rekrutierte sich unter den ersten Edelleuten des Königreichs; von einem Lakaien gefolgt und mit vier prachtvollen Pferden reisend, mußte also d'Artagnan trotz der Einfachheit seiner Uniform notwendig einiges Aufsehen erregen. Der Wirth wollte ihn selbst bedienen. Als d'Artagnan dieß sah, ließ er zwei Gläser herbeischaffen und knüpfte folgendes Gespräch an:
«Meiner Treu, mein lieber Wirth, «sprach d'Artagnan, die zwei Gläser füllend,»ich verlangte von Eurem besten Wein, und wenn Ihr mich getäuscht habt, so sollt Ihr da gestraft werden, wo Ihr sündigtet, insofern Ihr mit mir trinken müßt, da ich es hasse, allein eine Flasche zu leeren. Nehmt also dieses Glas und laßt uns trinken. Auf was wollen wir trinken, um keine empfindliche Seite zu verletzen? Trinken wir auf die Wohlfahrt Eures Gasthofes.«—»Eure Herrlichkeit erweist mir eine große Ehre, «sprach der Wirth,»und ich danke von Herzen für diesen guten Wunsch.«—»Täuscht Euch nicht, «sprach d'Artagnan,»es liegt in meinem Toast vielleicht mehr Selbstsucht, als Ihr wohl glauben möget. Nur in den Gasthöfen, welche gedeihen, findet man gute Aufnahme; in denjenigen, welche in der Abnahme begriffen sind, geht Alles drunter und drüber, und der Reisende ist das Opfer der Verlegenheiten seines Wirthes. Da ich aber viel und besonders viel auf dieser Straße reise, so wünschte ich, daß es allen Gastgebern wohl erginge.«—»In der That, «sprach der Wirth,»es scheint mir, es ist nicht das erste Mal, daß ich die Ehre habe, den gnädigen Herrn zu sehen.«—»Bah! ich bin mehr als zehnmal durch Chantilly gereist und dabei wenigstens drei bis viermal bei Euch eingekehrt. Ich war sogar vor zehn bis zwölf Tagen hier. Damals begleitete ich Freunde, Musketiere. Zum Beweis hiefür erinnere ich Euch daran, daß einer von ihnen mit einem Fremden, einem Unbekannten, in Streit gerieth, der, Gott weiß warum, Händel mit ihm suchte.«—»Ah, ja, wahrhaftig!«sprach der Wirth.»Eure Herrlichkeit meint wohl Herrn Porthos?«—»Das ist gerade der Name meines Reisegefährten. Mein Gott! mein lieber Wirth, sagt mir, sollte ihm etwa ein Unglück widerfahren sein?«—»Eure Herrlichkeit muß wohl wahrgenommen haben, daß er seine Reise nicht fortsetzen konnte.«—»In der That, er versprach uns, sogleich nachzufolgen, und wir haben ihn nicht wiedergesehen.«—»Er hat uns die Ehre erzeigt, hier zu bleiben.«—»Wie? er hat Euch die Ehre erzeigt, hier zu bleiben?«—»Ja, gnädiger Herr, in diesem Gasthof. Wir sind sogar sehr in Unruhe.«—»Worüber?«—»Ueber gewisse Ausgaben, die er gemacht hat.«—»Gut! aber er wird die Ausgaben, die er gemacht hat, bezahlen.«—»Ah, gnädiger Herr, Ihr gießt mir in der That Balsam in das Blut. Wir haben große Vorschüsse geleistet und noch diesen Morgen erklärte uns der Wundarzt, wenn ihn Herr Porthos nicht bezahle, so werde er sich an mich halten, da ich ihn habe holen lassen.«—»Porthos ist also verwundet?«—»Ich wüßte es Euch nicht zu sagen, gnädiger Herr.«—»Wie, Ihr wüßtet es mir nicht zu sagen? Ihr solltet doch besser unterrichtet sein, als irgend Jemand.«—»Ja, aber wir in unserem Stande sagen nicht Alles, was wir wissen, besonders wenn man uns bedeutet hat, daß unsere Ohren für unsere Zunge haften müssen.«—»Kann ich Porthos sehen?«—»Gewiß, gnädiger Herr, geht die Treppe hinauf und klopft im ersten Stocke an Nr. 1, nur thut ihm kund, daß Ihr es seid.«—»Wie, ich soll ihm kundthun, daß ich es bin?«—»Ja, es könnte Euch sonst ein Unglück widerfahren.«—»Und welches Unglück soll mir widerfahren?«—»Herr Porthos könnte Euch für Jemand aus dem Hause halten und Euch in einem Anfall von Zorn den Degen durch den Leib rennen oder die Hirnschale zerschmettern.«—»Was habt Ihr ihm denn gethan?«—»Wir haben Geld von ihm gefordert!«—»Ah, Teufel, ich begreife es. Das ist eine Forderung, welche Porthos sehr übel aufnimmt, wenn er nicht bei Kasse ist; aber ich weiß, daß er dies sein sollte.«—»Das haben wir auch gedacht, gnädiger Herr; da in diesem Hause große Ordnung herrscht, und wir jede Woche unsere Rechnungen machen, so überreichten wir ihm nach Verlauf von acht Tagen unsere Note; aber es scheint, wir hatten hiezu einen ungünstigen Augenblick gewählt, denn bei dem ersten Wort, das wir über diesen Gegenstand sprachen, wünschte er uns zu allen Teufeln; allerdings hatte er den Tag vorher gespielt.«—»Wie, er hatte gespielt, und mit wem?«—»O mein Gott, wer weiß? Mit einem durchreisenden vornehmen Herrn, dem er eine Partie Landsknecht antragen ließ.«—»Das ist es, der Unglückliche wird wohl Alles verloren haben.«—»Bis auf sein Pferd, gnädiger Herr, denn als der Fremde abreisen wollte, gewahrten wir, daß er das Pferd des Herrn Porthos durch seinen Lakaien satteln ließ. Wir machten ihm hierüber eine Bemerkung, aber er erwiederte uns, wir mischen uns in Dinge, die uns nichts angehen, und das Pferd gehöre ihm. Wir ließen auch Herrn Porthos von dem Vorfall in Kenntniß setzen, doch er antwortete, wir seien Schufte, daß wir an dem Wort eines Edelmannes zweifelten, und da dieser uns gesagt habe, das Pferd gehöre ihm, so müsse es wohl auch so sein.«—»Daran erkenne ich ihn, «murmelte d'Artagnan. — »Darauf ließ ich ihm sagen, «fuhr der Wirth fort,»wenn wir uns in Betreff der Bezahlung nicht verstehen können, so müsse ich hoffen, daß er wenigstens die Güte habe, die Gunst seiner Kundschaft meinem Kollegen, dem Wirth zum goldenen Adler, zuzuwenden; aber Herr Porthos antwortete mir, da mein Gasthof der beste sei, so wünsche er hier zu bleiben. Diese Antwort war zu schmeichelhaft, als daß ich auf seinem Auszug bestehen konnte. Ich bat ihn also blos, er möchte mir sein Zimmer, das schönste im Gasthof, zurückgeben und sich mit einem hübschen Cabinet im dritten Stock begnügen. Hierauf aber erwiederte Herr Porthos, da er jeden Augenblick seine Geliebte, eine der vornehmsten Damen des Hofes erwarte, so müsse ich einsehen, daß das Zimmer, welches er zu bewohnen mir die Ehre erweise, immer noch sehr mittelmäßig für eine solche Person sei. Obschon ich die Wahrheit des Gesagten vollkommen einsah, glaubte ich dennoch auf meiner Forderung bestehen zu müssen. Aber er gab sich nicht einmal die Mühe, sich mit mir in eine Discussion darüber einzulassen, sondern nahm seine Pistole, legte sie auf seinen Nachttisch und erklärte, daß er beim ersten Wort, welches man über ein Ausziehen nach einem andern Gasthof oder im Innern des Hauses zu ihm zu sprechen sich erfreche, demjenigen die Hirnschale zerschmettern werde, der so unklug wäre, sich in eine Angelegenheit zu mischen, die ihn nichts anginge. Seit dieser Zeit, gnädiger Herr, betritt außer seinem Bedienten Niemand mehr sein Zimmer.«—»Mousqueton ist also hier?«—»Ja, gnädiger Herr. Fünf Tage nach seiner Abreise ist er in sehr übler Laune zurückgekehrt. Es scheint, es sei ihm auch eine Unannehmlichkeit auf seiner Reise widerfahren. Leider ist er noch flinker als sein Herr und kehrt für diesen das Unterste zu oberst; da er glaubt, man könnte ihm verweigern, was er fordert, so nimmt er Alles, was er braucht, ohne zu fordern.«—»Ich habe bei Mousqueton allerdings stets eine ungewöhnliche Ergebenheit und Geisteskraft wahrgenommen, «erwiederte d'Artagnan. — »Das ist möglich, gnädiger Herr; aber setzt den Fall, ich komme nur viermal im Jahre mit einer solchen Ergebenheit und Geisteskraft in Berührung, so bin ich ein zu Grunde gerichteter Mann.«—»Nein, denn Porthos wird Euch bezahlen.«—»Hm, «murmelte der Wirth mit zweifelhaftem Tone. — »Er ist der Günstling einer vornehmen Dame, die ihn wegen einer Bagatelle, die er Euch schuldig ist, nicht im Stich lassen wird.«—»Wenn ich es wagte, Euch zu sagen, was ich hierüber denke…«—»Was denkt Ihr hierüber?«—»Ich dürfte sogar sagen: was ich hierüber weiß.«—»Was Ihr wißt?«—»Und sogar was ich ganz gewiß weiß.«—»Und was wißt Ihr gewiß? Laßt hören!«—»Ich dürfte sagen, ich kenne diese vornehme Dame.«—»Ihr?«—»Ja, ich.«—»Und woher kennt Ihr sie?«—»O, gnädiger Herr, wenn ich mich Eurer Verschwiegenheit anvertrauen dürfte…«—»Sprecht! und auf Edelmannswort, Ihr sollt Euer Vertrauen nicht zu bereuen haben.«—»Wohl, gnädiger Herr. Ihr begreift, daß die Besorgniß zu allerhand Dingen leitet.«»Was habt Ihr gemacht?«—»Oh! nichts, was nicht in der Befugniß eines Gläubigers läge.«—»Nun?«—»Herr Porthos übergab uns ein Billet für diese Herzogin, mit dem Befehl, es auf die Post zu bringen. Sein Bedienter war noch nicht angelangt. Da er sein Zimmer nicht verlassen konnte, so mußten wir seine Aufträge zur Besorgung übernehmen.«—»Weiter?«—»Statt den Brief auf die Post zu bringen, was nie ganz sicher ist, benützten wir die Gelegenheit, da gerade einer von unsern Aufwärtern nach Paris ging, und beauftragten ihn, den Brief der Herzogin selbst zuzustellen. Dieß hieß den Absichten von Herrn Porthos entsprechen, der uns seinen Brief so sehr empfohlen hatte, nicht wahr?«—»Ungefähr.«—»Nun, gnädiger Herr, wißt Ihr, wer diese große Dame ist?«—»Nein, ich habe nur Porthos von ihr sprechen hören.«—»Wißt Ihr, wer diese angebliche Herzogin ist?«—»Ich wiederhole Euch, ich kenne sie nicht.«—»Es ist eine alte Frau, die Gattin eines Prokurators beim Chatelet, gnädiger Herr, Madame Coquenard; sie hat wenigstens ihre fünfzig Jahre auf dem Rücken und spielt noch die Eifersüchtige. Das kam mir auch ganz sonderbar vor — eine Prinzessin, die in der Rue aux Ours wohnt!«—»Woher wißt Ihr dies?«—»Weil sie in gewaltigen Zorn gerieth, als sie den Brief empfing, und sagte: Herr Porthos sei ein flatterhafter Mensch und habe wohl irgend einer Frauensperson wegen den Degenstich bekommen.«—»Er hat also einen Degenstich bekommen?«—»Ah! mein Gott! was habe ich da gesagt?«—»Ihr sagtet, Porthos habe einen Degenstich bekommen.«—»Ja, aber er hat mir streng verboten, darüber zu sprechen.«—»Warum dies?«—»Weil er sich gerühmt hatte, er werde diesen Fremden, mit dem Ihr ihn im Streite zurückließet, durchbohren, während dieser Fremde im Gegentheil ihn trotz aller seiner Prahlereien zu Boden streckte. Da nun Herr Porthos ein sehr eitler Mann ist, zumal seiner Herzogin gegenüber, die er durch Erzählung seines Abenteuers für sich gewinnen zu können geglaubt hatte, so will er Niemand zugestehen, daß er einen Degenstich erhalten hat.«—»Also hält ihn ein Degenstich im Bette zurück?«—»Und zwar ein Hauptstich. Die Seele Eures Freundes muß mit Pflöcken im Körper befestigt sein.«—»Ihr wäret also dabei?«—»Gnädiger Herr, ich folgte ihnen aus Neugierde, und sah den Kampf, ohne daß die Kämpfenden mich sehen konnten.«—»Und wie ging es dabei zu?«—»Oh! die Sache dauerte nicht lang, dafür kann ich Euch wohl stehen. Sie nahmen ihre Stellung. Der Fremde machte eine Finte und stieß zu, und zwar so schnell, daß Herr Porthos, als er zur Parade gelangte, bereits drei Zoll Eisen in der Brust hatte. Der Fremde setzte ihm sogleich die Spitze seines Degens an die Gurgel, aber als sich Herr Porthos der Gnade seines Gegners preisgegeben sah, erklärte er sich für überwunden; der Fremde fragte ihn hierauf nach seinem Namen, und als er erfuhr, daß er Herr Porthos und nicht Herr d'Artagnan hieß, so bot er ihm seinen Arm, führte ihn bis zum Hotel, stieg zu Pferde und verschwand.«—»Also wollte der Fremde Herrn d'Artagnan an den Leib gehen?«—»Es scheint so.«—»Und wißt Ihr, was aus ihm geworden ist?«—»Nein, ich habe ihn bis zu diesem Augenblicke nicht gesehen, und er ist uns auch seitdem nicht wieder zu Gesicht gekommen.«—»Gut, ich weiß, was ich wissen wollte. Ihr sagt also, das Zimmer von Porthos sei im ersten Stock Nro. 1?«—»Ja, gnädiger Herr, das schönste des Gasthofes; ein Zimmer, das ich schon mehr als zehnmal zu vermiethen Gelegenheit gehabt hätte.«—»Bah, beruhigt Euch, «sprach d'Artagnan lachend,»Porthos wird Euch mit dem Gelde der Herzogin Coquenard bezahlen.«—»O gnädiger Herr, Procuratorfsrau oder Herzogin, wenn sie nur ihre Börse öffnen wollte, das wäre mir gleich viel; aber sie hat geradezu erklärt, sie sei der Forderungen und Treulosigkeiten des Herr Porthos müde, und sie werde ihm nicht einen Pfennig schicken.«—»Und habt Ihr diese Antwort Eurem Gaste wieder mitgeteilt?«—»Wir hüteten uns wohl, er würde gesehen haben, auf welche Weise wir seinen Auftrag besorgten.«—»Also wartet er immer noch auf sein Geld?«—»O mein Gott, ja, er hat gestern erst geschrieben, aber dießmal brachte sein Bedienter den Brief auf die Post.«—»Und Ihr sagt, die Person sei alt und häßlich?«—»Wenigstens fünfzig Jahre alt, gnädiger Herr, und durchaus nicht schön, wie Pathaud behauptet.«—»Dann seid ohne Sorgen, sie wird sich erweichen lassen. Ueberdies kann Euch Porthos nicht viel schuldig sein.«—»Wie, nicht viel schuldig! Bereits zwanzig Pistolen, den Arzt nicht zu rechnen. O! er versagt sich nicht das Mindeste, man sieht, daß er gut zu leben gewohnt ist.«—»Wenn ihn seine Geliebte auch verläßt, so wird er doch Freunde finden, dafür bürge ich Euch. Seid also ganz ruhig, mein lieber Wirth, und widmet ihm alle Sorgfalt, welche sein Zustand fordert.«—»Der gnädige Herr hat mir versprochen, den Mund über die Procuratorsfrau nicht zu öffnen und keine Silbe über die Wunde zu sagen?«—»Das ist eine abgemachte Sache. Ihr habt mein Wort darauf.«—»Oh, er würde mich sicherlich umbringen!«—»Seid ohne Furcht! Er ist nicht so teufelmäßig als er aussieht.«
Sofort stieg d'Artagnan die Treppe hinauf, der Wirth aber war in Beziehung auf die zwei Dinge, auf welche er sehr viel zu halten schien, nämlich seine Schuldforderung und sein Leben bedeutend ruhiger.
Oben an der Treppe war an die augenfälligste Thüre der Hausflur mit schwarzer Farbe ein riesiges Nro. 1 geschrieben; d'Artagnan klopfte an, und trat auf die Einladung, welche hierauf erfolgte, in das Zimmer.
Porthos lag im Bette und spielte zum Zeitvertreib eine Parthie Lanzknecht mit Mousqueton, während sich ein mit Rebhühnern beladener Spieß vor dem Feuer drehte und in jeder Ecke eines großen Kamins auf zwei Gluthpfannen zwei Kasserole kochten, aus denen der doppelte Wohlgeruch von Gibelotte und Matelote lieblich hervorströmte. Die Oberfläche eines Schrankes und die Marmortafel einer Kommode waren überdies mit leeren Flaschen bedeckt.
Beim Anblick seines Freundes erhob Porthos ein Freudengeschrei; Mousqueton stand ehrfurchtsvoll auf, trat ihm seinen Platz ab und ging zu den Gluthpfannen, um einen Blick in die Kasserole zuwerfen, deren Oberaufsicht ihm anvertraut zu sein schien.
«Ah, bei Gott, Ihr seid es, «sprach Porthos zu d'Artagnan.»Seid mir willkommen und entschuldigt, daß ich Euch nicht entgegengehe. Aber, «fügte er bei, und schaute d'Artagnan zugleich mit einer gewissen Unruhe an,»Ihr wißt, was mir begegnet ist?«—»Nein.«—»Der Wirth hat Euch nichts gesagt?«—»Ich habe nach Euch gefragt und bin sogleich heraufgegangen.«
Porthos schien freier zu athmen.
«Und was ist Euch denn begegnet, mein lieber Porthos?«fuhr d'Artagnan fort. — »Als ich gegen meinen Widersacher ausfiel, dem ich bereits drei Degenstiche beigebracht hatte und mit dem vierten den Garaus machen wollte, stieß ich mit dem Fuß an einen Stein und verstauchte mir das Knie.«—»Wirklich?«—»Auf Ehre! zum Glück für den Schurken, denn ich hätte ihn todt auf dem Platze gelassen, dafür stehe ich Euch.«—»Und was ist aus ihm geworden?«—»Oh! ich weiß es nicht. Er hatte genug und zog ab, ohne den Rest von mir zu fordern; aber Ihr, mein lieber d'Artagnan, was ist Euch begegnet?«—»Also, «fuhr d'Artagnan fort,»also fesselt Euch diese Verstauchung an das Bett?«—»Ach! mein Gott, ja, nichts Anderes; übrigens werde ich in einigen Tagen wieder auf den Beinen sein.«
«Aber warum habt Ihr Euch nicht nach Paris transportiren lassen, Ihr müßt Euch hier schrecklich langweilen?«—»Es war meine Absicht, doch ich muß Euch etwas gestehen.«—»Was?«—»Gerade weil ich mich schrecklich langweilte, wie Ihr sagtet, und die fünf und siebzig Pistolen in meiner Tasche hatte, die Ihr mir zutheiltet, ließ ich, um mich zu zerstreuen, einen vorüberziehenden Edelmann zu mir heraufkommen und bot ihm eine Würfelpartie an. Er willigte ein, und, meiner Treu, meine fünf und siebzig Pistolen gingen aus meiner Tasche in die seinige über, mein Pferd gar nicht zu rechnen, das er noch in den Kauf bekam. Aber Ihr, mein lieber d'Artagnan?«—»Was wollt Ihr, mein lieber Porthos, man kann nicht auf jede Weise bevorzugt sein, «sagte d'Artagnan. Ihr kennt das Sprüchwort:»Unglück im Spiel, Glück in der Liebe!«Ihr seid zu glücklich in der Liebe, als daß sich nicht das Spiel rächen sollte. Aber was kümmert Ihr Euch um den Umschlag des Glückes? Habt Ihr, glücklicher Bursche, der Ihr seid, nicht Euere Herzogin, die Euch nothwendig zu Hülfe kommen muß?«—»Seht, mein lieber d'Artagnan, wie Alles gegenwärtig bei mir schief geht, «antwortete Porthos mit der freimüthigsten Miene von der Welt;»ich schrieb ihr um etliche fünfzig Louisd'or, deren ich in Betracht meiner dermaligen Lage durchaus bedürfe.«—»Nun?«—»Nun! sie muß auf ihren Gütern sein, denn sie hat mir gar nicht geantwortet!«—»Wahrhaftig!«—»Nein; auch schickte ich ihr gestern eine neue Epistel noch viel dringenderen Inhaltes als die erste zu; aber da Ihr jetzt hier seid, so sprechen wir von Euch, mein Liebster! Ich gestehe, daß ich über Euch unruhig zu werden anfing.«—»Doch Euer Wirth benimmt sich gut gegen Euch, mein lieber Porthos, «sprach d'Artagnan und deutete auf die vollen Kasserole und die leeren Flaschen. — »So so!«erwiederte Porthos.»Der unverschämte Kerl brachte mir schon vor drei oder vier Tagen seine Rechnung, aber ich warf beide, seine Rechnung und ihn, zur Thüre hinaus, so daß ich hier wie eine Art von Sieger, wie ein Eroberer lebe. Auch bin ich, wie Ihr seht, bis an die Zähne bewaffnet, da ich immer einen Angriff aus meine Stellung fürchten muß.«—»Ihr scheint mir indessen von Zeit zu Zeit Ausfälle zu machen «sprach d'Artagnan lachend und deutete abermals auf die Flaschen und Kasserole. — »Nein, leider nicht ich, «sagte Porthos.»Diese elende Verstauchung hält mich im Bett, aber Mousqueton zieht zu Felde und bringt Proviant mit. Mousqueton, mein Freund, «fuhr Porthos fort,»Ihr seht, daß wir Verstärkung bekommen, wir bedürfen einen Zusatz an Victualien.«—»Mousqueton, «sprach d'Artagnan,»Du mußt mir einen Gefallen thun.«—»Welchen, gnädiger Herr?«—»Du mußt mir Dein Recept für Planchet geben; ich könnte ebenfalls belagert werden, und es würde mir leid thun, wenn ich nicht dieselben Vortheile genöße, mit denen Du Deinen Herrn erfreust.«—»Ei, mein Gott, gnädiger Herr, «sprach Mousqueton mit bescheidener Miene,»nichts leichter auf der Welt. Man muß nur geschickt sein, das ist das Ganze. Ich bin im Felde aufgezogen worden, und mein Vater war in seinen müßigen Augenblicken ein wenig Wildschütze.«—»Und was machte er die übrige Zeit?«—»Gnädiger Herr, er trieb ein Gewerbe, das mir immer sehr glücklich vorkam.«—»Welches?«
«Da er in der Zeit der Kriege der Katholiken und Hugenotten lebte und sah, wie die Katholiken die Hugenotten und die Hugenotten die Katholiken ausrotteten. Alles im Namen der Religion, so hatte er sich einen gemischten Glauben gebildet, was ihm bald Katholik, bald Hugenott zu sein erlaubte. Er ging nun gewöhnlich, seine Stutzbüchse auf der Schulter, hinter den Hecken spazieren, welche die Wege begränzen, und wenn er einen Katholiken allein kommen sah, so gewann die protestantische Religion sogleich in seinem Innern die Oberhand. Er senkte seine Stutzbüchse in der Richtung des Reisenden, und wenn dieser etwa zehn Schritte von ihm entfernt war, knüpfte er ein Gespräch an, welches beinahe immer damit endigte, daß ihm der Reisende, um sein Leben zu retten, seine Börse abtrat. Es versteht sich von selbst, daß er sich, wenn er einen Hugenotten erblickte, von einem so glühenden katholischen Eifer erfaßt fühlte, daß er gar nicht begriff, wie er eine Viertelstunde vorher an dem hohen Vorzug unserer heiligen Religion hätte zweifeln können. Denn ich, mein Herr, ich bin Katholik, während mein Vater, seinen Grundsätzen getreu, aus meinem älteren Bruder einen Hugenotten machte.«
«Und wie hat dieser würdige Mann geendet?«fragte d'Artagnan. — »Oh! auf die allerunglücklichste Weise, gnädiger Herr. Er befand sich eines Tags in einem Hohlweg zwischen einem Hugenotten und einem Katholiken. Er hatte bereits mit Beiden zu thun gehabt. Beide erkannten ihn wieder, vereinigten sich gegen ihn und hingen ihn an einem Baume auf. Dann kamen sie in das Wirthshaus des nächsten Dorfes, wo ich mit meinem Bruder trank, und erzählten den albernen Streich, den sie gemacht hatten.«—»Und was thatet Ihr?«sprach d'Artagnan. — »Wir ließen sie reden, «erwiederte Mousqueton;»da sie jedoch, als sie das Wirthshaus verließen, eine entgegengesetzte Route einschlugen, so legte sich mein Bruder an dem Wege des Katholiken und ich mich an dem des Protestanten in Hinterhalt. Zwei Stunden nachher war Alles vorbei. Wir hatten mit Jedem das Geschäft abgemacht, jedoch nicht ohne die Klugheit unseres Vaters zu bewundern, der so vorsichtig gewesen war, jeden von uns in einer andern Religion erziehen zu lassen.«—»In der That, Mousqueton, Dein Vater scheint, wie Du behauptest, ein sehr gescheidter Bursche gewesen sein. Und Du sagst also, der brave Mann habe in seinen müßigen Augenblicken das Wildschützenhandwerk getrieben?«—»Ja, gnädiger Herr, er hat mich eine Schlinge binden und mit Legangeln umgehen gelehrt. Als ich nun sah, daß uns unser Schurke von einem Wirth mit Massen von schwer verdaulichem Fleische, höchstens gut für Bauern und keineswegs zuträglich für zwei so sehr geschwächte Magen, fütterte, so pflegte ich wieder ein wenig mein altes Gewerbe. Während ich im Walde spazieren ging, legte ich Schlingen auf die Wechsel; während ich am Rande des Wassers lag, ließ ich Leinen in die Teiche gleiten. Auf diese Art fehlt uns, Gott sei Dank! jetzt nichts mehr, wie sich der gnädige Herr selbst überzeugen kann. Wir haben Feldhühner und Kaninchen, Karpfen und Aale, lauter leichte und gesunde, für Kranke zweckdienliche Nahrungsmittel.«—»Aber den Wein, «sprach d'Artagnan,»wer liefert den Wein? Euer Wirth?«—»Das heißt: ja und nein.«—»Wie, ja und nein?«—»Er liefert ihn allerdings, aber er weiß nicht, daß er diese Ehre hat.«—»Erklärt Euch näher, Mousqueton. Eure Unterhaltung ist äußerst lehrreich.«—»So hört, gnädiger Herr: der Zufall wollte, daß ich auf meinen Wanderungen einen Spanier traf, die viele Länder und unter Anderem auch die neue Welt gesehen hatte.«—»In welchem Zusammenhang kann die neue Welt mit den Flaschen stehen, die ich auf dem Schrank und auf der Kommode erblicke?«—»Geduld, gnädiger Herr, Alles zu seiner Zeit.«—»Das ist richtig, Mousqueton; fahre fort, ich höre.«—»Dieser Spanier hatte einen Lakaien in seinem Dienste, der mit ihm nach Mexiko gereist war. Dieser Lakai war ein Landsmann, und wir knüpften um so leichter ein freundschaftliches Verhältniß an, als eine große Ähnlichkeit der Charaktere zwischen uns stattfand. Wir liebten Beide ganz besonders die Jagd, und er erzählte mir, wie die Eingebornen des Landes auf den Ebenen von Pampas den Tiger und den Büffel ganz einfach mit Schlingen jagen, die sie den furchtbaren Thieren um den Hals werfen. Anfangs wollte ich nicht glauben, daß man einen solchen Grad von Geschicklichkeit erreichen könne, auf zwanzig bis dreißig Schritte das Ende des Strickes dahin zu werfen, wohin man will. Aber ich mußte die Wahrheit anerkennen, als er mir Proben zur Bestätigung seiner Behauptung ablegte. Mein Freund stellte eine Flasche auf dreißig Schritte Entfernung auf, und bei jedem Wurf faßte er den Hals mit der Schlinge. Ich übte mich in der Kunst, und da mich die Natur mit einigen Fähigkeiten ausgerüstet hat, so werfe ich heute den Lasso mit so viel Geschicklichkeit als irgend ein Mensch in der Welt. Nun begreift Ihr? Unser Wirth hat einen sehr wohl ausgerüsteten Keller, dessen Schlüssel er jedoch immer bei sich trägt. Dieser Keller hat aber ein Luftloch, durch dieses Luftloch werfe ich nun den Lasso, und da ich weiß, wo der rechte Winkel ist, so schöpfe ich aus diesem. Auf diese Art, gnädiger Herr, steht die neue Welt mit den Flaschen auf dem Schrank und auf der Kommode in Verbindung. Wollt Ihr nun unsern Wein kosten und uns ohne Vorurtheil sagen, was ihr davon denkt?«—»Ich danke, mein Freund, ich danke, ich habe leider schon gefrühstückt.«—»Gut, «sprach Porthos,»stelle den Tisch hieher, Mousqueton, und während wir frühstücken, wird uns d'Artagnan erzählen, was ihm in den zehn Tagen, seit er uns verlassen hat, begegnet ist.«—»Sehr gerne, «erwiederte d'Artagnan.
Während Porthos und Mousqueton mit dem Appetit von Wiedergenesenden und mit der brüderlichen Herzlichkeit frühstückten, welche die Menschen im Unglück einander näher bringt, erzählte d'Artagnan, wie Aramis in Crevecoeur verwundet zurückbleiben gemußt, wie er Athos zu Amiens in einem Handgemenge mit vier Menschen, die ihn der Falschmünzerei angeklagt, zurückgelassen hatte, und wie er, d'Artagnan, um England zu erreichen, genöthigt gewesen war, den Grafen von Wardes an den Boden zu spießen.
Damit endeten die Mittheilungen d'Artagnans; er sprach nur noch davon, daß er bei seiner Rückkehr aus Großbritannien vier prachtvolle Pferde mitgebracht habe, wovon eines für ihn, und ein anderes für jeden von seinen Gefährten; dann schloß er mit der Ankündigung, das für Porthos bestimmte stehe bereits im Stall des Gasthofes.
In diesen, Augenblick trat Planchet ein. Er meldete seinem Herrn, die Pferde seien hinreichend ausgeruht, und man könne wohl bis zum Abend Clermont erreichen und dort ein Lager suchen.
Da d'Artagnan in Beziehung auf Porthos ziemlich beruhigt war, und es ihn drängte, auch von seinen zwei andern Freunden Kunde zu erhalten, so reichte er dem Kranken die Hand und sagte ihm, er werde sogleich abreisen, um seine Nachforschungen fortzusetzen. Er hoffe übrigens auf demselben Weg zurückzukehren und gedenke Porthos, wenn er sich in sechs bis acht Tagen noch im Hotel zum großen Sanct Martin befände, im Vorüberziehen mitzunehmen.
Porthos erwiederte, aller Wahrscheinlichkeit nach würde ihm seine Verstauchung die Abreise um diese Zeit noch nicht erlauben; überdies müsse er in Chantilly bleiben, um die Antwort seiner Herzogin abzuwarten.
D'Artagnan wünschte ihm ein baldiges und erfreuliches Eintreffen dieser Antwort, empfahl Porthos noch einmal der Sorge Mousqueton's, bezahlte dem Wirth seine Rechnung und setzte seine Reise mit Planchet fort, der nun bereits von einem seiner Handpferde befreit war.
XXVI. Die These von Aramis
D'Artagnan hatte Porthos weder von der Wunde noch von der Procuratorsfrau Etwas gesagt. Es war ein sehr kluger Bursche, unser Bearner, trotz seiner Jugend. Er stellte sich, als glaube er Alles, was ihm der ruhmredige Musketier erzählte, wobei er von der Ueberzeugung ausging, daß man immer eine moralische Ueberlegenheit über die Menschen hat, deren Leben man kennt, ohne es sie sogleich fühlen zu lassen und ihren Stolz dadurch zu verletzen. D'Artagnan aber, der fest entschlossen war, seine drei Gefährten zu Werkzeugen seines Glückes zu machen und sie bei seinen zukünftigen Intriguen zu benützen, freute sich zum Voraus, in seiner Hand die unsichtbaren Fäden zu vereinigen, mit deren Hülfe er sie zu lenken gedachte.
Auf dem ganzen Marsch schnürte ihm jedoch eine gewaltige Traurigkeit das Herz zusammen. Er dachte an die junge und hübsche Frau Bonacieux, die ihm den Preis für seine Ergebenheit reichen sollte. Fügen wir jedoch sogleich bei, daß diese Traurigkeit bei dem jungen Mann weniger von der Klage über sein verlornes Glück herrührte, als von seiner Furcht, es könnte der armen Frau ein Unglück widerfahren sein. Für ihn gab es keinen Zweifel mehr, sie war das Opfer einer Rache des Kardinals; die Rache Sr. Eminenz war bekanntlich furchtbar. Wie hatte er Gnade vor den Augen dieses Ministers gefunden? Das wußte er sich selbst nicht zu erklären, und der Herr von Cavois würde ihm dies wohl enthüllt haben, wenn ihn der Kapitän der Garden zu Haufe getroffen hätte.
Nichts leiht der Zeit raschere Flügel, nichts kürzt den Weg so sehr ab, als ein Gedanke, der alle Fähigkeiten der Organisation des Denkenden verschlingt. Das äußere Dasein gleicht sodann einem Schlummer, dessen Traum dieser Gedanke ist; durch seinen Einfluß hat die Zeit kein Maaß, der Raum keine Entfernung mehr; man geht von einem Ort aus und kommt an einem andern an, das ist das Ganze. Von dem durchlaufenen Zwischenraum ist unserm Gedächtniß nichts gegenwärtig geblieben, als ein unbestimmter Nebel, in dem sich tausend verworrene Bilder von Bäumen, Bergen und Landschaften gegenseitig verwischen. In dieser Geistesabwesenheit legte d'Artagnan bei dem Gang, den sein Pferd zu nehmen beliebte, die sechs bis acht Meilen, welche Chantilly von Crevecoeur trennen, zurück, ohne daß er sich bei seiner Ankunft in diesem Dorfe eines der Dinge erinnerte, denen er auf seinem Ritt begegnet war.
Hier erst kehrte sein Gedächtniß zurück; er schüttelte den Kopf, bemerkte die Schenke, wo er Aramis gelassen hatte, und trabte auf das Thor zu. Diesmal war es kein Wirth, sondern eine Wirthin, die ihn empfing. D'Artagnan war Physiognomiker; er überschaute mit einem Blick das dicke, heitere Gesicht der Herrin des Ortes und begriff, daß es hier keiner Verstellung bedurfte, und daß er von Seiten einer so lustigen Physiognomie nichts zu fürchten hatte.
«Meine gute Dame, «fragte sie d'Artagnan,»könnt Ihr mir wohl sagen, was aus einem meiner Freunde geworden ist, den wir vor etwa zwölf Tagen hier zu lassen genöthigt waren?«—»Ein hübscher junger Mann von drei- bis vierundzwanzig Jahren, sanft, liebenswürdig, wohlgebaut?«—»So ist es, überdies an der Schulter verwundet.«—»Ganz richtig. Nun, mein Herr, er befindet sich immer noch hier.«—»Ah, bei Gott, meine liebe Dame, «sprach d'Artagnan absteigend und Planchet den Zügel seines Pferdes zuwerfend,»Ihr gebt mir das Leben wieder; wo ist dieser theure Aramis, damit ich ihn umarme? denn ich gestehe, es drängt mich, ihn wieder zu sehen.«—»Um Vergebung, gnädiger Herr, ich zweifle, ob er Euch in diesem Augenblicke empfangen kann.«—»Warum? Ist eine Frau bei ihm?«—»Jesus, mein Gott! der arme Junge! nein, gnädiger Herr, es ist keine Frau bei ihm.«—»Nun, wer ist denn bei ihm?«—»Der Pfarrer von Montdidier und der Superior der Jesuiten von Amiens.«—»Gott im Himmel!«rief d'Artagnan.»Sollte es mit dem armen Jungen so schlimm stehen?«—»Nein, gnädiger Herr, im Gegentheil, aber in Folge seiner Krankheit hat ihn die Gnade berührt, und er ist entschlossen, in den geistlichen Stand einzutreten,«—»Ganz richtig, «sprach d'Artagnan,»ich hatte vergessen, daß er nur vorläufig Musketier war.«—»Besteht der gnädige Herr immer noch darauf, ihn zu sehen?«—»Mehr als je.«—»Nun, der gnädige Herr darf nur die Treppe rechts im Hof hinaufgehen, im zweiten Stock Nro. 5.«
D'Artagnan eilte in der angegebenen Richtung weg und fand eine von den äußern Treppen, wie man sie noch heut zu Tage in den Höfen der alten Gasthäuser sieht. Aber man gelangte nicht aus diese Art in die Wohnung des zukünftigen Abbé; die Zugänge zu den Zimmern von Aramis waren nicht mehr und nicht minder bewacht, als die Gärten der Armida. Bazin stand in der Hausflur Wache und versperrte ihm den Weg mit um so größerer Unerschrockenheit, als er sich endlich dem Ziele nahe sah, nach welchem er ewig mit frommem Ehrgeiz gestrebt hatte. Der arme Bazin hatte stets davon geträumt, einem Manne der heiligen Kirche zu dienen, und er erwartete mit Ungeduld den Augenblick, den er unablässig in der Zukunft erblickt hatte, wo Aramis endlich die Uniform mit der Sutane vertauschen würde; nur das oft wiederholte Versprechen des jungen Mannes, daß dieser Augenblick nicht mehr lange ausbleiben könne, hatte ihn im Dienst eines Musketiers zurückgehalten, einem Dienst, wo, wie er sagte, seine Seele nothwendig zu Grunde gehen müßte.
Bazin schwamm also in einem Meer von Freude. Aller Wahrscheinlichkeit nach konnte sein Herr diesmal nicht wieder zurücktreten.
Das Zusammentreffen des körperlichen Schmerzes mit dem moralischen hatte endlich die so lang ersehnte Wirrung hervorgebracht. An Leib und Seele leidend, hatte Aramis seine Augen und seinen Geist auf die Religion gerichtet, und sein doppelter Unfall, das heißt, das plötzliche Verschwinden seiner Geliebten und seine Verwundung an der Schulter, war ihm als eine Verkündigung des Himmels erschienen.
Man begreift, daß Bazin bei der gegenwärtigen Lage der Dinge nichts unangenehmer sein konnte, als die Ankunft d'Artagnans, welche seinen Herrn wieder in den Strudel weltlicher Gedanken, die ihn so lange fortgerissen hatten, zurückwerfen konnte. Er beschloß also, die Thüre muthig zu vertheidigen, und da er, insofern es bereits von der Wirthin verrathen war, nicht sagen konnte, Aramis befinde sich nicht zu Hause, so suchte er dem Ankommenden zu beweisen, es wäre der höchste Grad von Indiscretion, seinen Herrn in der frommen Konferenz zu stören, die schon am Morgen angefangen habe und nach der Aussage Bazins vor Abend nicht zu Ende gehen konnte.
Aber d'Artagnan nahm keine Rücksicht auf die Beredsamkeit des Meisters Bazin, und da er es nicht über sich gewinnen konnte, sich in eine Polemik mit dem Diener seines Freundes einzulassen, so schob er ihn ganz einfach mit einer Hand aus die Seite und drehte mit der andern den Knopf der Thüre von Nro. S.

Die Thüre öffnete sich und d'Artagnan trat in das Zimmer ein.
Aramis saß in einem schwarzen Oberrock mit einer runden und platten Kopfbedeckung, welche nicht wenig Ähnlichkeit mit einer Calotte hatte, vor einem länglichen, mit Papierrollen und ungeheuren Folianten bedeckten Tische. Zu seiner Rechten saß der Superior der Jesuiten, zu seiner Linken der Pfarrer von Montdidier. Die Vorhänge waren halb geschlossen und ließen nur ein mystisches, glückseliger Träumerei entsprechendes Licht eindringen. Alle weltlichen Gegenstände, welche das Auge berühren, wenn man in das Zimmer eines jungen Mannes eintritt, und besonders, wenn dieser junge Mann ein Musketier ist, waren wie durch einen Zauber verschwunden, und ohne Zweifel hatte die Furcht, ihr Anblick möchte seinen Herrn auf Gedanken von dieser Welt zurückbringen, Bazin veranlaßt, den Degen, die Pistolen, den Federhut und die Stickereien und Spitzen jeder Art und Gattung bei Seite zu schaffen.
Aber an ihrer Stelle glaubte d'Artagnan in einem dunkeln Winkel etwas wie eine Geißel an einem Nagel hängen zu sehen.
Bei dem Geräusch, das d'Artagnan verursachte, als er die Thüre öffnete, hob Aramis seinen Kopf in die Höhe und erkannte sogleich den Freund. Aber zum großen Erstaunen des jungen Mannes schien sein Anblick keinen großen Eindruck auf den Musketier hervorzubringen, so sehr hatte sich sein Geist von allen irdischen Dingen losgeschält.
«Guten Morgen, mein lieber d'Artagnan, «sprach Aramis,»glaubt mir, daß ich mich unendlich freue. Euch wiederzusehen.«
«Und ich Euch, «erwiderte d'Artagnan,»obgleich ich noch nicht ganz gewiß weiß, ob es Aramis ist, mit dem ich spreche.«
«Mit ihm selbst, mein Freund, mit ihm selbst, aber was konnte Dich zu einem Zweifel veranlassen…«
«Ich fürchtete mich im Zimmer zu täuschen und glaubte Anfangs in die Wohnung eines Tieners der heiligen Kirche einzutreten. Dann erfaßte mich ein neuer Schrecken, als ich Euch in Gesellschaft dieser Herren fand, denn ich glaubte, Ihr wäret ernstlich krank.«
Die zwei schwarzen Herren schleuderten d'Artagnan, dessen Absicht sie begriffen, einen drohenden Blick zu, aber d'Artagnan kümmerte sich nicht darum.
«Ich störe Euch vielleicht, lieber Aramis, «fuhr er fort,»denn nach dem, was ich sehe, muß ich glauben, daß Ihr diesen Herren Beichte ableget.«
Aramis erröthete unmerklich.
«Ihr mich stören! ei, ganz im Gegentheil, lieber Freund; das schwöre ich Euch. Und zum Beweise erlaubt mir vor Allem mich zu freuen, daß ich Euch gesund und wohlbehalten wiedersehe.«
«Ah, nun kommt er endlich, «dachte d'Artagnan,»es steht nicht ganz schlimm!«
«Denn dieser Herr, mein Freund, ist einer dräuenden Gefahr entgangen, «fuhr Aramis salbungsreich fort, indem er mit der Hand auf d'Artagnan deutete.
«Lobet Gott, mein Herr, «erwiederten die zwei Geistlichen und verbeugten sich gleichzeitig.
«Ich habe dies nicht versäumt, ehrwürdige Herren, «antwortete der junge Mann und gab ihnen den Gruß zurück.
«Ihr kommt zu gelegener Zeit, lieber d'Artagnan; Ihr werdet an der Diskussion Theil nehmen und sie mit Eurem Lichte erleuchten. Der Herr Prinzipal von Amiens, der Herr Pfarrer von Montdidier und ich argumentiren über gewisse theologische Fragen, deren Interesse uns seit geraumer Zeit in Anspruch nimmt. Ich werde entzückt sein, Eure Meinung darüber zu vernehmen.«
«Die Meinung eines Mannes vom Schwerte entbehrt jeglichen Gewichts, «antwortete d'Artagnan, der über die Wendung, welche die Dinge nahmen, unruhig zu werden anfing,»und Ihr könnt Euch, glaubt mir, ganz an die Wissenschaft dieser Herren halten.«
«Im Gegentheil, «versetzte Aramis,»Eure Meinung wird höchst werthvoll für uns sein. Hört, warum es sich handelt: der Herr Prinzipal glaubt, meine These müsse hauptsächlich dogmatisch und didaktisch sein.«
«Eure These! Ihr macht also eine These?«
«Allerdings, «antwortete der Jesuit,»für die Prüfung, die der Ordination vorhergeht, ist eine These unerläßlich.«
«Der Ordination!«rief d'Artagnan, welcher nicht glauben konnte, was ihm die Wirthin und Bazin gesagt hatten.»Ordination!«wiederholte er, und ließ seine Äugen erstaunt auf den drei Personen, welche er vor sich hatte, umher laufen.
«Da nun, «fuhr Aramis fort, indem er auf seinem Fauteuil eine Haltung annahm, als säße er in einem Chorstuhl, und zugleich seine frauenhaft weiße und fleischige Hand, die er in der Luft hielt, um das Blut zurückkehren zu machen, wohlgefällig betrachtete;»da nun, wie Ihr gehört habt, d'Artagnan, der Herr Prinzipal meine These dogmatisch haben will, während ich wünsche, daß sie ideal sein möchte, so hat mir der Herr Prinzipal nachfolgenden Gegenstand vorgeschlagen, welcher noch nicht behandelt worden ist, und worin ich allerdings Stoff zu prachtvollen Entwickelungen finden werde:
«Utramque manum in benedicendo clericis inferioribus necessariae sit.«
D'Artagnan, dessen wissenschaftliche Bildung wir kennen, veränderte sein Gesicht bei diesem Citat so wenig als bei demjenigen, das ihm Herr von Treville in Beziehung auf die Geschenke gemacht hatte, von denen er glaubte, er habe sie vom Herzog von Buckingham erhalten.
«Was so viel heißen will, «fuhr Aramis fort, um ihn, die Sache zu erleichtern:»die zwei Hände sind für die Priester der niederen Ordnung unerläßlich, wenn sie den Segen geben.«
«Ein bewunderungswürdiger Gegenstand!«rief der Jesuit.
«Bewunderungswürdig und dogmatisch, «wiederholte der Pfarrer, der, im Lateinischen ungefähr eben so bewandert, wie d'Artagnan, sorgfältig den Jesuiten beobachtete, um gleichen Schritt mit ihm zu halten und seine Worte wie ein Echo zu wiederholen.
D'Artagnan blieb vollkommen gleichgültig bei der Begeisterung der zwei schwarzen Männer.
«Ja bewunderungswürdig! prorsus admirabile!«fuhr Aramis fort,»aber es heischt ein großes Studium der Kirchenväter und der heiligen Schrift. Ich erkläre nun diesen gelehrten geistlichen Herren, und zwar in aller Demuth, daß ich in der Wachtstube der Musketiere und beim Dienste des Königs dieses Studium etwas vernachläßigt habe. Ich würde mich bequemer, facilius natans, bei einem Gegenstande meiner Wahl finden, der bei diesen rein theologischen Fragen das wäre, was die Moral für die Metaphysik in der Philosophie ist.«
D'Artagnan langweilte sich sehr.
«Seht, welches Exordium!«rief der Jesuit.
«Exordium!«wiederholte der Pfarrer, um etwas zu sagen.
«Quem ad modum inter colorum immensitatem!«
Aramis warf einen Seitenblick auf d'Artagnan und sah ihn dergestalt gähnen, daß er den Kiefer beinahe ausrenkte.
«Sprechen wir Französisch, mein Vater, «sagte er zu dem Jesuiten,»Herr d'Artagnan wird mehr Genuß an unseren Worten finden.«
«Ja, ich bin müde von der Reise, «sagte d'Artagnan,»und alles Latein entgeht mir.«
«Vor Allem, «sprach der Jesuit, etwas aus der Fassung gebracht, während der Pfarrer äußerst erfreut d'Artagnan voll Dankbarkeit anschaute;»betrachtet einmal den Nutzen, den man aus dieser Glosse ziehen könnte.«
«Moses, ein Diener Gottes… er ist nur ein Diener, versteht Ihr wohl, Moses segnet mit den Händen, er läßt sich die zwei Arme halten, während die Hebräer ihre Feinde schlagen. Er segnet also mit beiden Händen. Ueberdies sagt das Evangelium: Imposuite manus, und nicht manum, leget die Hände auf, und nicht die Hand.«
«Leget die Hände auf, «wiederholte der Pfarrer mit einer Geberde.
«Bei dem heiligen Petrus dagegen, dessen Nachfolger die Päpste sind, «fuhr der Jesuit fort:» porrige digitos, strecket die Finger aus. Begreift Ihr das nun?«
«Gewiß, «erwiederte Aramis, der ein Vergnügen an dieser Abhandlung zu haben schien,»gewiß, aber die Sache ist sehr kitzeliger Natur.«
«Die Finger, «wiederholte der Jesuit;»der heilige Petrus segnete mit den Fingern. Der Papst segnet also auch mit den Fingern. Und mit wie viel Fingern segnet er? Mit drei Fingern. Einen für den Vater, einen für den Sohn und einen für den heiligen Geist.«
Alle Anwesenden bekreuzten sich.
D'Artagnan glaubte dieses Beispiel nachahmen zu müssen.
«Der Papst ist der Nachfolger des heiligen Petrus und stellt die drei göttlichen Gewalten dar. Der Rest, ordines inferiores der kirchlichen Hierarchie, erscheint im Namen der heiligen Erzengel und Engel. Die niedersten Geistlichen, wie unsere Diakone und Sakristane, segnen mit den Weihwedeln, welche als eine unbegränzte Zahl von segnenden Fingern zu betrachten sind. Dies ist der ganze auf seine Einfachheit zurückgeführte Gegenstand, Argumentum omni denutatum ornamento. Aus diesem, «fuhr der Jesuit fort,»wollte ich zwei Bände von dem Umfang des Folianten hier machen.«
Und in seiner Begeisterung schlug er auf den heiligen Chrysostomus in Folio, daß der Tisch sich unter seinem Gewichte bog.
D'Artagnan bebte.
«Ich lasse gewiß den Schönheiten dieser These Gerechtigkeit widerfahren, «sagte Aramis,»aber ich muß zu gleicher Zeit erkennen, daß ich ihrer Last erliegen würde. Ich hatte folgenden Text gewählt; sagt mir, lieber d'Artagnan, ob er Eurem Geschmack entspricht: Non inutile est desiderium in oblatione, oder besser: Etwas Bedauern bei dem Opfer, das ich dem Herrn darbringe, steht mir nicht übel an.«
«Halt!«rief der Jesuit,»diese These riecht nach Ketzerei. Es ist ein ähnlicher Vorschlag in dem
Augustinus des Ketzervaters Jansen enthalten, dessen Buch früher oder später von Henkershand verbrannt werden wird. Nehmt Euch in Acht, mein junger Freund, Ihr neigt Euch zu falschen Lehren, Ihr richtet Euch zu Grunde, mein junger Freund.«
«Ihr richtet Euch zu Grunde, «sprach der Pfarrer schmerzlich den Kopf schüttelnd.
«Ihr berührt den bekannten Punkt vom freien Willen, der eine menschliche Klippe ist. Ihr greift die Insinuationen der Pelagianer und Semi-Pelagianer an.«
«Aber, ehrwürdiger Herr…, «versetzte Aramis, etwas betäubt von dem Hagel von Argumenten, der auf seinen Kopf fiel.
«Wie wollt Ihr beweisen, «fuhr der Jesuit fort, ohne daß er ihm zum Sprechen Zeit ließ,»wie wollt Ihr beweisen, daß man die Welt bedauern muß, wem. man Gott ein Opfer darbringt? Hört folgendes Dilemma: Gott ist Gott, und die Welt ist der Teufel. Die Welt bedauern, heißt den Teufel bedauern. Das ist mein Schluß.«
«Das ist auch der meinige, «sagte der Pfarrer.
«Aber ich bitte…«versetzte Aramis.
«Desideras diabolum! Unglücklicher!«rief der Jesuit.
«Er bedauert den Teufel. Ha! mein junger Freund, «sprach der Pfarrer seufzend,»bedauert den Teufel nicht, darum bitte ich Euch.«
D'Artagnan wirbelte es im Kopfe. Es kam ihm vor, als sei er in einem Narrenhaus und solle ein Narr werden, wie diejenigen, welche er vor sich sah. Nur war er genöthigt zu schweigen, da er die Sprache nicht verstand, welche man in seiner Gegenwart sprach.
«Aber hört mich doch, «sagte Aramis mit einer Höflichkeit, unter der etwas Ungeduld durchzuscheinen anfing;»ich sage nicht, daß ich bedaure, nein; ich werde nie dieses Wort aussprechen, welches nicht orthodox wäre…«
Der Jesuit hob die Arme zum Himmel auf und der Pfarrer that dasselbe.
«Nein, aber gebt wenigstens zu, daß es nicht sehr schön ist, dem Herrn nur das anzubieten, was man mit gänzlichem Ueberdruß und Widerwillen betrachtet. Habe ich Recht, d'Artagnan?«
«Ich glaube, bei Gott!«rief dieser.
Der Pfarrer und der Jesuit sprangen von ihren Stühlen auf.
«Folgendes ist mein Ausgangspunkt; es ist ein Syllogismus: Es fehlt der Welt nicht an Reizen, ich verlasse die Welt, folglich bringe ich ein Opfer; nun sagt aber die Schrift ganz bestimmt: Bringt dem Herrn ein Opfer dar.«
«Das ist wahr, «sprachen die Antagonisten.
«Und dann, «sagte Aramis, sich in das Ohr kneipend, um es roth zu machen, wie er die Hände schüttelte, damit sie weiß wurden,»und dann habe ich hierüber ein gewisses Ringelgedicht gemacht, das ich im vorigen Jahre Herrn Voviture mittheilte und worüber mir dieser große Mann tausend Komplimente sagte.«
«Ein Ringelgedicht?«sagte der Jesuit verächtlich.
«Ein Ringelgedicht?«sprach der Pfarrer maschinenmäßig.
«Sprecht, sprecht, «rief d'Artagnan,»das bringt ein wenig Abwechslung in die Sache.«
«Nein, es ist religiöser Natur, «antwortete Aramis,»es ist Theologie in Versen.«
«Teufel, «murmelte d'Artagnan.
«Hört, «sagte Aramis mit einer bescheidenen Miene, welche nicht ganz von einer gewissen Färbung von Heuchelei frei war:
O weinet nicht um früh entschwundne Freuden, Vertraut auf Gott In eurer Noth, Er wird gewißlich enden eure Leiden.
D'Artagnan und der Pfarrer schienen erfreut, der Jesuit beharrte bei seiner Meinung.
«Hütet Euch vor dem profanen Geschmack im theologischen Styl. Was sagt der heilige Augustin? Severus sit clericorum sermo.«
«Ja, die Rede sei klar, «sprach der Pfarrer.
«Eure These, «unterbrach ihn der Jesuit rasch, als er sah, daß sein Acolyt vom rechten Weg abkam,»Eure These wird höchstens den Damen gefallen. Sie wird den Erfolg einer Proceßrede von Herrn Patrou haben.«
«Möge es Gott gefallen!«rief Aramis entzückt.
«Ihr seht es, «rief der Jesuit,»die Welt spricht noch mit lauter Stimme in Euch. Altissima voce. Ihr folgt der Welt, Freund, und ich fürchte, die Gnade ist noch nicht ganz wirksam.«
«Beruhigt Euch, ehrwürdiger Herr, ich stehe für mich.«
«Weltliche Anmaßung!«
«Ich kenne mich, mein Vater, mein Entschluß ist unwiderruflich.«
«Also besteht Ihr darauf, diese These auszuführen?«
«Ich fühle mich berufen, diese und keine andere zu behandeln. Ich will sie fortsetzen und Ihr werdet hoffentlich mit den Verbesserungen zufrieden sein, die ich nach Eurem Rathe daran vorgenommen habe.«
«Arbeitet langsam, «sprach der Pfarrer,»wir lassen Euch in vortrefflicher Stimmung zurück.«
«Ja der Boden ist ganz eingesäet, «sagte der Jesuit,»und wir haben nicht zu befürchten, daß ein Theil des Korns auf einen Felsen, ein anderer an den Weg falle, und daß die Vögel des Himmels das Uebrige fressen. Aves coeli comederunt illam.«
«Die Pest ersticke Dich mit Deinem Latein, «sagte d'Artagnan, der kaum mehr an sich halten konnte.
«Gott befohlen, mein Sohn, «sprach der Pfarrer,»morgen also.«
«Morgen, junger Verwegener, «sagte der Jesuit,»Ihr versprecht ein Licht der Kirche zu werden. Wolle der Himmel, daß dieses Licht zu einem verzehrenden Feuer werde.«
Die zwei schwarzen Männer standen auf, grüßten Aramis und d'Artagnan und gingen nach der Thüre. Bazin, der im Zimmer stehen geblieben war und die ganze Controverse mit frommem Jubel gehört hatte, stürzte ihnen entgegen, nahm das Brevier des Pfarrers, das Meßbuch des Jesuiten und marschirte ehrfurchtsvoll vor ihnen her, um ihnen den Weg zu bahnen.
Aramis begleitete sie bis unten an die Treppe und kam sogleich wieder zu d'Artagnan zurück, der noch in Träume versunken war.
Als die zwei Freunde einander allein gegenüber standen, beobachteten sie Anfangs ein verlegenes Stillschweigen. Einer mußte es jedoch brechen, und da d'Artagnan entschlossen schien, die Ehre seinem Freund zu überlassen, so fing dieser an: —»Ihr seht, daß ich zu meinem Grundgedanken zurückgekehrt bin.«—»Ha, die wirksame Gnade hat Euch berührt, wie dieser Herr so eben sagte.«—»Oh, der Plan, mich zurückzuziehen, hat sich längst gebildet, und Ihr habt mich bereits davon sprechen hören, nicht wahr, mein Freund?«—»Allerdings, aber ich glaubte, Ihr wolltet scherzen.«—»Mit solchen Dingen? Oh! d'Artagnan!«—»Gott verdamme mich, man scherzt auch mit dem Tode.«—»Und man hat Unrecht, d'Artagnan, denn der Tod ist die Pforte, welche zum Heil oder zum Verderben führt.«—»Einverstanden! aber lassen wir die Theologie bei Seite, wenn es Euch beliebt, Aramis. Ihr müßt für den Rest des Tages genug haben. Ich, meines Theils, habe das wenige Latein, was ich nie konnte, völlig vergessen. Dann muß ich gestehen, daß ich seit diesem Morgen um zehn Uhr ohne Speise und Trank geblieben bin und einen ganz teufelmäßigen Hunger habe.«—»Wir werden sogleich zu Mittag speisen, lieber Freund; nur erinnert Euch, daß es heute Freitag ist, und an einem solchen Tag kann ich weder Fleisch essen, noch essen sehen. Wollt Ihr Euch mit meinem Mittagsbrod begnügen? es besteht aus gekochten Vierecken und Obst.«—»Was versteht Ihr unter Vierecken?«fragte d'Artagnan unruhig. — »Ich verstehe darunter Spinat, «erwiederte Aramis.»Aber für Euch werde ich Eier beifügen lassen, und das ist eine schwere Verletzung der Vorschrift, denn die Eier sind Fleisch, da sie das Huhn erzeugen.«—»Dieses Mahl ist eben nicht sehr saftig; doch gleich viel, um bei Euch zu bleiben, will ich mich dem unterziehen.«—»Ich bin Euch dankbar für dieses Opfer, «sprach Aramis;»aber wenn es Eurem Körper nichts nützt, so wird es doch Eurer Seele nützen, das könnt Ihr überzeugt sein.«—»Also Ihr tretet entschieden in den geistlichen Stand ein, Aramis? Was werden Eure Freunde, was wird Herr von Treville sagen? sie werden Euch als Deserteur behandeln, das sage ich Euch zum Voraus.«—»Ich trete nicht in den geistlichen Stand ein, ich trete zu demselben zurück. Ich hatte die Kirche der Welt zu Liebe verlassen, denn Ihr wißt, daß ich mir Gewalt anthun mußte, um die Kasake des Musketiers zu nehmen.«—»Ich, ich weiß nichts davon.«—»Wie? Ihr wißt nicht, wie ich das Seminar verlassen habe?«—»Nein.«—»Hört meine Geschichte; übrigens sagt die Schrift, beichtet einander, und ich lege Euch meine Beichte ab, d'Artagnan.«—»Und ich gebe Euch zum Voraus die Absolution; Ihr wißt, daß ich ein guter Kerl bin.«—»scherzt nicht mit heiligen Dingen, mein Freund.«—»So sprecht also, ich höre.«
«Ich war im Seminar von meinem neunten Jahr und zählte jetzt einundzwanzig; noch drei Tage, und ich wäre Abbé geworden und Alles wäre abgethan gewesen. Als ich mich eines Abends meiner Gewohnheit gemäß in ein Haus begab, das ich oft besuchte — was wollt Ihr? man ist jung, man ist schwach — trat ein Offizier, der es mit eifersüchtigem Auge sah, daß ich der Gebieterin des Hauses das Leben der Heiligen vorlas, plötzlich und unangemeldet ein. Gerade an diesem Abend hatte ich eine Episode von Judith übersetzt und ich theilte meine Verse der Dame mit, welche mir alle mögliche Complimente darüber sagte und sie, über meine Schulter geneigt, mit mir zum zweiten Male las. Die Stellung, welche — ich kann es nicht läugnen — etwas nachlässig war, verletzte den Offizier: er sagte nichts, aber als ich wegging, folgte er mir; er holte mich ein und sprach: ›Herr Abbé liebt Ihr Stockschläge?‹
›Ich kann es nicht sagen, mein Herr,‹ erwiederte ich, ›da es Niemand gewagt hat, mir solche zu geben.‹
›Nun, so hört mich, Herr Abbé: wenn Ihr noch einmal in das Haus kommt, wo ich Euch getroffen habe, so werde ich es wagen.‹
«Ich glaube, ich hatte Furcht; ich wurde bleich, ich fühlte, daß die Beine beinahe unter mir brachen, ich suchte eine Antwort, fand keine und schwieg.
«Der Offizier erwartete eine Antwort, und da er sah, daß sie ausblieb, so lachte er, wandte mir den Rücken und ging in das Haus zurück.
«Ich begab mich in das Seminar.
«Ich bin ein guter Edelmann und habe lebhaftes Blut, wie Ihr bemerken konntet, mein lieber d'Artagnan. Die Beleidigung war furchtbar, und obgleich die Welt nichts davon erfahren hatte, so fühlte ich doch, daß sie in der Tiefe meines Herzens tobte. Ich erklärte meinen Oberen, ich sei nicht hinreichend für die Ordination vorbereitet, und auf meine Bitte verschob man die Ceremonie um ein Jahr.
«Dann suchte ich den besten Fechtmeister von Paris auf; ich schloß einen Vertrag mit ihm ab, dem zu Folge er mir jeden Tag eine Lection in der Fechtkunst zu geben hatte, und ein ganzes Jahr lang nahm ich diese Lection jeden Tag. Am Jahrestag der mir widerfahrenen Beleidigung hängte ich meine Sutane an einen Nagel, legte ein vollständiges Cavaliercostüm an und ging auf einen Ball, den eine mir befreundete Dame gab, wo ich meinen Mann zu treffen überzeugt sein konnte. Es war in der Rue des Francs-Bourgeois, ganz nahe bei der Force.
«Mein Offizier hatte sich wirklich eingefunden; ich näherte mich ihm, als er unter zärtlichen Blicken auf eine Dame ein Lieblingslied sang, und unterbrach ihn mitten in der ersten Strophe.
›Mein Herr,‹ sprach ich, ›mißfällt es Euch immer noch, wenn ich ein gewisses Haus der Rue Payenne besuche, und werdet Ihr mir immer noch Stockschläge geben, wenn es mir einfällt, Euch ungehorsam zu sein?‹
«Der Offizier sah mich erstaunt an und sagte:
›Was wollt Ihr von mir, mein Herr? ich kenne Euch nicht.‹
›Ich bin der kleine Abbé,‹ erwiederte ich, ›der das Leben der Heiligen vorliest und Judith in Verse übersetzt.‹
›Ah, ah, ich erinnere mich,‹ sprach der Offizier mit gleichgültigem Lachen, ›was wollt Ihr von mir?‹
›Ich wollte, Ihr hättet Muße, einen Spaziergang mit mir zu machen.‹
›Morgen früh, wenn Ihr wollt, und zwar mit dem größten Vergnügen.‹
›Nein, nicht morgen früh, wenn es Euch beliebt, sondern sogleich.‹
›Wenn Ihr es durchaus verlangt…‹
›Ja ich verlange es.‹
›So laßt uns gehen. — Meine Damen,‹ sprach der Offizier, ›laßt Euch nicht stören. Ich brauche nur so viel Zeit, um diesen Herrn zu tödten, und werde dann sogleich zurückkommen und meine zweite Strophe vollenden.‹
«Wir entfernten uns.«
«Ich führte ihn in die Rue Payenne gerade an die Stelle, wo er mir ein Jahr vorher zur selben Stunde das erwähnte Compliment gemacht hatte. Es war herrlicher Mondenschein. Wir nahmen den Degen in die Hand, und mit dem ersten Stoß streckte ich ihn maustodt zur Erde.«
«Teufel!«rief d'Artagnan.
«Da nun, «fuhr Aramis fort,»die Damen ihren Sänger nicht zurückkommen sahen und man ihn in der Rue Payenne mit einem gewaltigen Degenstich durch den Leib fand, so dachte man, ich hätte ihn aus diese Weise gebettet, und die Sache erregte Aufsehen. Ich war also genöthigt, für einige Zeit auf die Sutane zu verzichten. Athos, dessen Bekanntschaft ich um diese Zeit machte, und Porthos, der mir außer meinen Lectionen einige Fechterkunstgriffe beigebracht hatte, bestimmten mich, um eine Musketierkasake zu bitten. Der König, der meinen Vater, welcher bei der Belagerung von Arras getödtet worden war, sehr lieb gehabt hatte, bewilligte mir diese Gnade. Ihr begreift nun, daß heute für mich der Augenblick gekommen ist, in den Schoß der Kirche zurückzukehren.«
«Und warum eher heute, als gestern und morgen? Was ist Euch heute begegnet, das Euch auf so abscheuliche Gedanken bringt?«—»Diese Wunde, mein lieber d'Artagnan, war mir eine Verkündigung des Himmels.«—»Diese Wunde! bah! sie ist beinahe geheilt, und ich bin überzeugt, daß es heute nicht diese ist, welche Euch am meisten leiden macht.«
Aramis' Auge funkelte unwillkührlich.
«Ah!«sprach er, die Bewegung in seinem Innern unter einer geheuchelten Gleichgültigkeit verbergend,»sprecht mir nicht von solchen Dingen! Ich an dergleichen Dinge denken! Ich Liebeskummer haben! Vanitas vanitatum! Ich sollte mir, Eurer Meinung nach, das Hirn verdreht haben! Und für wen? Für eine Kammerjungfer oder irgend eine Bürgerdirne, der ich in einer Garnison den Hof gemacht hätte? Pfui!«—»Verzeiht, mein lieber Aramis, aber ich glaubte, Eure Blicke wären etwas höher gerichtet.«—»Höher, und was bin ich, was berechtigte mich, zu einem solchen Stolze? Ein bettelarmer, unbekannter Musketier, der die Sklaverei haßt und sich in der Welt durchaus nicht an seinem Platze sieht.«—»Aramis, Aramis!«rief d'Artagnan und schaute seinen Freund mit zweifelhafter Miene an. — »Staub, kehre ich in den Staub zurück, «fuhr Aramis fort.»Das Leben ist voll von Demüthigungen und Schmerzen, «sagte er düster werdend;»alle Fäden, die es mit dem Glücke verknüpfen, brechen nach einander in der Hand des Menschen ab, und besonders die goldenen Fäden. Oh! mein lieber d'Artagnan, «fuhr er mit einem leichten Anflug von Bitterkeit fort,»verbergt Eure Wunden wohl, wenn Ihr welche habt. Das Stillschweigen ist die letzte Freude der Unglücklichen. Hütet Euch wohl, irgend Jemand auf die Spur Eurer Schmerzen zu bringen. Die Neugierigen pumpen unsere Thränen aus, wie die Fliegen das Blut eines verwundeten Hirsches.«—»Ach! mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan ebenfalls einen Seufzer ausstoßend.»Was Ihr da sagt, ist gerade meine Geschichte.«—»Wie?«—»Ja, eine Frau, die ich liebte. die ich anbetete, ist mir mit Gewalt entführt worden. Sie ist vielleicht eingekerkert, vielleicht todt.«—»Aber Ihr habt doch wenigstens den Trost, Euch sagen zu können, daß sie Euch nicht freiwillig verlassen hat, daß ihr, wenn Ihr keine Kunde von ihr erhaltet, alle Verbindung mit Euch untersagt ist, während…«—»Während?«—»Nichts, «erwiederte Aramis,»nichts.«—»Also entsagt Ihr der Welt für immer? Das ist Euer fester, unwiderruflicher Entschluß?«»Für immer. Ihr seid heute mein Freund, morgen werdet Ihr für mich nur ein Schatten sein, oder vielmehr Ihr werdet gar nicht für mich bestehen. Was die Welt betrifft, so ist sie ein Grab und nichts Anderes.«—»Teufel! das ist sehr traurig, was Ihr mir da sagt.«—»Was wollt Ihr? Mein Beruf zieht mich fort, reißt mich hin.«
D'Artagnan lächelte und antwortete nicht. Aramis fuhr fort:
«Und dennoch hatte ich, während ich noch an der Welt halte, gerne mit Euch über Euch und über unsere Freunde gesprochen.«
«Und ich, «sagte d'Artagnan,»hätte gerne über Euch selbst gesprochen; aber ich sehe Euch so sehr von Allein losgeschält. Die Liebe behandelt Ihr mit Pfui, die Freunde sind Schatten, die Welt ist ein Grab.«—»Ach, Ihr werdet es an Euch selbst erfahren, «sprach Aramis mit einem Seufzer. — »Es sei also unter uns nicht mehr die Rede davon, «sagte d'Artagnan,»und wir wollen diesen Brief verbrennen, der Euch ohne Zweifel eine neue Treulosigkeit von Eurer Grisette oder von Eurer Kammerjungfer ankündigte.«—»Welchen Brief?«rief Aramis lebhaft. — »Einen Brief, der in Eurer Abwesenheit für Euch eingetroffen ist, und den man mir für Euch übergeben hat.«—»Aber von wem ist dieser Brief?«—»Von irgend einer thränenreichen Zofe, von einer verzweiflungsvollen Grisette, vielleicht von der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse, welche genöthigt gewesen sein wird, mit ihrer Gebieterin nach Tours zurückzukehren, und ohne Zweifel aus eitel Gefallsucht parfümiertes Papier genommen und ihren Brief mit einer Herzogskrone versiegelt hat.«—»Was sagt Ihr da?«—»Ich werde ihn wohl verloren haben, «sprach der junge Mann, indem er sich den Anschein gab, als suchte er das Schreiben.»Zum Glück ist die Welt ein Grab, die Menschen und folglich die Frauen nur Schatten, die Liebe ist ein Gefühl, über das Ihr Pfui macht.«—»Ah, d'Artagnan!«rief Aramis,»Du tödtest mich.«—»Da ist er endlich, «sprach d'Artagnan und zog den Brief aus seiner Tasche.
Aramis sprang auf, nahm den Brief und las oder vielmehr verschlang ihn; sein Antlitz strahlte.
«Die Zofe scheint einen hübschen Styl zu haben, «sagte d'Artagnan nachlässig.
«Ich danke, d'Artagnan!«rief Aramis beinahe außer sich.»Sie hat sich genöthigt gesehen, nach Tours zurückzukehren, Sie ist mir nicht ungetreu; sie liebt mich noch. Komm, mein Freund, komm, daß ich Dich umarme, das Glück erstickt mich!«
Und die zwei Freunde fingen an, um den ehrwürdigen Sankt Chrysostomus zu tanzen, und stampften mit den Füßen auf die Blätter der These, welche auf den Boden gefallen waren.
In diesem Augenblick trat Bazin mit dem Spinat und dem Eierkuchen ein.
«Fleuch, Unglücklicher!«rief Aramis, und warf ihm seine Calotte ins Gesicht.»Kehre dahin zurück, wo Du hergekommen bist, bringe dieses furchtbare Gemüse und die abscheuliche Beilage weg! Verlange einen gespickten Hasen, einen fetten Kapaun, eine Hammelskeule mit Knoblauch und vier Flaschen alten Burgunder.«
Bazin, der seinen Herrn anschaute und diese Veränderung durchaus nicht begreifen konnte, ließ schwermüthig den Eierkuchen in den Spinat und den Spinat auf den Boden fallen.
«Das ist der Augenblick, Euer Dasein dem König der Könige zu opfern, «sprach d'Artagnan,»wenn Ihr ihm eine Artigkeit erzeigen wollt. Non inutile desiderium in oblatione.«
«Geht zum Teufel mit Eurem Latein! Laßt uns trinken, lieber d'Artagnan, Tod und Teufel! laßt uns trinken und erzählt mir ein wenig, was da unten vorgefallen ist.«
XXVII. Die Frau von Athos
«Wir müssen uns nun noch Kunde von Athos verschaffen, «sagte d'Artagnan dem munter gewordenen Aramis, als er ihn von dem, was seit ihrer Abreise in der Hauptstadt vorgefallen war, in Kenntniß gesetzt, und nachdem ein vortreffliches Mittagsbrod den Einen seine These, den Andern seine Müdigkeit vergessen gemacht hatte.
«Glaubt Ihr also, es könnte ihm ein Unglück widerfahren sein?«fragte Aramis.»Athos ist so kaltblütig, so muthig und weiß seinen Degen so geschickt zu handhaben.«—»Allerdings, und Niemand ist mehr geneigt, als ich, den Muth und die Geschicklichkeit von Athos anzuerkennen, aber ich lasse mich lieber mit Lanzen als mit Knitteln angreifen. Ich fürchte, Athos ist von dem Bedientenvolk gestriegelt worden. Die Knechte sind Leute, welche gewaltig schlagen und nicht so bald aufhören. Das ist der Grund, warum ich so schnell als möglich abzureisen wünsche.«—»Ich werde es versuchen, Euch zu begleiten, «sagte Aramis,»obgleich ich mich kaum im Stande fühle, zu Pferd zu steigen. Gestern versuchte ich die Geißel, welche Ihr dort an der Wand seht, und der Schmerz nöthigte mich diese fromme Übung zu unterbrechen.«—»Man hat auch noch nie gesehen, mein lieber Freund, daß Büchsenschüsse mit Geißelhieben geheilt werden. Aber Ihr wäret krank, und Krankheit schwächt, weßhalb ich Euch entschuldige.«—»Und wann gedenkt Ihr abzureisen?«—»Morgen mit Tagesanbruch. Ruhet diese Nacht so gut als möglich, und morgen, wenn Ihr könnt, reisen wir mit Tagesanbruch.«—»Morgen also, «sagte Aramis,»denn so sehr Ihr auch von Eisen seid, so müßt Ihr doch wohl der Ruhe bedürfen.«
Als d'Artagnan am andern Morgen bei Aramis eintrat, stand dieser an seinem Fenster.
«Was betrachtet Ihr da?«fragte d'Artagnan. — »Meiner Treu! ich bewundere diese drei prächtigen Pferde, welche die Stallknechte am Zaume halten; es ist ein fürstliches Vergnügen, auf solchen Pferden zu reisen.«—»Nun, mein lieber Aramis, Ihr werdet Euch dieses Vergnügen machen, denn eines von den drei Pferden gehört Euch.«—»Ah! ah! und welches?«—»Dasjenige, welches Ihr auswählt. Ich gebe keinem den Vorzug.«—»Und die reiche Decke gehört auch mir?«—»Allerdings.«—»Ihr scherzt, d'Artagnan.«—»Ich scherze nicht mehr, seitdem Ihr wieder französisch sprecht.«—»Also gehören mir diese vergoldeten Halfter, diese Sammetschabracke, dieser silberbeschlagene Sattel?«—»Euch selbst, wie jenes sich bäumende Pferd mir, und das andere tänzelnde Athos gehört.«—»Teufel, das sind drei herrliche Thiere!«—»Es freut mich, daß sie Eurem Geschmack entsprechen.«—»Also der König hat Euch dieses Geschenk gemacht?«—»Sicherlich nicht der Kardinal, aber kümmert Euch nicht darum, woher sie kommen, und denkt nur daran, daß eines derselben Euch gehört.«—»Ich nehme das, welches der rothe Bediente hält.«—»Vortrefflich.«—»Bei Gott, «rief Aramis,»das befreit mich von dem Rest meines Schmerzes. Ich würde es mit dreißig Kugeln im Leibe besteigen. Ah, bei meiner Seele, die schönen Steigbügel! Hollah! Bazin, komm hieher; sogleich!«
Bazin erschien trübe und lahm auf der Schwelle.
«Putze meinen Degen, stülpe meinen Hut auf, bürste meinen Mantel und lade meine Pistolen!«
«Letzteres ist unnöthig, «unterbrach ihn d'Artagnan,»es sind geladene Pistolen in Euren Holstern.«
Bazin seufzte.
«Auf, Meister Bazin, beruhigt Euch. Man gewinnt das himmlische Reich in allen Lebenslagen.«
«Der gnädige Herr war ein so guter Theolog, «sagte Bazin weinerlich,»er wäre Bischof oder vielleicht Kardinal geworden.«
«Nun, mein armer Bazin, sieh und bedenke ein wenig: ich bitte Dich, wozu nützt es, ein Mann der Kirche zu sein? Man muß darum doch in den Krieg ziehen. Du siehst, daß der Kardinal den ersten Feldzug mit der Pickelhaube auf dem Kopf und mit der Partisane in der Faust macht, und Herr von Nogaret de la Valette — was sagst Du von ihm? er ist ebenfalls Kardinal. Frage seinen Lakai, wie oft er Charpie für ihn gezupft hat.«
«Ach, ich weiß es, gnädiger Herr, «seufzte Bazin.»Alles ist heutzutage verkehrt in der Welt.«
Während dieser Zeit waren die zwei jungen Leute und der arme Lakai die Treppe hinabgegangen.
«Halte mir den Steigbügel, Bazin, «sprach Aramis.
Und er sprang mit seiner gewöhnlichen Anmuth und Leichtigkeit in den Sattel; aber nach einigen Volten und Courbetten des edlen Thieres fühlte sein Reiter so unerträgliche Schmerzen, daß er erbleichte und wankte. D'Artagnan, der ihn in der Voraussicht dieses Unfalles nicht aus dem Gesicht verloren hatte, lief hinzu, faßte ihn in seinen Armen auf und führte ihn in sein Zimmer.
«Es ist gut, mein lieber Aramis, pflegt Euch, «sagte er,»und ich werde Athos allein aufsuchen.«—»Ihr seid ein eherner Mann, «erwiederte Aramis. — »Nein, ich habe Glück, das ist das Ganze. Aber wie wollt Ihr leben, bis ich zurückkomme? Keine These? keine Glosse über die Finger und die Segnungen mehr, nicht wahr?«
Aramis lächelte.
«Ich werde Verse machen, «sprach er.
«Ja, Verse so duftend wie das Billet der Kammerjungfer der Frau von Chevreuse. Lehrt Bazin die Verskunst, das wird ihn beruhigen. Was Euer Pferd betrifft, so reitet es jeden Tag ein wenig, damit Ihr Euch an seine Manöver gewöhnt.«
«O, was das betrifft, seid unbesorgt, «sprach Aramis,»Ihr werdet mich bereit finden. Euch zu folgen.«
Sie nahmen Abschied, und zehn Minuten nachher trabte d'Artagnan in der Richtung von Amiens, nachdem er zuvor seinen Freund der Wirthin und Bazin empfohlen hatte.
Wie sollte er Athos wiederfinden und durfte er ihn überhaupt zu finden hoffen?
D'Artagnan hatte Athos in einer äußerst kritischen Lage zurückgelassen und er konnte wohl unterlegen sein. Dieser Ge danke verdüsterte d'Artagnan's Stirne und veranlaßte ihn zu ganz leisen Racheschwüren. Von allen seinen Freunden war Athos der älteste und folglich derjenige, welcher ihm in Geschmack und Sympathien scheinbar am wenigsten nahe stand. Er hegte jedoch für diesen Edelmann eine sichtbare Vorliebe. Das edle stolze Aussehen von Athos, diese Blitze von Größe, welche von Zeit zu Zeit aus den Schatten hervorsprangen, in denen er sich freiwillig eingeschlossen hielt, diese unveränderliche Gleichheit der Gemüthsart, die ihn zum angenehmsten Kameraden von der Welt machte, und diese beißende Heiterkeit, dieser Muth, den man hätte blind nennen können, wenn er nicht das Resultat der seltensten Kaltblütigkeit gewesen wäre, alle diese Eigenschaften nöthigten d'Artagnan mehr als Achtung, mehr als Freundschaft, sie nöthigten ihm volle Bewunderung ab.
Selbst Herrn von Treville, dem eleganten und edlen Hofmann gegenüber, konnte Athos in seinen Tagen schöner Laune mit Vortheil eine Vergleichung aushalten. Er war von mittlerer Gestalt, aber diese Gestalt war so bewundernswürdig gebaut, so verhältnißmäßig, daß er bei seinen Kämpfen mit Porthos diesen Riesen, dessen Körperkraft unter den Musketieren sprüchwörtlich geworden war, mehr als einmal bezwungen hatte. In seinem Kopf mit den blitzenden Augen, mit der Adlernase, mit dem Brutuskinn lag ein Charakter unbeschreiblicher Größe und Anmuth; seine Hände, auf die er keine Sorgfalt verwendete, brachten Aramis zur Verzweiflung, der die seinigen mit Hülfe von sehr viel Mandelteig und wohlriechendem Oel pflegte; der Ton seiner Stimme war zugleich durchdringend und melodisch, und dabei hatte Athos, der sich immer klein und dunkel machte, etwas ganz Unerklärliches an sich, diese genaue Vertrautheit mit der Welt und den Gebräuchen der guten Gesellschaft, diese Gewohnheit an ein vornehmes Leben, die sich ganz unwillkürlich selbst in seinen geringsten Handlungen kundgab.
Sollte ein Festmahl stattfinden, so vermochte es Niemand in der Welt besser zu ordnen, als er, indem er jeden Gast an den Platz und nach dem Range setzte, den er vermöge seiner Ahnen oder seines eigenen Verdienstes ansprechen durfte. War von heraldischer Wissenschaft die Rede, so kannte Athos alle edlen Familien des Königreichs, ihre Genealogie, ihre Verbindungen, ihre Wappen und den Ursprung ihrer Wappen. Die Etikette hatte keine, wenn auch noch so kleinliche Rücksichten, die ihm fremd gewesen wären; er war vertraut mit den Rechten der großen Grundeigenthümer, er besaß vollkommene Kenntnisse in dem Jagdwesen und in der Falknerei, und er hatte eines Tags, als er über diese große Kunst sprach, den König Ludwig XIII., der doch für einen Meister galt, in Erstaunen gesetzt. Wie alle große Herren dieser Zeit, war er ein vollendeter Reiter und ein ausgezeichneter Fechter.
Mehr noch: man hatte seine Erziehung, sogar hinsichtlich der scholastischen Studien, welche damals unter Edelleuten so selten zu finden waren, so wenig vernachlässigt, daß er oft bei den lateinischen Brocken, welche Aramis zum Besten gab und Porthos verstehen wollte, sich eines Lächelns nicht enthalten konnte. Einige Male war es sogar zum großen Erstaunen seiner Freunde vorgekommen, daß er, wenn Aramis sich eines Fehlers in den Rudimenten schuldig machte, das Verbum in sein Tempus und das Nomen in seinen Casus setzte. Ueberdies war seine Redlichkeit unantastbar in einem Jahrhundert, wo es die Kriegsmänner mit ihrer Religion und ihrem Gewissen, die Liebenden mit dem strengen Zartgefühl und die Armen mit dem siebenten Gebot des Herrn so leicht nahmen. Athos war also ein sehr ungewöhnlicher Mann.
Und doch sah man diese so ausgezeichnete Natur, dieses so schöne Geschöpf, dieses so gesund organisirte Wesen sich unmerklich dem materiellen Leben zuwenden, wie sich die Greise den körperlichen und geistigen Schwächen zuwenden. In seinen Mußestunden, und diese kamen sehr häufig vor, erlosch Athos ganz in seinem leuchtenden Theil, und seine glänzende Seite verschwand in einer tiefen Nacht. Wenn dann der Halbgott unsichtbar wurde, blieb kaum noch ein Mensch übrig. Mit gesenktem Kopf, mattem Auge und schwerer Zunge schaute Athos Stunden lang seine Flasche, sein Glas oder Grimaud an, der gewöhnt war, ihm auf Zeichen zu gehorchen, und in dem stummen Blick seines Gebieters sein geringstes Verlangen las, das er auch sogleich befriedigte. Fand in einem solchen Augenblick eine Zusammenkunft der vier Freunde statt, so war ein gewaltsam ausgestoßenes Wort das einzige Kontingent, das Athos zu ihrem Gespräche lieferte. Dagegen trank Athos ganz allein für vier, und zwar ohne daß dies durch etwas Anderes, als durch ein stärkeres Runzeln der Stirne und durch eine tiefere Traurigkeit sichtbar wurde.
D'Artagnan, dessen forschenden durchdringenden Geist wir kennen, hatte bis jetzt, so sehr ihm daran lag, auch seine Neugierde in dieser Beziehung zu befriedigen, noch keinen Grund für diese seltsame Erscheinung aufzufinden, und die Ereignisse die ihr vorangegangen sein mußten, noch nicht zu erforschen vermocht. Nie empfing Athos Briefe, nie that er einen Schritt, der nicht allen seinen Freunden bekannt gewesen wäre. Man konnte nicht sagen, der Wein versetzte ihn in diese Traurigkeit, denn er trank im Gegenteil nur, um diese Traurigkeit zu bekämpfen, welche sich, wie bemerkt, durch dieses Gegenmittel noch düsterer gestaltete. Man konnte dieses Uebermaß von Mißmuth nicht dem Spiel zuschreiben, denn im Gegensatz gegen Porthos, welcher alle Wechselfälle des Spieles mit seinen Flüchen oder Liedern begleitete, blieb Athos eben so unempfindlich, wenn er gewonnen, als wenn er verloren hatte. Man hat ihn in Gesellschaft der Musketiere an einem Abend dreitausend Pistolen gewinnen, sein Pferd, seine Waffen, ja sogar das goldgestickte Wehrgehänge für Galatage verlieren, und später das Alles und noch hundert Louisd'or dazu wieder gewinnen gesehen, ohne daß sich seine schönen schwarzen Augenbrauen auch nur um eine halbe Linie erhöht oder gesenkt hätten, ohne daß seine Hände ihre Perlmutterfarbe verloren, ohne daß seine Unterhaltung, welche an diesem Abend sehr angenehm war, aufgehört hätte, ruhig und freundlich zu sein.
Eben so wenig war es, wie bei unsern Nachbarn, den Engländern, ein atmosphärischer Einfluß, der sein Gesicht verdüsterte, denn diese Traurigkeit nahm gewöhnlich in der schönen Jahreszeit überhand: Juni und Juli waren die furchtbarsten Monate von Athos.
Für die Gegenwart hatte er keinen Kummer; er zuckte die Achseln, wenn man von der Zukunft mit ihm sprach. Sein Geheimniß lag also in der Vergangenheit, wie man dies auf eine unbestimmte Weise d'Artagnan gesagt hatte.
Diese geheimnißvolle, über seine ganze Person verbreitete Färbung machte den Mann noch viel interessanter, der nie, selbst nicht einmal im Zustand vollkommener Trunkenheit, weder mit den Augen noch mit dem Munde etwas verrathen hatte, so geschickt auch die Fragen gestellt gewesen sein mochten, die man an ihn richtete.
«Der arme Athos ist vielleicht schon todt, «dachte d'Artagnan,»und todt durch meine Schuld, denn ich habe ihn in diese Angelegenheit verwickelt, deren Ursprung er nicht kannte, deren Erfolg er nicht erfahren, und woraus er nicht den geringsten Nutzen ziehen wird.«
«Abgesehen davon, gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»daß wir ihm wahrscheinlich das Leben zu verdanken haben. Ihr erinnert Euch, wie er schrie: ›Fort, d'Artagnan, ich bin gefangen!‹ Und nachdem er seine zwei Pistolen abgefeuert hatte, was für einen furchtbaren Lärm machte er mit seinem Degen! man hätte glauben sollen, es wären zwanzig Menschen, oder vielmehr zwanzig rasende Teufel!«
Diese Worte verdoppelten den Eifer d'Artagnans, der sein Pferd antrieb, welches, keines Antriebs bedürftig, seinen Reiter im schnellsten Galopp forttrug. Gegen elf Uhr Morgens erblickte man Amiens; um halb zwölf Uhr war man vor der Thür «des schlimmen Wirthshauses.
D'Artagnan hatte oft gegen den treulosen Wirth auf eine Rache gesonnen, deren Hoffnung den Menschen tröstet. Er trat also, den Hut in die Augen gedrückt, die linke Hand am Degengriff und die Reitpeitsche mit der Rechten schwingend, in den Gasthof ein.
«Erkennt Ihr mich?«sprach er zu dem Wirthe, der ihm begrüßend entgegen trat.
«Ich habe nicht die Ehre, gnädigster Herr, «antwortete der Wirth, dessen Auge noch von dem glänzenden Aufzuge d'Artagnans geblendet war.
«Ah, Ihr kennt mich nicht?«
«Nein, gnädiger Herr.«
«Gut. Zwei Worte sollen Euch das Gedächtniß zurückgeben. Was habt Ihr mit dem Edelmann gemacht, den Ihr vor vierzehn Tagen der Falschmünzerei zu bezichtigen die Frechheit hattet?«
Der Wirth erbleichte, denn d'Artagnan hatte seine drohendste Stellung angenommen und Planchet formte sich nach seinem Gebieter.
«Ach, gnädiger Herr, sprecht mir nicht hievon!«rief der Wirth mit äußerst kläglicher Stimme.»Ach, gnädiger Herr, wie theuer mußte ich dieses Versehen bezahlen! Ach ich bin ein unglücklicher Mann!«
«Sprecht, was ist aus diesem Edelmann geworden?«
«Hört mich gnädigst an und verfahrt glimpflich. Habt die Gnade, setzt Euch.«
Stumm vor Zorn und Aufregung, setzte sich d'Artagnan drohend wie ein Richter. Planchet lehnte sich stolz an seinen Stuhl.
«Hört die ganze Geschichte, gnädiger Herr, «fuhr der Wirth zitternd fort; denn jetzt erkenne ich Euch. Ihr seid weggeritten, als ich den unseligen Streit mit dem Edelmann hatte, von dem Ihr sprecht.«—»Ja, das war ich. Ihr seht also, daß Ihr keine Gnade zu erwarten habt, wenn Ihr nicht die volle Wahrheit bekennt.«—»Wollt mich gnädigst anhören, und Ihr sollt Alles erfahren.«—»Ich höre.«—»Ich war von den Behörden in Kenntniß gesetzt worden, es würde ein berühmter Falschmünzer mit mehreren seiner Gefährten, die sich alle als Garden oder Musketiere verkleidet hätten, in meinen Gasthof kommen. Eure Pferde, Eure Lakaien, Eure Gesichter, gnädigster Herr, Alles war mir genau bezeichnet worden.«—»Weiter, weiter, «sprach d'Artagnan, welcher alsbald erkannte, woher ein so scharfes Signalement gekommen war. — »Ich ergriff also auf Befehl der Behörde, die mir eine Verstärkung von sechs Mann zuschickte, diejenigen Maßregeln, die ich für zweckmäßig hielt, um mich der angeblichen Falschmünzer zu versichern.«—»Auch noch!«rief d'Artagnan, dem der Ausdruck Falschmünzer furchtbar die Ohren erhitzte. — »Vergebt mir, gnädiger Herr, daß ich solche Dinge sage, aber sie dienen gerade zu meiner Rechtfertigung. Die Behörde hatte mir bange gemacht, und Ihr wißt, daß ein Wirth der Behörde gehorchen muß.«—»Aber noch einmal, wo ist dieser Edelmann? was ist aus ihm geworden? ist er todt? lebt er?«—»Geduld, gnädiger Herr, wir kommen sogleich daran. Es geschah, was Ihr wißt, und Eure schleunige Abreise schien zu dem Verfahren zu berechtigen, «fügte der Wirth mit einer Schlauheit bei, welche d'Artagnan nicht entging.»Dieser Edelmann, Euer Freund, vertheidigte sich wie em Verzweifelter. Sein Bedienter, der durch ein unvorhergesehenes Unglück Streit mit den Leuten von der Behörde gesucht hatte, welche als Stallknechte verkleidet waren…«—»Ha, Elender, «rief d'Artagnan,»Ihr wäret also einverstanden, und ich weiß nicht, warum ich Euch nicht sogleich Alle umbringe?«—»Ach, nein, gnädiger Herr, wir waren nicht alle einverstanden, wie Ihr sehen werdet. Euer Herr Freund (vergebt, daß ich ihn nicht bei dem ehrenwerthen Namen nenne, den er ohne Zweifel führt, aber wir wissen diesen Namen nicht). Euer Herr Freund zog sich, nachdem er zwei Menschen mit seinen zwei Pistolenschüssen kampfunfähig gemacht hatte, fechtend zurück, indem er sich mit seinem Degen vertheidigte, wobei er einen von meinen Leuten zum Krüppel hieb und mich durch einen Schlag mit der flachen Klinge betäubte.«—»He, Henkersknecht, wirst Du bald zu Ende kommen?«rief d'Artagnan.»Athos! was geschah mit Athos?«—»Indem er sich fechtend zurückzog, wie ich dem gnädigen Herrn gesagt habe, fand er hinter sich die Kellertreppe, und da die Thüre offen war, so sprang er hinein. Sobald er sich im Keller befand, zog er den Schlüssel ab und verrammelte sich von innen. Da man überzeugt war, daß man ihn hier wieder finden konnte, so ließ man ihn frei.«—»Ja, «sprach d'Artagnan,»man kümmerte sich nicht darum, ihn zu tödten, man suchte ihn nur einzukerkern.«—»Gerechter Gott! Ihn einzukerkern, gnädiger Herr? Er kerkerte sich selbst ein, das schwöre ich Euch. Er hatte zuvor ein tüchtiges Stück Arbeit gemacht. Ein Mann lag todt auf dem Platze, zwei andere waren schwer verwundet. Der Todte und die zwei Verwundeten wurden von ihren Kameraden weggebracht, und nie habe ich mehr von dem Einen oder von den Andern sprechen hören. Ich selbst, als ich wieder zum Bewußtsein kam, suchte den Herrn Gouverneur auf, dem ich Alles erzählte, was vorgefallen war; ich fragte ihn, was ich mit dem Gefangenen machen sollte, aber der Gouverneur sah aus, als wäre er aus den Wolken gefallen. Er sagte mir, er verstehe gar nicht, was ich da spreche, die Befehle, die ich erhalten, seien nicht von ihm ausgegangen, und wenn ich so unglücklich wäre, gegen irgend Jemand zu äußern, daß er den geringsten Antheil an diesem heillosen Streite gehabt habe, so würde er mich hängen lassen. Es scheint, ich hatte mich getäuscht, gnädiger Herr, und den Einen für den Andern genommen, und derjenige, welcher verhaftet werden sollte, war gerettet.«—»Aber Athos?«rief d'Artagnan, dessen Ungeduld sich noch durch die Art und Weise verdoppelte, wie die Behörde die ganze Sache von sich abgelehnt hatte;»was ist aus Athos geworden?«—»Da mir daran liegen mußte, eiligst mein Unrecht gegen den Gefangenen gut zu machen, «antwortete der Wirth,»so lief ich nach dem Keller, um ihn wieder in Freiheit zu setzen. Ach, gnädiger Herr, das war kein Mensch mehr, das war ein Teufel. Bei meinem Freiheitsantrag erklärte er, es sei eine Falle, die man ihm stellen wolle, und ehe er herausgebe, werde er Bedingungen machen. Ich erwiederte ihm ganz demüthig, denn ich verhehlte mir die schlimme Lage nicht, in die ich mich dadurch gebracht hatte, daß ich an einen Musketier Seiner Majestät Hand legte; ich erwiederte ihm, ich sei bereit, mich allen seinen Bedingungen zu unterziehen.«—»Vor Allem, «sprach er,»verlange ich, daß man mir meinen Bedienten vollständig bewaffnet zurückgibt.«—»Man beeilte sich, diesem Befehl zu gehorchen, denn Ihr begreift wohl, gnädiger Herr, daß wir bereit waren. Alles zu thun, was Euer Freund verlangte. Herr Grimaud (dieser hat seinen Namen genannt, obgleich er nicht viel spricht), Herr Grimaud wurde also, obschon verwundet, in den Keller hinabgelassen. Sobald er sich bei seinem Herrn befand, verrammelte dieser wieder die Thüre und befahl uns, in unserer Schenkstube zu bleiben.«—»Aber wo ist er denn?«rief d'Artagnan,»wo ist Athos?«–
«Im Keller, gnädiger Herr.«—»Wie, Unglücklicher? Ihr haltet ihn seit dieser Zeit im Keller fest?«—»Gütiger Gott! nein, gnädiger Herr. Wir ihn im Keller festhalten! Ihr wißt also nicht, was er in dem Keller gemacht hat? Ach! wenn Ihr ihn herausbringen könntet, ich wäre Euch mein ganzes Leben dankbar, ich würde Euch anbeten, wie meinen Schutzpatron!«—»Also ist er da? ich finde ihn dort?«—»Allerdings, gnädiger Herr. Er besteht darauf, nn Keller zu bleiben. Jeden Tag reicht man ihm durch das Luftloch Brod an einer Gabel, und Fleisch, wenn er es verlangt. Aber sein stärkster Verbrauch besteht leider nicht in Brod und Fleisch. Einmal versuchte ich es, mit zwei von meinen Aufwärtern hinabzusteigen, aber er gerieth in eine furchtbare Wuth. Ich hörte das Geräusch seiner Pistolen, die er lud, und seiner Muskete, die sein Bedienter lud. Als wir sie sodann fragten, was sie beabsichtigten, so antwortete er: sie hätten zusammen noch vierzig Schüsse abzufeuern, und sie würden sie eher abfeuern, als daß sie einem von uns den Eintritt in den Keller gestatteten. Ich ging sodann zu dem Gouverneur, gnädiger Herr, um mich zu beklagen. Dieser aber erwiederte mir, es geschehe mir ganz recht, und das würde mich wohl lehren, in Zukunft ehrenwerthe Edelleute, welche bei mir einkehren, nicht mehr zu beleidigen.«—»Und seit dieser Zeit…«versetzte d'Artagnan, der sich eines lauten Lachens über das erbarmungswürdige Gesicht des Wirthes nicht enthalten konnte. — »Und seit dieser Zeit, gnädiger Herr, «sprach dieser,»führen wir das traurigste Leben, das man sich denken kann, denn Ihr müßt wissen, daß alle meine Vorräthe im Keller aufbewahrt find: unser Flaschen- und unser Faßwein, das Bier, das Öl und die Specereien, der Speck und die Würste. Und da es uns verboten ist, hinabzusteigen, so sind wir genöthigt, den Reisenden, die bei uns ankommen, Essen und Trinken zu verweigern, so daß unser Gasthof von Tag zu Tag abnimmt. Verweilt Euer Freund noch eine Woche in unserm Keller, so sind wir geschlagene Leute.«—»Und das wäre nicht mehr als billig. Schuft! Sagt, hat man uns nicht an unserer Miene angesehen, daß wir Leute von Stand und keine Falschmünzer waren?«—»Ja, gnädiger Herr, ja, Ihr habt Recht. Aber hört, hört, wie er wüthet!«—»Ohne Zweifel wird man ihn gestört haben.«—»Man muß ihn wohl stören, «rief der Wirth.»Es sind soeben zwei vornehme Engländer bei uns angekommen.«—»Was weiter?«—»Was weiter! Die Engländer lieben den guten Wein, wie Ihr wißt, und diese haben vom besten verlangt. Meine Frau wird von Eurem Freund sich die Erlaubniß erbeten haben, eintreten zu dürfen, um diese Herren befriedigen zu können. Und er hat es wahrscheinlich wie gewöhnlich abgeschlagen. Ach, gütiger Gott! der Teufelslärm verdoppelt sich!«
D'Artagnan hörte wirklich auf der Seite des Kellers ein gewaltiges Getöse. Er stand auf. Der Wirth schritt, die Hände ringend, vor ihm her, Planchet folgte ihm, das geladene Gewehr in der Hand, und so näherte er sich dem Orte der Handlung.
Die zwei fremden Herren waren in Verzweiflung. Sie hatten einen langen Ritt gemacht, und starben beinahe vor Hunger und Durst.
«Das ist eine wahre Tyrannei!«riefen sie in sehr gutem Französisch, obgleich mit etwas fremdem Accent;»es ist eine wahre Tyrannei, daß dieser Hauptnarr die guten Leute nicht über ihren Wein verfügen lassen will. Aus! treten wir die Thüre ein, und wenn er zu wüthend ist, so schlagen wir ihn todt.«
«Warum nicht gar, meine Herren, «sagte d'Artagnan, seine Pistolen aus dem Gürtel ziehend.»Ihr werdet Niemand todtschlagen, wenn's beliebt.«
«Gut, gut, «sprach Athos ruhig hinter der Thür,»man lasse sie nur ein wenig eintreten, diese Kleinkinderfresser, und wir werden sehen.«
So muthig die beiden englischen Herren sich geberdet hatten, so schauten sie doch jetzt zögernd einander an; man hätte glauben sollen, im Keller befinde sich ein ausgehungerter Wehrwolf, einer jener riesigen Helden der Volkssage, in deren Höhle Niemand ungestraft eindringt.
Nach einer kurzen Pause stieg der Händelsüchtigste von ihnen die fünf oder sechs Stufen der Treppe hinab, und gab der Thüre einen Fußtritt, daß eine Mauer hätte bersten müssen.
«Planchet, «sprach d'Artagnan, seine Pistolen rüstend,»ich übernehme den obern, übernimm Du den untern. Ah! meine Herren, Ihr wollt eine Schlacht! Ganz gut, sie soll Euch geliefert werden.«
«Mein Gott, «rief Athos mit hohler Stimme,»ich höre d'Artagnan, wie es mir scheint.«
«In der That!«schrie d'Artagnan,»ich bin es, mein Freund.«
«Ah, dann ist es gut, «sprach Athos,»wir wollen sie bearbeiten, diese Thürenstürmer!«
Die Fremden hatten ihre Degen ergriffen, aber sie fanden sich zwischen zwei Feuer gestellt; sie zögerten noch einen Augenblick; doch der Stolz trug wie das erste Mal den Sieg davon, und ein zweiter Fußtritt machte die Thüre in ihrer ganzen Höhe erkrachen.
«Halt' Dich fertig, d'Artagnan, halt' Dich fertig!«brüllte Athos,»halt' Dich fertig! ich schieße!«
«Meine Herren!«rief d'Artagnan, den die Ueberlegung nie verließ,»meine Herren, bedenkt wohl! Geduld, Athos. Ihr fangt einen schlimmen Handel an, bei dem Ihr sicherlich den Kürzeren ziehet. Ich und mein Bedienter, wir feuern dreimal, eben so viele Kugeln werden Euch vom Keller aus zugeschleudert; dann haben wir noch unsere Degen, mit denen mein Freund und ich ziemlich gut zu spielen wissen, das versichere ich Euch. Laßt mich Eure und meine Sache abmachen. Ihr werdet sogleich zu trinken bekommen, darauf gebe ich Euch mein Ehrenwort.«
«Wenn noch etwas übrig ist, «knurrte Athos mit spöttischer Stimme.
Dem Wirth lief der kalte Schweiß über den Rücken.
«Wie so? wenn noch etwas übrig ist!«murmelte er.
«Der Teufel! es wird wohl noch etwas übrig sein, «erwiederte d'Artagnan.»Seid unbesorgt, sie werden zu zwei nicht den ganzen Keller ausgetrunken haben. Meine Herren, steckt Eure Degen in die Scheide!«
«Gut, aber steckt Ihr ebenfalls Eure Pistolen in den Gürtel!«
«Gern!«
D'Artagnan gab das Beispiel, wandte sich sodann gegen Planchet um und deutete ihm durch ein Zeichen an, er solle seine Muskete abspannen.
Hiedurch überzeugt, steckten die Engländer ihre Degen brummend in die Scheide. Man erzählte ihnen die Geschichte der Einkerkerung von Athos, und da sie gute Edelleute waren, so gaben sie dem Wirth Unrecht.
«Nun, meine Herren, «sagte d'Artagnan,»geht in Euer Zimmer hinauf, und in zehn Minuten sollt Ihr Alles bekommen, dafür stehe ich Euch, was Ihr nur wünschet.«
Die Engländer grüßten und entfernten sich.
«Da ich jetzt allein bin, mein lieber Athos, «sagte d'Artagnan,»so öffnet mir gefälligst die Thüre.«
«Sogleich, «erwiederte Athos.
Dann vernahm man ein Geräusch von unter einander geworfenen Reißbündeln und knarrenden Balken. Dies waren die Contreescarpen und Basteien von Athos, welche der Belagerte selbst zerstörte. Nach einem Augenblick wankte die Thüre und man sah den bleichen Kopf von Athos erscheinen, der mit raschem Blick das Terrain musterte.
D'Artagnan warf sich ihm an den Hals und umarmte ihn zärtlich; dann wollte er ihn aus seinem feuchten Aufenthalt herausziehen. Nun aber merkte er erst, daß sein Freund wankte.
«Ihr seid verwundet, «sprach er.
«Nicht im Mindesten, ich bin schwer betrunken, das ist das Ganze. Und um dies zu bewerkstelligen, ist nie ein Mensch in der Welt besser verfahren. Bei Gott! Herr Wirth, ich habe für meinen Theil wenigstens hundert und fünfzig Flaschen getrunken.«
«Barmherzigkeit!«rief der Wirth,»wenn der Diener nur halb so viel getrunken hat, als der Herr, so bin ich zu Grund gerichtet.«
«Grimaud ist ein Lakai von gutem Hause, der sich nicht erlaubt haben würde, auf dieselbe Weise ein Tägliches zu sich zu nehmen, wie ich. Er trank nur aus dem Fasse. Halt! ich glaube, er hat vergessen, den Zapfen wieder hineinzustecken. Hört Ihr, das läuft!«
D'Artagnan brach in ein schallendes Gelächter aus, das den Schauder des Wirths in ein hitziges Fieber verwandelte.
In demselben Augenblick erschien auch Grimaud hinter seinem Herrn, die schwere Büchse auf der Schulter mit wackelndem Kopf, wie trunkene Satyrn auf den Gemälden von Rubens. Lr war hinten und vorn mit einer fetten Flüssigkeit benetzt, worin der Wirth sein bestes Olivenöl erkannte.
Der Zug ging durch den großen Saal und verfügte sich in das schönste Zimmer des Gasthofes, welches d'Artagnan aus eigener Machtvollkommenheit in Beschlag nahm.
Während dieser Zeit stürzten der Wirth und seine Frau in den Keller, der für sie so lange verschlossen gewesen war. Hier aber harrte ihrer ein furchtbares Schauspiel.
Jenseits der Festungswerke, die aus Reißbüscheln, Brettern, Balken und leeren Fässern bestanden, welche Athos nach allen Regeln der Strategie aufgehäuft, nun aber eingerissen hatte, um herausgehen zu können, sah man in Teichen von Oel und Wein die Gebeine aller verspeisten Schinken schwimmen, während eine Masse zerbrochener Flaschen den linken Winkel des Kellers füllte, und ein Faß, dessen Hahn offen geblieben war, durch diese Oeffnung die letzten Tropfen seines Blutes vergoß. Das Bild der Verwüstung und des Todes herrschte hier, nach den Worten eines alten Dichters, wie auf dem Schlachtfelde.
Von fünfzig an den Balken aufgehängten Würsten waren kaum noch zehn übrig.
Das Jammergeschrei des Wirthes und der Wirthin durchdrang nun das Kellergewölbe, und selbst d'Artagnan ward von ihrem lauten Wehklagen bewegt. Athos wandte nicht einmal den Kopf um.
Auf den Schmerz folgte die Wuth. Der Wirth bewaffnete sich mit einem Bratspieß und rannte in seiner Verzweiflung in das Zimmer, in das sich die zwei Freunde zurückgezogen hatten.
«Wein!«sprach Athos, als er den Wirth erblickte. — »Wein!«rief der Wirth ganz außer sich.»Wein! Ihr habt mir für mehr als hundert Pistolen getrunken, ich bin ein geschlagener, verlorener zu Grunde gerichteter Mann!«—»Bah!«sagte Athos,»unser Durst ist immer gleich geblieben.«—»Wenn Ihr Euch nur mit dem Trinken begnügt hättet, aber Ihr habt alle Flaschen zerbrochen.«—»Ei, warum mußtet Ihr mich aus einen Haufen treiben, der herunterrumpelte? Das ist Euer Fehler.«—»All mein Oel ist zu Grunde gegangen.«—»Das Oel ist ein vortrefflicher Balsam für die Wunden, und der arme Grimaud mußte doch die, welche Ihr ihm beigebracht habt, ein wenig einschmieren.«—»Alle meine Würste sind aufgegessen.«— Es gibt eine ungeheure Menge Ratten in diesem Keller.«—»Ihr werdet mir Alles bezahlen, «rief der Wirt verzweiflungsvoll. — »Dreifacher Schurke, «sagte Athos aufstehend, aber er fiel sogleich wieder zurück und gab dadurch einen Maßstab von seinen Kräften. D'Artagnan kam ihm, die Reitpeitsche schwingend, zu Hülfe.
Der Wirth wich einen Schritt zurück und machte sich durch einen Thränenstrom Luft.
«Das wird Euch die Gäste, welche Euch Gott schickt, auf eine höflichere Weise behandeln lehren, «sprach d'Artagnan.
«Gott schickt? sagt lieber der Teufel.«
«Mein lieber Freund, «erwiederte d'Artagnan,»wenn Ihr unsere Ohren noch länger peinigt, so schließen wir uns alle vier in den Keller ein, und wir werden dann sehen, ob der Schaden wirklich so groß ist, als Ihr sagt.«
«Ja, ja, «sprach der Wirth,»ich gestehe, ich habe Unrecht, aber es gibt Gnade und Barmherzigkeit für jede Sünde. Ihr seid vornehme Herren und ich bin ein armer Wirth; Ihr werdet Mitleid mit mir haben.«
«Ah! wenn Du so sprichst, «sagte Athos,»so zerreißest Du mir das Herz, und die Thränen entströmen meinen Augen, wie der Wein deinen Fässern entströmte. Man ist kein so eingefleischter Teufel, wie man aussieht. Komm her, schwatzen wir miteinander.«
Der Wirth trat unruhig näher.
«Komm her, sage ich Dir, und fürchte Dich nicht, «fuhr Athos fort.»In dem Augenblick, wo ich Dich bezahlen wollte, hatte ich meine Börse auf den Tisch gelegt.«—»Ja, gnädiger Herr.«—»Diese Börse enthielt sechszig Pistolen; wo ist sie!«—»In der Gerichtskanzlei deponirt; man sagte, es sei falsche Münze.«—»Gut! laß Dir meine Börse zurückgeben und behalte die sechszig Pistolen.«—»Aber, der gnädige Herr weiß doch, daß die Gerichtskanzlei nichts mehr zurückgibt, was sie einmal in ihrer Kasse hat; wenn es falsche Münze wäre, dann dürfte man noch hoffen, aber leider sind es gute Goldstücke.«—»Mach das mit der Kanzlei ab, mein braver Mann; darum kümmere ich mich um so weniger, als mir kein Livre mehr übrig bleibt.«—»Hört, «sagte d'Artagnan,»wo ist das alte Pferd von Athos?«—»Im Stalle.«—»Wie viel ist es werth?«—»Höchstens fünfzig Pistolen.«—»Es ist achtzig wert, nimm es und Alles ist abgethan'«—»Wie, Du verkaufst mein Pferd?«sprach Athos,»Du verkaufst meinen Bajazet? und auf was soll ich den Feldzug machen? auf Grimaud?«—»Ich bringe Dir ein anderes, «sagte d'Artagnan. — »Ein herrliches!«rief der Wirth. — »Wenn ein schöneres und jüngeres für mich vorhanden ist, so nimm das alte, und — jetzt Wein her!«—»Von welchem?«fragte der Wirth wieder erheitert. — »Von dem, welcher hinten bei den Latten liegt; es sind noch fünfundzwanzig Flaschen davon übrig; die andern zerbrachen insgesammt bei meinem Sturze. Rasch hinab!«—»Das ist ein wahrer Teufelskerl von einem Menschen, «sagte der Wirth bei Seite; bleibt er nur vierzehn Tage hier und bezahlt Alles, was er trinkt, so bin ich wieder geborgen.«—»Und vergiß nicht, «fuhr d'Artagnan fort,»vier Flaschen von demselben zu den englischen Herren hinaus zu tragen.«—»Nun, mein Freund, «sprach Athos,»während er den Wein holt, erzähle mir, was aus den Anderen geworden ist; laß hören.«
D'Artagnan theilte ihm mit, wie er Porthos mir einer Quetschung im Bette, und Aramis an einem Tische zwischen zwei Theologen gefunden hatte. Als er seine Erzählung endigte, erschien der Wirth mit den verlangten Flaschen und mit einem Schinken, der zu seinem Glück außerhalb des Kellers geblieben war.
«Das ist gut, «sagte Athos sein und d'Artagnans Glas füllend,»so viel von Porthos und Aramis; aber Ihr, mein Freund, was habt Ihr und was ist Euch persönlich begegnet? Ihr seht so trübselig aus.«—»Ach! ich bin wahrlich der Unglücklichste von uns Allen.«—»Du unglücklich, d'Artagnan?«sprach Athos.»Laß hören, sprich, auf welche Art bist Du unglücklich?«—»Später, «sagte d'Artagnan. — »Später, und warum später? weil Du glaubst, ich sei betrunken, d'Artagnan? Merke Dir wohl, ich habe nie klarere Ideen, als wenn ich im Wein schwimme. Sprich also, ich bin ganz Ohr.«
D'Artagnan erzählte sein Abenteuer mit Madame Bonacieux. Athos hörte ihm zu, ohne eine Miene zu verändern; als er vollendet hatte, rief der Musketier:
«Erbärmlichkeiten, lauter Erbärmlichkeiten!«
«Erbärmlichkeiten! das ist immer Euer Wort, «sprach d'Artagnan;»das steht Euch sehr schlecht. Euch, der Ihr nie geliebt habt.«
Das todte Auge von Athos flammte plötzlich, aber es war nur ein Blitz; es wurde wieder matt, wie vorher.
«Das ist wahr, «sagte er ruhig,»ich habe nie geliebt.«—»Ihr seht also wohl, Marmorseele, «sprach d'Artagnan,»daß Ihr Unrecht habt, gegen uns, die wir ein zärtlich Herz besitzen, hart zu sein.«—»Zärtliches Herz, durchlöchertes Herz.«—»Was sagt Ihr da?«—»Ich sage, daß die Liebe eine Lotterie ist, wo derjenige, welcher gewinnt, den Tod gewinnt. Glaubt mir, mein lieber d'Artagnan, Ihr seid sehr glücklich, daß Ihr verloren habt. Wenn ich Euch rathen soll, so verliert immer.«—»Sie hatte das Ansehen, als liebte sie mich so sehr.«—»Sie hatte das Ansehen.«—»Oh! sie liebte mich.«—»Kind! es gibt keinen Menschen, der nicht geglaubt hätte, sein Liebchen liebe ihn, und der nicht von seiner Geliebten betrogen worden wäre.«—»Euch ausgenommen, Athos, der Ihr nie geliebt habt.«—»Das ist wahr, «sprach Athos nach kurzem Stillschweigen,»ich habe nie geliebt. Laß uns trinken.«—»Aber unterstützt mich, belehrt mich, Ihr, der Ihr ein Philosoph seid, «sprach d'Artagnan,»ich bedarf der Weisheit und des Trostes.«—»Des Trostes, worüber?«—»Ueber mein Unglück.«—»Euer Unglück macht mich lachen, «sagte Athos die Achseln zuckend,»ich möchte wohl wissen, was Ihr sagtet, wenn ich Euch eine Liebesgeschichte erzählen würde.«—»Die Euch begegnet ist?«—»Oder einem von meinen Freunden, was ist daran gelegen?«—»Sprecht, Athos, sprecht.«—»Wir wollen trinken, das wird besser sein.«—»Trinkt und erzählt.«—»Wirklich, das läßt sich machen, «sagte Athos, sein Glas leerend und wieder füllend;»diese zwei Dinge gehen vortrefflich zusammen.«
Athos sammelte sich, aber je mehr er sich sammelte, desto bleicher sah ihn d'Artagnan werden; er hatte die Periode der Trunkenheit erreicht, wo gewöhnliche Trinker fallen und einschlafen.
«Ihr wollt es durchaus haben?«fragte er.
«Ich bitte Euch darum, «sagte d'Artagnan.
«Euerem Wunsche soll willfahrt werden. Einer von meinen Freunden, hört Ihr wohl? nicht ich, «sprach Athos sich mit einem düstern Lächeln unterbrechend;»einer von den Grafen meiner Provinz, das heißt im Berry, hochgeboren wie ein Dandolo oder ein Montmorency, verliebte sich in seinem fünfundzwanzigsten Jahr in ein sechszehnjähriges Mädchen, das so schön war wie eine Liebesgöttin. Durch die Naivetät ihres Alters leuchtete ein glühender Geist, kein Frauengeist, sondern ein Dichtergeist; sie gefiel nicht, sie berauschte; sie lebte in einem kleinen Dorf bei ihrem Bruder, der Pfarrer war. Beide waren in die Gegend gekommen, ohne daß man wußte, woher; aber wenn man sah, wie schön sie, und wie fromm ihr Bruder war, so dachte man nicht daran, sie zu fragen, woher sie kämen. Ueberdies behauptete man, sie seien von guter Herkunft. Mein Freund, welcher der Gebieter dieser Ländereien war, hätte sie nach seinem Belieben verführen oder mit Gewalt wegnehmen können, denn er war der Herr; wer wäre zwei Fremden, zwei Unbekannten zu Hülfe gekommen? Zu seinem Unglück war er ein ehrlicher Mann und heirathete sie. Der Narr, der Dummkopf, der Tropf!«
«Aber warum dies, da er sie liebte?«fragte d'Artagnan.
«Nur Geduld, «erwiederte Athos.»Er führte sie in sein Schloß und machte sie zur ersten Dame der Provinz; und man muß ihr hierin Gerechtigkeit widerfahren lassen; sie wußte ihren Rang vortrefflich zu behaupten.«
«Nun?«fragte d'Artagnan.
«Nun! eines Tages, als sie mit ihm auf der Jagd war, «fuhr Athos mit gedämpfter Stimme und sehr schnell sprechend fort,»fiel sie vom Pferde und wurde ohnmächtig; der Graf eilte ihr zu Hülfe, und da sie in ihren Kleidern beinahe erstickte, so schlitzte er diese mit seinem Dolche und entblößte ihre Schulter. Errathet, was sie auf ihrer Schulter hatte, d'Artagnan?«
«Kann ich es wissen?«
«Eine Lilie, «sprach Athos.»Sie war gebrandmarkt. «Und Athos leerte mit einem Zuge das Glas aus, das er in der Hand hatte.
«Gräßlich!«rief d'Artagnan,»was erzählt Ihr mir da?«
«Die Wahrheit, mein Lieber. Der Engel war ein Teufel. Das arme Mädchen hatte gestohlen.«
«Und was that der Graf?«
«Der Graf war ein hoher Herr; er hatte auf seinen Gütern die hohe und die niedere Gerichtsbarkeit; er zerriß die Kleider der Gräfin vollends, band ihr die Hände auf den Rücken und knüpfte sie an einem Baume auf.«
«Himmel! Athos, ein Mord!«rief d'Artagnan.
«Ja, ein Mord, nicht mehr «sprach Athos bleich wie der Tod.»Aber es scheint, es fehlt uns an Wein.«
Und er ergriff die letzte Flasche, welche noch übrig war, am Halse, setzte sie an den Mund und leerte sie auf einen Zug, als wäre es ein gewöhnliches Glas gewesen.
Dann ließ er den Kopf zwischen seine beiden Hände sinken, d'Artagnan aber blieb stumm vor Schrecken.
«Das heilte mich von allen Frauen, von den schönen, von den poetischen und von den verliebten, «sprach Athos sich wieder erhebend und ohne daran zu denken, die Fabel von dem Grafen fortzusetzen.»Gott gewähre Euch eben so viel! Trinken wir!«
«Sie ist also todt?«stammelte d'Artagnan.
«Beim Teufel!«erwiederte Athos.»Doch reicht mir Euer Glas. Schinken, Schuft!«rief er.»Wir können nicht mehr trinken!«
«Aber ihr Bruder?«fügte d'Artagnan schüchtern bei.
«Ihr Bruder?«versetzte Athos.
«Ja, der Priester.«
«Ich schickte nach ihm, um ihn ebenfalls aufhängen zu lassen, aber er war mir zuvorgekommen und hatte seinen Pfarrhof am Abend zuvor verlassen.«
«Wußte man, wer der Elende war?«
«Er war der erste Liebhaber und der Mitschuldige der Schönen, ein würdiger Mann, der sich den Anschein gab, als wäre er Pfarrer, um sie zu verheirathen und ihr eine Zukunft zu sichern; er wird hoffentlich geviertheilt worden sein.«
«Oh! mein Gott! mein Gott!«rief d'Artagnan ganz betäubt von dieser furchtbaren Begebenheit.
«Eßt doch von diesem Schinken, d'Artagnan, er ist vortrefflich, «sagte Athos und legte eine Schnitte auf den Teller des jungen Mannes.»Wie Schade, daß nicht wenigstens nur vier wie dieser in dem Keller gewesen sind! Ich hätte fünfzig Flaschen mehr getrunken.«
D'Artagnan vermochte dieses Gespräch nicht länger zu ertragen, denn es hätte ihn toll gemacht, er ließ den Kopf auf seine Hände sinken und stellte sich als entschliefe er.
«Die jungen Leute können nicht mehr trinken, «sprach Athos und schaute ihn mitleidig an, und doch ist dieser noch einer von den besten!..«
XXVIII. Rückkehr
D'Artagnan blieb ganz betäubt durch die furchtbare Mittheilung von Athos. Es erschienen ihm noch sehr viele Dinge dunkel in dieser halben Offenbarung. Vor Allem war sie von einem völlig betrunkenen Menschen, einem halb Betrunkenen gemacht worden. Aber trotz der Schwankung, welche durch den Dunst von zwei oder drei Flaschen Burgunder im Gehirn entsteht, war d'Artagnan, als er am andern Morgen erwachte, jedes Wort noch so gegenwärtig, als ob die Sylben, wie sie von dem Mund des Einen fielen, in den Geist des Andern eingezeichnet worden wären. Der Zweifel, der sich in ihm regte, erzeugte ein noch viel lebhafteres Verlangen, Gewißheit zu bekommen, und er begab sich zu seinem Freund in der besten Absicht, das Gespräch am vorigen Abend wieder anzuknüpfen, aber er fand Athos bereits wieder in den feinsten, undurchdringlichsten Menschen umgewandelt.
Der Musketier, nachdem er einen Händedruck und ein Lächeln mit ihm ausgetauscht hatte, kam ihm indessen zuvor.
«Ich war gestern sehr betrunken, mein lieber d'Artagnan, «rief er,»ich fühlte dies heute Morgen an meiner immer noch etwas schweren Zunge und an meinem aufgeregten Pulse. Ich wette, daß ich tausenderlei närrische Dinge preisgegeben habe.«
Während er diese Worte sprach, schaute er seinen Freund so fest an, daß dieser dadurch in Verlegenheit gerieth.
«Nicht doch, «erwiederte d'Artagnan,»und wenn ich mich recht erinnere, so habt Ihr nichts Außerordentliches gesprochen.
«Ah, Ihr setzt mich in Erstaunen. Ich glaubte Euch eine höchst klägliche Geschichte erzählt zu haben, «und dabei sah er den jungen Mann an, als wollte er in der Tiefe seiner Seele lesen.
«Meiner Treu', «sprach d'Artagnan,»es scheint, ich war noch betrunkener als Ihr, da ich mir gar nicht mehr erinnern kann.«
Athos ließ sich nicht mit diesen Worten abspeisen, sondern versetzte:
«Es kann Euch nicht entgangen sein, mein lieber Freund, daß jeder seine eigene Art von Trunkenheit bat: der Eine, eine lustige, der Andere eine traurige. Ich habe sie traurige Trunkenheit, und wenn ich einmal weingrün bin, so ist es meine Manier, alle trübselige Geschichten zu erzählen, die mir meine alberne Amme in das Hirn gepflanzt hat. Das ist mein Fehler, ein Hauptfehler, ich gestehe es zu; aber abgesehen davon bin ich ein guter Trinker.«
Athos sagte dies auf eine so natürliche Weise, daß d'Artagnan in seiner Ueberzeugung erschüttert wurde.
«O! das ist es, in der That, «sprach der junge Mann, der hinter die Wahrheit zu kommen suchte.»Dergleichen ist es. Ich erinnere mich, wie man sich eines Traumes erinnert, daß wir von Gehenkten gesprochen haben.«—»Ah, Ihr seht wohl, «sagte Athos erbleichend, während er zu lächeln suchte,»ich wußte es, die Gehenkten sind mein Alp.«—»Ja, ja, «entgegnete d'Artagnan,»das Gedächtnis kehrt wieder bei mir ein: es war die Rede… wartet nur… es war die Rede von einer Frau.«—»Seht, «erwiederte Athos beinahe bleifarbig geworden,»das ist meine große Geschichte von der blonden Frau. Wenn ich diese erzähle, bin ich bis zur Bewußtlosigkeit betrunken.«—»Ja, das ist es, «sagte d'Artagnan,»die Geschichte von der blonden Frau, groß und schön mit blauen Augen.«—»Ja, und gehenkt.«—»Durch ihren Gatten, der ein hoher Herr von Eurer Bekanntschaft war, «fuhr d'Artagnan, seinen Freund fest anschauend, fort. — »Seht Ihr, wie man einen Menschen bloßstellen kann, wenn man nicht mehr weiß, was man sagt, «fuhr Athos fort und zuckte die Achseln, als ob er sich selbst bemitleidete.»Gewiß, ich will mich nicht mehr betrinken, d'Artagnan, es ist eine gar zu schlechte Gewohnheit. Bald hätte ich vergessen, «fügte er hinzu,»ich danke Euch für das Pferd, das Ihr mir mitgebracht habt.«—»Gefällt es Euch?«—»Ja, aber es ist kein Pferd für Strapazen.«—»Ihr täuscht Euch. Ich habe zehn Meilen in weniger als anderthalb Stunden mit ihm ge macht, und es schien nicht mehr ermüdet, als wenn es einmal auf der Place Saint-Sulpice im Kreise umher geritten worden wäre.«—»Ei, ei, das ist sehr ärgerlich.«—»Aergerlich?«—»Ja, ich habe mich desselben entäußert.«—»Wie dies?«—»Hört: als ich diesen Morgen um sechs Uhr erwachte, schlieft Ihr wie ein Dachs, und ich wußte nicht, was ich machen sollte. Ich war noch ganz verdumpft von unserer gestrigen Schwelgerei. Ich ging in den großen Saal hinab und sah einen von unfern Engländern, der mit einem Roßtäuscher um ein Pferd handelte. Dem seinigen war ein Blutgesäß gesprungen. Ich nähere mich ihm und sage, als ich gewahr wurde, daß er hundert Pistolen für einen Schweißfuchs bot: ›Bei Gott, mein edler Herr, ich habe auch ein Pferd zu verkaufen.‹ — ›Und zwar ein sehr schönes,‹ sprach er. ›Ich habe es gestern gesehen. Der Knecht Eures Freundes führte es an der Hand.‹ — ›Glaubt Ihr, es sei hundert Pistolen werth?‹ — ›Ja. Wollt Ihr es mir um diesen Preis geben?‹ — ›Nein, aber ich spiele mit Euch darum.‹ — ›Wie?‹ — ›Mit Würfeln.‹ —»Gefugt gethan, und ich habe das Pferd verloren. «Doch hört wohl, «fuhr Athos fort,»die Decke habe ich wieder gewonnen.«
D'Artagnan machte eine ziemlich verdrießliche Miene.
«Das ist Euch unangenehm?«sprach Athos.
«Allerdings, ich muß es Euch gestehen, «erwiederte d'Artagnan.»Dieses Pferd sollte dazu dienen, uns an einem Schlachttag kenntlich zumachen; es war ein Pfand, ein Andenken. Athos, Ihr habt Unrecht gehabt.«
«Ei, mein lieber Freund, versetzt Euch an meine Stelle, «entgegnete der Musketier,»ich langweilte mich zum Sterben, und dann auf Ehre, ich liebe die englischen Pferde nicht. Hört, wenn es sich nur darum handelt, von irgend Jemand erkannt zu werden, so wird der Sattel genügen. Er ist auffallend genug. Was das Pferd betrifft, so werden wir irgend eine Entschuldigung finden, um sein Verschwinden zu rechtfertigen. Was Teufels! ein Pferd ist sterblich. Gesetzt, das meine hätte den Wurm oder den Rotz bekommen!«
D'Artagnan's Antlitz erheiterte sich nicht.
«Es ist mir verdrießlich, «fuhr Athos fort,»daß Ihr so viel auf diese Thiere zu halten scheint, denn ich bin mit meiner Geschichte noch nicht zu Ende.«—»Was habt Ihr weiter noch gemacht?«—»Nachdem ich mein Pferd verloren hatte, neun gegen zehn, (seht, was für ein Wurf!) kam mir der Gedanke, um das Eurige zu spielen.«—»Ja, aber es blieb doch hoffentlich bei dem Gedanken?«—»Nein, ich brachte ihn sogleich in Ausführung.«—»Ah, den Henker!«rief d'Artagnan unruhig. — »Ich spielte und verlor.«—»Mein Pferd?«—»Euer Pferd, sieben gegen acht; um ein Auge… Ihr kennt das Sprichwort?«—»Athos, ich schwöre, Ihr seid nicht bei Vernunft.«—»Mein Lieber, das hättet Ihr mir gestern sagen sollen, als ich Euch die tollen Geschichten erzählte, und nicht heute. Ich verlor es also sammt Sattel und Zeug.«—»Aber das ist abscheulich!«—»Nur Geduld, Ihr habt Unrecht. Ich wäre ein vortrefflicher Spieler, wenn ich nicht hartnäckig würde, aber das ist der Fall, wie beim Trinken. Ich wurde also hartnäckig.«—»Aber um was konntet Ihr denn spielen? Es blieb Euch ja nichts mehr übrig.«—»Allerdings, mein Freund, es blieb Euch noch der Diamant übrig, der an Eurem Finger glänzt und den ich gestern bemerkt hatte.«—»Dieser Diamant!«rief d'Artagnan, und fuhr mit der Hand an seinen Ring. — »Und da ich Kenner bin, insoferne ich einige für eigene Rechnung besessen hatte, schätzte ich ihn auf tausend Pistolen.«—»Ich hoffe «sprach d'Artagnan halbtodt vor Schrecken,»Ihr erwähntet meines Diamants nicht?«—»Im Gegentheil, lieber Freund, Ihr begreift doch, daß dieser Diamant unser einziges Rettungsmittel war. Mit ihm konnte ich unser Reitzeug, unsere Pferde, und sogar Geld für die Reise wieder gewinnen.«—»Athos, Ihr macht mich zittern!«rief d'Artagnan. — »Ich sprach also von Eurem Diamant mit meinem Gegenspieler, der ihn ebenfalls wahrgenommen hatte. Was Teufel, mein Lieber, Ihr tragt an Eurem Finger einen Stern des Himmels und wollt, man soll nicht darauf aufmerksam werden? Unmöglich.«—»Vollendet, mein Lieber, vollendet!«sprach d'Artagnan,»denn auf Ehre, Ihr bringt mich um mit Eurer Kaltblütigkeit.«—»Wir theilten also diesen Diamant in zehn Theile von je hundert Pistolen.«—»Ah, Ihr wollt scherzen und mich auf die Probe stellen, «sagte d'Artagnan, den der Zorn zu ersticken drohte. — »Nein, ich scherze nicht, Mord und Teufel! Ich hätte Euch wohl sehen mögen! Vierzehn Tage lang hatte ich kein menschliches Antlitz zu Gesicht bekommen, und war durch dieses ewige Umarmen der Weinflaschen rauhborstig geworden.«—»Das ist kein Grund, um meinen Ring auf das Spiel zu setzen, «entgegnete d'Artagnan, die Hand krampfhaft zusammenpressend. — »Hört also das Ende. Zehn Theile zu hundert Pistolen, ohne Revanche. Auf dreizehn Würfe verlor ich Alles. Auf dreizehn Würfe! Dreizehn ist immer eine Unglückszahl für mich gewesen; es geschah am 13. Juli, daß…«—»Tod und Teufel!«rief d'Artagnan aufspringend; die Geschichte dieses Tages machte ihn die des vorhergehenden vergessen. — »Geduld, «sprach Athos,»ich hatte einen Plan. Der Engländer war ein Original. Ich sah ihn am Morgen mit Grimaud plaudern, und dieser meldete mir, er habe ihm den Antrag gemacht, er möge in seine Dienste treten. Ich spiele mit ihm um Grimaud, den stillschweigenden Grimaud, in zehn Portionen getheilt.«—»Ah, Gottes Wunder!«rief d'Artagnan und brach in ein lautes Gelächter aus. — »Grimaud selber, hört Ihr wohl, und mit den zehn Theilen von Grimaud, der nicht ganz einen Dukaten werth ist, gewinne ich den Diamant wieder. Sagt mir also noch einmal, die Beharrlichkeit sei keine Tugend.«—»Meiner Treue! das ist drollig!«rief d'Artagnan getröstet, und hielt sich vor Lachen die Seiten. — »Ihr begreift, daß ich, als ich mich wieder bei Kräften fühlte, abermals um den Diamant zu spielen anfing.«—»Ah, Teufel!«sagte d'Artagnan verdüstert. — »Ich gewann Euer Reitzeug wieder und dann Euer Pferd, dann mein Reitzeug, dann mein Pferd, und verlor abermals. Kurz, ich habe Euer Reitzeug wieder bekommen und das meinige. Und so stehen nun die Sachen. Das war ein vortrefflicher Wurf, und ich blieb dabei.«
D'Artagnan athmete, als ob man ihm das ganze Wirthshaus von der Brust genommen hätte.
«Der Diamant bleibt mir also?«sprach er schüchtern. –
«Unberührt, mein lieber Freund. Auch das Reitzeug Eueres Bucephalus und des meinigen.«—»Aber was sollen wir mit dem Reitzeug ohne Pferd machen?«—»Ich habe hierüber einen Gedanken.«—»Athos, Ihr macht mich beben.«—»Hört: Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, d'Artagnan!«—»Und ich habe auch keine Lust zu spielen.«—»Verschwören wir nichts. Ihr habt seit langer Zeit nicht mehr gespielt, sagte ich, Ihr müßt folglich eine glückliche Hand haben.«—»Gut, und hernach?«—»Gut, der Engländer und sein Gefährte sind noch hier. Ich bemerkte, daß es ihnen sehr leid thut, unser Reitzeug nicht zu besitzen. Ihr scheint viel auf Euer Pferd zu halten. An Euerer Stelle würde ich um Euer Reitzeug gegen Euer Pferd spielen.«—»Aber er wird nicht um ein einziges Reitzeug wollen.«—»Spielt um beide. Bei Gott, ich bin kein Egoist, wie Ihr.«—»Ihr würdet dies thun?«sagte d'Artagnan unentschlossen, so sehr wurde er unwillkürlich von der Zuversichtlichkeit seines Freundes angesteckt. — »Bei meinem Ehrenwort, auf einen Wurf!«—»Da ich die Pferde verloren habe, so muß mir sehr viel daran liegen, wenigstens das Reitzeug zu behalten.«—»So spielt um Euern Diamant.«—»O, das ist ein ander Ding; nie, nie!«—»Teufel!«sprach Athos,»ich würde Euch vorschlagen, um Grimaud zu spielen; da dies aber bereits geschehen ist, so wird der Engländer ohne Zweifel nicht mehr wollen.«—»Entschieden, mein lieber Athos, «sagte d'Artagnan,»ich will lieber gar nichts mehr wagen.«—»Das ist Schade, «sprach Athos kalt.»Der Engländer ist ganz gespickt mit Pistolen. Ei, mein Gott, versucht doch einen Wurf. Ein Wurf ist bald gemacht.«—»Und wenn ich verliere?«—»Ihr werdet gewinnen.«—»Aber wenn ich verliere?«—»Gut, so gebt Ihr ihm unser Reitzeug.«—»Es mag sein, einen Wurf, «sprach d'Artagnan.
Athos suchte den Engländer auf und fand ihn im Stalle, wo er das Reitzeug der Freunde mit lüsternen Augen betrachtete. Die Gelegenheit war günstig. Er machte seine Bedingungen: Beider Reitzeug gegen ein Pferd oder hundert Pistolen nach Belieben. Der Engländer rechnete schnell. Das Reitzeug war wenigstens dreihundert Pistolen werth. Er schlug ein.
D'Artagnan warf die Würfel zitternd und bekam die Zahl drei. Seine Blässe erschreckte Athos, welcher nur die Worte sprach:»Das ist ein trauriger Wurf, Kamerad; Ihr bekommt die Pferde mit Sattel und Zeug, mein Herr.«
Triumphirend nahm sich der Engländer nicht einmal die Mühe, die Würfel zu rollen. Er warf sie auf den Tisch, ohne hinzusehen, so sehr war er von seinem Siege überzeugt. D'Artagnan hatte sich umgedreht, um seinen Verdruß zu verbergen.
«Halt, halt, halt!«sprach Athos in seinem ruhigen Tone.»Das ist ein außerordentlicher Wurf, und ich habe ihn nur viermal in meinen Leben gesehen. Zwei Aß!«
Der Engländer schaute und war wie niedergedonnert. D'Artagnan schaute ebenfalls und wurde roth vor Freude.
›Ja,‹ fuhr Athos fort,»nur viermal: einmal bei Herrn von Crequi, zum zweiten Mal bei mir im Felde, in meinem Schlosse, als ich noch ein Schloß hatte, ein drittes Mal bei Herrn von Treville, und ein viertes Mal in einer Schenke, wo es mich traf und ich dabei hundert Louisd'or nebst einem Abendbrod verlor.«—»Der Herr nimmt also sein Pferd wieder?«sprach der Engländer. — »Allerdings, «sagte d'Artagnan. — »Dann findet keine Revanche statt?«—»Unsere Bedingungen lauteten: keine Revanche, wie Ihr Euch erinnern werdet.«—»Allerdings; das Pferd soll Eurem Bedienten übergeben werden.«»Einen Augenblick, «sagte Athos.»Mit Euerer Erlaubniß, mein Herr, ich wünschte ein Wort mit meinem Freunde zu sprechen.«—»Sprecht!«
Athos nahm d'Artagnan bei Seite.
«Nun?«fragte d'Artagnan.»Was willst Du noch von mir, Versucher? Du willst, daß ich spiele?«—»Ich will, daß Du nachdenkst.«—»Worüber?«—»Du hast das Pferd wieder genommen?«—»Gewiß.«—»Du hast Unrecht. Ich würde die hundert Pistolen nehmen. Du weißt, daß Du um unser Reitzeug gegen das Pferd, oder um hundert Pistolen gespielt hast.«—»Ja.«—»Ich würde die hundert Pistolen nehmen.«—»Gut, und ich nehme das Pferd.«—»Und Ihr habt Unrecht, mein Freund, das wiederhole ich Euch. Was wollen wir mit einem Pferde für uns Beide machen? Ich kann doch nicht hinten aufsitzen, wir würden aussehen, wie zwei Haimonskinder, die ihre Brüder verloren haben. Ihr könnt mich doch nicht so sehr demüthigen, daß Ihr auf diesem prachtvollen Schlachtrosse neben mir herreitet. Ich nähme, ohne einen Augenblick m schwanken, die hundert Pistolen. Wir brauchen Geld, um nach Paris zurückzukommen.«—»Es liegt mir Alles an diesem Pferde, Athos.«—»Und Ihr habt Unrecht mein Freund. Ein Pferd macht einen Seitensprung, ein Pferd bäumt sich und überschlägt, ein Pferd frißt aus einer Krippe, aus der ein rotziges Thier gefressen hat, dann ist ein Pferd, oder vielmehr es sind hundert Pistolen verloren. Ferner muß der Herr sein Pferd ernähren, während im Gegentheil hundert Pistolen ihren Herrn ernähren.«—»Aber wie sollen wir zurückkommen?«—»Auf den Pferden unserer Bedienten. Bei Gott! man wird uns immer noch am Gesicht ansehen, daß wir Leute von Stand sind.«—»Wir werden uns gut ausnehmen auf solchen Mähren, während Aramis und Porthos auf ihren schönen Rossen einherreiten.«—»Aramis! Porthos!«rief Athos und brach in ein schallendes Gelächter aus. — »Was gibt es denn?«fragte d'Artagnan, der die Heiterkeit seines Freundes nicht begreifen konnte. — »Nichts, nichts, fahrt nur fort, «sagte Athos. — »Also Euer Rath…«—»Ist, die hundert Pistolen zu nehmen, d'Artagnan mit den hundert Pistolen können wir schwelgen bis zu dem Ende des Monats. Wir haben Strapazen ausgestanden, seht Ihr wohl, und bedürfen ein wenig der Ruhe.«—»Ich ausruhen? o nein, Athos! Sobald ich in Paris bin, forsche ich wieder nach dieser armen Frau.«—»Wohl, glaubt Ihr etwa, Euer Pferd wäre Euch zu diesem Behufe nützlicher, als schöne Louisd'or? Nehmt die hundert Pistolen, mein Freund, nehmt die hundert Pistolen.«
D'Artagnan bedurfte nur eines Grundes um sich zu fügen, und dieser schien ihm vortrefflich. Ueberdies befürchtete er, in den Augen von Athos egoistisch zu erscheinen, wenn er länger auf seinem Willen beharren würde. Er willigte also ein, und wählte die hundert Pistolen, die ihm der Engländer sogleich ausbezahlte.
Nun dachte man nur an die Abreise, der Friedensschluß mit dem Wirthe kostete außer dem alten Pferd von Athos sechs Pistolen. D'Artagnan und Athos nahmen die Pferde von Planchet und Grimaud. Die zwei Bedienten begaben sich, die Sättel auf ihren Köpfen tragend, zu Fuß auf den Weg.
So schlecht beritten die Freunde auch waren, so gewannen sie doch bald einen Vorsprung vor ihren Lakaien und langten in Crevecoeur an. Sie erblickten von ferne Aramis, der sich schwermüthig auf ein Fenstergesimse stützte und nachschaute, wie der Horizont in eine Staubwolke gehüllt wurde.
«He, holla, Aramis! was macht Ihr denn da?«riefen die zwei Freunde.
«Ah, Ihr seid es, d'Artagnan, Ihr seid es, Athos?«sprach der junge Mann.»Ich dachte darüber nach, mit welcher Schnelligkeit die Güter dieser Welt verschwinden. Mein englisches Roß, das sich von hier entfernte, und eben in einem Staubwirbel verschwunden ist, war mir ein lebendiges Bild von der Hinfälligkeit aller irdischen Dinge. Das Leben läßt sich in die drei Worte auflösen: fuit. est. erit.«—»Das will sagen?«fragte d'Artagnan, der die Wahrheit zu ahnen anfing. — »Das will sagen, daß ich so eben einen albernen Handel abgeschlossen habe. Sechszig Louisd'or um ein Pferd, das nach seinem Gange zu schließen wenigstens fünf Meilen in einer Stunde zurücklegen kann.«
D'Artagnan und Athos brachen in ein Gelächter aus.
«Mein lieber d'Artagnan, «sagte Aramis,»seid mir nicht zu sehr gram, ich bitte Euch. Noth kennt kein Gebot. Ueberdies bin ich am meisten gestraft, da mich dieser heillose Roßhändler wenigstens um fünfzig Louisd'or betrogen hat. Ah! Ihr seid gute Haushalter, Ihr Beiden. Ihr reitet auf den Pferden Eurer Lakaien, und laßt Euch Eure Luxuspferde sachte und in kleinen Tagemärschen an der Hand nachführen.«
In demselben Augenblick hielt ein Frachtwagen, den man seit einigen Minuten auf der Straße von Amiens erblickte, vor dem Gasthofe an, und man sah Grimaud und Planchet, ihre Sättel auf dem Kopfe, aussteigen. Der Frachtwagen kehrte leer nach Paris zurück, und die zwei Lakaien hatten sich anheischig gemacht, den Fuhrmann auf dem ganzen Wege zechfrei zu halten, wenn er sie mitnehmen würde.
«Was ist das? was soll das bedeuten?«sagte Aramis, als er sah, was vorging.»Nur die Sättel?«—»Begreift Ihr nun?«sprach Athos. — »Meine Freunde, das ist gerade, wie bei mir. Ich habe Sattel und Zeug instinktmäßig behalten. Holla, Bazin, trage mein neues Reitzeug zu denen der beiden Herren.«—»Und was habt ihr mit euren Doktoren gemacht?«fragte d'Artagnan.
«Mein Lieber, ich habe sie am andern Tag zum Mittagessen eingeladen, «sprach Aramis.»Es gibt hier, beiläufig gesagt, vortrefflichen Wein. Ich machte sie, so gut es mir möglich war, betrunken, dann verbot mir der Pfarrer, die Uniform abzulegen, und der Jesuit bat mich, ihn unter die Musketiere aufnehmen zu lassen!«—»Ohne These, «rief d'Artagnan,»ohne These! Ich verlange die Unterdrückung der These.«
«Von da an lebte ich angenehm, «fuhr Aramis fort.»Ich fing ein Gedicht in einsilbigen Versen an, das ist schwierig, aber das Verdienst liegt bei jeder Sache in der Schwierigkeit. Der Stoff ist galanter Natur; ich werde Euch den ersten Gesang vorlesen. Er hat vierhundert Verse und dauert eine Minute.«
«Meiner Treue, mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan, der die Verse beinahe eben so sehr haßte, als das Latein,»fügt dem Verdienste der Schwierigkeit noch das der Kürze bei, und Ihr könnt wenigstens überzeugt sein, daß es zwei Verdienste haben wird.«
«Ein drittes besteht darin, «fuhr Aramis fort,»daß es redliche Leidenschaften athmet. Wir kehren nach Paris zurück? Bravo! Ich bin bereit! Wir werden also den guten Porthos wieder sehen? Desto besser! Ihr glaubt nicht, wie sehr er mir fehlte, dieser große Pinsel. Ich sehe ihn so gerne in seiner Selbstzufriedenheit, das söhnt mich mit mir aus. Er wird sein Pferd nicht verkauft haben, und wäre es auch gegen ein Königreich! Es ist mir, als ob ich ihn vor mir hätte, auf seinem schönen Thier und seinem glänzenden Sattel. Er sieht gewiß aus, wie ein Großmogul.«
Man hielt eine Stunde an, um die Pferde ausschnaufen zu lassen. Aramis bezahlte seine Rechnung, brachte Bazin bei seinen Kameraden im Frachtwagen unter, und man setzte sich in Marsch, um zu Porthos zu gelangen.
Die Freunde fanden ihn beinahe genesen und folglich minder bleich, als er bei d'Artagnans erstem Besuch gewesen war. Er saß vor einem Tische, auf dem, obgleich er allein war, ein Mittagsbrod für vier Personen figurirte; dieses Mittagsbrod bestand aus zierlich zugerichteten Fleischspeisen, ausgesuchten Weinen und vortrefflichem Obst.
«Ah, bei Gott!«sprach er ausstehend,»Ihr kommt wie gerufen, meine Herren. Ich war gerade bei der Suppe und Ihr könnt mit mir zu Mittag speisen.«
«Oh, oh!«rief d'Artagnan,»hat Mousqueton solche Flaschen mit dem Lasso gefangen, dann finde ich hier ein gespicktes Fricandeau und einen Lendenbraten…«
«Ich stärke mich, «sagte Porthos,»ich stärke mich. Nichts schwächt so sehr, als diese verdammten Quetschungen. Habt Ihr schon Quetschungen gehabt, Athos?«
«Niemals, nur erinnere ich mich, daß ich bei unserem Streit in der Rue Ferou einen Degenstich bekam, der nach Verlauf von vierzehn oder acht Tagen genau dieselbe Wirkung hervorbrachte.«
«Aber dieses Mittagsbrod war nicht für Euch allein, mein lieber Porthos, «sagte Aramis.
«Nein, «erwiederte Porthos,»ich erwartete einige Edelleute aus der Nachbarschaft, die mir so eben sagen ließen, sie würden nicht kommen; ihr nehmt ihre Stellen ein, ich verliere nichts bei dem Tausch. Holla, Mousqueton, Stühle! und man verdopple die Flaschen!«
«Wißt Ihr, was wir hier essen?«sagte Athos nach zehn Minuten.
«Bei Gott!«antwortete d'Artagnan,»ich esse gespicktes Kalbfleisch mit Artischocken.«—»Und ich Hammelskeule, «sprach Porthos. — »Und ich Hühnerfricassee, «sagte Aramis. — »Ihr täuscht Euch, meine Herren, «erwiederte Athos ernst.»Ihr verspeist Pferdefleisch.«—»Geht doch, «rief d'Artagnan. — »Pferdefleisch!«brummte Aramis mit einer Grimasse des Ekels.
Porthos allein antwortete nicht.
«Ja, Pferdefleisch, nicht wahr. Porthos, wir speisen Pferdefleisch, und vielleicht Sattel und Zeug dazu?«
«Nein, meine Herren, ich habe das Reitzeug behalten, «sagte Porthos.
«Meiner Treue, von uns ist einer so gut wie der andere, «rief Aramis;»es ist, als ob wir uns das Wort gegeben hätten.«
«Was wollt Ihr, dieses Pferd beschämte meine Gäste und ich wollte sie nicht demüthigen.«
«Und dann ist Euere Herzogin immer noch in den Bädern, nicht wahr?«fragte d'Artagnan.
«Immer noch, «erwiederte Porthos.»Auch schien der Gouverneur der Provinz, einer von den Edelleuten, die ich heute zum Mittagsbrod erwartete, ein so großes Verlangen darnach zu haben, daß ich es ihm schenkte.«—»Geschenkt, «rief d'Artagnan.
«Oh! mein Gott, ja, geschenkt, das ist das rechte Wort, «sprach Porthos,»es war wenigstens hundert und fünfzig Louisd'or werth und der Knicker wollte mir nicht mehr dafür geben, als achtzig.«—»Ohne den Sattel?«sagte Aramis. — »Ja, ohne den Sattel.«
«Ihr bemerkt, meine Herren, «sprach Athos,»daß Porthos abermals den besten Handel von uns allen gemacht hat.«
Dann entstand ein schallendes Gelächter, wodurch der arme Porthos ganz verdutzt wurde, aber man erzählte ihm bald die Ursache dieser Heiterkeit, an der er, seiner Gewohnheit gemäß, geräuschvollen Antheil nahm.
«Auf diese Art sind wir also alle bei Kasse, «sagte d'Artagnan. — »Was mich betrifft, «entgegnete Athos,»ich fand den spanischen Wein von Aramis so gut, daß ich sechzig Flaschen in den Frachtwagen der Bedienten packen ließ, was meinen Baarbestand gewaltig geschmälert hat.«—»Und ich, «sprach Aramis,»stellt Euch vor, daß ich meinen letzten Sou der Kirche von Montdidier und den Jesuiten von Amiens geschenkt, daß ich überdies Verbindlichkeiten eingegangen hatte, welche erfüllt werden mußten: ich habe für mich und Euch, meine Herren, Messen bestellt, die man lesen wird, und bei denen wir uns, wie ich gar nicht zweifle, vortrefflich befinden werden.«—»Und ich, «sagte Porthos,»glaubt Ihr, meine Quetschung habe nichts gekostet? Die Wunde Mousquetons nicht zu rechnen, für den ich jeden Tag zweimal den Chirurgen kommen lassen mußte.«—»Wohl, wohl, «versetzte Athos, mit d'Artagnan und Aramis ein Lächeln austauschend,»ich sehe, daß Ihr Euch sehr großmüthig gegen den armen Burschen benommen habt. So benimmt sich nur ein guter Herr.«—»Kurz, wenn ich meine Rechnung bezahlt habe, werden mir höchstens dreißig Thaler übrig bleiben.«—»Und mir ungefähr zehn Pistolen, «sprach Aramis. — »Es scheint, wir sind die Krösusse der Gesellschaft, «sagte Athos,»wie viel habt ihr noch von Eueren hundert Pistolen übrig?«—»Von meinen hundert Pistolen? Erstlich habe ich Euch fünfzig davon gegeben.«—»Ihr glaubt?«—»Bei Gott!«—»Ah! es ist wahr, ich erinnere mich.«—»Dann habe ich dem Wirthe sechs bezahlt.«—»Welches Vieh, dieser Wirth? Warum habt Ihr ihm sechs Pistolen gegeben?«—»Weil Ihr es mich hießet.«—»Allerdings ich bin zu gut. Kurz, es bleiben übrig?«—»Fünf und zwanzig Pistolen, «antwortete d'Artagnan.«—»Und ich, «sprach Athos, etwas kleine Münze aus der Tasche ziehend,»seht hier.«—»Ihr, nichts.«—»Meiner Treue, oder so wenig, daß es nicht der Mühe werth ist, es zur Masse zu schlagen.«—»Nun wollen wir berechnen, wie viel wir besitzen: Porthos?«—»Dreißig Thaler.«—»Aramis?«—»Zehn Pistolen.«—»Und Ihr, d'Artagnan?«—»Fünf und zwanzig.«—»Das macht im Ganzen?«fragte Athos. — »Vier hundert und fünf und siebenzig Livres, «antwortete d'Artagnan, ein Archimed im Rechnen. — »Bei unserer Ankunft in Paris werden uns immerhin noch vierhundert übrig bleiben, «rief Porthos.»Vortrefflich! doch wir wollen jetzt speisen, der zweite Gang wird kalt.«
Nunmehr über ihre Zukunft beruhigt, erwiesen die vier Freunde dem Mittagsmahl alle Ehre, die Überreste desselben aber wurden den Herren Mousqueton, Bazin, Planchet und Grimaud überlassen.
Als d'Artagnan in Paris ankam, fand er einen Brief von Herr des Essarts, der ihn von dem festen Entschluß Sr. Majestät, am ersten Mai den Feldzug zu eröffnen, benachrichtigte und ihn darauf aufmerksam machte, daß er sich ungesäumt zu equipiren habe.
Er lief sogleich zu seinen Kameraden, die er eine halbe Stunde zuvor verlassen hatte und jetzt sehr traurig, oder vielmehr sehr in Unruhe fand. Sie waren bei Athos im Rathe versammelt, was immer Umstände von ernster Bedeutung ankündigte.
Es hatte wirklich jeder in seiner Wohnung einen ähnlichen Brief von Herrn von Treville erhalten.
Die vier Philosophen schauten sich ganz verdutzt an; Herr von Treville kannte keinen Scherz, was die Disciplin betraf.
«Wie hochschätzt Ihr diese Equipirungen?«fragte d'Artagnan.
«O! das läßt sich so ungefähr sagen, «erwiederte Aramis,»wir haben in diesem Augenblick unsere Rechnung mit spartanischer Knickerei gemacht und gefunden, daß jeder von uns fünfzehnhundert Livres braucht.«
«Vier mal fünfzehn macht sechzig, das sind sechstausend Livres, «sprach Athos.
«Mir scheint, «entgegnete d'Artagnan,»tausend Livres wären hinreichend für Jeden. Ich spreche allerdings nicht als Spartaner, sondern als Procurator…«
Das Wort Procurator erweckte Porthos.
«Halt! ich habe einen Gedanken, «rief er.
«Das ist schon etwas; ich habe nicht einmal einen Schatten von einem Gedanken, «sprach Athos kalt;»aber d'Artagnan ist ein Narr, meine Herren. Tausend Livres! Ich erkläre, daß ich für meine Equipirung allein zweitausend brauche.«
«Vier mal zwei macht acht, «sagte Aramis;»wir brauchen also achttausend Livres, um uns zu equipiren, wobei nicht zu vergessen, daß wir die Sättel bereits haben.«
«Und dann, «sagte Athos, der, um diesen verheißungsreichen Gedanken auszusprechen wartete, bis d'Artagnan, welcher Herrn von Treville danken wollte, die Thüre hinter sich geschlossen hatte,»und dann der schöne Diamant, der am Finger unseres Freundes funkelt. Was Teufels, d'Artagnan ist ein zu guter Kamerad, um Brüder in der Verlegenheit stecken zu lassen, während er an seinem Mittelfinger das Lösegeld für einen König trägt.«
I. Die Equipirungsjagd
Der ängstlichste von den vier Freunden war offenbar d'Artagnan, obgleich dieser in seiner Eigenschaft als Garde viel leichter zu equipiren war, als die Herren Musketiere; aber unser Junker aus der Gascogne hatte, wie man bereits sehen konnte, einen vorsichtigen, etwas geizigen Charakter, und war dabei so eitel, daß er Porthos die Spitze bieten konnte. Mit der Unruhe seiner Eitelkeit verband sich bei d'Artagnan in diesem Augenblick eine minder egoistische Unruhe. Alle Erkundigungen, die er über Madame Bonacieux einzog, blieben erfolglos. Herr von Treville hatte mit der Königin gesprochen; die Königin wußte nicht, wo die junge Frau war, und versprach, sie suchen zu lassen. Aber diese Zusage war sehr unbestimmt und diente d'Artagnan nicht zur Beruhigung.
Athos verließ sein Zimmer nicht; er war entschlossen, keinen Schritt zum Behuf seiner Equipirung zu unternehmen.
«Es bleiben uns vierzehn Tage, «sagte er zu seinen Freunden;»wohl! wenn ich nach Verlauf dieser vierzehn Tage nichts gefunden habe, oder vielmehr, wenn mich nichts aufgesucht hat, so werde ich, da ich ein zu guter Katholik bin, um mir mit einem Pistolenschuß den Hirnschädel zu zerschmettern, einen ehrlichen Streit mit vier Leibwachen Seiner Eminenz oder mit acht Engländern suchen und mich schlagen, bis mich einer tötet, was in Betracht der Quantität nicht ausbleiben kann. Man wird dann sagen, ich sei im Dienste des Königs gestorben, und ich werde meinen Dienst gethan haben, ohne daß ich mich zu equipiren brauche.«
Porthos ging fortwährend, die Hände auf dem Rücken und den Kopf schüttelnd, auf und ab und sagte:
«Ich habe meine Gedanken.«
Aramis sah sorgenvoll und verwahrlost aus, und sprach nichts.
Aus diesen unglücklichen Einzelheiten kann man ersehen, daß Verzweiflung in der Gemeinde herrschte.
Die Lakaien theilten wie die Renner Hippolyts die trübe Stimmung ihrer Herren. Mousqueton kaufte Krustenvorräte ein; Bazin, der stets ein gottesfürchtiger Mann gewesen war, verließ die Kirche nicht mehr; Planchet beobachtete den Flug der Mücken, und Grimaud, den das allgemeine Unglück nicht dazu bringen konnte, daß er das ihm von seinem Herrn auferlegte Stillschweigen gebrochen hätte, stieß Seufzer aus, daß sich die Steine hätten erbarmen mögen.
Die drei Freunde, denn Athos hatte, wie gesagt geschworen, keinen Schritt für seine Equipirung zu thun, die drei Freunde gingen am frühen Morgen aus und kehrten sehr spät nach Hause. Sie irrten in den Straßen umher und betrachteten jeden Pflasterstein, um zu schauen, ob nicht etwa ein Vorübergehender seine Börse habe fallen lassen. Man hätte glauben sollen, sie verfolgen eine Fährte, so aufmerksam waren sie überall, wo sie gingen. Wenn sie sich begegneten, richteten sie verzweiflungsvolle Blicke an einander, welche zu fragen schienen: hast Du etwas gefunden?
Da jedoch Porthos zuerst seinen Gedanken gefunden und diesen sodann mit der größten Beharrlichkeit verfolgt hatte, so war er auch der Erste, der an das Werk ging. Es war ein Mann der Ausführung, dieser würdige Porthos. D'Artagnan bemerkte ihn eines Tags, wie er nach der Saint-Leu-Kirche wandelte, und folgte ihm instinktmäßig. Er trat in den heiligen Ort ein, nachdem er zuvor seinen Schnurrbart in die Höhe gestrichen und den Knebelbart lang gezogen hatte, was von seiner Seite stets äußerst eroberungssüchtige Pläne andeutete. Da d'Artagnan einige Vorsichtsmaßregeln traf, so glaubte Porthos nicht gesehen worden zu sein. Porthos lehnte sich an die eine Seite eines Pfeilers, d'Artagnan, stets unbemerkt, an die andere.
Es wurde gerade eine Predigt gehalten, weßhalb die Kirche sehr voll war. Porthos benützte diesen Umstand, um die Frauen zu beäugeln. In Folge der Bemühungen Mousqueton's kündigte sein Aeußeres entfernt nicht die Trübsal des Innern an. Sein Filzhut war wohl etwas abgetragen, seine Feder wohl etwas verschossen, seine Stickereien wohl etwas matt geworden, seine Spitzen wohl etwas verzerrt; aber in dem Halblicht verschwanden alle diese Bagatellen und Porthos blieb immer der schöne Porthos.
D'Artagnan bemerkte auf einer Bank, zunächst bei dem Pfeiler, an welchem Porthos und er lehnten, eine Art von reifer Schönheit, etwas vergilbt, etwas vertrocknet, aber steif und hochmütig unter ihrer schwarzen Haube. Die Augen unseres Porthos senkten sich verstohlen auf diese Dame und schweiften dann sogleich wieder im Schiff der Kirche umher.
Die Dame, welche von Zeit zu Zeit erröthete, schleuderte mit Blitzesschnelligkeit einen Blick auf den flatterhaften Porthos, und sogleich fing Porthos wieder an, seine Augen mit aller Wuth umher irren zu lassen. Offenbar stachelte dieses Benehmen die Dame mit der Haube ganz ungemein; denn sie biß sich in die Lippen, daß sie bluteten, kratzte sich an der Nase und rückte verzweiflungsvoll auf ihrem Stuhle hin und her.
Als dies Porthos gewahr wurde, strich er seinen Schnurrbart abermals in die Höhe, zog seinen Knebelbart zum zweiten Mal lang und fing an, einer schönen Dame in der Nähe des Chors Zeichen zu machen, einer Dame, die nicht nur eine schöne, sondern auch ohne Zweifel eine vornehme Dame war; denn sie hatte einen Negerknaben, der das Kissen brachte, auf dem sie kniete, und eine Kammerfrau hinter sich, welche die mit einem Wappen gestickte Tasche in der Hand hielt, worin ihr Gebetbuch verwahrt wurde.
Die Dame mit der schwarzen Haube verfolgte den Blick von Porthos in allen seinen Irrfahrten, und erkannte, daß er auf die Dame mit dem Sammetkissen, dem Negerknaben und der Kammerfrau geheftet blieb.
Während dieser Zeit gab sich Porthos nicht die geringste Blöße; er blinzelte mit den Augen, legte die Finger auf seine Lippen und schoß wiederholt ein kleines mörderisches Lächeln ab, welches der verschmähten Schönen wirklich durch Mark und Bein ging.
Sie stieß daher in Form eines mea culpa, und sich an die Brust schlagend, ein so kräftiges Hm! aus, daß alle Welt und sogar die Dame mit dem rothen Kissen sich umwandte; Porthos hielt fest. Er hatte wohl verstanden, aber er spielte den Tauben.
Die Dame mit dem rothen Kissen brachte, denn sie war sehr schön, eine gewaltige Wirkung auf die Dame mit der schwarzen Haube hervor, welche in ihr eine furchtbare Nebenbuhlerin erblickte, eine große Wirkung auch auf Porthos, der sie viel jünger und auch viel hübscher fand, als die Dame mit der schwarzen Haube, eine große Wirkung auf d'Artagnan, der in ihr die Dame von Meung, von Calais und Dover erkannte, die sein Verfolger, der Mann mit der Narbe, mit dem Titel Mylady begrüßt hatte.
Ohne die Dame mit dem rothen Kissen aus dem Auge zu verlieren, fuhr d'Artagnan fort, das Benehmen von Porthos zu verfolgen, das ihn im höchsten Grad belustigte; er glaubte zu errathen, daß seine Dame mit der schwarzen Haube die Procuratorsfrau von der Rue aux Ours war; dies um so mehr, als die Saint-Leu-Kirche unfern von der genannten Straße lag.
Durch Folgerungen errieth er auch, daß Porthos für seine Niederlage in Chantilly, wo sich die Procuratorsfrau so widerspenstig im Punkt der Börse gezeigt hatte, seine Rache nehmen wollte.
Bei Allem dem aber entging es d'Artagnan nicht, daß kein einziges Gesicht die Galanterien von Porthos erwiderte. Es waren nur Chimären und Illusionen; aber gibt es für eine wahre Liebe, für eine wahre Eifersucht eine andere Wirklichkeit, als Illusionen und Chimären?
Die Predigt war zu Ende. Die Procuratorsfrau ging auf den Weihkessel zu. Porthos kam ihr zuvor und steckte statt eines Fingers die ganze Hand hinein. Die Procuratorsfrau lächelte im Glauben, Porthos versetzte sich für sie in Unkosten, aber sie wurde schnell und grausam enttäuscht. Als sie nur noch drei Schritte von ihm entfernt war, drehte er den Kopf und heftete seine Augen unveränderlich auf die Dame mit dem rothen Kissen, welche sich erhoben hatte und von ihrem Negerknaben und der Kammerfrau gefolgt, herbeikam. Als die Dame mit dem rothen Kissen nahe bei Porthos war, zog dieser seine triefende Hand aus dem Weihkessel; die schöne Andächtige berührte mit ihrer zarten Hand die plumpe von Porthos, machte lächelnd das Zeichen des Kreuzes und verließ die Kirche.
Das war zu viel für die Procuratorsfrau; sie zweifelte nicht mehr daran, daß diese Dame und Porthos in einem Liebesverhältniß standen; wäre sie eine vornehme Dame gewesen, so würde sie in Ohnmacht gefallen sein; da sie aber nur eine Procuratorsfrau war, so begnügte sie sich mit gepreßter Wuth zu Porthos zu sagen:
«Ei, Herr Porthos, Ihr bietet mir kein Weihwasser?«
Porthos machte bei dem Klang dieser Stimme eine Bewegung, etwa wie ein Mensch, der nach einem Schlaf von hundert Jahren erwachen würde.
«Ma… Madame!«rief er,»seid ihr es wirklich? Wie befindet sich Euer Gemahl, der liebe Herr Coquenard? Ist er immer noch ein so großer Filz, wie früher? Wo hatte ich denn die Augen, daß ich Euch während der zwei Stunden, welche die Predigt dauerte, nicht einmal bemerkte?«
«Ich war nur zwei Schritte von Euch entfernt, mein Herr, «antwortete die Procuratorsfrau,»aber bemerktet mich nicht, weil Ihr nur Augen für die schöne Dame hattet, der Ihr so eben Weihwasser gabt.«
Porthos stellte sich, als geriethe er in Verlegenheit.
«Ah!«sagte er» Ihr habt wahrgenommen…«
«Man müßte blind sein, um es nicht zu sehen.«
«Ja, «sagte Porthos nachlässig,»es ist eine Herzogin, eine Freundin von mir, mit der ich wegen der Eifersucht ihres Gatten nur unter den größten Schwierigkeiten zusammenkommen kann, und die mich benachrichtigt hatte, sie würde heute, einzig und allein, um mich zu sehen, in dieser baufälligen Kirche, in diesem abgelegenen, öden Quartier erscheinen.«
«Herr Porthos, «erwiderte die Procuratorsfrau,»würdet Ihr wohl die Güte haben, mir den Arm auf fünf Minuten zu bieten? Ich möchte gern mit Euch sprechen.«
«Wie, Madame!«sagte Porthos sich selbst zublinzelnd, wie ein Spieler, der über den Thoren lacht, welchen er zu fangen im Begriffe ist.
In diesem Augenblick ging d'Artagnan, Mylady verfolgend, vorüber. Er warf Porthos einen Seitenblick zu und las den Triumph in seinem Auge.
«Ei, ei, «sagte er zu sich selbst, im Geiste der äußerst leichten Moral jener Epoche raisonnirend,»da ist Einer, der wohl in der vorgeschriebenen Frist equipirt werden dürfte.«
Dem Drucke des Armes seiner Procuratorsfrau nachgebend, wie eine Barke dem Steuerruder nachgibt, gelangte Porthos in die Nähe des Klosters Saint Magloire, in einen wenigbesuchten, an beiden Enden durch drei Kreuze eingeschlossenen Gang. Man sah hier bei Tage nur essende Bettler oder spielende Kinder.
«Ah, mein Herr Porthos, «rief die Procuratorsfrau, nachdem sie sich versichert hatte, daß sie von Niemand, der nicht zu der gewöhnlichen Bevölkerung dieser Oertlichkeit gehörte, gesehen oder gehört werden konnte;»ah, mein Herr Porthos, Ihr seid, wie es scheint, ein großer Sieger.«
«Ich, Madame?«fragte Porthos sich spreizend.»Und warum dies?«
«Nun die Zeichen von vorhin und das Weihwasser so eben! Es ist mindestens eine Prinzessin, diese Dame mit ihrem Negerknaben und ihrer Kammerfrau.«
«Ihr täuscht Euch. Mein Gott, nein, «antwortete Porthos;»es ist ganz einfach eine Herzogin.«»Und der Läufer, der an der Thüre wartete, und die Karrosse mit dem Kutscher in großer Livree!«
Porthos hatte weder den Läufer, noch die Karrosse gesehen; aber mit dem Blick einer eifersüchtigen Frau hatte Madame Coquenard alles wahrgenommen.
Portos bedauerte, daß er die Dame mit dem rothen Kissen nicht auf den ersten Schlag zu einer Prinzessin gemacht hatte.
«Ah, Ihr seid das Lieblingskind der Schönen, Herr Porthos, «versetzte die Procuratorsfrau seufzend. — »Ihr mögt wohl denken, «erwiderte Porthos,»daß es mir bei einem Aeußern, wie es mir die Natur vergönnt hat, nicht an Glück fehlen kann.«—»Mein Gott, wie schnell die Männer doch vergessen!«rief die Procuratorsfrau, die Augen zum Himmel erhebend. — »Mir scheint es, weniger schnell als die Frauen, «antwortete Porthos,»denn am Ende kann ich wohl sagen, daß ich Euer Opfer war, als ich mich verwundet, sterbend, von den Aerzten verlassen sah. Ich, der Sprößling einer erhabenen Familie, der ich mich Eurer Freundschaft anvertraut hatte, wäre beinahe in einer schlechten Herberge in Chantilly anfangs an meinen Wunden und dann vor Hunger gestorben, und zwar, ohne daß Ihr mich nur einer Antwort auf die dringenden Briefe würdigtet, die ich an Euch schrieb.«—»Aber, Herr Porthos…«murmelte die Procuratorsfrau, welche gegenüber dem Betragen der vornehmen Damen jener Zeit einsah, daß sie Unrecht hatte. — »Ich, der ich für Euch die Gräfin von Penaflor opferte!«—»Ich weiß es wohl.«—»Die Baronin von…«—»Herr Porthos, peinigt mich nicht.«—»Die Gräfin von…«—»Herr Porthos, seid edelmüthig!«—»Ihr habt Recht, Madame, ich werde nicht vollenden.«—»Die Schuld liegt an meinem Manne, der nichts von Anlehen hören will.«—»Madame Coquenard, «sprach Porthos,»erinnert Euch des ersten Briefes, den Ihr mir geschrieben habt, und der tief in mein Herz geprägt ist.«
Die Procuratorsfrau stieß einen Seufzer aus.
«Aber die Summe, die Ihr von mir entlehnen wolltet, «sprach sie,»war auch etwas stark. Ihr sagtet, Ihr braucht tausend Livres.«
«Madame Coquenard, ich gab Euch den Vorzug. Ich dürfte nur an die Herzogin von… schreiben. Ich will ihren Namen nicht sagen, denn ich bin ganz außer Stande, eine Frau zu compromittiren. Ich weiß nur, daß es mich höchstens eine Zeile an sie gekostet hätte, und sie würde mir fünfzehn hundert geschickt haben.«
Die Procuratorsfrau vergoß eine Thräne.
«Herr Porthos, «sagte sie,»ich schwöre Euch, daß Ihr mich schwer bestraft habt, und daß Ihr Euch, wenn Ihr Euch in Zukunft in einer ähnlichen Verlegenheit befindet, nur an mich wenden dürft.«
«Pfui, Madame, «rief Porthos wie empört,»sprechen wir nicht von Geld, wenn es Euch beliebt; denn das ist demüthigend.«
«Also liebt Ihr mich nicht mehr?«fragte die Procuratorsfrau langsam und traurig.
Porthos beobachtete ein majestätisches Stillschweigen.
«Also auf diese Weise antwortet Ihr mir? Ach! ich begreife!«—»Denkt an die Beleidigung, die Ihr mir zugefügt habt, Madame! sie ist hier fest geblieben, «sprach Porthos und preßte die Hand an sein Herz. — »Ich werde sie wieder gut machen, hört wohl, mein lieber Porthos.«—»Ueberdies, was verlangte ich von Euch?«versetzte Porthos mit einem gutmüthigen Achselzucken;»ein Anlehen nichts weiter; im Ganzen bin ich kein unbilliger Mensch; ich weiß, daß Ihr nicht reich seid, Madame Coquenard, und daß Euer Mann die armen Prozeßkrämer besteuern muß, um ihnen ein paar Thaler abzulocken. Oh! wenn Ihr eine Gräfin, eine Marquise, oder eine Herzogin wäret, dann wäre es etwas ganz Anderes, und ich wüßte keine Entschuldigung für Euch zu finden.«
Die Procuratorsfrau war gereizt.
«Vernehmt, Porthos, «sprach sie,»daß meine Geldkasse, obgleich nur die Kasse einer Procuratorsfrau, vielleicht besser gespickt ist, als die aller Eurer zu Grunde gerichteten Zieraffen.«—»Das ist eine doppelte Beleidigung für mich, «sagte Porthos, seinen Arm von dem der Procuratorsfrau losmachend,»denn wenn Ihr reich seid, Madame Coquenard, so ist Eure Weigerung völlig unentschuldbar.«—»Wenn ich Euch sage reich, «erwiderte die Procuratorsfrau, welche einsah, daß sie sich etwas zu weit hatte fortreißen lassen,»so darf man meine Worte nicht buchstäblich nehmen. Ich bin nicht reich, aber wohlhabend.«—»Gut, Madame, «sagte Porthos.»Sprechen wir nicht mehr hievon, ich bitte Euch. Ihr habt mich verkannt; jede Sympathie ist zwischen uns erloschen.«—»Undankbarer Mensch!«—»Ihr habt wohl ein Recht, Euch zu beklagen, «sagte Porthos. — »Geht also mit Eurer Herzogin! Ich halte Euch nicht zurück.«—»Ah, sie ist doch nicht gar so schlimm, wie ich glaubte.«—»Hört, Herr Porthos, ich wiederhole zum letzten Male, liebt Ihr mich noch?«—»Ach, Madame, «entgegnete Porthos, mit dem schwermüthigsten Tone, den er anzunehmen vermochte,»wenn wir in einen Krieg ziehen, in einen Krieg, wo mir meine Ahnungen sagen, daß ich meinen Tod finden werde…«—»Oh! sprecht nicht solche Dinge, «rief die Procuratorsfrau und brach in ein Schluchzen aus. — »Irgend etwas sagt mir dies, «fuhr Porthos, immer schwermüthiger werdend, fort. — »Gesteht vielmehr, daß Ihr eine neue Liebe hegt.«—»Nein, gewiß nicht, ich rede offenherzig mit Euch. Kein neuer Gegenstand rührt mich, und ich fühle, daß sogar hier im Grunde meines Herzens Etwas für Euch spricht. Aber in vierzehn Tagen wird, wie Ihr wißt oder vielleicht nicht wißt, dieser unselige Feldzug eröffnet, und ich sehe mich auf eine abscheuliche Weise durch meine Equipirung in Anspruch genommen. Dann muß ich eine Reise zu meiner Familie machen, welche in dem entferntesten Theile der Bretagne wohnt, um die für meinen Auszug erforderlichen Summen zu erhalten.«
Porthos bemerkte einen letzten Kampf zwischen der Liebe und dem Geiz.
«Und da die Güter der Herzogin, «fuhr er fort,»die Ihr so eben in der Kirche gesehen habt, bei den meinigen liegen, so machen wir die Reise miteinander. Eine Reise, wie Ihr wißt, erscheint bekanntlich viel kürzer, wenn man sie zu zweit macht.«—»Ihr habt also keine Freunde in Paris, Herr Porthos?«sagte die Procuratorsfrau. — »Ich glaubte welche zu haben, «erwiderte Porthos mit seiner schwermüthigen Miene,»aber ich habe eingesehen, daß ich mich täuschte.«—»Ihr habt Freunde, Herr Porthos, Ihr habt, «versetzte die Procuratorsfrau mit einer Begeisterung, über die sie selber erstaunte.»Ihr seid der Sohn meiner Tante, folglich mein Vetter. Ihr kommt von Noyen in der Picardie; Ihr habt mehrere Prozesse in Paris und keinen Procurator. Werdet Ihr wohl Alles dies behalten?«—»Vollkommen, Madame.«— Kommt zur Mittagessenszeit.«—»Sehr gut.«—»Und haltet Euch fest bei meinem Manne, der gar verschmitzt ist, trotz seiner sechsundsiebenzig Jahre.«—»Sechsundsiebenzig Jahre! Pest! was für ein schönes Alter!«sprach Porthos. — »Ein hohes Alter wollt Ihr sagen, Herr Porthos. Der liebe alte Mann kann mich auch jeden Augenblick zur Wittwe machen, «fuhr sie mit einem vielsagenden Blicke fort.»Glücklicherweise ist nach einem unter uns abgeschlossenen Heirathsvertrag der überlebende Theil Erbe des ganzen Vermögens.«—»Des ganzen?«sagte Porthos. — »Des ganzen.«—»Ihr seid eine vorsichtige Frau, wie ich sehe, meine liebe Madame Coquenard, «sprach Porthos, der Procuratorin zärtlich die Hand drückend. — »Wir sind also ausgesöhnt, lieber Herr Porthos, «sagte sie, sich zierend. — »Für das ganze Leben, «erwiderte Porthos mit derselben Miene. — »Aus Wiedersehen also, mein Verräther.«—»Auf Wiedersehen, meine Vergeßliche.«—»Morgen, mein Engel!«—»Morgen, Flamme meines Lebens!«
II. Mylady
D'Artagnan war Mylady gefolgt, ohne daß er von ihr bemerkt wurde. Er sah sie in den Wagen steigen und hörte sie dem Kutscher Befehl geben, nach Saint-Germain zu fahren. Es wäre fruchtlos gewesen, einem in starkem Trabe von zwei kräftigen Pferden fortgeführten Wagen zu Fuß zu folgen. D'Artagnan kehrte daher nach der Rue Ferou zurück.
In der Rue de Seine traf er Planchet, der vor einer Pastetenbude stand und über ein Backwerk von äußerst appetitlichem Aussehen entzückt zu sein schien. Er gab ihm Befehl, zwei Pferde in den Ställen des Herrn von Treville, eines für ihn selbst, eines für Planchet, zu satteln und ihn bei Athos damit abzuholen. Herr von Treville hatte d'Artagnan ein für allemal seine Ställe zur Verfügung gestellt.
Planchet schlug den Weg nach der Rue de Colombier und d'Artagnan den nach der Rue Ferou ein. Athos war zu Hause und leerte traurig eine der Flaschen von dem berühmten spanischen Wein, die er von seiner Reise in der Picardie mitgebracht hatte. Er winkte Grimaud, ein Glas für d'Artagnan herbeizuschaffen, und dieser gehorchte, wie gewöhnlich, stillschweigend.
D'Artagnan erzählte nun seinem Freunde Athos Alles, was zwischen Porthos und der Procuratorsfrau vorgefallen war, und wie ihr Kamerad zu dieser Stunde bereits auf dem Weg sein dürfte, sich zu equipiren.
«Was mich betrifft «antwortete Athos auf die ganze Erzählung,»ich bin völlig ruhig. Die Frauen werden sicherlich meine Ausrüstung nicht bezahlen.«
«Und dennoch gibt es für den hübschen, artigen, stolzen Herrn, der Ihr seid, mein lieber Athos, weder Prinzessinnen, noch Königinnen, die vor Euren Liebespfeilen geschützt wären.«
In diesem Augenblick streckte Planchet bescheiden den Kopf durch die halbgeöffnete Thüre und meldete, daß die beiden Pferde vor dem Hause ständen.
«Welche Pferde?«fragte Athos.
«Zwei Pferde, die mir Herr von Treville zum Spazierenreiten leiht, und mit denen ich einen Ritt nach Saint-Germain machen will.«
«Und was wollt Ihr in Saint-Germain thun?«fragte Athos.
Hierauf erzählte ihm d'Artagnan, wie er in der Kirche der Dame begegnet war, welche ihn, nebst dem Herrn im schwarzen Mantel und der Narbe am Schlaf, beständig in Unruhe erhielt.
«Das heißt, Ihr seid verliebt in diese, wie Ihr es in Madame Bonacieux waret, «sprach Athos, verächtlich die Achseln zuckend, als fühlte er Mitleid mit der menschlichen Schwäche.
«Ich? Keineswegs, «rief d'Artagnan,»ich bin nur begierig, das Geheimniß aufzuklären, in das sie verwickelt ist. Ich weiß mir keinen Grund anzugeben, aber ich bilde mir ein, diese Frau müsse, obschon ich ihr eben so unbekannt bin, als sie mir, einen Einfluß auf mein Leben ausüben.«
«Ihr habt im Ganzen Recht, «sprach Athos,»ich kenne keine Frau, bei der es sich der Mühe lohnen würde, sie aufzusuchen, wenn sie einmal verloren ist. Madame Bonacieux ist verloren, desto schlimmer für sie, sie mag sich wieder suchen.«
«Nein, Athos, nein, Ihr täuscht Euch, «sprach d'Artagnan,»ich liebe meine arme Constance mehr als je, und wenn ich den Ort wüßte, wo sie sich befindet, so würde ich, und wäre sie am Ende der Welt, hineilen, sie den Händen ihrer Feinde zu entreißen. Aber ich weiß diesen Ort nicht; alle meine Nachforschungen waren fruchtlos. Ihr seht wohl ein, man muß sich zerstreuen.«
«Zerstreut Euch mit Mylady, mein lieber d'Artagnan, ich wünsche es Euch von ganzem Herzen, wenn es Euch unterhalten kann.«
«Hört, Athos, «erwiderte d'Artagnan,»statt Euch hier eingeschlossen zu halten, als wäret Ihr im Arrest, steigt zu Pferde und reitet mit mir nach Saint-Germain.«
«Mein Lieber, «sagte Athos,»ich reite meine Pferds, wenn ich welche habe; habe ich keine, so gehe ich zu Fuße.«
«Wohl!«sprach d'Artagnan, über die Unfreundlichkeit von Athos lächelnd, die ihn bei einem Andern sicherlich verletzt haben würde;»ich bin weniger stolz, als Ihr, ich reite das, was ich finde. Also auf Wiedersehen, mein lieber Athos!«
«Auf Wiedersehen, «sagte der Musketier und machte Grimaud ein Zeichen, die Flasche zu entkorken, die er gebracht hatte.
D'Artagnan und Planchet sprangen in den Sattel, und schlugen die Straße nach Saint-Germain ein.
Auf dem ganzen Weg ging d'Artagnan das, was Athos ihm von Madame Bonacieux gesagt hatte, im Kopfe um. Obgleich er nicht von sehr sentimentalem Charakter war, so hatte doch die hübsche Krämerin einen wirklichen Eindruck auf sein Herz hervorgebracht: er war, wie er sagte, bereit, bis an das Ende der Welt zu gehen, um sie zu suchen. Aber die Welt hat, insofern sie rund ist, viele Enden, und er wußte nicht, nach welcher Seite er seine Richtung nehmen sollte.
Mittlerweile suchte er zu erfahren, wer Mylady war. Mylady hatte mit dem Schwarzmantel gesprochen und kannte ihn also. In d'Artagnans Geist aber hatte sicherlich der Schwarzmantel und kein Anderer Frau Bonacieux auch jetzt wieder entführt. D'Artagnan log also nur halb und also sehr wenig, wenn er sagte, indem er Mylady aufsuchte, suche er zu gleicher Zeit Constance auf.
Unter solchen Betrachtungen und sein Pferd von Zeit zu Zeit mit den Sporen aufmunternd, legte d'Artagnan den Weg zurück und erreichte Saint-Germain. Er kam an dem Pavillon vorüber, in welchem zehn Jahre später Ludwig XIV. geboren werden sollte, und schaute, durch eine ziemlich öde Straße reitend, rechts und links, ob er nicht irgend eine Spur von seiner schönen Engländerin finden könnte, als er im Erdgeschoß eines hübschen Hauses, das nach dem Gebrauch jener Zeit kein Fenster nach der Straße zu hatte, ein bekanntes Gesicht erblickte. Dieses Gesicht ging auf einer Art von Terrasse spazieren, welche mit Blumen geschmückt war. Planchet erkannte es zuerst.
«Ei, gnädiger Herr, «sagte er, sich an d'Artagnan wendend,»erinnert ihr Euch dieses Gesichts nicht mehr, das dort Maulaffen feil hat?«
«Nein, «antwortete d'Artagnan,»und doch weiß ich gewiß, daß ich diesen Menschen nicht zum ersten Mal sehe.«
«Bei Gott, ich glaube es wohl, «versetzte Planchet,»das ist der arme Lubin, der Lakai des Grafen von Wardes, den Ihr vor einem Monat in Calais auf dem Weg nach dem Landhaus des Gouverneurs so übel zugerichtet habt.«
«Ah! ja, so ist's, «sprach d'Artagnan,»ich erkenne ihn nun wieder. Glaubst Du, daß er dich auch erkennt?«
«Meiner Treu, gnädiger Herr, er war so voll Angst, daß ich nicht denken kann, ich werde ihm im Gedächtniß geblieben sein.«
«Nun, so geh' und rede mit dem Burschen, erkundige Dich gesprächsweise, ob sein Herr noch lebt.«
Planchet stieg ab, ging gerade aus Lubin zu, der ihn wirklich nicht erkannte, und die zwei Bedienten fingen an, in schönster Eintracht mit einander zu plaudern, während d'Artagnan die zwei Pferde in ein Gäßchen trieb, rund um ein Haus ging und zurückkehrte, um hinter einem Haselstrauche das Gespräch anzuhören.
Kaum hatte er sich einen Augenblick seinen Beobachtungen hingegeben als er Wagengerassel vernahm und die Karrosse von Mylady ihm gegenüber anhielt. Er konnte sich nicht täuschen, Mylady saß darin. D'Artagnan legte sich auf den Hals seines Pferdes, um Alles zu sehen, ohne gesehen zu werden.
Mylady schaute mit ihrem reizenden blonden Kopfe aus dem Kutschenschlag heraus und gab ihrer Zofe Befehle.
Die letztere, ein hübsches, lebhaftes, flinkes Mädchen, die wahre Kammerjungfer einer vornehmen Dame, sprang von dem Fußtritt herab, auf dem sie nach der Sitte jener Zeit saß, und wandte sich nach der Terasse, wo d'Artagnan Lubin bemerkt hatte.
D'Artagnan folgte der Zofe mit den Augen und sah sie nach der Terrasse gehen. Zufälligerweise aber hatte ein Befehl aus dem Innern des Hauses Lubin hineingerufen, und Planchet, der nach allen Seiten hinschaute, um zu erforschen, in welcher Richtung sein Herr verschwunden sein möchte, war allein geblieben.
Die Kammerfrau näherte sich Planchet, den sie für Lubin hielt, gab ihm ein Billet und sagte:
«Für Euern Herrn.«
«Für meinen Herrn?«fragte Planchet sehr erstaunt.
«Ja — und es hat große Eile — nehmt also geschwind.«
Hierauf ging sie nach dem Wagen zurück, der wieder nach der Seite, von welcher er hergekommen war, umgekehrt hatte; sie sprang auf den Fußtritt und die Karrosse entfernte sich.
Planchet wandte das Billet um und um, lief dann, an stummen Gehorsam gewöhnt, von der Terrasse herab, eilte in das Gäßchen und traf nach zwanzig Schritten seinen Herrn, der Alles gesehen hatte und ihm entgegen kam.
«Für Euch, gnädiger Herr, «sprach Planchet, das Billet dem jungen Manne überreichend.
«Für mich?«entgegnete d'Artagnan,»bist Du dessen ganz gewiß?«
«Bei Gott! ganz gewiß, die Kammerjungfer sagte:»»Für Deinen Herrn.««Ich habe keinen andern Herrn außer Euch, also… Ein hübscher Bissen von einem Mädchen, diese Zofe, meiner Treu.«
D'Artagnan öffnete den Brief und las folgende Worte:
«Eine Person, welche sich mehr für Euch interessirt, als sie sagen kann, wünschte zu wissen, an welchem Tage Ihr im Walde promeniren könnt; morgen erwartet ein schwarz und rother Bedienter im Hotel zum goldenen Felde Euere Antwort.«
«Oh! oh!«sagte d'Artagnan zu sich selbst,»das ist ein wenig lebhaft. Es scheint, Mylady und ich leiden an demselben Uebel. Nun, Planchet laßt hören, wie befindet sich Herr von Wardes? Er ist also nicht tot?«
«Nein, gnädiger Herr, es geht so gut, als es mit vier Degenstichen im Leibe gehen kann; denn Ihr habt diesem Edelmann vier ganz tadellose beigebracht, und er ist noch sehr schwach, da er beinahe all sein Blut verloren hat. Lubin erkannte mich nicht, wie ich dem gnädigen Herrn zum Voraus sagte, und erzählte mir das ganze Abenteuer von Anfang bis zu Ende.«
«Sehr gut, Planchet, Du bist der König der Lakaien; jetzt steig zu Pferde und wir wollen dem Wagen nachreiten.«
Das dauerte nicht lange; nach fünf Minuten erblickte man die Karrosse, welche auf der Biegung der Straße stille hielt; Ein reichgekleideter Kavalier befand sich am Kutschenschlag.
Das Zwiegespräch zwischen Mylady und dem Kavalier war so belebt, daß d'Artagnan auf der andern Seite des Wagens stille hielt, ohne daß Jemand, außer der hübschen Zofe, seine Gegenwart bemerkte.
Die Unterredung fand in englischer Sprache statt, von der d'Artagnan nichts verstand, aber am Ausdruck glaubte der junge Mann zu erkennen, daß die schöne Engländerin sehr zornig war; sie schloß mit einer Geberde, die ihm keinen Zweifel über die Natur der Unterhaltung ließ, das heißt, mit einem Fächerschlag, der mit solcher Gewalt geführt wurde, daß das kleine weibliche Geräthe in tausend Stücke flog.
Der Reiter brach in ein Gelächter aus, das Mylady in Verzweiflung zu bringen schien.
D'Artagnan meinte, dies sei der geeignete Augenblick, um ins Mittel zu treten; er näherte sich dem Kutschenschlag, entblößte ehrfurchtsvoll sein Haupt und sprach:
«Madame, erlaubt mir. Euch meine Dienste anzubieten; es scheint mir, dieser Kavalier hat Euch in Zorn gebracht. Sprecht ein Wort, und ich übernehme es, ihn für seinen Mangel an Höflichkeit zu bestrafen.«
«Mein Herr, «antwortete sie in gutem Französisch,»mit freudigem Herzen würde ich mich unter Euern Schutz stellen, wenn die Person, welche mit mir streitet, nicht mein Bruder wäre.«
«Oh! dann verzeiht mir, «sagte d'Artagnan;»Ihr begreift, daß ich das nicht wußte, Madame.«
«Was hat sich denn dieser Narr in unsere Angelegenheit zu mischen, «rief, sich zu dem Kutschenschlag herabbeugend, der Kavalier, den Mylady als ihren Verwandten bezeichnet hatte;»und warum zieht er nicht seines Wegs?«
«Selbst Narr, «erwiderte d'Artagnan, sich ebenfalls auf den Hals seines Pferdes herabbeugend und durch den Kutschenschlag redend,»ich ziehe nicht meines Wegs, weil es mir hier zu bleiben beliebt.«
Der Kavalier richtete einige englische Worte an seine Schwester.
«Ich spreche Französisch mit Euch, «rief d'Artagnan;»ich bitte Euch also, macht mir das Vergnügen und antwortet mir in derselben Sprache. Ihr seid der Bruder dieser Dame, gut! aber Ihr seid glücklicherweise nicht der meinige.«
Man hätte glauben sollen, Mylady würde mit weiblicher Aengstlichkeit gleich beim Anfang der Herausforderung zu vermitteln suchen, damit der Streit nicht zu weit käme, aber sie warf sich im Gegentheil in ihren Wagen zurück und rief dem Kutscher kalt zu:
«Fahr nach dem Hotel!«
Die hübsche Zofe warf einen unruhigen Blick auf d'Artagnan, dessen gefälliges Aussehen einen günstigen Eindruck auf sie gemacht zu haben schien.
Die Karrosse fuhr weiter und ließ die zwei Männer einander gegenüber.
Der Reiter machte eine Bewegung, um dem Wagen zu folgen, aber d'Artagnan, dessen bereits gährender Zorn noch dadurch gesteigert würde, daß er in ihm den Engländer erkannte, der ihm sein Pferd und Athos beinahe seinen Diamant abgewonnen hatte, fiel ihm in den Zügel und hielt ihn zurück.
«Ei! mein Herr, «sagte er,»Ihr scheint mir noch mehr Narr zu sein, als ich, denn es kommt mir vor, als wolltet Ihr vergessen, daß sich ein kleiner Streit zwischen uns entsponnen hat.«—»Ah! ah!«entgegnete der Engländer,»Ihr seid es, Meister? Ihr müßt also immer irgend ein Spiel spielen?«—»Ja, und das erinnert mich daran, daß ich Revanche zu nehmen habe. Wir werden sehen, mein lieber Herr, ob Ihr den Degen eben so gut handhabt, als den Würfelbecher.«—»Ihr müßt bemerken, daß ich keinen Degen bei mir habe, «sprach der Engländer;»wollt Ihr gegen einen Unbewaffneten den Tapfern spielen?«—»Ich hoffe, Ihr werdet zu Hause einen besitzen. Jedenfalls habe ich zwei, und wenn Ihr wollt, so spiele ich um Einen mit Euch.«—»Unnöthig, «sprach der Engländer,»ich bin hinreichend mit dergleichen Werkzeug versehen.«—»Gut, mein würdiger Herr, «entgegnete d'Artagnan,»wählt Euren längsten Degen und zeigt ihn mir diesen Abend.«—»Wo, wenn ich bitten darf?«—»Hinter dem Luxemburg, das ist ein allerliebstes Plätzchen für Spaziergänge, wie ich sie Euch vorschlage.«—»Schön, man wird sich einfinden.«—»Zu welcher Stunde?«—»Um sechs Uhr.«—»Ihr habt auch wohl ein paar Freunde?«—»Ich habe drei, welche sich eine Ehre daraus machen würden, dasselbe Spiel zu spielen, wie ich.«—»Drei? vortrefflich! wie sich das trifft!«rief d'Artagnan,»das ist gerade meine Zahl,«—»Und nun, wer seid Ihr?«fragte der Engländer. — »Ich bin Herr d'Artagnan, gascognischer Edelmann, diene bei der Leibwache, Compagnie des Herrn des Essarts. Und Ihr?«—»Ich bin Lord Winter, Baron von Sheffield.«—»Gut! ich bin Euer Diener, mein Herr Baron, «sprach d'Artagnan,»obgleich Euere Namen sehr schwer zu behalten sind.«
Und er spornte sein Roß und galopirte Paris zu.
Wie gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten, stieg er unmittelbar bei Athos ab. Er fand diesen auf seinem Bette liegend, wo er, wie er sagte, wartete, bis seine Equipirung ihn aufsuchen würde.
D'Artagnan erzählte Athos, außer dem Brief an Herrn von Wardes, Alles was vorgefallen war.
Athos war entzückt, als er erfuhr, daß er sich mit einem Engländer schlagen sollte. Wir haben erzählt, daß dies sein Lieblingsgedanke war.
Man ließ sogleich Porthos und Aramis durch die Lakaien aufsuchen und von der Lage der Dinge in Kenntniß setzen.
Porthos zog seinen Degen aus der Scheide, focht gegen die Wand, ging von Zeit zu Zeit rückwärts und machte Verbeugungen wie ein Tänzer. Aramis, der immer noch an seinem Gedicht arbeitete, schloß sich im Cabinet von Athos ein und bat, ihn nicht eher zu stören, als bis es Zeit wäre, vom Leder zu ziehen.
Athos forderte von Grimaud durch ein Zeichen eine neue Flasche Wein.
D'Artagnan entwarf in aller Stille einen kleinen Plan, dessen Ausführung wir später sehen werden, und der ihm ein anmuthiges Abenteuer verhieß, wie man an dem Lächeln sehen konnte, das von Zeit zu Zeit über sein träumerisches Antlitz flog.
III. Engländer und Franzosen
Zur bestimmten Stunde begab man sich mit den vier Lakaien hinter dem Luxemburg in ein Gehege, das den Ziegen überlassen war, Athos gab dem Ziegenhirten ein Geldstück, damit er sich entferne. Die Lakaien mußten Wache halten.
Bald näherte sich eine stillschweigende Truppe demselben Gehege, trat ein und stieß zu den Musketieren. Dann fanden nach den englischen Gebräuchen die Vorstellungen statt.
Die Engländer waren insgesammt Leute von hohem Stande; die bizarren Namen der drei Freunde wurden deßhalb für sie ein Gegenstand, nicht nur des Erstaunens, sondern auch der Unruhe.
«Bei Allem dem, «sprach Lord Winter, als die Freunde genannt waren,»bei Allem dem wissen wir nicht, wer Ihr seid, und wir schlagen uns mit solchen Namen nicht. Das sind ja wahre Schäfernamen.«—»Es sind auch, wie Ihr voraussetzt, Mylord, nur falsche Namen.«—»Um so mehr müssen wir darauf bestehen, die wahren Namen zu erfahren, «antwortete der Engländer. — »Ihr habt doch auch gegen uns gespielt, ohne uns zu kennen, «sagte Athos,»und uns dabei unsere zwei Pferde abgenommen.«—»Das ist wahr, aber wir wagten nur unsere Pistolen. Diesmal setzen wir unser Blut ein. Man spielt mit der ganzen Welt, aber man schlägt sich nur mit Seinesgleichen. — »Das ist richtig, «sprach Athos.
Und er nahm denjenigen von den vier Engländern, mit welchem er sich schlagen sollte, bei Seite und nannte ihm ganz leise seinen Namen. Porthos und Aramis thaten ihrerseits dasselbe.
«Genügt das, «sprach Athos zu seinem Gegner,»und findet Ihr meine Abkunft vornehm genug, um mir die Gnade zu erzeigen, den Degen mit mir zu kreuzen?«—»Ja, mein Herr, «antwortete der Engländer sich verbeugend. — »Gut! soll ich Euch nun etwas sagen?«versetzte Athos kalt. — »Was?«fragte der Engländer. — »Ihr hättet viel besser daran gethan, nicht von mir zu fordern, daß ich meinen Namen nenne.«—»Warum dies?«—»Weil man mich für tot hält, und ich aus Gründen wünschen muß, daß man mein Leben nicht erfahre, ich werde deßhalb genöthigt sein, Euch zu töten, damit mein Geheimniß nicht in der Welt herumgetragen wird.«
Der Engländer schaute Athos an und glaubte, dieser scherze; aber Athos scherzte durchaus nicht.
«Meine Herren, «sagte Athos, sich an seine Gefährten und an seine Gegner wendend,»sind wir fertig?«—»Ja «antworteten einstimmig Engländer und Franzosen. — »Dann legt Euch aus!«sprach Athos.
Und alsbald glänzten acht Degen in den Strahlen der untergehenden Sonne, und rasch begann der Kampf mit einer Erbitterung, die bei dem gegenseitigen Nationalhaß ganz natürlich war.
Athos focht mit eben so viel Ruhe und Methode, als ob er in einem Fechtsaal stände.
Porthos, dem sein Abenteuer in Chantilly ohne Zweifel etwas von seinem allzu großen Selbstvertrauen benommen hatte, spielte den Feinen und Klugen.
Aramis, der den dritten Gesang seines Gedichtes vollenden wollte, arbeitete wie ein Mann der große Eile hat.
Athos tötete zuerst seinen Gegner. Er hatte ihm nur einen Stoß beigebracht, aber dieser war, wie er vorhergesehen tötlich gewesen; der Degen drang durch das Herz.
Porthos streckte hierauf seinen Gegner zu Boden; er hatte ihm den Schenkel durchstochen. Da ihm der Engländer seinen Degen übergab, so nahm er ihn in seine Arme und trug ihn in seinen Wagen.
Aramis bedrängte seinen Gegenkämpfer so kräftig, daß er ihn, nachdem er ihn beinahe fünfzig Schritt weit über die Mensur getrieben hatte, kampfunfähig machte.
D'Artagnan trieb ganz einfach ein Vertheidigungsspiel. Als er seinen Gegner sehr ermüdet sah, schlug er ihm mit einem sehr heftigen Quartstoß den Degen aus der Faust. Sobald der Baron sich entwaffnet sah, machte er ein paar Schritte rückwärts, aber bei dieser Bewegung glitt sein Fuß und er fiel auf die Erde.
D'Artagnan war mit einem Sprung auf ihm und setzte ihm den Degen an die Kehle.
«Ich könnte Euch töten, mein Herr, «sagte er zu dem Engländer,»und Ihr seid in meinen Händen, aber ich schenke Euch Eurer Schwester zu Liebe das Leben.«
D'Artagnan war im höchsten Grad erfreut: jetzt war der Plan verwirklicht, den er im Voraus gefaßt, und dessen Entwickelung das von uns besprochene Lächeln auf sein Gesicht gerufen hatte.
Entzückt darüber, daß er es mit einem Edelmann von so schönem Charakter zu thun hatte, schloß der Engländer d'Artagnan in seine Arme, sagte den drei Musketieren tausend Schmeicheleien, und da der Gegner von Porthos bereits in seinen Wagen gebracht war und der von Aramis sich aus dem Staube gemacht hatte, so dachte man nur noch an den Toten.
Als Porthos und Aramis in der Hoffnung, seine Wunde würde nicht tötlich sein, ihn entkleideten, fiel eine schwere Börse aus seinem Gürtel. D'Artagnan hob sie auf und reichte sie Lord Winter.
«Ei! den Teufel, was soll ich denn damit machen?«sprach der Engländer. — »Gebt diese Börse seiner Familie zurück, «erwiderte d'Artagnan. — »Seine Familie kümmert sich viel um eine solche Erbärmlichkeit! sie erbt eine Rente von fünfzehntausend Louisd'or. Behaltet diese Börse für Eure Lakaien!«
Während dieser Zeit hatte sich Athos seinem Freund d'Artagnan genähert.
«Nein, «sprach er,»geben wir die Börse nicht unsern Lakaien, sondern den englischen.«
Athos nahm die Börse, warf sie dem Kutscher in die Hand und rief:»Für Euch und Eure Kameraden.«
Diese Großartigkeit der Manieren bei einem gänzlich entblößten Menschen setzte sogar Porthos in Erstaunen, und diese französische Freigebigkeit hatte, von Lord Winter und seinem Freunde wieder erzählt, überall, nur nicht bei den Herrn Grimaud, Mousqueton, Planchet und Bazin, den günstigen Erfolg.
«Und nun, mein junger Freund, denn ihr erlaubt mir hoffentlich, daß ich Euch diesen Namen gebe, «sagte Lord Winter;»noch diesen Abend, wenn es Euch genehm ist, stelle ich Euch Lady Clarick, meiner Schwester, vor, denn sie soll Euch ebenfalls gewogen werden, und da sie bei Hof nicht übel angeschrieben ist, so wird vielleicht in Zukunft ein Wort von ihr nicht unvortheilhaft für Euch sein.«
D'Artagnan erröthete vor Vergnügen und verbeugte sich zum Zeichen der Einwilligung.
Lord Winter gab d'Artagnan, ehe er ihn verließ, die Adresse seiner Schwester; sie wohnte auf der Place Royale, was damals das vornehmste Quartier war, Nro. 6. Ueberdies machte er sich anheischig, ihn zum Behuf der Vorstellung abzuholen. D'Artagnan gab ihm um acht Uhr bei seinem Freunde Athos Rendezvous.
Diese Vorstellung bei Mylady nahm den Kopf unseres Gascogners gewaltig in Anspruch. Er erinnerte sich, auf welch seltsame Weise diese Frau bis jetzt in sein Geschick verwickelt gewesen war. Nach seiner Ueberzeugung war sie ein Geschöpf des Kardinals, und dennoch sah er sich unwiderstehlich durch eines jener Gefühle, von denen man sich keine Rechenschaft gibt, zu ihr hingezogen. Er fürchtete nur, Mylady möchte in ihm den Mann von Meung und Dover wieder erkennen. Dann würde sie wissen, daß er einer von den Freunden des Herrn von Treville war und folglich mit Leib und Seele dem König gehörte, wodurch er gleich einen Theil seiner Vortheile verlieren mußte. Was den Anfang einer Intrigue zwischen ihr und dem Grafen von Wardes betrifft, so kümmerte sich unser junger Mann nur sehr wenig um diesen Umstand, obgleich der Marquis jung, hübsch, reich und bei dem Kardinal sehr in Gunst war. Es will nicht wenig heißen, wenn man zwanzig Jahre zählt, besonders wenn man in Tarbes geboren ist.
D'Artagnan fing damit an, daß er in seinem Zimmer eine glänzende Toilette machte; dann kehrte er zu Athos zurück und erzählte diesem seiner Gewohnheit gemäß Alles. Athos hörte ruhig seine Pläne an, schüttelte sodann den Kopf und empfahl ihm mit einer gewissen Bitterkeit große Vorsicht.
«Wie?«sprach er,»Ihr habt vor Kurzem erst eine Frau verloren, die Ihr gut, schön, vollkommen nanntet, und Ihr lauft bereits einer andern nach?«
D'Artagnan fühlte die Wahrheit dieses Vorwurfs.
«Ich liebe Madame Bonacieux mit dem Herzen, während ich Mylady mit dem Kopfe liebe, «sagte er,»und indem ich mich bei ihr einführen lasse, suche ich mir Licht über die Rolle zu verschaffen, die sie bei Hofe spielt.«—»Welche Rolle sie spielt, bei Gott, das ist nach Allem, was Ihr mir erzählt habt, nicht schwer zu errathen. Sie ist eine Emissärin Richelieus, eine Frau, die Euch in eine Falle locken wird, in der Ihr ganz einfach Euren Kopf lassen müßt.«—»Teufel! Athos, es scheint mir, Ihr seht die Dinge sehr schwarz.«—»Mein Lieber, ich mißtraue den Frauen; was wollt Ihr! ich habe meinen Lohn dahin; und ganz besonders mag ich nichts von den Blonden wissen. Mylady ist blond, sagtet Ihr mir?«—»Sie hat Haare vom schönsten Blond, das man sehen kann.«—»Ah! mein armer d'Artagnan!«rief Athos. — »Hört: ich will mir Licht verschaffen, und wenn ich weiß, was ich wissen will, halte ich mich ferne.«—»Verschafft Euch Licht, «sagte Athos phlegmatisch.
Lord Winter erschien zur bestimmten Stunde, aber zu rechter Zeit benachrichtigt, ging Athos in das zweite Zimmer. Er fand also d'Artagnan allein, und da es beinahe acht Uhr war, so führte er den jungen Mann mit sich fort.
Eine elegante Karrosse wartete vor der Hausthüre; sie war mit zwei vortrefflichen Pferden bespannt, und man hatte in einem Augenblick die Place Royale erreicht.
Mylady Winter empfing d'Artagnan höchst verbindlich.
Ihr Hotel war mit verschwenderischer Pracht ausgestattet, und sie hatte, obgleich die meisten Engländer durch den Krieg vertrieben, Frankreich verließen oder es zu verlassen im Begriffe waren, neue Ausgaben hiefür gemacht, woraus hervorging, daß die allgemeine Maßregel, wodurch die Engländer entfernt wurden, sie nicht traf.
«Ihr seht hier, «sprach Lord Winter,»Ihr seht hier einen jungen Edelmann, der mein Leben in seinen Händen hatte und keinen Mißbrauch von seinem Vortheil machen wollte, obgleich wir doppelte Feinde waren, einmal weil ich ihn beleidigt hatte, und dann weil ich ein Engländer bin. Dankt ihm also, wenn Ihr einige Freundschaft für mich fühlt.«
Mylady zog die Augenbrauen etwas zusammen, eine kaum bemerkbare Wolke lagerte sich über ihre Stirne, und ein so seltsames Lächeln erschien auf ihren Lippen, daß der junge Mann, der diese dreifache Nuance gewahr wurde, von einem leichten Schauder erfaßt wurde.
Der Bruder sah nichts; er hatte sich umgedreht, um mit dem Lieblingsaffen von Mylady zu spielen, der ihn am Wamms zupfte.
«Seid willkommen, mein Herr, «sprach Mylady mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit den Symptomen schlechter Laune stand, welche d'Artagnan bemerkt hatte,»denn Ihr habt Euch heute ein ewiges Recht auf meine Dankbarkeit erworben.«
Der Engländer drehte sich jetzt wieder um und erzählte den Kampf, ohne auch nur das Geringste zu übergehen. Mylady hörte ihm mit gespannter Aufmerksamkeit zu; aber wie sehr sie sich auch anstrengte, um ihre Eindrücke zu verbergen, so sah man doch leicht, daß ihr das Gespräch durchaus nicht angenehm war; das Blut stieg ihr in den Kopf und ihr kleiner Fuß bewegte sich unruhig unter dem Kleide.
Lord Winter bemerkte nichts; als er vollendet hatte, näherte er sich einem Tisch, auf welchen man ein silbernes Brett mit einer Flasche spanischem Wein gestellt hatte; er füllte zwei Gläser und lud d'Artagnan ein, zu trinken.
D'Artagnan wußte, daß es eine grobe Unhöflichkeit gegen einen Engländer wäre, auf einen Toast nicht Bescheid zu thun. Er trat an den Tisch und ergriff das zweite Glas, verlor jedoch Mylady nicht aus dem Gesicht, und gewahrte im Spiegel die Veränderung, welche in ihren Zügen vorging. Jetzt, da sie nicht mehr beobachtet zu sein glaubte, belebte ein Gefühl, das der Wildheit glich, ihr Antlitz. Sie biß mit ihren schönen Zähnen in das Taschentuch.
Die hübsche Zofe, welche d'Artagnan bereits gesehen hatte, trat ein; sie sagte einige Worte auf Englisch zu Lord Winter, der augenblicklich, unter Vorschützung dringender Geschäfte, d'Artagnan um Erlaubnis bat, sich entfernen zu dürfen, und seine Schwester ersuchte, Verzeihung für ihn zu erlangen.
D'Artagnan tauschte einen Händedruck mit Lord Winter und kam zu Mylady zurück. Das Gesicht dieser Frau hatte mit überraschender Beweglichkeit seinen anmuthigen Ausdruck wieder angenommen: nur deuteten einige rote Fleckchen auf ihrem Taschentuche an, saß sie sich die Lippen blutig gebissen hatte.
Ihre Lippen waren herrlich, wie aus Korallen geformt.
Das Gespräch nahm eine heitere Wendung. Mylady schien ganz von ihrer vorhergehenden Stimmung zurückgekommen. Sie erzählte, daß Lord Winter nur ihr Schwager und nicht ihr Bruder sei; sie selbst habe einen jüngeren Sohn geheirathet, der sie als Wittwe mit einem Kind hinterlassen. Dieses Kind sei der einzige Erbe von Lord Winter, wenn er nicht heirathe. Alles dies ließ d'Artagnan einen Schleier erschauen, der etwas verhüllte; aber er vermochte noch nichts unter dem Schleier zu unterscheiden.
Nach einer Unterredung von einer halben Stunde hatte d'Artagnan indessen die Ueberzeugung gewonnen, daß Mylady seine Landsmännin war; sie sprach das Französische mit einer Reinheit und Eleganz, daß kein Zweifel übrig blieb.
D'Artagnan verschwendete galante Redensarten und Ergebenheits-Betheuerungen. Mylady lächelte wohlwollend zu allen Albernheiten, die unserem Gascogner entschlüpften. Endlich war die Stunde zum Aufbruch gekommen! d'Artagnan verabschiedete sich von Mylady und verließ den Saal als der glücklichste der Sterblichen.
Auf der Treppe begegnete er der hübschen Zofe, welche sanft an ihn anstreifte, bis unter die Augen erröthete und ihn mit so weicher Stimme wegen dieser Berührung um Verzeihung bat, daß diese auch augenblicklich bewilligt wurde.
D'Artagnan kam am andern Tag wieder und wurde noch freundlicher, als am Abend zuvor, empfangen. Lord Winter war nicht anwesend, und Mylady machte ihm alle Honneurs. Sie schien ein großes Interesse an ihm zu nehmen, fragte ihn, wo er wohne, wer seine Freunde seien, und ob er nicht zuweilen daran gedacht habe, in den Dienst des Herrn Kardinals zu treten.
D'Artagnan war, wie man weiß, sehr klug für einen jungen Mann von zwanzig Jahren, und erinnerte sich alsbald seines Verdachts in Beziehung auf Mylady. Er sprach mit großen Lobeserhebungen von Seiner Eminenz und sagte zu Mylady, er würde nicht verfehlt haben, bei der Leibwache des Kardinals statt bei der des Königs einzutreten, wenn er zum Beispiel Herrn von Cavois statt Herrn von Treville gekannt hätte.
Mylady gab dem Gespräch eine andere Wendung, ohne daß es nur entfernt den Anschein einer Absicht hatte, und fragte d'Artagnan auf die gleichgültigste Weise der Welt, ob er je in England gewesen sei.
D'Artagnan antwortete, er sei von Treville dahin geschickt worden, um wegen einer Remonte von Pferden zu unterhandeln, und habe auch vier Stück als Muster mitgebracht.
Mylady biß sich im Verlauf des Gespräches wiederholt auf die Lippen, sie hatte es mit einem jungen Manne zu thun, der sich keine Blößen gab.
D'Artagnan zog sich zu derselben Stunde, wie am Tage vorher, zurück. In der Flur begegnete er abermals der hübschen Ketty, so hieß die Zofe. Sie schaute ihn mit einem Ausdruck geheimen Wohlwollens an. Aber d'Artagnan war so sehr mit der Gebieterin beschäftigt, daß er nur das gewahr wurde, was von ihr herrührte.
Am zweiten Tag kam d'Artagnan abermals und am dritten ebenso, und jedes Mal wurde ihm ein freundlicherer Empfang von Mylady zu Theil.
Jenen Abend begegnete er auch der hübschen Zofe auf der Treppe, oder in der Hausflur.
Aber d'Artagnan ließ, wie gesagt, die seltsame Beharrlichkeit der armen Ketty unbeachtet.
VI. Ein Procuratorsmahl
Das Duell, bei welchem Porthos eine so glänzende Rolle gespielt hatte, ließ ihn indessen das Mittagsmahl nicht vergessen, wozu er von der Frau Procuratorin eingeladen worden war. Am andern Tag gegen ein Uhr ließ er sich von Mousqueton den letzten Bürstenstrich geben, und wanderte der Rue aux Ours zu. Sein Herz klopfte, aber nicht wie das von d'Artagnan, von einer jungen und ungeduldigen Liebe. Nein, ein materielles Interesse leitete seine Schritte. Er sollte endlich die geheimnißvolle Schwelle überschreiten, die unbekannte Treppe ersteigen, welche die alten Thaler des Meisters Coquenard einer um den andern erstiegen hatten. Er sollte wirklich eine gewisse Kiste sehen, deren Bild ihm zwanzigmal in seinen Träumen erschienen war; eine Kiste von langer und tiefer Form, mit Schlössern und Riegeln versehen, und mit eisernen Bändern an den Boden befestigt; eine Kiste, von der er so oft sprechen gehört, und welche die Hände des Procurators nun vor seinen bewundernden Blicken öffnen sollten.
Und er, der in der Welt umherirrende Mensch, der Mann ohne Vermögen, ohne Familie, der an Herbergen, Gasthöfen, Schenken und Wirtschaften aller Art gewöhnte Soldat, der Gourmand, der meistens nur auf zufällige Schmausereien angewiesen war, sollte sich an den Tisch einer bürgerlichen Haushaltung setzen, die Annehmlichkeiten eines so wohlhäbigen Heimwesens kennen lernen.
Täglich in der Eigenschaft eines Vetters bei einer guten Tafel erscheinen, die gelbe gefaltete Stirne des alten Procurators entrunzeln, die jungen Schreiber durch den Unterricht im Bassettspiele, im Lanzknecht und im Würfeln mit den feinsten Kunstgriffen rupfen und ihnen in Form eines Honorars für die Lection, die er ihnen in einer Stunde geben würde, die Ersparnisse eines Monats abnehmen. Alles dies lag in den seltsamen Sitten jener Zeit und war in der Voraussicht ungemein ergötzlich für Porthos.
Der Musketier erinnerte sich wohl der schlimmen Gerüchte, welche über die Procuratoren, ihre Knickerei, ihre Fasttage im Umlaufe waren. Da er aber im Ganzen die Procuratorin, abgesehen von einigen ökonomischen Anfällen, welche er stets sehr unzeitig fand, ziemlich freigebig gesehen hatte, wohl verstanden für eine Procuratorsfrau, so hoffte er ein angenehm eingerichtetes Haus zu finden.
An der Thüre regten sich jedoch einige Zweifel in dem Musketier. Der Zutritt hatte durchaus nichts Einladendes. Er fand einen übelriechenden schwarzen Gang, eine nur schlecht beleuchtete Treppe mit einem Fenster, durch dessen eiserne Stangen das graue Licht eines benachbarten Hofes mühsam eindrang. Im ersten Stock kam er vor eine niedere und, wie die Hauptthüre des großen Chatelet, mit ungeheuren eisernen Nägeln beschlagene Thüre. Porthos klopfte mit dem Finger an. Ein großer, bleicher und unter einem Wald von struppigen Haaren verborgener Schreiber öffnete und grüßte mit der Miene eines Mannes, der sich genöthigt sieht, an einem Andern den kräftigen hohen Wuchs, eine militärische Uniform und das frische rothe Gesicht zu achten, das die Gewohnheit gut zu leben andeutet.
Ein zweiter, kleinerer Schreiber hinter dem ersten, ein anderer größerer Schreiber hinter dem zweiten, ein Gassenjunge von zwölf Jahren hinter dem dritten.
Im Ganzen drei und ein halber Schreiber, was für jene Zeit eine Schreibstube von sehr bedeutender Kundschaft ankündigte.
Obgleich der Musketier erst um ein Uhr erscheinen sollte, war doch die Procuratorin seit der Mittagstunde mit ihrem Auge auf der Lauer, und versah sich zu dem Herzen und vielleicht auch zu dem Magen ihres Anbeters, daß er vor der bestimmten Zeit erscheinen werde.
Madame Coquenard kam also beinahe in demselben Augenblick aus der Zimmerthüre, wo ihr Gast durch die Treppenthüre eintrat, und die Erscheinung der würdigen Dame entzog Porthos einer großen Verlegenheit. Die Schreiber sahen äußerst neugierig aus, und er blieb völlig stumm, da er nicht wußte, was er zu dieser aufsteigenden Tonleiter sagen sollte.
«Das ist mein Vetter!«rief die Procuratorin.»Tretet doch ein, Herr Porthos!«
Der Name Porthos brachte die gehörige Wirkung auf die Schreiber hervor, welche zu lachen anfingen; aber Porthos wandte sich um und auf alle Gesichter kehrte der Ernst zurück.
Man gelangte in das Kabinet des Procurators, nachdem man ein Vorzimmer, wo die Schreiber waren, und die Schreibstube, in der sie hätten sein sollen, durchschritten hatte. Die letztere war eine Art von schwarzem Saale, mit beschriebenem Papier tapezirt. Aus der Schreibstube heraustretend, ließ man die Küche zur Rechten und gelangte in das Empfangszimmer.
Alle diese Zimmer, welche mit einander in Verbindung standen, brachten Porthos durchaus keine guten Begriffe bei. Man mußte die Worte von ferne durch alle diese offenen Thüren hören; dann hatte er im Vorübergehen einen raschen, forschenden Blick in die Küche geworfen und sich zur Schande der Procuratorsfrau und zu seinem eigenen Bedauern gestanden, daß er nichts von dem Feuer, von der Belebtheit von der Bewegung wahrzunehmen vermochte, wie dergleichen gewöhnlich im Augenblicke eines guten Mahles im Heiligthum der Gern- und Gutesserei zu herrschen pflegt.
Der Procurator war ohne Zweifel zum Voraus von seinem Besuche in Kenntniß gesetzt worden, denn er gab nicht das geringste Erstaunen bei dem Anblick von Porthos kund, der sich ihm mit vollkommen ungezwungener Miene näherte und ihn höflich begrüßte.
«Wir sind Vettern, wie es scheint, mein Herr Porthos?«sagte der Procurator und stand, sich mit den Armen stützend, von seinem Rohrstuhle auf.
Der Greis war in ein großes schwarzes Wamms gehüllt, in welchem sich sein schmächtiger Körper verlor, und sah gelb und vertrocknet aus. Seine kleinen grauen Augen glänzten wie Karfunkel und schienen nebst seinem Munde, der in beständigen Grimassen begriffen war, der einzige Theil seines Gesichtes zu sein, wo noch Leben wohnte. Leider fingen die Beine an, dieser ganzen Knochenmaschine den Dienst zu verweigern. Seit den fünf oder sechs Monaten, wo sich diese Schwäche fühlbar gemacht hatte, war der würdige Procurator beinahe der Sklave seiner Gattin geworden.
Der Vetter wurde mit Resignation aufgenommen und nicht weiter. Wäre Meister Coquenard noch flink auf den Beinen gewesen, so würde er alle Verwandtschaft mit Porthos abgelehnt haben.
«Ja, wir sind Vettern, «sprach Porthos, der nie auf eine begeisterte Aufnahme von Seiten des Gatten gerechnet hatte, ohne sich aus der Fassung bringen zu lassen.
«Durch die Frauen, glaube ich, «sagte der Procurator boshaft.
Porthos fühlte diesen Spott nicht und hielt ihn für eine Naivetät, worüber er in seinen dicken Schnurrbart lachte; Madame Coquenard, welche wußte, daß der naive Prokurator eine äußerst seltene Varietät in der Gattung ist, lächelte ein wenig und erröthete stark.
Herr Coquenard hatte seit der Ankunft von Porthos seine Augen unruhig auf einen großen, seinem eigenen Schreibtisch gegenüber stehenden Schrank geworfen. Porthos begriff, daß dieser Schrank, obgleich er seiner Form nach durchaus nicht demjenigen entsprach, welchen er in seinen Träumen gesehen hatte, das glückselige Geräthe sein mußte, und er beglückwünschte sich darüber, daß sie Wirklichkeit sechs Fuß mehr Höhe hatte, als der Traum.
Meister Coquenard trieb seine genealogischen Forschungen nicht weiter; aber seinen unruhigen Blick vom Schranke wieder Porthos zuwendend, begnügte er sich, zu sagen:
«Euer Herr Vetter wird wohl, ehe er in das Feld zieht, uns die Ehre erweisen, mit uns zu Mittag zu essen, nicht wahr, Madame Coquenard?«
Diesmal empfing Porthos den Stich in den vollen Leib und fühlte ihn; Madame Coquenard schien ihrerseits nicht unempfindlicher zu sein, denn sie fügte bei:
«Mein Vetter wird nicht wieder kommen, wenn er findet, daß wir ihn schlecht behandeln; aber im entgegengesetzten Fall hat er zu wenig Zeit noch in Paris zuzubringen und folglich uns zu sehen, als daß wir ihn nicht um jeden Augenblick bitten sollten, über den er noch zu verfügen vermag.«
«Oh! meine Beine, meine armen Beine!«murmelte Herr Coquenard und suchte zu lächeln.
Diese Hülfe, welche Porthos in dem Augenblicke zugekommen war, wo man ihn in seinen gastronomischen Hoffnungen angegriffen hatte, flößte dem Musketier große Dankbarkeit gegen seine Procuratorin ein.
Bald schlug die Mittagsstunde; man ging in das Speisezimmer, eine große dunkle Stube der Küche gegenüber.
Die Schreiber, denen, wie es scheint, die ungewöhnlichen Gerüche im Hause nicht entgangen waren, beobachteten eine militärische Pünktlichkeit und hielten, bereits sich niedersetzend, ihre Bestecke in der Hand. Man sah sie zum Voraus mit furchtbarem Tätigkeitsdrang ihre Kinnbacken bewegen.»Bei Gott!«dachte Porthos, indem er einen Blick auf die drei Ausgehungerten warf, denn der Gassenjunge wurde, wie man sich denken kann, nicht zu der Ehre eines Herrentisches zugelassen.»Bei Gott! an der Stelle meines Vetters würde ich solche Fresser nicht behalten. Sie sehen aus wie Schiffbrüchige, die seit sechs Wochen nicht gegessen.«
Herr Coquenard wurde auf seinem Rollstuhl von Madame Coquenard hereingeschoben, welche Porthos, bis er den Tisch erreichte, zuvorkommend im Rollen unterstützte. Kaum war er im Zimmer, als er Nase und Kinnbacken nach dem Beispiel seiner Schreiber in Bewegung setzte.
«Oh! oh!«sagte er,»das ist eine einladende Suppe.«
«Was Teufel riechen sie denn Außerordentliches in dieser Suppe?«sagte Porthos zu sich selbst beim Anblick einer blassen, weißlichen, aber ganz blinden Fleischbrühe, auf der einige seltene Krusten, wie die Inseln eines Archipels, schwammen.
Madame Coquenard lächelte und auf ein Zeichen von ihr beeilte sich Jedermann niederzusitzen.
Herr Coquenard wurde zuerst bedient, dann Porthos, hierauf füllte Madame Coquenard ihren Teller und theilte die Krusten ohne Fleischbrühe unter die Ungeduldigen aus.
In diesem Augenblick öffnete sich die Thüre des Speisezimmers knarrend von selbst, und Porthos erblickte durch die halbgeöffneten Flügel den kleinen Schreiber, der, da er nicht an dem Mahl Theil nehmen durfte, sein Brod bei dem doppelten Geruch von der Küche und dem Speisezimmer verzehrte.
Nach der Suppe brachte die Magd eine gesottene Henne, ein Prachtstück, bei dessen Anblick sich die Augenlider der Gäste so sehr erweiterten, daß man glaubte, sie müßten zerreißen.
«Man sieht, Ihr liebt Eure Familie, Madame Coquenard, «sprach der Procurator mit einem beinahe tragischen Lächeln,»das ist offenbar eine Galanterie, die Ihr Eurem Vetter erweist.«
Die arme Henne war alt und mit einer von den dicken, rauhen Häuten bekleidet, welche die Knochen mit aller Anstrengung nicht zu durchdringen vermögen. Man mußte sie lange gesucht haben, um ihre Aufsitzstange zu finden, auf die sie sich zurückgezogen hatte, um an Altersschwäche zu sterben.
«Teufel!«dachte Porthos,»das ist doch sehr traurig. Ich ehre das Alter, aber ich mache mir wenig daraus, wenn es gesotten oder gebraten ist.«
Und er schaute in der Runde umher, um zu beobachten, ob seine Meinung getheilt würde; aber er sah im Gegenteil nur flammende Augen, welche zum Voraus diese erhabene Henne, den Gegenstand seiner Verachtung, verschlangen.
Madame Coquenard zog die Platte zu sich heran, löste geschickt die zwei großen schwarzen Pfoten, die sie ihrem Gatten auf den Teller legte, schnitt den Hals ab, den sie mit dem Kopfe für sich nahm, trennte einen Flügel für Porthos ab und gab der Magd, welche es gebracht hatte, das Thier zurück, so daß es beinahe unberührt zurückkehrte und verschwunden war, ehe der Musketier Zeit hatte, die Veränderungen zu beobachten, welche diese Enttäuschung je nach den Charakteren und Temperamenten der Umsitzenden auf den Gesichtern hervorbrachte.
Nach der Henne machte eine Platte mit Bohnen ihre Aufwartung, in der sich einige Schöpsenknochen zu zeigen schienen, von denen man Anfangs glauben konnte, sie seien mit Fleisch bekleidet. Aber die Schreiber ließen sich durch diesen Trug nicht bethören, und ihre düstern Mienen wurden ergebungsvolle Gesichter.
Madame Coquenard theilte dieses Gericht mit der Mäßigung einer guten Hauswirthin unter die jungen Leute aus.
Nun kam die Reihe an den Wein; Herr Coquenard schenkte aus einem sehr mageren Weinkruge jedem von den jungen Leuten das Drittheil eines Glases em, nahm für sich ungefähr in gleichem Verhältniß, und die Flasche ging sogleich zu Porthos und Madame Coquenard über.
Die jungen Leute füllten das Drittel Wein mit Wasser; wenn sie die Hälfte des Glases getrunken hatten, füllten sie es abermals, und so machten sie dies fortwährend, wodurch sie am Ende des Mahles ein Getränke verschluckten, das von der Farbe des Rubins zu der des Rauchtopases übergegangen war.
Porthos verspeiste schüchtern seinen Flügel. Er trank auch ein halbes Glas von diesem so spärlich zugemessenen Weine und erkannte ihn als einen Montreuil. Meister Coquenard sah ihn den Wein ungemischt trinken und stieß einen Seufzer aus.
«Eßt Ihr vielleicht von diesen Bohnen, mein Vetter Porthos?«sprach Madame Coquenard mit jenem Tone, welcher sagen will:»Glaubt mir, eßt nichts davon.«
«Ich danke meiner Base, «erwiderte er,»ich habe keinen Hunger mehr.«
Es trat ein Stillschweigen ein. Porthos wußte nicht, wie er sich benehmen sollte. Der Procurator wiederholte mehrmals:
«Ah, Madame Coquenard, ich mache Euch mein Compliment. Euer Mittagsbrod ist ein wahres Festmahl!«
Porthos glaubte, man wolle ihn zum Besten halten, und fing an, seinen Schnurrbart in die Höhe zu streichen und die Stirne zu falten. Aber der Blick von Madame Coquenard ermahnte ihn zur Geduld.
In diesem Augenblick standen die Schreiber auf einen Wink des Procurators langsam vom Tische auf, legten ihre Servietten noch langsamer zusammen, verbeugten sich und traten ab.
«Geht, Ihr jungen Leute, geht und verdauet durch Arbeiten, «sagte der Procurator ernsthaft.
Als die Schreiber sich entfernt hatten, erhob sich Madame Coquenard und holte aus einem Speiseschrank ein Stück Käse, eingemachte Quitten und einen Kuchen, den sie aus Mandeln und Honig selbst verfertigt hatte.
Herr Coquenard runzelte die Stirne, weil er zu viel Gerichte erblickte.
«Ein Festmahl, ganz entschieden!«rief er, ungeduldig sich auf seinem Stuhl hin und her bewegend.»Ein wahres Festmahl! Epulae epularum: Lucullus speist bei Lucullus zu Mittag!«
Porthos schaute die Flasche an, die in seiner Nähe stand, und hoffte sich im Wein, Brod und Käse gütlich zu thun. Aber der Wein ging bald aus, die Flasche war leer. Herr und Madame Coquenard thaten, als ob sie es nicht bemerkten.
«Das ist gut, «sprach Porthos zu sich selbst,»ich weiß nun, woran ich bin.«
Er leckte ein wenig an einem Löffel voll eingemachter Quitten und verbiß sich die Zähne in dem zähen Teige von Madame Coquenard.
«Nun ist das Opfer gebracht, «sprach er.
Herr Coquenard fühlte nach den Leckereien eines solchen Mahles, das er einen Exceß nannte, das Bedürfniß, Siesta zu halten.
Porthos hoffte, dies würde an Ort und Stelle und in demselben Räume vorgehen, aber der Procurator wollte nichts davon hören. Man mußte ihn in sein Zimmer zurückbringen, und er schrie, so lange er nicht vor seinem Schranke war, auf dessen Rand er sodann aus Vorsicht seine Füße stellte.
Die Procuratorin führte Porthos in ein anstoßendes Zimmer.»Ihr könnt dreimal in der Woche zu Tisch kommen, «sagte Madame Coquenard. — »Ich danke, «erwiderte Porthos,»ich mache nicht gerne Mißbrauch von solchen Einladungen. Ueberdies muß ich an meine Equipirung denken.«—»Das ist wahr, «sprach die Prokuratorin seufzend,»diese unglückliche Equipirung nimmt Euch in Anspruch, nicht wahr?«—»Ach ja, «sagte Porthos. — »Aber worin besteht denn die Equipirung Eueres Corps, Herr Porthos?«—»Oh! in Mancherlei, «sprach Porthos,»die Musketiere sind, wie Ihr wißt, Elitesoldaten, und sie brauchen viele Dinge, welche die Garden und die Schweizer entbehren können.«—»Nennt sie mir einzeln.«—»Das belauft sich etwa auf… erwiderte Porthos, der sich lieber über den Gesammtbetrag, als über die einzelnen Punkte aussprechen wollte.
Die Procuratorin wartete zitternd.
«Auf wie viel?«fragte sie;»ich hoffe, es wird nicht mehr als…«hier blieb sie stecken, es fehlte ihr das Wort.
«Oh! nein, es beträgt nicht über zwei tausend fünf hundert Livres. Ich glaube sogar, daß ich bei einiger Sparsamkeit mit zwei tausend ausreichen könnte.«
«Guter Gott! zwei tausend Livres!«rief sie,»das ist ja ein ganzes Vermögen, und mein Mann wird sich nie herbeilassen, eine solche Summe zu borgen!«
Porthos machte eine sehr bezeichnende Grimasse; Madame Coquenard verstand ihren Sinn.
«Ich fragte nach den einzelnen Punkten, «sprach sie,»weil ich viele Verwandte und Kunden bei dem Handelsstand habe, und folglich überzeugt sein kann, daß ich die Sache um hundert Procent unter dem Preise bekomme, den Ihr dafür bezahlen müßt.«—»Ah! ah!«rief Porthos,»wenn Ihr damit andeuten wolltet…«—»Ja, mein lieber Herr Porthos. Ihr braucht also vor Allem…«—»Ein Pferd.«—»Ja, ein Pferd. Gut! das ist es gerade, was ich für Euch abmachen kann.«—»Ah!«sprach Porthos strahlend,»in Beziehung auf mein Pferd stehen also die Angelegenheiten ganz gut; dann brauche ich noch ein Pferd für meinen Bedienten und ein Felleisen. Was die Waffen betrifft, so dürft Ihr Euch nicht darum bekümmern, diese habe ich bereits.«—»Ein Pferd für Euern Bedienten?«versetzte die Procuratorin zögernd.»Aber das klingt sehr vornehm.«—»Ei! Madame!«sprach Porthos stolz,»bin ich etwa ein armer Schlucker?«—»Nein. Ich wollte Euch nur sagen, ein hübsches Maulthier sehe gleichsam eben so gut aus, wie ein Pferd, und es scheine mir, wenn ich Euch ein gutes Maulthier für Euren Mousqueton verschaffen würde…«—»Es mag sein, ein hübsches Maulthier; Ihr habt Recht, ich habe sehr vornehme spanische Herren gesehen, deren ganzes Gefolge auf Maulthieren ritt. Aber Ihr werdet dann begreifen, Madame Coquenard, daß ich ein Maulthier mit Federbusch und Schelle haben muß.«—»Seid unbesorgt, «erwiderte die Procuratorin. — »Nun ist noch das Felleisen übrig, «sagte Porthos. — »Oh! das darf Euch nicht beunruhigen, «rief Madame Coquenard,»mein Mann besitzt fünf oder sechs Felleisen, und Ihr sucht Euch das beste aus; es ist besonders eines darunter, das er sehr gerne mit auf Reisen nahm, man könnte eine ganze Welt hineinpacken.«—»Euer Felleisen ist also leer?«fragte Porthos. — »Gewiß, es ist leer, «antwortete die Procuratorin. — »Ah! dasjenige, welches ich brauche, «rief Porthos,»ist ein wohl ausgerüstetes, meine Theure.«
Madame Coquenard stieß neue Seufzer aus. Molière hatte damals seinen Geizhals noch nicht geschrieben. Madame Coquenard gebührt also der Vorrang vor Harpagon.
Der Rest der Equipirung wurde nach und nach auf dieselbe Weise debattirt, und das Resultat der Sitzung war, daß die Procuratorin von ihrem Gatten acht hundert Livres in baarem Gelde verlangen und das Pferd und das Maulthier liefern sollte, welchen beiden Geschöpfen die Ehre zugedacht war, Porthos und Mousqueton zum Ruhme zu tragen.
Als diese Bedingungen festgestellt und die Interessen vertragsmäßig bestimmt waren, nahm Porthos von Madame Coquenard Abschied und kehrte mit abscheulichem Hunger nach seiner Wohnung zurück.
V. Zofe und Gebieterin
Trotz der Stimme seines Gewissens, trotz der weisen Rathschläge von Athos und der zarten Erinnerung an Madame Bonacieux, verliebte sich d'Artagnan von Stunde zu Stunde mehr in Mylady; auch verfehlte er nicht, ihr täglich auf eine Weise den Hof zu machen, von welcher der eitle Gascogner überzeugt war, sie müsse früher oder später eine Erwiderung zur Folge haben.
Als er eines Tages, die Nase hochtragend, leichten Sinnes wie ein Mensch, der einem Goldregen entgegensieht, nach dem Hotel von Mylady kam, traf er die Zofe unter der Einfahrt; aber diesmal begnügte sich die hübsche Ketty nicht mit einem flüchtigen Lächeln, sie nahm ihn sachte bei der Hand.
«Gut!«sprach d'Artagnan zu sich selbst,»sie ist mit einer Botschaft ihrer Herrin an mich beauftragt; sie wird mir ein Rendezvous bezeichnen, das man mir mündlich zu geben nicht gewagt hat, «und dabei schaute er das schöne Kind mit der siegreichsten Miene an.
«Ich wünschte ein paar Worte mit Euch zu sprechen, Herr Chevalier, «stammelte die Kammerjungfer. — »Sprich, mein Kind, sprich, «sagte d'Artagnan,»ich höre.«—»Hier unmöglich; was ich Euch zu sagen habe, ist zu lang und besonders zu geheim.«—»Nun! was ist aber dann zu machen?«—»Wenn der Herr Chevalier mir folgen wollte, «sagte Ketty schüchtern. — »Wohin Du willst, mein schönes Kind.«—»So kommt.«
Und Ketty, die seine Hand nicht losgelassen hatte, zog ihn nach sich auf eine düstere Wendeltreppe, und öffnete eine Thüre, nachdem sie etwa fünfzehn Stufen hinaufgestiegen waren.
«Tretet ein, Herr Chevalier, hier sind wir allein und können ruhig mit einander sprechen.«
«Was ist das für ein Zimmer, mein schönes Kind?«fragte d'Artagnan.»Das meinige, gnädiger Herr; es steht mit dem meiner Gebieterin durch diese Thüre in Verbindung. Aber seid ohne Sorgen, sie kann nicht hören, was wir sprechen, da sie sich nie vor Mitternacht schlafen legt.«
D'Artagnan ließ seine Blicke umherschweifen. Das kleine Zimmer war reizend, sowohl was den Geschmack, als was die Reinlichkeit betraf, aber unwillkürlich hefteten sich seine Augen auf die Thüre, von der ihm Ketty gesagt hatte, sie führe nach dem Zimmer von Mylady.
Ketty erriet, was in der Seele des jungen Mannes vorging, und seufzte.
«Ihr liebt also meine Gebieterin sehr, Herr Chevalier?«fragte sie.
«Ich weiß nicht, ob ich sie wahrhaft liebe, ich weiß nur, daß ich wahnsinnig in sie verliebt bin.«
Ketty stieß einen zweiten Seufzer aus.
«Ach! mein Herr, das ist schade.«
«Was Teufels siehst Du denn darin so Unangenehmes?«
«Ich meine, weil meine Gebieterin Euch gar nicht liebt.«
«Wie!«rief d'Artagnan,»sollte sie Dich beauftragt haben, mir dies zu sagen?«
«Oh! nein, gnädiger Herr, aber ich habe aus Theilnahme für Euch den Entschluß gefaßt, es Euch kund zu thun.«
«Ich danke, meine gute Ketty, aber nur für die Absicht, denn Du wirst wohl zugeben, daß eine solche Eröffnung nicht gerade angenehm ist.«
«Das heißt, Ihr glaubt nicht an das, was ich Euch gesagt habe, nicht wahr?«
«Ich gestehe, daß ich, bis Du mir irgend einen Beweis für Deine Behauptung zu geben vermagst…«
«Was sagt Ihr zu diesem?«
Ketty zog aus ihrem Busen ein kleines Billet ohne Aufschrift hervor.
«Für mich?«rief d'Artagnan, sich rasch des Briefchens bemächtigend, und mit der Geschwindigkeit eines Gedankens zerriß er den Umschlag, trotz des Geschreies, das Ketty erhob, als sie sah, was er thun wollte, oder vielmehr, was er that.
«Ach! mein Gott! Herr Chevalier, was macht Ihr da?«sprach sie.
«Ei! bei Gott, «erwiderte d'Artagnan,»muß ich nicht von dem, was an mich gerichtet ist, Kenntniß nehmen?«Und er las:»Ihr habt auf mein erstes Billet nicht geantwortet: seid Ihr leidend, oder habt Ihr vergessen, mit welchen Augen Ihr mich auf dem Ball der Frau von Guise ansahst? Die Gelegenheit ist da, Graf, laßt sie nicht entschlüpfen.«
D'Artagnan erbleichte, er war in seiner Eigenliebe verletzt, er glaubte sich in seiner Liebe verwundet.
«Dieses Billet ist nicht für mich!«rief er. — »Nein es ist für einen Andern; Ihr habt mir nicht Zeit gelassen, dies Euch zu sagen.«—»Für einen Andern! sein Name! sein Name!«rief d'Artagnan wüthend. — »Für den Grafen von Wardes.«
Die Erinnerung an die Scene in Saint-Germain trat plötzlich wieder vor den Geist des anmaßenden Gascogners und bestätigte die Eröffnung Ketty's.
«Armer, lieber Herr d'Artagnan, «sprach diese in einem Tone voll Mitleids und drückte dem jungen Manne abermals die Hand. — »Du beklagst mich, gute Kleine, «sagte d'Artagnan.»Oh! ja, von ganzem Herzen, denn ich weiß, was Liebe heißt.«—»Du weißt, was Liebe heißt?«fragte d'Artagnan und schaute sie zum ersten Male mit einer gewissen Aufmerksamkeit an. — »Ach! ja.«—»Nun wohl! dann würdest Du, statt mich zu beklagen, viel besser daran thun, mir zu meiner Rache an Deiner Gebieterin zu verhelfen.«—»Und was für eine Rache wollt Ihr nehmen?«—»Meinen Nebenbuhler aus seiner Stelle verdrängen.«—»Dazu werde ich Euch nie behülflich sein, Herr Chevalier, «erwiderte Ketty lebhaft. — »Und warum nicht?«—»Aus zwei Gründen.«—»Aus welchen?«—»Erstens, weil meine Gebieterin Euch nie lieben wird.«—»Weißt Du dies?«—»Ihr habt sie in ihrem Innersten verletzt.«—»In welcher Beziehung kann ich sie verletzt haben, da ich doch, seit ich sie kenne, wie ein Sklave zu ihren Füßen liege? Sprich, ich bitte Dich.«—»Ich werde dieß nur dem Manne gestehen… der in der Tiefe meines Herzens zu lesen vermag.«
D'Artagnan schaute Ketty zum zweiten Male an. Das junge Mädchen war von einer Frische und Schönheit, wofür manche Herzogin ihre Krone gegeben hätte.
«Ketty, ich werde in der Tiefe Deines Herzens lesen, darüber beruhige Dich, mein liebes Kind; aber sprich.«
«O! nein, «rief Ketty,»Ihr liebt mich nicht, Ihr liebt meine Gebieterin; das habt Ihr mir soeben gesagt.«
«Und das hält Dich ab, mir den zweiten Grund zu nennen?«
«Der zweite Grund, mein Herr Chevalier, «sprach Ketty, durch den Ausdruck der Augen des jungen Mannes ermuthigt!» der zweite Grund heißt: in der Liebe sorgt jedes für sich.«
Jetzt erinnerte sich d'Artagnan der schmachtenden Blicke Kettys, ihres Lächelns und ihrer unterdrückten Seufzer, so oft er ihr begegnete; aber ganz und gar von dem Verlangen beseelt, der vornehmen Dame zu gefallen, hatte er die Zofe verachtet: wer den Adler jagt, kümmert sich nicht um den Sperling.
Aber diesmal begriff unser Gascogner blitzschnell, welchen Nutzen man aus dieser Liebe ziehen konnte, die ihm Ketty auf eine so naive Weise zugestanden hatte — Auffangung der an den Grafen von Wardes gerichteten Briefe, Einverständniß am Platze, Eintritt zu jeder Stunde durch Kettys Zimmer, welches an das ihrer Gebieterin stieß. Der Treulose opferte, wie man sieht, bereits in Gedanken das arme Mädchen der vornehmen Dame auf.
Es schlug Mitternacht und man hörte beinahe um dieselbe Zeit das Glöckchen in Myladys Zimmer ertönen.
«Großer Gott!«rief Ketty,»meine Herrin ruft, geht, geht geschwind.«
D'Artagnan stand auf, nahm seinen Hut, als ob er zu gehorchen beabsichtigte, öffnete aber rasch statt der Treppenthüre die Thüre eines großen Schrankes und kauerte sich mitten unter die Kleider und Mäntel von Mylady hinein.
«Was macht Ihr denn?«rief Ketty.
D'Artagnan, der zum Voraus den Schlüssel genommen hatte, schloß sich in seinen Schrank ein, ohne zu antworten.
«Nun!«rief Mylady mit scharfer Stimme,»schläfst Du, daß Du nicht kommst, wenn ich läute?«
D'Artagnan hörte, daß die Verbindungsthüre heftig geöffnet wurde.
«Hier bin ich, Mylady, hier bin ich!«rief Ketty ihrer Gebieterin entgegenlaufend.
Alle Beide traten in das Schlafzimmer ein und da die Thüre offen blieb, konnte d'Artagnan noch einige Zeit hören, wie Mylady ihre Kammerjungfer auszankte; endlich beruhigte sie sich, und es kam auf ihn die Rede, während Ketty ihre Gebieterin bediente.
«Ei!«sagte Mylady,»ich habe unsern Gascogner diesen Abend nicht gesehen.«—»Wie, Madame, «sprach Ketty,»er ist nicht gekommen! Sollte er flatterhaft sein, ehe er glücklich gewesen ist?«—»Oh! nein, Herr von Treville, oder Herr des Essarts werden ihn abgehalten haben. Ich verstehe mich darauf, Ketty, diesen halte ich fest.«—»Was wird die gnädige Frau mit ihm machen?«—»Was ich mit ihm machen werde? sei unbesorgt, Ketty; zwischen diesem Menschen und mir liegt ein Ding, das er nicht kennt. Er hat mich beinahe um meinen Kredit bei Sr. Eminenz gebracht. O! ich werde mich rächen.«—»Ich glaubte, die gnädige Frau liebe ihn?«—»Ich, ihn lieben! ich verabscheue ihn. Ein Einfaltspinsel, der das Leben von Lord Winter in den Händen hat, ihn nicht tötet und mir dadurch einen Verlust von dreimal hunderttausend Livres Rente zuzieht.«—»Das ist richtig, «sagte Ketty.»Euer Sohn wäre der einzige Erbe seines Oheims, und bis zu seiner Volljährigkeit hättet Ihr die Nutznießung seines Vermögens gehabt.«
D'Artagnan schauerte bis in das Mark seiner Knochen, als er hörte, wie ihm dieses liebreizende Geschöpf, mit der scharfen Stimme, die sie nur mit größter Mühe im Gespräch zu verbergen vermochte, vorwarf, daß er einen Mann nicht getötet habe, den sie, wie er selbst gesehen hatte, mit Freundschaftsbeweisen überhäufte.
«Auch hätte ich mich bereits an ihm gerächt, «fuhr Mylady fort,»wenn mir nicht der Kardinal, ich weiß nicht aus welchem Grunde, befohlen hätte, ihn zu schonen.«
«Oh! ja, aber Madame hat die kleine Frau nicht geschont, die er liebte.«
«Ah! die Krämerin aus der Rue des Fossoyeurs! hat er nicht bereits vergessen, daß sie lebte? eine schöne Rache, meiner Treu!«
Der kalte Schweiß lief d'Artagnan von der Stirne: dieses Weib war ein Ungeheuer.
Er horchte wieder, aber leider war die Toilette beendigt.
«Gut, «sprach Mylady,»geh in Dein Zimmer, und suche morgen eine Antwort auf den Brief zu bekommen, den ich Dir gegeben habe.«
«Für Herrn von Wardes?«fragte Ketty.
«Allerdings.«
«Das ist ein Mann, «sprach Ketty,»der mir vorkommt, als wäre er gerade das Gegentheil von dem armen Herrn d'Artagnan.«
«Geht, Mademoiselle, «sagte Mylady,»ich liebe die Kommentare nicht.«
D'Artagnan hörte die Thüre zumachen, dann vernahm er das Geräusch von zwei Riegeln, welche Mylady vorschob, um sich in ihrem Zimmer einzuschließen. Ketty drehte auf ihrer Seite, aber so sachte als möglich, den Schlüssel einmal um. Dann stieß d'Artagnan die Thüre des Schrankes auf.
«Oh! mein Gott!«sprach Ketty mit gedämpfter Stimme,»was habt Ihr denn und wie bleich seht Ihr aus!«
«Das abscheuliche Geschöpf!«murmelte d'Artagnan.
«Stille! stille! kommt heraus; es ist nur eine dünne Scheidewand zwischen meinem Zimmer und dem von Mylady; man hört in dem einen ganz genau, was in dem andern gesprochen wird.«
«Schon gut; aber ich gehe nicht eher heraus, als bis Du mir gesagt hast, was aus Madame Bonacieux geworden ist.«
Das arme Mädchen schwur d'Artagnan auf das Krucifix, daß sie es nicht wisse, da ihre Gebieterin ihre Geheimnisse nie mehr als zur Hälfte durchdringen lasse. Nur glaube sie dafür stehen zu können, daß sie nicht tot sei.
Was die Ursache betraf, aus der Mylady beinahe ihren Kredit bei dem Kardinal verloren hatte, so wußte Ketty auch hievon nicht mehr. Aber diesmal war d'Artagnan besser eingeweiht, als sie. Da er Mylady in dem Augenblick, wo er selbst England verließ, auf einem konsignirten Schiffe gesehen hatte, so vermuthete er, daß von den diamantenen Nestelstiften die Rede war.
Am klarsten trat bei Allem hervor, daß der wahre, tiefe und eingefleischte Haß Myladys gegen ihn davon herrührte, daß er ihren Schwager nicht getötet hatte.
D'Artagnan kehrte am andern Tag zu Mylady zurück. Sie war sehr übler Laune. D'Artagnan begriff, daß das Ausbleiben des Briefes ihre gereizte Stimmung veranlaßt hatte. Ketty trat ein, wurde aber äußerst hart von Mylady behandelt. Ein Blick, den sie d'Artagnan zuwarf, wollte sagen:»Ihr seht, wie ich um Euretwillen leide.«
Doch am Ende des Abends besänftigte sich die schöne Löwin; sie hörte lächelnd die zärtlichen Worte d'Artagnan's und gab ihm sogar die Hand zu küssen.
Als d'Artagnan sich entfernte, wußte er nicht mehr, was er denken sollte; da er aber ein Gascogner war, den man nicht so leicht den Kopf verlieren machte, so ersann er in seinem Innern ein Plänchen.
Er fand Ketty an der Thüre und ging wie am vorhergehenden Tage mit ihr hinauf, um Neuigkeiten von ihr zu erfahren. Ketty war viel gescholten worden; man hatte sie der Nachlässigkeit beschuldigt. Mylady konnte das Stillschweigen des Grafen von Wardes gar nicht begreifen und sie hatte ihr befohlen, am Morgen um neun Uhr in ihrem Schlafzimmer zu erscheinen, um ihre Aufträge zu vernehmen.
D'Artagnan ließ sich von Ketty das Versprechen geben, am andern Tage in seine Wohnung zu kommen, um ihm den Inhalt dieser Befehle mitzutheilen. Die Arme versprach alles, was d'Artagnan haben wollte; sie liebte wahnsinnig.
Um elf Uhr sah er Ketty kommen. Sie hielt ein neues Billet von Mylady in der Hand. Diesmal suchte es das arme Kind d'Artagnan nicht einmal streitig zu machen und ließ ihn gewähren. Sie gehörte mit Leib und Seele dem schönen Soldaten.
D'Artagnan öffnete dieses zweite Billet, das ebenfalls weder mit einer Unterschrift noch mit einer Adresse versehen war, und las, wie folgt:
«Ich schreibe Euch zum dritten Male, um Euch zu sagen, daß ich Euch liebe. Hütet Euch, daß ich Euch nicht zum vierten Male schreibe, um Euch zu sagen, daß ich Euch hasse.«
D'Artagnan wurde wiederholt blaß und roth, während er dieses Billet las.
«Oh! Ihr liebt sie immer noch!«sprach Ketty, die nicht einen Moment die Augen von dem Gesicht des jungen Mannes abgewandt hatte.
«Nein, Ketty, Du täuschest Dich; ich liebe sie nicht mehr, aber ich will mich für ihre Verachtung rächen.«
Ketty seufzte.
D'Artagnan nahm eine Feder und schrieb:
«Madame, bis jetzt habe ich gezweifelt, ob Eure beiden ersten Billets auch gewiß an mich gerichtet wären, so sehr wähnte ich mich einer solchen Ehre unwürdig.
«Heute aber muß ich an das Uebermaß Eurer Güte glauben, weil nicht nur Euer Brief, sondern auch Euere Kammerfrau mir die Versicherung geben, daß ich das Glück habe, von Euch geliebt zu werden.
«Ich werde heute Abend um elf Uhr meine Verzeihung erflehen. Einen Tag länger zögern, wäre jetzt in meinen Augen eine neue Beleidigung.
«Derjenige, welchen Ihr zum glücklichsten Sterblichen macht.«
Dieses Billet war nicht gerade eine Fälschung — d'Artagnan unterzeichnete es nicht — aber es war eine Unzartheit, es war sogar, aus dem Gesichtspunkte unserer gegenwärtigen Sitten betrachtet, etwas wie eine Schändlichkeit; man machte sich in jener Zeit weniger Bedenken, als gegenwärtig. Ueberdieß wußte d'Artagnan durch das eigene Geständniß von Mylady, daß sie des Verraths an wichtigeren Häuptern schuldig war, und er hegte nur eine sehr geringe Achtung vor ihr.
Auch hatte er sich an ihr wegen ihrer Koketterie gegen ihn und wegen ihres Benehmens gegen Madame Bonacieux zu rächen.
D'Artagnans Plan war ganz einfach. Durch Ketty's Zimmer gelangte er in das ihrer Gebieterin. Er beschämte die Treulose, er drohte, sie durch öffentlichen Skandal zu kompromittiren, und erhielt von ihr durch den Schrecken alle Auskunft, die er über Constance's Schicksal zu haben wünschte. Vielleicht konnte sogar die Freiheit der hübschen Krämerin das Resultat dieser Zusammenkunft sein.
«Hier, «sprach der junge Mann und stellte Ketty das Billet ganz versiegelt zu,»gib diesen Brief Mylady; es ist die Antwort des Herrn von Wardes.«
Die arme Ketty wurde bleich wie der Tod; sie vermuthete, was das Billet enthielt.
«Höre, mein liebes Kind, «sagte d'Artagnan zu ihr,»Du begreifst, daß Alles dies auf die eine oder auf die andere Weise endigen muß; Mylady kann entdecken, daß Du das erste Billet meinem Bedienten übergeben hast, statt es dem Bedienten des Grafen einzuhändigen und daß ich die anderen entsiegelt habe, welche Herr von Wardes entsiegeln sollte. Dann wird Dich Mylady fortjagen, und Du kennst sie, sie ist nicht die Frau, ihre Rache hierauf zu beschränken.«
«Ach, «rief Ketty,»wofür habe ich mich Allem dem ausgesetzt!«
«Für mich, ich weiß es wohl, meine Schönste, «sagte der junge Mann;»auch bin ich Dir in hohem Maße dankbar, das schwöre ich.«
«Aber was enthält denn Euer Billet?«
«Mylady wird es Dir sagen.«
«Ach, Ihr liebt mich nicht!«rief Ketty,»und ich bin sehr unglücklich!«
Ketty weinte sehr, ehe sie sich entschloß, diesen Brief Mylady zu übergeben; aber endlich entschloß sie sich dennoch aus Ergebenheit für den jungen Musketier, und das war Alles, was d'Artagnan in diesem Augenblick wollte.
VI. Worin von der Equipirung von Aramis und Porthos die Rede ist
Seitdem jeder der vier Freunde seiner Equipirung nachjagte, fand keine bestimmte Zusammenkunft mehr unter ihnen statt; die Einen speisten ohne die Andern, wo man sich traf, oder vielmehr man traf sich, wo man konnte. Der Dienst nahm auch einen Theil der so schnell verrinnenden Zeit weg. Nur hatte man sich verabredet, einmal wöchentlich gegen ein Uhr bei Athos zusammen zu kommen, weil der letztere seinem Schwure getreu nicht mehr über seine Thürschwelle ging.
Gerade der Tag, an welchem Ketty d'Artagnan aufgesucht hatte, war auch der Tag der Zusammenkunft. Kaum hatte Ketty das Haus verlassen, als sich d'Artagnan nach der Rue Ferou wandte.
Er fand Athos und Aramis, welche philosophirten. Aramis war halb Willens, zu der Sutane zurückzukehren. Athos rieth ihm, seiner Gewohnheit gemäß, weder ab, noch ermuthigte er ihn dazu. Athos war dafür, Jedem seinen freien Willen zu lassen. Er gab nur Rathschläge, die man von ihm forderte, und man mußte sie zweimal fordern.
«Im Allgemeinen fordert man Rathschläge nur, «sagte er,»um sie nicht zu befolgen, oder wenn man sie befolgt, um Jemand zu haben, dem man einen Vorwurf daraus machen kann, daß er sie gegeben.«
Porthos kam einen Augenblick nach d'Artagnan. Die Versammlung der vier Freunde war also vollzählig.
Die vier Gesichter drückten vier verschiedene Gefühle aus: das von Porthos Ruhe, das von d'Artagnan Hoffnung, das von Aramis Unruhe, das von Athos Sorglosigkeit.
Nach einem kurzen Gespräch, in welchem Porthos durchblicken ließ, eine sehr hochgestellte Person wolle es gütigst übernehmen, ihn aus der Verlegenheit zu ziehen, trat Mousqueton ein. Er bat Porthos, in seine Wohnung zu kommen, wo, wie er mit sehr kläglicher Miene sagte, seine Gegenwart dringend nothwendig sei.
«Betrifft es meine Equipirung?«fragte Porthos. — »Ja und nein, «antwortete Mousqueton. — »Aber was willst Du denn?…«—»Kommt, gnädiger Herr!«
Porthos stand auf, grüßte seine Freunde und folgte Mousqueton.
Einen Augenblick später erschien Bazin auf der Thürschwelle.
«Was willst Du von mir, mein Freund?«sagte Aramis mit jener Weichheit der Sprache, die man jedes Mal bei ihm bemerkte, so oft ihn seine Gedanken zu der Kirche zurückführten. — »Ein Mann erwartet den gnädigen Herrn zu Hause, «antwortete Bazin. — »Ein Mann! was für ein Mann?«—»Ein Bettler.«—»Gib ihm ein Almosen, Bazin, und sage ihm, er möge für einen armen Sünder beten.«—»Dieser Bettler will mit aller Gewalt Euch sprechen, und behauptet, Ihr würdet sehr erfreut sein, ihn zu sehen.«—»Hat er nichts Besonderes für mich?«—»Allerdings.«»»Wenn Herr Aramis,««sagte er,»»mich nicht sogleich aufsuchen will, so meldet ihm, ich komme von Tours.««—»Von Tours? ich gehe!«rief Aramis.»Meine Herren, ich bitte tausendmal um Vergebung, aber ohne Zweifel bringt mir dieser Mensch Nachrichten, welche ich erwarte. «So sprechend stand er auf und entfernte sich rasch.
Es blieben noch Athos und d'Artagnan.
«Ich glaube, daß diese Spitzbuben ihre Sachen gefunden haben. Was denkt Ihr davon, d'Artagnan?«sagte Athos.
«Ich weiß, daß Porthos im schönsten Zug ist, «erwiderte d'Artagnan,»und in Bezug auf Aramis bin ich in der That nie ernstlich in Unruhe gewesen. Aber Ihr, mein lieber Athos, der Ihr so edelmüthig die Pistolen des Engländers ausgetheilt habt, die Euch von Rechts wegen zukamen, was gedenkt Ihr zu thun?«
«Ich bin sehr froh, daß ich diesen Schurken getötet habe, da er die alberne Neugierde hatte, meinen wahren Namen erfahren zu wollen; aber wenn ich seine Pistolen eingesackt hätte, so würden sie mich drücken, wie ein Gewissensbiß.«
«Ei, ei, mein lieber Athos, Ihr habt ein wahrhaft unbegreifliches Zartgefühl.«
«Lassen wir das! Apropos, Herr von Treville, der mich gestern mit seinem Besuch beehrte, sagte mir, daß Ihr sehr häufig die verdächtigen Engländer besuchet, welche der Kardinal beschützt.«
«Das heißt, daß ich einer Engländerin meinen Besuch mache, derjenigen, von welcher ich mit Euch gesprochen habe.«
«Ah, ja, die blonde Frau, in Bezug auf welche ich Euch Rathschläge gab, die Ihr natürlich nicht befolgt habt.«
«Ich habe Euch meine Gründe genannt. Ich bin jetzt fest überzeugt, daß diese Dame bei der Entführung der Frau Bonacieux mitgewirkt hat.«
«Ja, und ich begreife, daß Ihr, um eine Frau aufzufinden, einer andern den Hof macht. Das ist der längste Weg, aber der unterhaltendste.«
Wir wollen die zwei Freunde, die sich nichts Wichtiges zu sagen hatten, verlassen, um Aramis zu folgen.
Wir haben gesehen, mit welcher Geschwindigkeit der junge Mann, bei der Nachricht, daß sein Unbekannter von Tours komme, Bazin folgte, oder vielmehr ihm vorauslief. Er machte gleichsam nur einen Sprung von der Rue Ferou nach der Rue Vaugirard.
Beim Eintritt in seine Wohnung fand er wirklich einen Mann von kleinem Wuchs und gescheidten Augen, aber mit Lumpen bedeckt.
«Ihr verlangt nach mir, «sagte der Musketier. — »Das heißt, ich verlange nach Herrn Aramis. Heißt Ihr so?«—»Allerdings. Habt Ihr mir etwas zu übergeben?«—»Ja, wenn Ihr mir ein gewisses gesticktes Taschentuch zeigt.«—»Hier ist es, «sprach Aramis, indem er einen Schlüssel aus der Brust zog und ein kleines, mit Perlmutter inkrustirtes Kistchen von Ebenholz öffnete,»seht, hier ist es.«—»Gut, «sprach der Bettler,»schickt Euren Bedienten weg.«
Bazin hatte wirklich, um zu erfahren, was der Bettler von seinem Herrn wollte, gleichen Schritt mit ihm gehalten und war beinahe zugleich mit ihm angekommen. Aber diese Geschwindigkeit nützte ihn nicht sehr viel. Auf diese Aufforderung des Bettlers gab ihm sein Herr ein Zeichen, sich zu entfernen, und er mußte gehorchen.
Sobald Bazin sich entfernt hatte, warf der Bettler einen raschen Blick umher, um sich zu versichern, daß ihn Niemand hören oder sehen konnte, öffnete seine mit einem ledernen Gürtel nur schlecht verschlossene, zerlumpte Überweste, und fing an, sein Wamms oben aufzutrennen, aus dem er einen Brief hervorzog.
Aramis stieß ein Freudengeschrei bei dem Anblick des Siegels aus und öffnete mit beinahe religiöser Ehrfurcht den Brief, welcher Folgendes enthielt:
«Freund! das Schicksal will, daß wir noch einige Zeit getrennt sein sollen; aber die schönen Tage der Jugend sind nicht unwiederbringlich verloren. Thut Eure Pflicht im Felde, ich thue die meinige anderswo. Nehmt, was der Ueberbringer Euch zustellen wird. Macht den Feldzug als schöner und braver Edelmann mit, und denkt an mich. Adieu, oder vielmehr auf Wiedersehen!«
Der Bettler trennte immer noch auf. Er zog aus seinen schmutzigen Kleidern hundert und fünfzig Doppelpistolen hervor, die er auf dem Tisch an einander reihte; dann öffnete er die Thüre, grüßte und ging ab, ohne daß der erstaunte junge Mann ihm ein Wort hatte sagen können.
Aramis las den Brief noch einmal und bemerkte, daß derselbe eine Nachschrift hatte.
«N. S. Ihr könnt dem Ueberbringer einen guten Empfang zu Theil werden lassen. Er ist Graf und Grand von Spanien.«
«Goldene Träume!«rief Aramis,»oh! das schöne Leben! ja, wir sind jung! ja, wir werden noch schöne Tage haben! oh! Dir! Dir meine Liebe, mein Blut, mein Dasein! Alles, Alles, Alles, meine schöne Geliebte!«
Und er küßte den Brief leidenschaftlich, ohne nur das Gold anzuschauen, das auf dem Tische funkelte.
Bazin kratzte an der Thüre, Aramis hatte keine Ursache mehr ihn entfernt zu halten, und erlaubte ihm einzutreten.
Bazin blieb beim Anblick des Goldes ganz erstaunt stehen und vergaß d'Artagnan zu melden, der aus Neugierde in Betreff des Bettlers zu Aramis kam, nachdem er Athos verlassen hatte.
Da sich aber d'Artagnan bei Aramis keinen Zwang anthat, so meldete er sich selbst, als er sah, daß ihn Bazin vergaß.
«Ah, Teufel, mein lieber Aramis, «sprach d'Artagnan,»wenn das die Pflaumen sind, die man Euch von Tours schickt, so macht dem Gärtner, der sie pflanzt, mein Kompliment.«
«Ihr täuscht Euch, mein Lieber, «erwiderte der allzeit verschwiegene Aramis.»Mein Buchhändler hat mir so eben das Honorar für das Gedicht in einsilbigen Versen geschickt, das ich da unten angefangen habe.«
«Ah, wahrhaftig?«rief d'Artagnan.»Nun wohl! Euer Buchhändler ist splendid, mein lieber Aramis; das ist Alles, was ich sagen kann.«
«Wie, gnädiger Herr, «rief Bazin,»ein Gedicht wird so hoch bezahlt? Das ist unglaublich! Oh, gnädiger Herr! Ihr macht Alles, was Ihr wollt, Ihr könnt es noch so weit bringen, wie Herr Voiture und Herr von Benserade.«
«Bazin, mein Freund, «sagte Aramis,»ich glaube, Du mischest Dich in das Gespräch.«
Bazin begriff, daß er Unrecht hatte, senkte den Kopf und trat ab.
«Wie?«sprach d'Artagnan lächelnd.»Ihr laßt Euch Eure Erzeugnisse mit Gold aufwiegen? Ihr seid sehr glücklich, mein Freund! Aber nehmt Euch in Acht, Ihr verliert den Brief, der aus Eurer Kasake hervorsieht und ohne Zweifel auch von Eurem Buchhändler kommt.«
Aramis erröthete bis unter das Weiß der Augen, drückte seinen Brief tiefer hinein und knöpfte sein Wamms wieder zu.
«Mein lieber d'Artagnan, «sagte er,»wir wollen, wenn es Euch genehm ist, unsere Freunde aufsuchen, und da ich jetzt reich bin, heute wieder anfangen mit einander zu diniren, bis Ihr ebenfalls reich seid.«
«Meiner Treu!«erwiderte d'Artagnan,»mit großem Vergnügen. Wir haben seit geraumer Zeit kein anständiges Mittagsmahl mehr eingenommen, und da ich, für meinen Theil, diesen Abend ein etwas gewagtes Unternehmen auszuführen habe, so wäre es mir, ehrlich gestanden, nicht unangenehm, den Kopf mit einigen Flaschen altem Burgunder zu erwärmen.«
«Es mag sein, alter Burgunder, ich hasse ihn auch nicht, «sprach Aramis, dem der Anblick des Goldes die Gedanken an Zurückgezogenheit abgestreift hatte.
Er steckte drei bis vier Doppelpistolen in seine Tasche, um den Bedürfnissen des Augenblicks zu genügen, und schloß die übrigen in das mit Perlmutter inkrustirte Kistchen von Ebenholz, worin das bereits bekannte Taschentuch lag, das ihm als Talisman gedient hatte.
Die zwei Freunde begaben sich zuerst zu Athos, der es, getreu seinem Schwur nicht auszugehen, übernahm, das Mittagbrod in seine Wohnung bringen zu lassen. Da er sich sehr gut auf die gastronomischen Einzelheiten verstand, so machten d'Artagnan und Aramis keine Schwierigkeit, ihm diese wichtige Sorge zu überlassen.
Sie waren auf dem Wege zu Porthos, als sie an der Ecke der Rue du Bac Mousqueton begegneten, der mit kläglicher Miene ein Maulthier und ein Pferd vor sich hertrieb.
D'Artagnan stieß einen Schrei des Erstaunens aus, dem es nicht an einer Beimischung von Freude fehlte.
«Ah! mein gelbes Pferd!«rief er,»seht dieses Pferd an!«
«Oh! die abscheuliche Mähre!«sagte Aramis.
«Was wollt Ihr, mein Lieber, «versetzte d'Artagnan,»das ist das Pferd, auf welchem ich nach Paris gekommen bin.«
«Wie, der gnädige Herr kennt dieses Pferd?«sprach Mousqueton.
«Es hat eine ganz originelle Farbe, «rief Aramis,»es ist das einzige, das ich mit einer solchen Haut gesehen habe.«
«Ich glaube wohl!«sagte d'Artagnan,»ich habe es auch um drei Thaler verkauft, und das muß der Haut wegen gewesen sein, denn das Gerippe ist sicherlich keine achtzehn Livres werth. Aber wie kommt dieses Pferd in Deine Hände, Mousqueton?«
«Oh! sprecht mir nicht hievon, gnädiger Herr, «erwiderte der Bediente,»das ist ein abscheulicher Streich vom Gemahle unserer Herzogin.«
«Wie so, Mousqueton?«
«Ja, wir sind sehr wohl gelitten bei einer Frau von hohem Stande, bei der Herzogin von… Doch um Vergebung, mein Herr hat mir Verschwiegenheit empfohlen. Sie hatte uns genöthigt, ein kleines Andenken, ein spanisches Roß und ein andalusisches Maulthier anzunehmen, und Beides war herrlich anzuschauen. Der Gemahl erfuhr die Sache, konfiscirte unterwegs die zwei prächtigen Thiers, die man uns schickte, und vertauschte sie mit diesen abscheulichen Bestien.«
«Die Du ihm zurückbringst?«
«Natürlich, «antwortete Mousqueton.»Ihr begreift, daß wir keine solchen Thiere für diejenigen annehmen können, welche uns versprochen waren.«
«Nein, bei Gott! obgleich ich Porthos gerne auf meinem gelben Pferde gesehen haben möchte. Das hätte mir eine Idee davon gegeben, wie ich aussah, als ich nach Paris kam. Aber wir wollen Dich nicht aufhalten, Mousqueton; geh und besorge den Auftrag Deines Herrn. Ist er zu Hause?«
«Ja, gnädiger Herr; aber in sehr verdrießlicher Laune, «sprach Mousqueton.
Und er setzte seinen Weg nach dem Quai des Grands-Augustins fort, während die zwei Freunde an der Thüre des unglücklichen Porthos läuteten. Dieser hatte sie durch den Hof schreiten sehen, und war nicht Willens zu öffnen. Sie klopften also vergebens.
Mousqueton aber trieb seine zwei Mähren vor sich her über den Pont Neuf und erreichte die Rue aux Ours. Hier angelangt, band er, nach dem Befehle seines Herrn, Pferd und Maulthier an den Thürklopfer des Procurators und kehrte sodann, ohne sich um ihr ferneres Schicksal zu bekümmern, zu seinem Herrn zurück, um diesem zu melden, daß sein Auftrag vollzogen sei.
Nach einiger Zeit machten die unglücklichen Thiers, die seit dem Morgen nichts gefressen hatten, dadurch, daß sie den Klopfer aufhoben und wieder fallen ließen, einen solchen Lärm, daß der Procurator seinem Gassenjungen befahl, sich in der Nachbarschaft zu erkundigen, wem das Pferd und das Maulthier gehörten.
Madame Coquenard erkannte ihr Geschenk und konnte Anfangs diese Zurücksendung gar nicht begreifen; aber bald bekam sie Licht durch den Besuch des Musketiers. Der Zorn, der in seinen Augen funkelte, obschon er an sich zu halten suchte, erschreckte die empfindsame Liebende. Mousqueton hatte seinem Herrn wirklich nicht verborgen, daß er d'Artagnan und Aramis begegnet war, und daß d'Artagnan in dem gelben Pferde die Bearner Mähre erkannt, auf der er nach Paris gekommen war und die er sodann um drei Thaler verkauft hatte.
Porthos entfernte sich, nachdem er der Procuratorin im Kloster Saint-Magloire Rendezvous gegeben hatte. Als der Procurator Porthos gehen sah, lud er ihn zum Mittagessen ein, der Musketier aber schlug diese Einladung mit einer Miene voll Majestät aus.
Madame Coquenard begab sich ganz zitternd nach dem Kloster Saint-Magloire, denn sie ahnte die Vorwürfe, die ihrer harrten, aber sie wurde gänzlich geblendet durch die großartigen Manieren von Porthos.
Alles was ein in seiner Eitelkeit verletzter Mensch von Verwünschungen und Vorwürfen auf das Haupt einer Frau herabströmen lassen kann, ließ Porthos auf das gebeugte Haupt der Procuratorin strömen.
«Ach! ich glaubte äußerst klug zu Werke zu gehen, «sagte sie.»Einer von unsern Kunden ist Pferdehändler; er war der Schreibstube Geld schuldig und zeigte sich hartnäckig; ich nahm das Maulthier und das Pferd für das, was wir von ihm zu fordern hatten. Er versprach mir zwei königliche Thiere.«
«Wohl! Madame, «erwiderte Porthos,»wenn er Euch mehr als fünf Thaler schuldig war, so ist Euer Pferdehändler ein Dieb.«
«Es ist nicht verboten, das Wohlfeile zu suchen, Herr Porthos, «entgegnete die Procuratorsfrau, sich entschuldigend.
«Nein, Madame, aber diejenigen, welche das Wohlfeile suchen, müssen Anderen erlauben, sich nach edelmüthigeren Freunden umzusehen.«
Hierauf wandte sich Porthos auf den Absätzen und machte einen Schritt um sich zu entfernen.
«Herr Porthos! Herr Porthos!«rief die Procuratorin,»ich habe Unrecht, ich erkenne es; ich hätte nicht feilschen sollen, da es sich darum handelte, einen Cavalier, wie Ihr seid, zu equipiren.«
Porthos machte, ohne zu antworten, einen zweiten Schritt zum Rückzug.
Die Procuratorin glaubte ihn in einer glänzenden Wolke zu erblicken, umgeben von lauter Herzoginnen uns Marquisen, die ihm Säcke voll Gold vor die Füße warfen.
«Bleibt doch um's Himmels willen, Herr Porthos!«rief sie,»bleibt und laßt mit Euch sprechen.«—»Mit Euch sprechen bringt mir Unglück, «entgegnete Porthos.«—»Sagt mir doch, was wünscht Ihr?«—»Nichts; denn das kommt gerade auf dasselbe heraus, als wenn ich etwas wünschen würde.«
Die Procuratorin hing sich Porthos an den Arm und rief in überströmendem Schmerz:
«Herr Porthos, ich bin unwissend in allen diesen Dingen. Weiß ich, was ein Pferd ist! Weiß ich, was Equipirung heißt?«—»Dann müßt Ihr Euch an mich halten, der ich mich darauf verstehe; aber Ihr wolltet sparen und folglich auf Wucher leihen.«—»Das war Unrecht von mir, Herr Porthos, und ich werde es auf mein Ehrenwort wieder gut machen.«—»Und wie dies?«fragte der Musketier. — »Hört. Diesen Abend geht Coquenard zu dem Herrn Herzog von Chaulnes, der ihn hat rufen lassen. Es findet eine Berathung statt, welche wenigstens zwei Stunden dauert. Kommt zu mir, wir werden allein sein und unsere Angelegenheiten ordnen.«—»Gut. Das heiße ich vernünftig sprechen, meine Liebe.«—»Ihr verzeiht mir?«—»Wir werden sehen, «erwiderte Porthos majestätisch.
Und sie trennten sich nach wiederholtem:»Diesen Abend also.«
«Teufel!«dachte Porthos auf dem Rückweg,»es scheint mir, ich komme dem Geldkasten des Herrn Coquenard immer näher.
VII. Bei Nacht sind alle Katzen grau
Der so ungeduldig von Porthos und von d'Artagnan erwartete Abend kam.
D'Artagnan fand sich wie gewöhnlich gegen neun Uhr bei Mylady ein. Er traf sie in der angenehmsten Laune, nie hatte sie ihn so gut empfangen. Unser Gascogner sah auf den ersten Blick, daß Ketty ihrer Gebieterin das vermeintliche Billet des Grafen von Wardes zugestellt hatte, und daß dieses Billet seine Wirkung hervorbrachte.
Ketty trat ein, um Sorbets zu reichen. Ihre Gebieterin machte ihr die freundlichste Miene, lächelte ihr auf das Anmuthigste zu; aber die Arme war so traurig über die Anwesenheit d'Artagnans bei Mylady, daß sie das Wohlwollen der letzteren gar nicht gewahr wurde.
D'Artagnan schaute die zwei Frauen nach einander an und mußte sich gestehen, daß sich die Natur bei ihrer Hervorbringung getäuscht hatte; der vornehmen Dame hatte sie eine giftige, treulose Seele, der Zofe ein liebendes, treues Herz gegeben.
Um zehn Uhr fing Mylady an, unruhig zu scheinen; d'Artagnan errieth ihre Gedanken sehr wohl; sie schaute auf die Uhr, erhob sich, setzte sich wieder und lächelte d'Artagnan mit einer Miene zu, als wollte sie sagen;»Ihr seid allerdings liebenswürdig, aber Ihr wäret allerliebst, wenn Ihr Euch entferntet.«
D'Artagnan stand auf und nahm seinen Hut; Mylady reichte ihm die Hand zum Kusse. Der junge Mann fühlte, daß sie ihm seine Hand drückte, und begriff, daß er diese Gunst einem Gefühl, nicht der Koketterie, sondern der Dankbarkeit für seinen Aufbruch verdankte.
«Sie liebt ihn wahnsinnig!«murmelte er.
Diesmal erwartete ihn Ketty weder im Vorzimmer, noch auf der Flur, noch im Thorweg. D'Artagnan mußte ganz allein die Treppe und das kleine Zimmer finden.
Ketty hatte an einem Tisch sitzend das Gesicht in den Händen verborgen und weinte.
Sie hörte d'Artagnan eintreten, aber sie hob den Kopf nicht in die Höhe. Der junge Mann näherte sich ihr und nahm sie bei der Hand; dann brach sie in ein Schluchzen aus.
Mylady hatte, wie d'Artagnan voraussetzte, als sie den Brief erhielt, den sie für eine Antwort des Grafen von Wardes hielt, im Uebermaß der Freude der Zofe alles gesagt und ihr als Belohnung für die Art und Weise, wie sie sich ihres Auftrags entledigt, eine Börse geschenkt.
In ihr Zimmer zurückkehrend hatte Ketty die Börse in einen Winkel geworfen, wo sie neben drei oder vier Goldstücken, welche herausgefallen waren, offen liegen blieb.
Bei der Stimme d'Artagnans schaute das arme Mädchen endlich empor. D'Artagnan erschrack über die Veränderung in ihren Gesichtszügen; sie faltete die Hände mit flehender Miene, aber ohne daß sie ein Wort zu sprechen vermochte.
So wenig empfindsam das Herz d'Artagnans war, so fühlte er sich doch gerührt durch diesen stummen Schmerz; aber er hing zu fest an seinen Entwürfen und besonders an diesem, als daß er es hätte über sich gewinnen können, etwas an dem Programm zu verändern, das er zum Voraus gemacht hatte. Er ließ Ketty keine Hoffnung, das von ihm beschlossene kecke Unternehmen zu verhindern. Nur stellte er ihr es als das dar, was es in Wirklichkeit war, das heißt als eine einfache Rache für die Koketterie Mylady's und als das einzige Mittel, von ihr die gewünschte Auskunft über Madame Bonacieux dadurch zu erlangen, daß er sie durch Furcht vor Skandal beherrschen würde.
Dieser Plan war um so leichter ausführbar, als Mylady aus Gründen, die man sich nicht erklären konnte, die jedoch von großem Gewichte zu sein schienen, Ketty den Befehl gegeben hatte, alle Lichter in ihrem Zimmer und sogar die im Zimmer der Zofe auszulöschen.
Bald hörte man Mylady, welche in ihr Gemach zurückkehrte. D'Artagnan stürzte sogleich in den Schrank; kaum war er hineingeschlüpft, als die Glocke ertönte.
Ketty ging zu ihrer Gebieterin hinein und ließ die Thüre diesmal nicht offen, aber die Scheidewand war so dünn, daß man beinahe Alles hörte, was zwischen den zwei Frauen gesprochen wurde.
Mylady schien trunken vor Freude; sie ließ sich von Ketty die geringsten Einzelnheiten der angeblichen Zusammenkunft der Kammerjungfer mit dem Grafen von Wardes wiederholen, — wie er ihren Brief empfangen, wie er geantwortet, welchen Ausdruck sein Gesicht gezeigt habe, ob er sehr verliebt geschienen; auf alle diese Fragen antwortete die arme Ketty, welche sich keine Blöße geben durfte, mit einer erstickten Stimme, deren schmerzhaften Ton ihre Gebieterin nicht einmal bemerkte — so selbstsüchtig ist das Glück.
Als endlich die Stunde nahte, wo der Graf von Wardes erscheinen sollte, ließ Mylady in der That Alles bei sich auslöschen, und hieß Ketty in ihr Zimmer zurückkehren und den Grafen von Wardes bei ihr einführen, sobald er sich zeigen würde.
Ketty hatte nicht lange zu warten. Kaum hatte d'Artagnan durch das Schlüsselloch seines Schrankes gesehen, daß das ganze Zimmer in Finsterniß gehüllt war, so sprang er in dem Augenblick, wo Ketty die Verbindungsthüre wieder schloß, aus seinem Versteck hervor.
«Was soll dieses Geräusch bedeuten?«fragte Mylady.
«Ich bin es, «sagte d'Artagnan mit halber Stimme,»ich, der Graf von Wardes.«
«O, mein Gott, mein Gott!«murmelte Ketty,»er konnte nicht einmal die Stunde abwarten, die er selbst festgesetzt hatte.«
«Nun!«sprach Mylady mit zitternder Stimme,»warum tritt er nicht ein? Graf, Graf, Ihr wißt, daß ich Euch erwarte.«
Auf diesen Ruf schob d'Artagnan Ketty sachte bei Seite und eilte in das Zimmer von Mylady.
Müssen Wuth und Schmerz eine Seele foltern, so ist dies im höchsten Grad bei einem Liebenden der Fall, welcher unter einem Namen, der nicht ihm gehört, Liebesbetheuerungen empfängt, die seinem glücklichen Nebenbuhler gelten.
D'Artagnan befand sich in einer peinvollen Lage, die er nicht vorhergesehen hatte; die Eifersucht marterte sein Herz, und er litt beinahe so sehr, wie die arme Ketty, welche in demselben Augenblick im anstoßenden Zimmer weinte.
«Ja, Graf, «sagte Mylady mit ihrer weichsten Stimme und drückte dabei eine seiner Hände,»ja, ich bin glücklich durch die Liebe, die mir Eure Blicke und Eure Worte ausdrückten. Aber ich liebe Euch auch. Morgen, morgen will ich irgend ein Pfand von Euch, das beweisen soll, daß Ihr an mich denkt, und da Ihr mich vergessen könntet, so nehmt.«
Und sie zog einen Ring von ihrem Finger und steckte ihn d'Artagnan an.
Es war ein prächtiger Saphir, umgeben von Brillanten.
Die erste Regung d'Artagnans war, ihr denselben zurückzugeben; aber Mylady fügte bei:
«Nein, nein, behaltet diesen Ring, mir zu Liebe. Ueberdies leistet Ihr mir, indem Ihr ihn annehmt, «setzte sie mit bewegter Stimme hinzu,»einen größeren Dienst, als Ihr Euch vorstellen könnt.«
«Diese Frau ist doch voll von Geheimnissen, «dachte d'Artagnan.
In diesem Augenblick fühlte er sich geneigt, Alles zu enthüllen. Er öffnete den Mund, um Mylady zu sagen, wer er sei, und welcher Racheplan ihn herbeigeführt; aber sie fügte hinzu:
«Armer Engel, den dieses Ungeheuer von einem Gascogner beinahe getötet hätte!«
Das Ungeheuer war er.
«Oh!«fuhr Mylady fort,»habt Ihr noch an Euren Wunden zu leiden?«—»Ja, viel, «erwiderte d'Artagnan, der nicht wußte, was er sagen sollte. — »Seid ruhig, «antwortete Mylady, in einem für ihren Zuhörer wenig beruhigenden Ton,»ich werde Euch rächen, grausam rächen!«—»Pest, «sprach d'Artagnan zu sich selbst,»der Augenblick der Offenbarung ist noch nicht gekommen.«
D'Artagnan brauchte einige Zeit, um sich von diesem kleinen Dialog zu erholen: alle rachsüchtigen Gedanken, die er mitgebracht hatte, waren völlig verschwunden. Diese Frau übte eine unglaubliche Macht über ihn aus; er haßte sie und betete sie zugleich an; er hatte nie geglaubt, daß zwei so entgegengesetzte Gefühle in einem Herzen wohnen und ihrer Vereinigung eine seltsame, gleichsam teuflische Liebe bilden können.
Es hatte indessen ein Uhr geschlagen; man mußte sich zurückziehen. In dem Augenblick, wo d'Artagnan Mylady verließ, fühlte er nur ein lebhaftes Bedauern, sich von ihr entfernen zu müssen, und bei dem leidenschaftlichen Lebewohl, das sie an einander richteten, wurde eine neue Zusammenkunft für die nächste Woche verabredet.
Die arme Ketty hoffte einige Worte mit d'Artagnan sprechen zu können, wenn er durch ihr Zimmer gehen würde; aber Mylady geleitete ihn selbst in der Dunkelheit und verließ ihn erst auf der Treppe.
Am andern Morgen lief d'Artagnan zu Athos. Er war in ein so seltsames Abenteuer verwickelt, daß er ihn um seinen Rath bitten wollte, und erzählte ihm deßhalb Alles, was vorgefallen war. Athos runzelte wiederholt die Stirne.
«Eure Mylady, «sprach er,»scheint mir ein heilloses Geschöpf zu sein. Aber es war darum von Euch nicht minder unrecht, sie zu täuschen, und Ihr habt nun auf die eine oder auf die andere Weise eine Feindin auf dem Nacken.«
Während Athos sprach, schaute er beständig den mit Diamanten umgebenen Saphir an, der an d'Artagnan's Finger die Stelle des Ringes der Königin eingenommen hatte, welcher sorgfältig in ein Kästchen verschlossen worden war.
«Ihr schaut diesen Ring an, «sagte der Gascogner, stolz darauf, vor den Blicken des Freundes ein so reiches Geschenk glänzen lassen zu können.
«Ja, «sagte Athos,»er erinnert mich an ein Familienjuwel.«
«Der Ring ist schön, nicht wahr?«sprach d'Artagnan.
«Herrlich!«antwortete Athos,»ich glaubte nicht, daß zwei Saphire von so schönem Wasser vorhanden wären. Habt Ihr ihn gegen Euren Diamant ausgetauscht?«
«Nein, «sagte d'Artagnan,»es ist ein Geschenk von meiner schönen Engländerin oder vielmehr von meiner schönen Französin, denn, obgleich ich sie nicht darüber befragt habe, bin ich doch überzeugt, daß sie in Frankreich geboren ist.«
«Dieser Ring ist Euch von Mylady zugekommen?«rief Athos mit einer Stimme, in der sich leicht die große Gemüthsbewegung erkennen ließ.
«Von ihr selbst, sie hat ihn mir heute Nacht gegeben.«
«Zeigt mir den Ring, «sprach Athos.
«Hier ist er, «antwortete d'Artagnan und zog ihn vom Finger.
Athos betrachtete denselben und wurde sehr bleich. Dann probirte er ihn an dem Ringfinger seiner linken Hand. Er ging so gut an diesen Finger, als ob er dafür gemacht worden wäre.
Eine Wolke des Zorns und der Rache zog über die gewöhnlich so ruhige Stirne des Edelmanns.
«Es kann unmöglich derselbe sein, «sprach er.»Wie sollte sich dieser Ring in den Händen von Mylady Clarick finden! Und doch läßt sich kaum zwischen zwei Juwelen eine solche Ähnlichkeit denken!«
«Kennt Ihr diesen Ring?«fragte d'Artagnan.
«Ich glaubte ihn zu erkennen, «erwiderte Athos,»aber ich täuschte mich ohne Zweifel.«
Und er gab d'Artagnan den Ring zurück, schaute ihn aber fortwährend an.
«Ich bitte Euch!«sprach er nach einem Augenblick,»ich bitte Euch, d'Artagnan, nehmt diesen Ring von Eurem Finger oder dreht den Saphir nach Innen. Er ruft so schreckliche Erinnerungen in mir zurück, daß ich nicht die nöthige Besinnung hätte, um mit Euch zu plaudern. Wolltet Ihr nicht Rath von mir haben? Sagtet Ihr mir nicht, Ihr seiet in Verlegenheit, was Ihr thun sollet? Aber halt, gebt mir nochmals diesen Ring. Derjenige, von welchem ich sprechen wollte, muß an einer der Seiten des Steines in Folge eines Unfalls geritzt sein.«
D'Artagnan zog den Ring abermals von seinem Finger und gab ihn Athos.
Athos bebte:»Seht, «sprach er;»seht! ist das nicht seltsam!«
Und er zeigte d'Artagnan die Ritze, deren er sich erinnerte.
«Aber von wem hattet Ihr diesen Saphir, Athos?«
«Von meiner Mutter, die ihn von der ihrigen erbte. Wie ich Euch sage, es ist ein alter Juwel, der nie aus der Familie kommen sollte.«
«Und Ihr habt ihn verkauft?«fragte d'Artagnan zögernd.
«Nein, «antwortete Athos mit seltsamem Lächeln.»Ich habe ihn während einer Liebesstunde verschenkt, wie er an Euch verschenkt worden ist.«
D'Artagnan wurde ebenfalls nachdenkend. Es kam ihm vor, als erblicke er in Myladys Leben Abgründe mit düsteren, furchtbaren Tiefen.
Er steckte den Ring nicht an seinen Finger, sondern in seine Tasche.
«Hört, «sprach Athos und faßte ihn bei der Hand,»Ihr wißt, daß ich Euch liebe, d'Artagnan; hätte ich einen Sohn, ich könnte ihn nicht mehr lieben als Euch; nun, glaubt mir, verzichtet auf diese Frau. Ich kenne sie nicht, aber eine unbestimmte Ahnung sagt mir, daß sie ein verdorbenes Geschöpf ist und daß etwas Unseliges in ihr sein muß.«
«Und Ihr habt Recht, «sprach d'Artagnan,»glaubt mir, ich trenne mich von ihr. Ich gestehe Euch, auch mich erfüllt diese Frau mit Schrecken.«
«Werdet Ihr den Muth haben?«sagte Athos.
«Ich werde ihn haben, «antwortete d'Artagnan,»und zwar in diesem Augenblick.«
«Wohl, mein Junge, Ihr habt Recht, «sprach der Edelmann und drückte dem Gascogner mit wahrhaft väterlicher Zuneigung die Hand.»Gott wolle, daß diese Frau, die kaum in Eure Existenz eingetreten ist, keine traurige Spur darin zurücklasse.«
Und Athos grüßte d'Artagnan mit dem Kopf, wie ein Mensch, der zu verstehen geben will, daß es ihm nicht unangenehm wäre, mit seinen Gedanken allein bleiben zu können.
Als d'Artagnan nach seiner Wohnung zurückkehrte, fand er Ketty, die auf ihn wartete. Ein Monat Fieber hätte das arme Kind nicht mehr verändert, als dies durch eine Stunde der Eifersucht und des Schmerzes geschehen war.
Sie wurde von ihrer Gebieterin zum Grafen von Wardes geschickt. Ihre Gebieterin war toll vor Liebe, trunken vor Freude. Sie wollte wissen, wann der Graf ihr eine zweite Zusammenkunft geben würde.
Bleich und zitternd sah die arme Ketty der Antwort d'Artagnan entgegen.
Athos übte einen großen Einfluß über diesen jungen Mann aus. Der Rath seines Freundes hatte ihn in Verbindung mit den Gefühlen seines eigenen Herzens und der Erinnerung an Madame Bonacieux, welche ihn nur selten verließ, in dem Entschlüsse befestigt, jetzt, da sein Stolz gerettet war, Mylady nicht wieder zu sehen. Statt jeder Antwort nahm er eine Feder und schrieb folgenden Brief, den er eben so wenig unterzeichnete, als den vorhergehenden:
«Rechnet nicht auf mich, Madame; seit meiner Wiederherstellung habe ich so viele Unterhaltungen dieser Art zu bewilligen, daß ich eine gewisse Ordnung in die Sache bringen mußte. Kommt die Reihe an Euch, so werde ich die Ehre haben, Euch davon in Kenntniß zu setzen.«
Von dem Saphir kein Wort; der Gascogner wollte ihn bis auf neuen Befehl als eine Waffe gegen Mylady behalten.
Man hätte übrigens Unrecht, die Handlungen einer Epoche aus dem Gesichtspunkte einer andern zu betrachten. Was man heute als eine Schmach für einen Mann von Welt halten würde, war in jener Zeit etwas ganz Einfaches und Natürliches.
D'Artagnan gab den Brief Ketty offen; diese las ihn anfangs, ohne ihn zu verstehen, und wäre beinahe wahnsinnig geworden, als sie ihn zum zweiten Male las.
Ketty konnte nicht an dieses Glück glauben. D'Artagnan war genöthigt, ihr mündlich die Versicherung zu wiederholen, die ihr der Brief schriftlich gab. Wie groß auch die Gefahr war, welche die Arme bei dem heftigen Charakter von Mylady lief, wenn sie dieses Billet ihrer Gebieterin einhändigte, so ging sie doch so geschwind, als sie konnte, nach der Place Royale zurück.
Das Herz der besten Frau ist gefühllos gegen die Schmerzen einer Nebenbuhlerin.
Mylady öffnete den Brief mit derselben Eile, mit der ihn Ketty gebracht hatte, aber bei den ersten Worten, die sie las, wurde sie leichenblaß, dann zerknitterte sie das Papier und wandte sich mit einem Blitze in den Augen gegen Ketty.
«Was soll dieser Brief?«sprach sie.
«Es ist die Antwort auf den der gnädigen Frau, «erwiderte Ketty zitternd.
«Unmöglich!«versetzte Mylady,»unmöglich kann ein Edelmann an eine Frau einen solchen Brief geschrieben haben.«
Dann rief sie plötzlich:
«Mein Gott! sollte er wissen…«
Und sie hielt bebend inne. Sie knirschte mit den Zähnen, ihr Gesicht war leichenfarbig. Sie wollte einen Schritt gegen das Fenster machen, um Luft zu schöpfen; aber sie konnte nur den Arm ausstrecken, die Kraft versagte ihr und sie sank auf einen Stuhl zurück.
Ketty glaubte, sie befinde sich unwohl, und eilte zu ihr, um den Schnürleib zu öffnen. Aber Mylady sprang auf und rief lebhaft:
«Was willst Du? Warum legst Du Hand an mich?«»Ich glaubte, Mylady befinde sich unwohl, und wollte ihr Hülfe leisten, «antwortete die Zofe, ganz erschrocken über den furchtbaren Ausdruck, den das Gesicht ihrer Gebieterin angenommen hatte.
«Ich mich unwohl befinden! hältst Du mich für ein erbärmliches Weib? Soll ich krank werden, wenn man mich beleidigt? Nein, ich räche mich, verstehst Du wohl?«
Und sie gab Ketty ein Zeichen, sich zu entfernen.
VIII. Rachetraum
Am Abend gab Mylady Befehl, Herrn d'Artagnan einzuführen, sobald er seiner Gewohnheit gemäß kommen würde. Aber er kam nicht.
Am andern Tag besuchte Ketty den jungen Mann abermals und erzählte ihm Alles, was am Abend vorgefallen war. D'Artagnan lächelte. Dieser eifersüchtige Zorn war seine Rache.
Am zweiten Abend war Mylady noch ungeduldiger, als Tags zuvor; sie erneuerte den Befehl in Beziehung auf den Gascogner; aber sie wartete vergeblich, wie am Tag vorher. Am nächsten Morgen erschien Ketty wiederum bei d'Artagnan, nicht heiterer, nicht aufgeräumter, als an den zwei vorhergehenden Tagen, sondern im Gegentheil zum Sterben traurig. D'Artagnan fragte das arme Mädchen, was sie habe; aber sie zog statt jeder Antwort einen Brief aus der Tasche und händigte ihm denselben ein.
Dieser Brief war von der Hand Myladys, nur mit dem Unterschied, daß er diesmal wirklich für d'Artagnan und nicht für Herrn von Wardes bestimmt war.
Er öffnete und las Folgendes:
«Lieber Herr d'Artagnan, es ist nicht schön, seine Freunde zu vernachlässigen, besonders in dem Augenblick, wo man sie auf lange Zeit zu verlassen im Begriffe ist. Mein Schwager und ich haben Euch gestern und vorgestern vergebens erwartet. Wird dies heute Abend ebenso sein? Eure dankbare
Lady Winter.«
«Das ist ganz einfach, «sprach d'Artagnan.»Ich erwartete diesen Brief. Mein Kredit steigt durch das Sinken des Grafen von Wardes.«
«Werdet Ihr gehen?«fragte Ketty.
«Höre, mein liebes Kind, «sagte der Gascogner, der sich in seinen eigenen Augen darüber zu entschuldigen suchte, daß er von dem Versprechen, welches er Athos geleistet hatte, abgehen wollte;»Du begreifst, daß es unpolitisch wäre, einer so bestimmten Einladung nicht Folge zu leisten. Würde Mylady mich nicht zurückkommen sehen, so dürfte sie das Abbrechen meiner Besuche nicht begreifen; sie könnte dann irgend etwas vermuthen, und wer weiß, wie weit die Rache einer Frau von diesem Schlage gehen könnte?«
«O mein Gott!«sprach Ketty,»Ihr wißt die Dinge so darzustellen, daß Ihr immer Recht habt. Aber Ihr werdet ihr den Hof machen, und wenn Ihr Mylady diesmal unter Eurem wahren Namen und mit Eurem wahren Gesicht gefallen würdet, so wäre es noch viel schlimmer, als das erste Mal.«
Der Instinkt ließ das arme Mädchen einen Theil von dem, was da kommen sollte, ahnen.
D'Artagnan suchte sie so gut als möglich zu beruhigen und versprach ihr, unempfindlich gegen Myladys Verführungen zu bleiben.
Er ließ dieser antworten, er sei äußerst dankbar für ihre Güte und werde ihrem Befehl gehorchen; aber er wagte es nicht, ihr zu schreiben, weil er für so geübte Augen, wie Mylady's, seine Handschrift nicht gehörig verstellen zu können fürchtete.
Mit dem Schlag neun Uhr war d'Artagnan auf der Place Royale. Die Bedienten, welche im Vorzimmer warteten, waren offenbar von seiner Erscheinung in Kenntniß gesetzt, denn sobald er kam, sogar ehe er gefragt hatte, ob Mylady sichtbar sei, lief einer von ihnen hinweg, um ihn zu melden.
«Laßt ihn eintreten, «sprach Mylady mit raschem, aber so durchdringendem Tone, daß d'Artagnan es im Vorzimmer hörte.
Man führte ihn ein.
«Ich bin für Niemand zu Hause, «sprach Mylady,»verstehst Du, für Niemand.«
Der Lakai entfernte sich.
D'Artagnan warf einen neugierigen Blick auf Mylady. Sie war bleich und hatte matte Augen, mochte dies nun von Thränen oder von Schlaflosigkeit herrühren. Man hatte absichtlich die gewöhnliche Zahl der Lichter vermindert, und dennoch gelang es der jungen Frau nicht, die Spuren des Fiebers zu verbergen, von dem sie seit zwei Tagen verzehrt wurde.
D'Artagnan näherte sich ihr mit seiner gewöhnlichen Höflichkeit. Sie machte eine gewaltige Anstrengung, um ihn zu empfangen, aber nie hat ein verstörteres Gesicht ein liebenswürdigeres Lächeln Lügen gestraft.
Auf die Frage, welche d'Artagnan über ihre Gesundheit an sie richtete, antwortete Mylady:
«Schlecht, sehr schlecht.«
«Dann begehe ich eine Unbescheidenheit, «sagte d'Artagnan,»Ihr bedürft ohne Zweifel der Ruhe, und ich entferne mich.«
«Nein, im Gegentheil, bleibt, Herr d'Artagnan. Eure liebenswürdige Gesellschaft wird mich zerstreuen.«
«Sie ist nie so reizend gewesen, «dachte d'Artagnan.»Wir wollen ihr Trotz bieten.«
Mylady nahm die liebevollste Miene an, die sie anzunehmen vermochte und verlieh ihrer Unterhaltung allen möglichen Reiz. Zu gleicher Zeit gab das Fieber, das sie einen Augenblick verlassen hatte, ihren Augen den Glanz, ihren Wangen die Farbe ihren Lippen den Karmin wieder. D'Artagnan fand abermals die Circe, die ihn bereits in ihren Zauber verstrickt hatte. Mylady lächelte, und es war d'Artagnan zu Muthe, als könnte er für dieses Lächeln die Höllenqualen erleiden.
Es gab einen Augenblick, wo er etwas wie einen Gewissensbiß über das fühlte, was er gegen sie gethan hatte.
Nach und nach wurde Mylady mittheilsam. Sie fragte d'Artagnan, ob er eine Liebe im Herzen trage.
«Ach!«rief d'Artagnan mit seinem empfindsamsten Tone,»könnt Ihr so grausam sein, eine solche Frage an mich zu richten, an mich, der ich, nachdem ich Euch gesehen habe, nur für Euch, für Euch allein athme und seufze!«
Mylady lächelte seltsam.
«Also liebt Ihr mich?«sprach sie. — »Habe ich nöthig, Euch dies zu sagen? Habt Ihr es nicht selbst wahrgenommen?«—»Allerdings, aber Ihr wißt, je stolzer die Herzen sind, desto schwieriger sind sie zu erobern.«—»Oh! die Schwierigkeiten erschrecken mich nicht, «sprach d'Artagnan;»nur die Unmöglichkeiten können mich erschrecken.«—»Nichts ist einer wahren Liebe unmöglich, «sagte Mylady. — »Nichts, Madame?«—»Nichts!«wiederholte Mylady. — »Teufel, «dachte d'Artagnan,»die Note verändert sich. Sollte sie vielleicht verliebt in mich werden? Sollte sie geneigt sein, mir einen zweiten Saphir zu geben, dem ähnlich, welchen sie mir für Herrn von Wardes gegeben hat?«—»Laßt hören, «sagte Mylady,»was würdet Ihr thun, um mir die Liebe zu beweisen, von der Ihr sprecht?«—»Alles, was man von mir verlangte. Man befehle, ich bin bereit.«—»Zu Allem?«—»Zu Allem!«rief d'Artagnan, welcher zum Voraus wußte, daß er nicht viel wagte, wenn er eine solche Verpflichtung einging. — »Schön! plaudern wir ein wenig, «sprach Mylady und rückte ihren Stuhl d'Artagnan näher. — »Ich höre, gnädige Frau, «sprach dieser.
Mylady blieb einen Augenblick nachdenkend und unentschieden, dann schien sie einen Entschluß zu fassen und sagte:
«Ich habe einen Feind.«—»Ihr Madame?«rief d'Artagnan, den Erstaunten spielend.»Mein Gott, ist es möglich… bei Eurer Schönheit und Güte!«—»Einen Todfeind.«—»In der That?«—»Einen Feind, der mich grausam beleidigt hat, daß zwischen ihm und mir ein Krieg auf Leben und Tod stattfindet. Könnte ich auf Euch als auf einen Bundesgenossen rechnen?«
D'Artagnan begriff sogleich, was das rachsüchtige Geschöpf beabsichtigte.
«Ihr könnt es, «sprach er mit Emphase.»Mein Arm und mein Leben gehören Euch, wie meine Liebe.«—»Dann, «sprach Mylady:»da Ihr in demselben Grade edelmüthig seid, in dem Ihr liebt…«—»Nun?«fragte d'Artagnan. — »Nun!«versetzte Mylady nach kurzem Stillschweigen,»sprecht fortan nicht mehr von Unmöglichkeiten.«—»Tödtet mich nicht durch so viel Glück!«rief d'Artagnan, stürzte auf die Kniee und bedeckte die Hände, die man ihm überließ, mit Küssen. — »Räche mich an diesem heillosen Wardes, «dachte Mylady,»und ich werde mich Deiner alsbald zu entledigen wissen, doppelter Dummkopf, lebendige Degenklinge!«—»Ja, sage mir. Du liebest mich, nachdem Du mich so schändlich betrogen hast, heuchlerisches, gefährliches Weib, «dachte d'Artagnan,»und ich verlache Dich dann mit demjenigen, welchen Du durch meine Hand bestrafen willst.«
D'Artagnan schaute empor und sagte:
«Ich bin bereit.«—»Ihr habt mich also begriffen, lieber Herr d'Artagnan, «sprach Mylady. — »Ich würde Eure Blicke errathen.«—»Ihr werdet also für mich Euren Arm gebrauchen, der sich bereits einen so hohen Ruf erworben hat?«—»Sogleich.«—»Und wie werde ich Euch je für einen solchen Dienst danken können?«sprach Mylady. — »Eure Liebe ist die einzige Belohnung, welche ich verlange, «erwiderte d'Artagnan,»die einzige, die Euer und meiner würdig ist.«—»Eigennütziger!«sagte sie lächelnd. — »Ah!«rief d'Artagnan, einen Augenblick durch die Leidenschaft fortgerissen, welche diese Frau in seinem Herzen zu entzünden gewußt hatte;»ah! weil mir Eure Liebe unwahrscheinlich vorkommt, und weil ich sie wie meine Träume verschwinden zu sehen fürchte, drängt es mich die bestimmte Versicherung aus Eurem Munde zu empfangen.«—»Verdient Ihr denn bereits ein solches Geständniß?«—»Ich bin zu Euren Befehlen, «sagte d'Artagnan. — »Gewiß?«rief Mylady mit einem leichten Zweifel. — »Nennt mir den Elenden, der diese schönen Augen weinen gemacht bat.«—»Wer sagt Euch, daß ich geweint habe?«fragte Mylady lebhaft. — »Es schien mir so…«—»Frauen, wie ich, weinen nicht, «versetzte Mylady.»Desto besser! O sagt mir dann, wie er heißt.«—»Bedenkt, daß sein Name ganz mein Geheimniß ist.«—»Ich muß ihn jedoch wissen.«—»Ja, Ihr sollt ihn erfahren. Seht, welches Vertrauen ich in Euch setze!«—»Ihr erfüllt mich mit Freude! Wie heißt er?«—»Ihr kennt ihn.«—»Wirklich?«—»Ja!«—»Es ist keiner von meinen Freunden?«sprach d'Artagnan zögernd, um an seine Unwissenheit glauben machen.
«Wenn es einer von Euren Freunden wäre, würdet Ihr also zögern?«rief Mylady, und ein drohender Blitz zuckte aus ihren Äugen. — »Nein, und wäre es mein Bruder, «sprach d'Artagnan, als würde er von der Begeisterung fortgerissen.
Unser Gascogner betheuerte, ohne zu wagen, denn er wußte, wohin dies alles führen sollte.
«Ich liebe Eure Ergebenheit, «sagte Mylady. — »Ach! liebt Ihr nur das an mir?«fragte d'Artagnan. — »Ich werde Euch das ein andermal sagen, «antwortete sie und nahm ihn bei der Hand.
Und dieser Druck machte d'Artagnan schaudern, als ob ihn das Fieber, welches Mylady verzehrte, durch die Berührung ebenfalls ergriffen hätte.
«Werdet Ihr mich eines Tages lieben?«rief er.»O, wenn dies der Fall wäre, ich könnte den Verstand darüber verlieren!«
D'Artagnan war in der That trunken vor Freude, und in seinem Wahnsinn glaubte er beinahe an die Zärtlichkeit Myladys, er glaubte beinahe an das Verbrechen von Wardes. Wenn Wardes in diesem Augenblicke unter seiner Hand gewesen wäre, er hätte ihn getödtet.
Mylady ergriff die Gelegenheit.
«Er heißt…«sprach sie. — »Von Wardes, ich weiß es, «unterbrach d'Artagnan. — »Und woher wißt Ihr dies?«fragte Mylady, indem sie seine beiden Hände nahm und in seinen Augen bis auf den Grund seiner Seele zu lesen suchte.
D'Artagnan fühlte, daß er sich hatte hinreißen lassen und daß er einen Fehler gemacht hatte.
«Sprecht, sprecht, sprecht doch!«wiederholte Mylady.»Woher wißt Ihr es?«—»Woher ich es weiß?«sprach d'Artagnan, — »Ja.«—»Ich weiß es, weil gestern von Wardes in einem Salon, wo ich mich befand, einen Ring zeigte, von dem er behauptete, er habe ihn von Euch bekommen.«—»Der Elende!«rief Mylady.
Dieser Beiname trug seinen Klang, wie man leicht begreift, bis tief in d'Artagnans Herz.
«Nun wohl…«fuhr sie fort. — »Wohl! ich werde Euch rächen an diesem Elenden!«versetzte d'Artagnan, und gab sich dabei das Ansehen des Don Japhet von Armenien.
«Ich danke Euch, mein muthiger Freund!«rief Mylady» und wann werde ich gerächt sein?«
«Morgen, sogleich, wenn Ihr wollt.«
Mylady wollte ausrufen: Sogleich! Aber sie bedachte, daß eine solche Eile nicht sehr erfreulich für d'Artagnan wäre.
Ueberdies hatte sie tausenderlei Vorsichtsmaßregeln zu nehmen, ihrem Vertheidiger tausenderlei Rathschläge zu geben, damit er Erklärungen vor Zeugen mit dem Marquis vermeiden möchte.
«Morgen, «sprach d'Artagnan,»seid Ihr gerächt, oder ich bin todt.«—»Nein, «sagte sie,»Ihr werdet mich rächen, aber Ihr werdet nicht sterben. Ich weiß etwas.«—»Was wißt Ihr?«—»Es scheint mir, Ihr hattet Euch bei Eurem Streit mit ihm nicht über das Glück zu beklagen.«—»Das Glück ist eine Buhlerin; heute günstig, kann es mich morgen verrathen.«—»Das heißt: Ihr zögert jetzt.«—»Nein, ich zögere nicht, Gott soll mich bewahren, aber…«—»Stille!«unterbrach sie ihn,»ich höre meinen Schwager. Er braucht Euch nicht hier zu finden.«
Sie schellte. Ketty erschien.
«Geht durch diese Thüre, «sagte sie zu d'Artagnan, und stieß dabei eine kleine verborgene Thüre auf.»Kommt um elf Uhr wieder, und wir werden unsere Unterredung zu Ende bringen. Ketty führt Euch bei mir ein.«
Das arme Kind glaubte umzusinken, als sie diese Worte hörte.
«Nun, was macht Ihr denn, Mademoiselle, Ihr bleibt hier unbeweglich, wie eine Statue? Hört Ihr, führt diesen Herrn zurück, und um elf Uhr, vergeßt es nicht.«
«Es scheint, alle ihre Rendezvous finden um elf Uhr statt, «dachte d'Artagnan.»Das ist eine feste Gewohnheit.«
Mylady reichte ihm die Hand, die er zärtlich küßte.
«Sachte, «dachte er sich entfernend und kaum auf die Vorwürfe Kettys antwortend;»sachte, wir wollen kein Thor sein. Offenbar ist diese Frau eine große Missethäterin. Sei auf Deiner Hut, d'Artagnan!«
IX. Das Geheimniß Myladys
D'Artagnan hatte das Hotel verlassen, statt sogleich zu Ketty hinaufzugehen, um hier die Stunde seiner Unterredung mit Mylady abzuwarten, und dies aus zwei Gründen: einmal vermied er auf diese Art die Vorwürfe, den Tadel und die Bitten des jungen Mädchens, und dann war es ihm nicht unangenehm, Zeit zu kalter Ueberlegung zu haben, um wo möglich in die Gedanken dieser Frau einzudringen.
Am klarsten war ihm dabei, daß er sich der Gefahr aussetzte, wahnsinnig in Mylady verliebt zu werden, und daß sie ihn im Gegentheil ganz und gar nicht liebte und nie lieben würde. Einen Augenblick sah er ein, daß es das Gescheiteste wäre, wenn er nach Hause kehrte, einen langen Brief schriebe und gestände, er und der Graf von Wardes seien für sie bis jetzt eine und dieselbe Person; er könne daher, wenn er sich nicht eines Selbstmordes schuldig machen wolle, die Verbindlichkeit nicht übernehmen, den Grafen von Wardes zu tödten, über den sie sich ihrer Behauptung nach zu beklagen habe; aber mit der Ueberzeugung, daß sie ihn haßte, und nur als ein feiles Werkzeug ihrer Rache betrachtete, das sie nach dem Gebrauch zerbrechen würde, kehrte auch das Verlangen, für sich selbst Rache zu üben, in sein Herz zurück. Er wollte diese Frau beherrschen, die mit ihm spielte und ihn als Mitschuldige an der Entführung von Madame Bonacieux in seiner reinen aufrichtigen Liebe verletzt hatte.
Er ging, durch entgegengesetzte Gefühle in Bewegung erhalten, fünf bis sechsmal auf der Place Royale umher, und wandte sich von zehn zu zehn Schritten zurück, um das Licht in Myladys Zimmer zu betrachten, das man durch die Jalousien erblickte; offenbar hatte die junge Frau diesmal weniger Eile, in ihr Zimmer zurückzukehren, als das erste Mal.
Endlich schlug es elf Uhr.
Bei diesem Getöne entwich alle Unentschlossenheit aus dem Herzen d'Artagnans. Er erinnerte sich der Einzelheiten der Unterredung, die so eben zwischen Mylady und ihm stattgefunden hatte, und in einer, unter solchen Umständen so häufig vorkommenden raschen Wendung des Entschlusses trat er mit klopfendem Herzen und entzündetem Kopfe in das Hotel und stürzte in Kettys Zimmer.
Das junge Mädchen wollte, bleich wie der Tod, an allen Gliedern zitternd, d'Artagnan zurückhalten, aber Mylady mit ihren lauernden Ohren hatte das durch seinen Eintritt verursachte Geräusch vernommen, öffnete die Thüre und hieß ihn hereinkommen.
D'Artagnan hatte seine Vernunft verloren, er glaubte von einer jener phantastischen Itriguen fortgezogen zu werden, wie sie uns im Traume vorkommen. Der Anziehungskraft weichend, welche der Magnet auf das Eisen ausübt, ging er auf Mylady zu.
Die Thüre schloß sich hinter ihm.
Ketty stürzte ebenfalls nach der Thüre.
Die Eifersucht, die Wuth, der beleidigte Stolz, alle Leidenschaften, welche sich in dem Herzen eines verliebten weiblichen Wesens streiten, trieben sie zu einer Offenbarung; aber sie war verloren, wenn sie zugestand, daß sie die Hände bei einer solchen Machination im Spiele gehabt hatte, und was mehr als Alles in Betracht kam, — d'Artagnan war für sie verloren; dieser letzte Liebesgedanke rieth ihr, noch ein Opfer zu bringen.
D'Artagnan überließ sich seiner Seite ganz der Eingebungen seiner Eitelkeit. Es war nicht mehr ein Nebenbuhler, den man in ihm liebte, sondern es hatte das Ansehen, als liebte man ihn selbst. Eine geheime Stimme sagte ihm wohl im Hintergrund seines Herzens, er sei nur die Waffe, die man liebkose, bis sie den Tod gegeben habe; aber der Stolz, die Eigenliebe, die Tollheit brachten diese Stimme zum Schweigen, erstickten dieses Gemurmel. Dann verglich sich der Gascogner vermöge seiner bekannten Dosis von Selbstvertrauen mit dem Grafen von Wardes und fragte sich, warum man nicht am Ende ihn selbst um seiner selbst willen lieben könnte.
Durch das Blendwerk dieser Gedanken war Mylady für ihn nicht mehr das Weib mit den unseligen Absichten, die ihn einen Augenblick vorher erschreckt hatten; sie war eine reizende Frau, welche die Liebe selbst zu fühlen versprach, die sie einflößte.
Aber Mylady, welche nicht dieselben Gründe zum Vergessen hatte, wie d'Artagnan, entzog ihn bald seinen Betrachtungen und rief ihn zu der Wirklichkeit dieser Zusammenkunft zurück; sie fragte ihn, ob die Maßregeln, welche am andern Tage einen Streit zwischen ihm und dem Grafen von Wardes herbeiführen sollten, bereits in seinem Kopfe festgestellt seien.
D'Artagnan jedoch, dessen Gedanken einen ganz andern Gang genommen hatten, vergaß sich wie ein Thor und antwortete schmeichelnd: in ihrer Nähe, wo er sich ganz nur dem Glück hingebe, sie zu hören und zu sehen, könne er sich unmöglich mit Duellen und Degenstößen beschäftigen.
Diese Kälte für das einzige Interesse, von dem sie in Anspruch genommen war, erschreckte Mylady, deren Fragen dringender wurden.
D'Artagnan hatte nie ernstlich an dieses Duell gedacht: er wollte dem Gespräch eine andere Wendung geben, aber es lag nicht in seinen Kräften.
Mylady hielt die Unterredung innerhalb der Gränzen, die sie zum Voraus mit ihrem unwiderstehlichen Geist und mit ihrem eisernen Willen festgesetzt hatte.
D'Artagnan hielt sich nun für sehr geistreich, indem er Mylady rieth, Wardes zu vergeben und auf ihre wüthenden Pläne Verzicht zu leisten.
Aber bei den ersten Worten, die er sprach, nahm das Gesicht der jungen Frau einen finsteren Ausdruck an.
«Habt Ihr vielleicht Furcht, lieber Herr d'Artagnan?«rief sie in einem spitzigen, spöttischen Tone, der seltsam in den Ohren des jungen Mannes klang. — »Das kann nicht Euer Ernst sein, meine theure Seele, «erwiderte d'Artagnan;»aber wenn dieser arme Graf Wardes am Ende minder schuldig wäre, als Ihr glaubt?«—»In jedem Fall, «versetzte Mylady ernst,»in jedem Fall hat er mich getäuscht, und von dem Augenblick an, wo er mich getäuscht hat, verdient er den Tod.«—»Er wird also sterben, da Ihr ihn verurtheilt, «sprach d'Artagnan mit so festem Tone, daß dieser Mylady als der Ausdruck einer jede Prüfung bestehenden Ergebenheit erschien.
Alsbald lächelte sie ihm von Neuem zu.
«Ja ich bin ganz bereit, «rief nun d'Artagnan in unwillkürlicher Begeisterung;»aber zuvor wünschte ich einer Sache gewiß zu sein.«—»Und welcher?«fragte Mylady. — »Daß Ihr mich liebt.«—»Eure Anwesenheit dahier scheint mir der beste Beweis zu sein, «antwortete sie mit scheinbarer Verlegenheit. — »Ja; ich bin auch Euer mit Leib und Seele. Verfügt über meinen Arm!«—»Ich danke, mein tapferer Vertheidiger, und eben so, wie ich Euch meine Liebe dadurch beweise, daß ich Euch hier empfange, eben so werdet Ihr mir die Eurige beweisen, nicht wahr?«—»Ganz gewiß. Aber wenn Ihr mich liebt, wie Ihr mir sagt, habt Ihr nicht ein wenig bange für mich?«—»Was sollte ich fürchten?«—»Daß ich gefährlich verwundet, sogar getödtet werde?«—»Unmöglich!«sprach Mylady,»Ihr seid ein so muthiger Mann, ein so geschickter Degen!«—»Ihr würdet also ein Mittel nicht vorziehen, das Euch rächte, während der Kampf dabei überflüssig wäre?«
Mylady schaute den jungen Mann stilleschweigend an; ihre klaren Augen hatten einen seltsam düsteren Ausdruck angenommen.
«In der That, «sprach sie,»ich glaube, Ihr zaudert abermals!«—»Nein, ich zaudere nicht, aber es thut mir in der That leid um den armen Grafen von Wardes, seitdem Ihr ihn nicht mehr liebt, und es scheint mir, ein Mann muß schon durch den Verlust Eurer Liebe so grausam bestraft sein, daß er keiner anderen Züchtigung mehr bedarf.«—»Wer sagt Euch, daß ich ihn geliebt habe?«fragte Mylady. — »Wenigstens kann ich jetzt ohne zu große Abgeschmacktheit glauben, daß Ihr einen Andern liebt, «sprach der junge Mann in höflichem Tone,»und ich wiederhole Euch, ich interessire mich für den Grafen.«—»Ihr?«fragte Mylady. — »Ja, ich.«—»Und warum Ihr?«—»Weil ich allein weiß…«—»Was?«—»Daß er bei weitem nicht so schuldig gegen Euch ist, oder war, als es scheint.«—»In der That?«sprach Mylady mit unruhiger Miene,»erklärt Euch, denn ich weiß wahrhaftig nicht, was Ihr damit sagen wollt.«
Und sie schaute d'Artagnan mit Augen an, in denen sich allmälig ein düsteres Feuer entzündete.
«Ja, ich bin ein Mann von guter Lebensart, «sprach d'Artagnan, entschlossen ein Ende zu machen,»und seitdem Ihr mir Eure Liebe gestanden habt, seitdem ich ihres Besitzes gewiß bin, denn nicht wahr, ich besitze sie?«—»Ganz und gar. Fahrt fort.«—»Seitdem fühle ich mich verwandelt. Ein Geständniß bedrückt mich.«—»Ein Geständniß?«—»Hätte ich an Eurer Liebe gezweifelt, so würde ich es nicht abgelegt haben, aber Ihr liebt mich, nicht wahr, Ihr liebt mich?«—»Allerdings.«—»Wenn ich mich also aus maßloser Liebe zu Euch vergangen hätte, würdet Ihr mir vergeben?«—»Vielleicht. Aber das Geständniß, «sprach sie erbleichend,»was habt Ihr mir zu gestehen?«—»Ihr hattet am vorigen Donnerstag dem Grafen Wardes in diesem Zimmer Rendezvous gegeben, nicht wahr?«—»Ich! nein! das ist nicht der Fall!«sprach Mylady mit so fester Stimme und mit solcher Ruhe im Gesicht, daß d'Artagnan, wenn er nicht vollkommene Gewißheit gehabt hätte, gezweifelt haben würde. — »Lügt nicht, mein schöner Engel, es wäre unnütz, «sprach d'Artagnan und zwang sich dabei zu einem Lächeln. — »Wie so? sprecht doch! Ihr peinigt mich zu Tode.«—»Dieser Ring — ist in meinen Händen. Der Graf von Wardes vom Donnerstag und d'Artagnan von heute sind eine und dieselbe Person.«
Der Unkluge erwartete ein Staunen vermischt mit Scham, einen kleinen Sturm, der sich in Thränen auflösen würde; aber er täuschte sich gewaltig, und sein Irrthum währte nicht lange.
Bleich und furchtbar erhob sich Mylady und wollte d'Artagnan, der in ihrer Nähe war, durch einen heftigen Schlag auf die Brust zurückstoßen und sich von ihm entfernen. D'Artagnan hielt sie am Kleide zurück, um ihre Vergebung zu erflehen, aber mit einer kräftigen, entschlossenen Bewegung suchte sie zu entfliehen. Da zerriß das Kleid oben am Leibe und d'Artagnan erblickte auf einer von ihren schönen Schultern, welche nun entblößt war, zu seinem unaussprechlichen Schrecken die Lilie, das nie zu tilgende Mal, das die Hand des Henkers ausdrückt.
«Großer Gott!«rief er, das Kleid aus den Händen lassend, und blieb stumm, unbeweglich, zu Eis geworden an seiner Stelle.
Aber Mylady fühlte sich gerade durch den Schrecken d'Artagnan's verrathen. Ohne Zweifel hatte er Alles gesehen; der junge Mann wußte nun ihr Geheimniß, ein furchtbares Geheimniß, das außer ihr der ganzen Welt unbekannt war.
Sie wandte sich um, nicht mehr wie ein wüthendes Weib, sondern wie ein verwundetes Panterthier.
«Ha! Elender!«sprach sie,»Du hast mich feig verrathen, und mehr noch. Du bist im Besitze meines Geheimnisses! Du sollst sterben!«
Und sie lief nach einem kleinen Kistchen mit eingelegter Arbeit, das auf ihrer Toilette stand, öffnete es mit fieberhaft zitternder Hand, zog einen kleinen Dolch mit goldenem Griff und dünner spitziger Klinge heraus und stand mit einem Sprunge wieder vor d'Artagnan, welcher sitzen geblieben war.

Obgleich der junge Mann viel Muth besaß, erschrak er doch vor diesem verstörten Gesichte, diesen hervortretenden Augen, diesen bleichen Wangen, diesen blutigen Lippen; er stand auf und wich zurück, wie vor einer Schlange, die auf ihn zugekrochen wäre, fuhr instinktmäßig mit seiner von Schweiß befeuchteten Hand an den Degen und zog ihn aus der Scheide.
Aber ohne durch den Anblick der blanken Klinge beunruhigt zu werden, rückte Mylady auf ihn zu, um ihm einen Stoß beizubringen, und hielt nicht eher stille, als bis sie die Spitze der Klinge auf ihrer Brust fühlte.
Nun suchte sie den Degen mit ihren Händen zu fassen, aber d'Artagnan entzog ihn fortwährend ihren Griffen, streckte ihr denselben, ohne zu stoßen, bald gegen die Brust, bald gegen die Augen entgegen und wich immer mehr zurück, in der Absicht, die Thüre zu suchen, welche zu Ketty führte, und durch diese seinen Rückzug zu nehmen.
Mylady drang während dieser Zeit mit furchtbarer Anstrengung und einem wahren Löwengebrülle auf ihn ein.
Da dies jedoch am Ende wie ein Duell aussah, so beruhigte sich d'Artagnan nach und nach.
«Gut, schöne Dame, gut, «sprach er;»aber ich bitte Euch um Gotteswillen, besänftigt Euch, oder ich zeichne eine zweite Lilie auf Eure andere Schulter.«
«Heilloser, Elender!«heulte Mylady.
Doch fortwährend die Thüre suchend, war d'Artagnan nur auf seine Vertheidigung bedacht.
Bei dem Geräusch, das sie durch das Umwerfen der Gerätschaften verursachten, sie, um zu ihm zu gelangen, er, um sich hinter dem Geräthe vor ihr zu schützen, öffnete Ketty die Thüre. D'Artagnan, der beständig manövriert hatte, um sich der Thüre zu nähern, war nur noch drei Schritte von dieser entfernt. Mit einem einzigen Sprung warf er sich aus dem Zimmer Mylady's in das der Zofe, und verschloß schnell wie der Blitz die Thüre wieder, gegen die er sich mit seiner ganzen Macht stützte, während Ketty die Riegel vorstieß.
Dann suchte Mylady die Thüre zu sprengen und zwar mit Kräften, welche weit über das gewöhnliche Maß einer Frau gingen. Da sie fühlte, daß dies unmöglich war, so versetzte sie der Thüre Dolchstöße, von denen einige das Holz in seiner ganzen Dicke durchdrangen.
Jeder Stoß war von einer furchtbaren Verwünschung begleitet.
«Geschwind, geschwind, Ketty, «sprach d'Artagnan mit leiser Stimme,»mach', daß ich aus diesem Hotel komme; denn wenn wir ihr Zeit gönnen, sich umzudrehen, läßt sie mich durch ihre Bedienten tödten. Eilen wir, verstehst Du wohl, es hängt Leben und Tod davon ab!«
Ketty verstand nur zu gut. Sie führte ihn in der Dunkelheit über die Stufen hinab. Es war die höchste Zeit. Mylady hatte bereits geschellt und weckte das ganze Haus auf; der Portier zog auf die Stimme Ketty's in demselben Augenblicke die Schnur, wo Mylady» Oeffnet nicht!«rief.
Der junge Mann floh, während sie ihn mit einer ohnmächtigen Geberde bedrohte. In der Sekunde, in der sie ihn aus dem Gesicht verlor, stürzte sie ohnmächtig in ihrem Zimmer nieder.
X. Athos, ohne sich die geringste Mühe zu geben, seine Equipirung fand
D'Artagnan war in so gewaltiger Aufregung, daß er, ohne sich im Geringsten darum zu bekümmern, was aus Ketty wurde, in größter Eile die Hälfte von Paris durchlief und nicht eher stille hielt, als bis er sich vor der Thüre von Athos befand. Die Verwirrung seines Geistes, der Schrecken, der ihn spornte. das Geschrei einiger Patrouillen, die ihn verfolgten, bewirkten nur, daß er seinen Lauf noch mehr beschleunigte.
Er flog durch den Hof, stieg die zwei Treppen hinauf, und klopfte an die Thüre, daß sie hätte in Stücke springen sollen.
Grimaud öffnete mit schlaftrunkenen Augen. D'Artagnan stürzte mit solcher Gewalt in das Vorzimmer, daß er ihn beinahe niedergeworfen hätte.
Trotz der gewöhnlichen Stummheit Grimauds kam ihm diesmal das Wort. Beim Anblick des entblößten Degens, den d'Artagnan in der Hand hielt, bildete sich der arme Bursche ein, er habe es mit einem Mörder zu thun, rief:
«Zu Hülfe! zu Hülfe! zu Hülfe!«
«Schweig', Unglücklicher!«sprach der junge Mann,»ich bin d'Artagnan. Erkennst Du mich nicht mehr? wo ist Dein Herr?«
«Ihr Herr d'Artagnan?«rief Grimaud erschrocken,»unmöglich!«
«Grimaud, «sagte Athos, im Schlafrock aus seinem Zimmer tretend,»ich glaube, Du erlaubst Dir zu sprechen!«
«Ach, gnädiger Herr, weil…«
«Stille!«
Grimaud begnügte sich mit dem Finger auf d'Artagnan zu deuten.
Athos brach bei all' seinem Phlegma in ein Gelächter aus, das durch die verstörte Miene seines jungen Freundes gar wohl motivirt war.
«Lacht nicht, mein Freund!«rief d'Artagnan,»um des Himmels willen, lacht nicht, denn bei meiner Seele sage ich Euch, es ist kein Grund zum Lachen vorhanden.«
Und er sprach diese Worte mit einer so feierlichen Betonung und mit einem so unzweideutigen Ausdruck des Schreckens, daß Athos ihn bei der Hand nahm und ausrief:
«Solltet Ihr verwundet sein, mein Freund? Ihr seht sehr bleich aus.«—»Nein, aber es ist mir so eben ein furchtbares Abenteuer begegnet. Seid Ihr allein, Athos?«—»Bei Gott, wer soll denn zu dieser Stunde bei mir sein?«—»Gut, gut!»
D'Artagnan stürzte in das Zimmer von Athos.
«Ei, so sprecht doch, «sagte dieser, die Thüre verschließend und die Riegel vorschiebend, um nicht gestört zu werden.»Ist der König todt? Habt Ihr den Herrn Kardinal umgebracht? Ihr seid ganz verwirrt. Sprecht! laßt hören! denn ich sterbe in der That vor Unruhe.«—»Athos, «antwortete d'Artagnan,»seid bereit, eine unglaubliche, unerhörte Geschichte zu hören!«—»Redet doch, «sagte Athos. — »Nun wohl, «fuhr d'Artagnan, sich nach dem Ohr von Athos beugend und die Stimme dämpfend fort,»Mylady ist mit einer Lilie auf der Schulter bezeichnet.«—»Ha!«rief der Musketier, als ob ihn eine Kugel ins Herz getroffen hätte. — »Sagt, «sprach d'Artagnan,»seid Ihr sicher, daß die Andere todt ist?«—»Die Andere?«versetzte Athos mit so dumpfer Stimme, daß es d'Artagnan kaum hörte. — »Ja, die, von welcher Ihr mir eines Tages in Amiens erzählt habt.«
Athos stieß einen Seufzer aus, und ließ den Kopf in seine Hände fallen.
«Diese, «fuhr d'Artagnan fort,»ist eine Frau von sechsundzwanzig bis achtundzwanzig Jahren.«—»Blond?«fragte Athos. — »Ja.«—»Blaue, helle Augen, von seltener Klarheit, mit schwarzen Wimpern und Brauen?«—»Ja.«—»Groß, gut gewachsen? es fehlt ihr ein Zahn neben dem Augenzahn auf der linken Seite?«—»Ja.«—»Die Lilie ist klein und roth, etwas verwischt durch Pflaster, welche man aufgelegt hat?«—»Ihr sagt jedoch, diese Frau sei eine Engländerin?«—»Ja.«—»Man nennt sie Mylady, aber sie kann dessenungeachtet eine Französin sein. Lord Winter ist nur ihr Schwager.«—»Ich will sie sehen, d'Artagnan!«—»Nehmt Euch in Acht, Athos, nehmt Euch in Acht. Ihr wolltet sie tödten? Sie ist die Frau, um Gleiches mit Gleichem zu vergelten und Euer nicht zu fehlen.«—»Sie wird es nicht wagen, etwas zu sagen, denn sie würde sich dadurch selbst verrathen.«—»Sie ist zu Allem fähig! Habt Ihr sie je wüthend gesehen?«—»Nein, «sprach Athos. — »Eine Tigerin, ein Pantherthier! ach, mein lieber Athos, ich fürchte sehr, eine gräßliche Rache auf uns herabbeschworen zu haben!«
D'Artagnan erzählte nun Alles, den wahnsinnigen Zorn Mylady's und ihre Todesdrohungen.
«Ihr habt Recht, und ich würde mein Leben für ein Haar geben, «sprach Athos.»Zum Glück verlassen wir Paris übermorgen, wir ziehen höchst wahrscheinlich nach La Rochelle, und wenn wir einmal fort sind…«—»Wird sie Euch verfolgen bis an's Ende der Welt, Athos, wenn sie Euch wieder erkennt. Laßt also ihren Haß sich gegen mich allein wenden.«—»Ei, mein Lieber, was ist daran gelegen, daß sie mich tödtet!«sagte Athos.»Glaubt Ihr etwa, ich hänge am Leben?«—»Unter Allem dem ist ein furchtbares Geheimniß verborgen. Die Frau ist die Spionin des Kardinals. Das bin ich fest überzeugt.«—»In diesem Fall seid auf Eurer Hut. Wenn der Kardinal nicht wegen der Londoner Angelegenheit eine hohe Bewunderung für Euch hegt, so hegt er einen gewaltigen Haß. Aber da er Euch am Ende nichts offen vorwerfen kann und der Haß befriedigt werden muß, besonders wenn es ein Kardinalshaß ist, so hütet Euch wohl! Wenn Ihr ausgeht, geht nicht allein aus, wenn Ihr eßt, nehmet Eure Vorsichtsmaßregeln; mißtraut Allem, selbst Eurem Schatten.«
«Zum Glück handelt es sich nur darum, «sprach d'Artagnan,»bis übermorgen in Bangigkeit umherzugehen. Denn sind wir einmal bei der Armee, so haben wir es hoffentlich nur noch mit Männern zu thun.«—»Indessen, «sagte Athos,»verzichte ich auf meine Einsperrungspläne und gehe überall hin mit Euch. Ihr müßt nach der Rue des Fossoyeurs zurückkehren; ich werde Euch begleiten.«—»Es sei, mein lieber Athos; aber laßt mich Euch zuerst den Ring zustellen, den ich von dieser Frau empfangen habe. Der Saphir gehört Euch. Habt Ihr mir nicht gesagt, es sei ein Familienjuwel?«—»Ja, mein Vater kaufte ihn um zweitausend Thaler, wie er mir einst sagte. Er bildete einen Theil der Hochzeitsgeschenke, die er meiner Mutter machte. Es ist ein prächtiger Stein. Meine Mutter gab ihn mir, und ich in meiner damaligen Narrheit schenkte ihn, statt ihn wie eine heilige Reliquie zu bewahren, meinerseits dieser Elenden.«—»Gut, nehmt den Ring zurück, an dem Ihr begreiflich hängen müßt.«—»Ich den Ring zurücknehmen, nachdem er durch die Hände dieser Schändlichen gegangen ist? Nie, dieser Ring ist beschmutzt, d'Artagnan.«—»Dann verkauft oder verpfändet ihn; man wird Euch wohl tausend Thaler darauf leihen. Mit dieser Summe macht Ihr Eure Angelegenheiten bequem ab. Mit dem ersten Geld, das Ihr einnehmt, löst Ihr ihn sodann wieder und nehmt ihn von seinen alten Flecken gereinigt zurück, denn er ist durch die Hände von Wucherern gegangen.«
Athos lächelte.
«Ihr seid ein entzückender Junge, mein lieber d'Artagnan, «sprach er.»Ihr richtet durch Eure ewige Heiterkeit die armen Geister in ihrem Kummer auf. Nun denn, ja, verpfänden wir diesen Ring, der mir gehört, aber unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«—»Daß fünfhundert Thaler für Euch und fünfhundert für mich sind.«—»Was denkt Ihr, Athos? Ich bedarf nicht des vierten Theils dieser Summe, da ich bei den Garden stehe und wenn ich meinen Sattel verkaufe, so verschaffe ich mir den Betrag. Was brauche ich? ein Pferd für Planchet, das ist Alles. Dann vergeßt Ihr, daß ich auch einen Ring besitze.«—»An dem Ihr noch mehr zu hängen scheint, als ich an dem meinigen. Wenigstens glaubte ich dies zu bemerken.«—»Ja, denn in einem äußersten Fall kann er uns nicht nur aus einer großen Verlegenheit, sondern auch aus einer großen Gefahr ziehen. Das ist kein einfacher Diamant, es ist zugleich ein Talisman.«
«Ich verstehe Euch nicht, aber ich glaube, was Ihr sagt. Um wieder auf meinen Ring, oder vielmehr auf den Eurigen zurückzukommen, so müßt Ihr die Hälfte der Summe, die man Euch darauf leihen wird, annehmen, oder ich werfe ihn in die Seine, und ich zweifle, ob, wie bei Polykrates, ein Fisch so gefällig ist, ihn uns wieder zu bringen.«—»Gut, ich nehme es an, «sagte d'Artagnan.
In diesem Augenblick trat Grimaud in Begleitung von Planchet ein. Dieser war unruhig über seinen Herrn und neugierig zu erfahren, was ihm begegnet sein möchte.
Athos kleidete sich an, und als er auszugehen bereit war, machte er Grimaud ein bedeutsames Zeichen, der Diener nahm seine Muskete von der Wand, und schickte sich an, seinen Herrn zu begleiten.
D'Artagnan und Athos gelangten ohne irgend einen Unfall in die Rue des Fossoyeurs. Herr Bonacieux stand an seiner Thüre und schaute d'Artagnan auf eine pöbelhaft spottende Weise an.
«Eh! mein lieber Miethsmann, «sagte er,»beeilt Euch, es wartet ein hübsches Mädchen in Eurem Zimmer, und Ihr wißt, die Frauen lieben es nicht, daß man sie warten läßt.«
«Es ist Ketty «rief d'Artagnan und lief in den Gang.
Auf dem nach seinem Zimmer führenden Boden fand er das arme Kind, das sich ganz zitternd an die Thüre lehnte. Sobald sie ihn erblickte, sagte sie:
«Ihr habt mir Euren Schutz versprochen, Ihr habt mir gelobt, mich vor ihrem Zorne zu retten. Erinnert Euch, daß Ihr es seid, der mich zu Grunde gerichtet hat.«
«Ja, allerdings, «erwiderte d'Artagnan;»sei ruhig, Ketty. Aber was ist denn nach meinem Abgang vorgefallen?«
«Weiß ich es?«sagte Ketty,»Auf ihr Geschrei liefen alle Lakaien herbei; sie war furchtbar aufgebracht und spie alle Verwünschungen der Welt gegen Euch aus. Dann dachte ich, sie würde sich erinnern, daß Ihr durch mein Zimmer in das ihrige eingedrungen wäret, und sie müßte in mir Eure Mitschuldige erkennen. Ich nahm das wenige Geld, das ich besaß, sowie meine kostbarsten Kleidungsstücke, und flüchtete mich.«
«Armes Kind, aber was soll ich mit Dir machen? Ich reise übermorgen ab.«
«Alles was Ihr wollt, Herr Chevalier. Macht, daß ich Paris, daß ich Frankreich verlasse.«
«Ich kann Dich doch nicht mit zur Belagerung von La Rochelle führen, «sprach d'Artagnan.
«Nein, aber Ihr könnt mich in der Provinz unterbringen, bei irgend einer Dame von Eurer Bekanntschaft; in Eurer Heimath zum Beispiel.«
«Oh, meine liebe Freundin, in meiner Heimath haben die Damen keine Kammerfrauen. Doch halt! ich weiß, was zu thun ist. Planchet, hole mir Aramis. Er möge sogleich kommen. Wir haben etwas sehr Wichtiges mit ihm zu sprechen.«
«Ich begreife, «sagte Athos;»aber warum nicht Porthos? Es scheint mir, seine Marquise…«
«Die Marquise von Porthos ließe sich eher von den Schreibern ihres Mannes ankleiden, als daß sie eine Kammerfrau hielte, «sprach d'Artagnan lachend.»Ueberdies dürfte Ketty nicht gerne in der Rue aux Ours wohnen, nicht wahr, Ketty?«
«Ich werde wohnen, wo man will, «sagte Ketty,»vorausgesetzt, daß ich gut verborgen bin und man nicht weiß, wo ich mich aufhalte.«
«Jetzt, Ketty, da wir uns zu trennen im Begriffe sind, und Du folglich nicht mehr auf mich eifersüchtig bist…«
«Herr Chevalier, «sprach Ketty,»nah oder fern, ich werde Euch beständig lieben.«
«Wo Teufels nistet sich die Beständigkeit ein!«murmelte Athos.
«Auch ich, «sagte d'Artagnan,»auch ich werde Dich stets lieben, glaube mir. Aber höre, antworte mir. Ich lege ein großes Gewicht auf die Frage, die ich an dich richte. Solltest Du nie von einer jungen Frau gehört haben, die man in einer Nacht wegführte?«—»Halt… Oh! mein Gott, Herr Chevalier, liebt Ihr diese Frau noch?«—»Nein, einer meiner Freunde liebt sie — Athos, den Du hier siehst.«—»Ich!«rief Athos mit dem Ausdruck eines Menschen, der gewahr wird, daß er auf eine Natter getreten. — »Allerdings Ihr, «erwiderte d'Artagnan, Athos die Hand drückend.»Ihr wißt wohl, wie sehr wir an dem Schicksal der guten Frau Bonacieux Theil nehmen. Ueberdies wird Ketty nicht plaudern. Nicht wahr, Ketty? Du begreifst, mein Kind, «fuhr d'Artagnan fort,»es ist die Frau des abscheulichen Affen, den Du bei Deinem Eintritt unten an der Thüre gesehen hast.«—»Oh! mein Gott!«rief Ketty,»Ihr erinnert mich an meine Angst; wenn er mich nur nicht erkannt hat!..«—»Wie, erkannt? Du hast also diesen Menschen schon gesehen?«—»Er ist zweimal zu Mylady gekommen.«—»Um welche Zeit?«—»Vor etwa vierzehn oder achtzehn Tagen.«—»Ganz richtig.«—»Und gestern Abend ist er wieder erschienen.«—»Gestern Abend?«—»Ja, einen Augenblick, ehe Ihr selbst eingetroffen seid.«—»Mein lieber Athos, wir sind von einem Netz von Spionen umgeben! Und Du glaubst, er habe Dich erkannt, Ketty?«—»Ich senkte meine Haube, als ich ihn erblickte, aber vielleicht war es zu spät.«—»Geht hinab, Athos, man mißtraut Euch weniger, als mir, und seht, ob er immer noch vor der Thüre steht.«
Athos ging hinab und kam sogleich wieder zurück.
«Der Krämer ist fort, «sprach er,»und das Haus ist geschlossen.«—»Er wird sich ohne Zweifel entfernt haben, um zu melden, daß alle Tauben im Schlage sind.«—»Gut! aber wir wollen ausfliegen, «sagte Athos,»und nur Planchet hier lassen, um uns Nachricht zu bringen.«—»Noch eine Minute! Aramis, nach dem wir geschickt haben?«—»Das ist richtig, erwarten wir Aramis.«
In demselben Augenblicke trat Aramis ein.
Man setzte ihm die ganze Angelegenheit auseinander und sagte ihm, daß er nothwendig unter allen seinen hohen Bekannten einen Platz für Ketty suchen müsse.
Aramis dachte einen Augenblick nach und erwiderte dann erröthend:
«Wird Euch wirklich ein großer Dienst dadurch erwiesen?«
«Ich werde Euch mein ganzes Leben dafür dankbar sein.«
«Nun wohl. Frau von Bois-Tracy hat mich für eine ihrer Freundinnen, welche, glaube ich, in der Provinz wohnt, um eine sichere Kammerfrau gebeten, und wenn Ihr mir für dieses Mädchen stehen könnt, d'Artagnan…«
«Oh! gnädiger Herr, «rief Ketty,»ich werde gewiß der Person, die mich in den Stand setzt, Paris zu verlassen, mit Leib und Seele ergeben sein.«
«Dann geht die Sache vortrefflich, «sprach Aramis.
Er setzte sich an einen Tisch, schrieb ein paar Worte, versiegelte sie mit einem Ringe und händigte das Billet Ketty ein.
«Du weißt nun, mein Kind, «sagte d'Artagnan,»daß es hier nicht besser für uns ist, als für Dich. Wir müssen uns jetzt trennen, werden uns aber in schöneren Tagen wiederfinden.«
«Und an welchem Ort und zu welcher Zeit wir uns wieder sehen werden, «sprach Ketty,»so werde ich Euch so innig lieben, wie ich Euch heute liebe.«
Einen Augenblick nachher trennten sich die drei jungen Männer und ließen nur Planchet zurück, um das Haus zu bewachen.
Aramis kehrte in seine Wohnung zurück, während Athos und d'Artagnan für Unterbringung des Saphirs sorgten.
Man fand, wie unser Gascogner vorhergesehen hatte, leicht dreihundert Pistolen auf den Ring. Ueberdies bemerkte der Jude, wenn man denselben an ihn verkaufen wollte, so würde er sogar fünfhundert Pistolen dafür geben, da er ein prachtvolles Ohrgehänge daraus machen lassen könnte.
Mit der Thätigkeit zweier Soldaten und der Wissenschaft zweier Kenner brauchten Athos und d'Artagnan kaum drei Stunden, um die ganze Equipirung des Musketiers einzukaufen. Athos war vornehmer Herr bis an die Nagelspitzen. Sobald ihm etwas anstand, bezahlte er den verlangten Preis, ohne daß er nur den geringsten Versuch machte, etwas herunterzumarkten. D'Artagnan wollte ihm hierüber Bemerkungen machen, aber Athos legte ihm lächelnd die Hand auf die Schulter, und d'Artagnan begriff, daß für ihn, den kleinen gascognischen Edelmann, das Handeln gut war, aber nicht für einen Mann von fürstlichem Aussehen.
Der Musketier fand ein herrliches andalusisches Roß, schwarz wie Gagath, mit Feuer schnaubenden Nüstern, eleganten, zarten Beinen und sechs Jahre alt. Er untersuchte das Pferd und erkannte es als tadellos. Man bot es für tausend Franken. Vielleicht hätte er es für weniger bekommen, aber während sich d'Artagnan mit dem Pferdehändler über den Preis besprach, zählte Athos die hundert Pistolen auf den Tisch.
Grimaud erhielt ein picardisches Pferd, untersetzt und stark, das dreihundert Livres kostete.
Nachdem der Sattel für letzteres Pferd und die Waffen für Grimaud gekauft waren, blieb kein Sou mehr von den hundert und fünfzig Pistolen von Athos übrig. D'Artagnan bot seinem Freunde etwas von dem ihm zukommenden Theil an. Aber Athos beschränkte sich statt jeder Antwort darauf, die Achseln zu zucken.
«Wie viel würde der Jude für den Ring geben, wenn man ihm denselben als volles Eigenthum überließe?«fragte er. — »Fünfhundert Pistolen.«—»Das heißt zweihundert Pistolen mehr: hundert Pistolen für Euch, hundert Pistolen für mich. Das ist ein wahres Glück, mein lieber Freund, kehrt zu dem Juden zurück.«—»Wie? Ihr wollt…«—»Dieser Ring würde offenbar zu traurige Erinnerungen in mir zurückrufen; dann haben wir ihm auch die dreihundert Pistolen nicht heimzubezahlen, so daß wir bei diesem Handel zweitausend Livres gewinnen. Sagt ihm, der Ring gehöre ihm, d'Artagnan, und kommt mit zweihundert Pistolen zurück. — »Ueberlegt, Athos.«
«Das baare Geld ist in diesen Zeitläuften theuer, und man muß Opfer zu bringen wissen. Geht, d'Artagnan, geht. Grimaud wird Euch mit seinem Mousqueton begleiten.«
Nach einer halben Stunde kam d'Artagnan mit den zweihundert Pistolen und ohne daß ihm ein Unfall zugestoßen war, zurück.
So fand Athos in seiner Wirtschaft Mittel, auf die er nicht gerechnet hatte.
XI. Eine holdselige Erscheinung
Zur bestimmten Stunde waren die vier Freunde bei Athos versammelt. Ihre Unruhe, ihre Bangigkeit in Betreff der Equipirung war völlig verschwunden, und jedes Gesicht behielt nur noch den Ausdruck seiner eigenen und geheimen Unruhe, denn hinter jedem gegenwärtigen Glück ist eine Furcht vor der Zukunft verborgen.
Plötzlich trat Planchet ein und brachte zwei Briefe mit der Adresse d'Artagnan's.
Der eine war ein zierlich zusammengefaltetes Billet von länglicher Form, mit einem hübschen Siegel von grünem Wachs, auf dem sich eine Taube mit einem grünen Zweig im Schnabel eingedrückt fand.
Der andere war ein großer viereckiger Brief, auf dem das furchtbare Wappen von Seiner Eminenz, dem Kardinal Herzog glänzte.
Bei dem Anblick des kleinen Briefes hüpfte d'Artagnan's Herz vor Freude, denn er glaubte die Handschrift zu erkennen, und obgleich er dieselbe nur einmal gesehen, so hatte sich doch die Erinnerung tief in seinem Innern eingegraben.
Er nahm also den kleinen Brief und entsiegelte ihn eilig.
«Reitet nächsten Mittwoch, «schrieb man ihm,»von sechs bis sieben Uhr auf der Straße von Chaillot spazieren, und schaut sorgfältig in jeden Wagen, der an Euch vorüber kommt. Aber wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen etwas liegt, so sprecht kein Wort. Macht keine Bewegung, woraus man ersehen könnte, daß Ihr diejenige erkannt habt, welche Alles wagt, um Euch einen Augenblick zu sehen.«
Keine Unterschrift.
«Das ist eine Falle, «sprach Athos,»geht nicht hin, d'Artagnan.«—»Ich glaube aber die Handschrift ganz wohl zu erkennen, «sagte d'Artagnan. — »Sie kann nachgemacht sein, «entgegnete Athos.»Von sechs bis sieben Uhr ist um diese Zeit die Straße von Chaillot ganz verlassen. Ihr könntet eben sowohl im Walde von Bondy spazieren gehen.«—»Doch wenn wir Alle gingen?«sagte d'Artagnan.»Was Teufels, man wird nicht alle vier, nebst vier Lakaien, vier Pferden und den Waffen verschlingen; das müßte eine schöne Unverdaulichkeit zur Folge haben.«—»Dann wäre es auch eine schöne Gelegenheit, unsere Rosse zu zeigen, «sprach Porthos. — »Aber wenn es eine Frau ist, die Euch schreibt, «sagte Aramis,»und wenn diese Frau nicht gesehen zu werden wünscht, so bedenkt, daß Ihr sie compromittirt, d'Artagnan, was einem Edelmann gar übel steht.«—»Wir bleiben etwas zurück, «rief Porthos,»und er allein reitet voraus.«—»Ja, aber eine Pistole ist bald aus einem Wagen abgefeuert, der im Galop dahinfährt.«—»Bah!«erwiderte d'Artagnan,»man wird mich nicht treffen.«—»Wir holen dann den Wagen ein, und bringen Alle um, die darin sitzen. Dadurch haben wir immerhin eben so viele Feinde weniger.«—»Er hat Recht, «sagte Porthos,»eine Schlacht kann nichts schaden, wir müssen ohnehin unsere Waffen versuchen.«—»Meiner Treu! Wir wollen uns dieses Vergnügen gönnen, «versetzte Aramis mit seiner sanften, gleichgültigen Miene. — »Wie Ihr wollt, «sprach Athos. — »Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»es ist halb fünf Uhr, und wir haben kaum Zeit, uns auf den Weg nach Chaillot zu machen.«—»Wenn wir zu spät ritten, «sagte Porthos,»so würde man uns nicht mehr sehen, und das wäre sehr schade. Vorwärts also, meine Herren.«—»Aber Ihr vergeßt den zweiten Brief, «rief Athos.»Das Sigel scheint mir anzudeuten, daß er geöffnet zu werden verdient. Ich meines Theils muß Euch erklären, daß ich mich viel mehr um diesen bekümmere, als um den kleinen Wisch, den Ihr ganz zart in Euren Busen gesteckt habt.«
D'Artagnan erröthete.
«Nun wohl, «sprach der junge Mann,»sehen wir, meine Herren, was Seine Eminenz von mir will.«
D'Artagnan entsiegelte und las:
«Herr d'Artagnan, Garde des Königs, Kompagnie des Essarts, wird diesen Abend um acht Uhr im Palais-Kardinal erwartet.
La Houdiniére, Kapitän der Leibwache.«
«Teufel!«rief Athos,»das ist ein Rendezvous, welches viel mehr beunruhigen muß, als das andere.«
«Ich gehe zu dem zweiten, wenn ich von dem ersten zurückkomme, «sprach d'Artagnan.»Das eine soll um sieben, das andere um acht Uhr stattfinden. Ich habe Zeit zu Allem.«
«Hm! ich ginge nicht, «entgegnete Aramis.»Ein galanter Ritter darf bei einem Rendezvous nicht fehlen, das ihm eine Dame gibt. Aber ein kluger Edelmann kann sich entschuldigen und nicht zu seiner Eminenz gehen, besonders wenn er einige Gründe hat, zu glauben, daß man ihn nicht rufe, um ihm Komplimente zu machen.«
«Ich bin der Meinung von Aramis, «fügte Porthos bei.
«Meine Herren, «antwortete d'Artagnan,»ich habe bereits durch Herrn von Cavois eine ähnliche Einladung zu Sr. Eminenz erhalten. Ich vernachläßigte sie, und am andern Tage begegnete mir ein großes Unglück. Constance verschwand. Was auch daraus werden mag, ich gehe in jedem Falle hin.«
«Wenn dies Euer fester Entschluß ist, so führt ihn aus, «sprach Athos.
«Aber die Bastille?«sagte Aramis.
«Bah! Ihr werdet mich herausziehen, «erwiderte d'Artagnan.
«Allerdings, «versetzten Aramis und Porthos mit bewundernswürdiger Bestimmtheit, und als ob dies eine ganz einfache Sache wäre.»Allerdings werden wir Dich herausziehen, aber mittlerweile würdet Ihr, da wir übermorgen abreisen, besser daran thun, Euch der Gefahr der Bastille nicht auszusetzen.«
«Thun wir, was in unsern Kräften liegt, «sprach Athos,»verlassen wir ihn diesen Abend nicht. Erwarten wir ihn jeder an einer Thüre des Palastes, je mit drei Musketieren hinter uns. Bemerken wir, daß ein Wagen mit geschlossenem Schlag und von verdächtigem Aussehen herauskommt, so fallen wir darüber her. Es ist schon sehr lange, daß wir keinen Strauß mehr mit den Leibwachen des Herrn Kardinals ausgefochten haben, und Herr von Treville muß uns für todt halten.«
«Ihr seid offenbar zum Heerführer geboren, Athos, «sprach Aramis.»Was sagt Ihr zu diesem Plane, meine Herren?«
«Vortrefflich!«wiederholten die jungen Leute im Chor.
«Gut!«sprach Porthos,»ich laufe nach dem Hotel und benachrichtige unsere Kameraden, damit sie sich auf dem Platze des Palais-Kardinal bereit halten; Ihr laßt mittlerweile die Pferde durch die Bedienten satteln.«
«Ich, was mich betrifft, habe kein Pferd, «entgegnete d'Artagnan, aber ich will eines von Herrn von Treville nehmen.«—»Das ist unnöthig, «versetzte Aramis.»Ihr nehmt eines von den meinigen.«—»Wie viel habt Ihr denn?«fragte d'Artagnan. — »Drei, «antwortete Aramis lächelnd. — »Mein Lieber, «sagte Athos,»Ihr seid sicherlich der bestbezahlte Dichter von Frankreich und Navarra.«
«Hört, mein lieber Aramis, Ihr werdet nicht wissen, was Ihr mit drei Pferden thun sollt? nicht wahr? Ich begreife sogar nicht, warum Ihr drei Pferde gekauft habt.«
«Ich habe auch nur zwei gekauft, «erwiderte Aramis.
«Das dritte ist Euch also vom Himmel zugefallen?«
«Nein, das dritte ist mir diesen Morgen von einem Bedienten ohne Livree zugeführt worden, der mir nicht sagen wollte, wem er gehörte, und mir die Versicherung gab, er habe den Befehl von seinem Gebieter erhalten…«
«Oder von seiner Gebieterin, «unterbrach ihn d'Artagnan.
«Das macht nichts zur Sache, «fuhr Aramis erröthend fort,»und der mir die Versicherung gab, sage ich, er habe Befehl von seinem Gebieter oder seiner Gebieterin erhalten, dieses Pferd in meinen Stall zu bringen, ohne zu sagen, woher es käme.«
«Dergleichen begegnet nur einem Dichter, «sprach Athos ernst.
«Nun, wir wollen dieß benützen, «sagte d'Artagnan.»Welches von den zwei Pferden werdet Ihr reiten? Das, welches Ihr gekauft habt oder das, welches man Euch geschenkt hat?«
«Offenbar das, welches man mir geschenkt hat. Ihr begreift, daß ich eine solche Beleidigung…«
«Dem unbekannten Geber nicht anthun kann, «versetzte d'Artagnan.
«Oder der geheimnißvollen Geberin, «sprach Athos.
«Das gekaufte ist Euch also unnütz.«
«Beinahe.«
«Ihr habt es selbst ausgewählt?«
«Ja, und zwar mit der größten Sorgfalt. Die Sicherheit des Reiters hängt, wie Ihr wißt, beinahe immer von seinem Pferde ab.«
«Nun wohl, überlaßt es mir um den Preis, den es Euch kostet.«
«Ich wollte es Euch anbieten, mein lieber d'Artagnan, und dabei Euch jede Zeit gönnen, die Ihr nöthig haben könntet, um mir diese Bagatelle zurückzubezahlen.«
«Und wie viel kostet Euch das Pferd?«
«Achthundert Livres.«
«Hier sind vierzig Doppelpistolen, mein Freund, «sprach d'Artagnan und zog diese Summe aus seiner Tasche.»Ich weiß, daß dies die Münze ist, in der man Euch Eure Gedichte bezahlt.«
«Ihr seid also bei Kasse?«
«Reich, sehr reich, mein Lieber!«
Und d'Artagnan ließ in seiner Tasche den Rest seiner Pistolen klingen.
«Schickt Euren Sattel in das Hotel der Musketiere, und man wird Euch Euer Pferd mit den unsrigen hieher führen.«
«Sehr gut, aber es ist bald fünf Uhr, eilen wir!«
Eine Viertelstunde nachher erschien Porthos am Ende der Rue Ferou auf einem prächtigen Rosse. Mousqueton folgte ihm auf einem Auvergner Pferde, das kleiner, aber stark war. Porthos glänzte vor Stolz und Freude.
Zu gleicher Zeit sah man Aramis von dem andern Ende der Straße her auf einem herrlichen englischen Renner; Bazin folgte ihm auf einem Rothschimmel und führte ein kräftiges Mecklenburger Roß am Zügel, das für d'Artagnan bestimmt war.
Die zwei Musketiere begegneten sich vor der Thüre. Athos und d'Artagnan betrachteten dieselben durch das Fenster.
«Teufel!«sagte Aramis,»Ihr habt da ein herrliches Pferd, mein Lieber.«
«Ja, «antwortete Porthos,»es ist das, welches man mir gleich am Anfang schicken sollte. Ein schlechter Spaß des Gemahls hatte es durch ein anderes ersetzt; aber er ist schön dafür bestraft worden, und ich habe vollständige Genugthuung erhalten.«
Grimaud zeigte sich ebenfalls, das Pferd seines Herrn an der Hand haltend; d'Artagnan und Athos kamen herab, schwangen sich neben ihren Gefährten in den Sattel, und nun ritten alle vier nach dem Quai, Athos auf dem Pferde, das er seiner Gattin, Porthos auf dem Pferd, das er der Procuratorin, Aramis auf dem Pferd, das er seiner Geliebten, und d'Artagnan auf dem Pferd, das er seinem guten Glück, der schönsten Geliebten der Welt, zu verdanken hatte. Die Bedienten folgten ihnen. Die Kavalcade brachte, wie dies Porthos vorher gedacht hatte, eine gute Wirkung hervor, und wenn sich Madame Coquenard auf dem Wege von Porthos eingefunden und gesehen hätte, wie vornehm er auf seinem spanischen Rosse aussah, so würde sie den Aderlaß nicht bedauert haben, den sie an der Geldkasse ihres Mannes vorgenommen hatte.
In der Nähe des Louvre begegneten die vier Freunde Herrn von Treville, der von Saint-Germain zurückkam. Er hieß sie stille halten, um ihnen sein Kompliment über ihre Equipirung zu machen, was im Augenblick einige hundert Müßiggänger um sie versammelte.
D'Artagnan benützte diesen Umstand, um mit Herrn von Treville von dem Brief mit dem großen rothen Siegel und dem herzoglichen Wappen zu sprechen. Es versteht sich, daß er von dem andern keine Silbe verlauten ließ.
Herr von Treville billigte seinen Entschluß und versicherte ihn, daß, wenn er am andern Morgen nicht wieder erschienen wäre, er ihn zu finden wissen würde, wo er auch sein möchte.
In diesem Augenblick schlug die Glocke der Samaritaine sechs Uhr. Die vier Freunde entschuldigten sich mit einer Zusammenkunft und nahmen von Herrn von Treville Abschied.
Ein kurzer Galop brachte sie auf die Straße von Chaillot. Der Tag fing an sich zu neigen. Wagen fuhren hin und her. In einiger Entfernung von seinen Freunden bewacht, senkte d'Artagnan seine Blicke in die Tiefe jedes Wagens. Er gewahrte jedoch kein ihm bekanntes Gesicht.
Endlich, nachdem er eine Viertelstunde gewartet hatte und die Abenddämmerung völlig eingebrochen war, fuhr ein Wagen in starkem Galop auf der Straße von Sevres herbei. Eine Ahnung sagte d'Artagnan zum Voraus, dieser Wagen müsse die Person enthalten, welche ihn bisher beschieden hatte. Der junge Mann war selbst ganz erstaunt, als er fühlte, wie heftig sein Herz pochte. Beinahe in derselben Sekunde schlüpfte ein Frauenkopf aus dem Kutschenschlage hervor, zwei Finger auf dem Mund, als wollte man Stillschweigen empfehlen oder einen Kuß zusenden. D'Artagnan stieß einen leichten Schrei der Freude aus. Diese Frau oder vielmehr diese Erscheinung — denn der Wagen war mit der Geschwindigkeit einer Vision vorüber gezogen — war Madame Bonacieux.
In unwillkürlichem Drang und trotz der Empfehlung, die an ihn ergangen war, setzte d'Artagnan sein Pferd in Galop und holte den Wagen mit einigen Sprüngen wieder ein, aber die Scheibe des Kutschenschlages war hermetisch verschlossen und die Erscheinung verschwunden.
D'Artagnan erinnerte sich nun der Worte, die man ihm in dem Billet eingeschärft hatte:»wenn Euch an Eurem eigenen Leben und am Leben der Euch liebenden Personen Etwas liegt, so bleibt unbeweglich, als ob Ihr nichts gesehen hättet.«
Er hielt also stille und zitterte, nicht für sich, sondern für die arme Frau, die sich offenbar einer großen Gefahr ausgesetzt hatte, indem sie ihn hieher beschieden.
Die Kutsche setzte ihren Weg in größter Eile fort, fuhr nach Paris hinein und verschwand.
D'Artagnan war ganz verblüfft auf demselben Platze geblieben und wußte nicht, was er denken sollte. War es Madame Bonacieux und kehrte sie nach Paris zurück, warum dieses flüchtige Rendezvous? warum dieser einfache Austausch eines Blickes? warum dieser zugeworfene Kuß? War sie es dagegen nicht, was immer noch sein konnte, denn das geringe Tageslicht machte einen Irrthum ganz leicht möglich; war sie es nicht, sollte dies dann nicht der Anfang eines Ueberfalls sein, den man gegen ihn mit dem Köder dieser Frau beabsichtigte, da man seine Liebe für dieselbe gar wohl kannte?
Die drei Freunde näherten sich ihm. Alle drei hatten vollkommen einen Frauenkopf aus dem Kutschenschlage erscheinen sehen, aber keiner von ihnen, mit Ausnahme von Athos, kannte Madame Bonacieux. Athos war allerdings der Meinung, sie sei es gewesen, aber minder unruhig mit diesem hübschen Gesichte beschäftigt, als d'Artagnan, hatte er einen zweiten Kopf, einen Männerkopf, im Hintergrunde des Wagens zu sehen geglaubt.
«Wenn dem so ist, «sprach d'Artagnan,»so bringt man sie ohne Zweifel von einem Gefängnisse in das andere. Aber, was wollen sie mit diesem armen Geschöpfe machen? Und wie soll ich sie je wiederfinden?«
«Freund, «sprach Athos ernst,»erinnert Euch, daß man nur bei den Todten nicht Gefahr läuft, ihnen auf Erden wieder zu begegnen. Ihr wißt etwas so gut wie ich, nicht wahr? Wenn nur Eure Geliebte nicht todt ist, falls sie es ist, der wir soeben begegnet haben, so werdet Ihr sie eines Tages wiederfinden und vielleicht, mein Gott, «fügte er mit dem ihm eigentümlichen menschenfeindlichen Tone bei,»vielleicht früher, als Euch lieb sein wird!«
Es schlug halb acht Uhr. Der Wagen war zwanzig Minuten nach der für das Rendezvous bestimmten Stunde gekommen. Die Freunde erinnerten d'Artagnan daran, daß er einen Besuch zu machen hatte, bemerkten jedoch, daß es immer noch Zeit sei, sich davon zu entbinden. Aber d'Artagnan war zugleich halsstarrig und neugierig. Er hatte sich in den Kopf gesetzt, nach dem Palais Richelieus zu gehen, um zu erfahren, was ihm Seine Eminenz sagen wollte. Nichts konnte ihn in seinem Entschluß wankend machen.
Man gelangte nach der Rue St. Honoré und vor das Palais-Kardinal, und traf die zwölf zusammenberufenen Musketiere, welche, ihre Kameraden erwartend, auf- und abgingen. Man erklärte ihnen erst hier, um was es sich handelte.
D'Artagnan war sehr bekannt bei dem ehrenwerten Corps der Musketiere. Man wußte, daß er einst eine Stelle bei demselben bekommen sollte, und betrachtete ihn zum Voraus als einen Kameraden. Dem zu Folge nahm jeder gerne die Sendung an, für welche er beschieden war. Ueberdies hatte man aller Wahrscheinlichkeit nach dem Herrn Kardinal und seinen Leuten einen schlimmen Streich zu spielen, und zu solchen Unternehmungen waren die würdigen Herren stets bereit.
Athos theilte sie in drei Gruppen, übernahm das Kommando der einen, übergab die zweite Aramis, die dritte Porthos, und jede Gruppe legte sich einem Eingang gegenüber in den Hinterhalt.
D'Artagnan trat muthig durch die Hauptpforte ein. Obgleich sich der junge Mann kräftig unterstützt fühlte, war er doch nicht ganz ruhig, als er die große Treppe Stufe um Stufe hinauf stieg. Sein Benehmen gegen Mylady glich einigermaßen einem Verrath, und er vermuthete die politischen Beziehungen, welche zwischen dem Herzog und dieser Frau bestanden; überdies war Herr von Wardes, den er so übel zugerichtet hatte, einer von den Getreuen Seiner Eminenz, und d'Artagnan wußte, daß Seine Eminenz, wenn sie einerseits furchtbar für ihre Feinde war, andererseits eine große Anhänglichkeit an ihre Freunde bewies.
«Hat Herr von Wardes unsere ganze Angelegenheit dem Kardinal erzählt, woran nicht zu zweifeln ist, hat er mich erkannt, was mir sehr wahrscheinlich vorkommt, so darf ich mich beinahe als einen Verurtheilten betrachten, «sagte d'Artagnan den Kopf schüttelnd.»Aber warum hat er bis heute gewartet? Das ist ganz einfach: Mylady wird Klage gegen mich geführt haben, mit jenem heuchlerischen Schmerz, der so interessant macht. Und das letzte Verbrechen hat das Ueberlaufen des Gefässes bewirkt.«
«Zum Glück, «fügte er bei,»sind meine Freunde unten und werden mich nicht wegführen lassen, ohne mich zu vertheidigen. Indessen kann die Musketiercompagnie des Herrn von Treville nicht für sich allein den Krieg gegen den Kardinal führen, der über die Streitkräfte von ganz Frankreich zu verfügen hat, und dem gegenüber der König ohne Willen und die Königin ohne Macht ist. D'Artagnan, mein Freund, Du bist klug. Du hast vortreffliche Eigenschaften, aber die Weiber werden Dich zu Grunde richten!«
Er war bis zu diesem traurigen Schlusse gelangt, als er in das Vorzimmer eintrat. Hier übergab er seinen Brief dem Huissier vom Dienste, der ihn in den Wartesaal führte und sich in das Innere des Palastes verfügte.
In diesem Wartesaal befanden sich fünf bis sechs Leibwachen des Herrn Kardinals, die ihn, da sie d'Artagnan erkannten und wußten, daß er es war, der Jussac verwundet hatte, mit sonderbarem Lächeln anschauten.
Dieses Lächeln erschien d'Artagnan als ein schlimmes Vorzeichen. Aber da unser Gascogner nicht leicht einzuschüchtern war, oder vielmehr da er in Folge eines den Söhnen seiner Heimath natürlichen Stolzes nicht leicht sehen ließ, was in seiner Seele vorging, wenn das, was vorging, der Furcht glich, so pflanzte er sich unerschrocken vor den Herren Garden auf und wartete, die Hand auf die Hüfte gestützt, in einer Stellung, der es nicht an Majestät fehlte.
Der Huissier kehrte zurück und machte d'Artagnan ein Zeichen, ihm zu folgen. Es kam dem jungen Manne vor, als ob die Garden unter sich flüsterten, als sie ihn weggehen sahen.
D'Artagnan kam zuerst durch eine Flur, sodann durch einen Salon, trat in eine Bibliothek ein und stand vor einem Manne, der an einem Bureau saß und schrieb.
Der Huissier, der ihn eingeführt hatte, zog sich zurück, ohne ein Wort zu sprechen.
D'Artagnan glaubte Anfangs, er habe es mit einem Richter zu thun, der in seinen Acten arbeite, aber er bemerkte, daß der Mann an dem Bureau, Worte an den Fingern skandirend, schrieb oder vielmehr Zeilen von ungleicher Länge corrigirte. Er sah, daß er einem Dichter gegenüberstand. Nach einem Augenblick schloß der Dichter sein Manuscript, auf dessen Decke Mirame, Tragödie in fünf Acten, geschrieben war, und schaute empor.
D'Artagnan erkannte den Kardinal Richelieu.
XII. Eine furchtbare Erscheinung
Richelieu stützte seinen Ellbogen auf sein Manuscript, seine Wange auf seine Hand und schaute d'Artagnan einen Augenblick an. Niemand besaß ein tiefer forschendes Auge als der Kardinal, und dem jungen Mann rann es bei diesem Blick wie Fieber durch die Adern.
Er blieb indessen fest, hielt seinen Hut in der Hand und erwartete das Belieben Seiner Eminenz, ohne zu viel Stolz, aber auch ohne zu viel Demuth.
«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»seid Ihr ein d'Artagnan aus Bearn?«
«Ja, Monseigneur.«
«Es giebt mehrere Linien d'Artagnan in Tarbes und in der Umgegend; zu welcher gehört Ihr?«
«Ich bin der Sohn desjenigen, welcher die Religionskriege unter dem großen König Heinrich, dem Vater Seiner Allergnädigsten Majestät, mitgemacht hat.«
«Gut Ihr seid es, der etwa vor sieben oder acht Monaten von seiner Heimath abgereist ist, um in der Hauptstadt sein Glück zu suchen?«
«Ja, Monseigneur.«
«Ihr seid durch Meung gekommen, wo Euch etwas begegnete; ich weiß nicht mehr genau was, aber irgend etwas.«
«Monseigneur, «sprach d'Artagnan,«»es begegnete mir…«
«Unnöthig, unnöthig, «versetzte der Kardinal mit einem Lächeln, welches andeutete, daß er die Geschichte so gut kannte, wie derjenige, welcher sie erzählen wollte.»Ihr waret an Herrn von Treville empfohlen?«
«Ja, Monseigneur, aber gerade bei dieser unglücklichen Angelegenheit in Meung…«
«Ging der Empfehlungsbrief verloren, «unterbrach ihn Seine Eminenz, ja, ich weiß es. Aber Herr von Treville ist ein geschickter Physiognomiker, der die Menschen auf den ersten Blick kennt, und er hat Euch in der Compagnie seines Schwagers, des Herrn des Essarts, untergebracht, wobei er Euch Hoffnung machte, mit der Zeit bei den Musketieren eintreten zu können?«
«Monseigneur ist vollkommen unterrichtet.«
«Seit dieser Zeit ist Euch Vielerlei begegnet. Ihr seid eines Tages hinter dem Karmeliterkloster spazieren gegangen, wo es besser gewesen wäre, Ihr hättet Euch anderswo befunden; dann habt Ihr mit Euren Freunden eine Reise nach den Bädern von Forges gemacht. Sie sind auf der Route zurückgeblieben, Ihr aber habt Euren Weg fortgesetzt. Das ist ganz einfach, Ihr hattet Geschäfte in England.«
«Monseigneur, «sagte d'Artagnan ganz verblüfft,»ich begab mich…«
«Auf die Jagd nach Windsor oder anderswohin, das geht Niemand etwas an. Ich weiß das, weil es mein Beruf ist. Alles zu wissen. Bei Eurer Rückkehr seid Ihr von einer hohen Person empfangen worden, und ich sehe mit Vergnügen, daß Ihr das Andenken bewahrt habt, welches Ihr von ihr erhieltet.«
D'Artagnan trug den Diamant am Finger, den er von der Königin hatte, und drehte rasch den Stein nach Innen; aber es war zu spät.
«Am Tage nach diesem Empfang besuchte Euch Herr von Cavois, «fuhr der Cardinal fort.»Er bat Euch, in den Palast zu kommen, Ihr gabt ihm diesen Besuch nicht zurück und hattet Unrecht.«
«Monseigneur, ich fürchtete, die Ungnade Eurer Eminenz auf mich gezogen zu haben.«
«Und warum dies, mein Herr? Weil Ihr die Befehle Eurer Vorgesetzten mit mehr Muth und Verstand befolgt habt, als irgend ein Anderer gethan haben dürfte? Ihr solltet meine Ungnade auf Euch gezogen haben, während Ihr Lob verdient? Ich bestrafe nur die Leute, welche nicht gehorchen, und nicht diejenigen, welche, wie Ihr… zu gut… gehorchen. Und zum Beweise erinnert Euch an das Datum des Tages, an welchem ich Euch zu mir beschied, und sucht in Eurem Gedächtnis, was an diesem Tage vorgefallen ist.«
An diesem Tag hatte die Entführung der Frau Bonacieux stattgefunden.
D'Artagnan schauerte und erinnerte sich, daß eine halbe Stunde vorher die arme Frau an ihm vorübergekommen war, ohne Zweifel abermals durch dieselbe Macht weggeführt, der man ihr Verschwinden zuschreiben mußte.
«Da ich seit einiger Zeit nicht mehr von Euch sprechen hörte, «fuhr Richelieu fort,»so wollte ich wissen, was Ihr machtet. Uebrigens seid Ihr mir immerhin einigen Dank schuldig, denn es konnte Euch nicht entgehen, wie sehr man Euch unter allen Umständen schonte.«
D'Artagnan verbeugte sich.
«Dies rührte nicht allein von einem Gefühl natürlicher Billigkeit her, «fuhr der Kardinal fort,»sondern auch von einem Plan, den ich mir in Beziehung auf Euch gemacht hatte.«
D'Artagnan staunte immer mehr.
«Ich wollte Euch, «sprach der Kardinal,»Ich wollte Euch diesen Plan an dem Tag auseinandersetzen, wo Ihr meine erste Einladung empfangen habt, aber Ihr kamet nicht. Zum Glück ist durch die Zögerung noch nichts verloren, und Ihr sollt ihn heute hören. Setzt Euch zu mir, Herr d'Artagnan, Ihr seid ein zu guter Edelmann, um stehend hören zu müssen.«
Der Kardinal deutete hiebei mit dem Finger auf einen Stuhl, aber der junge Mann war über das, was vorging, so verwundert, daß er, ehe er gehorchte, auf ein zweites Zeichen wartete.
«Ihr seid muthig, Herr d'Artagnan, «fuhr Seine Eminenz fort,»Ihr seid klug, was noch mehr ist. Ich liebe die Menschen von Kopf und Herz. Erschreckt nicht, «sprach er lächelnd,»unter den Menschen von Herz verstehe ich die Menschen von Muth; aber so jung Ihr seid und obgleich Ihr erst in die Welt eintretet, habt Ihr doch mächtige Feinde. Wenn Ihr Euch nicht hütet, so werden sie Euch ins Verderben stürzen.«
«Ach, Monseigneur, «antwortete der junge Mann,»sie werden dies leicht zu Stande bringen, denn sie sind stark und wohl unterstützt, während ich allein stehe.«
«Ja, das ist wahr, aber obgleich allein, habt Ihr bereits viel gethan, und werdet, wie ich nicht zweifle, noch viel thun. Ihr bedürft jedoch meiner Ansicht nach einiger Anleitung auf der abenteuerlichen Laufbahn, die Ihr eingeschlagen habt, denn wenn ich mich nicht täusche, seid Ihr mit dem ehrgeizigen Gedanken, Euer Glück zu machen, nach Paris gekommen.«
«Ich bin in dem Alter toller Hoffnungen, Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan.
«Tolle Hoffnungen sind nur für die Thoren vorhanden, mein Herr, und Ihr seid ein Mann von Geist. Laßt hören, was würdet Ihr zu einer Fähnrichsstelle bei meiner Leibwache und zu einer Kompagnie nach dem Feldzuge sagen?«
«Ah! Monseigneur…«
«Ihr nehmt an, nicht wahr?«
«Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan mit verlegener Miene.
«Wie, Ihr weigert Euch?«rief der Kardinal erstaunt.
«Ich bin bei der Leibwache Seiner Majestät und habe keinen Grund, damit unzufrieden zu sein.«
«Aber es scheint mir, daß meine Leibwachen auch die Seiner Majestät sind, und daß man, wenn man in einem französischen Korps dient, dem König dient.«
«Monseigneur, Ew. Eminenz hat meine Worte unrichtig verstanden.«
«Ihr wollt einen Vorwand, nicht wahr? Ich begreife. Nun, Ihr habt den Vorwand. Das Vorrücken, der Feldzug, der sich eröffnet, die Gelegenheit, die ich Euch biete — das genügt für die Welt; für Euch kommt noch das Bedürfniß sicherer Protektion dazu. Denn Ihr müßt wissen, Herr d'Artagnan, daß schwere Klagen gegen Euch bei mir erhoben worden sind. Ihr widmet Eure Tage und Eure Nächte nicht ausschließlich dem Dienste des Königs.«
D'Artagnan erröthete.
«Ueberdies, «fuhr der Kardinal fort und legte seine Hand auf einen Haufen Papiere,»überdies habe ich hier einen ganzen Stoß, der Euch betrifft. Aber ich wollte zuvor mit Euch sprechen, ehe ich ihn las. Ich weiß, daß Ihr ein entschlossener Mann seid, und Eure Dienste könnten Euch unter guter Leitung viel eintragen, statt Euch zu Unheil zu führen. Auf! überlegt und entscheidet Euch.«
«Eure Güte macht mich ganz verwirrt, Monseigneur, «antwortete d'Artagnan,»und ich erkenne in Ew. Eminenz eine Seelengröße, die mich klein macht, wie einen Wurm der Erde, aber da mir Monseigneur freimüthig zu sprechen erlaubt…«
D'Artagnan hielt inne.
«Ja, sprecht.«
«So werde ich Ew. Eminenz sagen, daß alle meine Freunde bei den Musketieren und Leibwachen des Königs und alle meine Feinde in Folge eines mir ganz unbegreiflichen Unsterns bei Ew. Eminenz dienen. Ich wäre also hier sehr unwillkommen und müßte da unten in einem schlimmen Lichte erscheinen, wenn ich das, was mir Monseigneur bietet, annehmen würde.«
«Solltet Ihr bereits den stolzen Gedanken haben, ich biete Euch weniger, als Ihr verdient, mein Herr?«sagte der Kardinal mit verächtlichem Lächeln.
«Monseigneur, Ew. Eminenz ist hundertmal zu gut gegen mich, und ich glaube im Gegentheil nicht genug gethan zu haben, um eine solche Güte zu verdienen. Die Belagerung von la Rochelle wird eröffnet, Monseigneur; ich werde unter den Augen Ew. Eminenz dienen, und wenn ich das Glück gehabt habe, mich bei dieser Belagerung so zu benehmen, daß ich Euere Blicke auf mich ziehe, nur dann habe ich eine glänzende Handlung hinter mir, welche die Protektion rechtfertigt, der Ihr mich zu würdigen die Güte haben werdet. Alles zu seiner Zeit. Später werde ich vielleicht das Recht haben, mich zu geben; heute würde es aussehen, als ob ich mich verkaufte.«
«Das heißt, Ihr verweigert mir Euern Dienst, mein Herr?«sprach der Kardinal mit einem ärgerlichen Ton, unter dem jedoch eine gewisse Achtung durchdrang.»Bleibt also frei und bewahrt Euern Haß und Euere Sympathien.«
«Monseigneur…«
«Gut, gut, «sagte der Kardinal,»ich grolle Euch darum nicht; aber versteht wohl: man hat alle Verpflichtung, seine Freunde zu vertheidigen und zu belohnen; seinen Feinden ist man nichts schuldig. Dennoch will ich Euch einen Rath geben. Haltet Euch gut, nehmt Euch wohl in Acht, denn von dem Augenblick an, wo ich meine Hand von Euch abziehe, gebe ich keinen Heller mehr für Euer Leben.«
«Ich werde mich bestreben, «antwortete der Gascogner demüthig und zugleich mit einer gewissen Sicherheit.
«Erinnert Euch später und in einem gewissen Augenblick, wenn Euch Unheil widerfährt, «sagte Richelieu mit vorleuchtender Absicht,»daß ich Euch aufgesucht und daß ich Alles, was in meinen Kräften lag, gethan habe, um dieses Unheil von Euch abzuwenden.«
«Was auch geschehen mag, «erwiderte d'Artagnan, die Hand auf seine Brust legend und sich verbeugend,»ich werde eine ewige Dankbarkeit gegen Ew. Eminenz für das bewahren, was Ihr mir in diesem Augenblick gethan habt.«
«Gut also, Herr d'Artagnan, wir werden uns, wie Ihr sagtet, nach dem Feldzug wieder sehen.»Ich folge Euch mit den Augen, denn ich werde unten sein, «fuhr der Kardinal fort und zeigte d'Artagnan eine prachtvolle Rüstung, die er anlegen sollte.»Und wenn wir zurückkommen, rechnen wir ab.«
«Oh! Monseigneur!«rief d'Artagnan,»erspart mir die Last Eurer Ungnade; bleibt neutral, Monseigneur, wenn Ihr findet, daß ich als ritterlicher Mann handle.«
«Jüngling, «sagte Richelieu,»wenn ich Euch noch einmal sagen kann, was ich Euch heute gesagt habe, so gelobe ich es Euch zu sagen.«
Die letzten Worte Richelieus drückten einen furchtbaren Zweifel aus; d'Artagnan war darüber mehr bestürzt, als über eine Drohung, denn dies war eine Verkündigung. Der Kardinal suchte ihn also vor einem Unglück zu bewahren, das ihn bedrohte. Er öffnete den Mund, um zu antworten, aber Richelieu entließ ihn mit einer stolzen Geberde.
D'Artagnan entfernte sich, aber an der Thüre drückte es ihm beinahe das Herz ab, und es fehlte wenig, so wäre er umgekehrt. Doch das strenge, ernste Antlitz von Athos trat ihm vor die Augen. Machte er mit dem Kardinal den Vertrag, den dieser ihm vorschlug, so würde ihm Athos keine Hand mehr geben, Athos würde ihn verleugnen.
Diese Befürchtung hielt ihn ab; so mächtig ist der Einfluß eines wahrhaft großartigen Charakters auf seine ganze Umgebung.
D'Artagnan stieg dieselbe Treppe hinab, auf der er heraufgekommen war; er fand vor der Thüre Athos und die vier Musketiere, welche auf seine Rückkehr warteten und unruhig zu werden anfingen. D'Artagnan beruhigte sie mit einem Worte, und Planchet lief umher, um die Andern zu benachrichtigen, daß es unnöthig sei, länger Wache zu halten, indem sein Herr wohlbehalten das Palais des Kardinals verlassen habe.
Sobald sie zu Athos zurückgelangt waren, erkundigten sich Aramis und Porthos nach der Ursache dieser seltsamen Bestellung; aber d'Artagnan sagte ihnen nur, Herr von Richelieu habe ihn kommen lassen, um ihm den Eintritt bei seinen Leibwachen mit dem Grad eines Fähnrichs anzutragen; er habe aber dieses Anerbieten ausgeschlagen.
«Und Ihr habt Recht gehabt, «riefen einstimmig Aramis und Porthos.
Athos versank in eine tiefe Träumerei und erwiderte nichts.
Aber als er mit d'Artagnan allein war, sagte er:
«Ihr habt gethan, was Ihr thun mußtet, aber Ihr habt vielleicht Unrecht gehabt.«
D'Artagnan stieß einen Seufzer aus, denn diese Stimme antwortete auf eine geheime Stimme seiner Seele, die ihm sagte, daß großes Unglück seiner harre.
Der nächste Tag ging unter Vorkehrungen für die Abreise hin.
D'Artagnan verabschiedete sich von Herrn von Treville. Noch zu dieser Stunde glaubte man, die Trennung der Garden und der Musketiere würde nur ganz kurz sein; der König würde sein Parlament noch an demselben Tage halten, und am andern Morgen abreisen. Herr von Treville beschränkte sich also darauf, d'Artagnan zu fragen, ob er seiner bedürfe; d'Artagnan aber antwortete stolz, er habe Alles, was er brauche.
Die Nacht versammelte alle Kameraden der Gardecompagnie des Essarts und der Musketiercompagnie des Herrn von Treville, welche Freundschaft miteinander geschlossen hatten. Man verließ sich, um sich wieder zu sehen, wann und wenn es Gott gefiele. Die Nacht war also, wie man sich denken kann, eine höchst geräuschvolle, denn bei einem solchen Fall läßt sich die äußere Unruhe nur mit der äußersten Sorglosigkeit bekämpfen.
Am Morgen trennten sich die Freunde beim ersten Trompetenschall, die Musketiere liefen nach dem Hotel des Herrn von Treville, die Garden nach dem des Herrn des Essarts. Jeder der Kapitäne führte seine Compagnie sogleich nach dem Louvre, wo sie der König Revue passiren ließ.
Der König war traurig und schien krank zu sein, was ihm von seinem guten Aussehen benahm. Es hatte ihn in der That am Tag vorher mitten im Parlament, während er zu Gericht saß, das Fieber ergriffen. Er war darum nicht minder entschlossen, an demselben Tage abzugehen und wollte, trotz allen Bemerkungen, die man ihm machte, die Revue halten, in der Hoffnung, durch dieses erste, kräftige Entgegenstreben die Krankheit zu besiegen, die sich seiner bemächtigte.
Als die Revue vorüber war, marschierten die Garden allein aus, da die Musketiere erst mit dem König abgehen sollten, wodurch es Porthos vergönnt war, mit seiner herrlichen Equipirung einen Ritt durch die Rue aux Ours zu machen.
Die Procuratorin sah ihn in seiner neuen Uniform und auf seinem schönen Pferd vorüberreiten. Sie liebte ihn zu sehr, um ihn abziehen zu lassen; sie machte ihm ein Zeichen abzusteigen und zu ihr zu kommen. Porthos war prächtig: seine Sporen klirrten, sein Panzer glänzte, sein Schwert schlug stolz an seine Beine. Diesmal fühlten die Schreiber keine Lust zum Lachen, so sehr hatte Porthos das Ansehen eines Ohrenabschneiders.
Der Musketier wurde bei Herrn Coquenard eingeführt, dessen kleines graues Auge vor Zorn blitzte, als er seinen angeblichen Vetter ganz flammend erblickte. Eines jedoch tröstete ihn einigermaßen: man sagte allgemein, es würde ein sehr heftiger Feldzug werden, und er hoffte ganz stille im Grunde seines Herzens, Porthos werde dabei das Leben verlieren.
Porthos machte Herrn Coquenard sein Kompliment und verabschiedete sich von ihm. Meister Coquenard wünschte ihm alles mögliche Glück. Madame Coquenard konnte ihre Thränen nicht zurückhalten, aber ihr Schmerz gab zu keinem bösen Gedanken Anlaß; man wußte, daß sie sehr an ihrem Verwandten hing, um dessen willen sie manchen furchtbaren Streit mit ihrem Gatten durchzufechten hatte.
So lange die Procuratorin ihrem schönen Vetter mit den Augen folgen konnte, neigte sie sich zum Fenster hinaus, das man hätte glauben können, sie wolle sich herausstürzen, und winkte mit dem Sacktuch. Porthos empfing alle diese Zeichen der Zärtlichkeit als ein Mann, der an dergleichen Kundgebungen gewöhnt ist. Als er jedoch um die Straßenecke ritt, nahm er seinen Hut vom Kopfe und schwenkte ihn zum Lebewohl.
Aramis schrieb einen langen Brief. An wen? Niemand wußte es. Ketty, welche an demselben Abend nach Tours abreisen sollte, wartete auf diesen geheimen Brief im Nebenzimmer.
Athos trank in kleinen Zügen die letzte Flasche von seinem spanischen Wein.
Während dieser Zeit defilirte d'Artagnan mit seiner Kompagnie. Als er nach dem Faubourg Saint-Germain kam, drehte er sich um und schaute die Bastille heiter an, der er bis dahin glücklich entgangen war. Da er nur die Bastille anschaute, sah er Mylady nicht, die ihn, auf einem Isabell reitend, mit dem Finger zwei Menschen von ziemlich schlimmem Aussehen bezeichnete, welche sich sogleich den Reihen näherten, um ihn zu betrachten. Auf eine Frage, die sie mit dem Blicke machten, antwortete Mylady, er sei es. Sobald sie sich überzeugt hatte, daß kein Versehen bei Ausführung ihres Auftrags stattfinden konnte, spornte sie ihr Pferd und verschwand.
Die zwei Männer folgten sodann der Kompagnie und bestiegen beim Ausgang aus dem Faubourg Saint-Antoine Pferde welche ein Bedienter ohne Livree für sie bereit hielt.
XIII. Die Belagerung von La Rochelle
Die Belagerung von La Rochelle war eines der bedeutendsten Ereignisse unter der Regierung Ludwigs XIII.
Die politischen Absichten des Kardinals, als er die Belagerung unternahm, waren von hoher Bedeutung. Von den wichtigen Städten, welche Heinrich IV. den Hugenotten als Versicherungsplätze gab, war nur noch La Rochelle übrig. Der Kardinal wollte dieses letzte Bollwerk des Calvinismus zerstören.
La Rochelle, das durch den Untergang der andern calvinistischen Städte ein neues Gewicht bekommen hatte, war überdies der letzte Hafen, der den Engländern in Frankreich offen stand; und wenn er denselben für England, den ewigen Feind Frankreichs, verschloß, vollendete er das Werk der Jungfrau von Orleans und des Herzogs von Guise.
Bassompierre, der zugleich Protestant und Katholik war, Protestant aus Ueberzeugung, Katholik als Kommandeur vom heiligen Geist, Bassompierre, ein Deutscher von Geburt, ein Franzose seinem Herzen nach, der ein besonderes Kommando bei der Belagerung von La Rochelle hatte, sagte daher auch, als er an der Spitze mehrerer anderer protestantischer Edelleute angriff:
«Ihr werdet sehen, meine Herren, wir sind so dumm und nehmen La Rochelle.«
Und Bassompierre hatte Recht. Die Kanonade der Insel Ré weissagte ihm die Verfolgungen der Hugenotten; die Einnahme von La Rochelle war die Vorrede zum Widerruf des Edicts von Nantes.
Aber neben diesen allgemeinen Absichten des nivellirenden Ministers, welche der Geschichte angehören, muß der Chronikschreiber die kleinen Gesichtspunkte des verliebten Mannes und eifersüchtigen Nebenbuhlers in's Auge fassen.
Richelieu war, wie Jedermann weiß, in die Königin verliebt gewesen. Hatte diese Liebe bei ihm einen einfachen politischen Zweck, oder war es eine jener tiefen Leidenschaften, wie sie Anna von Oesterreich den Männern, von denen sie umgeben war, einflößte? Wir wissen es nicht zu sagen; aber jeden Falls könnte man aus der früheren Entwickelung dieser Geschichte ersehen, daß Buckingham bei mehreren Umständen den Sieg über ihn davon getragen hatte, und besonders hatte er ihn bei der Geschichte mit den Nestelstiften auf eine grausame Weise mystificirt.
Es handelte sich also für Richelieu nicht nur darum, Frankreich von einem Feinde zu befreien, sondern auch sich an einem Nebenbuhler zu rächen. Die Rache sollte groß, glänzend und besonders eines Mannes würdig werden, der die Kräfte eines ganzen Königreichs als Schwert in der Hand hält.
Richelieu wußte, daß er, indem er England bekämpfte, über Buckingham triumphirte, daß er, indem er England in den Augen Europas demüthigte, Buckingham in den Augen der Königin demüthigte.
Während Buckingham seinerseits nur die Ehre Englands vorschob, wurde er von Interessen in Bewegung gesetzt, die denen des Kardinals vollkommen glichen: Buckingham verfolgte ebenfalls eine Privatrache. Buckingham hatte unter keinem Vorwand wieder als Botschafter Eingang in Frankreich finden können.
Daraus geht hervor, daß der wahre Einsatz bei der Partie, welche die zwei mächtigen Reiche, nach dem Belieben zweier verliebter Männer spielten, weiter nichts als ein Blick Anna's von Oesterreich war.
Den ersten Vortheil hatte der Herzog von Buckingham errungen. Er erschien unerwartet im Angesicht der Insel Ré mit neunzig Schiffen und ungefähr zwanzig tausend Mann, überfiel den Grafen von Toiras, der auf der Insel für den König kommandirte, und bewerkstelligte nach einem blutigen Kampfe seine Landung.
Wir bemerken im Vorübergehen, daß bei diesem Kampfe der Baron von Chantal fiel. Der Baron von Chantal hinterließ eine Enkelin von achtzehn Monaten als Waise. Diese Enkelin wurde später Frau von Sevigné.
Der Graf von Toiras zog sich in die Citadelle Saint-Martin mit der Garnison zurück, und warf etwa hundert Mann in ein kleines Fort, das man das Fort de la Prée nannte.
Dieses Ereigniß hatte die Entschließungen des Kardinals beschleunigt, er schickte, bis der König und er, wie dies beabsichtigt war, den Oberbefehl bei der Belagerung von La Rochelle übernehmen könnten, Monsieur ab, um die ersten Operationen zu leiten, und alle Truppen über die er zu verfügen im Stande war, gingen nach dem Kriegsschauplatz ab.
Zu diesem als Vorhut abgeschickten Detachement gehörte auch unser Freund d'Artagnan.
Der König sollte, wie gesagt, folgen, sobald er seinen großen Gerichtstag im Parlament gehalten hätte. Als er sich am 25. Juni von diesem erhob, fühlte er sich vom Fieber ergriffen. Er wollte nichtsdestoweniger abreisen, aber sein Zustand verschlimmerte sich, und er war genöthigt in Villeroy zu bleiben.
Wo der König stille hielt, mußten auch die Musketiere verweilen. Dadurch geschah es, daß d'Artagnan, der ganz einfach bei den Garden war, sich wenigstens für den Augenblick von seinen Freunden Athos, Porthos und Aramis getrennt sah. Diese Trennung, welche für ihn nur eine Unannehmlichkeit war, würde ihm gewiß zu ernstlicher Unruhe gereicht haben, wenn er die unbekannten Gefahren hätte ahnen können, von denen er umgeben war. Dessenungeachtet langte er in dem vor La Rochelle aufgeschlagenen Lager an.
Es befand sich noch Alles in demselben Zustand. Der Herzog von Buckingham und seine Engländer fuhren als Herren der Insel Ré fort, obgleich ohne Erfolg, die Citadelle von Saint-Martin und das Fort de la Prée zu belagern; und die Feindseligkeiten mit La Rochelle hatten seit zwei oder drei Tagen gegen ein Fort begonnen, das der Herzog von Angoulême in der Nähe erbauen ließ.
Die Garden unter dem Kommando von Herrn des Essarts hatten ihre Wohnungen im Kloster der Minimen.
Aber d'Artagnan, der ganz und gar von dem Ehrgeiz, unter die Musketiere überzutreten, eingenommen war, hatte wenig Freundschaft mit seinen Kameraden gemacht, und fand sich so vereinzelt und seinen eigenen Betrachtungen überlassen.
Diese Betrachtungen waren eben nicht sehr lachend. Seit einem Jahre, seit dem er in Paris angekommen war, hatte er sich in die öffentlichen Angelegenheiten gemischt, und seine eigenen Angelegenheiten waren, was Liebe und Glück betrifft, nicht weit vorgerückt.
Was die Liebe betrifft, war Madame Bonacieux die einzige Frau, die er wahrhaft geliebt hatte, und Madame Bonacieux war verschwunden, ohne daß er nur im Geringsten etwas von ihrem Leben oder Aufenthalt zu entdecken vermochte.
In Betreff des Glückes hatte er, der Schwache, sich den Kardinal, das heißt den Mann, vor dem die Größten des Reiches, vom König abwärts, zitterten, zum Feinde gemacht.
Dieser Mann konnte ihn niederschmettern, zertreten, und er hatte es nicht gethan. Für einen so scharfsinnigen Geist wie d'Artagnan, war diese Nachsicht ein Licht, durch das er eine bessere Zukunft erblickte.
Dann hatte er sich noch einen andern Feind gemacht, der seiner Ansicht nach weniger zu fürchten, aber, wie er instinktmäßig fühlte, darum doch nicht zu verachten war. Dieser Feind war Mylady.
Allen diesen gegenüber durfte er sich des Schutzes und Wohlwollens der Königin versichert halten; aber das Wohlwollen der Königin war zu jener Zeit eine weitere Ursache zur Verfolgung, und ihre Protektion beschützte bekanntlich sehr schlecht, was bei Chalais und Madame Bonacieux sichtbar wurde.
Der augenscheinlichste Gewinn, den er unter allen diesen Verhältnissen errungen hatte, war der Diamant von fünf bis sechstausend Livres, den er an seinem Finger trug, und auch dieser Diamant hatte, da d'Artagnan in seinen ehrgeizigen Plänen ihn behalten wollte, um ihn eines Tages als Zeichen der Wiedererkennung bei der Königin zu benützen, und ihn also nicht veräußern konnte, vorläufig nicht mehr Werth, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat.
Wir sagen, als die Kieselsteine, auf die er mit seinen Füßen trat, denn d'Artagnan stellte diese Betrachtungen an, während er einsam auf einem hübschen Pfad spazieren ging, der von dem Lager in eine benachbarte Stadt führte. Unter diesen Betrachtungen aber war er weiter gegangen, als er glaubte, und der Tag fing an sich zu neigen, als er bei dem letzten Strahl der untergehenden Sonne hinter einer Ecke hervor einen Flintenlauf glänzen sah.
D'Artagnan hatte ein lebhaftes Auge und einen raschen Geist. Er begriff, daß die Flinte nicht allein gekommen war, und daß ihr Träger sich nicht in freundschaftlichen Absichten hinter der Hecke verborgen hatte. Er beschloß also das Weite zu suchen, als er auf der andern Seite der Straße hinter einem Felsen das Ende einer zweiten Flinte erblickte.
Das war offenbar ein Hinterhalt.
Der junge Mann warf einen Blick auf die erste Flinte und sah mit einer gewissen Unruhe, daß sie sich in der Richtung nach ihm senkte. Aber sobald er gewahr wurde, daß die Mündung des Laufes unbeweglich blieb, warf er sich mit dem Bauche auf die Erde. Zu gleicher Zeit ging der Schuß los, und er hörte das Zischen einer Kugel, welche über seinem Kopf hinflog.
Es war keine Zeit zu verlieren. D'Artagnan sprang auf und in demselben Augenblick sprengte die andere Flinte die Kieselsteine von der Stelle auf, wo er sich vorher mit dem Gesicht auf die Erde geworfen hatte.
D'Artagnan gehörte nicht zu den Prahlern, welche einen lächerlichen Tod suchen, damit man nicht von ihnen sage, sie seien nicht einen Schritt zurückgewichen. Ueberdies handelte es sich hier nicht mehr um den Muth, denn d'Artagnan war in einen Hinterhalt gefallen.
«Kommt noch ein dritter Schuß, «sprach er zu sich selbst,»so bin ich ein Kind des Todes.«
Und sogleich entfloh er nach dem Lager zu mit der Geschwindigkeit der Bewohner seiner Heimath, welche durch ihr behendes Wesen berühmt geworden sind. Aber so rasch er auch lief, so hatte doch derjenige, welcher zuerst geschossen, Zeit gefunden, sein Gewehr wieder zu laden, und er feuerte ihm einen zweiten Schuß nach, der dießmal so gut gezielt war, daß die Kugel durch seinen Hut drang und diesen zehn Schritte von ihm schleuderte.
Da d'Artagnan keinen andern Hut besaß, so hob er diesen im Laufe vom Boden auf, und langte ganz bleich und athemlos in seiner Wohnung an; er setzte sich hier nieder, ohne Jemand ein Wort zu sagen, und dachte über das Vorgefallene nach.
Dieses Ereigniß konnte drei Ursachen haben.
Die erste und natürlichste ließ sich in einem Hinterhalt von Rochellern suchen, denen es nicht leid gewesen wäre, einen von den Garden des Königs zu tödten, denn sie würden sich dadurch einen Feind weiter vom Halse geschafft haben, und dieser Feind hätte eine wohlgespickte Börse in seiner Tasche tragen können.
D'Artagnan nahm seinen Hut, untersuchte das Loch der Kugel und schüttelte den Kopf. Die Kugel war nicht von einer Muskete, sondern aus einer Büchse. Die Genauigkeit des Schusses hatte ihn schon auf den Gedanken gebracht, er sei aus einem Privatgewehr abgefeuert worden. Es war also kein militärischer Hinterhalt, wie dies aus dem Kaliber der Kugel hervorging.
Es konnte auch ein gutes Andenken von dem Kardinal sein. Man erinnert sich, daß er in dem Augenblick, wo er durch den glücklichen Sonnenstrahl begünstigt den Flintenlauf erblickte, selbst über die Langmuth Seiner Eminenz in Beziehung auf seine Person staunte.
Aber d'Artagnan schüttelte mit zweifelhafter Miene den Kopf. Bei Leuten, nach denen er nur die Hand auszustrecken hatte, nahm der Kardinal nur selten zu solchen Mitteln seine Zuflucht.
Es konnte eine Rache von Mylady sein.
Diese Vermuthung war vernünftiger.
Vergebens suchte er sich der Züge oder der Tracht der Mörder zu erinnern; er war genöthigt gewesen, sich so rasch zu entfernen, daß er nicht Muße gehabt hatte, etwas wahrzunehmen.
«Ah! meine armen Freunde, «murmelte d'Artagnan,»wo seid Ihr? und wie fehlt Ihr mir!«
D'Artagnan verbrachte eine schlimme Nacht. Drei- oder viermal erwachte er plötzlich, weil er sich einbildete, man nähere sich seinem Bette, um ihn zu erdolchen. Aber der Tag erschien, ohne daß die Dunkelheit einen Unfall herbeigeführt hatte.
D'Artagnan verleugnete sich jedoch nicht, daß aufgeschoben nicht aufgehoben war. Er blieb den ganzen Tag in seiner Wohnung, wobei er sich vor sich selbst mit dem schlechten Wetter entschuldigte.
Am zweiten Tag um neun Uhr wurde Marsch geschlagen. Der Herzog von Orleans visitirte die Posten. Die Leibwachen eilten zu den Waffen; d'Artagnan nahm seine Stelle unter seinen Kameraden ein.
Monsieur zog an der Front der Truppen vorüber; dann näherten sich ihm alle höheren Offiziere, um seinen Hof zu bilden, darunter auch der Herr des Essarts.
Nach kurzem kam es d'Artagnan vor, als ob ihn Herr des Essarts durch ein Zeichen zu sich beschiede. Er wartete auf eine neue Geberde seines Vorgesetzten, aus Furcht, er könnte sich täuschen, und als diese Geberde wiederholt wurde, verließ er die Reihen und trat vor, um den Befehl einzuholen.
«Monsieur verlangt Freiwillige zu einer gefährlichen Sendung, die jedoch denjenigen, welche sie erfüllen, Ehre bringt, und ich habe Euch ein Zeichen gemacht, damit Ihr Euch bereit halten möget.«
«Ich danke, mein Kapitän, «antwortete d'Artagnan, dem nichts erwünschter war, als sich unter den Augen des Generallieutenants auszuzeichnen.
Die Rocheller hatten wirklich in der Nacht einen Ausfall gemacht und eine Bastei wieder genommen, deren sich zwei Tage vorher die royalistische Partei bemächtigt hatte; es handelte sich darum, eine Recognoscirung vorzunehmen, um zu sehen, wie die Bastei bewacht werde.
Nach einigen Augenblicken erhob Monsieur die Stimme und sprach:
«Ich bedarf zu diesem Auftrag drei oder vier Freiwillige geführt von einem sichern Manne.«
«Was den sichern Mann betrifft, so habe ich diesen bei der Hand, «erwiderte Herr des Essarts und deutete auf d'Artagnan,»und in Beziehung auf die Freiwilligen darf Monseigneur nur seinen Willen kundgeben, und es wird nicht an Leuten fehlen.«
«Vier Freiwillige, um sich mit mir tödten zu lassen, «sprach d'Artagnan, den Degen erhebend.
Zwei von seinen Kameraden bei den Garden stürzten sogleich hervor, zwei Soldaten verbanden sich mit ihnen und die gewünschte Zahl war voll. D'Artagnan wies daher alle Andere zurück, da er denen, welche zuerst gekommen waren, ihr Recht auf Beförderung nicht schmälern wollte.
Man wußte nicht, ob die Rocheller nach der Einnahme diese Bastei geräumt, oder ob sie eine Garnison darin gelassen hatten. Man mußte also den bezeichneten Ort ziemlich nahe untersuchen, um sich hierüber Gewißheit zu verschaffen.
D'Artagnan ging mit seinen vier Gefährten ab und folgte dem Laufgraben. Die zwei Garden marschirten in demselben Glied mit ihm und die Soldaten kamen hinter ihm.
So gelangten sie, sich deckend, bis auf hundert Schritte zur Bastei; als sich d'Artagnan hier umwandte, sah er, daß die Soldaten verschwunden waren. Er glaubte, sie seien aus Furcht zurückgeblieben, und rückte weiter vor.
An der Biegung der äußersten Grabenmauer waren sie nur noch ungefähr sechzig Schritte von der Bastei entfernt.
Man sah nichts, und die Bastei schien ganz verlassen.
Die drei Verlorenen berathschlagten, ob sie weiter gehen sollten, als plötzlich eine Rauchwolke sichtbar wurde und ein Dutzend Kugeln um d'Artagnan und seine Gefährten zischten.
Sie wußten, was sie wissen wollten, die Bastei wurde bewacht, ein längerer Aufenthalt an diesem gefährlichen Ort wäre eine nutzlose Unklugheit gewesen.
D'Artagnan und die zwei Garden kehrten um und begannen einen Rückzug, der mehr einer Flucht glich.
Als sie die Ecke des Laufgrabens erreichten, der ihnen als Wall dienen sollte, stürzte einer von den Garden; eine Kugel hatte ihm die Brust durchbohrt; der andere war wohlbehalten und setzte seinen Lauf nach dem Lager fort.

D'Artagnan wollte seinen Gefährten nicht so verlassen und beugte sich über ihn herab, um ihn aufzuheben; aber in diesem Augenblicke wurden zwei Schüsse abgefeuert; eine Kugel zerschmetterte dem bereits verwundeten Garden den Kopf, die andere prallte an dem Felsen ab, nachdem sie auf zwei Zoll an d'Artagnan vorüber geflogen war.
Der junge Mann wandte sich lebhaft um, denn dieser Angriff konnte nicht von der Bastei kommen, die durch die Ecke des Laufgrabens maskiert war. Sogleich fielen ihm die zwei Soldaten ein, die ihn verlassen hatten, und er erinnerte sich dabei der Mörder, die ihm zwei Tage vorher nach dem Leben getrachtet. Er beschloß daher, diesmal zu untersuchen, woran er sich zu halten hätte, und fiel auf den Leib seines Kameraden nieder, als ob er todt wäre.
Alsbald sah er, wie sich zwei Köpfe über einem verlassenen Werke, dreißig Schritte von ihm erhoben. Es waren die unserer zwei Soldaten. D'Artagnan hatte sich nicht getäuscht. Diese Leute waren ihm nur gefolgt, um ihn zu tödten, in der Hoffnung, der Tod des jungen Mannes würde dem Feinde auf die Rechnung gebracht werden.
Da er jedoch nur verwundet sein und ihr Verbrechen anzeigen konnte, so näherten sie sich ihm, um ihm den Garaus zu machen. Durch die List d'Artagnans getäuscht, versäumten sie es glücklicher Weise, ihre Gewehre wieder zu laden. Als sie auf zehn Schritte von ihm entfernt waren, stand d'Artagnan, der bei seinem Falle sein Schwert fest in der Hand behalten hatte, rasch auf, und befand sich mit einem Sprunge bei ihnen.
Die Mörder begriffen, daß sie, wenn sie nach dem Lager entflohen, ohne ihren Mann getödtet zu haben, von diesem verklagt wurden; es war daher ihr erster Gedanke, zum Feinde überzugehen. Der Eine von ihnen nahm seine Flinte beim Lauf und bediente sich derselben als einer Keule. Er führte einen furchtbaren Schlag nach d'Artagnan, der ihm dadurch auswich, daß er sich auf die Seite warf, aber durch diese Bewegung ließ er dem Banditen freien Raum, und dieser lief sogleich nach der Bastei.
Da die Rocheller, welche dieselben bewachten, nicht wissen konnten, in welcher Absicht dieser Mann zu ihnen kam, so gaben sie Feuer auf ihn, und er stürzte mit zerschmetterter Schulter nieder.
Während dieser Zeit warf sich d'Artagnan auf den zweiten Soldaten und griff ihn mit dem Degen an. Der Kampf währte nicht lange; der Elende hatte zu seiner Vertheidigung nichts als die abgefeuerte Flinte. Der Degen des Garden glitt an dem Laufe des unnütz gewordenen Gewehres ab und durchdrang den Schenkel des Mörders, welcher niederfiel.
D'Artagnan setzte ihm sogleich seine Degenspitze an die Gurgel.
«Oh! tödtet mich nicht, «rief der Bandit,»Gnade! Gnade! mein Offizier, und ich werde Euch Alles sagen.«—»Ist Dein Geheimnis so viel Werth, daß ich Dir das Leben schenke?«fragte der junge Mann. — »Ja, sobald Ihr das Leben einigermaßen schätzt, wenn man erst zwanzig Jahre alt ist, wenn man schön und brav ist, wie Ihr, und Alles erreichen kann.«—»Elender, «sagte d'Artagnan,»sprich schnell. Wer hat Dir den Auftrag gegeben, mich zu ermorden?«—»Eine Frau, die ich nicht kenne, die man aber Mylady nannte.«—»Doch wenn Du diese Frau nicht kennst, woher weißt Du ihren Namen?«—»Mein Kamerad kannte sie und nannte sie so. Sie verhandelte mit ihm und nicht mit mir. Er hat sogar in seiner Tasche einen Brief von dieser Person, der von großem Belang für Euch sein muß, wie ich ihn sagen hörte.«—»Aber wie kommst Du dazu, an diesem Hinterhalt Antheil zu nehmen?«—»Er machte mir den Vorschlag, diesen Streich zu zwei auszuführen, und ich willigte ein.«—»Und wie viel hat sie Euch für dieses Unternehmen gegeben?«—»Hundert Louisd'or.«—»Schön, «sprach der junge Mann lachend,»sie denkt doch, ich sei etwas werth. Hundert Louisd'or, das ist eine Summe für Schurken Eurer Art; auch begreife ich, daß Du eingewilligt hast, und ich begnadige Dich, jedoch unter einer Bedingung.«—»Unter welcher?«fragte der Soldat unruhig, als er sah, daß noch nicht Alles zu Ende war. — »Daß Du mir den Brief holst, den Dein Kamerad in seiner Tasche hat.«—»Aber das ist nur eine andere Art, mich zu tödten, «rief der Bandit.»Wie soll ich diesen Brief unter dem Feuer der Bastei holen?«—»Du mußt Dich entschließen, ihn herbei zu schaffen, oder ich schwöre Dir, daß Du von meiner Hand stirbst.«—»Gnade! Herr, Barmherzigkeit! Im Namen der jungen Dame, die Ihr liebt, die Ihr vielleicht todt glaubt, und die es nicht ist!«rief der Bandit, sich auf die Kniee erhebend und mit der Hand stützend, denn er fing an mit seinem Blut auch die Kräfte zu verlieren. — »Woher weißt Du, daß es eine junge Frau gibt, die ich liebe, und daß ich diese junge Frau todt geglaubt habe?«fragte d'Artagnan. — »Aus dem Briefe den mein Kamerad in seiner Tasche hat.«—»Du siehst also wohl, daß ich diesen Brief bekommen muß, «sprach d'Artagnan.»Nicht mehr gezögert, oder wie sehr es mir auch widerstrebt, mein Schwert zum zweiten Male in das Blut eines Elenden zu tauchen, wie Du bist, ich schwöre Dir so wahr ich ein ehrlicher Mann bin…«
Bei diesen Worten machte d'Artagnan eine so drohende Geberde, daß sich der Verwundete erhob.
«Halt, halt!«rief er, seinen Muth wieder durch den Schrecken gewinnend,»ich gehe… ich gehe.«
D'Artagnan nahm die Büchse des Soldaten, ließ ihn vor sich hergehen und trieb ihn gegen seinen Gefährten zu, indem er ihn von Zeit zu Zeit mit der Spitze seines Degens in die Hüfte stach. Es war furchtbar anzuschauen, wie dieser Unglückliche, auf seinem Weg eine lange Blutspur zurücklassend, bleich vor dem bevorstehenden Tode, sich ungesehen zu dem Leichnam seines Kameraden hinzuschleppen suchte, der zwanzig Schritte von ihm entfernt lag.
Der Schrecken war so stark auf seinem mit kaltem Schweiß bedeckten Gesichte ausgeprägt, daß d'Artagnan Mitleid bekam und ihn verächtlich anschaute.
«Nun!«sprach er,»ich will Dir zeigen, welch ein Unterschied zwischen einem Manne von Herz und einem Feigling Deiner Art stattfindet. Bleibe, ich werde gehen!«
Und schnellen Schrittes, mit lauerndem Auge jede Bewegung des Feindes beobachtend, alle Vortheile des Terrains benützend, gelangte d'Artagnan bis zu dem zweiten Soldaten.
Es gab zwei Mittel, seinen Zweck zu erreichen: entweder mußte er ihn auf der Stelle durchsuchen oder mußte er ihn, seinen Leib als Schild gebrauchend, nach dem Laufgraben tragen und dort erst durchsuchen.
D'Artagnan zog das zweite Mittel vor und lud den Mörder in dem Augenblick, wo der Feind Feuer gab, auf seine Schulter.
Ein leichter Stoß, ein letzter Schrei, ein Beben des Todeskampfes bewiesen d'Artagnan, daß ihm derjenige, welcher ihn ermorden gewollt, das Leben gerettet hatte.
D'Artagnan erreichte wieder den Laufgraben und warf den Leichnam neben den Verwundeten.
Sogleich begann er die Untersuchung: eine lederne Brieftasche, eine Börse, worin sich offenbar ein Theil von der Summe fand, die der Bandit erhalten hatte, ein Becher und Würfel bildeten die ganze Hinterlassenschaft des Todten.
Er ließ den Becher und die Würfel, wo sie hingefallen waren, schleuderte die Börse dem Verwundeten zu und öffnete gierig die Brieftasche.
Mitten unter unwichtigen Papieren fand sich folgender Brief den er mit Gefahr seines Lebens geholt hatte:
«Da Ihr die Spur dieser Frau verloren habt, und sie nun in Sicherheit in dem Kloster ist, wohin Ihr sie nie durftet gelangen lassen, so sucht wenigstens den Mann nicht zu verfehlen. Verfehlt Ihr ihn, so wißt Ihr, daß ich eine lange Hand habe, und daß Ihr die hundert Louisd'or, die Ihr von mir erhalten habt, teuer bezahlen müßt.«
Keine Unterschrift. Dessenungeachtet kam der Brief unleugbar von Mylady. Er behielt ihn also, als ein Actenstück zum Behuf der Überweisung, und da er sich hinter der Ecke des Laufgrabens in Sicherheit befand, so fing er an den Verwundeten auszufragen. Dieser gestand, daß er es mit seinem soeben getöteten Kameraden übernommen hatte, eine junge Frau, die von Paris durch die Barriere de la Vilette abreisen sollte, zu entführen, daß sie sich aber in einer Schenke, um zu trinken, aufgehalten und den Wagen um zehn Minuten versäumt hatten.
«Aber was hättet Ihr mit dieser Frau gemacht?«fragte d'Artagnan bange.
«Wir sollten sie in ein Hotel der Place Royale bringen, «erwiderte der Verwundete.
«Ja, ja, «murmelte d'Artagnan,»das ist es, zu Mylady selbst.«
Nun begriff der junge Mann schaudernd, welcher furchtbare Rachedurst diese Frau antrieb, ihn, so wie diejenigen, welche ihn liebten, zu Grunde zu richten, und wie sehr sie mit den Angelegenheiten des Hofes vertraut war, da sie Alles entdeckt hatte. Ohne Zweifel hatte sie ihre Nachrichten dem Kardinal zu verdanken. Aber dagegen sah er auch mit einem Gefühl wahrer Freude ein, daß die Königin endlich den Kerker erkundet, in welchem die arme Madame Bonacieux ihre Ergebenheit büßen mußte, und daß sie dieselbe diesem Kerker entzogen hatte.
Von dieser Zeit wurde es, wie Athos vorhergesagt hatte, möglich, Madame Bonacieux wieder aufzufinden, und ein Kloster war nicht uneinnehmbar.
Dieser Gedanke vollendete die Milde in seinem Herzen. Er wandte sich gegen den Verwundeten um, welcher ängstlich all die verschiedenen Ausdrücke in seinem Gesichte verfolgte, und reichte ihm den Arm.
«Auf!«sprach er,»ich will Dich nicht so verlassen. Stütze Dich auf mich, und kehren wir in das Lager zurück.«
«Ja, «sagte der Verwundete, der kaum an so viel Großmuth glauben konnte,»aber geschieht dies nicht, um mich hängen zu lassen?«
«Du hast mein Wort und zum zweiten Mal schenke ich Dir Dein Leben.«
Der Verwundete sank auf die Kniee und küßte seinem Retter abermals die Füße. Aber d'Artagnan, der durchaus keinen Grund hatte, so nahe beim Feinde zu bleiben, kürzte selbst die Dankbarkeitsbezeigungen ab.
Der Garde, welcher bei dem ersten Feuer der Rocheller zurückgeeilt war, hatte den Tod seiner vier Gefährten angekündigt. Man war also sehr erstaunt und äußerst vergnügt im Regiment, als man den jungen Mann wohlbehalten ankommen sah.
D'Artagnan erklärte den Degenstich seines Gefährten durch einen Ausfall, den er improvisirte. Er erzählte den Tod des andern Soldaten und die Gefahren, denen sie preisgegeben gewesen. Seine Erzählung hatte einen wahren Triumph für ihn zur Folge. Die ganze Armee sprach einen Tag lang von dieser Expedition, und Monsieur ließ ihm darüber seine Zufriedenheit aussprechen.
Wie übrigens jede schöne Handlung ihre Belohnung mit sich trägt, so war das Resultat der schönen Handlung d'Artagnans, daß sie ihm die verlorene Ruhe wieder gab. Der junge Mann glaubte in der That ruhig sein zu können, da von seinen zwei Feinden der eine todt, der andere seinen Interessen ergeben war.
Diese Sache bewies blos, daß d'Artagnan Mylady noch nicht kannte.
XIV. Anjou-Wein
Nachdem man beinahe verzweifelte Nachrichten vom König erhalten hatte, fing das Gerücht von seiner Wiedergenesung an sich zu verbreiten, und da er große Eile hatte, in Person zu der Belagerung zu kommen, so sagte man, er würde abreisen, sobald er wieder zu Pferde steigen könnte.
Monsieur, welcher wußte, daß er jeden Tag durch den Herzog von Angoulême, durch Bassompierre oder durch Schomberg, die sich um das Commando stritten, im Oberbefehl ersetzt werden konnte, that mittlerweile nur wenig, verlor seine Zeit durch Umhertappen und wagte kein großes Unternehmen, um die Engländer von der Insel Ré zu vertreiben, wo sie die Citadelle Saint-Martin und das Fort de la Prée belagerten, während die Franzosen ihrerseits La Rochelle belagerten.
D'Artagnan war, wie gesagt, ruhiger geworden, wie dies stets nach einer überstandenen Gefahr, oder wenn man die Gefahr für verschwunden hält, der Fall ist. Sein einziger Kummer war, daß er keine Nachricht von seinen Freunden erhielt.
Aber eines Morgens wurde ihm durch folgenden aus Villeroy datirten Brief Alles klar:
«Herr d'Artagnan,
«Die Herren Athos, Porthos und Aramis machten, nachdem sie bei mir ein gutes Mahl eingenommen hatten, einen so gewaltigen Lärm, daß ihnen der Herr Schloßrichter, ein sehr strenger Mann, einige Tage Zimmerarrest gab. Ich vollziehe ihre Befehle, indem ich Euch zwölf Flaschen von meinem Anjou-Wein schicke, dem sie großes Lob spenden; sie wünschen, Ihr möget ihren Lieblingswein auf ihre Gesundheit trinken.
«Ich bin, mein Herr, mit der größten Achtung
Euer
ergebenster und gehorsamster Diener Godeau, Gastwirth der Musketiere.«
«Vortrefflich!«rief d'Artagnan,»sie gedenken mein bei ihren Vergnügungen, wie ich ihrer bei meinem Kummer gedachte. Ich werde gewiß auf ihre Gesundheit trinken, und zwar von ganzem Herzen und nicht allein.«
Und d'Artagnan lief zu zwei Garden, mit denen er mehr Freundschaft geschlossen hatte, als mit den andern, und lud sie ein, den köstlichen Wein mit ihm zu trinken, der von Villeroy angekommen war. Der Eine von ihnen war für denselben Abend, der Andere für den folgenden eingeladen; so wurde also die Zusammenkunft auf den zweiten Tag festgesetzt.
D'Artagnan schickte seine zwölf Flaschen Wein in die Trinkstube der Garden, mit dem Befehle, sie sorgfältig aufzubewahren. Als der Tag des Festes erschien, mußte Planchet schon um neun Uhr sich an Ort und Stelle begeben, um die nothwendigen Vorbereitungen zu treffen, während die Stunde zum Mittagsmahle auf ein Uhr festgesetzt war.
Stolz, zur Würde eines Haushofmeisters erhoben worden zu sein, war Planchet darauf bedacht, sich seiner Aufgabe als ein gescheidter Kerl zu entledigen. Er nahm zu diesem Ende noch einen Bedienten von einem der Gäste seines Herrn, Namens Fourreau, zu sich, nebst Baisemout, dem falschen Soldaten, der unsern Helden hatte tödten wollen und, da er zu keinem Korps gehörte, in den Dienst d'Artagnans oder vielmehr Planchets getreten war, seitdem ihm d'Artagnan das Leben geschenkt hatte.
Zur bestimmten Stunde erschienen die zwei Gäste, nahmen Platz und die Gerichte wurden aufgetragen; Planchet wartete mit der Serviette unter dem Arm auf, Fourreau öffnete die Flaschen, und Baisemout, der Rekonvalescent, goß den Wein, der durch das Schütteln einen Satz bekommen zu haben schien, in gläserne Karaffen über. Die erste Flasche von diesem Wein war etwas trüb, Baisemont goß den Satz in ein Glas und d'Artagnan erlaubte ihm, dasselbe zu trinken, denn der arme Teufel hatte noch nicht viel Kraft.
Die Gäste hatten die Suppe gegessen und waren gerade im Begriff, das erste Glas an die Lippen zu setzen, als plötzlich die Kanone im Fort Louis und im Fort Neuf ertönte. Die Garden glaubten, es handle sich um einen unvorhergesehenen Angriff von Seiten der Engländer und von Seiten der Belagerten, und liefen nach ihren Degen; d'Artagnan machte es ebenso und alle drei eilten an ihre Posten.
Aber kaum waren sie außerhalb der Trinkstube, als sie sich durch ein gewaltiges Getöse gefesselt sahen. Von allen Seiten ertönte der Ruf:»Es lebe der König! Es lebe der Herr Kardinal!«und die Trommler schlugen in allen Richtungen.
Der König hatte wirklich in seiner Ungeduld zwei Etapen verdoppelt und traf in diesem Augenblick mit all seinen Haustruppen und einer Verstärkung von zehntausend Mann ein. Vor und hinter ihm zogen die Musketiere. D'Artagnan hatte mit seiner Kompagnie Spalier zu machen, und begrüßte mit einer ausdrucksvollen Geberde seine Freunde und Herrn von Treville. Sobald die Empfangsceremonie vorüber war, versammelten sich die vier Freunde.
«Bei Gott!«rief d'Artagnan,»Ihr hättet nicht besser ankommen können; das Fleisch hat gewiß noch nicht Zeit gehabt, kalt zu werden. Nicht wahr, meine Herren, «fügte der junge Mann gegen die zwei Garden bei, die er seinen Freunden vorstellte. — »Ah! ah! es scheint, wir bankettiren, «sprach Porthos. — »Hoffentlich ist doch keine Frauensperson bei dem Mahle?«sagte Aramis. — »Gibt es trinkbaren Wein in Eurer Schenke?«fragte Athos. — »Ei! bei Gott den Eurigen, lieber Freund, «antwortete d'Artagnan. — »Unseren Wein?«rief Athos. — »Ja den Wein, welchen Ihr mir geschickt habt.«—»Wir haben Euch Wein geschickt?«—»Ihr wißt doch von dem köstlichen Wein von den Rebhügeln von Anjou?…«—»Ja, ich weiß wohl, von welchem Weine Ihr sprecht.«—»Von dem Wein, welchem Ihr den Vorzug gebt.«—»Allerdings, wenn ich weder Champagner noch Chambertin habe.«—»Nun! in Ermanglung des Champagners und des Chambertin werdet Ihr Euch mit diesem begnügen.«—»Wir haben also Anjou-Wein kommen lassen, wir Leckermäuler?«sprach Porthos. — »Nein, es ist der Wein, den man mir in Eurem Auftrage geschickt hat.«—»In unserem Auftrag?«riefen die Musketiere. — »Aramis, habt Ihr den Wein geschickt?«fragte Athos. — »Nein, und Ihr Porthos?«—»Nein.«—»Ganz wohl, aber Euer Wirth, Godeau, der Wirth der Musketiere.«—»Meiner Treu, er mag kommen, woher er will, daran ist nichts gelegen, «sagte Porthos,»wir wollen ihn versuchen und wenn er gut ist, trinken.«—»Nein, «entgegnete Athos,»wir wollen den Wein nicht trinken, der aus einer unbekannten Quelle kommt.«—»Ihr habt Recht, Athos, «sprach d'Artagnan.»Niemand von Euch hat den Gastwirth Godeau beauftragt, mir den Wein zu schicken?«—»Nein: und dennoch ist er Euch in unserem Auftrage zugeschickt worden?«—»Hier ist der Brief, «erwiderte d'Artagnan, und übergab seinen Kameraden das Billet. — »Das ist nicht seine Handschrift, «rief Athos;»ich kenne sie, denn ich habe vor dem Abgang die Rechnungen der Brüderschaft geordnet.«—»Ein falscher Brief, «sagte Porthos,»wir hatten keinen Zimmerarrest.«—»D'Artagnan, «sprach Aramis im Tone des Vorwurfs,»wie konntet Ihr glauben, wir hätten Lärm gemacht?…«
D'Artagnan erbleichte, und ein krampfhaftes Zittern schüttelte seine Glieder.
«Du jagst mir Schrecken ein, «sagte Athos, der ihn nur bei bedeutenden Gelegenheiten duzte;»was ist denn vorgefallen?«
«Rasch, laßt uns laufen, meine Freunde!«rief d'Artagnan, dessen Geist ein furchtbarer Verdacht durchzuckte:»sollte es abermals eine Rache von dieser Frau sein?«
Athos erbleichte ebenfalls.
D'Artagnan stürzte nach der Trinkstube; die drei Musketiere und die zwei Garden folgten ihm.
Das Erste was d'Artagnan beim Eintritt in den Speisesaal ins Auge fiel, war Baisemout, der sich in furchtbaren Convulsionen auf dem Boden wälzte.
Bleich wie der Tod suchten ihm Planchet und Fourreau Hülfe zu leisten, aber jeder Beistand war offenbar fruchtlos; alle Züge des Sterbenden waren im Todeskampfe zusammengezogen.
«Ah!«rief er, als er d'Artagnan gewahr wurde;»ah! das ist abscheulich: Ihr gebt Euch das Ansehen, als wolltet Ihr mich begnadigen, und Ihr vergiftet mich.«
«Ich!«rief d'Artagnan,»ich, Unglücklicher! Was sagst Du da?«
«Ich sage, daß Ihr mir diesen Wein gegeben habt; ich sage, daß Ihr mich habt trinken heißen, ich sage, daß Ihr Euch an mir rächen wolltet, ich sage, daß dies abscheulich ist.«
«Glaubt es nicht, Baisemout, «rief d'Artagnan,»glaubt es nicht: ich schwöre Euch…«
«Aber es lebt ein Gott! Gott wird Euch bestrafen! Mein Gott, laß ihn einen Tag leiden, was ich leide.«
«Beim heiligen Evangelium, «sprach d'Artagnan, sich auf den Sterbenden stürzend,»ich schwöre Euch, ich wußte nicht, daß dieser Wein vergiftet war, und wollte so eben selbst davon trinken.«
«Ich glaube Euch nicht, «sagte der Soldat und verschied unter doppelten Qualen.
«Schändlich! schändlich!«murmelte Athos, während Porthos die Flaschen zerbrach und Aramis etwas spät den Befehl gab, einen Beichtiger zu holen.
«Oh! meine Freunde, «sprach d'Artagnan,»Ihr habt mir abermals das Leben gerettet, und zwar nicht allein mir, sondern auch diesen Herren. Meine Herren, «fuhr er, sich an die Garden wendend, fort,»ich bitte, dieses ganze Abenteuer zu verschweigen; hohe Personen könnten in einer Beziehung zu dem, was Ihr gesehen habt, stehen, und das Schlimme von Allem dem würde auf uns zurückfallen.«
«Ach! gnädiger Herr, «stammelte Planchet, mehr todt als lebendig,»ach, gnädiger Herr, da bin ich schön durchgeschlüpft.«
«Wie, Schurke!«rief d'Artagnan,»Du wolltest also meinen Wein trinken?«
«Auf die Gesundheit des Königs, gnädiger Herr; ich wollte eben ein armseliges Gläschen leeren, als Fourreau mir sagte, man rufe mich.«
«Ach!«sprach Fourreau, dem die Zähne vor Schrecken klapperten,»ich wollte ihn entfernen, um allein trinken zu können.«
«Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»Ihr begreift, daß ein solches Mahl nach dem, was vorgefallen ist, nur sehr traurig sein könnte: entschuldigt also gütigst, und wollt mich, ich bitte, an einem anderen Tag mit Eurer Gesellschaft beehren!«Die zwei Garden nahmen die Entschuldigungen d'Artagnan's höflich auf und entfernten sich, da sie wohl begreifen mochten, daß die vier Freunde allein zu sein wünschten.
Als der junge Garde und die drei Musketiere ohne Zeugen waren, schauten sie sich mit einer Miene an, aus der hervorging, daß sie die ernste Bedeutung ihrer Lage begriffen.
«Vor Allem, «sprach Athos,»wollen wir dieses Zimmer verlassen; ein Todter ist eine schlechte Gesellschaft.«
«Planchet, «sagte d'Artagnan,»ich empfehle Dir, über den Leichnam des armen Teufels zu wachen; er soll in geweihter Erde begraben werden. Allerdings hat er ein Verbrechen begangen, aber er bereute es.«
Die vier Freunde entfernten sich aus dem Zimmer und überließen Planchet und Fourreau die Sorge, Baisemout die letzte Ehre zu erweisen.
Der Wirth gab ihnen eine andere Stube, in die man ihnen weich gesottene Eier und Wasser brachte, das Athos selbst aus dem Brunnen schöpfte. Mit ein paar Worten wurden Porthos und Aramis über die Lage der Dinge in Klare gesetzt.
«Nun! wohl, «sagte d'Artagnan zu Athos,»Ihr seht, es ist ein Krieg auf Leben und Tod.«
Athos schüttelte den Kopf und erwiderte:
«Ja, ja, ich sehe es wohl, aber glaubt Ihr, sie sei es?«
«Ich bin es fest überzeugt.«
«Doch, ich muß Euch gestehen, daß ich noch daran zweifle.«
«Aber die Lilie auf der Schulter…«
«Es ist eine Engländerin, welche irgend ein Verbrechen in Frankreich begangen haben wird, wofür man sie gebrandmarkt hat.«
«Athos, es ist Eure Frau, sage ich Euch, «antwortete d'Artagnan;»erinnert Ihr Euch nicht, wie sehr sich die zwei Signalements gleichen?«
«Ich glaubte, die andere müßte todt sein, ich hatte sie so gut gehenkt!«
Nun war die Reihe an d'Artagnan, den Kopf zu schütteln.
«Aber was läßt sich am Ende machen?«sprach der junge Mann.
«Offenbar kann man nicht ewig mit einem Schwert über dem Haupte bleiben, «sagte Athos,»und man muß aus dieser Lage herauskommen.«
«Aber wie?«
«Hört: versucht es irgendwo mit ihr zusammen zu kommen und zu einer Erklärung mit ihr zu gelangen. Sagt ihr:»»Krieg oder Friede. Ich gebe Euch mein Ehrenwort als Edelmann, nie etwas von Euch zu sagen, nie etwas gegen Euch zu thun. Von Eurer Seite fordere ich einen feierlichen Eid, neutral in Beziehung auf meine Person zu sein; wollt Ihr dies nicht, so suche ich den Kanzler, den König, den Henker auf: ich bringe den ganzen Hof gegen Euch in Aufruhr, ich gebe Euch als Gebrandmarkte an: ich stelle Euch vor Gericht und wenn man Euch freispricht, nun wohl! dann tödte ich Euch, so wahr ich ein Edelmann bin, an dem nächsten besten Eckstein, wie ich einen wüthenden Hund umbringen würde.««
«Dieses Mittel gefällt mir, «erwiderte d'Artagnan,»aber wie mit ihr zusammenkommen?«
«Die Zelt, mein theurer Freund, die Zeit führt die Gelegenheit herbei; die Gelegenheit ist die Martingale; je höher man spielt, desto mehr gewinnt man, wenn man zu warten weiß.«
«Ja; aber umgeben von Mördern und Giftmischern zu warten…«
«Bah!«rief Athos,»Gott hat uns bis daher bewahrt, Gott wird uns auch fernerhin bewahren.«
«Allerdings uns. Doch wir sind im Ganzen genommen Männer, und es liegt in unserem Stande, unser Leben zu wagen; aber sie…«fügte er mit halber Stimme bei.
«Wer, sie?«fragte Athos.
«Constance.«
«Madame Bonacieux? Ah! das ist richtig, «sprach Athos.»Armer Freund! Ich vergaß, daß Ihr verliebt seid.«
«Ei, wohl!«sagte Aramis;»aber habt Ihr nicht aus dem Briefe, der sich bei dem Schurken fand, welcher Euch ermorden wollte, ersehen, daß sie in einem Kloster ist? Man befindet sich ganz wohl in einem Kloster, und sobald die Belagerung vorüber ist, erkläre ich Euch meines Theils…«
«Gut, gut, «rief Athos.»Ja, mein lieber Aramis, wir wissen, daß Eure Wünsche auf die Religion abzielen.«
«Ich bin nur einstweilen Musketier, «sagte Aramis demüthig.
«Er scheint lange Zeit keine Briefe mehr von seiner Geliebten empfangen zu haben, «sagte Athos leise;»aber merke nicht darauf, wir kennen das.«
«Mir scheint, es gibt ein ganz einfaches Mittel, «rief Porthos.»Welches?«fragte d'Artagnan.
«Sie ist in einem Kloster, sagt Ihr?«
«Ja.«
«Nun, sobald die Belagerung vorüber ist, entführen wir sie aus diesem Kloster.«
«Aber man muß auch wissen, in welchem Kloster sie sich befindet.«
«Das ist richtig, «versetzte Porthos.
«Doch, wenn ich bedenke, «sprach Athos,»behauptet Ihr nicht, mein liebes d'Artagnan, die Königin habe das Kloster für sie ausgewählt.«
«Ja, ich glaube es wenigstens.«
«Gut! da kann uns Porthos helfen.«
«Wie dies, wenn ich bitten darf?«
«Durch Eure Marquise, durch Eure Herzogin, Eure Prinzessin; sie muß einen langen Arm haben.«
«Stille!«erwiderte Porthos und legte einen Finger auf seine Lippen;»ich halte sie für eine Kardinalistin und sie darf nichts davon wissen.«
«Dann übernehme ich es, Kunde von ihr zu erhalten, «sagte Aramis.
«Ihr! Aramis?«riefen die drei Freunde;»Ihr, und wie dies!«
«Durch den Almosenier der Königin, mit dem ich befreundet bin, «antwortete Aramis erröthend.
Die vier Freunde hatten ihr bescheidenes Mahl zu sich genommen und trennten sich auf diese Versicherung, mit dem Versprechen, sich am Abend wieder zu sehen. D'Artagnan kehrte nach Hause zurück, und die Musketiere begaben sich nach dem Quartiere des Königs, wo sie sich ihre Wohnungen einrichten zu lassen hatten.
XV. Die Wirtschaft zum Rothen Taubenschlag
Kaum in dem Lager angelangt, wollte der König, welcher so große Eile hatte, dem Feinde gegenüber zu stehen, und den Haß des Kardinals gegen Buckingham theilte, alle Vorkehrungen treffen, einmal um die Engländer von der Insel Ré zu verjagen, und dann um die Belagerung von La Rochelle kräftiger zu betreiben; aber er wurde gegen seinen Willen durch die feindselige Art aufgehalten, womit die Herren Bassompierre und Schomberg dem Herzog von Angoulême entgegentraten.
Herr von Bassompierre und Schomberg waren Marschälle von Frankreich und forderten ihr Recht, das Heer unter dem Befehle des Königs zu kommandiren; aber Richelieu, welcher befürchtete, Bassompierre, der im Innern seines Herzens ein Hugenotte war, möchte die Engländer und die Rocheller, seine Religionsbrüder, nur wenig bedrängen, suchte im Gegentheil den Herzog von Angoulême zu begünstigen, den der König auf seinen Antrieb zum General-Lieutenant ernannt hatte. Wenn also die Herren Bassompierre und Schomberg nicht die Armee verlassen sollten, so mußte man jedem von ihnen ein besonderes Kommando übergeben. Bassompierre nahm seine Quartiere im Norden der Stadt von Lalen bis Dompierre, der Herzog von Angoulême nahm die seinigen im Osten von Dompierre bis Perigny, und Herr von Schomberg im Süden von Perigny bis Angoulin.
Die Wohnung Monsieurs war in Dompierre, die des Königs bald in Estré, bald in la Jarri.
Die Wohnung des Kardinals war auf den Dünen bei dem Pont de la Pierre in einem einfachen Hause ohne alle Verschanzung.
Monsieur überwachte auf diese Weise Bassompierre, der König den Herzog von Angoulême und der Kardinal Herrn von Schomberg.
Sobald diese Anordnung getroffen war, beschäftigte man sich damit, die Engländer von der Insel zu vertreiben.
Die Umstände waren dazu günstig. Die Engländer, welche vor Allem guter Lebensmittel bedürfen, um gute Soldaten zu sein, hatten viele Kranke in ihrem Lager, da sie nur gesalzenes Fleisch und schlechten Zwieback zu essen bekamen. Das Meer war um diese Jahreszeit an allen östlichen Küsten sehr gefährlich, und das Gestade war von der Spitze des Aiguillon bis zu den Laufgräben buchstäblich bei jeder Fluth mit zertrümmerten Pinassen, Robergen und Felucken bedeckt; daher kam es, daß sich die Leute des Königs in ihrem Lager hielten, und Buckingham. der aus Halsstarrigkeit noch auf der Insel Ré verweilte, mußte eines Tages genöthigt werden, die Belagerung aufzugeben.
Aber da Herr von Toiras melden ließ, im feindlichen Lager bereite sich Alles zu einem neuen Sturme vor, so meinte der König, man müsse der ganzen Sache ein Ende machen, und gab die nöthigen Befehle zu einem entscheidenden Kampf.
Es war nicht unsere Absicht, ein Tagebuch der Belagerung zu schreiben, sondern wir wollten im Gegentheil nur die Ereignisse berichten, welche mit der Geschichte, die wir erzählen, in besonderem Zusammenhang stehen, und wir begnügen uns also, mit zwei Worten zu bemerken, daß das Unternehmen zur großen Zufriedenheit des Königs und zum großen Ruhme des Kardinals glückte. Fuß für Fuß zurückgetrieben, bei jedem Zusammentreffen geschlagen, mußten sich die Engländer mit Zurücklassung von zweitausend Todten auf der Wahlstätte wieder einschiffen; unter diesen Todten waren fünf Obersten, drei Oberst-Lieutenants, zweihundert und fünfzig Kapitäne und zwanzig Edelleute von hohem Rang; ferner verloren die Engländer viele Feldstücke und sechzig Fahnen; die letzteren wurden von Claude von Saint-Simon nach Paris gebracht und mit großem Gepränge in den Gewölben von Notre-Dame aufgehängt.
Im Lager ertönten Te Deum, die sich von da durch ganz Frankreich verbreiteten.
Dem Kardinal blieb es also überlassen, die Belagerung fortzusetzen, ohne daß er, wenigstens für den Augenblick, von den Engländern etwas zu befürchten hatte.
Aber die Ruhe war, wie gesagt, nur eine augenblickliche. Es war ein Abgesandter des Herzogs von Buckingham, Namens Montaigu, aufgefangen worden, und man hatte den Beweis eines Bündnisses zwischen dem Reiche, Spanien, England und Lothringen erlangt.
Dieses Bündniß war gegen Frankreich gerichtet.
Außerdem hatte man in der Wohnung des Herzogs von Buckingham, die er in großer Eile verlassen gemußt, Papiere gefunden, welche dieses Bündniß bestätigten, wie der Herr Kardinal in seinen Memoiren versichert, und Frau von Chevreuse, und folglich auch die Königin bedeutend kompromittirten.
Auf Richelieu lastete die ganze Verantwortlichkeit, denn man ist nicht unumschränkter Minister, ohne verantwortlich zu sein. Auch waren alle Quellen und Mittel seines umfassenden Genies Tag und Nacht in Anspruch genommen, um das geringste Geräusch zu vernehmen, das sich in einem der großen Reiche Europas erhob.
Der Kardinal kannte die Thätigkeit und besonders den Haß Buckinghams; triumphirte das Bündniß, von dem Frankreich bedroht wurde, so war sein ganzer Einfluß verloren. Die spanische und die österreichische Politik hatte ihre Repräsentanten im Louvre. Er, Richelieu, der französische, der vorzugsweise nationale Minister, war verloren. Der König, der ihm wie ein Kind gehorchte, haßte ihn, wie ein Kind seinen Lehrmeister haßt, und überließ ihn der vereinigten Rache Monsieurs und der Königin. Er war verloren und Frankreich vielleicht auch; dem Allem mußte man zuvorkommen.
Jeden Augenblick waren die Eilboten zahlreicher, und man sah sie einander Tag und Nacht in dem kleinen Hause am Pont de la Pierre folgen, wo der Kardinal seine Residenz aufgeschlagen hatte.
Es waren Mönche, welche die Kutte so schlecht trugen, daß man leicht erkennen konnte, sie gehören hauptsächlich der streitenden Kirche an; Frauen, die in ihren Pagen-Kleidern etwas beengt waren, und deren weite Hosen die gerundeten Formen nicht völlig verbergen konnten: Bauern endlich mit geschwärzten Händen, aber zarten Beinen, in denen man den Mann von Stand auf eine Meile in der Runde erkannte.
Dann kamen noch andere minder angenehme Besuche, denn wiederholt verbreitete sich das Gerücht, der Kardinal wäre beinahe ermordet worden.
Allerdings behaupteten die Feinde Seiner Eminenz, sie selbst habe ungeschickte Mörder in das Feld geschickt, um vorkommenden Falls das Recht zu Repressalien zu haben, aber man muß weder das, was die Minister, noch das, was ihre Feinde sagen, glauben.
Dies hielt jedoch den Kardinal, dem seine erbittertsten Verläumder den Muth nicht abgesprochen haben, nicht ab, viele nächtliche Ritte zu machen, bald um dem Herzog von Angoulême wichtige Befehle zu eröffnen, bald um sich mit dem König, bald um sich mit irgend einem Boten zu besprechen, den man nicht in seinem Hause sehen sollte.
Die Musketiere, welche bei der Belagerung nicht viel zu thun hatten, waren nicht streng gehalten uns führten ein lustiges Leben. Dies war hauptsächlich unsern drei Genossen um so leichter, als sie, mit Herrn von Treville befreundet, von diesem ohne Schwierigkeit die Erlaubniß erhielten, länger auszubleiben und auch nach Schließung des Lagers außen zu verweilen.
Eines Abends, als d'Artagnan, der den Dienst in den Laufgräben hatte, sie nicht begleiten konnte, kamen Athos, Porthos und Aramis auf ihren Schlachtrossen, in ihre Kriegsmäntel gehüllt, eine Hand auf dem Kolben ihrer Pistole, aus einer Schenke, zum Rothen Taubenschlag genannt, zurück, welche zwei Tage vorher von Athos auf der Straße nach Jarri entdeckt worden war. Sie verfolgten den Weg, der nach dem Lager führte, und waren dabei aus Furcht vor einem Hinterhalt wohl auf ihrer Hut, als sie ungefähr eine Viertelstunde von dem Dorfe Boisneau das Geräusch von Pferden zu hören glaubten, welche auf sie zukamen. Sogleich hielten alle Drei stille und schlossen sich, die Mitte der Straße behauptend, eng an einander an. Nach einem Augenblick, als der Mond eben unter einer Wolke hervortrat, sahen sie wirklich an der Biegung der Straße zwei Reiter, welche, sobald sie unsere Freunde erblickten, ebenfalls stillehielten und mit sich zu Rathe zu gehen schienen, ob sie ihren Weg fortsetzen oder umkehren sollten. Dieses Zögern erregte Verdacht bei den Musketieren; Athos rückte einige Schritte vor und rief mit fester Stimme:
«Wer da?«
«Wer da, Ihr selbst?«erwiderte einer von den Reitern.
«Das ist keine Antwort!«sprach Athos.»Wer da? oder wir feuern.«
«Besinnt Euch wohl, ehe Ihr dies thut, meine Herren, «entgegnete eine vibrirende Stimme, welche zu befehlen gewohnt zu sein schien.
«Das ist ein Oberoffizier, der diese Nacht seine Runde macht, «sprach Athos, sich gegen seine Freunde umwendend.»Was wollen wir thun, meine Herren?«
«Wer seid Ihr?«rief dieselbe Stimme mit demselben befehlenden Tone;»antwortet oder Ihr dürftet Euch schlecht bei Eurem Ungehorsam befinden.«
«Musketiere des Königs!«erwiderte Athos, immer mehr überzeugt, daß der, welcher sie fragte, auch das Recht hiezu hatte.
«Welche Kompagnie?«
«Kompagnie von Treville.«
«Rückt vor und gebt mir Rechenschaft, was Ihr zu dieser Stunde hier zu machen habt.«
Die drei Musketiere rückten etwas verblüfft vor, denn alle drei waren überzeugt, daß sie es mit einem Mächtigern zu thun hatten. Man überließ indessen Athos die Sorge, das Wort zu führen.
Einer von den zwei Reitern war ungefähr zehn Schritte von seinem Gefährten entfernt; Athos gab Porthos und Aramis ein Zeichen, ebenfalls zurückzubleiben, und ritt allein vorwärts.
«Um Vergebung, mein Offizier, «sprach Athos,»aber wir wußten nicht, mit wem wir es zu thun hatten, und Ihr könnt sehen, wir halten gute Wache.
«Euer Name?«fragte der Offizier, der einen Theil seines Gesichtes mit dem Mantel verhüllte.
«Ihr selbst, mein Herr, «sagte Athos, den dieses Verhör zu empören anfing,»gebt mir, ich bitte Euch, den Beweis, daß Ihr das Recht habt, mich so zu fragen?«
«Euer Name?«wiederholte der Reiter, und ließ den Mantel so fallen, daß sein Gesicht entblößt war.
«Der Herr Kardinal!«rief der Musketier erstaunt.
«Euer Name?«fragte Seine Eminenz zum dritten Male.
«Athos, «antwortete der Musketier.
Der Kardinal gab dem Stallmeister ein Zeichen und dieser näherte sich.
«Die drei Musketiere werden uns folgen, «sprach er mit leiser Stimme;»man soll nicht erfahren, daß ich das Lager verlassen habe, und wenn sie uns folgen, sind wir sicher, daß sie Niemand etwas davon sagen.«
«Wir sind Edelleute, Monseigneur, «sprach Athos;»verlangt unser Ehrenwort und seid unbesorgt. Wir wissen, Gott sei Dank! ein Geheimniß zu bewahren.«
Richelieu heftete seine durchdringenden Augen auf den kühnen Redner.
«Ihr habt ein feines Ohr, Herr Athos, «sprach der Kardinal.»Aber nun hört: ich bitte Euch, nicht aus Mißtrauen, sondern meiner Sicherheit wegen, mir zu folgen. Ohne Zweifel sind Eure zwei Gefährten die Herren Porthos und Aramis.«
«Ja, Ew. Eminenz, «antwortete Athos, während die zwei zurückgebliebenen Musketiere, den Hut in der Hand, sich näherten.
«Ich kenne Euch, meine Herren, «sagte der Kardinal,»ich kenne Euch. Ich weiß, daß ich Euch nicht ganz zu meinen Freunden zu zählen habe, und das thut mir leid. Ich weiß aber auch, daß Ihr brave, wackere Edelleute seid, und daß man sich Euch anvertrauen kann. Herr Athos, erweist mir die Ehre, mich nebst Euren zwei Freunden zu begleiten, und ich werde dann eine Eskorte haben, um welche mich Seine Majestät beneiden müßte, wenn wir ihr begegnen würden.«
Die drei Musketiere verbeugten sich bis auf den Hals ihrer Pferde.
«Ei, bei meiner Ehre!«rief Athos,»Ew. Eminenz hat Recht, uns mitzunehmen. Wir stießen unterwegs auf abscheuliche Gesichter, und hatten sogar mit vier von diesen Gesichtern einen Zank im Rothen Taubenschlag.«
«Einen Zank! und warum, meine Herren, «sagte der Kardinal.»Ich liebe die Zänkereien nicht, wie Ihr wißt.«
«Gerade deßhalb habe ich die Ehre, Ew. Eminenz von dem Vorfall in Kenntniß zu setzen; denn sie könnte es von Andern erfahren und uns auf einen falschen Bericht hin schuldig glauben.«
«Und was war das Resultat dieses Streites?«fragte der Kardinal die Stirne faltend.
«Mein Freund Aramis, den Ihr hier seht, hat einen kleinen Degenstich in den Arm bekommen, was ihn jedoch nicht abhalten wird, wie Ihr wohl bemerken möget, morgen den Sturm mitzumachen, wenn Euer Eminenz dazu Befehl geben sollte.«
«Aber Ihr seid nicht die Menschen, die sich auf diese Art Degenstiche geben lassen?«sagte der Kardinal.»Sprecht offen, meine Herren, Ihr habt sicherlich einige zurückgegeben! Beichtet, Ihr wißt, ich habe das Recht, Absolution zu ertheilen.«
«Ich, gnädiger Herr, «sagte Athos,»ich habe nicht einmal den Degen gezogen, aber ich nahm denjenigen, mit welchem ich zu schaffen hatte, um den Leib und warf ihn zum Fenster hinaus. Es scheint, «fuhr Athos mit einigem Zögern fort,»daß er beim Fallen den Schenkel gebrochen hat.«
«Ah! ah!«rief der Kardinal,»und Ihr, Herr Porthos?«
«Ich, Monseigneur, ergriff, da ich wußte, daß das Duell verboten ist, eine Bank und versetzte einem von diesen Schurken einen Streich, der ihm, glaube ich, die Schulter zerschmettert hat.«
«Gut, «sagte der Kardinal,»und Ihr, Herr Aramis?«
«Ich, Monseigneur, da ich ein sehr sanftes Gemüth habe und überdies, was Monseigneur vielleicht nicht weiß, in den geistlichen Stand einzutreten im Begriffe bin, wollte meine Kameraden trennen, als einer von diesen Elenden mir verrätherischer Weise einen Degenstich durch den linken Arm beibrachte. Da ging mir die Geduld aus und ich zog meinen Degen ebenfalls, und als er wieder angriff, glaube ich bemerkt zu haben, daß er sich, indem er sich auf mich warf, meine Klinge durch den Leib rannte. Ich weiß nur, daß er fiel, und es schien mir, als ob man ihn mit seinen zwei Genossen fortgetragen hätte.«
«Teufel, meine Herren!«sprach der Kardinal,»drei Menschen wegen einer Wirthshauszänkerei wehrlos zu machen! Ihr scheint mir keine faule Hände zu haben! Und worüber entspann sich der Streit?«
«Die Elenden waren berauscht und wollten, da sie wußten, daß diesen Abend eine Frau in der Schenke angekommen war, die Thüre sprengen.«
«Diese Frau war wohl jung und hübsch?«fragte der Kardinal mit einiger Unruhe.
«Wir haben sie nicht gesehen, Monseigneur, «sagte Athos.
«Ihr habt sie nicht gesehen? Ah! sehr gut!«versetzte der Kardinal lebhaft.»Ihr habt wohl daran gethan, die Ehre einer Frau zu vertheidigen, und da ich gerade selbst zur Herberge zum Rothen Taubenschlag gehe, so werde ich erfahren, ob Ihr die Wahrheit gesprochen habt.«
«Monseigneur, «sagte Athos stolz,»wir sind Edelleute und würden uns keine Lüge erlauben, und wenn wir damit unser Leben retten könnten.«
«Auch zweifle ich nicht einen Augenblick an dem, was Ihr mir sagt, Herr Athos, ich zweifle nicht im Mindesten daran. Doch, «fügte er bei, um dem Gespräch eine andere Wendung zu geben,»doch diese Dame war wohl allein?«
«Sie hatte einen Kavalier bei sich eingeschlossen, «sagte Athos.»Da sich dieser Kavalier jedoch, trotz des Lärmens, nicht zeigte, so läßt sich annehmen, daß er ein Feigling ist.«
«Richtet nicht vorlaut, sagt das Evangelium, «entgegnete der Kardinal.
Aramis verbeugte sich.
«Und nun, meine Herren, ist es gut, «fuhr Seine Eminenz fort;»ich weiß, was ich wissen wollte, folgt mir.«
Die drei Musketiere ritten hinter dem Kardinal, der wieder das Gesicht in seinen Mantel hüllte, sein Pferd in Marsch setzte und sich acht bis zehn Schritte vor seinen vier Gefährten hielt.
Man gelangte bald zu der einsamen, stillen Herberge. Ohne Zweifel wußte der Wirth, welcher erhabene Besuch erscheinen würde, und hatte deßhalb die Lästigen weggeschickt.
Zehn Schritte von der Thüre entfernt gab der Kardinal seinem Stallmeister und den Musketieren ein Zeichen, Halt zu machen. Ein völlig gesatteltes Pferd war an den Laden angebunden. Der Kardinal klopfte dreimal und auf eine besondere Weise. Ein in einen Mantel gehüllter Mann trat heraus und wechselte rasch einige Worte mit dem Kardinal, wonach er zu Pferde stieg und sich in der Richtung von Surgère, was auch zugleich die Richtung von Paris war, entfernte.
«Vorwärts, meine Herren, «sprach der Kardinal.
«Ihr habt mir die Wahrheit gesagt, meine edlen Herrn, «fügte er, sich an die Musketiere wendend, bei,»und es ist nicht meine Schuld, wenn unser Zusammentreffen an diesem Abend nicht vortheilhaft für Euch ausfällt. Mittlerweile folgt mir.«
Der Kardinal stieg ab, die Musketiere thaten dasselbe. Der Kardinal warf den Zügel seines Pferdes seinem Stallmeister zu, die drei Musketiere banden die ihrigen an die Läden.
Der Wirth blieb auf der Schwelle seiner Thüre. Für ihn war der Kardinal nur ein Offizier, der eine Dame besuchte.
«Habt Ihr ein Zimmer im Erdgeschoß, wo diese Herren mich bei einem guten Feuer erwarten können?«sagte der Kardinal.
Der Wirth öffnete die Thüre einer großen Stube, in welcher man eben im Begriffe war, einen schlechten Ofen durch ein großes vortreffliches Kamin zu ersetzen.
«Ich habe diese hier, «sagte er.
«Das ist gut, «versetzte der Kardinal.»Tretet ein, meine Herren, und erwartet mich gefälligst. Ich werde höchstens eine halbe Stunde ausbleiben.«
Und während die drei Musketiere in die Stube im Erdgeschoß eintraten, stieg der Kardinal, ohne weitere Auskunft zu verlangen, die Treppe hinauf, wie ein Mensch, der sich den Weg nicht zeigen zu lassen braucht.
XVI. Von dem Nutzen der Ofenröhren
Offenbar hatten unsere drei Freunde, ohne es zu vermuthen und einzig und allein durch ihren ritterlichen, abenteuerlichen Charakter bewogen, Jemand, den der Kardinal mit seinem besonderen Schutze beehrte, einen Dienst erwiesen.
Wer war nun dieser Jemand? Das war eine Frage, welche die drei Musketiere auch an sich richteten. Da sie aber sahen, daß keine von den Antworten, welche ihr Verstand zu geben vermochte, genügend war, so rief Porthos den Wirth und forderte Würfel.
Porthos und Aramis setzten sich an einen Tisch und fingen an zu spielen; Athos ging nachdenklich auf und ab.
Bei dieser Gelegenheit kam er wiederholt an einer Ofenröhre vorüber, deren eine Hälfte abgebrochen war, während das andere Ende in ein oberes Zimmer ging und so oft er vorüber kam, hörte er ein Gemurmel von Worten, das am Ende seine Aufmerksamkeit fesselte. Athos näherte sich und unterschied einige Worte, die ihm ohne Zweifel eine so große Theilnahme zu verdienen schienen, daß er seinen zwei Gefährten ein Zeichen gab, sie möchten schweigen, während er sein Ohr an die Mündung der Röhre legte.
«Hört, Mylady, «sprach der Kardinal,»die Sache ist äußerst wichtig, setzt Euch, wir wollen uns besprechen.«
«Mylady?«murmelte Athos.
«Ich höre Euere Eminenz mit der größten Aufmerksamkeit, «antwortete eine Frauenstimme, welche den Musketier beben machte.
«Ein kleines Schiff mit englischer Bemannung, dessen Kapitän mir ergeben ist, erwartet Euch an der Mündung der Charente, bei dem Fort de la Pointe. Es wird morgen unter Segel gehen.«
«Ich muß mich also noch in dieser Nacht dahin begeben?«
«In diesem Augenblick, das heißt, sobald Ihr meine Instruktionen erhalten habt. Zwei Männer, die Ihr bei Eurem Abgang vor der Thüre findet, werden Euch als Geleite dienen. Ihr laßt mich aber zuerst gehen, und entfernt Euch eine halbe Stunde nach mir.«
«Gut, Monseigneur. Nun aber wollen wir auf die Sendung zurückkommen, mit der Ihr mich beauftragen werdet, und da mir Alles daran gelegen ist, fortwährend das Vertrauen Eurer Eminenz zu verdienen, so setzt mir gnädigst in klaren und scharfen Worten die Sache auseinander, damit ich keinen Irrthum begehe.«
Es herrschte einen Augenblick tiefes Stillschweigen unter den Sprechenden, offenbar wog der Kardinal vorher die Ausdrücke ab, deren er sich bedienen wollte, und Mylady faßte alle ihre geistigen Fähigkeiten zusammen, um die Dinge, die er ihr sagen würde, vollständig zu begreifen und, wenn sie gesagt wären, ihrem Gedächtnisse einzuprägen.
Athos benützte diesen Augenblick, um seine Freunde aufzufordern, die Thüre von Innen zu schließen und dann zu ihm heranzutreten, um mit ihm zu hören.
Die zwei Musketiere, welche die Bequemlichkeit liebten, brachten einen Stuhl für jeden von ihnen und einen weiteren für Athos herbei. Alle drei setzten sich, hielten die Köpfe neben einander und horchten mit gespannten Ohren.
«Ihr begebt Euch nach London, «fuhr der Kardinal nun fort.»Dort sucht Ihr sogleich Buckingham auf.«
«Ich erlaube mir, Eurer Eminenz zu bemerken, «sagte Mylady,»daß seit der Geschichte mit den diamantenen Nestelstiften, wegen deren mich der Herzog stets im Verdacht gehabt hat, Seine Herrlichkeit mir mißtraut.«
«Es handelt sich auch diesmal, «entgegnete der Kardinal,»nicht darum, sein Vertrauen zu gewinnen, sondern sich ihm aus eine offene und loyale Weise als Unterhändlerin zu nähern.«
«Aus eine offene und loyale Weise?«wiederholte Mylady mit einer unbeschreiblich doppelsinnigen Betonung.
«Ja, offen und loyal, «versetzte der Kardinal in demselben Ton,»diese ganze Angelegenheit muß offen behandelt werden.«
«Ich werde die Instruktionen Seiner Eminenz buchstäblich befolgen und sehe denselben entgegen.«
«Ihr sucht Buckingham in meinem Namen auf und sagt ihm, ich wisse von allen Vorbereitungen, die er treffe, aber ich kümmere mich nicht im Geringsten darum, indem ich bei der ersten Bewegung, die er wagen würde, die Königin ins Verderben stürze.«
«Wird er glauben, daß Eure Eminenz im Stande ist, diese Drohung zu erfüllen?«
«Ja, denn ich habe Beweise.«
«Ich muß diese Beweise seiner Prüfung vorlegen können.«
«Allerdings, und Ihr sagt ihm: erstens, daß ich den Bericht von Bois-Robert und vom Marquis von Beautru über die Zusammenkunft bekannt mache, die der Herzog mit der Königin bei der Frau Connetable an demselben Abend gehabt hat, wo die letztere ein Maskenfest gab. Ihr sagt ihm, damit ihm kein Zweifel übrig bleibt, daß er daselbst im Costüm des Großmoguls erschienen ist, das der Chevalier von Guise tragen sollte, dem er es um dreitausend Pistolen abgekauft hat.«
«Gut, Monseigneur.«
«Alle Einzelnheiten über seinen Ein- und Austritt im Louvre in der Nacht, wo er sich unter dem Costüm eines italienischen Wahrsagers eingeschlichen hat, sind mir bekannt; Ihr sagt ihm, damit er nicht an der Aechtheit meiner Nachrichten zweifelt, er habe unter seinem Mantel ein weites, mit schwarzen Thränen, Todtenköpfen und Knochen in Form von Andreaskreuzen besätes Gewand getragen; denn im Fall der Ueberraschung sollte er für das Gespenst der weißen Dame gehalten werden, welche, wie Jedermann weiß, im Louvre erscheint, so oft ein großes Ereigniß um den Weg ist.«
«Ist das Alles, Monseigneur?«
«Sagt ihm auch, ich wisse alle Einzelnheiten von seinem Abenteuer in Amiens. Ich werde daraus ein geistreiches Romänchen mit dem Plane des Gartens und den Porträts der Hauptpersonen dieser nächtlichen Scene machen lassen.«
«Ich werde ihm Alles das sagen.«
«Sagt ihm ferner: ich halte Montaigu fest, Montaigu sei in der Bastille. Man habe allerdings keinen Brief bei ihm gefunden, aber die Folter könne ihn dazu bringen. Alles zu gestehen, was er weiß und selbst… das, was er nicht weiß.«
«Vortrefflich!«
«Fügt endlich bei: Seine Herrlichkeit habe bei der Eile, mit der er die Insel Ré verließ, einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse liegen lassen, der die Königin sehr bedeutend compromittire, indem daraus hervorgehe, daß Ihre Majestät nicht nur die Feinde des Königs liebe, sondern auch mit denen Frankreichs conspirire. Ihr habt Alles, was ich Euch gesagt, wohl behalten, nicht wahr?«
«Eure Eminenz mag selbst urtheilen: der Ball der Frau Connetable, die Nacht im Louvre, die Abendunterhaltung von Amiens, die Verhaftung von Montaigu, der Brief der Frau von Chevreuse.«
«So ist es, «sprach der Kardinal,»so ist es. Ihr habt ein sehr glückliches Gedächtniß, Mylady.«
«Aber, «versetzte diejenige, an welche der Kardinal dieses Compliment gerichtet hatte,»wenn sich der Herzog trotz all dieser Gründe nicht ergiebt und Frankreich zu bedrohen fortfährt?«
«Der Herzog ist verliebt, wie ein Narr, oder vielmehr wie ein Dummkopf, «erwiderte Richelieu mit tiefer Bitterkeit.»Wie die alten Paladine, hat er diesen Krieg nur unternommen, um einen Blick von seiner Schönen zu erlangen. Weiß er, daß dieser Krieg die Dame seiner Gedanken, wie er sagt, die Ehre und vielleicht die Freiheit kosten kann, so wird er sich doppelt in Acht nehmen, dafür stehe ich Euch.«
«Aber, «sagte Mylady mit einer Beharrlichkeit, welche bewies, daß sie den Auftrag, den man ihr gab, bis an sein Ende durchschauen wollte,»aber wenn er dennoch fest bleibt?«
«Wenn er fest bleibt«— sagte der Kardinal…»das ist nicht wahrscheinlich.«
«Es ist möglich, «entgegnete Mylady.
«Wenn er fest bleibt…«Seine Eminenz machte eine Pause und sprach sodann:»Wenn er festbleibt, gut! so hoffe ich auf eines jener Ereignisse, welche die Gestalt der Staaten verändern.«
«Wenn Seine Eminenz die Güte haben wollte, mir aus der Geschichte einige solche Ereignisse anzuführen,»sagte Mylady,»so würde ich vielleicht dieses Vertrauen auf die Zukunft theilen.«
«Nun wohl, zum Beispiel, «antwortete Richelieu, als im Jahre 1610 wegen einer Ursache, welche derjenigen ungefähr ähnlich ist, die den Herzog in Bewegung setzt, König Heinrich IV., glorreichen Andenkens, zu gleicher Zeit einen Einfall in Flandern und Italien machte, um Oesterreich von zwei Seiten anzugreifen, — nun, geschah es da nicht, daß ein Ereigniß Oesterreich rettete? Warum sollte der König von Frankreich nicht dasselbe Glück haben, wie der Kaiser?«
«Eure Eminenz beliebt von dem Messerstiche in der Rue de la Feronnerie zu sprechen.«
«Allerdings, «sagte der Kardinal.
«Fürchtet Eure Eminenz nicht, die Hinrichtung Ravaillacs werde diejenigen zurückschrecken, welche einen Augenblick den Gedanken haben dürften, sein Beispiel nachzuahmen?«
«Es gibt zu allen Zeiten und in allen Ländern, besonders wenn die Länder durch die Religion getheilt sind, Fanatiker, deren höchster Wunsch es ist, Märtyrer zu werden. Halt! in diesem Augenblick fällt mir ein, daß die Puritaner gegen den Herzog von Buckingham wüthend sind, und daß ihre Prediger ihn als den Antichrist bezeichnen.«
«Nun?«fragte Mylady.
«Nun!«fuhr der Kardinal mit gleichgültiger Miene fort,»es würde sich für den Augenblick z. B. nur darum handeln, eine hübsche, junge, geschickte Frau zu finden, die sich selbst an dem Herzog zu rächen hätte. Eine solche Frau läßt sich finden. Der Herzog ist ein Mann, der bei den Weibern Glück hat, und säete er auch viel Liebe durch seine Versprechungen ewiger Treue aus, so mußte er dagegen ebenfalls viel Haß durch seine ewige Untreue ausstreuen.«
«Gewiß, «sagte Mylady,»eine solche Fran läßt sich finden.«
«Gut, eine Frau, welche das Messer Jacques Clements oder Ravalliacs einem Fanatiker in die Hände zu drücken wüßte, würde Frankreich retten.«
«Ja aber sie wäre die Mitschuldige einer Mordthat.«
«Hat man je die Mitschuldigen Ravaillacs oder Jacques Clements kennen gelernt?«
«Nein, denn sie waren vielleicht zu hoch gestellt, als daß man es hätte wagen sollen, sie da zu suchen, wo sie sich befanden. Man würde den Justizpalast nicht um Alles in der Welt verbrennen, Monseigneur.«
«Ihr glaubt also, daß der Brand des Justizpalastes einer andern Ursache, als dem Zufall zuzuschreiben ist?«fragte Richelieu in einem Ton, worin er eine ganz bedeutungslose Frage gestellt haben würde.
«Ich, Monseigneur, «antwortete Mylady,»ich glaube nichts. Ich führe eine Thatsache an, weiter Nichts. Ich sage nur, wenn ich Mademoiselle von Montpensier oder Königin Marie von Medicis hieße, würde ich weniger Vorsichtsmaßregeln nehmen, als jetzt, da ich ganz einfach Lady Winter heiße.«
«Das ist richtig, «sprach Richelieu.»Was würdet Ihr also verlangen?«
«Ich würde einen Befehl verlangen, der Alles das zum Voraus bestätigte, was ich zur Wohlfahrt Frankreichs thun zu müssen glauben würde.«
«Aber vor Allem müßte man die Frau finden, wie ich sie bezeichnet habe, und die sich an dem Herzog zu rächen hätte.«
«Sie ist gefunden, «sprach Mylady.
«Dann müßte man den elenden Fanatiker finden, der als Werkzeug für die Gerechtigkeit Gottes dienen würde.«
«Man wird ihn finden.«
«Wohl, «sagte der Herzog,»dann wird es Zeit sein, den Befehl zu fordern, den ihr so eben von mir verlangt habt.«
«Ew. Eminenz hat Recht, «erwiderte Mylady,»und ich habe Unrecht gehabt, in der Sendung, womit sie mich beehrt, etwas Anderes zu sehen, als was sie wirklich ist, das heißt Seiner Herrlichkeit von Seiten Seiner Eminenz zu melden, daß Ihr die verschiedenen Verkleidungen kennt, mit deren Hilfe es Seiner Herrlichkeit gelungen ist, sich der Königin auf dem Ball der Frau Connetable zu nähern; daß Ihr Beweise von der Zusammenkunft besitzet, welche die Königin einem gewissen Astrologen, der Niemand anders war als der Herzog von Buckingham, im Louvre gegeben; daß Ihr einen äußerst geistreichen Roman über das Abenteuer in Amiens sammt dem Plane des Gartens, wo diese Geschichte vorfiel, und den Porträts der handelnden Personen, bestellt habt; daß Montaigu sich in der Bastille befindet, und daß ihn die Folter bewegen kann, Dinge zu sagen, deren er sich erinnert, und sogar Dinge, die er vergessen hat; endlich, daß Ihr einen gewissen Brief von Frau von Chevreuse besitzt, der sich in der Wohnung seiner Herrlichkeit gefunden hat und nicht nur die Schreiberin, sondern auch diejenige, in deren Namen er geschrieben worden ist, bedeutend compromittirt. Bleibt er dessenungeachtet fest, so habe ich, da sich, wie gesagt, mein Auftrag hierauf beschränkt, nur Gott zu bitten, er möge ein Wunder zur Rettung Frankreichs thun. So ist es, nicht wahr, Monseigneur, und ich habe nichts Anderes zu vollbringen?«
«So ist es, «erwiderte der Kardinal trocken.
«Und nun, «sprach Mylady, ohne daß sie die Veränderung im Tone des Kardinals zu bemerken schien,»nun, da ich die Instruktionen Eurer Eminenz in Bezug auf Eure Feinde erhalten habe, so wird mir Monseigneur erlauben, ihm ein paar Worte über die meinigen zu sagen.«—»Ihr habt also Feinde?«fragte Richelieu. — »Ja, Monseigneur, gegen die Ihr mir Eure Unterstützung schuldig seid, denn ich habe sie mir im Dienste Eurer Eminenz zugezogen.«—»Und wer sind sie?«fragte der Kardinal. — »Vor allem eine kleine Intrigantin, Namens Bonacieux.«—»Sie ist im Gefängnisse von Nantes.«—»Das heißt, sie war dort, «entgegnete Mylady;»aber die Königin hat sich von dem König einen Befehl zu verschaffen gewußt, mit dessen Hülfe sie dieselbe in ein Kloster bringen ließ.«—»In ein Kloster?«sagte der Herzog. — »Ja, in ein Kloster.«—»Und in welches?«—»Ich weiß es nicht; daß Geheimniß ist wohl verwahrt.«—»Ich werde es erfahren.«—»Und Eure Eminenz wird mir sagen, in welchem Kloster sich diese Frau befindet?«—»Ich sehe keinen Grund, es Euch zu verweigern, «sprach der Kardinal. — »Gut. Nun habe ich noch einen andern Feind, der mir viel furchtbarer ist, als die kleine Madame Bonacieux.«—»Und wen?«»Ihren Liebhaber.«—»Wie heißt er?«—»Oh! Eure Eminenz kennt ihn wohl, «rief Mylady voll Zorn;»er ist der böse Genius von uns Beiden. Es ist derselbe Kerl, der bei einem Zusammentreffen mit den Leibwachen Ew. Eminenz den Sieg zu Gunsten der Musketiere des Königs entschieden hat; derselbe, der dem Grafen von Wardes, Eurem Emissär, vier Degenstiche versetzte und dadurch die Angelegenheit mit den Nestelstiften scheitern machte; derselbe, der mir, weil er weiß, daß ich ihm Madame Bonacieux entführte, den Tod geschworen hat.«—»Ah! ah!«sagte der Kardinal,»ich weiß, von wem Ihr sprechen wollt.«—»Ich will von dem elenden d'Artagnan sprechen.«—»Das ist ein kecker Geselle, «rief der Kardinal. — »Und gerade, weil er ein kecker Geselle ist, hat man ihn um so mehr zu fürchten.«—»Man müßte einen Beweis von seinem Einverständniß mit Buckingham haben, «sprach der Herzog. — »Einen Beweis!«rief Mylady,»es werden mir zehn zu Gebot stehen.«—»Gut, dann ist es die einfachste Sache der Welt. Liefert mir diesen Beweis und ich schicke ihn in die Bastille.«—»Wohl, Monseigneur, aber hernach?«—»Wenn man in der Bastille ist, gibt es keine Hernach, «entgegnete der Kardinal mit dumpfer Stimme.»Ah! bei Gott!«fuhr er fort,»wenn es mir so leicht wäre, mich meines Feindes zu entledigen, als es mir leicht ist. Euch den Eurigen vom Halse zu schaffen, und wenn Ihr gegen solche Leute Straflosigkeit von mir verlangtet…«—»Monseigneur, «versetzte Mylady,»Zug um Zug, Leben um Leben, Menschen um Menschen: gebt mir diesen, und ich gebe Euch den andern.«—»Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, «erwiderte der Kardinal,»und will es sogar nicht einmal wissen; aber ich hege den Wunsch, Euch angenehm zu sein, und ich sehe nichts Ungeeignetes darin. Euch Euern Wunsch in Betreff eines so untergeordneten Geschöpfes zu gewähren, um so mehr als dieser kleine d'Artagnan, wie Ihr mir sagt, ein lockerer Geselle, ein Raufbruder, ein Verräther ist.«—»Ein Schandbube! Monseigneur! ein Schandbube!«—»Gebt mir Tinte, Feder und Papier, «sagte der Kardinal.
Es trat ein kurzes Stillschweigen ein, woraus hervorging, daß der Kardinal damit beschäftigt war, die Ausdrücke zu suchen, in denen das Billet beschrieben werden sollte, oder es wirklich zu schreiben. Athos, der kein Wort von der Unterredung verloren hatte, nahm seine zwei Gefährten bei der Hand und führte sie ans andere Ende der Stube.
«Nun, «sagte Porthos,»Was willst Du? und warum läßt Du uns nicht den Schluß des Gespräches hören?«
«Stille!«entgegnete Athos, leise redend,»wir haben Alles vernommen, was wir vernehmen mußten; übrigens halte ich Euch nicht ab, den Rest zu hören, aber ich muß gehen.«
«Du mußt gehen?«fragte Porthos.»Aber wenn der Kardinal nach dir verlangt, was sollen wir antworten?«
«Ihr wartet nicht, bis er nach mir verlangt, Ihr sagt ihm, ich sei als Kundschafter vorausgeritten, weil mich gewisse Worte unseres Wirthes auf den Gedanken gebracht hätten, daß der Weg nicht sicher sei. Ueberdies werde ich dem Stallmeister des Kardinals ein paar Worte zuflüstern. Das Weitere geht mich an, kümmre Dich nicht darum.«
«Sei klug, Athos, «sagte Aramis.
«Seid ruhig, «antwortete Athos,»Ihr wißt, daß ich kaltes Blut habe.«
Porthos und Aramis nahmen ihren Platz bei der Ofenröhre wieder ein.
Athos ging hinaus, ohne ein Geheimniß daraus zu machen nahm sein Pferd, das mit denen seiner zwei Freunde an die Läden angebunden war, überzeugte mit vier Worten den Stallmeister von der Nothwendigkeit einer Vorhut bei der Rückkehr, untersuchte, scheinbar mit großer Pünktlichkeit, das Zündkraut auf seiner Pistole, nahm den Degen zwischen die Zähne und ritt wie ein verlorener Posten auf dem Wege voraus, der nach dem Lager führte.
XVII. Eheliche Scene
Richelieu kam, wie es Athos vorhergesehen hatte, alsbald herab. Er öffnete die Thür der Stube, in welche die Musketiere eingetreten waren, und fand Porthos in einem sehr hitzigen Würfelspiel mit Aramis begriffen. Mit einem Blick durchforschte er alle Winkel der Stube und sah, daß einer von seinen Leuten fehlte.
«Was ist aus Herrn Athos geworden?«fragte er.
«Monseigneur, «antwortete Porthos,»er ist als Kundschafter vorausgeritten wegen einiger Worte unseres Wirthes, aus denen er entnehmen mußte, daß der Weg nicht sicher sein dürfte.«
«Und Ihr, was habt Ihr gemacht, Herr Porthos?«
«Ich habe Aramis fünf Pistolen abgenommen.«
«Und nun könnt Ihr mit mir zurückkehren?«
«Wir stehen Eurer Eminenz zu Befehl.«
«Zu Pferde also, meine Herren, denn es ist spät.«
Der Stallmeister war vor der Thüre und hielt das Pferd des Kardinals am Zügel. Eine Gruppe von zwei Menschen und drei Pferden erschien im Schatten. Diese zwei Menschen waren diejenigen, welche Mylady nach dem Fort de la Pointe geleiten und ihre Einschiffung bewachen sollten.
Der Stallmeister bestätigte dem Kardinal das, was die zwei Musketiere ihm bereits in Beziehung auf Athos gesagt hatten. Der Kardinal machte eine billigende Geberde und schlug den Rückweg ein, wobei er sich mit denselben Vorsichtsmaßregeln umgab, die er bei seinem Auszug genommen hatte.
Lassen wir ihn beschützt von seinem Stallmeister und den zwei Musketieren seinen Weg nach dem Lager verfolgen, und kehren wir zu Athos zurück.
Eine Zeit lang hatte er seinen Marsch in gleichem Tempo fortgesetzt, aber als er aus dem Gesichte war, warf er sein Pferd auf die rechte Seite, machte einen Umweg und kehrte auf etwa zwanzig Schritte in das Gehölze zurück, um das Vorüberziehen der kleinen Truppe zu beobachten; als er die eingefaßten Hüte seiner Gefährten und die goldene Franse am Mantel des Herrn Kardinals erkannte, wartete er, bis sich die Reiter um die Ecke der Straße wandten, und sobald er sie aus dem Gesichte verloren hatte, sprengte er im Galop nach dem Wirthshause zurück, das man ihm ohne Schwierigkeit öffnete.
Der Wirth erkannte ihn.
«Mein Offizier, «sprach Athos,»hat vergessen, der Dame im ersten Stocke eine Sache von großer Wichtigkeit zu empfehlen, und ich bin von ihm abgeschickt, um seinen Fehler gut zu machen.«
«Geht hinauf, «sagte der Wirth,»sie ist noch in ihrem Zimmer.«
Athos benützte diese Erlaubnis;, stieg, so leicht als er es vermochte die Treppe hinauf, gelangte auf die Flur und sah durch die halb geöffnete Thüre Mylady, welche ihren Hut knüpfte.
Er trat in das Zimmer ein und verschloß die Thüre hinter sich.
Athos stand an der Thüre in seinen Mantel gehüllt, seinen Hut tief in die Augen gedrückt.
Als Mylady diese stumme, unbewegliche, einer Statue ähnliche Gestalt erblickte, wurde ihr bange.
«Wer seid Ihr und was wollt Ihr?«rief sie.
«Wahrlich, sie ist es, «murmelte Athos.
Und er ließ den Mantel fallen, hob den Hut in die Höhe und trat vor Mylady.
«Erkennt Ihr mich, Madame?«sprach er.
Mylady wich zurück, als hätte sie eine Schlange erschaut.
«Wohl, «sagte Athos,»ich sehe, Ihr erkennt mich.«
«Der Graf de la Fère!«murmelte Mylady erbleichend, und wich immer mehr zurück, bis die Wand sie hinderte weiter zu gehen.
«Ja, Mylady, «antwortete Athos,»der Graf de la Fère in Person, der eigens von der andern Welt zurückkommt, um das Vergnügen zu haben, Euch zu sehen. Setzt Euch und wir wollen uns besprechen, wie der Kardinal sagt.«
Von einem namenlosen Schrecken beherrscht setzte sich Mylady, ohne eine Silbe zu stammeln.
«Ihr seid ein auf die Erde geschickter Teufel, «sagte Athos,»Eure Macht ist groß, ich weiß es, aber Ihr wißt auch, daß die Menschen oft mit Gottes Hülfe die furchtbarsten Teufel besiegt haben. Ihr habt Euch schon einmal auf meinem Wege gezeigt, ich glaubte Euch niedergeschmettert zu haben, aber wenn mich nicht Alles trügt, hat Euch die Hölle wiedererweckt.«
Bei diesen Worten, welche gräßliche Erinnerungen in ihr zurückriefen, ließ Mylady mit einem dumpfen Seufzer das Haupt sinken.
«Ja, die Hölle hat Euch wiedererweckt, «fuhr Athos fort,»die Hölle hat Euch einen andern Namen gegeben, die Hölle hat Euch reich gemacht, die Hölle hat Euch beinahe ein neues Gesicht verliehen, aber sie hat weder die Flecken Eurer Seele noch das Brandmal Eures Leibes getilgt.«
Mylady stand auf, als ob sie von einer Feder gehoben würde, und ihre Augen schleuderten Blitze. Athos blieb sitzen.
«Ihr hieltet mich für todt, nicht wahr, wie ich euch für todt hielt, und der Name Athos hatte den Grafen de la Fère verborgen, wie der Name Mylady Winter Anna von Breuil verbarg? Nanntet Ihr Euch nicht so, als Euer ehrenwerther Bruder unsere Ehe schloß? Unsere Stellung ist in der That seltsam, «fuhr Athos lachend fort,»wir lebten bis jetzt beide nur, weil wir uns für todt hielten, und weil eine Erinnerung weniger beengt, als ein lebendes Wesen, obgleich eine Erinnerung oft eine verzehrende Sache ist.«
«Sprecht, «sagte Mylady mit dumpfer Stimme,»wer führt Euch zu mir, und was wollt Ihr von mir?«
«Ich will Euch sagen, daß ich Euch, obgleich unsichtbar für Eure Augen, nicht aus dem Gesichte verloren habe!«
«Ihr wißt, was ich gethan?«
«Ich kann Euch Euere Handlungen Tag für Tag erzählen, seit Eurem Eintritt in den Dienst des Kardinals bis zu diesem Abend.«
Ein ungläubiges Lächeln zog über die bleichen Lippen Mylady's.
«Hört! Ihr habt die zwei diamantenen Nestelstifte von der Schulter des Herzogs von Buckingham geschnitten; — Ihr habt Madame Bonacieux entführen lassen; — Ihr habt, in den Grafen von Wardes verliebt, und im Glauben diesen zu empfangen, d'Artagnan Eure Thüre geöffnet; — Ihr wolltet Wardes, weil Ihr glaubtet, er habe Euch betrogen, durch seinen Nebenbuhler tödten lassen; — Ihr wolltet, als dieser Nebenbuhler Euer schmachvolles Geheimniß entdeckt hatte, ihn ebenfalls durch Meuchler, die ihr ihm nachschicktet, ermorden lassen; — Ihr habt, als Ihr sahet, daß die Kugeln den Mann verfehlten, vergifteten Wein mit einem falschen Brief geschickt, um Euer Opfer glauben zu machen, er komme von seinen Freunden; — Ihr habt endlich in diesem Zimmer, auf dem Stuhle, wo ich jetzt sitze, vorhin gegen den Kardinal die Verbindlichkeit übernommen, den Herzog von Buckingham ermorden zu lassen und zwar nachdem Ihr ihm das Gegenversprechen abgenommen, d'Artagnan zum Tode zu befördern.«
Mylady wurde leichenblaß.
«Ihr seid also Satan in eigener Person?«sagte sie.
«Vielleicht, «erwiderte Athos,»doch hört: ermordet den Herzog von Buckingham oder laßt ihn ermorden, daran ist mir wenig gelegen, ich kenne ihn nicht und überdies ist er ein Feind Frankreichs; aber krümmt d'Artagnan kein Haar, denn er ist ein treuer Freund, den ich liebe und vertheidige, oder ich schwöre Euch bei dem Haupte meines Vaters, das Verbrechen, welches Ihr zu begehen versucht, oder begangen habt, ist Euer letztes.«

«Herr d'Artagnan hat mich grausam verletzt, «sagte Mylady mit dumpfer Stimme;»Herr d'Artagnan muß sterben.«»In der That, ist es möglich. Euch zu verletzen, Madame?«sprach Athos lachend;»er hat Euch verletzt und muß sterben!«
«Er muß sterben!«versetzte Mylady,»Er zuerst und sie hernach.«
Athos war wie von einem Schwindel befallen; der Anblick dieses Geschöpfes, das nichts mehr mit dem Weibe gemein hatte, erweckte gräßliche Erinnerungen in ihm; er bedachte, daß er sie schon einmal in einer viel weniger gefährlichen Lage seiner Ehre hatte opfern wollen; seine Mordlust kehrte glühend zurück und bemächtigte sich seiner mit fieberischer Gewalt. Er erhob sich ebenfalls, fuhr mit der Hand nach dem Gürtel, zog eine Pistole hervor und spannte sie.
Bleich wie eine Leiche, wollte Mylady schreien, aber über ihre kaltgewordene Zunge kam nur ein rauher Ton, dem Röcheln eines wilden Thieres ähnlich; an die düstere Wand gedrückt, erschien sie mit ihren aufgelösten Haaren als das schauderhafte Bild des Schreckens.
Athos hob langsam die Pistole in die Höhe, streckte den Arm so aus, daß das Gewehr beinahe Mylady's Stirne berührte, und sprach dann mit einer Stimme, die um so furchtbarer klang, als die erhabene Ruhe eines unbeugsamen Entschlusses daraus hervortrat:
«Madame, Ihr werdet auf der Stelle das Papier herausgeben, das Euch der Kardinal unterzeichnet hat, oder bei meiner Seele, ich schieße Euch über den Haufen.«
Bei einem andern Mann würde Mylady vielleicht ein Zweifel übrig geblieben sein, aber sie kannte Athos. Dennoch blieb sie unbeweglich.
«Ihr habt eine Sekunde um Euch zu entscheiden, «rief er.
Mylady sah an der Zusammenziehung seines Gesichts, daß der Schuß losgehen sollte; sie fuhr rasch mit der Hand an ihre Brust, zog ein Papier hervor und reichte es Athos mit den Worten:
«Nehmt und seid verflucht:«
Athos nahm das Papier, steckte die Pistole wieder in seinen Gürtel, näherte sich der Lampe, um sich zu überzeugen, daß es gewiß das geforderte Papier war, entfaltete es und las:
«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber dieses gethan, was er gethan hat.«
Den 3. August 1628.
Richelieu.«
«Und nun, «sprach Athos, indem er seinen Mantel wieder nahm und den Hut aufsetzte,»und nun, da ich Dir die Zähne ausgerissen habe, beiß' wenn Du kannst.«
Hierauf verließ er das Zimmer, ohne sich nur umzuschauen. Vor der Thüre fand er die zwei Männer und das Pferd, das sie an der Hand hielten.
«Meine Herren, «sagte er,»Monseigneur befiehlt, wie Ihr wißt, diese Frau ohne Zeitverlust nach dem Fort de la Pointe zu führen, und sie nicht eher zu verlassen, als bis sie an Bord ist.«
Da diese Worte wirklich mit dem Befehl, den sie erhalten hatten, übereinstimmten, so verbeugten sie sich leicht zum Zeichen der Bestätigung.
Athos schwang sich in den Sattel und sprengte im Galopp davon. Doch statt der Straße zu folgen, ritt er quer durch das Feld, trieb sein Pferd kräftig mit den Sporen an und hielt von Zeit zu Zeit stille, um zu horchen.
Bei einem seiner Halte vernahm er auf der Straße die Tritte mehrerer Pferde. Er zweifelte nicht daran, daß es der Kardinal mit seiner Eskorte sei. Sogleich sprengte er noch eine Strecke voraus, stieg dann rasch ab, rieb sein Pferd mit Haidekraut und Baumblättern, sprang wieder in den Sattel und stellte sich auf der Straße ungefähr zweihundert Schritte von dem Lager auf.
«Wer da!«rief er von ferne, als er die Reiter ansichtig wurde.
«Das ist, glaube ich, unser braver Musketier, «sagte der Kardinal.
«Ja, Monseigneur, «erwiderte Athos,»er ist es.«
«Herr Athos, «sprach Richelieu,»empfangt meinen Dank, daß Ihr uns so gut Wache gehalten habt. Meine Herren, wir sind an Ort und Stelle, reitet durch das Thor links; das Losungswort ist:
der König und Ré.
Nach diesen Worten nickte der Kardinal den drei Freunden mit dem Kopfe zu und ritt, gefolgt von seinem Stallmeister, nach rechts, denn diese Nacht schlief er selbst im Lager.
«Nun, wie steht es?«fragten Porthos und Aramis, als der Kardinal außer dem Bereich ihrer Stimmen war,»hat er das von ihr geforderte Papier unterzeichnet?«
«Allerdings, «antwortete Athos ruhig,»ich habe es hier.«
Und die drei Freunde wechselten keine Silbe mehr bis in ihr Quartier, und sagten nur den Wachen das Losungswort.
Man ließ nun Planchet durch Mousqueton sagen, sein Herr werde gebeten, wenn er von der Laufgraben-Wache abkomme, sich sogleich nach der Wohnung der Musketiere zu begeben.
Mylady machte, wie es Athos vorhergesehen hatte, keine Schwierigkeit, den Männern zu folgen, als sie dieselben vor der Thüre erblickte; wohl hatte sie einen Augenblick Lust, sich zu dem Kardinal zurückführen zu lassen und ihm Alles zu erzählen, aber eine Enthüllung von ihrer Seite führte eine Enthüllung von Athos herbei; sie konnte wohl sagen, Athos habe sie gehängt, aber Athos konnte sagen, daß sie gebrandmarkt war; sie hielt es also für das Klügste zu schweigen, in der Stille abzureisen, mit ihrer gewöhnlichen Gewandtheit die Sendung zu erfüllen, die sie übernommen hatte, und wenn alles zur Zufriedenheit des Kardinals vollzogen wäre, Rache von ihm zu fordern.
Nachdem sie die ganze Nacht gereist war, langte sie um sieben Uhr Morgens im Fort de la Pointe an; um acht Uhr war sie an Bord und um neun Uhr lichtete das Schiff die Anker und segelte nach England.
XVIII. Die Bastei Saint Gervais
Als d'Artagnan bei den drei Freunden eintraf, fand er sie in demselben Zimmer versammelt. Athos dachte nach. Porthos kräuselte seinen Schnurrbart, Aramis betete aus einem reizenden, in blauen Sammet gebundenen Büchlein.
«Bei Gott!«sagte er,»meine Herren, ich hoffe, daß sich das, was Ihr mir sagen wollt, wohl der Mühe lohnen wird, sonst könnte ich Euch nicht verzeihen, daß Ihr mich veranlaßt habt, allein die Mauern einer Bastei niederzureißen!«Ach! daß Ihr nicht dabei wäret, es ging hübsch warm zu.«
«Wir befanden uns anderswo, wo es auch nicht kalt war, «antwortete Porthos, während er seinem Schnurrbart eine ihm eigenthümliche Biegung verlieh.
«Stille!«sagte Athos.
«Oh! oh!«rief d'Artagnan, der das leichte Stirnrunzeln des Musketiers wohl verstand,»es scheint Neuigkeiten zu geben.«
«Aramis, «sprach Athos,»ich glaube. Du hast vorgestern in der Herberge zum Parpaillot [Fußnote] gefrühstückt; wie ißt man dort?«
«Ich war für meine Perlon sehr schlecht versorgt; vorgestern war Fasttag und sie hatten nur Fleischspeisen.«
«Wie!«rief Athos,»in einem Seehafen haben sie keine Fische?«
«Sie sagen, «antwortete Aramis, und wandte sich wieder zu seiner frommen Lektüre,»sie sagen, der Damm, den der Herr Kardinal bauen lasse, vertreibe sie in das offene Meer.«
«Das ist es nicht, was ich von Euch wissen wollte, Aramis, «entgegnete Athos,»ich wollte Euch fragen, ob Ihr ohne Zwang gewesen, ob Euch niemand gestört habe.«
«Es scheint mir, wir hatten nicht zu viele lästige Gäste. Ja, in Beziehung auf das, was Ihr wissen wollt, Athos, werden wir uns ziemlich wohl beim Parpaillot befinden.«
«Also auf, zum Parpaillot, «sprach Athos,»denn hier sind die Wände wie Papierblätter.«
D'Artagnan, der an die Handlungsweise seines Freundes gewöhnt war, und an einem Wort, an einem Zeichen, an einer Geberde von ihm erkannte, wenn es sich um eine Angelegenheit von Bedeutung handelte, nahm Athos beim Arm und entfernte sich mit ihm, ohne ein Wort zu sagen. Porthos folgte mit Aramis plaudernd.
Auf dem Wege begegnete man Grimaud. Athos winkte ihm mitzugehen. Grimaud gehorchte seiner Gewohnheit gemäß stillschweigend. Der arme Bursche hatte am Ende beinahe das Sprechen verlernt.
Man gelangte in die Trinkstube zum Parpaillot. Es war sieben Uhr morgens und es wurde eben Tag. Die vier Freunde bestellten ein Frühstück und traten in eine Stube ein, wo sie nach der Aussage des Wirths nicht gestört werden sollten.
Zum Unglück war die Stunde zu einer Berathung schlecht gewählt. Man hatte gerade Tagwache geschlagen. Jeder schüttelte den Schlaf von den Gliedern und nahm, um die feuchte Luft zu vertreiben, in der Trinkstube einen Schluck zu sich; Dragoner, Schweizer, Garden, Musketiere, Chevauxlegers folgten sich so rasch, daß sich der Wirth gut dabei stehen mußte, aber den Absichten der vier Freunde entsprach dies keineswegs. Sie erwiderten auch die Grüße, Toaste und Späße ihrer Genossen sehr verdrießlich.
«Wir werden uns hiedurch einen Streit zuziehen, «sprach Athos,»und wir brauchen dies gegenwärtig nicht. D'Artagnan erzählt uns von Eurer Nacht; wir erzählen Euch die unsere nachher.«
«In der That, «sprach ein Chevauleger, der sich hin- und herwiegte und langsam etwas Branntwein aus einem Glase, das er in der Hand hielt, kostete,»in der That, Ihr waret auf der Laufgraben-Wache, mein Herr Garde, und es scheint mir, Ihr hattet einen Strauß mit den Rochellern auszufechten.«
D'Artagnan schaute Athos an, als wollte er ihn fragen, ob er dem Eindringlinge antworten solle, der sich in das Gespräch mischte.
«Nun, «sagte Athos,»hörst Du nicht, daß Herr von Busigny Dir die Ehre erweist, das Wort an Dich zu richten? Erzähle was vorgefallen ist, da es diese Herren zu wissen wünschen.«
«Habt ihr nicht eine Bastei genommen?«fragte ein Schweizer, der Rum aus einem Bierglase trank.
«Ja, Herr, «antwortete d'Artagnan sich verbeugend,»wir haben diese Ehre gehabt: wir haben sogar, wie Ihr hören konntet, unter eine der Ecken ein Pulverfäßchen gebracht, das beim Aufspringen eine hübsche Bresche machte, abgesehen davon, daß der übrige Theil des Baues, insofern die Bastei nicht von gestern war, gewaltig erschüttert wurde.«
«Welche Bastei ist es?«fragte ein Dragoner, der an seinem Säbel eine Gans gespießt hielt, die er herbei brachte um sie braten zu lassen.
«Die Bastei Saint Gervais, «antwortete d'Artagnan,»aus der die Rocheller unsere Arbeiter beunruhigten.«
«Und die Affaire war hitzig?«
«Gewiß. Wir haben fünf Mann, die Rocheller acht bis zehn verloren.«
«Balzembleu!«rief der Schweizer, der trotz der bewundernswürdigen Sammlung von Flüchen, welche die deutsche Sprache besitzt, die Gewohnheit französisch zu fluchen angenommen hatte.
«Doch ist es wahrscheinlich, «sagte der Chevauxleger,»daß sie diesen Morgen Pioniere abschicken werden, um die Bastei wieder in Stand zu setzen.«
«Ja, das ist wahrscheinlich, «bemerkte d'Artagnan.
«Meine Herren, «sagte Athos,»eine Wette!..«
«Ah! ja, eine Wette!«rief der Schweizer.
«Welche?«fragte der Chevauxleger.
«Wartet, «sprach der Dragoner und legte seinen Säbel wie einen Spieß über die zwei großen Feuerblöcke im Kamin.»Unglückswirth! eine Bratpfanne, sogleich, daß ich keinen Tropfen von dem Fett dieses achtungswerthen Vogels verliere.«
«Er hat Recht, «sagte der Schweizer,»Gänsefett ist sehr gut bei Eingemachtem.«
«So, «rief der Dragoner,»nun. Eure Wette. Laßt hören, Herr Athos.«
«Ja, die Wette, «wiederholte der Chevauxleger.
«Wohl, Herr von Busigny, ich wette mit Euch, «antwortete Athos,»daß meine drei Gefährten, die Herren Porthos, Aramis, d'Artagnan und ich in der Bastei Saint-Gervais frühstücken und uns daselbst eine Stunde lang, die Uhr in der Hand, aufhalten, was der Feind auch thun mag, um uns zu vertreiben.«
Porthos und Aramis schauten sich an, sie fingen an zu begreifen.
«Aber, Freund, «sprach d'Artagnan, sich an das Ohr von Athos beugend,»Du willst uns ohne Barmherzigkeit tödten lassen.«
«Wir werden viel eher getödtet, «antwortete Athos,»wenn wir nicht dahin gehen.«
«Ah, meiner Treu, meine Herrn, «sprach Porthos, sich auf dem Stuhl umdrehend und seinen Schnurrbart kräuselnd,»das ist hoffentlich eine schöne Wette!«
«Ich nehme sie auch an, «erwiderte Herr von Busigny.»Nun handelt es sich nur noch darum, den Einsatz zu bestimmen.«
«Ihr seid zu vier, meine Herren, «sagte Athos,»wir sind auch zu vier; ein Mittagsmahl nach Belieben für acht Personen, ist das Euch angenehm?«
«Vortrefflich, «versetzte Herr von Busigny.
«Vollkommen, «sprach der Dragoner.
«Es sei so, «sagte der Schweizer.
Der vierte Zuhörer, der bei dem ganzen Gespräch eine stumme Rolle gespielt hatte, machte ein Zeichen mit dem Kopfe zum Beweis, daß er dem Vorschlag beitrat.
«Das Frühstück dieser Herren ist bereit, «rief der Wirth.
«Gut, so bringt es, «sagte Athos.
Der Wirth gehorchte; Athos winkte Grimaud herbei, zeigte ihm einen großen Korb, der in einer Ecke stand, und befahl ihm durch eine Geberde, das aufgetragene Fleischwerk in Servietten zu hüllen.
Grimaud begriff sogleich, daß es sich um ein Frühstück im Freien handelte, nahm den Korb, packte das Fleisch ein, legte die Flaschen dazu und hob den Korb sodann auf seinen Arm.
«Aber wo wollt Ihr mein Frühstück verzehren?«sagte der Wirth.
«Was geht das Euch an, «erwiderte Athos,»wenn man Euch nur bezahlt!«
Und er warf majestätisch zwei Pistolen auf den Tisch.
«Muß ich herausgeben, mein Herr Offizier?«fragte der Wirth.
«Nein, fügt nur zwei Bouteillen Champagner bei, und das Uebrige ist für die Servietten.«
Der Wirth machte kein so gutes Geschäft, als er Anfangs geglaubt hatte. Aber er entschädigte sich dadurch, daß er den vier Gästen zwei Flaschen Anjou-Wein statt der zwei Flaschen Champagner gab.
«Herr von Busigny, «sagte Athos,»wollt Ihr die Güte haben, Eure Uhr nach der meinigen zu richten, oder mir erlauben, die meinige nach der Euren zu regeln?«
«Sehr wohl, mein Herr, «sprach der Chevauxleger, und zog eine sehr schöne, mit Diamanten eingefaßte Uhr aus seiner Tasche,»ich habe halb acht Uhr.«
«Sieben Uhr fünfunddreißig Minuten, «entgegnete Athos.»Wir wissen also, daß meine Uhr um fünf Minuten voraus geht.«
Die jungen Leute grüßten die Umstehenden, welche im höchsten Grad erstaunt waren, und schlugen den Weg nach der Bastei Saint-Gervais ein, gefolgt von Grimaud, der den Korb trug, ohne zu wissen, wohin er ging, aber auch bei dem leidenden Gehorsam, an den er sich gewöhnt hatte, nicht einmal daran dachte, darnach zu fragen.
So lange sie noch innerhalb des Lagers waren, wechselten die vier Freunde kein Wort; es folgten ihnen viele Neugierige, welche von der eingegangen Wette wußten und sehen wollten, wie sie sich herausziehen würden. Aber sobald sie die Umschanzungslinie hinter sich hatten und sich in freier Luft befanden, glaubte d'Artagnan, der durchaus nicht wußte, wovon es sich handelte, es sei Zeit, sich eine Aufklärung zu erbitten.
«Und nun, mein lieber Athos, «sprach er,»erzeige mir die Freundschaft, mir zu erklären, wohin wir gehen?«
«Ihr seht es ja, «antwortete Athos,»wir gehen in die Bastei.«
«Aber was machen wir dort?«
«Ihr wißt es ja, wir frühstücken daselbst.«
«Aber warum frühstücken wir nicht beim Parpaillot?«
«Weil wir uns sehr wichtige Dinge zu sagen haben, und weil es unmöglich wäre, in diesem Wirthshause zu sprechen, bei all den Ueberlästigen, die dort kommen, grüßen und plaudern. Hier, «fuhr Athos, auf die Bastei deutend fort,»hier wird man uns wenigstens nicht stören.«
«Es scheint mir, «sprach d'Artagnan mit der Klugheit, die er so gut und natürlich mit seinem außerordentlichen Muth vereinigte,»es scheint mir, wir hätten einen verborgenen Ort auf den Dünen am Meeresufer finden können.«
«Wo man die Besprechung zwischen uns vier gesehen hätte, so daß nach einer Viertelstunde der Kardinal durch seine Spione von unserer Beratung benachrichtigt gewesen wäre.«
«Ja, «sagte Aramis.»Athos hat Recht; Animadvertuntur in desertis.«
«Eine Wüste wäre nicht übel gewesen, «sprach Porthos,»aber wie hätte man sie finden können?«
«Es gibt keine Wüste, wo nicht ein Vogel über das Haupt hinfliegen, ein Fisch über das Wasser springen oder ein Hase aus fernem Lager laufen kann, und ich glaube, Vogel, Fisch, Hase, Alles hat sich zum Spion des Kardinals gemacht. Es ist also besser, wir verfolgen unser Unternehmen, von dem wir übrigens ohne Schmach nicht mehr zurückweichen können. Wir haben eine Wette eingegangen, eine Wette, welche nicht vorhergesehen werden konnte, und deren wahre Ursache, das weiß ich gewiß, Niemand zu errathen vermag. Um zu gewinnen, halten wir eine Stunde in der Bastei aus. Entweder werden wir angegriffen oder wir werden nicht angegriffen. Wenn nicht, so gewinnen wir hinreichend Zeit, uns zu besprechen, und Niemand wird uns hören, denn ich stehe dafür, daß die Mauern dieser Bastei keine Ohren haben. Greift man uns an, so besprechen wir unsere Angelegenheiten dennoch, und bedecken uns durch unsere Vertheidigung mit Ruhm. Ihr sehet, daß Alles zu unserem Vortheil ist.«
«Ei!«rief d'Artagnan,»wir werden sicherlich eine Kugel erwischen.«
«Ei, mein Lieber, «erwiderte Athos,»Ihr wißt, daß die am meisten zu fürchtenden Kugeln nicht vom Feinde kommen.«
«Aber, «meinte Porthos, mir scheint, für ein solches Unternehmen hätten wir wenigstens unsere Musketen mitnehmen sollen.«
«Ihr seid ein Thor, Freund Porthos, warum sich mit einer unnützen Bürde belasten?«
«Ich finde eine gute Muskete mit zwölf Patronen und dem Pulversack, dem Feinde gegenüber, nicht unnütz.«
«Wie, «sprach Athos,»habt Ihr nicht gehört, was d'Artagnan gesagt hat?«
«Was hat er gesagt?«fragte Porthos.
«D'Artagnan hat erzählt, bei dem Angriff in dieser Nacht seien acht bis zehn Franzosen und eben so viel Rocheller getödtet worden.«
«Weiter?«
«Man hat nicht Zeit gehabt, sie zu plündern, nicht wahr? insofern man für den Augenblick etwas Eiligers zu thun hatte?«
«Nun?«
«Nun, wir werden ihre Musketen, ihre Pulversäcke und ihre Patronen finden, und statt vier Musketen und zwölf Kugeln haben wir fünfzehn Gewehre, und können wohl hundert Schüsse thun.«
«Oh! Athos, «rief Aramis,»Du bist in der That ein großer Mann!«
Porthos verbeugte sich zum Zeichen der Beipflichtung. D'Artagnan allein schien nicht völlig überzeugt.«
Wahrscheinlich theilte Grimaud die Zweifel des jungen Mannes, denn als er sah, daß man fortwährend der Bastei zumarschirte, was er bis jetzt noch nicht geglaubt hatte, zog er seinen Herrn am Rockschoße.
«Wohin gehen wir?«fragte er mit einer Geberde.
Athos deutete auf die Bastei.
«Aber, «sprach der stillschweigende Grimaud, stets in demselben Dialekte,»aber wir werden unsere Haut dort lassen.«
Athos hob die Augen und den Finger zum Himmel empor. Grimaud stellte seinen Korb auf die Erde und setzte sich, den Kopf schüttelnd, nieder.
Athos nahm eine Pistole aus seinem Gürtel, schaute, ob sie mit Zündkraut versehen war, spannte und hielt den Lauf Grimaud an das Ohr.
Grimaud war auf den Beinen, als ob ihn eine Feder emporgeschnellt hätte.
Athos hieß ihn durch ein Zeichen den Korb nehmen und vorausgehen. Grimaud gehorchte.
Der arme Bursche hatte bei dieser Pantomime eines Augenblicks durchaus nicht mehr gewonnen, als daß er von der Nachhut zur Vorhut gekommen war.
Als die vier Freunde die Bastei erreichten, wandten sie sich um. Mehr als vierhundert Soldaten von allen Waffen waren an einem Thor des Lagers versammelt, und man konnte in einer getrennten Gruppe Herrn von Busigny, den Dragoner, den Schweizer und den vierten Theilnehmer an der Wette unterscheiden.
Athos nahm seinen Hut ab, steckte ihn an das Ende seines Degens und schwenkte ihn in der Luft.
Alle Zuschauer gaben ihm den Gruß zurück und begleiteten diese Höflichkeit mit einem Hurrah, das bis zu ihnen drang.
Hierauf verschwanden alle vier in der Bastei, wohin ihnen Grimaud vorausgegangen war.
XIX. Der Rath der Musketiere
Die Bastei war, wie dies Athos vorhergesehen, nur von einem Dutzend Todter, sowohl Franzosen als Rocheller, besetzt.
«Meine Herren, «sprach Athos, der das Kommando bei diesem Zug übernommen hatte,»während Grimaud die Tafel zurichtet, wollen wir zuvörderst die Gewehre und Patronen sammeln. Wir können übrigens sprechen, so lange wir dieses Geschäft besorgen, denn diese Herren, «fügte er auf die Todten deutend bei,»hören uns nicht.«
«Wir könnten sie immerhin in die Gräben werfen, «sagte Porthos,»nachdem wir uns zuvor versichert, daß sie nichts in den Taschen haben.«
«Allerdings, «versetzte Athos,»aber das ist ein Geschäft für Grimaud.«
«Wohl, «sprach d'Artagnan,»so mag Grimaud sie hernach durchsuchen und in die Gräben werfen.«
«Das sei ferne von uns, «rief Athos,»sie können uns nützlich sein.«
«Diese Todten könnten uns nützlich sein?«fragte Porthos» ei. Du wirst ein Narr, mein lieber Freund.«
«Urtheilt nicht vorlaut, sagen das Evangelium und der Herr Kardinal, «antwortete Athos.»Wie viele Flinten, meine Herren?«
«Zwölf, «antwortete Aramis.
«Wie viel Schüsse zu feuern?«
«Etwa hundert.«
«Das ist so viel, als wir brauchen; laden wir die Gewehre.«
Die vier Musketiere machten sich an die Arbeit. Als sie das letzte Gewehr geladen hatten, deutete Grimaud mit einem Zeichen an, das Frühstück sei bereit.
Athos antwortete, stets mit einer Geberde, es sei gut, und zeigte Grimaud eine Art von Nische. Dieser begriff, daß er darin Wache halten sollte. Um ihm jedoch die Unannehmlichkeit seiner Trennung etwas zu versüßen, erlaubte ihm Athos ein Brod, zwei Kalbsrippchen und eine Flasche Wein mitzunehmen.
«Und nun zu Tische, «sprach Athos.
Die vier Freunde setzten sich auf die Erde, die Beine gekreuzt, wie Türken oder wie Schneider.
«Doch jetzt, «sagte d'Artagnan,»jetzt, da Du nicht mehr gehört zu werden fürchten mußt, wirst Du uns hoffentlich Dein Geheimniß mittheilen?«
«Ich hoffe Euch zugleich Vergnügen und Ruhm zu verschaffen, meine Herren, «antwortete Athos.»Ich habe Euch einen reizenden Spaziergang machen lassen. Hier ist ein äußerst schmackhaftes Frühstück und dort unten stehen, wie Ihr durch die Schießscharten sehen könnt, fünfhundert Personen, die uns für Narren oder für Helden halten, zwei Klassen von Schwachköpfen, die sich ziemlich gleichen.«
«Aber das Geheimniß, «sagte d'Artagnan.
«Das Geheimniß, «erwiederte Athos,»besteht darin, daß ich gestern Abend Mylady gesehen habe.«
D'Artagnan setzte eben sein Glas an die Lippen, aber bei dem Namen Mylady zitterte seine Hand so sehr, daß er es auf den Boden stellte, um den Inhalt nicht zu verschütten.
«Du hast Deine Fr.. — »Stille«, unterbrach ihn Athos.»Ihr vergeßt, mein Lieber, daß diese Herren nicht wie Ihr in das Geheimniß meiner häuslichen Angelegenheiten eingeweiht sind. Ich habe Mylady gesehen.«—»Und wo dies?«fragte d'Artagnan. — »Ungefähr zwei Meilen von hier, in der Herberge zum Rothen Taubenschlag.«—»Dann bin ich verloren, «rief d'Artagnan. — »Nein, noch nicht ganz, «versetzte Athos,»denn zu dieser Stunde muß sie die Küste von Frankreich verlassen haben.«
D'Artagnan athmete.
«Aber wer ist denn diese Mylady?«fragte Porthos. — »Eine reizende Frau, «erwiederte Athos, ein Glas Schaumwein kostend.»Canaille von einem Wirth!«rief er,»der uns Anjouer für Champagner gibt und glaubt, wir lassen uns hintergehen! Ja, «fuhr er fort,»eine reizende Frau, der unser Freund d'Artagnan irgend einen schlimmen Streich gespielt hat, für den sie sich dadurch zu rächen suchte, daß sie ihn vor einem Monat mit Musketenschüssen tödten lassen wollte, daß sie ihn vor acht Tagen zu vergiften trachtete, und daß sie gestern sich vom Kardinal seinen Kopf erbat.«—»Wie! vom Kardinal meinen Kopf erbat?«rief d'Artagnan bleich vor Schrecken. — »Gewiß!«sprach Porthos,»das ist so wahr wie das Evangelium; ich habe es mit meinen eigenen zwei Ohren gehört.«—»Ich ebenfalls, «fügte Aramis bei. — »Dann, «versetzte d'Artagnan und ließ entmuthigt die Arme sinken,»dann ist es unnütz, länger zu kämpfen; es ist besser, ich schieße mir eine Kugel vor den Kopf, und Alles ist vorbei.«—»Das ist die letzte Dummheit, die man zu machen hat, «sprach Athos,»insoferne es die einzige ist, für die es kein Gegenmittel gibt.«—»Aber bei solchen Feinden werde ich nie entkommen, «erwiederte d'Artagnan.»Zuerst mein Unbekannter von Meung; sodann Herr von Wardes, dem ich vier Degenstiche beigebracht habe; ferner Mylady, deren Geheimniß ich entdeckte, und endlich der Kardinal, dessen Rache ich vereitelt habe.«—»Gut, «sprach Athos,»Alles das macht zusammen nur vier, einer gegen einen, bei Gott! Wenn wir den Zeichen glauben dürfen, die uns Grimaud macht, so werden wir es mit einer viel größeren Anzahl von Menschen zu thun haben. Was gibt es, Grimaud? In Betracht des Gewichts der Umstände erlaube ich Euch zu sprechen; doch ich bitte, faßt Euch kurz. Was seht Ihr?«—»Eine Truppe!«—»Von wie viel Personen?«—»Von zwanzig Menschen.«—»Was für Menschen?«—»Sechszehn Gefangene, vier Soldaten.«—»Auf wie viel Schritte sind sie von uns entfernt?«—»Auf fünfhundert Schritte.«—»Gut, wir haben noch Zeit, dieses Huhn vollends zu verzehren und ein Glas Wein zu trinken. Auf Deine Gesundheit! d'Artagnan!«—»Auf Deine Gesundheit!«wiederholten Porthos und Aramis. — »Wohl denn, auf meine Gesundheit, obgleich ich nicht glaube, daß mir Eure Wünsche viel nützen werden.«—»Bah!«rief Athos,»Gott ist groß, wie die Anhänger Mahomeds sagen, und die Zukunft liegt in seinen Händen.«
Nachdem Athos sein Glas geleert hatte, stand er gleichgültig auf, nahm das nächste beste Gewehr und näherte sich einer Schießscharte.
Porthos, Aramis und d'Artagnan thaten dasselbe. Grimaud erhielt Befehl, sich hinter die vier Freunde zu stellen um die Gewehre wieder zu laden.
Bald sah man die Truppe erscheinen; sie kam durch einen schlauchartigen Laufgraben, der eine Verbindung zwischen der Bastei und der Stadt bildete.
«Bei Gott!«sprach Athos,»es war wohl der Mühe Werth, unser Mahl wegen zwanzig solcher mit Karsten, Hauen und Schaufeln bewaffneter Schufte zu unterbrechen. Grimaud hätte ihnen nur durch ein Zeichen bedeuten dürfen, sie sollen gehen und ich bin überzeugt, sie würden uns in Ruhe gelassen haben.«
«Ich bezweifle es, «sprach d'Artagnan,»denn sie rücken sehr entschlossen heran. Uebrigens sind bei den Arbeitern vier mit Musketen bewaffnete Soldaten und ein Brigadier.«
«Weil sie uns nicht gesehen haben, «entgegnete Athos.
«Meiner Treu, «sagte Aramis,»es wiederstrebt mir, auf diese armen Teufel von Bürgersleuten zu schießen.«
«Ein schlechter Priester, «rief Porthos,»der mit Ketzern Mitleid hat.«
«In der That, «sagte Athos,»Aramis hat Recht, und ich will sie warnen.«
«Was Teufels macht Ihr denn?«entgegnete d'Artagnan,»Ihr wollt Euch, scheint es, niederschießen lassen, mein Lieber.«
Aber Athos hörte nicht auf diesen Rath, sondern stieg auf die Bresche, wandte sich, sein Gewehr in der einen, den Hut in der andern Hand, höflich grüßend an die Soldaten und Arbeiter, welche erstaunt über diese Erscheinung ungefähr fünfzig Schritte vor der Bastei stehen blieben, und rief:
«Meine Herren, einige Freunde und ich sitzen hier in dieser Bastei beim Frühstück. Ihr wißt aber wohl, wie unangenehm es ist, gestört zu werden, wenn man frühstückt: wir bitten Euch also, wenn Ihr unerläßliche Geschäfte hier habt, entweder zu warten bis wir unser Mahl vollendet haben oder später wieder zu kommen, wenn Ihr nicht, was das Heilsamste wäre, Lust habt, die Partei der Rebellen zu verlassen und mit uns auf die Gesundheit des Königs von Frankreich zu trinken.«
«Nimm Dich in Acht, Athos, «jagte d'Artagnan,»siehst Du nicht, daß sie auf Dich anlegen?«
«Allerdings, «erwiederte Athos,»aber es sind Bürger, die sehr schlecht schießen und mich gewiß nicht treffen werden.«
Es wurden in der That in demselben Augenblick vier Flintenschüsse abgefeuert und die Kugeln schlugen um Athos her an die Mauern, aber keine traf ihn.
Vier Schüsse antworteten ihnen beinahe in derselben Sekunde, aber unsere Freunde hatten besser gezielt, als die Angreifenden: drei Soldaten stürzten maustodt nieder und ein Arbeiter war verwundet.
«Grimaud, eine andere Muskete, «sagte Athos, immer noch auf der Bresche stehend.
Grimaud gehorchte sogleich. Die drei Freunde hatten ihre Gewehre selbst wieder geladen, der Brigadier und zwei Pionniere wurden todt zu Boden gestreckt, der Rest der Truppe ergriff die Flucht.
«Auf! meine Herren, einen Ausfall, «rief Athos.
Und die vier Freunde stürzten aus dem Fort hervor, gelangten bis zum Schlachtfeld, rafften die vier Musketen der Soldaten und die Halbpike des Brigadiers auf, und zogen sich, überzeugt, daß die Fliehenden erst in der Stadt anhalten werden, mit ihren Siegestrophäen in die Bastei zurück.
«Lade unsere Gewehre wieder, Grimaud, «sprach Athos,»und wir, meine Herren, wollen zu unserem Frühstück zurückkehren und unser Gespräch fortsetzen. Wo waren wir?«
«Ich erinnere mich, «antwortete d'Artagnan,»Du sagtest Mylady habe Frankreich verlassen, nachdem sie meinen Kopf von dem Kardinal verlangt habe.«
«Und wohin geht sie?«fügte d'Artagnan bei, den Myladys Reiseplan sehr in Anspruch zu nehmen schien.
«Sie geht nach England, «erwiederte Athos.
«In welcher Absicht?«
«In der Absicht, Buckingham zu ermorden oder ermorden zu lassen.«
«Ei das ist ja ganz heillos, «rief d'Artagnan voll Staunen und Entrüstung.
«Oh! was das betrifft, «entgegnete Athos,»darum kümmere ich mich nicht viel. Nun, da Du fertig bist, Grimaud, «fuhr Athos fort,»nimm die Halbpike unseres Brigadier, binde eine Serviette daran und pflanze sie dann auf unserer Bastei auf, damit diese rebellischen Rocheller sehen, daß sie es mit braven und loyalen Soldaten des Königs zu thun haben.«
Grimaud gehorchte, ohne zu antworten, und einen Augenblick nachher wehte eine weiße Fahne über dem Haupte der vier Freunde. Freudengeschrei und donnernder Beifall begrüßten ihre Erscheinung. Die Hälfte des Lagers war an den Barrieren.
«Wie, «versetzte d'Artagnan,»Du kümmerst Dich wenig darum, ob sie Buckingham ermordet, oder ermorden läßt? Der Herzog ist unser Freund.«
«Der Herzog ist ein Engländer, der Herzog kämpft gegen uns, sie mag also mit ihm machen, was sie will, ich kümmere mich so wenig darum, als um eine leere Flasche.«
Und bei diesen Worten schleuderte Athos eine Flasche, deren Inhalt er bis auf den letzten Blutstropfen in sein Glas gegossen hatte, zwanzig Schritte von sich.
«Einen Augenblick — «sagte d'Artagnan,»ich gebe den Herzog nicht so rasch auf, er schenkte uns sehr schöne Pferde.«
«Und besonders sehr schöne Sättel, «sprach Porthos, der die Galone des seinigen an seinem Mantel trug.
«Auch will Gott die Bekehrung und nicht den Tod des Sünders, «sagte Aramis.
«Amen!«sprach Athos,»und wir werden später hierauf zurückkommen, wenn es Euch beliebt. Doch ich war am meisten daraus bedacht — und Du wirst das wohl begreifen, d'Artagnan — dieser Frau eine Art von Vollmacht abzunehmen, welche sie Richelieu abgepreßt hatte, und mit deren Hülfe sie sich ungestraft Deiner und vielleicht unserer Personen entledigen könnte.«
«Aber das ist doch ein wahrer Teufel, dieses Geschöpf!«sprach Porthos und reichte Aramis, welcher Geflügel zerlegte, seine Serviette.
«Und diese Vollmacht, «fragte d'Artagnan,»diese Vollmacht blieb in Ihren Händen?«
«Nein, sie ging in die meinigen über. Wenn ich sagen würde, dies sei ohne Mühe geschehen, so müßte ich lügen.«
«Mein lieber Athos, «sprach d'Artagnan,»ich zähle nicht mehr, wie oft Ihr mir das Leben gerettet habt.«
«Also um zu ihr zurückzukehren, hast Du uns verlassen?«fragte Aramis.
«Allerdings.«
«Und Du besitzest den Brief des Kardinals?«fragte d'Artagnan.
«Hier ist er, «antwortete Athos.
Und er zog das kostbare Papier aus der Tasche seiner Kasake hervor.
D'Artagnan entfaltete es mit einer Hand, deren Zittern er nicht einmal zu verbergen suchte und las:
«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Inhaber gethan, was er gethan hat.
Den 3. August 1628. Richelieu.«
«In der That, «sprach Aramis,»das ist eine Absolution nach allen Regeln.«
«Man muß dieses Papier vernichten, «sprach d'Artagnan, der sein Todesurtheil zu lesen meinte.
«Ganz im Gegentheil, «erwiederte Athos,»man muß es sorgfältig aufbewahren, und ich würde dieses Papier nicht hergeben, wenn man es mit Goldstücken bedecken wollte.«
«Und was wird sie nun wohl thun?«fragte der junge Mann.
«Wahrscheinlich, «antwortete Athos,»wahrscheinlich wird sie dem Kardinal schreiben, ein verdammter Musketier, Namens Athos, habe ihr mit Gewalt ihren Geleitsbrief entrissen. Sie wird ihm in demselben Brief den Rath geben, sich zu gleicher Zeit seiner, so wie seiner zwei Freunde, Porthos und Aramis, zu entledigen. Der Kardinal wird sich erinnern, daß es dieselben Menschen sind. denen er immer auf seinen Wegen begegnet. Dann wird er an einem schönen Morgen d'Artagnan verhaften lassen und, damit er sich ganz allein nicht zu sehr langweilt, auch uns in die Bastille schicken, um ihm Gesellschaft zu leisten.«
«Ei, den Teufel!«rief Porthos,»es scheint mir, Du machst da sehr schlechte Spässe, mein Lieber?«
«Ich spasse nicht, «sagte Athos.
«Weißt Du, «versetzte Porthos,»daß es eine geringere Sünde wäre, dieser verdammten Mylady den Hals umzudrehen, als diesen armen Teufeln von Hugenotten, welche nie ein anderes Verbrechen begangen haben, als daß sie die Psalmen französisch singen, die wir lateinisch singen.«
«Was sagt der Abbé dazu?«fragte Athos ruhig.
«Ich sage, daß ich der Meinung von Porthos bin, «antwortete Aramis.
«Und ich ebenfalls, «sprach d'Artagnan.
«Zum Glück ist sie ferne von hier, «versetzte Porthos,»denn ich gestehe, sie würde mich hier sehr genieren.«
«Sie geniert mich in England eben so sehr, als in Frankreich, «sagte Athos.
«Sie geniert mich überall, «sprach d'Artagnan.
«Aber da Du sie in Deinen Händen hattest, «rief Porthos,»warum hast Du sie nicht ertränkt, erdrosselt, aufgehenkt?… Nur die Todten kommen nicht wieder.«
«Ihr glaubt das?«erwiederte der Musketier mit einem düstern Lächeln, das d'Artagnan allein verstand.
«Ich habe einen Gedanken, «sprach d'Artagnan.
«Laß hören, «sagten die Musketiere.
«Zu den Waffen!«schrie Grimaud.
Die jungen Leute sprangen rasch auf und liefen nach ihren Gewehren.
Ein kleiner Trupp, aus zwanzig bis fünfundzwanzig Mann bestehend, rückte heran. Aber diesmal waren es nicht mehr Arbeiter, sondern Soldaten der Garnison.
«Wenn wir in das Lager zurückkehrten, «sprach Porthos.
«Es scheint mir, die Partie ist ungleich.«
«Unmöglich aus drei Gründen, «antwortete Athos.»Erstens haben wir unser Frühstück noch nicht vollendet, zweitens haben wir uns noch wichtige Dinge zu sagen, drittens fehlen noch zehn Minuten, bis die Stunde abgelaufen ist.«
«Wohl, «sagte Aramis,»wir müssen jedoch einen Schlachtplan feststellen.«
«Das ist ganz einfach, «sagte Athos;»sobald der Feind in Schußweite kommt, geben wir Feuer. Rückt er weiter vor, so geben wir abermals Feuer; wir feuern, so lange wir geladene Gewehre haben; wenn hernach der Rest des Trupps Sturm laufen will, so lassen wir die Belagerer bis in den Graben heransteigen und werfen ihnen dann einen Flügel von dieser Mauer, welche nur noch durch ein Wunder ihr Gleichgewicht hält, auf die Köpfe.«
«Bravo, «sagte Porthos,»Du bist entschieden zum General geboren, Athos, und der Kardinal, der sich für einen großen Kriegsmann hält, ist offenbar sehr wenig im Vergleich mit Dir.«
«Meine Herren, «sprach Athos,»nicht auf zwei Seiten verhandelt, ich bitte. Nehmt jeder Euern Mann auf das Korn!«
«Ich habe den meinigen, «sagte d'Artagnan.
«Und ich den meinigen, «sagte Porthos.
«Und ich ebenfalls, «sagte Aramis.
«Gebt Feuer!«sagte Athos.
Die vier Flintenschüsse machten nur einen Knall und vier Soldaten stürzten zu Boden.
Sogleich schlug der Tambour und der kleine Trupp rückte im Sturmschritt vor.
Dann folgten sich die Schüsse unregelmäßig, aber mit der größten Genauigkeit gezielt; doch die Rocheller rückten, als hätten sie die numerische Schwäche der Feinde gekannt, fortwährend im Geschwindschritt vor.
Bei drei Schüssen fielen immer zwei Mann: dessenungeachtet wurde der Marsch der Übrigbleibenden nicht langsamer.
Am Fuße der Bastei angelangt, waren die Feinde noch zwölf bis fünfzehn Mann stark. Eine letzte Ladung empfing sie, hielt sie aber nicht auf. Sie sprangen in den Graben und schickten sich an, die Bresche zu ersteigen.
«Auf, meine Freunde, «rief Athos,»endigen wir mit einem Schlage. Zur Mauer! Zur Mauer!«
Und von Grimaud unterstützt, stemmten sich die vier Freunde mit dem Laufe ihrer Flinten an einen enormen Mauerflügel, der, wie vom Sturmwind erfaßt, sich neigte, sich von seiner Grundlage ablöste, und mit furchtbarem Gekrach in den Graben stürzte. Dann vernahm man ein gewaltiges Geschrei, eine Staubwolke stieg zum Himmel auf und Alles war vorbei.
«Sollten wir sie vom Ersten bis zum Letzten zerschmettert haben?«sagte Athos.
«Meiner Treu', es sieht so aus, «erwiederte d'Artagnan.
«Nein, «sagte Porthos,»seht dort zwei oder drei, welche sich hinkend fortzuschleppen suchen.«
Drei oder vier von den Unglücklichen flohen wirklich, mit Koth und Blut bedeckt, in den Hohlweg, und erreichten die Stadt. Das war Alles, was von dem Trupp übrig blieb.
Athos schaute auf seine Uhr.
«Meine Herren, wir sind nun eine Stunde hier, und die Wette ist gewonnen. Aber man muß ehrlich spielen, und d'Artagnan hat uns überdies seinen Gedanken noch nicht gesagt.«
Nach diesen Worten setzte sich der Musketier mit seiner gewöhnlichen Kaltblütigkeit zu den Ueberresten des Frühstücks.
«Ihr wollt meinen Plan kennen lernen?«sprach d'Artagnan zu seinen drei Gefährten, als sie nach dem Angriffe, der für den kleinen Trupp der Rocheller so traurig geendet hatte, wieder beim Frühstück saßen. — »Ja, «antwortete Athos,»Ihr sagtet, Ihr habet einen Gedanken.«—»Richtig, ich habs wieder, «rief d'Artagnan.»Ich reise zum zweiten Mal nach England, suche Herrn von Buckingham auf und benachrichtige ihn von dem Komplott, das gegen ihn gesponnen wird.«—»Ihr werdet das nicht thun, d'Artagnan, «sprach Athos kalt. — »Und warum nicht? Habe ich es nicht bereits gethan?«—»Ja, aber damals waren wir nicht im Krieg begriffen, und Herr von Buckingham war zu jener Zeit unser Verbündeter und kein Feind. Was Ihr thun wollt, würde man als einen Verrath taxiren.«
D'Artagnan begriff das Gewicht dieses Urtheils und schwieg.
«Aber ich glaube ebenfalls einen Gedanken zu haben, «sprach Porthos.
«Hört den Gedanken des Herrn Porthos, «sagte Aramis.
«Ich verlange einen Urlaub von Herrn von Treville unter irgend einem Vorwand, den Ihr finden werdet, denn ich bin nicht so stark in Vorwänden. Mylady kennt mich nicht. Ich nähere mich ihr, ohne daß sie mich fürchtet, und wenn ich meine Schöne treffe, erdrossele ich sie.«
«Ei, «sagte Athos,»ich bin nicht abgeneigt, dem Gedanken von Porthos beizupflichten.«
«Pfui, «sprach Aramis,»eine Frau umbringen! Halt! ich habe den wahren Gedanken.«
«Laßt ihn hören, Aramis, «erwiederte Athos, welcher große Achtung vor dem jungen Musketier hegte.
«Man müßte die Königin in Kenntniß setzen.«
«Ah, meiner Treu, ja, «sprachen Porthos und d'Artagnan zugleich,»ich glaube, wir haben ein Mittel gefunden.«
«Die Königin in Kenntniß setzen?«fragte Athos,»und wie dies? Haben wir Verbindungen bei Hofe? Können wir Jemand nach Paris schicken, ohne daß man es im Lager erfährt? Von hier nach Paris sind es hundert und vierzig Meilen; unser Brief hat noch nicht Angers erreicht und wir sitzen bereits im Gefängnisse.«
«Was die Aufgabe betrifft, Ihrer Majestät einen Brief sicher zuzustellen, «sagte Aramis erröthend,»so übernehme ich dies. Ich kenne in Tours eine geschickte Person…«
Aramis hielt inne, als er Athos lächeln sah.
«Nun, Athos? Ihr nehmt dieses Mittel nicht an?«fragte d'Artagnan.
«Ich weise es nicht gänzlich zurück, «antwortete Athos;»aber ich wollte Aramis nur bemerken, daß er das Lager nicht verlassen kann, daß jeder Andere sicherer ist, als Einer von uns; daß zwei Stunden, nachdem der Bote abgegangen, alle Kapuziner, alle Alguazils, alle Schwarzmützen des Kardinals Euren Brief auswendig kennen, und daß man Euch sammt Euren geschickten Personen verhaften wird.«
«Abgesehen davon, «sprach Porthos,»daß die Königin Herrn von Buckingham, aber keineswegs uns retten wird.«
«Meine Herren, «sagte d'Artagnan,»was Porthos einwendet, ist sehr vernünftig.«
«Ah ah! was geht in der Stadt vor?«rief Athos.
«Man schlägt Generalmarsch.«
Die vier Freunde horchten und der Lärm der Trommeln drang wirklich bis zu ihnen.
«Ihr werdet sehen, daß man ein ganzes Regiment schickt, «sagte Athos.
«Ihr hofft doch nicht gegen ein ganzes Regiment Stand zu halten, «sprach Porthos.
«Warum nicht?«erwiederte der Musketier.»Ich fühle mich jetzt im Zug und würde vor einer ganzen Armee Stand halten, wenn wir nur so vorsichtig gewesen wären, ein Dutzend Flaschen mehr mitzunehmen.«
«Bei meinem Ehrenwort, der Trommler nähert sich, «sagte d'Artagnan.
«Laßt ihn herankommen!«rief Athos.»Es ist eine Viertelstunde Wegs von hier nach der Stadt, und folglich auch von der Stadt hieher. Das ist mehr Zeit als wir brauchen, um unsern Plan festzustellen. Wenn wir von hier weggehen, finden wir nie mehr einen so passenden Ort. Und halt, gerade jetzt kommt mir der wahre Gedanke.«
«Sprecht also!«
«Erlaubt mir, daß ich Grimaud einige unerläßliche Befehle gebe.«
Athos machte seinem Bedienten ein Zeichen, sich zu nähern.
«Grimaud, «sprach Athos, auf die Todten deutend, die in der Bastei lagen,»Du nimmst diese Herren, stellst sie an die Mauer, setzest ihnen ihre Hüte auf den Kopf und gibst ihnen ihre Flinten in die Hand.«
«O großer Mann!«rief d'Artagnan,»ich verstehe Dich!«—»Ihr versteht?«fragte Porthos. — »Und Du, verstehst Du, Grimaud?«sagte Athos.
Grimaud machte ein bejahendes Zeichen.
«Mehr braucht es nicht, «sprach Athos.»Kommen wir auf meinen Gedanken zurück.«—»Ich wünschte jedoch zu begreifen, «sprach Porthos. — »Das ist unnöthig!«—»Ja, ja, den Gedanken von Athos!«riefen d'Artagnan und Aramis zugleich. — »Diese Mylady, diese Frau, dieses Geschöpf, dieser Teufel, hat, wie Ihr mir, glaube ich, sagtet, einen Schwager, d'Artagnan?«—»Ja, ich kenne ihn genau, und ich bin überzeugt, daß er keine große Sympathie für seine Schwägerin hegt.«—»Das ist nicht schlimm, «antwortete Athos,»und es wäre sogar das Beste, wenn er sie haßte und verabscheute.«—»In diesem Falle sind wir nach Wunsch bedient.«—»Indessen möchte ich doch einsehen, «sprach Porthos,»was Grimaud macht.«—»Stille, Porthos, «sagte Aramis. — »Wie heißt dieser Schwager?«—»Lord Winter.«—»Wo hält er sich gegenwärtig auf?«—»Er ist bei dem ersten Kriegslärm nach London zurückgekehrt.«—»Nun, das ist gerade der Mann, den wir brauchen, «sagte Athos.»Er ist es, den wir von dem, was vorgeht, in Kenntniß setzen müssen. Wir lassen ihn wissen, daß seine Schwägerin im Begriffe ist, Jemand zu ermorden, und bitten ihn, sie nicht aus dem Gesicht zu verlieren. Es giebt in London hoffentlich Anstalten nach Art der Madelonetten oder der reuigen Schwestern. Er läßt seine Schwägerin dahin bringen und wir sind ruhig.«—»Ja, «sagte d'Artagnan,»bis sie wieder heraus ist.«—»Ah meiner Treu, Ihr verlangt zu viel, d'Artagnan, «sagte Athos,»ich habe Euch Alles gegeben, was ich besaß, und leugne nicht, daß ihr meinem Sack auf den Grund gekommen seid.«—»Ich meines Theils, «sagte Aramis,»halte es für das Beste, wir setzen die Königin und Lord Winter zugleich in Kenntniß.«—»Ja aber durch wen lassen wir den Brief nach Tours und den nach London tragen?«—»Ich stehe für Bazin, «sagte Aramis. — »Und ich für Planchet, «fügte d'Artagnan bei. — »In der That, «sprach Porthos,»wenn wir das Lager nicht verlassen können, so können es doch wenigstens unsere Lakaien verlassen.«—»Allerdings, «bemerkte Aramis,»noch heute schreiben wir die Briefe, geben ihnen Geld und sie gehen ab.«—»Wir geben ihnen Geld?«fragte Athos.»Ihr habt also Geld?«
Die vier Freunde schauten sich an, und eine Wolke zog über ihre Stirne hin.
«Geschwind!«rief d'Artagnan.»Ich sehe schwarze und rothe Punkte, die sich da unten bewegen. Was spracht Ihr von einem Regiment, Athos? Es ist ein wahres Heer.«
«In der That, da kommen sie. Seht, die Duckmäuser! Sie rücken ohne Trommel und Trompete heran. Bist Du fertig, Grimaud?«
Grimaud machte ein bejahendes Zeichen und deutete aus ein Dutzend Todte, die er in den pittoreskesten Stellungen aufgepflanzt hatte. Die Einen hatten ihre Gewehre geschultert, die Andern sahen aus, als schlügen sie an, wieder Andere hielten den Degen in der Faust.
«Bravo!«rief Athos,»das macht Deiner Einbildungskraft Ehre!«
«Das ist ganz gleichgültig, «sagte Porthos,»ich möchte jedoch wissen, zu was er sich solche Mühe gegeben.«
«Machen wir uns vorerst aus dem Staube, «erwiederte d'Artagnan.
«Einen Augenblick, meine Herren, einen Augenblick, gönnen wir Grimaud Zeit, abzutragen.«
«Ah!«sagte Aramis,»seht, die schwarzen Punkte und die rothen Punkte werden sichtbar größer, und ich bin der Meinung d'Artagnans. Ich glaube, daß wir keine Zeit zu verlieren haben, um das Lager wieder zu erreichen.«
«Meiner Treu, «sprach Athos,»ich habe nichts gegen den Rückzug einzuwenden. Wir haben auf eine Stunde gewettet, und sind anderthalb Stunden geblieben. Das ist mehr als genug. Vorwärts, meine Herren!«
Grimaud war schon mit dem Korbe vorausgegangen.
Die vier Freunde gingen hinter ihm hinaus und machten etwa zehn Schritte, als ihnen Athos zurief:
«Meine Herren! was machen wir?«
«Hast Du etwas vergessen?«fragte Aramis.
«Die Fahne! Mord und Teufel! Man darf keine Fahne in den Händen des Feindes lassen, selbst wenn es eine Serviette ist.«
Und Athos stürzte in die Bastei, erstieg die Plattform und nahm die Fahne ab. Als aber die Rocheller in Schußweite gelangt waren, eröffneten sie ein furchtbares Feuer auf diesen Mann, der sich gleichsam zum Vergnügen den Schüssen auszusetzen schien.
Doch man hätte glauben sollen, Athos würde durch einen Zauber beschützt; die Kugeln flogen zischend um ihn her, keine einzige berührte seine Person.
Athos schwang seine Fahne, indem er den Leuten von der Stadt den Rücken zukehrte und die im Lager begrüßte.
Von zwei Seiten erscholl ein mächtiges Geschrei, von der einen Seite ein Geschrei der Wuth, von der andern ein Geschrei der Begeisterung.
Eine zweite Ladung folgte der ersten, und drei Kugeln durchlöcherten die Serviette und machten wirklich eine Fahne aus ihr.
Das ganze Lager rief:»Steigt herab, steigt herab!«
Athos stieg herab; seine Kameraden, welche ängstlich seiner harrten, sahen ihn zu ihrer großen Freude wieder erscheinen.
«Vorwärts, Athos, vorwärts!«rief d'Artagnan,»ziehen wir uns zurück; jetzt, da wir Alles gefunden haben, wäre es thöricht, wenn wir uns töten ließen.«
Aber Athos fuhr fort, majestätisch einherzumarschiren; und da seine Gefährten sahen, daß jede Bemerkung fruchtlos war, so regelten sie ihren Gang nach dem seinigen.
Grimaud und sein Korb waren vorausmarschirt und befanden sich beide außerhalb des Bereichs eines Angriffes.
Nach einem Augenblick vernahm man das Gekrache eines furchtbaren Gewehrfeuers.
«Was ist das?«fragte Porthos,»und wonach schießen sie? Ich höre die Kugeln nicht pfeifen, und sehe Niemand.«
«Sie schießen nach unsern Todten, «antwortete Athos.»Aber unsere Todten werden nicht antworten.«
«Ganz richtig, dann glauben sie an einen Hinterhalt, beratschlagen, schicken einen Parlamentär ab, und wenn sie den Spaß gewahr werden, sind wir außer dem Bereich der Kugeln. Es ist daher unnöthig, uns durch große Eile ein Seitenstechen zuzuziehen.«
«O! ich begreife, «sprach Porthos erstaunt.
«Das ist ein Glück, «sagte Athos, die Achseln zuckend.
Als die Franzosen ihre vier Freunde im Schritt zurückkommen sahen, erhoben sie ein Freudenschrei.
Endlich vernahm man ein neues Musketenfeuer, die Kugeln prallten dießmal an den Kieselsteinen um die vier Freunde her auf und zischten unheilschwanger in ihre Ohren. Die Rocheller hatten sich der Bastei bemächtigt.
«Das sind sehr ungeschickte Leute, «sagte Athos.»Wie viel haben wir getödtet?«—»Zwölf bis fünfzehn.«—»Wie viel haben wir niedergeschmettert?«—»Acht bis zehn.«—»Für Alles dies nicht einmal eine Schramme! Doch was habt Ihr an der Hand, d'Artagnan? Blut, wie es mir scheint!«—»Es ist nichts, «erwiderte d'Artagnan. — »Eine verlorene Kugel!«—»Nicht einmal.«—»Was ist es denn?«
Athos liebte d'Artagnan wie sein eigenes Kind und dieser düstere und unbeugsame Charakter hegte zuweilen, wie wir schon früher bemerkten, eine wahrhaft väterliche Sorge für den jungen Mann.
«Eine Verletzung der Haut«, antwortete d'Artagnan,»meine Finger sind zwischen zwei Steine gekommen, zwischen den der Mauer und den meines Ringes, da öffnete sich die Haut.«
«Das kommt davon her, daß man Diamanten trägt, «sprach Athos verächtlich.
«Ah! wirklich, «rief Porthos,»er besitzt einen Diamant? Und warum des Teufels klagen wir, daß wir kein Geld haben, da er einen Diamant besitzt?«
«Ganz richtig, «sagte Aramis.
«Das ist gut. Porthos, diesmal habt Ihr einen Gedanken.«
«Ganz gewiß, «sprach Porthos, sich bei dem Komplimente von Athos brüstend,»da er einen Diamant hat, so wollen wir ihn verkaufen.«
«Aber es ist der Diamant der Königin, «entgegnete d'Artagnan.
«Ein Grund mehr, «versetzte Athos.»Die Königin rettet Herrn von Buckingham, ihren Liebhaber, nichts ist billiger; die Königin rettet uns, ihre Freunde, nichts ist moralischer. Verkaufen wir den Diamant. Was denkt der Herr Abbé hierüber? Ich frage Porthos nicht um seine Meinung; er hat sie bereits ausgesprochen.«
«Ich denke, «antwortete Aramis erröthend,»daß d'Artagnan, da sein Ring nicht von einer Geliebten kommt und folglich kein Liebespfand ist, denselben verkaufen kann.«
«Mein Lieber, Ihr sprecht wie die leibhaftige Theologie. Es ist also Euer Rath?…«
«Den Diamant zu verkaufen, «erwiderte Aramis.
«Gut!«rief d'Artagnan heiter.»Verkaufen wir den Diamant und sprechen wir nicht mehr davon.«
Das Gewehrfeuer dauerte fort, aber die Freunde befanden sich außerhalb der Schußweite und die Rocheller schossen nur, um ihr Gewissen zu entlasten.
«Meiner Treu, es war Zeit, daß Porthos auf diese Idee kam: wir sind im Lager. Also, meine Herren, kein Wort mehr von der ganzen Geschichte. Man bemerkt uns, man kommt uns entgegen; man wird uns im Triumphe hineintragen!«
In der That war, wie wir bemerkt haben, das ganze Lager in Bewegung. Mehr als zweitausend Personen hatten die glückliche Prahlerei der vier Freunde, deren wahre Ursache man nicht im entferntesten errieth, wie ein Schauspiel betrachtet. Man hörte nichts als den Ruf:»Es leben die Garden! Es leben die Musketiere!«Herr von Busigny war der erste, der herbei kam, um Athos die Hand zu drücken und die Wette für verloren zu erklären. Der Schweizer und der Dragoner ahmten ihm nach und alle Kameraden folgten dem Schweizer und dem Dragoner. Das Händedrücken, Glückwünschen, Umarmen wollte kein Ende nehmen, es entstand ein unauslöschliches Gelächter über die Rocheller und der Tumult nahm dermaßen zu, daß der Herr Kardinal, in der Meinung, es sei ein Aufruhr ausgebrochen, La Houdinière, den Kapitän seiner Leibwachen, abschickte, um sich zu erkundigen, was vorging.
Man erzählte ihm die Sache mit dem ganzen Feuer der Begeisterung.
«Nun?«fragte der Kardinal, als er La Houdinière zurückkommen sah.
«Monseigneur, «erwiderte dieser,»drei Musketiere und ein Garde haben mit Herrn von Busigny gewettet, in der Bastei Saint Gervais zu frühstücken; sie hielten zwei Stunden gegen den Feind aus und tödteten, ich weiß nicht wie viele Rocheller.«
«Habt Ihr nach den Namen der drei Musketiere gefragt?«
«Ja, Monseigneur.«
«Wie heißen sie?«
«Es sind die Herren Athos, Porthos und Aramis.«
«Immer meine drei Braven, «murmelte der Kardinal.»Und der Garde?«
«Herr d'Artagnan.«
«Immer mein junger Tollkopf! Diese vier Menschen müssen um jeden Preis mein werden.«
Am Abend desselben Tages sprach der Kardinal mit Herrn von Treville über die That vom Morgen, welche das Gespräch des ganzen Lagers bildete; Herr von Treville, der die Begebenheit aus dem Munde des Helden selbst erfahren hatte, erzählte sie Seiner Eminenz in allen ihren Einzelheiten, ohne die Episode der Serviette zu vergessen.
«Das ist schön, Herr von Treville, «sagte der Kardinal,»ich bitte Euch, verschafft mir diese Serviette, ich lasse drei goldene Lilien darauf sticken und gebe sie Eurer Kompagnie als Standarte.«
«Monseigneur, «erwiederte Herr von Treville,»das wäre eine Ungerechtigkeit gegen die Garden, Herr d'Artagnan gehört nicht mir an, sondern Herrn des Essarts.«
«Gut, so nehmt ihn, «sprach der Kardinal,»es ist nicht mehr als billig, daß die vier braven Militärs, die sich so sehr lieben, in einer Kompagnie dienen.«
An demselben Abend theilte Herr von Treville diese gute Botschaft den drei Musketieren und d'Artagnan mit, und lud alle vier auf den andern Tag zum Frühstück ein.
D'Artagnan gerieth außer sich vor Freude. Musketier zu sein war, wie man weiß, der Traum seines ganzen Lebens.
Auch die drei Freunde waren sehr erfreut.
«Meiner Treu, «sprach d'Artagnan zu Athos,»Da hast einen glorreichen Gedanken gehabt, und wir erlangten dabei Ruhm, wie Du sagtest, und konnten eine höchst wichtige Unterredung halten.«
«Die wir jetzt wieder aufnehmen können, wann es uns beliebt, denn mit Gottes Hülfe werden wir von nun an für Kardinalisten gelten.«
An demselben Abend machte d'Artagnan Herrn des Essarts seine Aufwartung, um ihm sein Avancement mitzutheilen.
Herr des Essarts, der d'Artagnan sehr gewogen war, bot diesem seine Dienste an, denn die Korps-Veränderung hatte bedeutende Equipirungskosten zur Folge.
D'Artagnan schlug das Anerbieten aus, aber er wollte die gute Gelegenheit benützen und bat ihn, den Diamant schätzen zu lassen, den er ihm zustellte und den er zu Geld zu machen wünschte.
Am andern Morgen um acht Uhr trat der Bediente des Herrn des Essarts bei d'Artagnan ein und übergab ihm einen Sack mit siebentausend Franken. Dies war der Preis für den Diamant der Königin.
XX. Familien-Angelegenheit
Athos hatte das rechte Wort gefunden: man mußte aus der Angelegenheit Buckinghams eine Familien-Angelegenheit machen. Eine Familien-Angelegenheit war nicht der Nachforschung des Kardinals unterworfen. Eine Familien-Angelegenheit ging Niemand etwas an. Man konnte sich vor der ganzen Welt mit einer Familien-Angelegenheit beschäftigen.
Aramis hatte den Gedanken gefunden: die Lakaien.
Porthos hatte das Mittel gefunden: den Diamant.
D'Artagnan allein hatte nichts gefunden, obschon er sonst der erfindungsreichste unter den vier Freunden war, aber man muß auch bemerken, daß schon der Name Mylady ihn lähmte. Doch wir täuschen uns, er hatte einen Käufer für seinen Diamant gefunden.
Bei dem Frühstück des Herrn von Treville herrschte die ungezwungenste Heiterkeit. D'Artagnan hatte bereits seine Uniform. Da er beinahe von demselben Wuchse war, wie Aramis, und da Aramis in Folge des reichlichen Honorars von dem Buchhändler, der ihm sein Gedicht abgekauft hatte, wie er behauptet hatte, Alles doppelt besaß, so trat er d'Artagnan eine vollständige Equipirung ab.
D'Artagnan wäre auf dem Höhepunkt seiner Wünsche gestanden, wenn er nicht Mylady wie eine düstere Wolke am Horizont hätte hervortreten sehen.
Nach dem Frühstück kam man überein, sich am Abend in der Wohnung von Athos zu versammeln und dort die Angelegenheit zu Ende zu führen.
D'Artagnan brachte den Tag damit zu, seine Musketier-Uniform in allen Straßen des Lagers zu zeigen.
Am Abend versammelten sich die Freunde zur bestimmten Stunde; es blieben nur noch drei Dinge zu entscheiden:
Was man dem Bruder von Mylady schreiben sollte; Was man der geschickten Person in Tours schreiben sollte; Und welche Bedienten die Briefe besorgen sollten.
Jeder bot den seinigen an. Athos rühmte die Verschwiegenheit Grimauds, der nur sprach, wenn ihm sein Herr den Mund auftrennte; Porthos pries die Kraft Mousquetons, der vier Männer von gewöhnlicher Leibesbeschaffenheit durchprügeln konnte. Aramis vertraute auf die Gewandtheit Bazin's und sprach mit pomphaften Lobeserhebungen von seinem Kandidaten; d'Artagnan endlich hatte ein vollkommenes Zutrauen zu dem Muth Planchets und erinnerte daran, wie er sich in der so kitzeligen Angelegenheit von Boulogne benommen hatte. Diese vier Tugenden stritten lang um den Preis und gaben zu glänzenden Reden Anlaß, die wir in Betracht ihrer Ausdehnung nicht anführen.
«Leider, «sprach Athos,»müßte der, welchen man abschickt, die vier Tugenden vereinigt besitzen.«
«Aber wo ließe sich ein solcher Bediente finden?«
«Nicht zu finden; ich weiß wohl, «antwortete Athos;»nehmt also Grimaud.«
«Nehmt Mousqueton.«
«Nehmt Bazin.«
«Nehmt Planchet. Planchet ist ehrlich und gewandt, das sind schon zwei von den vier Eigenschaften.«
«Meine Herren, «sprach Aramis,»die Hauptsache ist nicht zu ermessen, welcher von unsern vier Bedienten der verschwiegenste, der stärkste, der gewandteste und der muthigste ist; die Hauptsache ist, daß wir ermessen, welcher das Geld am meisten liebt.«
«Was Aramis sagt, ist sehr vernünftig, «versetzte Athos,»man muß auf die Fehler der Menschen spekulieren, und nicht auf ihre Tugenden. Mein Herr Abbé, Ihr seid ein großer Moralist.«
«Allerdings, «erwiederte Aramis,»denn wir bedürfen guter Bedienung, nicht nur damit unser Plan gelingt, sondern daß wir nicht scheitern, weil es sonst um unsre Köpfe geht, nicht um die der Lakaien…«
«Leiser, Aramis, «sagte Athos.
«Das ist wahr, «sprach Aramis,»nicht um die der Lakaien, sondern um die der Herren. Sind uns unsere Bedienten so sehr ergeben, daß sie das Leben für uns wagen? Nein.«
«Meiner Treu, «entgegnete d'Artagnan,»ich wollte beinahe für Planchet stehen.«
«Gut! mein lieber Freund, so fügt seiner natürlichen Ergebenheit eine schöne Summe bei, wodurch er zu einiger Wohlhabenheit gelangt, und steht dann zweimal für ihn.«
«Eh! guter Gott, Ihr werdet gleichfalls betrogen werden, «sagte Athos, der Optimist war, wenn es sich um Dinge, und Pessimist, wenn es sich um Menschen handelte;»sie werden Alles versprechen, um Geld zu bekommen, und unterwegs wird sie die Furcht abhalten zu handeln. Sind sie einmal gefangen, so bindet man sie; sind sie gebunden, so gestehen sie. Was Teufels, wir sind keine Kinder! Um nach England zu gehen (Athos dämpfte seine Stimme), muß man ganz Frankreich durchreisen, während das Land von Spionen und Kreaturen des Kardinals wimmelt; man muß einen Paß haben, um sich einzuschiffen; man muß Englisch verstehen, um den Weg nach London zu erfragen. Mir kommt die Sache sehr schwierig vor.«
«Keineswegs, «entgegnete d'Artagnan, dem Alles daran lag, die Sache durchzusetzen;»mir kommt sie im Gegentheil ganz leicht vor. Es versteht sich, bei Gott! von selbst, daß, wenn man an Lord Winter von niederträchtigen Dingen, von Abscheulichkeiten des Kardinals…«
«Leiser, «ermahnte Athos.
«Von Intriguen und Staatsgeheimnissen schriebe, «fuhr d'Artagnan sich der Ermahnung fügend fort,»es versteht sich, sage ich, dann von selbst, daß wir bei lebendigem Leibe gerädert würden, aber vergeßt doch um Gottes willen nicht, daß wir ihm, wie Ihr selbst gesagt habt, Athos, in Familienangelegenheiten schreiben, daß wir uns einzig und allein an ihn wenden, damit er Mylady bei ihrer Ankunft in London außer Stand setzt, uns zu schaden. Ich werde ihm einen Brief ungefähr in folgenden Ausdrücken schreiben.«
«Laßt hören, «sagte Aramis und nahm zum Voraus das Gesicht eines Kritikers an.
«Mein Herr und theuer Freund…«
«Ah! ja, theurer Freund, an einen Engländer!«unterbrach ihn Athos.»Gut angefangen, d'Artagnan, schon wegen dieses einzigen Wortes würdet Ihr geviertheilt, statt gerädert.«
«Wohl, es sei, ich werde also ganz kurz»»Mein Herr««sagen.«
«Ihr könnt sogar Mylord sagen, «erwiederte Athos, der große Stücke auf derartige Äußerlichkeiten hielt.
«Mylord, erinnert Ihr Euch des kleinen Ziegengeheges beim Luxemburg?«
«Gut! jetzt kommt der Luxemburg, man wird glauben, es sei eine Anspielung auf die Königin Mutter! das ist geistreich!«sprach Athos.
«Wohl, setzen wir ganz einfach: Mylord, erinnert Ihr Euch eines gewissen kleinen Geheges, wo man Euch das Leben gerettet hat?«
«Mein lieber d'Artagnan, «sprach Athos,»Ihr werdet stets ein sehr schlechter Briefsteller sein. Wo man Euch das Leben rettete! pfui! das ist nicht würdig; einen anständigen Mann erinnert man nicht an dergleichen Dienste; eine Wohlthat vorwerfen heißt beleidigen.«
«Ah! mein Lieber, «erwiederte d'Artagnan,»Ihr seid unerträglich, und wenn ich unter Eurer Censur schreiben muß, so verzichte ich darauf.«
«Und daran thut Ihr wohl. Handhabt die Muskete und den Degen, mein Freund, bei solchen Uebungen benehmt Ihr Euch vortrefflich; aber überlaßt die Feder dem Herrn Abbé, das ist seine Sache.«
«Ja gewiß, «sprach Porthos,»überlaßt die Feder Aramis, der Thesen in lateinischer Sprache schreibt.«
«Nun wohl, es sei, «sagte d'Artagnan,»entwerft Ihr diesen Brief, Aramis; aber im Namen des heiligen Vaters! nehmt Euch wohl in Acht, ich hechle Euch ebenfalls durch, das sage ich Euch zum Voraus.«
«Das ist mir äußerst angenehm, «antwortete Aramis mit dem naiven Selbstvertrauen, das jeder Dichter besitzt;»aber man theile mir die betreffenden Umstände mit. Ich habe wohl beiläufig gehört, diese Schwägerin sei eine schurkische Person, ich habe sogar selbst den Beweis hiefür erhalten, als ich ihre Unterredung mit dem Kardinal hörte…«
«Leiser, Donner und Teufel!«sprach Athos.
«Aber, «fuhr Aramis fort,»die Einzelheiten sind mir nicht bekannt.«
«Mir auch nicht, «sagte Porthos.
D'Artagnan und Athos schauten sich einige Zeit stillschweigend an. Endlich, als sich Athos etwas gesammelt hatte, machte er, noch bleicher als gewöhnlich, ein Zeichen der Einwilligung. D'Artagnan begriff, daß er sprechen konnte.
«Wohl, so hört, was zu schreiben ist, «versetzte d'Artagnan,»Mylord, Eure Schwägerin ist eine Schändliche, die Euch tödten lassen wollte, um Euch zu beerben; aber sie konnte Euern Bruder nicht heirathen, da sie schon in Frankreich verheirathet war und…«d'Artagnan hielt inne, als ob er nach dem Worte suchte, und schaute Athos an. — »Von ihrem Gatten fortgejagt wurde, «sagte Athos. — »Weil sie gebrandmarkt war, «fuhr d'Artagnan fort. — »Bah!«rief Porthos,»unmöglich! Sie wollte ihren Schwager tödten lassen?«—»Ja.«—»Sie war verheirathet?«fragte Aramis. — »Ja.«—»Und ihr Gatte bemerkte, daß sie eine Lilie auf der Schulter hatte?«rief Porthos. — »Ja.«
Diese drei Ja wurden von Athos, jedes mit düsterer Betonung ausgesprochen.
«Und wer hat die Lilie gesehen?«fragte Aramis. — »D'Artagnan und ich, oder vielmehr, um die chronologische Ordnung zu beobachten, ich und d'Artagnan, «antwortete Athos. — »Und der Gatte dieses abscheulichen Geschöpfes lebt noch?«sprach Aramis. — »Er lebt noch.«—»Ihr wißt es gewiß?«—»Ich weiß es gewiß.«
Es herrschte ein kurzes Stillschweigen, während dessen jeder die Eindrücke nach seiner eigentümlichen Natur in sich verarbeitete.
«Diesmal, «sagte Athos, das Stillschweigen zuerst unterbrechend,»diesmal hat uns d'Artagnan ein vortreffliches Programm gegeben, und das muß man vor Allem schreiben.«
«Teufel, Ihr habt Recht, Athos, «versetzte Aramis,»und der Entwurf ist kitzelig. Der Herr Kanzler käme selbst in Verlegenheit, wenn er einen Brief von dieser Wichtigkeit abfassen müßte, und der Herr Kanzler faßt doch ein Protokoll sehr gut ab. Doch gleich viel, schweigt, ich schreibe.«
Aramis nahm eine Feder, dachte einen Augenblick nach, schrieb acht bis zehn Zeilen mit einer zierlichen Frauenhandschrift, und las sodann mit weicher Stimme, als ob jedes Wort ängstlich von ihm erwogen worden wäre, wie folgt:
«Mylord,
«Die Person, welche Euch diese Zeilen schreibt, hat die Ehre gehabt, den Degen in einem kleinen Gehege der Rue d'Enfer mit Euch zu kreuzen. Da Ihr seitdem wiederholt die Güte hattet. Euch den Freund dieser Person zu nennen, so glaubt sie Euch für diese Freundschaft durch einen guten Rath danken zu müssen. Zweimal wäret Ihr beinahe das Opfer einer nahen Verwandten geworden, die Ihr für Eure Erbin haltet, weil Ihr nicht wißt, daß sie, ehe sie in England eine Ehe eingegangen hatte, bereits in Frankreich verheirathet war; aber das dritte Mal, das Euch jetzt bevorsteht, könntet Ihr unterliegen. Eure Verwandte ist von La Rochelle nach England abgereist. Ueberwacht ihre Ankunft, denn sie hat große, furchtbare Pläne. Wenn ihr durchaus wissen wollt, was sie zu thun fähig ist, so lest ihre Vergangenheit auf ihrer linken Schulter.«
«Das ist vortrefflich, «rief Athos.»Ihr habt die Feder eines Staatssekretärs, mein lieber Aramis. Lord Winter wird wohl auf seiner Hut sein, wenn der Rath überhaupt zu ihm gelangt, und fiele er in die Hände seiner Eminenz, so dürften wir dadurch nicht gefährdet werden. Da jedoch der Bediente, dem die Besorgung übertragen wird, uns glauben machen könnte, er sei in London gewesen, während er in Chatelleraut angehalten hat, so wollen wir ihm nur die Hälfte der Summe geben und die andere Hälfte für die Antwort versprechen. Habt Ihr den Diamant?«fuhr Athos fort.
«Ich habe etwas Besseres, ich habe das baare Geld, «antwortete d'Artagnan.
Und er warf den Sack auf den Tisch. Beim Klange des Goldes schlug Aramis die Augen auf. Porthos bebte, Athos blieb unempfindlich.
«Wie viel ist in diesem Säckchen?«sagte er.
«Siebentausend Livres in Louisd'or zu zwölf Franken.«
«Siebentausend Livres!«rief Porthos;»dieser schlechte, kleine Diamant war siebentausend Livres werth!«
«Es scheint, Porthos, da sie hier liegen; ich glaube nicht, daß unser Freund d'Artagnan von dem seinigen dazu gethan hat.«
«Aber, meine Herren, bei allem dem denken wir gar nicht an die Königin; sorgen wir doch auch ein wenig für die Gesundheit ihres lieben Buckingham, das sind wir ihm mindestens schuldig.«
«Ganz richtig, «sprach Athos,»doch das geht Aramis an.«
«Wohl, «sagte dieser erröthend,»was soll ich thun?«
«Das ist ganz einfach, «antwortete Athos,»einen zweiten Brief an die gewandte Person schreiben, welche in Tours wohnt.«
Aramis nahm die Feder wieder auf, dachte abermals einen Augenblick nach und schrieb folgende Zeilen, die er sogleich der Billigung seiner Freunde unterwarf:
«Meine liebe Base…«
«Ah! ab!«sagte Athos,»diese gewandte Person ist mit Euch verwandt?«
«Geschwisterkind, «sprach Aramis.
«Also Base.«
Aramis fuhr fort:
«Meine liebe Base, Seine Eminenz der Kardinal, den Gott zum Wohle Frankreichs und zur Schmach der Feinde des Reiches erhalten möge, ist auf dem Punkte, den ketzerischen Rebellen von La Rochelle den Garaus zu machen; es ist wahrscheinlich, daß die Hülfe der englischen Flotte nicht einmal vor dem Platz ankommen wird; ich möchte beinahe sagen, ich weiß gewiß, daß Herr von Buckingham durch ein gewisses Ereigniß verhindert sein wird, abzureisen. Seine Eminenz ist der erhabenste Politiker der Vergangenheit, der Gegenwart und wahrscheinlich auch der Zukunft. Er würde die Sonne auslöschen, wenn sie ihn genirte. Theilt diese glücklichen Nachrichten Eurer Schwester mit, meine liebe Base. Ich träumte, der verdammte Engländer wäre tot. Ich weiß nicht mehr, ob durch Eisen oder durch Gift; nur dessen bin ich gewiß, daß er tot war und Ihr wißt, meine Träume täuschen mich nie. Haltet Euch also versichert, mich bald zurückkommen zu sehen.«
«Vortrefflich, «rief Athos;»Ihr seid der König der Dichter, Ihr sprecht wie die Apokalypse und seid wahr wie das Evangelium. Es braucht jetzt nur noch die Adresse auf den Brief gesetzt zu werden.
«Das ist sehr leicht, «sagte Aramis.
Er legte den Brief niedlich zusammen und schrieb:
«An Mademoiselle Michon, Weißnäherin in Tours.«
Die drei Freunde schauten sich lachend an. Sie waren getäuscht.
«Nun begreift Ihr wohl, meine Herren, «sagte Aramis,»daß Bazin allein diesen Brief nach Tours bringen kann. Meine Base kennt nur Bazin und hat nur zu ihm Vertrauen. Bei jedem Andern würde die Sache scheitern. Ueberdies ist Bazin ehrgeizig und gelehrt. Bazin hat die Geschichte gelesen, meine Herren, er weiß, daß Sixtus V. Pabst geworden ist, nachdem er Schweine gehütet, und da er zugleich mit mir zur Kirche übertreten will, so verzweifelt er nicht daran, selbst einmal Pabst oder wenigstens Kardinal zu werden. Ihr begreift, daß ein Mensch, der solche Absichten hegt, sich nicht fangen läßt, oder wenn er gefangen wird, eher das Märtyrerthum erduldet, als daß er spräche.«
«Sehr gut, «sagte d'Artagnan,»ich lasse Euch gerne Bazin gelten, laßt mir dagegen Planchet gelten. Mylady hat ihn einst mit Stockschlägen aus dem Hause gejagt. Planchet aber hat ein gutes Gedächtniß, und wenn er irgendwo eine Rache wittern kann, so würde er sich eher bei lebendigem Leibe rädern lassen, als darauf Verzicht leisten. Sind die Angelegenheiten von Tours die Eurigen, Aramis, so sind die von London die meinigen. Ich bitte also, Planchet zu wählen, welcher überdies schon einmal mit mir in London gewesen ist und ganz deutlich auszusprechen versteht: London, Sir, if you please und my master, Lord d'Artagnan. Mit diesem wird er seinen Weg hin und zurück machen, Ihr könnt ganz unbesorgt sein.«
«In diesem Fall, «sprach Athos,»muß Planchet siebenhundert Livres für die Hinreise und siebenhundert für die Rückreise bekommen, und Bazin dreihundert für die Hinreise und dreihundert für die Rückreise. Dadurch schmilzt die Summe auf fünftausend Livres herab. Wir nehmen jeder Tausend Livres, um sie nach Gutdünken zu verbrauchen, und behalten einen Fonds von tausend Livres übrig, den der Abbé für außerordentliche Fälle oder gemeinschaftliche Bedürfnisse aufbewahrt. Ist Euch dies angenehm?«
«Mein lieber Athos, «sagte Aramis,»Ihr sprecht wie Nestor, der, wie Jedermann weiß, der weiseste der Griechen war.«
«Gut, das ist abgemacht, «versetzte Athos.»Planchet und Bazin werden reisen. Im Ganzen ist es mir nicht leid, daß Grimaud bei mir bleibt. Er ist an meine Art und Weise gewöhnt, und darauf halte ich große Stücke. Der gestrige Tag hat ihn bereits etwas erschüttert, diese Reise würde ihn zu Grund richten.«
Man ließ Planchet kommen und gab ihm seine Instruktionen. Er wurde von d'Artagnan unterrichtet, der ihm zuerst den Ruhm, dann das Geld und endlich die Gefahr ankündigte.
«Ich werde den Brief im Aufschlag meines Rockes tragen, «sagte Planchet,»und ihn verschlingen, wenn man mir ihn nehmen will.«
«Aber dann kannst Du Deinen Auftrag nicht besorgen, «entgegnete d'Artagnan.
«Ihr gebt mir diesen Abend eine Abschrift, die ich auswendig lerne.«
D'Artagnan schaute seine Freunde an, als wollte er sagen:
«Nun, was hatte ich Euch versprochen?«
«Du hast acht Tage, «fuhr er, sich an Planchet wendend, fort,»um zu Lord Winter zu gelangen. Du hast acht Tage, um hieher zurückzukommen. Im Ganzen sechzehn Tage. Wenn Du am sechszehnten Tage nach Deiner Abreise Abends nicht zurückgekommen bist, kein Geld, und wenn es acht Uhr fünf Minuten wäre.«
«Dann kauft mir eine Uhr, gnädiger Herr, «sprach Planchet.
«Nimm diese, «sagte Athos und gab ihm mit seiner sorglosen Großmuth die seinige,»sei ein braver Bursche und bedenke, daß Du, wenn Du plauderst, Schuld bist, daß Deinem Herrn, der so großes Vertrauen auf Deine Treue setzt und für Dich haftete, der Hals abgeschnitten wird. Aber bedenke auch, daß ich Dich, wenn durch Deine Schuld d'Artagnan ein Unglück widerfährt, überall finden werde, um Dir den Bauch aufzuschlitzen.«
«Oh, gnädiger Herr!«sagte Planchet, gedemüthigt durch diesen Verdacht und besonders erschrocken über die ruhige Miene des Musketiers.
«Und ich, «rief Porthos, seine große Augen in ihren Höhlen rollend,»bedenke, daß ich Dich lebendig erdroßle.«
«Oh, gnädiger Herr!«
Und Planchet fing an zu weinen; wir vermögen nicht anzugeben, ob dies aus Schrecken wegen der Drohungen, die man gegen ihn ausstieß, oder aus Rührung darüber geschah, daß er die vier Freunde so enge verbunden sah.
D'Artagnan faßte ihn bei der Hand und sprach:
«Siehst Du, Planchet, diese Herren sagen Dir dies Alles aus Liebe für mich, aber im Grunde sind sie Dir wohl geneigt.«
«Ah, gnädiger Herr, «erwiederte Planchet,»entweder schlage ich mich durch, oder man schneidet mich in Stücke, und wenn man mich in Stücke schneidet, so dürft Ihr überzeugt sein, daß keines davon sprechen wird.«
Es wurde beschlossen, daß Planchet am andern Morgen um acht Uhr abgehen sollte, damit er, wie er gesagt hatte, während der Nacht den Brief auswendig lernen könnte. Bei dieser Anordnung gewann er gerade zwölf Stunden. Er mußte am sechszehnten Tage Abenos acht Uhr zurückgekommen sein.
Als er am andern Morgen zu Pferde steigen wollte, nahm d'Artagnan, der eine gewisse Vorliebe für den Herzog von Buckingham in seinem Innern fühlte, Planchet bei Seite und sprach:
«Höre, wenn Du den Brief Lord Winter zugestellt und er ihn gelesen hat, so sagst Du ihm noch weiter;»»Wacht über Seine Herrlichkeit, Lord Buckingham, denn man will ihn ermorden!««Siehst Du, Planchet, das ist aber so ernst und so wichtig, daß ich es nicht einmal meinen Freunden gestehen wollte; ich vertraue nur Dir dieses Geheimniß an, und ich möchte es nicht für eine Kapitänsstelle niederschreiben.«
«Seid unbesorgt, gnädiger Herr, «sprach Planchet,»Ihr werdet sehen, ob man auf mich zählen kann.«
Und auf einem vortrefflichen Pferd, von dem er sich zwanzig Meilen von da trennen sollte, um die Post zu nehmen, ritt Planchet im Galopp von dannen, das Herz ein wenig gepreßt durch das traurige Versprechen, das ihm die Musketiere gemacht hatten, aber im Ganzen in der besten Stimmung.
Bazin ging am andern Tag nach Tours ab und hatte acht Tage, um seinen Auftrag zu besorgen.
Die vier Freunde hatten, wie man sich leicht denken kann, während der ganzen Dauer dieser zwei Abwesenheiten, mehr als je ihre Augen auf der Lauer, die Nase im Winde und das Ohr im Horchwinkel.
Sie verbrachten ihre Tage damit, daß sie zu erfahren suchten, was man sagte, daß sie die Gänge des Kardinals beobachteten und die ankommenden Couriere ausspähten. Mehr als einmal wurden sie von einer unüberwindlichen Angst befallen, wenn man sie zu irgend einem unerwarteten Dienste rief. Sie hatten sich übrigens zu ihrer eigenen Sicherheit zu hüten: Mylady war ein Gespenst, das, wenn es einmal den Menschen erschienen war, sie nicht mehr ruhig schlafen ließ.
Am Morgen des achten Tages trat Bazin frisch, wie immer, und lächelnd, wie gewöhnlich, in die Schenke zum Parpaillot ein, wo die vier Freunde gerade beim Frühstücke saßen, und sagte, wie dies verabredet war:
«Herr Aramis, hier ist die Antwort Eurer Base.«
Die vier Freunde tauschten einen freudigen Blick aus, die Hälfte des Geschäftes war abgemacht. Allerdings war es die kürzere und leichtere.
Aramis nahm unwillkürlich erröthend den Brief, der von einer plumpen Handschrift und ohne Orthographie war.
«Guter Gott!«rief er lachend,»ich gerathe gewiß noch in Verzweiflung, nie wird die arme Michon wie Herr von Voiture schreiben.«
«Was soll das heißen: die arme Michon?«fragte der Schweizer, welcher, als der Brief ankam, gerade in einem Gespräch mit den vier Freunden begriffen war.
«Oh! mein Gott, weniger als nichts, «antwortete Aramis,»eine kleine reizende Nähterin, die ich sehr lieb habe, und von der ich mir einige Zeilen ihrer Hand als Andenken erbat.«
«Gottes Blut!«rief der Schweizer,»wenn ihre Seele so groß ist, als ihre Handschrift, so sitzt Ihr sehr im Glücke, mein Kamerad.«
«Laßt sehen, was sie mir schreibt, «sagte Athos.
Athos warf einen Blick auf das Papier und laß, um jeden Verdacht zu entfernen, der hätte entstehen können, ganz laut:
«Mein Vetter, meine Schwester und ich, wir errathen die Träume sehr gut und wir haben eine furchtbare Angst davor; aber von Eurem wird man hoffentlich sagen können: Träume Schäume. Adieu! Bleibt gesund und macht, daß wir von Zeit zu Zeit etwas von Euch hören.
Aglaë Michon.«
«Von welchem Traume spricht sie?«fragte der Dragoner.
«Ei, bei Gott!«rief Aramis,»das ist ganz einfach, von einem Traume, den ich gehabt und ihr erzählt habe.«
«Ah ja, bei Gott! Das ist ganz einfach, wenn man seine Träume erzählt. Aber ich, was mich betrifft, ich träume nie.«
«Ihr seid sehr glücklich, «sagte Athos aufstehend,»und ich wollte, ich könnte dasselbe von mir sagen.«
«Nie, «versetzte der Schweizer, entzückt, daß ein Mann wie Athos ihn um etwas beneidete,»nie, nie!«
Als d'Artagnan sah, daß Athos aufstand, machte er es ebenso, nahm ihn beim Arm und ging mit ihm hinaus.
Porthos und Aramis blieben zurück, um den Späßen des Dragoners und des Schweizers die Spitze zu bieten.
Bazin legte sich auf einen Bund Stroh nieder, und da er mehr Einbildungskraft als der Schweizer hatte, so träumte er, Aramis sei Papst geworden und schmücke ihn mit einem Kardinalshut.
Aber Bazin hatte, wie gesagt, durch seine glückliche Rückkehr den vier Freunden nur einen Theil der Unruhe benommen, welche auf ihnen lastete. Die Tage des Wartens sind lang und d'Artagnan besonders hätte gewettet, jeder Tag habe achtundvierzig Stunden.
Er vergaß die nothwendige Langsamkeit der Schifffahrt, er stellte sich die Macht Myladys allzu groß vor, er verlieh dieser Frau, die ihm einem Dämon ähnlich zu sein schien, übernatürliche Mittel; er bildete sich bei dem geringsten Geräusche ein, man komme, um ihn zu verhaften, und bringe Planchet herbei, um ihn mit ihm und seinen Freunden zu confrontiren. Diese Unruhe war so groß, daß sie auch Porthos und Aramis ergriff; nur Athos blieb unempfindlich. Er war, als ob es gar keine Gefahr um ihn her gäbe und als ob er seine gewöhnliche Atmosphäre athmete.
Am sechszehnten Tage besonders wurden diese Zeichen der Aufregung bei d'Artagnan und seinen zwei Freunden so sichtbar, daß sie nicht am Platze bleiben konnten und wie Schatten auf dem Wege umherirrten, auf welchem Planchet zurückkehren sollte.
«Wahrlich, «sagte Athos zu ihnen,»Ihr seid Kinder, daß Euch eine Frau so bange macht. Ei, was kann denn am Ende geschehen? Daß man uns einsperrt? Man wird uns auch wieder aus dem Gefängnisse ziehen, wie man Madame Bonacieux herausgezogen hat. Daß man uns enthauptet? Jeden Tag setzen wir uns im Laufgraben noch viel Schlimmerem aus, denn eine Kugel kann uns das Bein zerschmettern und ich bin überzeugt, daß uns ein Wundarzt bei Weitem größere Schmerzen verursacht, wenn er uns den Schenkel abschneidet, als ein Henker, wenn er uns den Kopf abschlägt. Seid also ruhig: in zwei Stunden, in vier, in sechs Stunden spätestens wird Planchet hier sein; denn er hat einzutreffen versprochen, und ich setze großes Vertrauen auf die Versprechungen Planchets.«
«Aber wenn er nicht kommt?«fragte d'Artagnan.
«Wenn er nicht kommt, nun so wird er aufgehalten worden sein. Das Pferd kann ihn abgeworfen haben, es kann einen Sprung über die Brücke gemacht haben, er kann so rasch gelaufen sein, daß er eine Brustentzündung bekommen hat. Ei, meine Herren, wir müssen auch die Ereignisse in Rechnung bringen. Das Leben ist ein großer Rosenkranz von kleinen Unglücksfällen, die der Philosoph lachend abkörnt. Seid Philosophen, wie ich, meine Herren, setzt Euch zu Tische und trinkt. Nichts läßt die Zukunft so rosenfarbig erscheinen, als wenn man sie durch ein Glas Chambertin anschaut.«
«Das ist sehr gut, «antwortete d'Artagnan,»aber ich bin es müde, bei jedem Schluck fürchten zu müssen, der Wein könnte aus Myladys Keller kommen.«
«Ihr seid sehr heikel, «sagte Athos,»eine so schöne Frau!«
«Eine Gebrandmarkte!«rief Porthos mit seinem plumpen Lachen.
Athos bebte, strich mit der Hand über die Stirne, um den Schweiß abzutrocknen, und stand ebenfalls mit einem Nervenzittern auf, das er nicht zu bewältigen vermochte.
Der Tag ging indessen hin und der Abend kam noch langsamer heran, aber er kam doch endlich; die Trinkstuben füllten sich mit Gästen. Athos, der seinen Antheil an dem Diamant in die Tasche gesteckt hatte, verließ den Parpaillot nicht mehr. Er fand in Herrn von Busigny, der ihnen übrigens ein vortreffliches Mittagsmahl gegeben hatte, einen würdigen Partner. Sie spielten wie gewöhnlich miteinander, als es sieben Uhr schlug: man hörte die Patrouillen vorüberziehen, welche die Posten verdoppelten. Um halb acht Uhr wurde Retraite geschlagen.
«Wir sind verloren, «sagte d'Artagnan Athos in das Ohr.
«Ihr wollt sagen: wir haben verloren, «erwiderte Athos ruhig und warf zehn Louisd'or auf den Tisch, die er aus seiner Tasche gezogen hatte.»Auf, meine Herren, «fuhr er fort;»man schlägt die Retraite, gehen wir schlafen.«
Athos verließ den Parpaillot, von d'Artagnan gefolgt. Aramis gab Porthos den Arm und kam hinter ihnen. Aramis kaute Verse und Porthos riß sich von Zeit zu Zeit ein Haar aus dem Schnurrbart als Zeichen der Verzweiflung.
Aber plötzlich zeigte sich in der Dunkelheit ein Schatten, dessen Form d'Artagnan bekannt war und eine Stimme sagte:
«Gnädiger Herr, ich bringe Euch Euern Mantel, denn es ist frisch heute Abend.«
«Planchet!«rief d'Artagnan trunken vor Freude.
«Planchet!«riefen Porthos und Aramis.
«Ja wohl, Planchet!«sagte Athos.»Was ist darüber zu staunen? Er hatte versprochen, um acht Uhr zurückzukommen, und eben schlägt es acht Uhr. Bravo, Planchet, Ihr seid ein Mann von Wort, und wenn Ihr je Euern Herrn verlaßt, so nehme ich Euch in meine Dienste.«
«Oh! nein, nie, «sagte Planchet,»nie verlasse ich Herrn d'Artagnan.«
Und in demselben Augenblick fühlte d'Artagnan, daß ihm Planchet ein kleines Billet in die Hand schob.
D'Artagnan hatte große Lust, seinen Planchet zu umarmen, aber er fürchtete, dieses Freundschaftszeichen gegen seinen Lakaien auf offener Straße könnte einem Vorübergehenden auffallend erscheinen, und er hielt sich zurück.
«Ich habe das Billet, «sagte er zu Athos und zu seinen Freunden.
«Das ist gut, «sprach Athos,»kehren wir nach Hause und lesen wir es.«
Das Billet brannte d'Artagnan in der Hand. Er wollte seinen Marsch beschleunigen; aber Athos nahm ihn beim Arme, faßte ihn fest, und der junge Mann war genöthigt, gleichen Schritt mit seinem Freunde zu halten.
Endlich trat man in das Zelt ein und zündete eine Lampe an. Während Planchet bei der Thüre blieb, damit die vier Freunde nicht überrascht würden, erbrach d'Artagnan mit zitternder Hand das Siegel und öffnete den so sehnsüchtig erwarteten Brief.
Er enthielt eine halbe Zeile von ächt brittischer Handschrift und lakonischer Gedrängtheit:
«Thank you! be easy. «Was sagen sollte:»Ich danke, seid ruhig.«
Athos nahm d'Artagnan den Brief aus den Händen, näherte ihn der Lampe, brannte ihn an und ließ ihn nicht aus dem Auge bis er in Asche verwandelt war.
Dann rief er Planchet und sagte:
«Nun, mein Junge, kannst Du die siebenhundert Livres fordern; aber Du wagtest nicht viel mit einem Billet wie dieses hier.«—»Das hielt mich nicht ab, alle möglichen Mittel zu ersinnen, um es zu bewahren, «sprach Planchet. — »Nun erzähle uns, «sagte d'Artagnan. — »Das wäre in der That sehr weitschweifig, gnädiger Herr.«—»Du hast Recht, Planchet; überdies hat man die Retraite geschlagen, und es könnte auffallen, wenn wir länger Licht behielten, als die Anderen.«—»Es sei, «sagte d'Artagnan,»legen wir uns nieder; schlaf wohl, Planchet.«
«Meiner Treu, gnädiger Herr, das ist das erste Mal seit vierzehn Tagen.«—»Bei mir auch!«sagte d'Artagnan. — »Bei mir auch!«sagte Porthos. — »Bei mir auch!«sagte Aramis. — »Nun, soll ich Euch die Wahrheit gestehen? Bei mir auch, «sagte Athos.
XXI. Widerwärtigkeiten
Außer sich vor Zorn, auf dem Verdecke wie eine Löwin schnaubend, die man einschifft, war Mylady mittlerweile versucht gewesen, sich in das Meer zu stürzen, um die Küste wieder zu erreichen; denn sie konnte den Gedanken nicht fassen, daß sie von d'Artagnan beleidigt, von Athos bedroht worden war, und Frankreich verlassen sollte, ohne sich an ihnen zu rächen. Bald wurde dieser Gedanke ihr so unerträglich, daß sie auf die Gefahr, was auch Furchtbares daraus entstehen möchte, den Kapitän bat, sie an das Ufer zu setzen; aber zwischen die französischen und englischen Kreuzer, wie die Fledermaus zwischen die Ratten und Vögel gestellt, lag dem Kapitän Alles daran, so bald als möglich nach England zu gelangen. Er weigerte sich also hartnäckig, einem Ansinnen zu gehorchen, das er für eine Frauenlaune hielt, wobei er jedoch seiner Passagierin, die ihm von dem Kardinal besonders empfohlen war, versprach, daß er sie, wenn es das Meer und die Franzosen erlauben, in einem der Häfen der Bretagne, entweder in Lorient oder in Brest, an das Ufersetzen wolle. Aber das Meer war schlimm und der Wind conträr; man mußte laviren und verlor viel Zeit. Erst neun Tage nachdem man aus der Charente ausgelaufen war, sah Mylady, ganz bleich vor Aerger und Zorn, das bläuliche Gestade von Finisterre.
Sie berechnete, daß es wenigstens drei Tage bedürfe, um diese Ecke von Frankreich zu umschiffen und wieder in die Nähe des Kardinals zu gelangen. Hiezu einen Tag für das Ausschiffen gerechnet, machte vier Tage. Fügte sie zu diesen vier Tagen die neun anderen, so kamen dreizehn verlorene Tage heraus, dreizehn Tage, während welcher so viele wichtige Ereignisse in London vorfallen konnten. Sie bedachte, daß der Kardinal ohne Zweifel über ihre Rückkehr wüthend sein würde und folglich viel mehr geneigt wäre, den Klagen Gehör zu schenken, die man gegen sie führen, als den Anschuldigungen, welche sie gegen Andere vorbringen würde. Sie ließ also Lorient und Brest vorübergehen, ohne daß sie bei dem Kapitän auf ihrem Willen beharrte, und dieser hütete sich seinerseits wohl, sie darin zu bestärken. Mylady setzte also ihre Reise fort, und an demselben Tage, wo sich Planchet in Portsmouth nach Frankreich einschiffte, lief die Botin Seiner Eminenz triumphirend in dem Hafen ein.
Die ganze Stadt war in einer außerordentlichen Bewegung. Vier große, in den letzten Tagen erst fertig gewordene Schiffe hatte man vom Stapel laufen lassen. Buckingham stand, mit Gold verbrämt, seiner Gewohnheit gemäß von Diamanten und Edelsteinen funkelnd, den Hut mit einer Feder geschmückt, welche auf seine Schultern herabfiel, von seinem glänzenden Generalstab umgeben, auf dem Hafendamme.
Es war einer von den schönen, seltenen Sommertagen, wo England sich erinnert, daß es eine Sonne gibt. Das bleiche, aber immer noch schimmernde Gestirn ging am Horizont unter, übergoß den Himmel und die See mit Feuerstreifen und warf auf die Thürme und alten Gebäude der Stadt einen letzten goldenen Strahl, der die Scheiben wie der Reflex eines Brandes funkeln machte. Als Mylady diese, in der Nähe des Landes lebhaftere balsamischere Seeluft einathmete, und die ganze Macht dieser Vorbereitungen, welche sie zu zerstören beauftragt war, die ganze Kraft dieses Heeres betrachtete, das sie allein bekämpfen sollte, sie allein mit einigen Säcken Goldes, da verglich sie sich im Geiste mit Judith, der furchtbaren Jüdin, als sie in das Lager der Assyrer drang und die ungeheure Masse von Wagen, Pferden, Menschen und Waffen erblickte, welche eine Bewegung ihrer Hand wie eine Rauchwolke zerstreuen sollte.
Man lief in die Rhede ein; aber als man sich anschickte, daselbst Anker zu werfen, näherte sich ein kleiner, furchtbar bemannter Kutter dem Handelsschiffe und ließ ein Boot in das Meer setzen, das sich sogleich nach der Leiter wandte. Der Offizier allein stieg an Bord, wo er mit der Achtung aufgenommen wurde, welche die Uniform einflößt.
Der Offizier unterhielt sich einige Augenblicke mit dem Patron, ließ ihn einige Papiere lesen, die er bei sich trug, und alle aus dem Schiff befindliche Personen, Matrosen und Passagiere wurden aus das Verdeck gerufen. Als dieser Aufruf geschehen war, fragte der Offizier ganz laut nach dem Auslaufpunkte der Brigg, nach ihrer Route, nach ihren Landungen, und alle diese Fragen wurden von dem Kapitän ohne Zögern und ohne Schwierigkeit beantwortet. Dann ließ der Offizier alle Personen, eine nach der andern, Revue passiren, und als die Reihe an Mylady kam, betrachtete er sie äußerst aufmerksam, aber ohne ein einziges Wort an sie zu richten.«
Dann kehrte er zu dem Kapitän zurück, sagte ihm noch einige Worte und empfahl, als ob das Schiff ihm jetzt zu gehorchen hatte, ein Manöver, das die Mannschaft sogleich ausführte.
Während der Offizier Mylady prüfend anschaute, hatte ihn Mylady ihrerseits, wie sich leicht denken läßt, mit dem Blicke verschlungen. Aber wie sehr auch diese Frau mit den Flammenaugen daran gewöhnt war, in dem Herzen derjenigen zu lesen, deren Geheimnisse zu errathen sie für nothwendig erachtete, so fand sie doch diesmal ein Gesicht von solcher Unbeweglichkeit, daß ihre Forschung keine Entdeckung zur Folge hatte. Der Offizier, welcher vor ihr stehen geblieben war und stillschweigend ihr Aeußeres so sorgfältig studirte, mochte etwa fünfundzwanzig bis sechsundzwanzig Jahre alt sein, und hatte ein weißes Gesicht und blaue, etwas tief liegende Augen. Sein feiner, wohlgezeichneter Mund blieb unbeweglich in seinen untadelhaften Linien, sein kräftiges Kinn deutete jene Willenskraft an, welche in dem gewöhnlichen brittischen Typus nichts Anderes als Halsstarrigkeit ist; eine etwas zurückliegende Stirne, wie sie den Dichtern den Enthusiasten und den Soldaten geziemt, war kaum von einem kurzen Haare beschattet, das sich wie der Bart, welcher den unteren Theil seines Gesichtes bedeckte, durch eine schöne dunkel kastanienbraune Farbe auszeichnete.
Als man in den Hafen einlief, war es bereits Nacht. Der Nebel vermehrte noch die Dunkelheit und bildete um die Leuchten und Laternen des Hafendammes einen Kreis, demjenigen ähnlich, welcher den Mond umgibt, wenn das Wetter regnerisch zu werden droht. Die Luft, welche man einathmete, war trübe, feucht und kalt.
Mylady schauderte trotz all ihrer Stärke.
Der Offizier ließ sich die einzelnen Stücke von Mylady nennen, ihr Gepäck sodann in das Boot bringen, und ersuchte sie, nachdem dieses Geschäft abgemacht war, selbst hinabzusteigen, wobei er seine Hand bot. Mylady schaute diesen Mann an und zögerte.
«Wer seid Ihr, mein Herr, «fragte sie,»der Ihr die Güte habt, Euch so ganz besonders mit mir zu beschäftigen?«»Ihr müßt es wohl an meiner Uniform sehen, Madame. Ich bin englischer Marineoffizier, «antwortete der junge Mann.
«Aber sagt mir, ist es Gewohnheit, daß sich die englischen Marineoffiziere ihren Landsleuten zu Befehl stellen, wenn sie in einem Hafen Großbritanniens ankommen, und ihre Höflichkeit sogar soweit treiben, sie bis ans Land zu begleiten?«
«Ja, Mylady, aber nicht aus Galanterie, sondern aus Klugheit werden die Fremden in Kriegszeiten in ein bestimmtes Gasthaus geführt, damit die Regierung sie überwachen kann, bis man vollständige Auskunft über sie erhalten hat.«
Diese Worte wurden mit der größten Artigkeit und der vollkommensten Ruhe ausgesprochen, aber sie waren nicht im Stande, Mylady zu überzeugen.
«Ich bin keine Fremde, mein Herr, «sagte sie mit dem reinsten Accente, der je zwischen Portsmouth und Manchester erklang.»Ich heiße Lady Winter, und diese Maßregel…«
«Diese Maßregel ist allgemein, Mylady, und Ihr würdet es vergeblich versuchen. Euch derselben zu entziehen.«
«Ich folge Euch also, mein Herr.«
Und die Hand des Offiziers ergreifend, fing sie, an die Treppe hinabzusteigen, unter der das Boot wartete. Der Offizier folgte ihr; ein großer Mantel war auf dem Hintertheil ausgebreitet; der Offizier ließ sie auf den Mantel sitzen und setzte sich neben sie.
«Fahrt zu, «sprach er zu den Matrosen.
Die acht Ruder sielen geräuschvoll in das Meer, ließen nur einen gleichzeitigen Schlag hören, und das Boot schien aus der Oberfläche des Wassers hinzufliegen.
Nach fünf Minuten hatte man das Land erreicht. Der Offizier sprang auf das Quai und bot Mylady seine Hand.
Ein Wagen wartete.
«Ist dieser Wagen für uns?«fragte Mylady.
«Ja, Madame, «antwortete der Offizier.
«Das Gasthaus ist also sehr entfernt?«
«Am andern Ende der Stadt.«
«Vorwärts!«rief Mylady und stieg entschlossen in den Wagen. Der Officier wachte darüber, daß das Gepäcke gut hinter dem Kasten befestigt wurde, nahm, als dies geschehen war, seinen Platz neben Mylady und schloß den Kutschenschlag.
Sogleich, ohne daß ein Befehl gegeben war und ohne daß man ihm die Bestimmung anzugeben hatte, setzte der Kutscher seine Pferde in Galopp und fuhr in die Straßen der Stadt.
Eine so seltsame Aufnahme mußte Mylady reichlichen Stoff zum Nachdenken bieten. Als sie sah, daß der junge Officier keineswegs geneigt schien, ein Gespräch anzuknüpfen, lehnte sie sich in eine Ecke des Wagens und ließ alle Vermuthungen, welche in ihrem Geist auftauchten, eine nach der andern Revue passiren.
Erstaunt über die Länge des Weges, neigte sie sich jedoch nach Verlauf einer Viertelstunde aus dem Kutschenschlage heraus, um zu sehen, wohin man sie führe. Man erblickte keine Häuser mehr; Bäume erschienen in der Finsterniß, wie große, schwarze, einander nachlaufende Gespenster.
Mylady bebte.
«Aber wir sind nicht mehr in der Stadt, mein Herr, «sagte sie.
Der Officier beobachtete dasselbe Stillschweigen.
«Ich gehe nicht weiter, wenn Ihr mir nicht sagt, wohin Ihr mich führt, das erkläre ich Euch, mein Herr.«
Diese Drohung erhielt keine Antwort.
«Ah, das ist zu stark!«rief Mylady.»Zu Hülfe! zu Hülfe!«
Keine Stimme antwortete der ihrigen. Der Wagen rollte mit derselben Geschwindigkeit fort. Der Officier schien eine Bildsäule.
Mylady fixirte den Officier mit dem ihr eigenthümlichen furchtbaren Ausdruck, der nur selten seine Wirkung verfehlte. Der Zorn machte ihre Augen in der Finsterniß funkeln.
Der junge Mann blieb unbeweglich.
Mylady wollte den Kutschenschlag öffnen und hinausspringen.
«Nehmt Euch in Acht, Madame, «sagte der junge Mann kalt.»Ihr tötet Euch, wenn Ihr springt.«
Mylady setzte sich schäumend wieder zurück. Der Officier neigte sich vor, schaute sie ebenfalls an und schien erstaunt, als er dieses kurz zuvor noch so schöne Gesicht durch die Wuth ganz verstört und beinahe häßlich geworden sah. Die schlaue Person begriff, daß sie sich ins Verderben stürzte, wenn sie so in ihre Seele blicken ließ. Sie suchte ihre Züge wieder aufzuheitern und sprach mit seufzender Stimme:
«Um Gotteswillen, mein Herr, sagt mir, ob ich Euch, Eurer Regierung oder einem Feinde die Gewalt zuzuschreiben habe, die man mir anthut?«
«Man thut Euch keine Gewalt an, Madame, und was Euch widerfährt, ist die Folge einer ganz einfachen Maßregel, die wir bei Allen zu nehmen genöthigt sind, welche in England landen.«
«Also kennt Ihr mich nicht?«
«Es ist das erste Mal, daß ich die Ehre habe, Euch zu sehen.«
«Und auf Euer Wort, Ihr habt keinen Grund des Hasses gegen mich?«
«Keinen, ich schwöre Euch.«
Es lag so viel Offenheit, Kaltblütigkeit und sogar Sanftmuth in der Stimme des jungen Mannes, daß Mylady beruhigt wurde.
Nachdem man ungefähr eine Stunde gefahren war, hielt der Wagen vor einem eisernen Gitter stille, das einen Hohlweg verschloß, welcher nach einem massiven Schlosse von ernstem Aussehen führte. Als nun die Räder auf einem zarten Sande hinliefen, hörte Mylady ein dumpfes Geräusch, das sie als ein Brausen der See erkannte, welche sich an einem abschüssigen Gestade brach.
Der Wagen lief unter zwei Gewölben hin und hielt endlich in einem düstern viereckigen Hofe. Beinahe in demselben Augenblicke öffnete sich der Kutschenschlag, der junge Mann sprang leicht heraus und bot Mylady seine Hand. Sie stützte sich darauf und stieg mit ziemlich viel Ruhe aus.

«Es wird mir immer klarer, «sprach Mylady, indem sie um sich schaute und ihre Augen dann mit dem anmuthigsten Lächeln der Welt auf den jungen Officier richtete, es wird mir immer klarer, daß ich eine Gefangene bin. Aber ich werde es nicht lange bleiben, das weiß ich gewiß, «fügte sie bei.»Mein Gewissen und Eure Artigkeit, mein Herr, bürgen mir hiefür.«
So schmeichelhaft auch dieses Kompliment war, so antwortete doch der Officier nicht, sondern zog aus seinem Gürtel eine kleine silberne Pfeife hervor, derjenigen ähnlich, welcher sich die Hochbootsleute auf Kriegsschiffen bedienen, und pfiff dreimal auf drei verschiedene Modulationen; sogleich erschienen mehrere Männer, spannten die Pferde aus und führten den Wagen unter eine Remise.
Der Officier forderte, stets mit derselben ruhigen Höflichkeit, seine Gefangene auf, in das Haus einzutreten. Diese nahm, fortwährend mit demselben lächelnden Gesichte, seinen Arm und trat mit ihm unter eine niedrige Thüre, welche durch ein nur im Hintergrund beleuchtetes Gewölbe nach einer steinernen Treppe führte; dann blieb man vor einer zweiten starken Thüre stehen, die sich, nachdem der junge Mann sie mit einem Schlüssel aufgeschlossen hatte, den er bei sich trug, schwerfällig auf ihren Angeln drehte und das für Mylady bestimmte Zimmer öffnete.
Mit einem einzigen Blick hatte die Gefangene das Zimmer in seinen kleinsten Einzelnheiten überschaut.
Es war eine Stube, deren Geräthe ein für ein Gefängniß reinliches, anständiges, für die Wohnung eines freien Menschen aber strenges Aussehen hatte. Die eisernen Stangen an den Fenstern und die Riegel an der Thüre entschieden jedoch den Prozeß zu Gunsten des Gefängnisses. Einen Augenblick wurde dieses Geschöpf, das seine Kraft in so mächtigen Quellen gestählt hatte, von aller Seelenstärke verlassen. Sie fiel auf einen Stuhl zurück, kreuzte die Arme, ließ den Kopf sinken und erwartete jeden Augenblick, es werde ein Richter erscheinen, um sie zu verhören.
Aber es kam Niemand, außer zwei oder drei Marinesoldaten, welche die Koffer und Kisten brachten, diese in eine Ecke niederstellten, und sich dann entfernten, ohne ein Wort zu sprechen.
Der Officier wohnte allen diesen Verrichtungen mit derselben Ruhe bei, welche Mylady beständig an ihm wahrgenommen hatte, sprach selbst kein Wort und verschaffte sich durch eine Handbewegung oder einen Ton seiner Pfeife Gehorsam.
Man hätte glauben sollen, zwischen diesem Mann und seinen Untergebenen bestehe die Sprache nicht, die man mit der Zunge spricht, oder sie sei überflüssig geworden. Endlich konnte Mylady nicht mehr länger an sich halten. Sie unterbrach das Stillschweigen und rief:
«Um Gottes willen, mein Herr, was soll das Alles bedeuten? Macht meiner Unruhe ein Ende. Ich habe Muth, jeder Gefahr, die ich vorher sehe, jedem Unglück, das ich begreife, zu trotzen. Wo bin ich und was bin ich? Bin ich frei? Warum diese eisernen Stangen und diese Thüren? Bin ich eine Gefangene? Welches Verbrechen habe ich begangen?«
«Ihr seid hier in der für Euch bestimmten Wohnung, Madame. Ich habe Befehl erhalten. Euch auf der See abzuholen und in dieses Schloß zu bringen. Diesen Befehl habe ich, wie ich glaube, mit aller Strenge eines Soldaten, aber zugleich mit aller Höflichkeit eines Edelmanns vollzogen. Hiemit endigt sich, wenigstens für jetzt, der Auftrag, den ich bei Euch zu erfüllen habe, das Uebrige geht eine andere Person an.«
«Und die andere Person, wer ist sie?«fragte Mylady.»Könnt Ihr mir nicht ihren Namen sagen?«
In diesem Augenblick vernahm man auf der Treppe ein gewaltiges Sporengeklirr, einige Stimmen machten sich im Vorübergehen hörbar und verhallten dann wieder. Das Geräusch eines einzelnen Trittes näherte sich der Thüre.
«Hier ist sie, Madame, «sagte der Officier, den Gang öffnend und eine ehrfurchtsvolle Stellung nehmend.
Zu gleicher Zeit erschien ein Mann auf der Schwelle: er war ohne Hut, trug einen Degen an seiner Seite und zerknitterte ein Sacktuch zwischen seinen Fingern.
Mylady glaubte diesen Schatten im Schatten zu erkennen. Sie stützte sich mit einer Hand auf den Arm eines Lehnsessels und reckte den Kopf, um einer Gewißheit entgegen zu gehen.
Der Fremde näherte sich langsam; sobald er in den von der Lampe geworfenen Lichtkreis eintrat und näher kam, wich Mylady unwillkürlich zurück. Als ihr kein Zweifel mehr übrig blieb, rief sie mit dem höchsten Erstaunen:
«Wie, mein Bruder, Ihr seid es?«—»Ja, schöne Dame, «antwortete Lord Winter mit einer halb höflichen, halb ironischen Verbeugung;»ich bin es.«—»Aber dieses Schloß?«—»Gehört mir.«—»Dieses Zimmer?«—»Ist das Eure.«—»Und ich bin also eine Gefangene?«—»Ungefähr.«—»Aber das ist ein ganz abscheulicher Mißbrauch der Gewalt.«—»Keine großen Worte! Setzen wir uns und plaudern wir ruhig mit einander, wie es sich zwischen Bruder und Schwester geziemt.«
Dann wandte er sich nach der Thüre um und sagte, als er sah, daß der junge Offizier auf seine letzten Befehle wartete:»Es ist gut, ich danke Euch, laßt uns nun allein, Herr Felton.«
XXII. Plauderei eines Bruders und einer Schwester
Während Lord Winter die Thüre schloß, einen Laden aufstieß und einen Stuhl näher zu dem seiner Schwägerin rückte, senkte Mylady träumerisch ihren Blick in die Tiefen der Möglichkeit und entdeckte den ganzen Faden, den sie nicht von ferne geahnt hatte, so lange sie nicht wußte, in welche Hände sie gefallen war. Sie kannte ihren Schwager als einen guten Edelmann, als einen treuherzigen Jäger, als einen unerschrockenen Spieler, unternehmend bei Frauen, aber von weniger als mittelmäßigem Intriguirtalent. Wie war es ihm gelungen, ihre Ankunft zu entdecken, sie ergreifen zu lassen? und warum hielt er sie fest?
Athos hatte ihr wohl einige Worte gesagt, woraus hervorging, daß ihr Gespräch mit dem Kardinal in fremde Ohren gefallen war, aber sie konnte nicht glauben, daß er so geschickt und so rasch eine Gegenmine zu graben vermocht habe. Sie fürchtete vielmehr, ihre früheren Operationen in England möchten entdeckt worden sein. Buckingham konnte errathen haben, daß sie die zwei Nestelstifte abgeschnitten hatte, und wollte sich für diesen kleinen Verrath rächen. Aber Buckingham war unfähig, sich zu irgend einer harten Maßregel gegen eine Frau verleiten zu lassen, besonders wenn man glauben konnte, diese Frau werde zu ihren Handlungen durch ein Gefühl von Eifersucht getrieben.
Diese Vermuthung kam ihr als die wahrscheinlichste vor. Sie glaubte, man wolle sich für die Vergangenheit rächen und nicht der Zukunft entgegentreten. In dem Fall beglückwünschte sie sich, daß sie in die Hände ihres Schwagers gefallen war, bei dem sie jedenfalls leichteren Kaufes durchzukommen wähnte, als wenn sie in die Hände eines unmittelbaren und gescheiteren Feindes gerathen wäre.
«Ja, plaudern wir, mein Bruder, «sagte sie mit einer Art von Vergnügen, entschlossen, sich trotz aller Verstellung, mit der Lord Winter dabei zu Werke gehen könnte, aus dem Gespräch die nötige Aufklärung zu verschaffen, um ihr Benehmen darnach einzurichten.
«Ihr habt Euch also entschlossen, nach England zurückzukehren, «sagte Lord Winter, obschon Ihr mir in Paris so oft erklärt habt, daß Ihr das Gebiet Großbritanniens nie wieder betreten würdet?«
Mylady beantwortete die Frage mit einer Gegenfrage.
«Erklärt mir vor Allem, «sagte sie,»wie Ihr mich habt so scharf beobachten lassen, daß Ihr nicht allein von meiner Ankunft, sondern auch von dem Tag, der Stunde, und dem Hafen, wo ich eintraf, benachrichtigt wäret?«
Lord Winter nahm dieselbe Taktik an, wie Mylady. Er glaubte, da sie diese angewendet hatte, müßte sie die richtige sein.
«Sagt Ihr mir, meine liebe Schwester, «versetzte er,»was Ihr in England thun wolltet?«
«Ich komme nur um Euch zu besuchen, «erwiderte Mylady, ohne zu wissen, wie sehr sie durch diese Antwort den Verdacht erschwerte, den der Brief d'Artagnans bei ihrem Schwager erregt hatte, und nur in der Absicht, das Wohlwollen ihres Zuhörers durch eine Lüge zu gewinnen.
«Um mich zu besuchen?«fragte Lord Winter.
«Allerdings, um Euch zu besuchen. Was ist daran zu verwundern?«
«Und Ihr hattet keinen andern Zweck bei Eurer Reise nach England, als den, mich zu sehen?«
«Nein!«
«Also habt Ihr Euch nur allein mir zu Liebe die Mühe gegeben, über den Kanal zu fahren?«
«Allerdings.«
«Teufel, welche Zärtlichkeit, meine Schwester!«
«Bin ich denn nicht Eure nächste Verwandte?«fragte Mylady im Ton der rührendsten Naivetät.
«Und sogar meine einzige Erbin, nicht wahr?«sagte Lord Winter, seine Augen auf die von Mylady heftend,»das heißt durch Euern Sohn!«
Welche Macht auch Mylady über sich selbst besaß, so konnte sie sich doch eines Bebens nicht enthalten, und da Lord Winter bei den letzten Worten seine Hand auf den Arm seiner Schwester gelegt hatte, so entging ihm dieses Beben nicht.
Der Schlag kam in der That unmittelbar und ging tief. Der erste Gedanke, welcher sich bei Mylady regte, war, daß Ketty sie verrathen und dem Baron den habsüchtigen Haß mitgetheilt habe, den sie unkluger Weise vor ihrer Kammerjungfer hatte laut werden lassen. Und sie erinnerte sich auch des wüthenden Ausfalls, den sie gegen d'Artagnan gemacht hatte, als er ihrem Schwager das Leben rettete.
«Ich begreife nicht, Mylord, «sagte sie, um Zeit zu gewinnen und ihren Gegner zum Sprechen zu bringen.»Was sollen Eure Worte bedeuten? Ist vielleicht ein unbekannter Sinn darunter verborgen?«
«Oh! mein Gott, nein, «erwiderte Lord Winter mit scheinbarer Gutmüthigkeit.»Ihr habt das Verlangen, mich zu sehen und kommt nach England. Ich erfahre von diesem Verlangen oder ich vermuthe vielmehr, daß Ihr es fühlt, und um Euch alle Unannehmlichkeiten einer nächtlichen Ankunft in einem Hafen, alle Anstrengungen des Ausschiffens zu ersparen, stelle ich Euch einen Wagen zur Verfügung. Er führt Euch hieher in dieses Schloß, dessen Gouverneur ich bin, und ich habe, da ich jeden Tag an diesen Ort komme, zur vollständigen Befriedigung unseres beiderseitigen Verlangens, einander zu sehen, ein Zimmer für Euch einrichten lassen. Wie könnte man sich darüber mehr verwundern, als über das, was Ihr mir gesagt habt?«
«Nein, ich staune nur darüber, daß Ihr von meiner Ankunft zuvor benachrichtigt gewesen seid.«
«Das ist jedoch die allereinfachste Sache, meine liebe Schwester. Ihr konntet wohl sehen, daß der Kapitän Eures kleinen Fahrzeuges, ehe er in die Rhede einlief, um die Erlaubniß zur Hafeneinfahrt zu erlangen, einen Nachen vorausschickte, der sein Logbuch und sein Mannschaftsregister überbrachte. Ich bin Hafenkommandant und man übergab mir dieses Buch, in welchem ich Euren Namen erkannte. Mein Herz sagte mir, was mir Euer Mund so eben bestätigt hat; es sagte mir, in welcher Absicht Ihr Euch den Beschwerden eines so gefährlichen oder wenigstens in diesem Augenblick so ermüdenden See aussetztet, und ich schickte Euch meinen Kutter entgegen. Das Uebrige wißt Ihr.«
Mylady sah wohl, daß Lord Winter die Unwahrheit sprach, und gerieth darum nur noch mehr in Schrecken.
«Mein Bruder, «fuhr sie fort,»war es nicht Mylord Buckingham, den ich diesen Abend auf dem Hafendamme sah?«
«Er selbst. Oh! ich begreife, daß Ihr bei seinem Anblick betreten wäret, «versetzte Lord Winter.»Ihr kommt aus einem Lande, wo man sich viel mit ihm beschäftigen muß, und ich weiß, daß seine Rüstungen gegen Frankreich Euern Freund, den Kardinal, sehr beunruhigen.«
«Meinen Freund, den Kardinal!«rief Mylady, als sie einsah, daß Mylord Winter über diesen Punkt, wie über den anderen vollständig unterrichtet schien.
«Ist er nicht Euer Freund?«erwiderte der Baron mit gleichgültigem Ton.»Ah, um Vergebung, ich glaubte es. Doch wir werden später auf Mylord Herzog zurückkommen. Wir wollen uns nicht von der sentimentalen Wendung entfernen, welche das Gespräch genommen hatte. Ihr sagtet, Ihr kämet, um mich zu sehen?«
«Ja.«
«Nun wohl, ich antwortete Euch, Ihr sollt nach Wünschen bedient werden und wir werden uns jeden Tag sehen.«
«Soll ich also ewig hier bleiben?«fragte Mylady mit einem gewissen Schrecken.
«Wenn Euch diese Wohnung schlecht vorkommt, meine Schwester, so verlangt, was Euch fehlt, und ich werde mich beeilen, es Euch geben zu lassen.«
«Ich habe meine Frauen, meine Leute nicht bei mir.«
«Ihr sollt Alles das haben, Madame. Sagt mir, auf welchem Fuße Euer erster Gatte Euer Haus eingerichtet hatte, und ich werde es, obgleich ich nur Euer Schwager bin, auf demselben Fuß einrichten.«
«Mein erster Gatte!«rief Mylady und schaute Lord Winter mit verstörten Augen an.
«Ja, Euer französischer Gatte! ich spreche nicht von meinem Bruder. Uebrigens wenn Ihr es vergessen habt, könnte ich ihm, da er noch lebt, schreiben, und er wird mir wohl Auskunft über diesen Gegenstand geben.«
Ein kalter Schweiß perlte auf der Stirne Mylady's.
«Ihr spottet, «sagte sie mit dumpfer Stimme.
«Sehe ich so aus?«fragte der Baron, indem er aufstand und einen Schritt zurückging.
«Oder vielmehr, Ihr beleidigt mich, «fuhr sie fort, indem sie mit ihren krampfhaften Händen die zwei Arme des Lehnstuhls drückte und sich auf den Faustgelenken zu erheben suchte.
«Euch beleidigen! ich?«sagte Lord Winter verächtlich.»In der That, Madame, glaubt Ihr, dies sei möglich?«
«Mein Herr, «sprach Mylady,»Ihr seid entweder betrunken oder wahnsinnig. Geht und schickt mir meine Frauen.«
«Diese Frauen sind sehr indiskret, meine Schwester. Könnte ich Euch nicht als Hofe dienen? Auf diese Art blieben alle unsere Geheimnisse in der Familie.
«Unverschämter!«rief Mylady, und als ob sie von einer Feder emporgeschnellt würde, sprang sie gegen den Baron, der sie ganz ruhig erwartete, obschon er mit einer Hand an seinen Degen griff.
«Ei, ei, «sagte er,»ich weiß, daß Ihr die Gewohnheit habt, die Leute zu ermorden, aber ich werde mich vertheidigen, das sage ich Euch, und wäre es auch gegen Euch.«
«Oh! Ihr habt Recht, «sprach Mylady,»Ihr kommt mir feig genug vor, um Hand an eine Frau zu legen.«
«Wenn dies geschähe, so wäre ich entschuldigt. Meine Hand wäre übrigens nicht die erste Männerhand, die sich an Euch gelegt hätte, denke ich.«
Und der Baron deutete mit einer langsamen, anschuldigenden Geberde auf die linke Schulter Mylady's, die er beinahe mit dem Finger berührte.
Mylady stieß ein dumpfes Röcheln aus und wich bis in die Ecke des Zimmers zurück, wie ein Panther, der sich anstemmt, um seinen Sprung zu machen.
«O brüllt, so lange Ihr wollt, «rief Lord Winter,»aber versucht nicht, zu beißen, denn ich sage Euch, die Sache würde zu Eurem Nachtheil ausfallen; es gibt hier keine Procuratoren, welche die Erbfolge zum voraus ordnen; es gibt hier keinen fahrenden Ritter, der der schönen Dame zu Liebe, welche ich gefangen halte, Streit mit mir anfangen würde; aber ich habe ganz in der Nähe Richter, welche über eine Frau urtheilen werden, die schamlos genug ist, durch eine Doppelehe in die Familie Lord Winters, meines älteren Bruders, einzudringen, und diese Richter werden Euch einem Henker überliefern, der Eure beiden Schultern gleichmacht.«
Mylady's Augen schleuderten so mächtige Blitze, daß Lord Winter, obgleich er Mann war und bewaffnet vor einer wehrlosen Frau stand, die Kälte der Furcht bis in die Tiefe seiner Seele fühlte. Nichtsdestoweniger fuhr er mit wachsendem Grimme fort:
«Ja, ich begreife, nachdem Ihr meinen Bruder beerbt habt, wäre es Euch angenehm gewesen, auch mich zu beerben. Aber wißt zum Voraus, Ihr könnt mich tödten oder tödten lassen, meine Vorsichtsmaßregeln sind getroffen. Nicht ein Penny von dem, was ich besitze, soll in Eure oder in Eures Sohnes Hände übergehen. Seid Ihr nicht reich, besitzt Ihr nicht beinahe eine halbe Million, und könntet Ihr nicht auf Eurem unseligen Pfad stille stehen, wenn Ihr nicht das Böse aus grenzenloser Lust verübtet? Oh! ich sage Euch, wenn mir das Andenken an meinen Bruder nicht heilig wäre, müßtet Ihr in einem Staatsgefängnisse vermodern oder in Tyburn die Neugierde der Matrosen befriedigen! Ich werde schweigen, aber Ihr müßt Eure Gefangenschaft ruhig ertragen. In vierzehn Tagen bis drei Wochen gehe ich mit dem Heere nach La Rochelle ab, doch am Vorabend meiner Abreise holt Euch ein Schiff, dessen Abfahrt ich noch ansehen werde, und das Euch nach unsern Kolonien im Süden führt, und seid unbesorgt, ich gebe Euch einen Gesellschafter, der Euch bei dem ersten Versuche, den Ihr wagt, um nach England oder auf den Kontinent zurückzukommen, über den Haufen schießen wird.«
Mylady hörte mit einer Aufmerksamkeit, wobei sich ihre entflammten Augen immer mehr erweiterten.
«Ja, aber vorläufig, «fuhr Lord Winter fort,»bleibt Ihr in diesem Schlosse. Die Mauern desselben sind dick, die Thüren stark, die Gitter fest und überdies geht Euer Fenster gerade auf die See hinab. Die Leute von meiner Schiffsmannschaft, welche mir auf Leben und Tod ergeben sind, werden um diese Wohnung her aufgestellt und bewachen alle Zugänge, welche zu dem Hof führen. Wäret Ihr auch im Hof, so müßtet Ihr noch durch drei Gitter gelangen. Der Befehl ist genau. Ein Schritt, eine Geberde, ein Wort, woraus sich auf einen Entweichungsversuch schließen ließe, und man gibt Feuer auf Euch. Tödtet man Euch, so hat die englische Justiz mir Dank zu sagen, daß ich ihr ein Geschäft erspart habe. Ah, Eure Züge nehmen ihre Ruhe wieder an. Euer Antlitz gewinnt wieder seine Sicherheit. Zehn Tage, vierzehn Tage, sagt Ihr? bah! bis dahin wird mir ein Gedanke kommen: ich habe einen erfindungsreichen, einen höllischen Geist, und werde schon irgend ein Opfer treffen. In vierzehn Tagen von heute an, sagt Ihr Euch, werde ich ferne von hier sein. Versucht es einmal!«
Als sich Mylady verrathen sah, preßte sie sich die Nägel in das Fleisch, um jede Bewegung zu bewältigen, welche ihrer Physiognomie irgend einen andern Ausdruck, als den des Schreckens hätte geben können.
Lord Winter fuhr fort.
«Den Officier, welcher allein hier in meinem Namen kommandirt, habt Ihr gesehen und kennt ihn also bereits. Ihr konntet wahrnehmen, daß er einem Befehle zu gehorchen weiß: denn Ihr seid nicht von Portsmouth hierher gekommen, ohne den Versuch zu machen, ihn zum Sprechen zu bringen. Was sagt Ihr von ihm? Hätte eine Marmorstatue unempfindlicher, stummer sein können? Ihr habt die Macht Eurer Verführungsmittel schon an vielen Männern versucht und leider ist es Euch stets gelungen. Versucht sie auch bei diesem, und wenn Ihr zu Eurem Ziele kommt, so erkläre ich Euch für den Teufel selbst.«
Er ging nach der Thüre und öffnete sie heftig.
«Man rufe mir Herrn Felton!«sagte er.»Wartet noch ein wenig und ich werde Euch ihm empfehlen.«
Es herrschte einen Augenblick ein seltsames Stillschweigen zwischen diesen zwei Personen, und inzwischen hörte man das Getöne eines langsamen regelmäßigen Schrittes, der sich dem Zimmer näherte.
Bald sah man im Schatten der Hausflur eine menschliche Gestalt, und der junge Lieutenant, mit dem wir bereits Bekanntschaft gemacht Haben, erschien, die Befehle des Barons erwartend, auf der Schwelle.
«Tretet ein, mein lieber John, «sprach Lord Winter,»tretet ein und schließt die Thüre.«
Der junge Offizier trat ein.
«Schaut nun diese Frau an, «sagte der Baron,»sie ist jung, sie ist schön, alle Verführungsmittel der Welt stehen ihr zu Gebot. Hört wohl, sie ist ein Ungeheuer, das sich mit fünfundzwanzig Jahren so vieler Verbrechen schuldig gemacht hat, als Ihr in einem Jahre in den Archiven unserer Tribunale lesen könnt. Ihre Stimme nimmt zu ihren Gunsten ein, ihre Schönheit dient als Köder für ihre Opfer. Sie wird Euch zu verführen, vielleicht sogar zu tödten versuchen. Ich habe Euch aus dem Elend gezogen, Felton, ich habe Euch zum Lieutenant ernennen lassen, ich habe Euch einmal das Leben gerettet, Ihr wißt, bei welcher Gelegenheit. Ich bin Euch nicht nur ein Beschützer, sondern ein Freund, nicht nur ein Wohlthäter, sondern ein Vater. Diese Frau ist nach England gekommen, um gegen mein Leben zu conspiriren. Ich halte diese Schlange in meinen Händen; ich habe Euch rufen lassen und sage Euch: Freund Felton, John, mein Junge, hüte Dich und mich vor dieser Frau. Schwöre mir bei Deinem Seelenheil, sie für die verdiente Strafe aufzubewahren. Felton, ich baue auf Dein Wort, John Felton, ich glaube an Deine Rechtschaffenheit.«
«Mylord, «erwiderte der junge Offizier, sein reines Auge mit allem Hasse füllend, den er in seinem Herzen finden konnte;»Mylord, ich schwöre Euch, daß ich thun werde, wie Ihr wünscht.«
Mylady nahm diesen Blick wie ein in ihr Schicksal ergebenes Opfer auf. Man könnte unmöglich einen unterwürfigeren und sanfteren Ausdruck sehen, als den, welcher jetzt auf ihrem schönen Antlitz herrschte.
Kaum erkannte Lord Winter in ihr die Tigerin, die er einen Augenblick vorher zu bekämpfen sich anschickte.
«Sie wird dieses Zimmer nie verlassen, hört Ihr wohl, John, «fuhr der Baron fort,»sie wird mit Niemand Briefe wechseln, sie wird nur mit Euch sprechen, wenn Ihr überhaupt Euch herablassen wollt, ein Wort an sie zu richten.«
«Es ist genug, Mylord, ich habe geschworen.«
«Und nun, Madame, «sprach der Baron,»und nun versucht es. Euren Frieden mit Gott zu machen, denn von den Menschen seid Ihr gerichtet.«
Mylady ließ das Haupt sinken, als ob sie durch dieses Urtheil zu Boden getreten wäre. Lord Winter entfernte sich mit einer Geberde gegen Felton, der ihm folgte und die Thüre schloß.
Einen Augenblick nachher hörte man in der Flur den schweren Gang eines Marinesoldaten, der mit seiner Axt in der Hand Wache stand.
Mylady verharrte einige Minuten in derselben Stellung, denn sie meinte, man könne sie durch das Schlüsselloch beobachten. Dann hob sie sachte das Haupt, das einen furchtbar drohenden, trotzigen Ausdruck angenommen hatte. Sie lief an die Thüre, um zu horchen, schaute durch das Fenster und begrub sich wieder in einen weiten Lehnstuhl.
Sie überlegte.
XXIII. Offizier!
Richelieu erwartete mittlerweile Kunde aus England.
Aber es kam keine Nachricht, außer unangenehmen, bedrohlichen. So gut La Rochelle eingeschlossen war, so sicher der Erfolg durch die Maßregeln, die man ergriffen, und besonders durch den Damm erscheinen durfte, der keine Barke mehr in die belagerte Stadt eindringen ließ, so konnte die Blokade doch noch lange Zeit dauern, und das war eine große Schmach für die Waffen des Königs und eine große Last für den Herrn Kardinal, der allerdings nicht mehr Ludwig XIII. mit Anna von Oesterreich zu veruneinigen hatte, was bereits abgemacht war, wohl aber Herrn von Bassompierre versöhnen sollte, der sich mit dem Herzog von Angoulème entzweit hatte.
Die Stadt hatte trotz der unglaublichen Beharrlichkeit ihres Bürgermeisters eine Meuterei versucht, um sich zu ergeben. Der Bürgermeister ließ die Meuterer hängen. Die Strafe brachte die schlimmsten Köpfe zur Ruhe, und sie ergaben sich jetzt in die Aussicht auf den Hungertod, der immerhin langsamer und auch nicht so schrecklich gewiß war, als die Erdrosselung.
Von Zeit zu Zeit erwischten die Belagerer Boten, welche die Rocheller an Buckingham schickten, oder Spione, welche Buckingham an die Rocheller absandte.
Im einen wie im andern Fall war der Proceß schnell abgemacht. Der Kardinal sprach das einzige Wort: Gehenkt! Man lud den König ein, das Hängen mit anzusehen; der König kam kraftlos herbei und wählte sich einen guten Platz, um die Operation in allen ihren Einzelnheiten anschauen zu können. Dies gewährte ihm stets einige Zerstreuung, aber er langweilte sich dessenungeachtet und sprach alle Augenblicke von einer Rückkehr nach Paris, so daß Seine Eminenz wenn es an Boten und Spionen gefehlt hätte, trotz ihrer Einbildungskraft in große Verlegenheit gerathen wäre.
Nichtsdestoweniger ging die Zeit vorüber, und die Rocheller ergaben sich nicht. Der letzte Spion, den man auffing, war der Ueberbringer eines Briefes. Dieser Brief sagte allerdings Buckingham, daß die Stadt jetzt in der äußersten Noth sei, aber statt des Beisatzes:»Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir uns ergeben, «war ganz einfach beigefügt:»Wenn Eure Hülfe nicht vor vierzehn Tagen eintrifft, werden wir bei Eurer Erscheinung sammt und sonders verhungert sein. «Die Rocheller setzten ihre Hoffnung also auf Buckingham. Buckingham war ihr Messias. Hätten sie eines Tages auf eine sichere Weise erfahren, daß sie nicht mehr auf Buckingham rechnen dürften, so wäre offenbar ihr Muth mit der Hoffnung gesunken.
Der Kardinal erwartete also mit großer Ungeduld Nachrichten aus England, die ihm melden würden, daß Buckingham nicht komme.
Die Frage, ob man die Stadt nicht stürmen solle, wurde oft im Rathe des Königs verhandelt. Einmal schien La Rochelle uneinnehmbar, und dann wußte der Kardinal, was er auch gesagt haben mochte, gar wohl, daß das bei einem solchen Zusammentreffen, wo Franzosen gegen Franzosen kämpfen sollten, vergossene Blut einen Schrecken einjagen mußte, der für die Politik eine retrograde Bewegung von sechszig Jahren bedeutete, und Richelieu war um diese Zeit, was man heut zu Tage einen Mann des Fortschrittes nennt. In der That hatten im Jahr 1628 die Plünderung von La Rochelle und die Ermordung von drei bis viertausend Hugenotten, welche sich tödten ließen, viel Aehnlichkeit mit dem Gemetzel der Bartholomäusnacht im Jahre 1572. Dieses Mittel, das dem König, einem guten Katholiken, keineswegs widerstrebte, scheiterte stets an der Behauptung der belagernden Generale;»La Rochelle ist auf keine andere Weise, als durch den Hunger zu nehmen.«
Der Kardinal konnte nicht über die Angst hinweg kommen, worein seine furchtbare Emissärin ihn versetzte; denn auch er hatte die seltsamen Verhältnisse dieser Frau begriffen, die bald eine Schlange, bald eine Löwin war. Hatte sie ihn verrathen? war sie todt? Er kannte sie hinreichend, um zu wissen, daß sie, für oder gegen ihn handelnd, Freundin oder Feindin, ohne große Hindernisse nicht unbeweglich blieb. Aber von welcher Seite kamen diese Hindernisse? Das war es, was er nicht wissen konnte.
Uebrigens zählte er auf Mylady, und zwar mit Recht. Er hatte in der Vergangenheit dieser Frau gewisse Dinge errathen, die nur sein rother Mantel bedecken konnte; und er fühlte, daß diese Frau ihm aus dem einen oder dem andern Grunde zugethan war, da nur er allein sie in der Gefahr, von der sie bedroht war, mächtig beschützen konnte.
Er beschloß also, den Krieg ganz allein zu führen und einen von außen kommenden Erfolg nur so zu erwarten, wie man einen günstigen Zufall erwartet. Er ließ an dem furchtbaren Damm, welcher La Rochelle aushungern sollte, weiter bauen, und warf mittlerweile seine Augen auf die unglückliche Stadt, welche so viel tiefes Elend, so viel heldenmüthige Tugenden in sich schloß; er erinnerte sich dabei des Wortes von Ludwig XI., seinem politischen Vorgänger, wie er selbst der Vorgänger von Robespierre war. Er erinnerte sich der Maxime von Gevatter Tristan:»Divide et impera.«
Als Heinrich IV. Paris belagerte, ließ er Brod und Lebensmittel über die Mauern werfen. Der Kardinal ließ kleine Zettel hinüberwerfen, in welchen er den Rochellern vorstellte, wie ungerecht, selbstsüchtig und barbarisch das Verfahren ihrer Häupter sei. Diese Häupter hatten Getreide im Ueberfluß und vertheilten es nicht. Sie nahmen als Grundsatz an, denn sie hatten Grundsätze, daß wenig daran liege, ob die Weiber, Kinder und Greise umkommen, wenn nur die Männer, welche die Mauern verteidigen sollten, stark und gesund bleiben. Bis jetzt war dieser Grundsatz, sei es aus Ergebenheit, sei es, weil jede Auflehnung vergeblich gewesen wäre, ohne allgemein anerkannt zu werden, von der Theorie zur Praxis übergegangen: aber durch die erwähnten Zettel geschah ein Angriff auf denselben. Diese Zettel erinnerten die Männer daran, daß die Kinder, Weiber und Greise, die man sterben ließ, ihre Söhne, Frauen und Väter waren; daß es billiger wäre, wenn jeder dem allgemeinen Elend unterworfen würde, damit die Gleichmäßigkeit der allgemeinen Lage auch Einhelligkeit in den Beschlüssen herbeiführen müßte.
Aber in dem Augenblick, wo der Kardinal bereits sein Mittel Früchte tragen sah und sich zur Anwendung desselben Glück wünschte, gelangte ein Einwohner von La Rochelle, der durch die königlichen Linien gedrungen war — Gott weiß, auf welche Weise, denn Bassompierre, Schomberg und der Herzog von Angoulême beobachteten, selbst wieder von dem Kardinal überwacht, eine große Wachsamkeit — ein Einwohner von La Rochelle, sagen wir, gelangte, von Portsmouth her, in die Stadt und sagte aus, er habe eine herrliche Flotte gesehen, welche noch vor acht Tagen auslaufen werde. Ueberdies kündigte Buckingham dem Bürgermeister an, daß endlich das große Bündniß gegen Frankreich sich erklärt habe, und daß zu gleicher Zeit die englischen, kaiserlichen und spanischen Heere das Königreich überfallen werden. Dieser Brief wurde öffentlich auf allen Plätzen vorgelesen. Man klebte eine Abschrift an die Straßenecken, und diejenigen, welche Unterhandlungen angeknüpft hatten, brachen dieselben wieder ab, um die in so kurzer Zeit angekündigte Hülfe zu erwarten.
Dieser unvorhergesehene Umstand versetzte Richelieu wieder in seine frühere Unruhe und nöthigte ihn, seine Augen abermals dem Meere zuzuwenden.
Während dies vorging, führte die königliche Armee, frei von der Unruhe ihres einzigen und wahren Hauptes, ein lustiges Leben, es fehlte im Lager nicht an Speise und Trank und nicht an Geld. Alle Corps wetteiferten an Kühnheit und Heiterkeit. Spione auffangen und hängen, kecke Expeditionen auf dem Damm oder auf der See ausführen, Tollheiten ersinnen und kaltblütig ins Werk setzen, das waren die Zeitvertreibe, womit sich die Armee die Tage verkürzte, welche den von Angst und Hunger aufgeriebenen Rochellern so lang, und dem Kardinal, der sie belagerte, noch weit länger erschienen.
Wenn der Kardinal, welcher stets wie der geringste Soldat umher ritt, seinen nachdenkenden Blick zuweilen über die Werke hinschweifen ließ, welche unter seinem Befehl von Ingenieuren errichtet wurden, die er aus allen Winkeln Frankreichs herbeirief, und er dann einem Musketier von Treville's Kompagnie begegnete, so schaute er ihn auf eine seltsame Weise an, und richtete seinen Blick sogleich wieder anderswohin, wenn er in ihm nicht einen von den vier Gefährten erkannte.
Eines Tages ritt der Kardinal, von tödtlichem Aerger gequält, ohne Hoffnung auf die Unterhandlungen mit der Stadt, ohne Nachrichten aus England, in keiner andern Absicht, als gerade um auszureiten, nur von Cahusac und La Houdinière begleitet, am Ufer entlang hin, und vermischte die Unermeßlichkeit seiner Träume mit der Unermeßlichkeit des Oceans. So kam er auf einen Hügel, von dessen Höhe herab er, hinter einer Hecke und unter einer Baumgruppe vor der großen Sonnenhitze geschützt, sieben von leeren Flaschen umgebene Menschen liegen sah. Vier davon waren unsere Musketiere, welche sich anschickten, einen Brief vorlesen zu hören, den einer von ihnen bekommen hatte. Dieser Brief war so wichtig, daß man ihm zu Liebe auf einer Trommel Karten und Würfel im Stiche ließ.
Die drei Andern beschäftigten sich, eine ungeheure mit Stroh umflochtene Flasche Collioure-Wein aufzumachen. Es waren die Lakaien dieser Herren.
Richelieu war, wie gesagt, bei finsterer Laune, und in dieser Gemüthsstimmung ärgerte ihn nichts mehr als die Heiterkeit Anderer. Ueberdies hegte er einen seltsamen Argwohn und glaubte, gerade die Ursache seiner Traurigkeit errege die Heiterkeit der Fremden. Er gab La Houdinière und Cahusac ein Zeichen, stille zu halten, stieg vom Pferde und näherte sich diesen verdächtigen Lachern, in der Hoffnung, mit Hülfe des Sandes, der seinen Schritt unhörbar machte, und der Hecke, die seinen Gang bedeckte, einige Worte von dem Gespräch zu erlauschen, das ihm so interessant erschien. Erst zehn Schritte von der Hecke erkannte er das gascognische Geplauder d'Artagnans, und da er bereits wußte, daß diese Leute zu den Musketieren gehörten, so zweifelte er nicht daran, daß die drei Andern die sogenannten Unzertrennlichen, das heißt, Athos, Porthos und Aramis seien.
Man kann sich leicht denken, daß sein Verlangen, etwas von dem Gespräch zu hören, sich durch diese Entdeckung nur noch vermehrte. Seine Augen nahmen einen seltsamen Ausdruck an und er näherte sich der Hecke mit dem Tritt einer Tigerkatze; aber er hatte noch nicht mehr als einige unbestimmte Sylben ohne einen richtigen Sinn aufzufassen vermocht, als ein kurzer kräftiger Ruf ihn beben machte und die Aufmerksamkeit der Musketiere erregte.
«Offizier!«rief Grimaud.
«Ihr sprecht, glaube ich, Bursche, «sagte Athos, sich auf einem Ellbogen erhebend und Grimaud mit seinem flammenden Blick anblitzend.
Grimaud fügte auch kein Wort mehr bei, er begnügte sich, den Zeigefinger in der Richtung der Hecke auszustrecken, und deutete durch Geberde den Kardinal und seine Escorte an.
Mit einem Sprung waren die vier Musketiere auf den Beinen und grüßten ehrfurchtsvoll.
Der Kardinal schien wüthend.
«Es scheint, daß man sich bei den Herren Musketieren bewachen läßt, «sagte er.»Kommt der Engländer zu Lande oder sollten sich die Musketiere für hohe Offiziere halten?«
«Monseigneur, «antwortete Athos, denn er allein hatte mitten unter dem allgemeinen Schrecken die Ruhe und Kaltblütigkeit des vornehmen Mannes behalten, die ihn nie verließ.»Monseigneur, wenn die Musketiere nicht im Dienste sind oder wenn ihr Dienst zu Ende ist, so trinken und würfeln sie und sind für ihre Lakaien sehr hohe Offiziere.«
«Lakaien!«brummte der Kardinal,»Lakaien, welche Befehl haben, ihre Herren zu benachrichtigen, wenn Jemand vorüber kommt, das sind keine Lakaien, sondern Wachen.«
«Seine Eminenz sieht jedoch, daß wir, wenn wir diese Vorsichtsmaßregel nicht getroffen hätten, uns der Unannehmlichkeit ausgesetzt haben würden, sie vorübergehen zu lassen, ohne ihr unsere Ehrfurcht zu bezeigen und unsern Dank für die Gnade ihres Besuches, abzustatten. D'Artagnan, «fuhr Athos fort,»Ihr, der Ihr Euch so eben nach einer Gelegenheit sehntet, Monseigneur Eure Dankbarkeit auszudrücken, habt sie nun gefunden und werdet sie benützen.«
Diese Worte wurden mit dem unstörbaren Phlegma, das Athos in den Stunden der Gefahr bezeichnete, und mit der außerordentlichen Höflichkeit gesprochen, die ihm in gewissen Augenblicken etwas Königliches gab, so daß er ein majestätischeres Ansehen hatte, als geborene Könige.
D'Artagnan näherte sich und sprach einige Worte des Dankes, welche bald unter dem düsteren Blicke des Kardinals erloschen.
«Gleich viel, meine Herren, «fuhr der Kardinal fort, der sich, wie es schien, durch den von Athos benützten Zwischenfall nicht im Geringsten von seiner ersten Ansicht abbringen ließ,»gleichviel, ich liebe es nicht, daß einfache Soldaten weil sie den Vorzug haben, in einem privilegirten Corps zu dienen, auf diese Art die großen Herren spielen, und die Disciplin ist für sie dieselbe, wie für die ganze Welt.«
Athos ließ den Kardinal ganz aussprechen, verbeugte sich sodann zum Zeichen der Beipflichtung und versetzte:
«Die Disciplin, Monseigneur, ist, wie ich hoffe, von uns in keiner Beziehung vergessen worden, wir sind nicht im Dienste und glaubten, da nur nicht im Dienste sind, über unsere Zeit nach unserem Gutdünken verfügen zu können. Sollte uns Eure Eminenz durch einige besondere Befehle beglücken wollen, so sind wir bereit zu gehorchen. Monseigneur sieht, «fuhr Athos die Stirne runzelnd fort, denn dieses Verhör fing an, ihn ungeduldig zu machen,»daß wir, um auf den ersten Trommelschlag bereit zu sein, mit unsern Waffen ausgezogen sind.«
Und er deutete mit dem Finger auf die vier Musketen, welche in der Nähe der Trommel, auf der die Würfel und Karten lagen, aufgepflanzt waren.
«Eure Eminenz wolle überzeugt sein, «fügte d'Artagnan bei,»daß wir ihr entgegengekommen wären, wenn wir hätten vermuthen können, daß sie sich uns in so kleiner Gesellschaft näherte.«
Der Kardinal biß sich in den Schnurrbart und auch etwas in die Lippen.
«Wißt Ihr, wie Ihr ausseht, wenn Ihr, wie in diesem Augenblick, stets beisammen, stets bewaffnet und von Euren Bedienten bewacht seid?«sprach der Kardinal.»Ihr seht aus, wie Verschwörer.«
«Oh! was das betrifft, Monseigneur, das ist wahr, «sprach Athos.»Wir conspiriren allerdings, wie Seine Eminenz an jenem Morgen sehen konnte, aber nur gegen die Rocheller.«
«Ei, meine Herren Politiker, «entgegnete der Kardinal, ebenfalls die Stirne faltend,»man würde vielleicht in Eurem Gehirn das Geheimniß von allerlei Dingen finden, wenn man darin lesen könnte, wie Ihr in dem Briefe gelesen habt, den Ihr bei meiner Ankunft verbarget.«
Athos stieg das Blut ins Gesicht, er machte einen Schritt gegen Seine Eminenz.
«Man sollte glauben, Ihr hegtet wirklich einen Argwohn gegen uns, Monseigneur, und wir hätten ein wahres Verhör zu bestehen.«
«Und wenn es nun wirklich ein Verhör wäre?«fragte der Kardinal.
«Monseigneur, ich habe Eurer Eminenz gesagt, daß sie nur zu fragen habe und daß wir zu antworten bereit seien.«
«Was für ein Brief war das, den Ihr vorhin gelesen habt, Herr Aramis, und was verbargt Ihr?«
«Einen Brief von einer Frau, Monseigneur.«
«Oh ich begreife, «sprach der Kardinal,»man muß bei solchen Briefen discret sein; aber man kann sie doch einem Beichtiger zeigen, und Ihr wißt, ich gehöre dem geistlichen Stande an.«
«Monseigneur, «sagte Athos mit einer um so furchtbareren Ruhe, als er bei dieser Antwort um seinen Kopf spielte,»Monseigneur, der Brief ist von einer Frau, aber weder Marion Delorme, noch Frau von Combalot, noch Frau von Chaulnes unterzeichnet.
Der Kardinal wurde bleich wie der Tod. Ein wilder Blitz guckte aus seinen Augen. Er wandte sich um, als wollte er Cahusac und La Houdinière einen Befehl geben. Athos sah diese Bewegung und machte einen Schritt gegen die Musketen, auf welche die drei Freunde ihre Augen wie Männer gerichtet hielten, die sehr wenig Lust hatten, sich verhaften zu lassen. Der Kardinal war zu drei, die Musketiere, ihre Bedienten mit einbegriffen, zu sieben. Er dachte, die Partie wäre um so weniger gleich, wenn Athos und seine Gefährten wirklich conspiriren, und vermöge einer der raschen Wendungen, über die er stets zu verfügen im Stande war, verwandelte sich sein ganzer Zorn in ein lächeln.
«Gut, gut, «sprach er,»Ihr seid wackre junge Leute, stolz in der Sonne, getreu in der Dunkelheit, und es ist kein Fehler, über sich selbst zu wachen, wenn man so gut über Andere wacht. Meine Herren, ich habe die Nacht durchaus nicht vergessen, wo Ihr mir als Escorte bei meinem Ritt nach dem rothen Taubenschlag dientet. Wenn irgend eine Gefahr auf der Route, die ich zu machen habe, zu befürchten wäre, so würde ich Euch bitten, mich zu begleiten. Da aber dies nicht der Fall ist, so bleibt, wo Ihr seid, endiget Eure Flaschen, Eure Partie und Euern Brief. Gott befohlen, meine Herren!«
Hierauf bestieg er wieder sein Pferd, das ihm Cahusac entgegen brachte, grüßte sie mit der Hand und entfernte sich.
Die vier jungen Leute standen unbeweglich und folgten ihm mit den Blicken, ohne ein einziges Wort zu sprechen, bis er verschwunden war.
Dann schauten sie sich an.
Alle sahen bestürzt aus, denn trotz des freundschaftlichen Abschiedes des Kardinals begriffen sie, daß Seine Eminenz mit Wuth im Herzen wegging.
Athos allein lächelte verächtlich.
Als der Kardinal außer Hör- und Sehweite war, rief Porthos, welcher große Lust hatte, seine üble Laune auf einen Andern fallen zu lassen:
«Dieser Grimaud hat sehr spät geschrieen!«
Grimaud war im Begriff zu antworten, um sich zu entschuldigen. Athos hob den Finger auf und Grimaud schwieg.
«Würdet Ihr den Brief abgegeben haben, Aramis?«sagte d'Artagnan.
«Ich, «erwiderte Aramis mit seiner flötendsten Stimme,»ich war entschieden. Wenn er die Auslieferung verlangt hätte, so würde ich ihm mit einer Hand den Brief übergeben und mit der andern den Degen durch den Leib gerannt haben.«
«Das erwartete ich, «sagte Athos,»und darum habe ich mich zwischen Euch und ihn geworfen. Dieser Mann ist in der That sehr unklug, daß er auf solche Art mit andern Männern spricht. Man sollte glauben, er habe es sein Leben lang nur mit Weibern und Kindern zu thun gehabt.«
«Mein lieber Athos!«rief d'Artagnan,»ich bewundere Euch, aber wir hatten im Ganzen doch Unrecht.«
«Wie, Unrecht?«entgegnete Athos,»wem gehört denn diese Luft, die wir athmen? wem dieses Meer, an welchem wir lagern? wem dieser Brief von Eurer Geliebten? Etwa dem Kardinal? Dieser Mensch bildet sich am Ende ein, die ganze Welt gehöre ihm. Ihr standet stammelnd, erstaunt, vernichtet da, als ob die Bastille vor Euch empor starrte, und die eisige Medusa Euch in Stein verwandelte. Ist Verliebtheit eine Conspiration? Ihr seid in eine Frau verliebt, die der Kardinal einsperren ließ; Ihr wollt sie den Händen des Kardinals entziehen, das ist die Partie, die Ihr mit Seiner Eminenz spielt. Dieser Brief ist Euer Spiel. Warum solltet Ihr Euer Spiel Eurem Gegner zeigen? Er mag es errathen! Wir errathen das seinige gar wohl.«
«Was Ihr da sagt, Athos, ist allerdings sehr vernünftig, «sprach d'Artagnan.
«Dann sei von dem ganzen Vorfall nicht mehr die Rede, und Aramis nehme den Brief seiner Base da auf, wo ihn der Herr Kardinal unterbrochen hat.«
Aramis zog den Brief aus seiner Tasche. Die drei Freunde näherten sich ihm und die drei Lakaien lagerten sich abermals um die Strohflasche.
«Ihr habt nur eine oder zwei Zeilen gelesen, «sagte d'Artagnan.»Lest also den Brief von Anfang an.«
«Gerne, «erwiderte Aramis.
«Mein lieber Vetter,
«Ich glaube wohl, daß ich mich entschließen werde, nach Bethune abzureisen, wo meine Schwester unsere kleine Magd in eine Karmeliterinnen-Kloster gebracht hat. Dieses arme Kind hat sich darein ergeben. Es weiß, daß es nicht anderswo leben kann, ohne daß das Heil seiner Seele gefährdet wäre. Wenn jedoch unsere Familienangelegenheiten sich ordnen, wie wir es wünschen, so glaube ich, daß die Arme auf die Gefahr ihres Seelenheiles hin zu demjenigen zurückkehren wird, nach welchen sie sich um so mehr sehnt, als sie weiß, daß man stets an sie denkt. Einstweilen ist sie nicht zu unglücklich. Ihr einziger Wunsch ist ein Brief von ihrem Bräutigam. Ich weiß sehr wohl, daß solche Waaren schwer durch die Gitter gehen, aber im Ganzen, mein lieber Vetter, bin ich — und ich habe Euch hievon Beweise gegeben — nicht gar zu ungeschickt, und ich übernehme diesen Auftrag. Meine Schwester dankt Euch für Eure beständige Erinnerung; sie schwebte einen Augenblick in großer Unruhe, aber jetzt ist sie ein wenig beruhigt, weil sie ihren Gehülfen hinuntergeschickt hat, damit nichts Unvorhergesehenes vorfallen kann.
«Adieu, mein lieber Vetter, gebt so oft als möglich Nachricht von Euch, das heißt, so oft, als Ihr es sicher thun zu können glaubt. Ich küsse Euch.
Marie Michon.«
«O wie viel Dank bin ich Euch schuldig, Aramis, «rief d'Artagnan.»Die theure Constance! endlich habe ich also Kunde von ihr! Sie lebt, sie ist in Sicherheit in einem Kloster; sie ist in Bethune! Wo liegt Bethune, Athos?«
«Auf der Grenze von Artois und Flandern; ist die Belagerung einmal aufgehoben, so können wir eine Reise dahin machen.«
«Und das wird hoffentlich nicht mehr lange währen, «sprach Porthos;»denn man hat diesen Morgen wieder einen Spion gehängt, welcher behauptete, die Rocheller seien am Oberleder ihrer Stiefel. Nehme ich nun an, daß sie die Sohlen essen, wenn sie das Oberleder verzehrt haben, so sehe ich nicht ein, was ihnen nachher noch übrig bleiben soll, wenn sie nicht einander selber verspeisen wollen.«
«Arme Tröpfe!«sprach Athos und leerte ein Glas vortrefflichen Bordeauxweins, der, ohne damals schon seinen heutigen Ruf zu besitzen, ihn doch wenigstens verdiente.»Arme Tröpfe, als ob die katholische Religion nicht die vortheilhafteste und angenehmste der Religionen wäre. Doch gleich viel, «fuhr er fort, nachdem er mit der Zunge am Gaumen geschnalzt hatte,»es sind brave Leute. Aber was Teufels macht Ihr denn, Aramis, Ihr steckt diesen Brief in Eure Tasche?«
«Ja, «sagte d'Artagnan,»Athos hat Recht, man muß ihn verbrennen. Wer weiß jedoch, ob der Herr Kardinal nicht ein Geheimniß besitzt, um die Asche zu befragen.«
«Er muß wohl eines besitzen, «erwiderte Athos.
«Aber, was wollt Ihr denn mit dem Briefe machen?«fragte Porthos.
«Kommt hieher, Grimaud, «sagte Athos.
Grimaud stand auf und gehorchte.
«Zur Strafe dafür, daß Ihr ohne Erlaubniß gesprochen habt, mein Freund, werdet ihr das Stück Papier essen, und für den Dienst, den Ihr uns leistet, trinkt ihr sodann dieses Glas Wein. Hier, nehmt zuerst den Brief, kaut kräftig.«
Grimaud lächelte, und die Augen auf das Glas gerichtet, das Athos bis auf den Rand gefüllt hatte, zerkaute er das Papier und verschlang es.
«Bravo, Meister Grimaud!«rief Athos,»und nun dieses. Gut, ich entbinde Euch der Verpflichtung, Dank zu sagen.«
Grimaud trank stillschweigend das Glas Bordeauxwein, aber seine zum Himmel aufgeschlagenen Augen sprachen, so lange diese süße Beschäftigung dauerte, eine Sprache, die, obgleich stumm, darum doch nicht minder ausdrucksvoll war.
«Und nun, «sagte Athos,»wenn nicht der Herr Kardinal den geistreichen Gedanken hat, Grimaud den Bauch öffnen zu lassen, können wir, glaube ich, beinahe ruhig sein.«
Während dieser Zeit setzte Seine Eminenz ihren schwermüthigen Spazierritt fort und brummte wiederholt in seinen Schnurrbart:
«Diese vier Bursche müssen um jeden Preis mein werden.«
XXIV. Erster Tag der Gefangenschaft
Kehren wir zu Mylady zurück, die uns ein Blick auf die Küste Frankreichs eins Weile aus dem Gesichte verlieren ließ.
Wir werden sie in der verzweifelten Lage wieder finden, in der wir sie zurückgelassen haben, einen Abgrund düsterer Betrachtungen, eine finstere Hölle grabend, an deren Pforte sie beinahe jede Hoffnung zurückgelassen hat, denn zum ersten Male zweifelt, zum ersten Male fürchtet sie.
Bei zwei Gelegenheiten hat ihr Glück sie verlassen, bei zwei Gelegenheiten hat sie sich entdeckt und verrathen gesehen, bei zwei Gelegenheiten scheiterte sie an dem bösen Geiste, den ohne Zweifel der Herr sandte, um sie zu bekämpfen. D'Artagnan hat sie besiegt, sie, die unbesiegbare Macht des Bösen.
Er hat sie in ihrer Liebe verletzt, in ihrem Stolze gedemüthigt, und nun richtet er sie in ihrem Vermögen zu Grunde, schlägt sie in ihrer Freiheit, bedroht sie sogar in ihrem Leben. Mehr noch, er hat eine Ecke ihrer Maske aufgehoben, mit der sie sich bedeckt, die sie so stark macht.
D'Artagnan hat von Buckingham, den sie haßt, wie sie alles haßt, was sie geliebt hat, den Sturm abgewendet, mit dem ihn Richelieu in der Person der Königin bedrohte. D'Artagnan hat sich für Wardes ausgegeben, für den sie eine glühende Tigerliebe, unbezähmbar, wie bei allen Frauen dieses Charakters, hegte. D'Artagnan kennt das furchtbare Geheimniß, das nach ihrem Schwure Niemand kennen sollte, ohne zu sterben. In dem Augenblick, wo sie von Richelieu eine Vollmacht erhalten hat, mit dessen Hülfe sie sich an ihrem Feinde zu rächen gedenkt, wird ihr dieses Papier aus den Händen gerissen, und d'Artagnan hält sie gefangen und will sie nach irgend einem schmachvollen Botanybay, nach irgend einem abscheulichen Tyburn des indischen Oceans schicken.
Denn alles dies kommt ohne Zweifel von d'Artagnan. Von wem sollte so viele auf ihr Haupt gehäufte Schmach kommen, außer von ihm? Er allein konnte Lord Winter all' die furchtbaren Geheimnisse mittheilen, die er nach einander durch eine unselige Verkettung von Umständen erfahren hatte.
Wie viel Haß zersetzt sie! Hier, unbeweglich und die glühenden Augen starr auf ihr einsames Stübchen geheftet, während das Geräusch des dumpfen Schnaubens, das zuweilen aus der Tiefe ihrer Brust hervorkommt, das Tosen der Wellen begleitet, welche steigen, brausen und brüllen und sich wie eine ewige, unmächtige Verzweiflung an den Felsen brechen, auf denen das stolze, düstere Schloß erbaut ist, während ihr stürmischer Zorn mit seinen Blitzen ihren Geist erleuchtet, hier entwirft sie gegen Madame Bonacieux, gegen Buckingham und besonders gegen d'Artagnan großartige, in der fernen Zukunft sich verlierende Rachepläne.
Ja, aber um sich zu rächen, muß man frei sein, und um frei zu sein, wenn man gefangen ist, muß man eine Mauer durchbrechen, Gitterstangen losmachen, einen Boden durchhöhlen, lauter Unternehmungen, welche ein geduldiger und starker Mann zu Ende führen kann, an denen jedoch die fieberhaften Aufregungen einer Frau scheitern müssen.
Um Alles dies zu thun, muß man überdies Zeit, Monate Jahre haben, und sie hat, wie ihr Mylord Winter, ihr brüderlicher und furchtbarer Kerkermeister, sagte, nur zehn bis zwölf Tage.
Und dennoch, wenn sie ein Mann wäre, würde sie Alles dies versuchen, und es würde ihr vielleicht gelingen; warum hat sich der Himmel so getäuscht, indem er diese männliche Seele in einen so schwachen und zarten Leib legte?
Die ersten Augenblicke der Gefangenschaft waren also furchtbar. Mit einigen krampfhaften Zuckungen der Wuth, die sie nicht zu überwinden vermochte, wurde die Schuld weiblicher Schwäche an die Natur abgetragen. Nach und nach aber hat sie die Ausbrüche ihres tollen Zornes bewältigt, das Nervenzittern, welches ihren Körper bewegte, ist verschwunden, und sie hat sich nun auf sich selbst zurückgewunden, wie eine müde Schlange, wenn sie ausruht.
«Auf, auf! ich war eine Thorin, daß ich mich hinreißen ließ, «spricht sie, in den Spiegel schauend, der ihren Augen den glühenden Blick zurückwirft, durch den sie sich selbst zu befragen scheint,»keine Gewaltthätigkeit! die Gewaltthätigkeit ist ein Zeichen der Schwäche, und ich habe nie durch dieses Mittel gesiegt. Wenn ich vielleicht von meiner Kraft gegen Frauen Gebrauch machen müßte, hätte ich Hoffnung, sie noch schwächer zu finden, als ich selbst bin, und sie folglich zu überwältigen; aber ich kämpfe gegen Männer und bin für sie nur eine Frau. Wir wollen als Frau kämpfen. Meine Kraft liegt in meiner Schwäche.«
Als wollte sie sich selbst von den Veränderungen Rechenschaft geben, die sie in ihrer so ausdrucksvollen und so edeln Physiognomie zu bewerkstelligen im Stande war, ließ sie diese sodann nach und nach alle Ausdrücke annehmen, vom Zorne an, der ihr Gesicht krampfhaft zusammenzog, bis zum sanftesten, zärtlichsten, verführerischsten Lächeln. Ihre Haare erhielten unter ihren geschickten Händen alle Wellenformen, von denen sie glaubte, sie dürften die Reize ihrer Züge erhöhen. Endlich murmelte sie mit sich selbst zufrieden:
«Noch ist nichts verloren, ich bin immer noch schön.«
Es war ungefähr acht Uhr Abends. Mylady bemerkte ein Bett und dachte, ein paar Stunden Ruhe würden nicht nur ihren Kopf und ihre Gedanken, sondern auch ihren Teint erfrischen. Doch ehe sie sich niederlegte, kam ihr noch eine bessere Idee; sie hatte von Abendbrod sprechen hören. Schon war sie seit geraumer Zeit in diesem Zimmer und man konnte nicht länger zögern, ihr das Mahl zu bringen. Die Gefangene wollte keine Zeit verlieren, und sie beschloß schon an diesem Abend einen Versuch zu machen, um das Terrain zu sondiren und die Charaktere der Leute zu erforschen, denen ihre Bewachung anvertraut war.
Ein Licht erschien unter der Thüre, es kündete die Rückkehr ihrer Kerkermeister an. Mylady, welche sich erhoben hatte, warf sich rasch wieder in ihren Lehnstuhl, den Kopf zurückgebogen, die Haare aufgelöst und zerstreut, den Hals halb entblößt unter zerknitterten Spitzen, eine Hand auf ihrem Herzen, die andere herabhängend.
Man öffnete die Riegel, die Thüre ächzte auf ihren Angeln; Tritte erschollen im Innern und näherten sich.
«Stellt den Tisch hierher, «sagte eine Stimme, an der Mylady Felton erkannte.
Der Befehl wurde vollzogen.
«Bringt Lichter und laßt die Wache ablösen, «fuhr Felton fort, und dieser doppelte Befehl, den der junge Lieutenant denselben Menschen ertheilte, gab Mylady die Ueberzeugung, daß ihre Diener und ihre Wächter dieselben Menschen waren, nämlich Soldaten.
Endlich wandte sich Felton, der Mylady noch nicht angeschaut hatte, nach ihr um.
«Ah! ah!«sagte er,»sie schläft gut, bei ihrem Erwachen wird sie zu Nacht speisen.«
Er machte einige Schritte, um sich zu entfernen.
«Aber, mein Lieutenant, «sagte der Soldat, der etwas weniger stoisch war, als sein Vorgesetzter, und sich Mylady genähert hatte,»diese Frau schläft nicht.«
«Wie, sie schläft nicht?«sprach Felton,»was macht sie denn?«
«Sie ist ohnmächtig. Ihr Gesicht ist sehr bleich, und ich höre, wie sehr ich auch lausche, keinen Athemzug.«
«Ihr habt Recht, «erwiderte Felton, nachdem er Mylady von dem Platze, wo er stand, ohne einen Schritt gegen sie zu thun, angeschaut hatte.»Benachrichtigt Lord Winter, seine Gefangene sei in Ohnmacht gefallen, denn ich weiß nicht, was ich thun soll, da dieser Fall nicht vorhergesehen ist.«
Der Soldat ging ab, um den Befehlen des Officiers zu gehorchen. Felton setzte sich auf einen Stuhl, der sich zufällig in der Nähe der Thüre fand, und wartete, ohne ein Wort zu sprechen, ohne die geringste Geberde zu machen. Mylady besaß die große, von den Frauen so sehr studirte Kunst, alles mit Hülfe eines Reflexes, eines Spiegels oder eines Schattens zu sehen; sie bemerkte Felton, der ihr den Rücken zukehrte; sie schaute ihn beinahe zehn Minuten beständig an, und während dieser zehn Minuten wandte sich der kalte Wächter nicht ein einziges Mal um.
Sie bedachte nun, daß Lord Winter kommen und durch seine Gegenwart ihrem Kerkermeister neue Kraft verleihen würde. Ihr erster Versuch war gescheitert; sie faßte ihren Entschluß als eine Frau, welche auf ihre Mittel zählt. Diesem Entschlusse zu Folge hob sie den Kopf, öffnete die Augen und stieß einen schwachen Seufzer aus.
Bei diesem Seufzer wandte sich Felton um.
«Ah! Ihr seid erwacht, Madame, «sprach er,»ich habe also nichts mehr hier zu thun. Wenn Ihr etwas braucht, so ruft.«
«Oh, mein Gott, mein Gott! was habe ich gelitten!«murmelte Mylady mit der wohlklingenden Stimme, welche Alle bezauberte, sie sie ins Verderben stürzen wollte.
Und sich auf ihrem Stuhle aufrichtend, nahm sie eine noch anmuthigere und zugleich nachlässigere Stellung an.
Felton stand auf.
«Ihr werdet auf diese Art dreimal des Tags bedient werden, Madame, «sprach er,»Morgens um neun Uhr, Mittags um ein Uhr und Abends um acht Uhr. Wenn Euch das nicht genehm ist, so könnt Ihr andere Stunden statt derer, welche ich Euch vorschlage, nennen, und man wird sich in dieser Beziehung Euern Wünschen fügen.«
«Aber soll ich denn immer in dieser großen, traurigen Stube allein bleiben?«fragte Mylady.
«Eine Frau aus der Gegend ist bestellt, sie wird morgen im Schlosse sein und zu Euch kommen, so oft Ihr ihre Gegenwart wünscht.«
«Ich danke Euch, mein Herr, «antwortete die Gefangene demüthig.
Felton grüßte leicht und wandte sich nach der Thüre. In dem Augenblick, wo er über die Schwelle treten wollte, erschien Lord Winter, gefolgt von dem Soldaten, der ihn von Myladys Ohnmacht in Kenntnis gesetzt hatte, in der Flur; er hielt einen Flacon mit Riechsalz m der Hand.
«Wie! was geht denn hier vor?«sprach er mit spöttischem Tone, als er sah, daß seine Gefangene aufrecht stand und Felton im Begriff war zu gehen.»Die Todte ist also wieder erweckt? Mein Gott, Felton, mein Junge, hast Du denn nicht wahrgenommen, daß man Dich für einen Neuling hielt und den ersten Akt einer Komödie mit Dir spielte, dessen ganze Entwicklung zu verfolgen wir ohne Zweifel das Vergnügen haben werden?«
«Ich habe es wohl gedacht, Mylord, «erwiderte Felton,»aber da die Gefangene im Ganzen doch eine Frau ist, so wollte ich die Rücksicht nehmen, die ein Mann von guter Geburt einem weiblichen Wesen schon um seiner selbst willen schuldig ist.«
Mylady bebte am ganzen Leibe. Diese Worte liefen wie Eis durch alle ihre Adern.
«Diese schönen Haare, «versetzte Lord Winter lächelnd,»diese schönen, so geschickt ausgebreiteten Haare, diese weiße Haut, dieser schmachtende Blick haben Dich also nicht verführt, Marmorherz?«
«Nein, Mylord, «antwortete der unempfindliche junge Mann,»glaubt mir, es bedarf mehr, als der Frauen-Kunstgriffe und Koketterien, um mich zu bestechen.«
«Wenn dem so ist, mein braver Lieutenant, so mag Mylady etwas Anderes ersinnen, und wir wollen zu Nacht speisen. Oh! sei ruhig, sie hat eine furchtbare Phantasie, und der zweite Akt der Komödie wird bald dem ersten folgen.«
Nach diesen Worten nahm Lord Winter Felton beim Arme, und ging lachend mit ihm weg.
«Oh! ich werde schon finden, was Du brauchst, «murmelte Mylady zwischen den Zähnen; armer, verunglückter Mönch, umgekehrter Soldat, der Du Dir Deine Uniform aus einer Kutte geschnitten hast.«
«Doch, was ich noch bemerken wollte, «versetzte Lord Winter, auf der Schwelle stehen bleibend,»dieses Scheitern braucht Euch den Appetit nicht zu benehmen. Kostet das Huhn und die Fische, die ich bei meinem Ehrenwort nicht habe vergiften lassen. Ich bin ziemlich wohl mit meinem Koche zufrieden, und da er nichts von mir zu erben hat, so setze ich volles Vertrauen in ihn. Macht es wie ich. Gott befohlen, liebe Schwester. Bei Eurer nächsten Ohnmacht sehen wir uns wieder.«
Das war Alles, was Mylady zu ertragen vermochte. Ihre Hände zogen sich krampfhaft auf dem Lehnstuhl zusammen. Ihre Zähne knirrschten dumpf, ihre Augen folgten der Bewegung der Thüre, welche sich hinter Lord Winter und Felton schloß, und als sie sich allein sah, fühlte sie sich von einer neuen Krisis der Verzweiflung befallen. Sie schaute nach dem Tische, gewahrte ein Messer, stürzte darauf los und ergriff es. Aber es trat sogleich eine grausame Enttäuschung ein, die Klinge war rund, und von biegsamem Silber.
Ein schallendes Gelächter wurde an der Thüre hörbar, und diese öffnete sich wieder.
«Ah! ah!«rief Lord Winter,»ah, ah! siehst Du wohl, mein braver Felton, was ich Dir gesagt habe? Dieses Messer war für Dich bestimmt, mein Kind, sie hätte Dich umgebracht. Siehst Du, das ist eine ihrer Verkehrtheiten, daß sie sich der Leute, welche sie geniren, auf die eine oder die andere Weise entledigt. Wenn ich auf Dich gehört hätte, so wäre das Messer spitzig und von Stahl gewesen, dann gäbe es keinen Felton mehr; sie hätte Dich erstochen und nach Dir die ganze Welt. Siehst Du, John, wie sie das Messer so gut zu halten weiß!«
Mylady hielt in der That noch die unschädliche Waffe in ihrer Hand. Die letzte Beleidigung löste ihre Hände, ihre Kräfte und sogar ihren Willen auf. Das Messer fiel zu Boden.
«Ihr habt Recht, Mylord, «sprach Felton mit einem Ausdruck des tiefsten Ekels, der in dem Herzen Myladys wiederhallte,»Ihr habt Recht und ich hatte Unrecht.«
Hierauf entfernten sich Beide abermals.
Aber diesmal horchte Mylady aufmerksamer, als das erste Mal, und sie hörte, wie ihre Tritte nach und nach im Hintergrunde der Flur erstarben.
«Ich bin verloren, «murmelte sie,»ich befinde mich in der Gewalt von Leuten, auf die ich nicht mehr Einfluß ausüben werde, als auf Bildsäulen von Erz oder Granit. Sie kennen mich auswendig und sind gegen alle meine Waffen gepanzert.«
«Doch diese Sache kann unmöglich, «sprach sie nach einem Augenblick,»so endigen, wie sie es beschlossen haben.«
Die Furcht und das Gefühl der Schwäche schwammen, wie dies die letztere Betrachtung, die instinktmäßige Rückkehr zur Hoffnung, andeutete, nicht lange oben in dieser tiefen Seele.
Mylady setzte sich zu Tische, aß von mehreren Gerichten, trank ein wenig spanischen Wein und fühlte ihre ganze Entschlossenheit wieder erwachen.
Ehe sie sich schlafen legte, hatte sie bereits die Worte, die Schritte, die Geberden, die Zeichen und sogar das Stillschweigen ihrer Kerkermeister erklärt, analysirt, von allen Seiten betrachtet, in allen Punkten geprüft, und aus diesem geschickten, geistreichen Studium hatte sie entnommen, daß Felton jedenfalls der weniger unverwundbare von Beiden war.
Ein Wort besonders tauchte immer wieder im Geiste der Gefangenen auf.
«Wenn ich auf Dich gehört hätte, «hatte Lord Winter zu Felton gesagt.
Felton hatte also zu ihren Gunsten gesprochen, da ihn Lord Winter nicht hören wollte.
«Dieser Mensch, «wiederholte Mylady,»hat also jedenfalls einen mehr oder minder starken Anflug von Mitleid in seinem Herzen. Diesen Schimmer werde ich zu einem Brande anfachen, der ihn verzehren soll. Der andere kennt mich, er fürchtet mich und weiß, was er von mir zu erwarten hat, wenn ich je seinen Händen entkomme. Es ist also vergeblich, etwas gegen ihn zu versuchen. Aber bei Felton ist es etwas Anderes. Er ist ein unschuldiger reiner junger Mann, ein tugendhafter Mensch, wie es scheint. Bei ihm gibt es ein Mittel, ihn zu verderben.«
Und Mylady legte sich nieder und entschlummerte mit einem Lächeln auf den Lippen. Wer sie schlafend sah, hätte glauben können, ein junges Mädchen liege vor ihm und träume von dem Blumenkranz, den es beim nächsten Fest auf seiner Stirne tragen solle.
XXV. Zweiter Tag der Gefangenschaft
Mylady träumte, sie habe d'Artagnan endlich erwischt und wohne seiner Hinrichtung bei; der Anblick seines unter dem Henkerbeil entströmenden verhaßten Blutes brachte dieses reizende Lächeln auf ihre Lippen. Sie schlief, wie ein Gefangener schläft, der durch seine erste Hoffnung eingewiegt wird.
Als man am andern Morgen in ihr Zimmer trat, lag sie noch im Bette. Felton verweilte in der Flur. Er brachte die Frau, von der er am Abend zuvor gesprochen hatte. Diese Frau trat ein, näherte sich dem Bette Mylady's und bot ihr ihre Dienste an.
Mylady war gewöhnlich bleich, ihre Gesichtsfarbe konnte also diejenige täuschen, die sie zum erstenmale sah.
«Ich habe das Fieber, «sprach sie,»und konnte die ganze Nacht kein Auge zuthun. Ich leide furchtbar. Werdet Ihr menschlicher sein, als man gestern gegen mich gewesen ist? Ich verlange nichts Anderes, als liegen bleiben zu dürfen.«
«Wollt Ihr, daß man einen Arzt rufe?«sprach die Frau.
Felton hörte diesen Dialog an, ohne ein Wort zu sagen. Mylady überlegte, daß sie, je mehr man sie mit Menschen umgebe, desto mehr Leute hätte, die sie zum Mitleid bewegen könnte, und daß sich sodann die Wachsamkeit Lord Winters verdoppeln müßte. Ueberdies konnte der Arzt erklären, die Krankheit sei nur geheuchelt, und Mylady wollte, nachdem sie die erste Partie verloren hatte, die zweite nicht ebenfalls verlieren.
«Einen Arzt holen, «sagte sie,»wozu soll dies nützen? Diese Herren haben gestern erklärt, mein Uebel sei eine Komödie. Heute würde wohl dasselbe der Fall sein. Denn seit gestern Abend hat man Zeit genug gehabt, den Arzt zu benachrichtigen.«
«Nun, so sagt selbst, «sprach Felton ungeduldig,»welche Kur Ihr wünscht.«
«Ei, mein Gott, weiß ich es denn? ich fühle, daß ich leide; das ist Alles. Man gebe mir, was man will, es ist mir ganz gleichgültig!«
«Holt Lord Winter, «sagte Felton, der ewigen Klagen müde.
«Oh! nein, nein!«rief Mylady,»nicht, mein Herr, ruft ihn nicht! Ich beschwöre Euch, ich befinde mich wohl! ich brauche nichts; ruft ihn nicht!«
Sie sprach diese Worte mit einer so natürlichen Heftigkeit, daß Felton, davon hingerissen, einige Schritte in das Zimmer that.
«Er ist bewegt, «dachte Mylady.
«Wenn Ihr jedoch wirklich leidet, Madame, «sagte Felton,»so wird man einen Arzt holen, und täuscht Ihr uns, nun, um so schlimmer für Euch; wir haben uns wenigstens nichts vorzuwerfen.«
Mylady antwortete nicht, sondern sie warf ihren schönen Kopf auf das Kissen zurück und fing an zu weinen und zu schluchzen.
Felton betrachtete sie mit seiner gewöhnlichen Unempfindlichkeit. Als er aber sah, daß die Krisis sich zu verlängern drohte, ging er weg. Die Frau folgte ihm. Lord Winter erschien nicht.
«Ich glaube, ich fange an, klar zu sehen, «murmelte Mylady mit einer wilden Freude und begrub sich unter ihren Betttüchern, um allen denjenigen, welche sie beobachten könnten, diesen Ausbruch innerer Befriedigung zu verbergen.
Es schlug zehn Uhr.
«Nun ist es Zeit, die Krankheit aufhören zu lassen, «sagte sie.»Wir wollen aufstehen, und schon heute einigen Erfolg zu gewinnen suchen. Ich habe nur zehn Tage, und heute Abend und bereits zwei davon abgelaufen.«
Die Bedienung hatte, als sie am Morgen in Mylady's Zimmer getreten war, ihr das Frühstück gebracht. Nun dachte die Gefangene, man werde es ihr bald wegnehmen, und sie werde bei dieser Gelegenheit Felton wiedersehen.
Mylady täuschte sich nicht. Felton erschien abermals und gab, ohne nachzusehen, ob Mylady das Frühstück berührt hatte oder nicht, Befehl, den Tisch wegzutragen, den man gewöhnlich ganz serviert brachte.
Felton blieb zurück. Er hielt ein Buch in seiner Hand. In einem Fauteuil in der Nähe des Kamins liegend, glich Mylady, schön, bleich und ergebungsvoll, einer heiligen Jungfrau, welche dem Märtyrerthum entgegensieht.
Felton näherte sich ihr und sprach:
«Lord Winter, der ein Katholik ist, wie Ihr, Madame, glaubte, die Entbehrung der Gebräuche und Zeremonien Eurer Religion dürfte schmerzlich für Euch sein. Er erlaubt also, daß Ihr jeden Tag die gewöhnlichen Gebete Eurer Messe lest, und hier ist ein Buch, welches das Ritual enthält.«
Bei der Miene, mit der Felton dieses Buch auf das Tischchen legte, an welchem Mylady saß, bei dem Tone, mit dem er die zwei Worte Eurer Messe aussprach, bei dem verächtlichen Lächeln, womit er dieselben begleitete, hob Mylady das Haupt und schaute den Offizier aufmerksamer an.
An dem ernsten Schnitt des Haares, an der einfachen Tracht, an der Stirne, die so glatt war wie Marmor, aber hart und undurchdringlich wie dieser, erkannte sie einen von den finstern Puritanern, dergleichen sie sowohl am Hof des Königs Jakob, als am Hof des Königs von Frankreich, wo sie zuweilen trotz der Erinnerung an die Sanct-Bartholomäusnacht Zuflucht suchten, so häufig getroffen hatte.
Sie hatte daher eine jener raschen Eingebungen, wie sie nur Leute von Genie in großen Krisen, in den äußersten Momenten, die über Glück und Leben entscheiden sollen, zu bekommen pflegen.
Die zwei Worte Eurer Messe und ein einziger Blick auf Felton hatten ihr in der That das ganze Gewicht der Antwort enthüllt, welche sie zu geben im Begriffe war.
Aber mit dem ihr eigenthümlichen schnellen Geistesblick trat diese Antwort sogleich ganz fertig auf ihre Lippen, und mit einer verächtlichen Betonung, welche sie mit dem Ausdruck in Einklang brachte, den sie in der Stimme des jungen Mannes wahrgenommen hatte, erwiderte sie:
«Ich, mein Herr? meine Messe? Lord Winter, der verdorbene Katholik, weiß ganz wohl, daß ich nicht seiner Religion angehöre, und es ist nur eine Falle, die er mir legen will.«
«Von welcher Religion seid Ihr denn, Madame?«fragte Felton mit einem Staunen, das er trotz seiner Selbstbeherrschung nicht ganz zu verbergen vermochte.
«Ich werde es sagen!«rief Mylady mit einer erheuchelten Begeisterung,»ich werde es sagen, wenn ich genug für meine Religion gelitten haben werde.«
Der Blick Feltons enthüllte vor Mylady die ganze Ausdehnung des Raumes, den sie sich durch dieses einzige Wort geöffnet hatte.
Der junge Mann blieb indessen stumm und unbeweglich. Sein Blick hätte allein gesprochen.
«Ich bin in den Händen meiner Feinde, «fuhr sie in jenem Tone der Begeisterung fort, von dem sie wußte, daß er den Puritanern eigenthümlich war.»Gott mag mich retten, oder ich mag für meinen Gott untergehen! Das ist die Antwort, die ich Euch Lord Winter zu überbringen bitte, «fügte sie bei und deutete mit der Fingerspitze auf das Gebetbuch, jedoch ohne es zu berühren, als hätte sie sich durch eine solche Berührung verunreinigt geglaubt,»Ihr könnt dieß zurückbringen und gebraucht es für Euch selbst; denn Ihr seid ohne Zweifel ein doppelter Mitschuldiger von Lord Winter, mitschuldig bei seiner Verfolgung, mitschuldig bei seiner Ketzerei.«
Felton antwortete nicht. Er nahm das Buch mit demselben Gefühl des Widerwillens, das er bereits kund gegeben hatte, und zog sich nachdenklich zurück.
Lord Winter erschien gegen fünf Uhr Abends. Mylady hatte den ganzen Tag Zeit gehabt, den Plan für ihr Benehmen zu entwerfen. Sie empfing ihn als eine Frau, die bereits wieder in alle ihre Vortheile eingetreten ist.
«Es scheint, «sagte der Baron, indem er sich Mylady gegenüber in einen Lehnstuhl setzte und seine Füße nachläßig gegen den Kamin ausstreckte,»es scheint, wir haben eine kleine Apostasie gemacht.«
«Was wollt Ihr damit sagen, mein Herr?«
«Ich will damit sagen, daß Ihr, seit wir uns zum letzten Mal gesehen haben, die Religion gewechselt habt. Solltet Ihr zufällig einen dritten protestantischen Gatten genommen haben?«
«Erklärt Euch, Mylord, «entgegnete die Gefangene mit Majestät;»denn ich sage Euch, daß ich Eure Worte zwar höre, aber nicht verstehe.«
«Dann habt Ihr gar keine Religion, und das gefällt mir noch besser, «versetzte Lord Winter mit Hohnlachen.
«Jedenfalls stimmt es besser zu Euren Grundsätzen, «sprach Mylady kalt.
«Ich muß Euch gestehen, daß mir dies vollkommen gleichgültig ist.«
«Gesteht immerhin diese religiöse Gleichgültigkeit, Eure Ausschweifungen und Verbrechen sind hinreichende Belege hiefür.«
«Wie, Ihr sprecht von Ausschweifungen, Frau Messalina, Ihr sprecht von Verbrechen, Lady Macbeth? Entweder habe ich unrecht verstanden, oder Ihr seid bei Gott! sehr unverschämt.«
«Ihr sprecht so, weil man uns hört, mein Herr, «erwiderte Mylady mit kaltem Tone,»und weil Ihr Eure Kerkermeister und Henker gegen mich einnehmen wollt.«
«Meine Kerkermeister, meine Henker! potz tausend, Madame, Ihr stimmt einen kuriosen Ton an, und die Komödie von gestern verwandelt sich heute Abend in eine Tragödie. Uebrigens werdet Ihr in acht Tagen da sein, wo Ihr sein sollt, und meine Aufgabe ist geendigt.«
«Schandfleck, heilloser Schandfleck!«rief Mylady mit der Begeisterung des Opfers, das seine Richter herausfordert.
«Bei meinem Ehrenwort, ich glaube, die drollige Person wird verrückt, «sagte Lord Winter.»Seid ruhig, Frau Puritanerin, oder ich lasse Euch in den Kerker werfen. Bei Gott! mein spanischer Wein steigt Euch in den Kopf, nicht wahr? Aber seid unbesorgt, diese Trunkenheit ist nicht gefährlich und wird keine Folgen haben.«
Und Lord Winter zog sich fluchend zurück, was in jener Zeit eine ganz ritterliche Gewohnheit war.
Felton stand allerdings vor der Thüre und hatte kein Wort von dieser ganzen Scene verloren.
Mylady hatte ihn richtig errathen.
«Ja, gehe, gehe!«sagte sie zu ihrem Schwager,»die Folgen kommen im Gegentheil: aber Du sollst sie erst erfahren, wenn es nicht mehr Zeit ist, sie zu vermeiden.«
Es trat wieder eine völlige Stille ein. Zwei Stunden verliefen und man brachte das Abendbrod; man fand Mylady mit ihrem Gebet beschäftigt, mit einem Gebet, das sie von einem Diener ihres zweiten Gatten, einem äußerst strengen Puritaner, gelernt hatte. Sie schien in eine solche Begeisterung versetzt, daß man glauben konnte, sie achte ganz und gar nicht auf das, was um sie her vorging. Felton befahl durch ein Zeichen, sie nicht zu stören, und als Alles in Ordnung war, entfernte er sich geräuschlos mit den Soldaten.
Mylady wußte, daß sie beobachtet werden konnte, sie setzte deßhalb ihr Gebet bis zum Schlusse fort, und es kam ihr vor, als ob der Soldat, der an ihrer Thüre Wache hielt, nicht mehr in demselben Schritt marschirte, sondern horchte.
Für den Augenblick wollte sie nicht mehr; sie stand auf, setzte sich zu Tische, aß wenig und trank nur Wasser.
Eine Stunde nachher kam man, um den Tisch wegzunehmen. Aber Mylady bemerkte, daß Felton die Soldaten diesmal nicht begleitete.
Er fürchtete also, sie zu oft zu sehen.
Sie wandte sich ab, um zu lächeln, denn in diesem Lächeln lag ein so triumphirender Ausdruck, daß sie sich schon dadurch hätte verrathen können.
Abermals ließ sie eine halbe Stunde vergehen, und da in diesem Augenblick Alles in dem alten Schlosse still war und man nur das ewige Gemurmel des Meeres, dieses ungeheure Athemholen des Oceans, vernahm, so stimmte sie mit ihrer reinen, klangreichen, vibrirenden Stimme den ersten Vers des folgenden, damals bei den Puritanern sehr beliebten, Psalmes an:
«Herr Du verläßt uns nur. Zu prüfen uns're Stärke, Doch Deine Himmelshand Beut dann den Preis für unsere Werke.«
Diese Verse waren nicht ausgezeichnet, dazu fehlte im Gegentheil noch viel: aber die Protestanten kümmerten sich nichts um die Poesie.
Während Mylady sang, horchte sie zugleich. Der Soldat, welcher vor ihrer Thüre Wache hielt, stand stille, als ob er in Stein verwandelt worden wäre. Mylady konnte hienach die Wirkung beurtheilen, die sie hervorgebracht hatte.
Sie setzte nun ihren Gesang mit unaussprechlicher Inbrunst und Gefühlsfülle fort. Es kam ihr vor, als verbreiteten sich die Töne in der Feme unter den Gewölben und müßten wie ein magischer Zauber das Herz ihrer Kerkermeister erweichen. Jedoch, der Soldat, welcher Schildwache stand, ohne Zweifel ein eifriger Katholik, schüttelte den Zauber ab, denn er öffnete das in der Thüre angebrachte Gitter und sprach:
«Schweigt, Madame, Euer Gesang ist traurig, wie de profundis, und wenn man, außer dem Vergnügen, hier in Garnison zu sein, auch noch solche Dinge hören müßte, so wäre es nicht auszuhalten.«
«Stille!«sagte eine tiefe Stimme, an der Mylady Felton erkannte.»In was mischt Ihr Euch, Bursche? Hat man Euch geboten, diese Frau im Singen zu hindern? Nein! man hat Euch gesagt, Ihr sollt sie bewachen und auf sie schießen, wenn sie zu entweichen suchen würde. Bewacht sie, schießt auf sie, wenn sie entweichen will, aber ändert nichts an dem Befehl.«
Ein Ausdruck unnennbarer Freude erleuchtete das Antlitz Mylady's, aber dieser Ausdruck war flüchtig, wie der Wiederstrahl eines Blitzes, und als ob sie das Zwiegespräch nicht gehört hätte, von dem sie kein Wort verlor, fuhr sie zu singen fort, indem sie ihrer Stimme den ganzen Zauber, den ganzen Umfang, die ganze Verführungskraft verlieh, womit sie von einem Dämon ausgerüstet war.
«Für so viele Thränen, Elend, Bann und Ketten Bleibt mir Gebet noch, Kraft und Jugend, Gott zählt sie selbst, die Zahl der Schrecken, Und lohnt sie mit dem Lohn der Tugend.«
Diese Stimme von unerhörtem Umfang und voll erhabener Leidenschaft gab der rohen, ungeschliffenen Poesie dieser Psalmen eine Zauberkraft, welche selbst die begeisterten Puritaner nur selten in den Gesängen ihrer Brüder fanden: Felton glaubte den Engel singen zu hören, der die drei Hebräer im feurigen Ofen tröstete.
Mylady fuhr fort:
«Er kommt gewiß, gerechter großer Gott, Des Leidens Lösetag, Und immer bleibt uns Märtyrthum und Tod, Ob jener auch die Hoffnung täuschen mag.«
Dieser Vers, in welchen die furchtbare Zauberin ihre ganze Seele legte, vollendete die Verwirrung im Herzen des jungen Offiziers. Er öffnete heftig die Thüre und Mylady sah ihn bleich wie immer, aber mit glühenden, beinahe irren Augen eintreten.
«Warum singt Ihr so, «sprach er,»und mit einer solchen Stimme?«
«Ich bitte um Vergebung, mein Herr, «erwiderte Mylady mit sanftem Tone.»Ich vergaß, daß meine Lieder in diesem Hause nicht gebräuchlich sind. Ich habe Euch ohne Zweifel in Eurem Glauben verletzt, aber ich schwöre Euch, es geschah unwillkürlich. Verzeiht mir also einen Fehler, der vielleicht groß, aber gewiß absichtslos ist.«
Mylady war in diesem Augenblick so schön, die religiöse Begeisterung, in welche sie sich versetzt hatte, gab ihrem Gesicht einen solchen Ausdruck, daß es Felton in seiner Verblendung vorkam, als sähe er den Engel, den er kurz zuvor zu hören geglaubt hatte.
«Ja, ja, «antwortete er,»ja, Ihr stört die Leute, die dieses Schloß bewohnen, Ihr bringt sie in Aufregung.«
Der arme Thor bemerkte nicht einmal die Zusammenhangslosigkeit seiner Rede, während Mylady ihr Luchsauge in die tiefste Tiefe seiner Seele tauchte.
«Ich werde schweigen, «sprach Mylady, indem sie mit der ganzen Weichheit, die sie ihrer Stimme, mit der ganzen Resignation, die sie ihrer Haltung zu geben vermochte, die Augen niederschlug.
«Nein, nein, Madame, «erwiderte Felton,»singt nur etwas weniger laut, besonders bei Nacht.«
Nach diesen Worten verließ Felton eilig das Zimmer, da er fühlte, daß er der Gefangenen gegenüber seine Strenge nicht länger zu bewahren vermochte.
«Ihr habt wohl gethan, Lieutenant, «sagte der Soldat.»Solche Gesänge drehen das Herz um; doch man gewöhnt sich am Ende daran. Die Stimme ist so schön!«
XXVI. Dritter Tag der Gefangenschaft
Felton war gekommen, aber es blieb noch ein Schritt zu thun: man mußte ihn zurückhalten oder er mußte vielmehr von selbst bleiben, und Mylady sah nur dunkel das Mittel, das sie zu diesem Resultate führen sollte.
Man brauchte noch mehr, man mußte ihn zum Sprechen bringen, um ebenfalls mit ihm zu sprechen; denn Mylady wußte wohl, daß ihre größte Versuchungskraft in ihrer Stimme lag, welche so geschickt die ganze Tonleiter von dem menschlichen Wort bis zur himmlischen Sprache durchlief.
Aber trotz dieser Verführungskunst konnte Mylady an dem geringsten Zufall scheitern, denn Felton war unterrichtet. Von nun an beobachtete sie alle seine Handlungen, alle seine Worte, den einfachsten Blick seiner Augen, jede Geberde, jedes Athemholen, das man als einen Seufzer halten konnte, kurz sie studirte Alles, wie ein geschickter Schauspieler, dem man eine Rolle in einem Fach gegeben hat, worin er nicht gewöhnlich auftritt.
Lord Winter gegenüber war ihr Benehmen leichter; in Beziehung auf ihn hatte sie schon am Tage vorher ihren ganzen Operationsplan festgestellt; stumm und würdig in seiner Anwesenheit bleiben, ihn zuweilen durch eine geheuchelte Verachtung, durch ein geringschätziges Wort reizen, ihn zu Drohungen und Gewaltthätigkeiten antreiben, die einen Kontrast mit ihrer Resignation bilden würden, dies war ihr Plan. Felton würde sehen, er würde vielleicht nichts sagen, aber er würde sehen.
Am Morgen kam Felton, wie gewöhnlich. Mylady ließ ihn allen Vorbereitungen zu ihrem Frühstück beiwohnen, ohne ein Wort an ihn zu richten.
In dem Augenblick, wo er sich entfernen wollte, belebte sie daher ein Hoffnungsschimmer, denn sie glaubte, er wolle sprechen; aber seine Lippen bewegten sich, ohne daß ein Ton aus seinem Munde kam, mit einer gewaltigen Anstrengung verschloß er die Worte, die seinen Lippen entschlüpfen wollten, und verließ das Zimmer.
Gegen Mittag trat Lord Winter ein.
Es war ein schöner Sommertag, und ein Strahl der bleichen Sonne Englands, welche erleuchtet und nicht erwärmt, drang durch die Gitter des Gefängnisses.
Mylady schaute durch das Fenster und stellte sich, als ob sie das Oeffnen der Thüre nicht hörte.
«Ah, ah, «sagte Lord Winter,»nachdem man abwechselnd Komödie und Tragödie gespielt hat, spielt man jetzt Melancholie.«
Die Gefangene antwortete nicht.
«Ja, ja, ich verstehe, «fuhr Lord Winter fort.»Ihr möchtet wohl auf diesem Gestade in Freiheit sein, Ihr möchtet wohl auf einem guten Schiff die Wellen dieser smaragdgrünen See durchfurchen. Ihr möchtet, sei es zu Wasser oder zu Land, mir einen jener guten kleinen Hinterhalte legen, die Ihr so schön einzurichten wißt. Geduld, Geduld! in vier Tagen ist Euch das Gestade erlaubt und die See geöffnet, mehr vielleicht, als Ihr wünschen möget, denn in vier Tagen ist England von Euch befreit.«
Mylady faltete die Hände und schlug ihre schönen Augen zum Himmel auf.
«Herr, Herr, «sprach sie mit englischer Weichheit der Geberde und Betonung,»vergib diesem Manne, wie ich ihm selber vergebe!«
«Ja bete. Verdammte!«rief der Baron,»Dein Gebet ist um so edelmüthiger, als Du Dich, ich schwöre es Dir, in der Gewalt eines Menschen befindest, der Dir nicht vergeben wird.«
Und er entfernte sich.
Im Moment wo er hinausging, glitt ein scharfer Blick durch die halbgeöffnete Thür, und sie gewahrte Felton, der sich rasch auf die Seite drückte, um nicht gesehen zu werden.
Dann warf sie sich auf die Kniee und fing an zu beten.
«Mein Gott! mein Gott!«sagte sie,»Du weißt, für was für eine heilige Sache ich leide. Gib mir die Kraft, das Leiden zu ertragen.«
Die Thüre wurde sachte geöffnet, die schöne Beterin gab sich den Anschein, als hätte sie es nicht einmal gehört, und fuhr mit einer thränenreichen Stimme fort:
«Rächender Gott! Gott der Güte! wirst Du die schändlichen Pläne dieses Mannes in Erfüllung gehen lassen?«
Jetzt erst stellte sie sich, als hörte sie das Geräusch der Tritte Feltons; sie sprang rasch wie ein Gedanke aus und erröthete, als schämte sie sich, auf den Knieen getroffen worden zu sein.
«Ich störe Betende nicht gerne, Madame, «sprach Felton mit ernstem Tone.»Laßt Euch also nicht durch mich unterbrechen, ich beschwöre Euch darum.«
«Woher wißt Ihr, daß ich betete?«sagte Mylady mit einer von Schluchzen erstickten Stimme.»Ihr täuschet Euch, mein Herr, ich betete nicht.«
«Glaubt Ihr denn, Madame, «antwortete Felton, mit demselben Ernst, doch mit etwas weicherem Ausdruck,»glaubt Ihr, ich halte mich für berechtigt, ein Geschöpf, das sich vor seinem Schöpfer niederwerfen will, daran zu verhindern? das wolle Gott verhüten! Ueberdies steht den Schuldigen die Reue wohl an, welches Verbrechen sie auch begangen haben mögen, ein Schuldiger ist mir heilig zu den Füßen Gottes.«
«Schuldig ich?«entgegnete Mylady mit einem Lächeln, das einen Engel des jüngsten Gerichts entwaffnet haben würde.»Schuldig, o mein Gott! Du weißt, ob ich es bin? Sagt, ich sei verdammt, mein Herr! Aber Ihr wißt, Gott, der die Märtyrer liebt, läßt es oft zu, daß die Unschuldigen auf dieser Erde verdammt werden.«
«Mögt Ihr verdammt, mögt Ihr unschuldig, mögt Ihr eine Märtyrin sein, «antwortete Felton,»Ihr habt um so mehr Grund zu beten, und ich werde Euch mit meinem Gebet unterstützen.«
«Oh! Ihr seid ein Gerechter, «rief Mylady ihm zu Füßen fallend,»hört, ich kann es nicht länger in mir verschließen, denn ich fürchte, es könnte mir in dem Augenblick, wo ich den Kampf bestehen und meinen Glauben bekennen soll, an Kraft mangeln; hört das Flehen einer Frau, welche von der Verzweiflung erfaßt ist. Man täuscht Euch, mein Herr, aber hievon soll nicht die Rede sein. Ich bitte Euch nur um eine Gnade, und wenn Ihr sie mir gewährt, werde ich Euch dafür in dieser und in der andern Welt segnen.«
«Sprecht mit dem Herrn, Madame, «sagte Felton,»ich habe zum Glück nicht den Auftrag, zu vergeben oder zu strafen. Gott hat diese Verantwortlichkeit einem Höheren übertragen.«
«Mit Euch, nein, mit Euch allein. Hört mich und tragt zu meinem Untergange, zu meiner Schmach bei.«
«Wenn Ihr diese Schmach verdient habt, Madame, wenn Ihr die Schande Euch selbst zuzuschreiben habt, so müßt Ihr Euch geduldig unterwerfen und in Gottes Willen fügen.«
«Was sagt Ihr? Oh! Ihr versteht mich nicht. Wenn ich von Schande spreche, so meint Ihr, ich spreche von einer Bestrafung, von Gefängnis oder vom Tod? Möchte es dem Himmel so gefallen! Was liegt mir an Tod oder Gefängniß?«
«Nun begreife ich Euch nicht, Madame, «sagte Felton.
«Oder Ihr stellt Euch, als ob Ihr mich nicht begriffet, mein Herr, «erwiderte die Gefangene mit einem zweifelhaften Lächeln.
«Nein, Madame, bei der Ehre eines Soldaten, bei dem Glauben eines Christen.«
«Wie! Ihr kennt die Absichten Lord Winters in Beziehung auf meine Person nicht?«
«Ich kenne sie nicht.«
«Unmöglich! Ihr, sein Vertrauter!«
«Ich lüge nie, Madame.«
«Doch er verstellt sich zu wenig, als daß man ihn nicht errathen sollte.«
«Ich suche nichts zu errathen, ich warte, bis man mir etwas anvertraut, und außer dem, was er mir in Eurer Gegenwart gesagt hat, ist mir von Lord Winter nichts anvertraut worden.«
«Wie!«rief Mylady mit einem unglaublichen Gepräge von Wahrheit,»Ihr seid also nicht sein Mitschuldiger! Ihr wißt nicht, daß er mir eine Schmach anzuthun gedenkt, der alle Strafen der Erde an Abscheulichkeit nicht gleichkommen?«
«Ihr täuscht Euch, Madame, «entgegnete Felton erröthend.»Lord Winter ist keines solchen Verbrechens fähig.«
«Gut!«sagte Mylady zu sich selbst,»er nennt das ein Verbrechen, ohne zu wissen, was es ist.«
Dann sprach sie laut:
«Der Freund des Schändlichen ist zu Allem fähig.«
«Wen nennt Ihr den Schändlichen?«fragte Felton.
«Gibt es in England zwei Menschen, denen ein solcher Name gebührt?«
«Ihr sprecht von George Villiers, «sagte Felton, dessen Blicke flammten.
«Den die Heiden, die Ungläubigen und die Gottlosen Herzog von Buckingham nennen, «versetzte Mylady;»ich hätte nicht geglaubt, daß in ganz England ein Mensch leben könnte, der einer so langen Erläuterung bedürfte, um denjenigen zu erkennen, von welchem ich sprechen wollte.«
«Die Hand des Herrn ist über ihm ausgestreckt, er wird der verdienten Strafe nicht entgehen.«
Felton sprach in Beziehung auf den Herzog nur das Gefühl der Verwünschung aus, das alle Engländer gegen den Mann hegten, den auch die Katholiken schlechtweg Satan nannten.
«Oh! mein Gott! mein Gott!«rief Mylady,»wenn ich Dich bitte, über diesen Menschen die ihm gebührende Strafe zu verhängen, so weißt Du, daß ich nicht meiner eigenen Rache Genüge thun will, sondern die Befreiung eines Volkes vom Himmel erflehe.«
«Ihr kennt ihn also?«fragte Felton.
«Endlich fragt er mich!«sagte Mylady zu sich selbst, voll Freude, so schnell zu einem so großen Resultat gelangt zu sein.
«Ob ich ihn kenne! oh ja! zu meinem Unglück, zu meinem ewigen Unglück. «Und Mylady rang die Hände, als ob sie von einem Paroxismus des Schmerzes befallen wäre.
Felton fühlte ohne Zweifel in seinem Innern, daß ihn die Kraft verließ; er machte einige Schritte gegen die Thüre; aber die Gefangene, welche ihn nicht aus den Augen ließ, lief ihm nach und hielt ihn zurück.
«Mein Herr!«rief sie,»seid barmherzig, hört meine Bitte. Das Messer, welches mir die unselige Klugheit des Barons genommen hat, weil er weiß, welchen Gebrauch ich davon machen will… Oh! hört mich bis zu Ende. Dieses Messer, oh! gebt es mir nur auf eine Minute zurück, gebt es mir aus Gnade, aus Mitleid. Ich umfasse Eure Kniee! Ihr schließt die Thüre, ich will nicht Euch an das Leben gehen. Gott! Euch an das Leben gehen. Euch, dem einzigen gerechten, guten und teilnehmenden Wesen, das ich getroffen habe! Euch, meinem Retter vielleicht. Eine Minute, nur eine Minute dieses Messer und ich gebe es Euch durch das Gitter der Thüre zurück! Nur eine Minute, Herr Felton, und Ihr habt meine Ehre gerettet!«
«Euch tödten!«rief Felton voll Schrecken und vergaß seine Hände denen seiner Gefangenen zu entziehen;»Euch tödten!«
«Ich habe es ausgesprochen, mein Herr, «murmelte Mylady, indem sie die Stimme sinken ließ und kraftlos auf den Boden niederfiel,»ich habe mein Geheimniß ausgesprochen! Er weiß Alles, mein Gott! ich bin verloren!«
Felton blieb unbeweglich und unentschlossen auf der Stelle.
«Er zweifelt noch, «dachte Mylady,»ich bin nicht wahr genug gewesen.«
Man hörte in der Flur gehen, Mylady erkannte den Tritt von Lord Winter.
Felton erkannte ihn ebenfalls und machte einen Schritt gegen die Thüre.
Mylady sprang auf und sagte mit gepreßter Stimme:
«Oh! nicht ein Wort, nicht ein Wort zu diesem Menschen von Allem, was ich Euch gesagt habe, oder ich bin verloren; und Ihr seid es… Ihr…«
Als die Tritte nun näher kamen, schwieg sie aus Furcht, ihre Stimme könnte gehört werden, und legte dabei mit einer Geberde unsäglichen Schreckens ihre schöne Hand Felton auf den Mund.
Felton stieß Mylady sanft zurück und diese sank auf eine Bank.
Lord Winter ging an der Thüre vorüber, ohne stehen zu bleiben, und man vernahm das Geräusch der Tritte, wie sie sich entfernten.
Bleich wie der Tod, horchte Felton einen Augenblick mit gespanntem Ohr; als aber das Geräusch gänzlich erstorben war, athmete er wie ein Mensch, der aus einem Traume erwacht, und stürzte aus dem Zimmer.
«Ah!«sagte Mylady, als sie die Tritte Feltons in entgegengesetzter Richtung sich ebenfalls verlieren hörte,»endlich bist Du mein.«
Dann verdüsterte sich ihre Stirne wieder.
«Wenn er bei dem Baron plaudert, bin ich verloren, «sagte sie,»denn der Baron, der wohl weiß, daß ich mir nicht das Leben nehme, wird mir in seiner Gegenwart ein Messer in die Hände geben, und Felton wird sehen, daß diese ganze große Verzweiflung nur eine Spiegelfechterei war.«
Sie stellte sich vor den Spiegel und beschaute sich: nie war sie so schön gewesen.
«Oh! ja, «sprach sie lächelnd,»aber er wird nicht plaudern.«
Am Abend erschien Lord Winter, als man Mylady ihr Mahl brachte.
«Mein Herr, «sprach Mylady,»ist Eure Gegenwart eine nothwendige Beigabe meiner Gefangenschaft, und könntet Ihr mir nicht den Zuwachs an Qualen ersparen, den mir Eure Besuche verursachen?«
«Wie, meine liebe Schwester, habt Ihr mir nicht auf eine ganz empfindsame Weise mit diesem schönen, heute aber gegen mich so grausamen, Munde angekündigt, Ihr seiet einzig und allein, um mich nach Gefallen sehen zu können, nach England gekommen, nur um diesen Genuß zu haben, dessen Entbehrung Ihr so sehr fürchtetet, wie Ihr mir sagt, daß Ihr Alles dafür gewagt habt, Seekrankheit, Sturm, Gefangenschaft? Uebrigens hat mein Besuch diesmal einen Grund.«
Mylady bebte; sie glaubte, Felton habe gesprochen; nie vielleicht fühlte diese Frau, welche so mächtige und entgegengesetzte Gemütsbewegungen erfahren hatte, ihr Herz so heftig schlagen.
Sie saß; Lord Winter nahm einen Lehnstuhl, stellte ihn neben sie, setzte sich und zog ein Papier aus seiner Tasche, das er langsam entfaltete.
«Hört, «sprach er,»ich wollte Euch diesen Paß zeigen, den ich selbst abgefaßt habe, und der Euch als Verhaltungs-Vorschrift in dem Leben dienen soll, das ich Euch lasse.«
Dann las er, seine Augen von Mylady ab und nach dem Papier wendend:
«Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… der Name ist noch nicht eingetragen, «unterbrach sich Winter,»wenn Ihr einem Orte den Vorzug gebt, so sagt es mir; beträgt die Entfernung wenigstens zwei tausend Meilen von London, so soll Euch willfahrt werden. Ich fahre also fort: Befehl, die Charlotte Backson, welche durch die Gerichte des Königreichs Frankreich gebrandmarkt, aber nach der Strafvollziehung wieder frei gelassen worden ist, nach… zu führen. Sie wird an diesem Orte bleiben, ohne sich je mehr als drei Meilen davon zu entfernen. Im Fall eines Fluchtversuches soll die Todesstrafe an ihr vollzogen werden. Sie erhält täglich fünf Schillinge für Kost und Wohnung.«
«Dieser Befehl betrifft mich nicht, «sprach Mylady kalt,»da ein anderer Name als der meinige, eingetragen ist.«
«Ein Name! habt Ihr einen Namen?«
«Ich habe den Eures Bruders.«
«Ihr täuscht Euch; mein Bruder ist nur Euer zweiter Gatte, und der erste lebt noch. Sagt mir seinen Namen und ich werde ihn an die Stelle von Charlotte Backson setzen. Nicht? Ihr wollt nicht?… Ihr schweigt. Gut; Ihr werdet unter dem Namen Charlotte Backson in das Gefangenen-Register eingetragen.«
Mylady blieb stumm; diesmal aber geschah es nicht aus Verstellung, sondern vor Schrecken. Sie glaubte, der Befehl werde alsbald vollstreckt werden; sie fürchtete, Lord Winter habe ihre Abreise beschleunigt; sie glaubte sich verurtheilt, schon an demselben Abend weggebracht zu werden; für einen Augenblick war in ihrem Innern Alles verloren, als sie plötzlich bemerkte, daß der Befehl noch nicht mit einer Unterschrift versehen war.
Die Freude, welche ihr diese Entdeckung gewährte, war so groß, daß sie nicht die Kraft besaß, sie zu verbergen.
«Ja, ja, «sprach Lord Winter, als er wahrnahm, was in ihr vorging,»ja, Ihr sucht die Unterschrift, und sagt Euch:»»Noch ist nicht Alles verloren, da diese Akte nicht unterzeichnet ist. Man zeigt sie mir, um mir Schrecken einzuflößen, das ist das Ganze.««Ihr täuscht Euch: morgen wird dieser Befehl Lord Buckingham zugeschickt, übermorgen kommt er von seiner Hand unterzeichnet und mit seinem Siegel versehen zurück, und vierundzwanzig Stunden nachher, dafür stehe ich Euch, beginnt der Anfang der Vollstreckung. Gott befohlen, Madame, ich habe Euch sonst nichts zu sagen.«
«Und ich, mein Herr, erkläre Euch, daß dieser Mißbrauch der Gewalt, daß diese Verbannung unter einem fremden Namen eine Niederträchtigkeit ist.«
«Wollt Ihr vielleicht lieber unter Euerem eigenen Namen gehenkt werden? Ihr wißt, die englischen Gesetze sind unerbittlich im Punkte einer Doppelehe; erklärt Euch ganz offen; obgleich mein Name oder vielmehr der meines Bruders in diese Geschichte verflochten ist, scheue ich doch den Scandal eines öffentlichen Prozesses nicht, wenn ich überzeugt sein kann, daß ich mit Einem Schlag von Euch befreit werde.«
Mylady antwortete nicht, wurde aber leichenblaß.
«Oh, ich sehe, daß Ihr die Auswanderung vorzieht. Vortrefflich, Madame, ein altes Sprichwort behauptet: Reisen bilden die Jugend. Meiner Treu, Ihr habt nicht ganz Unrecht, das Leben ist so schön! Darum habe ich auch ganz und gar keine Lust, mich von Euch umbringen zu lassen. Es bleibt also noch der Punkt der fünf Schillinge zu ordnen; ich zeige mich hier etwas sparsam, nicht wahr? Das kommt davon her, daß ich Euch die Möglichkeit rauben will. Eure Wächter zu bestechen. Uebrigens besitzt Ihr immer noch Eure Reize, um sie zu verführen. Benützt sie, wenn der Umstand, daß Ihr bei Felton gescheitert seid, Euch nicht einen Widerwillen gegen dergleichen Versuche beigebracht hat.«
«Felton hat nicht gesprochen, «sagte Mylady zu sich selbst,»noch ist nichts verloren.«
«Und nun, Madame, auf Wiedersehen! Morgen werde ich Euch den Abgang meines Boten melden.«
Lord Winter stand auf, verbeugte sich ironisch vor Mylady und verließ das Zimmer.
Mylady athmete: sie hatte noch vier Tage vor sich, vier Tage genügten ihr, um Felton vollends zu verführen.
Ein furchtbarer Gedanke tauchte in ihr auf, der Gedanke, Lord Winter könnte Felton selbst abschicken, um den Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen; auf diese Art entging ihr Felton, denn es bedurfte des Zaubers einer fortwährenden Verführung, wenn die Gefangene ihren Plan zum Ziel führen sollte.
Doch, wie gesagt, ein Umstand beruhigte sie; Felton hatte nicht gesprochen.
Sie wollte sich nicht das Ansehen geben, als ob Winters Drohungen ihr zu Herzen gingen; deßhalb setzte sie sich zu Tisch und speiste.
Dann warf sie sich, wie am Tage vorher, auf die Kniee und betete laut. Der Soldat hörte, wie am Tage vorher auf, im Gange umherzumarschiren, blieb vor der Thüre stille stehen und lauschte.
Bald vernahm sie leichtere Tritte, als die der Wache, welche aus dem Hintergrunde der Flur kamen und vor ihrer Thüre still anhielten.
«Er ist es, «sagte sie.
Und sie stimmte denselben religiösen Gesang an, der am Abend vorher Felton so sehr exaltirt hatte.
Aber ihre Thüre blieb verschlossen, obgleich ihre sanfte, volle, sonore Stimme harmonischer, ergreifender vibrirt hatte, als je. Wohl glaubte Mylady bei einem flüchtigen Blicke, den sie nach dem Gitter warf, die glühenden Augen des jungen Mannes gesehen zu haben, aber ob es nun Wirklichkeit oder eine Vision war, diesmal hatte er die Macht über sich selbst, nicht einzutreten.
Nur meinte Mylady einige Augenblicke, nachdem sie ihren religiösen Gesang vollendet hatte, einen tiefen Seufzer zu vernehmen; dann entfernten sich dieselben Tritte, welche sie kommen gehört hatte, langsam und mit Widerwillen.
XXVII. Vierter Tag der Gefangenschaft
Als Felton am andern Tage bei Mylady eintrat, stand sie auf einem Stuhle und hielt einen, mittelst mehrerer in Streifen zerrissener Batistsacktücher geflochtenen Strick in der Hand. Bei dem Geräusch, das Felton durch das Oeffnen der Thüre verursachte, sprang Mylady leise vom Stuhle herab und suchte den improvisirten Strick hinter sich zu verbergen.
Der junge Mann war noch bleicher als gewöhnlich, und seine von der Schlaflosigkeit gerötheten Augen verriethen, daß er eine fieberhafte Nacht zugebracht hatte.
Aber seine Stirne war mehr als je mit einem tiefen Ernst bewaffnet.
Er ging langsam auf Mylady, die sich niedergesetzt hatte, zu, nahm das mörderische Geflechte, das sie aus Unachtsamkeit oder absichtlich hatte vorsehen lassen, an einem Ende und fragte kalt:
«Was soll das bedeuten, Madame?«
«Dies? nichts, «erwiderte Mylady, indem sie mit jenem schmerzhaften Ausdruck, den sie ihren Zügen so gut zu geben wußte, lächelte.»Die Langweile ist, wie Ihr wißt, der Todfeind der Gefangenen. Ich langweilte mich und suchte mich durch das Flechten dieses Strickes zu zerstreuen.«
Felton schaute nach dem Punkte an der Wand, vor dem er Mylady auf dem Stuhle stehend getroffen hatte, auf welchem sie jetzt saß, und er gewahrte über ihrem Kopfe eine vergoldete Krampe in der Mauer befestigt, die zum Aufhängen von Waffen oder Kleidern bestimmt war.
«Und warum standet Ihr auf diesem Stuhle?«fragte er.
«Was kümmert das Euch?«entgegnete Mylady.
«Aber ich wünsche es zu wissen.«
«Fragt mich nicht, «sagte die Gefangene:»Ihr wißt wohl, daß es uns wahren Christen verboten ist, zu lügen.«
«Nun ich will Euch sagen, «sprach Felton,»was Ihr thatet, oder was Ihr vielmehr thun wolltet. Ihr wolltet den unseligen Gedanken zur Ausführung bringen, den Ihr in Eurem Innern nährt. Wenn Euer Gott die Lüge verbietet, Madame, so verbietet er noch viel strenger den Selbstmord.«
«Wenn Gott eines von seinen Geschöpfen, ungerechter Weise verfolgt, zwischen Selbstmord und Schande gestellt sieht, «antwortete Mylady im Tone tiefer Ueberzeugung,»glaubt mir, mein Herr, dann vergibt Gott den Selbstmord, denn der Selbstmord wird zum Märtyrthum.«
«Ihr sagt zu viel oder zu wenig; sprecht, Madame, ums Himmels willen, erklärt Euch.«
«Soll ich Euch die Unglücksfälle meines Lebens erzählen, damit Ihr sie für Märchen erkläret? Soll ich Euch meine Pläne nennen, damit Ihr sie meinem Verfolger angebt? Nein, mein Herr. Ueberdies was liegt Euch am Leben oder Tod einer unglücklichen Verdammten! Ihr seid nur für meinen Leib verantwortlich, insofern man, wenn Ihr einen Leichnam zeigt, der als der meinige erkannt wird, nicht mehr von Euch verlangen wird. Ja, vielleicht erhaltet Ihr sogar doppelten Lohn dafür?«
«Ich, Madame, ich!«rief Felton,»Ihr könnt glauben, ich würde den Preis Eures Lebens annehmen? O Ihr glaubt nicht, was Ihr da sprecht.«
«Laßt es gut sein, Felton, laßt es gut sein, «sprach Mylady voll Heftigkeit.»Jeder Soldat ist ehrgeizig, nicht wahr? Ihr seid ein Lieutenant; nun Ihr werdet meinem Leichenzuge mit dem Grad eines Kapitäns folgen.«
«Aber was habe ich Euch denn gethan, «rief Felton erschüttert,»daß Ihr mir eine solche Verantwortlichkeit vor Gott und den Menschen aufbürdet? In einigen Tagen seid Ihr ferne von hier, Madame; Euer Leben steht nicht mehr unter meiner Bewachung, und dann, «fügte er mit einem Seufzer bei,»dann werdet Ihr thun, was Euch beliebt.«
«Also Ihr, «sprach Mylady, als ob sie einer heiligen Entrüstung nicht länger widerstehen könnte,»Ihr ein heiliger Mann, Ihr, den man einen Gerechten nennt, Ihr verlangt nichts Anderes, als daß man Euch wegen meines Todes nicht eines Versehens beschuldigen könne?«
«Ich muß über Euer Leben wachen, Madame, und werde darüber wachen.«
«Aber begreift Ihr auch den Auftrag, den Ihr erfüllt? Ist er schon grausam, selbst wenn ich schuldig wäre, welchen Namen werdet Ihr ihm geben, welchen Namen wird ihm der Herr geben, wenn ich unschuldig bin?«
«Ich bin Soldat, Madame, und vollziehe die Befehle, die ich erhalten habe.«
«Glaubt Ihr, daß Gott beim jüngsten Gerichte die blinden Henker von den ungerechten Richtern trennen wird? Ihr wollt nicht, daß ich meinen Leib tödte, und macht Euch zum Werkzeug des Menschen, der meine Seele tödten will.«
«Ich wiederhole, «versetzte Felton erschüttert,»es droht Euch keine Gefahr, und ich stehe für Lord Winter, wie für mich selbst.«
«Wahnsinniger!«rief Mylady,»armer Wahnsinniger, der für einen andern Menschen stehen will, während die Weisesten, die Gottgefälligsten nicht wagen können, für sich selbst zu stehen, und der sich auf die stärkere, glücklichere Partei schlägt, um ein schwaches, unglückliches Geschöpf niederzutreten!«
«Unmöglich, Madame, unmöglich, «murmelte Felton, der in Gefangene werdet Ihr durch mich nicht die Freiheit erhalten, als Lebende erhaltet Ihr durch mich nicht den Tod.«
«Ja, «rief Mylady,»ich werde verlieren, was mir theurer ist, als das Leben; ich werde die Ehre verlieren, Felton, und Euch, Euch mache ich vor Gott und den Menschen für meine Schmach, meine Schande verantwortlich.«
Diesmal konnte Felton trotz seiner wirklichen oder scheinbaren Unempfindlichkeit dem Einflusse nicht widerstehen, der sich seiner bereits bemächtigt hatte. Diese schöne Frau, so weiß wie die reinste Vision, bald in Thränen zerfließend, bald drohend zu sehen, der Macht des Schmerzes und der Schönheit bloßgestellt zu sein, das war zu viel für ein durch glühende Träume eines exaltirten Glaubens bereits unterhöhltes Gehirn, für ein zugleich von der brennenden Liebe des Himmels und von dem verzehrenden Hasse der Menschen zernagtes Herz.
Mylady sah seine Unruhe; sie fühlte durch innere Anschauung die Flamme entgegengesetzter Leidenschaften, welche in den Adern des jungen Fanatikers brannten, und einem geschickten Generale gleich, der, wenn er sieht, daß der Feind zurückweichen will, mit einem Siegesgeschrei auf ihn losmarschirt, stand sie auf, ging wie eine schöne Priesterin des Alterthums, begeistert wie eine christliche Jungfrau, den Arm ausgestreckt, mit fliegenden Haaren, mit einer Hand schamhaft das über der Brust zusammengezogene Kleid haltend, den Blick erleuchtet von dem Feuer, das bereits eine Verwirrung in den Sinnen des jungen Puritaners hervorgebracht hatte, auf ihn zu und rief mit ihrer sanften Stimme, der sie bei dieser Gelegenheit eine furchtbare Gewalt verlieh:
«So wirf sein Opfer vor den Baal, Und wirf den Märtyrer dem Löwen vor. Gott weckt in Dir der Reue Qual, Vom Abgrund dringt mein Ruf zu ihm empor.«
Felton blieb wie versteinert auf seiner Stelle.
«Wer seid Ihr? wer seid Ihr?«rief er die Hände faltend.»Seid Ihr Engel oder Teufel! Heißt Ihr Eloah oder Astarte?«
«Hast Du mich nicht erkannt, Felton? Ich bin weder ein Engel noch ein Teufel. Ich bin eine Tochter der Erde, ich bin eine Schwester Deines Glaubens und nichts weiter.«
«Ja, ja, «sprach Felton,»ich zweifelte noch, aber jetzt glaube ich.«
«Du glaubst und bist dennoch der Schuldgenosse dieses Belialskindes, das man Lord Winter nennt? Du glaubst und lässest mich in den Händen meiner Feinde, des Feindes von England, des Feindes Gottes. Du glaubst, und dennoch überantwortest Du mich demjenigen, welcher die Welt mit seinen Ketzereien und Ausschweifungen erfüllt und befleckt, diesem schändlichen Sardanapal, den die Blinden den Herzog von Buckingham und die Gläubigen den Antichrist nennen!«
«Ich Euch Buckingham überantworten! was sagt Ihr da?«
«Sie haben Augen, «rief Mylady,»und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören!«
«Ja, ja, «sprach Felton, indem er mit den Händen über seine schweißbedeckte Stirne strich, als wollte er den letzten Zweifel entfernen;»ja, ich erkenne die Stimme, die in meinen Träumen mit mir spricht; ja, ich erkenne die Züge des Engels, der mir allnächtlich erscheint und meiner schlaflosen Seele zuruft:»»Schlage; rette England, rette Dich, denn Du wirst sterben, ohne Gott entwaffnet zu haben!««Sprecht, sprecht!«rief Felton,»denn ich kann Euch jetzt verstehen.«
Ein Blitz furchtbarer Freude, aber rasch wie der Gedanke, sprang aus den Augen Myladys hervor.
So flüchtig auch dieses mörderische Zucken gewesen war, so entging es doch Felton nicht, und er bebte, als ob dieser Blitz die Abgründe des Herzens dieser Frau erleuchtet hätte.
Felton erinnerte sich plötzlich der Bemerkungen von Lord Winter, der Verführungskünste Myladys, ihrer ersten Versuche bei ihrer Ankunft. Er wich einen Schritt zurück, ließ den Kopf sinken, hörte aber nicht auf, sie anzuschauen, als ob er von diesem seltsamen Geschöpf verzaubert wäre und seine Augen sich nicht von ihr trennen könnten.
Mylady war nicht die Frau, um sich in dem Sinne dieses Zögerns zu täuschen. Unter den scheinbaren Aufregungen verließ ihre eisige Kaltblütigkeit sie nicht. Ehe ihr Felton geantwortet hatte und sie sich genöthigt sah, das Gespräch wieder aufzunehmen, das so schwer in demselben Tone der Begeisterung fortzusetzen war, ließ sie ihre Arme zurücksinken, als ob weibliche Schwäche über den Enthusiasmus der Begeisterten obsiegte.
«Aber nein, «sprach sie,»mir kommt es nicht zu, die Judith zu sein, welche Bethulien von diesem Holofernes befreien wird. Das Schwert des Ewigen ist zu schwer für meinen Arm. Laßt mich also der Schande durch den Tod entfliehen, laßt mich meine Zuflucht zum Märtyrthum nehmen. Ich verlange von Euch nicht die Freiheit, wie dies eine Schuldige thun würde, nicht die Rache, wie es eine Heidin thäte. Ich bitte Euch, ich flehe Euch auf meinen Knieen an: laßt mich sterben, und mein letzter Seufzer soll eine Segnung für meinen Retter sein.«
Bei dieser sanften, flehenden Stimme, bei diesem schüchternen, niedergeschlagenen Blicke näherte sich Felton.
Allmählig hatte die Zauberin das magische Gewand angethan, das sie nach Belieben an- und ablegte, das heißt die Schönheit, die Sanftmuth, die Thränen und vor Allem den unwiderstehlichen Reiz mystischer Wollust, einer Wollust, die verzehrender wirkt, als jede andere.
«Ach, «sprach Felton,»ich kann weiter Nichts als Euch beklagen, wenn Ihr mir beweist, daß Ihr ein Opfer seid. Aber Lord Winter erhebt schreckliche Anschuldigungen gegen Euch. Ihr seid Christin, Ihr seid meine Religionsschwester. Ich fühle mich zu Euch hingezogen, ich, der ich nie einen andern Menschen geliebt habe als meinen Wohlthäter, ich, der ich im Leben nur Verräther und Gottlose gefunden habe! Aber Ihr, Madame, die Ihr in Wahrheit so schön, und dem Anscheine nach so rein seid, Ihr habt also, da Euch Lord Winter auf diese Weise verfolgt, große Frevel verübt?«
«Sie haben Augen, «wiederholte Mylady mit einem Ausdrucke unsäglichen Schmerzes,»und werden nicht sehen; sie haben Ohren, und werden nicht hören.«»Aber so sprecht doch, «rief der junge Offizier,»sprecht, sprecht!«
«Euch meine Schmach und meine Schande anvertrauen!«rief Mylady, mit Schamröthe im Gesicht;»denn oft ist das Verbrechen des Einen die Schande des Andern. Euch meine Schande anvertrauen, einem Manne, ich die Frau! Oh, «fuhr sie fort, und legte dabei verschämt die Hand auf die schönen Augen.»Oh! nie, nie werde ich dies über mich vermögen!«
«Vertraut mir als einem Bruder!«rief Felton.
Mylady schaute ihn lange mit einem Ausdrucke an, den der Offizier für Zweifel hielt, während er nichts Anderes, als Beobachtung und hauptsächlich Absicht zu blenden war. Nun faltete Felton flehend die Hände.
«Wohl!«sprach Mylady,»ich will mich einem Bruder anvertrauen, ich will es wagen.«
In diesem Augenblicke hörte man die Tritte von Lord Winter, aber diesmal begnügte sich der furchtbare Schwager Myladys nicht damit, wie am Tage vorher, an der Thüre vorüber zu gehen und sich wieder zu entfernen, sondern er blieb stehen und wechselte zwei Worte mit der Wache. Die Thüre öffnete sich und er trat ein.
Während die zwei Worte gewechselt wurden, war Felton rasch zurückgewichen, und als Lord Winter erschien, stand er einige Schritte von der Gefangenen entfernt.
Der Baron trat langsam ein, und ließ seinen forschenden Blick von der Gefangenen auf den jungen Offizier überschweifen.
«Ihr seid schon sehr lange hier, John, «sagte er.»Hat Euch diese Frau ihr Verbrechen erzählt? Dann begreife ich die Dauer der Unterhaltung.«
Felton bebte und Mylady fühlte, daß sie verloren war, wenn sie dem aus der Fassung gebrachten Puritaner nicht zu Hülfe kam.
«Ah, Ihr fürchtet Eure Gefangene dürfte Euch entkommen, «sprach sie.»Ei, so fragt doch Euren Kerkermeister, welche Gnade ich mir so eben von ihm erbeten habe.«
«Ihr habt Euch eine Gnade erbeten?«sprach der Baron argwöhnisch.
«Ja, Mylord, «erwiderte der junge Mann verwirrt.
«Und welche Gnade? Laßt hören!«fügte Lord Winter bei.
«Ein Messer, das sie mir eine Minute, nachdem sie es empfangen, durch das Gitter der Thüre zurückgeben will, «antwortete Felton.
«Es ist also irgend Jemand hier verborgen, den diese anmuthreiche Person erstechen will?«versetzte Lord Winter mit spöttischem, verächtlichem Tone.
«Ich bin hier, «antwortete Mylady.
«Ich habe Euch die Wahl zwischen Amerika und Tyburn gelassen, «entgegnete Lord Winter.»Wählt Tyburn, Mylady. Glaubt mir, der Strick ist sicherer, als das Messer.«
Felton fühlte einen Schauer durch das Mark seiner Knochen. Wahrscheinlich bemerkte Lord Winter diese Bewegung.
«Ihr habt Recht, «sprach Mylady,»und ich habe bereits daran gedacht;«dann fügte sie mit dumpfer Stimme bei:»ich werde noch einmal daran denken.«
Felton erbleichte und machte einen Schritt vorwärts, denn er erinnerte sich, daß Mylady, als er eintrat, einen Strick in der Hand gehalten hatte.
«Traue nicht, John, «sagte der Baron.»John, mein Freund, ich habe mich auf Dich verlassen. Nimm Dich in Acht, Du bist von mir unterrichtet. Sei übrigens guten Muths, mein Kind! In drei Tagen werden wir von diesem Geschöpfe befreit sein, und an dem Orte, wohin ich sie schicke, wird sie Niemand mehr schaden.«
«Du hörst ihn!«rief Mylady, die Stimme erhebend, so daß der Baron glaubte, sie wende sich an den Himmel, während Felton begriff, daß es ihm galt.
Felton ließ das Haupt sinken und träumte.
Der Baron nahm den Offizier beim Arme und drehte sogleich den Kopf über seine Schulter zurück, um Mylady nicht aus dem Gesichte zu verlieren, bis er das Zimmer verlassen hätte.
«Ach, ich bin noch nicht so weit vorgerückt, als ich glaubte, «sagte die Gefangene, als die Thüre wieder geschlossen war.»Der Baron hatte seine gewöhnliche Albernheit in eine ihm sonst unbekannte Klugheit verwandelt; das ist die Rachgier, die den Menschen bildet. Felton zögerte noch. Ach, das ist kein entschlossener Mensch, wie dieser verdammte d'Artagnan.«
Mylady wartete jedoch mit Ungeduld, denn sie vermuthete mit Recht, der Tag würde nicht vorüber gehen, ohne daß Felton wieder käme. Eine Stunde nach der so eben erzählten Scene hörte sie leise an der Thüre sprechen. Bald öffnete sich die Thüre und sie erkannte Felton.
Der junge Mann trat rasch in das Zimmer ein, ließ die Thüre hinter sich offen und bedeutete Mylady durch ein Zeichen, sie möge schweigen. Sein Gesicht war ganz verstört.
«Was wollt Ihr von mir?«sagte sie.
«Hört, «antwortete Felton mit leiser Stimme;»ich habe die Wache entfernt, um hier bleiben zu können, ohne daß man weiß, daß ich gekommen bin, um mit Euch sprechen zu können, ohne daß man hört, was ich Euch sage. Der Baron hat mir eine furchtbare Geschichte erzählt.«
Mylady nahm wieder das Lächeln des in sein Schicksal ergebenen Opfers an.
«Entweder seid Ihr ein Teufel, oder der Baron, mein Wohlthäter, mein Vater, ist ein Ungeheuer. Ich kenne Euch seit vier Tagen, ich liebe ihn seit zehn Jahren. Ich darf also in der Wahl zwischen Euch beiden wohl bedenklich sein. Erschreckt nicht über das, was ich Euch sage. Ich bedarf der Ueberlegung; ich komme nach Mitternacht zu Euch und Ihr werdet mich überzeugen.«
«Nein, Felton, nein, mein Bruder, «entgegnete sie.»Das Opfer ist zu groß, und ich fühle, was es Euch kostet. Nein, ich bin verloren, richtet Euch nicht auch zu Grunde. Mein Tod wird viel beredter sein, als mein Leben, und das Stillschweigen des Leichnams wird Euch eher überzeugen, als das Wort der Gefangenen.«
«Schweigt, Madame!«rief Felton,»und laßt mich nicht solche Worte hören. Ich bin gekommen, damit Ihr mir bei Eurer Ehre gelobet, damit Ihr mir schwöret bei Allem, was heilig ist, nicht Hand an Euer Leben zu legen.«
«Ich will nicht geloben, «antwortete Mylady,»denn Niemand achtet den Eid so sehr wie ich, und wenn ich geloben würde, dann müßte ich es auch halten.«
«Gut, «sagte Felton,»so versprecht es wenigstens nur bis zu dem Augenblick, wo wir uns wiedergesehen haben werden. Besteht Ihr auf Eurer Absicht, wenn wir uns wiedergesehen haben, so seid Ihr frei, und ich selbst gebe Euch die Waffe, die Ihr von mir verlangt.«
«Es sei!«sagte Mylady,»Euch zu Liebe werde ich warten.«
«Schwöret mir!«
«Ich schwöre bei unserem Gott! Seid Ihr zufrieden?«
«Wohl, «erwiderte Felton,»heute Nacht also!«
Und er stürzte aus dem Zimmer, verschloß die Thüre, und blieb außen, die Halbpike des Soldaten in der Hand haltend, als ob er die Wache bezogen hätte.
Der Soldat kam zurück, Felton gab ihm seine Waffe wieder.
Mylady sah nun durch das Gitter der Thüre, dem sie sich genähert hatte, wie sich der junge Mann mit allen Zeichen einer irrsinnigen Inbrunst geberdete und in einer Art von Entzücken durch die Hausflur wegeilte. Sie aber kehrte, ein Lächeln wilder Verachtung auf den Lippen, an ihren Platz zurück und wiederholte lächelnd den furchtbaren Namen Gottes, bei welchem sie geschworen, ohne ihn je kennen gelernt zu haben.
«Mein Gott, «sagte sie,»wahnsinniger Fanatiker, mein Gott bin ich selbst und derjenige, welcher mir zu meiner Rache verhelfen wird.«
XXVIII. Fünfter Tag der Gefangenschaft
Mylady war bereits zu einem halben Triumph gelangt und der Erfolg verdoppelte ihre Kräfte.
Bisher hatte sie keine große Mühe gehabt, um Menschen zu besiegen, welche sich leicht verführen ließen und von der galanten Erziehung des Hofes rasch in die Falle gelockt wurden. Mylady war schön genug, um die Sinne zu reizen, und geschickt genug, um alle Hindernisse des Geistes zu überwältigen.
Aber diesmal hatte sie gegen eine rohe und in ihrer Strenge unempfindliche Natur zu kämpfen. Die Religion und die Buße hatten Felton für gewöhnliche Versuchungsmittel unempfänglich gemacht. In diesem exaltirten Kopfe bewegten sich so weit umfassende Pläne, so stürmische Entwürfe, daß darin kein Platz mehr für die Liebe war, für dieses Gefühl, das sich durch die Muße nährt und durch die Verdorbenheit der Sitten groß wird.
Mylady hatte mit ihrer falschen Tugend in der Meinung eines gegen sie eingenommenen Mannes, und durch ihre Schönheit in dem Herzen und in den Sinnen eines unschuldigen Menschen Bresche gemacht.
Nichtsdestoweniger verzweifelte sie manchmal während dieses Abends an dem Geschicke und an sich selbst. Sie rief Gott nicht an, wie wir wissen, sie hegte Vertrauen zu dem Geiste des Bösen, dieser ungeheuern Souveränetät, welche in allen Einzelnheiten des menschlichen Lebens herrscht, und für die wie in der arabischen Fabel ein Granatkern hinreicht, um eine ganze verlorene Welt wieder aufzubauen.
Gut auf den Empfang Feltons vorbereitet, konnte Mylady ihre Batterien für den andern Tag aufpflanzen; sie wußte, daß ihr nur noch zwei Tage übrig blieben, daß, wenn der Befehl einmal von Buckingham unterzeichnet war (und Buckingham mußte ihn um so leichter unterzeichnen, als in dem Befehl ein falscher Name eingetragen war und er die Frau, um die es sich handelte nicht zu erkennen vermochte), daß, wenn dieser Befehl einmal unterzeichnet war, sagen wir, der Baron sie sogleich einschiffen würde; sie wußte auch, daß die zur Deportation verurtheilten Frauen sich minder mächtiger Waffen bei ihren Verführungsplänen bedienen, als die angeblich tugendhaften Frauen, deren Schönheit die Sonne der Welt bescheint, deren Geist die Stimme der Mode rühmt, die ein Wiederschein der Aristokratie mit seinem zauberhaften Glanze vergoldet. Eine zu einer entehrenden Strafe verurtheilte Frau kann immer noch schön sein, aber nicht so leicht wieder zur Macht gelangen. Wie alle Menschen von wahrem Genie kannte Mylady die ihrer Natur und ihren Mitteln zusagende Mitte. Die Armuth widerstrebte ihr, der Zustand der Verachtung minderte ihre Größe um zwei Drittheile. Mylady war nur Königin unter den Königinnen. Ihre Herrschaft bedurfte der Lust befriedigten Stolzes; untergeordnete Menschen zu beherrschen, war für sie eher eine Demüthigung als ein Vergnügen.
Gewiß wäre sie aus ihrer Verbannung zurückgekehrt, daran zweifelte sie nicht einen Augenblick; aber wie lange konnte diese Verbannung dauern? Für eine thätige, ehrgeizige Natur, wie Mylady, sind die Tage, wo man nicht emporsteigt, verlorene Unglückstage. Wie soll man also die Tage nennen, wo man nur hinabsteigt? Ein Jahr, zwei Jahre, drei Jahre verlieren, das ist eine Ewigkeit. Vielleicht nach dem Tode oder der Ungnade des Kardinals zurückkommen, zurückkommen, wenn d'Artagnan und seine Freunde glücklich und triumphirend die wohl verdiente Belohnung für ihre Dienste erhalten hatten: das waren verzehrende Gedanken, welche eine Frau, wie Mylady, nicht ertragen konnte. Der Sturm, welcher in ihr tobte, verdoppelte indessen ihre Kraft, und sie hätte die Wände ihres Kerkers gesprengt, wenn ihr Körper einen Augenblick die Verhältnisse ihres Geistes anzunehmen vermocht hätte.
Unter all diesen Gemüthsbewegungen wurde sie ganz besonders noch durch die Erinnerung an den Kardinal gepeinigt. Was mußte der unruhige, mißtrauische, argwöhnische Kardinal von ihrem Stillschweigen denken und sagen? der Kardinal, nicht nur ihre einzige Stütze, ihr einziger Beschützer in der Gegenwart, sondern auch das Hauptwerkzeug ihres künftigen Glückes, ihrer zukünftigen Rache? Sie kannte ihn: sie wußte, daß sie bei ihrer Rückkehr immerhin eine vergebliche Reise und ihre Gefangenschaft vorschützen, daß sie immerhin die ausgestandenen Leiden mit den schwärzesten Farben ausmalen mochte, der Kardinal würde ihr mit jener spöttischen Ruhe des zugleich durch die Kraft und das Genie mächtigen Skeptikers antworten:»Ihr hättet Euch nicht fangen lassen sollen!«
Mylady raffte ihre ganze Energie zusammen, murmelte in der Tiefe ihrer Gedanken den Namen Felton, den einzigen Strahl, der bis in die Hölle drang, in die sie gestürzt war, und der Schlange ähnlich, welche ihre Ringe rollt und entrollt, um sich, ihrer Kraft recht bewußt zu werden, hüllte sie Felton zum Voraus in die tausend Falten ihrer erfindungsreichen Einbildungskraft.
Indessen verlief die Zeit. Die Stunden schienen eine nach der andern im Vorübergehen die Glocke zu erwecken, und jeder Ton des ehernen Schlägels hallte in dem Herzen der Gefangenen wieder.
Um neun Uhr machte Lord Winter den gewöhnlichen Besuch, beschaute die Fenster und die Gitterstangen davor, sondirte den Boden und die Wände, betrachtete den Kamin und die Thüren, ohne daß während dieser langen und sorgfältigen Untersuchung Mylady oder er ein einziges Wort sprachen. Ohne Zweifel begriffen Beide, daß die Lage der Dinge zu ernst geworden war, um die Zeit mit unnöthigen Worten und in erfolglosem Zorne zu verlieren.
«Gut, «sagte der Baron, als er sie verließ,»Ihr werdet diese Nacht noch nicht entweichen.«
Um zehn Uhr führte Felton eine Wache auf, Mylady erkannte seinen Tritt; sie errieth ihn jetzt, wie eine Liebende den Geliebten ihres Herzens erräth, und dennoch verachtete, verabscheute Mylady diesen schwachen Fanatiker.
Es war nicht die verabredete Stunde und Felton trat nicht ein.
Zwei Stunden später, als es Mitternacht schlug, wurde die Wache abgelöst.
Diesmal war es die Stunde, und Mylady wartete von diesem Augenblick mit großer Ungeduld.
Die neue Wache fing an in der Flur auf und abzugehen.
Nach zehn Minuten kam Felton.
Mylady horchte.
«Höre, «sprach der junge Mann zu der Wache,»entferne Dich unter keinem Vorwand von dieser Thüre; denn Du weißt, daß in der letzten Nacht ein Soldat von Mylord bestraft worden ist, weil er einen Augenblick seinen Posten verlassen hatte, und ich hielt doch während seiner kurzen Abwesenheit Wache.«
«Ja, ich weiß es, «sagte der Soldat.
«Ich empfehle Dir also die pünktlichste Wachsamkeit; aber, «fügte er bei,»ich will hineingehen und zum zweiten Mal das Zimmer dieser Frau visitiren, welche, wie ich fürchte, Unseliges gegen sich selbst beabsichtigt, weshalb ich Befehl erhalten habe, sie zu überwachen.«
«Gut, «murmelte Mylady,»der strenge Puritaner lügt!«
Der Soldat begnügte sich zu lächeln.
«Teufel! mein Lieutenant, «sprach er,»Ihr seid nicht der Unglückseligste, daß man Euch einen solchen Auftrag gegeben hat.«
Felton erröthete; unter allen andern Umständen würde er dem Soldaten, der sich einen solchen Scherz erlaubte, einen Verweis ertheilt haben. Aber sein Gewissen murrte zu laut, als daß sein Mund zu sprechen gewagt hätte.
«Wenn ich rufe, «sagte er,»so komm; wenn man kommt, so rufe mich.«
«Sehr wohl, mein Lieutenant, «antwortete der Soldat.
Felton trat bei Mylady ein. Mylady stand auf.
«Seid Ihr hier?«sagte sie.
«Ich hatte Euch zu kommen versprochen, «erwiderte Felton,»und ich bin gekommen.«
«Ihr habt mir noch etwas Anderes versprochen.«
«Was denn, mein Gott!«rief der junge Mann, der trotz seiner Selbstbeherrschung fühlte, wie seine Kniee zitterten und der Schweiß seine Stirne befeuchtete.
«Ihr habt versprochen, mir ein Messer zu bringen und es mir nach unserer Unterredung zu lassen.«
«Verschont mich mit Euren Worten, Madame, «sagte Felton;»es gibt keine Lage, die so schrecklich wäre, daß sie ein Geschöpf Gottes berechtigte, sich den Tod zu geben. Ich habe überlegt, daß ich mich nie einer solchen Sünde schuldig machen darf.«
«Ah! Ihr habt überlegt, «sprach die Gefangene, indem sie sich mit verächtlichem Lächeln in ihren Lehnstuhl zurückwarf.»Und ich habe mir auch überlegt!«
«Was?«
«Daß ich einem Menschen, der sein Wort nicht hält, nichts zu sagen habe.«
«Oh! mein Gott, «murmelte Felton.
«Ihr könnt Euch entfernen, ich werde nichts sprechen.«
«Hier das Messer, «sagte Felton und zog die Waffe, die er mitzubringen versprochen, aber der Gefangenen nicht hatte geben wollen, aus seiner Tasche.
«Laßt sehen, «sagte Mylady.
«Was wollt Ihr damit machen?«
«Bei meiner Ehre, ich gebe Euch das Messer gleich zurück. Ihr legt es auf diesen Tisch und bleibt zwischen ihm und mir.«
Felton überreichte Mylady die Waffe, sie prüfte aufmerksam die Härtung und versuchte die Spitze an ihren Fingern.
«Gut, «sagte sie und gab das Messer dem jungen Offizier zurück…»das ist ein schöner, guter Stahl… Ihr seid ein treuer Freund, Felton.«
Felton nahm die Waffe und legte sie auf den Tisch, wie dies mit seiner Gefangenen verabredet war.
Mylady folgte ihm mit den Augen und machte eine Geberde der Zufriedenheit.
«Nun hört mich, «sprach sie.
Die Aufforderung war unnöthig, der junge Mann stand vor ihr und lauschte auf ihre Worte, um sie zu verschlingen.»Felton, «sagte Mylady mit einer schwermuthsvollen Feierlichkeit,»Felton, wenn Eure Tochter oder die Tochter Eures Vaters zu Euch spräche:»»Noch jung, zum Unglück ziemlich schön, hat man mich in eine Falle gelockt, ich widerstand; man verdoppelte die Schlingen, die Hinterhalte, die Gewaltstreiche um mich her, ich widerstand; man lästerte die Religion, der ich diene, den Gott, den ich anbete, ich widerstand; dann überhäufte man mich mit Beleidigungen, und da man meine Seele nicht zu verderben vermochte, so wollte man meinen Leib für immer brandmarken.«
Mylady hielt inne, ein bitteres Lächeln zog über ihre Lippen hin.
«Endlich, «sprach Felton,»was that man endlich?«
«Endlich eines Abends beschloß man diesen Widerstand, den man nicht besiegen konnte, zu lähmen, man mischte eines Abends ein narkotisches Mittel in mein Wasser; kaum hatte ich mein kleines Mahl beendigt, als ich von einer seltsamen Schläfrigkeit befallen wurde; obgleich ich kein Mißtrauen hegte, ergriff mich doch eine schwankende Furcht und ich suchte gegen den Schlaf zu kämpfen; ich stand auf, ich wollte zum Fenster laufen, um Hülfe rufen, aber meine Beine versagten mir den Dienst, es war mir, als sänke der Plafond auf mich herab und drückte mich mit seinem Gewichte nieder; ich streckte den Arm aus, ich versuchte zu sprechen; aber ich konnte nur unartikulirte Töne ausstoßen, eine unüberwindliche Erstarrung bemächtigte sich meiner, ich hielt mich an einem Stuhl, denn ich fühlte, daß ich dem Fallen nahe war, bald aber genügte diese Stütze für meine schwachen Arme nicht mehr, ich sank auf ein Knie, dann auf beide, ich wollte beten, meine Zunge war in Eis verwandelt. Gott hörte und sah mich ohne Zweifel nicht, und ich glitt, die Beute eines todähnlichen Schlafes, auf den Boden.
«Von Allem, was während dieses Schlafes vorging, habe ich keine Erinnerung mehr, ich weiß nur noch, daß ich in einem runden, reich ausgestatteten Zimmer erwachte, in welches das Tageslicht durch eine Oeffnung in der Decke drang. Keine Thüre schien den Eingang in dasselbe zu gewähren und man hätte glauben sollen, es wäre ein prächtiges Gefängniß.
«Lange bemühte ich mich, mir Rechenschaft von dem Orte, wo ich mich befand, und von den einzelnen Umständen zu geben, welche mich dahingebracht hatten; mein Geist schien vergebens zu kämpfen, um die drückende Finsterniß des Schlafes abzuschütteln, dem ich mich nicht zu entreißen vermochte; ich hatte unbestimmte Vorstellungen von einem durchlaufenen Räume, vom Rollen eines Wagens, aber dies Alles war so düster und schwankend in meinem Geiste, daß die Ereignisse einem andern Leben, als dem meinigen anzugehören und doch mit dem meinigen durch eine phantastische Doppelheit vermengt zu sein schienen.
«Einige Zeit kam mir der Zustand, in dem ich mich befand, so sonderbar vor, daß ich zu träumen glaubte. Allmälig aber trat die Wirklichkeit schreckensvoll vor mich, ich war nicht mehr in dem Hause, das ich sonst bewohnte; soweit ich es nach dem Sonnenlichte beurtheilen konnte, war der Tag schon zu zwei Dritteln abgelaufen, am Abend zuvor war ich eingeschlummert und mein Schlaf hatte also beinahe vierundzwanzig Stunden gedauert. Was war während dieser langen Zeit vorgefallen?
«Ich erhob mich wankend. Die Lahmheit aller meiner Bewegungen bewies, daß der Einfluß des narkotischen Mittels noch nicht ganz aufgehört hatte. Das Zimmer war übrigens zur Aufnahme eines weiblichen Wesens eingerichtet und der vollendetsten Kokette wäre kein Wunsch übrig geblieben, den sie nicht erfüllt gesehen hätte, wenn sie ihren Blick in diesem Gemach umherlaufen ließ.
«Offenbar war ich nicht die erste Gefangene, die sich in diesem glänzenden Kerker eingeschlossen gesehen hatte, aber Ihr begreift, Felton, je schöner der Kerker war, desto mehr mußte er mich in Schrecken setzen.
«Ja, es war ein Gefängniß; denn vergebens versuchte ich hinauszukommen, ich sondirte alle Wände, um eine Thüre zu entdecken, überall gaben sie einen vollen und zugleich matten Ton von sich.
«Zwanzig Mal machte ich vielleicht die Runde im Zimmer, um irgend einen Ausweg zu suchen, es war keiner vorhanden; der Müdigkeit und dem Schrecken unterliegend, sank ich in einen Lehnstuhl.
«Mittlerweile rückte die Nacht rasch heran und mit der zunehmenden Finsterniß vermehrte sich meine Angst; ich wußte nicht, ob ich da, wo ich saß, sitzen bleiben sollte, es kam mir vor, als wäre ich von unbekannten Gefahren umgeben, in die ich bei jedem Schritt stürzen müßte. Obgleich ich seit dem vorhergehenden Tage nichts gegessen hatte, ließ mich doch meine Furcht keinen Hunger empfinden.
«Kein Geräusch von außen, nach dem ich die Zeit hätte ermessen können, drang zu mir: ich vermuthete nur, es möchte etwa sieben oder acht Uhr sein; denn wir waren im Monat Oktober und es war bereits finstere Nacht.
«Plötzlich machte mich das Knarren einer auf ihren Angeln sich drehenden Thüre heftig erbeben, eine Feuerkugel erschien über der gläsernen Oeffnung, des Plafond, und ich sah zu meinem größten Schrecken, daß einige Schritte vor mir ein Mann stand.
«Ein Tisch mit zwei Gedecken, auf dem ein vollständiges Abendbrod aufgetragen war, hatte sich, wie durch einen Zauber, mitten im Zimmer erhoben.
«Dieser Mann war derjenige, welcher mich seit einem Jahre verfolgte, der meine Entehrung geschworen hatte, und mir mit den ersten Worten, die aus seinem Munde kamen, begreiflich machte, daß ich durch seinen Entschluß jeder Hoffnung beraubt sei, wieder in Freiheit gesetzt zu werden.«
«Der Schändliche!«murmelte Felton.
«Oh ja! der Schändliche!«rief Mylady, den Antheil gewahrend, den der junge Offizier, dessen Seele an ihren Lippen zu hängen schien, an dieser seltsamen Erzählung nahm,»oh! ja! der Schändliche, er glaubte, damit, daß er mich im Schlafe entführen ließ, als Alles abgemacht; er kam in der Hoffnung, ich würde meine Schande hinnehmen, weil die That vollbracht war, er bot mir ein Vermögen gegen mein Herz.
«Alles, was ein Frauenherz an erhabener Verachtung, an Worten des Abscheus in sich zu schließen vermag, ergoß ich über diesen Menschen: ohne Zweifel war er an dergleichen Vorwürfe gewöhnt, denn er hörte mich ruhig, lächelnd, mit gekreuzten Armen an; als er glaubte, ich habe Alles gesagt, näherte er sich mir, um meine Hand zu ergreifen, aber ich sprang nach dem Tische, ergriff ein Messer, hielt es an meine Brust und rief:»»Noch einen Schritt und Ihr habt Euch außer meiner Schande auch meinen Tod vorzuwerfen.««
«Ohne Zweifel lag in meinem Blick, in meiner Stimme, in meiner ganzen Person jene Wahrheit der Geberde, der Stellung und des Tones, welche auch die verdorbensten, verkehrtesten Gemüther überzeugt, denn er blieb stille stehen.
«Euern Tod?««sagte er zu mir,»»oh! nein. Ihr seid eine zu reizende Gefangene, als daß ich mich entschließen könnte. Euch so zu verlieren. Adieu, meine Schönste, um Euch wieder zu besuchen, werde ich warten, bis Ihr Euch in eine bessere Stimmung versetzt habt.««
«Nach diesen Worten pfiff er. Die Flammenkugel stieg in die Höhe und verschwand. Ich befand mich wieder in der Finsterniß. Einen Augenblick nachher hörte ich dasselbe Geräusch einer sich öffnenden und wieder schließenden Thüre. Die Feuerkugel wurde abermals herabgelassen und ich sah mich allein.
«Dieser Augenblick war furchtbar; hätte ich noch einige Zweifel über mein Unglück gehabt, sie wären unter einer jammervollen Wirklichkeit verschwunden; ich befand mich in der Gewalt eines Menschen, den ich nicht nur verabscheute, sondern auch verachtete, eines Menschen, der mir bereits einen unseligen Beweis von dem, was er zu thun im Stande war, gegeben hatte.«»Aber, wer war denn dieser Mensch?«fragte Felton. Mylady beantwortete diese Frage nicht und fuhr in ihrer Erzählung fort:
«Ich brachte die Nacht, bei dem geringsten Geräusche zitternd, auf einem Stuhle zu; um Mitternacht etwa erlosch die Lampe und ich befand mich wieder in völliger Dunkelheit, aber die Stunden gingen vorüber, ohne daß mein Verfolger zum zweiten Male erschien; der Tag brach an, der Tisch war verschwunden, nur hatte ich das Messer noch immer in der Hand.»Auf diesem Messer beruhte meine ganze Hoffnung.
«Ich war von Müdigkeit ganz entkräftet, die Schlaflosigkeit brannte m meinen Augen; denn ich hatte es nicht gewagt, auch nur einen Augenblick zu schlummern. Der Tag beruhigte mich, ich warf mich auf mein Bett, ohne mich von meinem Befreiungsmesser zu trennen, das ich unter dem Kopfkissen verbarg.
«Als ich erwachte, stand abermals ein gedeckter Tisch im Zimmer.
«Diesmal machte sich trotz meiner Befürchtungen, trotz meiner Angst ein peinlicher Hunger fühlbar, ich hatte seit achtundvierzig Stunden keine Nahrung zu mir genommen; ich aß Brod und etwas Obst; da ich mich aber des narkotischen Mittels erinnerte, mit dem das Wasser vermischt gewesen war, das ich getrunken hatte, so berührte ich das, welches auf dem Tische stand, nicht, sondern füllte mein Glas an einem marmornen, über meiner Toilette an der Wand befestigten Handbrunnen.
«Trotz dieser Vorsichtsmaßregeln schwebte ich nichtsdestoweniger in großer Angst, aber meine Furcht war dießmal nicht begründet, ich brachte den Tag hin, ohne daß ich etwas von dem verspürte, was ich gefürchtet hatte.
«Damit man mein Mißtrauen nicht wahrnähme, war ich darauf bedacht, die Flasche halb zu leeren.
«Der Abend kam, doch so finster es auch wurde, so begannen meine Augen sich daran zu gewöhnen; mitten in der Dunkelheit sah ich, wie der Tisch versank. Nach einer Viertelstunde kam er wieder mit meinem Abendbrod beladen, und einen Augenblick nachher wurde mein Zimmer mit derselben Lampe beleuchtet.
«Ich war entschlossen, nur Speisen zu mir zu nehmen, in welche man unmöglich Schlafmittel mischen konnte; zwei Eier und etwas Obst bildeten mein Mahl, dann schöpfte ich ein Glas Wasser aus meiner Schutzquelle und trank es.
«Bei dem ersten Schlucke kam es mir vor, als hätte es nicht mehr denselben Geschmack, wie am Morgen; ein jäher Verdacht regte sich in mir; ich hielt inne, aber ich hatte bereits ein halbes Glas getrunken. Den Rest goß ich mit Abscheu aus und wartete mit Angstschweiß auf der Stirne.
«Ohne Zweifel hatte mich ein unsichtbarer Zeuge Wasser aus dem Brunnen nehmen sehen und benützte gerade mein Vertrauen, um meinen so kalt beschlossenen, so grausam verfolgten Untergang sicher zu bewerkstelligen.
«Es verging keine halbe Stunde, als dieselben Symptome wieder eintraten; nur kämpfte ich länger, da ich kaum ein halbes Glas Wasser getrunken hatte, und statt gänzlich zu entschlummern, verfiel ich in eine Art von Betäubung, die mir das Gefühl von Allem, was um mich her vorging, ließ, ohne daß ich zu fliehen vermochte.
«Ich schleppte mich nach meinem Bette, um dort das einzige Vertheidigungsmittel zu suchen, das mir übrig blieb, mein Rettungsmesser, aber ich war nicht im Stande, das Kopfkissen zu erreichen, sank in die Kniee und klammerte mich mit den Händen an eine der Bettsäulen an.«
Felton wurde furchtbar bleich und ein krampfhafter Schauer durchlief seinen ganzen Körper.
«Das Gräßlichste dabei war, «fuhr Mylady mit bebender Stimme fort, als ob sie noch mit derselben Angst erfüllt wäre, wie in jenem furchtbaren Augenblicke,»das Gräßlichste dabei war, daß ich dießmal das Bewußtsein der Gefahr hatte, die mich bedrohte, daß meine Seele, so zu sagen, in meinem entschlummerten Körper wachte, daß ich sah und hörte: Alles dies freilich nur wie in einem Traum, aber darum war es nicht minder peinlich.
«Ich sah die Lampe, welche hinaufgezogen wurde und mich allmälig in der Finsterniß ließ.
«Dann hörte ich das Geräusch der Thüre, das mir so wohl bekannt war, obgleich sich diese Thüre nur zweimal geöffnet hatte.
«Ich fühlte instinktmäßig, daß man sich mir näherte; man sagt, der Unglückliche, der in den Wüsten Amerikas umherirre, fühle auf solche Art die Annäherung der Schlange.
«Ich wollte meine Kräfte zusammenraffen, ich versuchte zu schreien; durch eine unglaubliche Willensanstrengung hob ich mich sogar in die Höhe, doch nur, um sogleich wieder zurückzufallen.«
«Aber sagt mir endlich, wer war denn Euer Verfolger?«rief der junge Offizier.
Mylady überschaute mit einem Blicke, welche Pein sie Felton dadurch verursachte, daß sie bei allen Einzelnheiten ihrer Geschichte so lange verweilte; aber sie wollte ihm keine Folter ersparen. Je mehr sie ihm das Herz zu brechen vermochte, desto gewisser mußte er sie rächen. Sie fuhr also dießmal ebenfalls fort, als ob sie seinen Ausruf nicht gehört hätte, oder als ob sie glaubte, der Augenblick, ihm zu antworten, sei noch nicht gekommen.
«Als er mich anblickte, hörte ich ihn schreien:»»Diese elenden Puritaner! ich wußte wohl, daß sie ihre Henker ermüdeten, hielt sie aber für minder stark gegen ihre Verführer.««
Felton hörte zu, ohne daß er etwas Anderes vernehmen ließ, als eine Art von Schnauben; der kalte Schweiß rieselte von seiner Marmorstirne, und seine unter dem Rock verborgene Hand zerfleischte seine Brust.
«Meine erste Bewegung, «fuhr Mylady fort,»als ich zu mir selbst kam, war, daß ich unter dem Kopfkissen das Messer suchte, welches ich nicht hatte erreichen können; hatte es nicht zur Verteidigung gedient, so konnte es wenigstens zur Sühnung dienen.
«Als ich aber dieses Messer ergriff, kam mir ein furchtbarer Gedanke. Ich habe geschworen, Euch Alles zu sagen und werde Euch Alles sagen; ich habe Euch Wahrheit versprochen und werde mein Wort halten, und sollte ich dabei zu Grunde gehen.«
«Es kam Euch der Gedanke, an diesem Menschen Rache zu nehmen, nicht wahr?«rief Felton.
«Nun! ja, «erwiderte Mylady,»ich weiß wohl, dieser Gedanke ziemte sich nicht für eine Christin. Ohne Zweifel blies ihn der ewige Feind unserer Seele meinem Geiste ein. Nun, was soll ich Euch noch weiter sagen, Felton, «fuhr Mylady mit dem Tone eines Weibes fort, das sich eines Verbrechens anklagt,»dieser Gedanke kam mir und verließ mich nicht mehr. Für diese mörderische Absicht habe ich jetzt vielleicht die Strafe zu tragen.«
«Fahrt fort, fahrt fort, «rief Felton,»es drängt mich, Euch zur Rache gelangen zu sehen.«
«Oh! ich beschloß, sie so bald als möglich in das Werk zu setzen, ich zweifelte nicht daran, daß er in der nächsten Nacht wieder kommen würde. Bei Tage hatte ich nichts zu befürchten.
«Als die Frühstücksstunde kam, zögerte ich nicht zu essen und zu trinken; ich war entschlossen, mich zu stellen, als speise ich auch zu Nacht, aber nichts zu mir zu nehmen, und mußte also durch die Nahrung am Morgen das Fasten am Abend bekämpfen.
«Von meinem Frühstück nahm ich ein Glas Wasser und verbarg es, weil mich der Durst am meisten gepeinigt hatte, als ich achtundvierzig Stunden ohne Speise und Trank geblieben war.
«Der Tag verging ohne einen andern Einfluß auf mich, als daß er mich in meinem Entschluß bestärkte; nur war ich dafür besorgt, daß mein Gesicht durch Nichts den Gedanken meiner Seele kundgab, denn ich zweifelte nicht daran, daß man mich beobachtete; wiederholt fühlte ich sogar ein Lächeln auf meinen Lippen. Felton, ich wage es nicht, Euch zu gestehen, bei welchem Gedanken ich lächelte, Ihr könntet von Abscheu gegen mich ergriffen werden.«
«Fahrt fort, fahrt fort, «sprach Felton,»Ihr seht wohl, daß ich höre, und daß es mich drängt, zum Ende zu gelangen.«
«Der Abend kam, «fuhr Mylady fort,»die gewöhnlichen Ereignisse traten ein; mein Abendbrod wurde wie in den vorhergehenden Tagen in der Dunkelheit servirt, dann erleuchtete sich die Lampe und ich setzte mich zu Tische.
«Ich aß nur etwas Obst, stellte mich, als ob ich ein wenig Wasser aus der Flasche einschenkte, trank sodann dasjenige, das ich mir in meinem Glase aufbewahrt hatte, suchte dabei jedoch so geschickt zu manövriren, daß meine Spione, wenn ich welche hatte, keinen Verdacht schöpfen konnten.
«Nach dem Abendbrod gab ich dieselben Zeichen der Erstarrung kund, wie am Tage vorher, aber diesmal that ich, als ob ich entschlummerte, wie wenn ich der Müdigkeit unterläge, oder wie wenn ich mich an die Gefahr gewöhnt hätte.
«Nun fand ich mein Messer, und während ich mich schlafend stellte, preßte ich krampfhaft das Heft in der Hand.
«Es vergingen zwei Stunden, ohne daß etwas Neues vorfiel. Jetzt, o mein Gott! wer mir das am Tage vorher gesagt hätte, jetzt fürchtete ich, er könnte nicht kommen.
«Endlich sah ich die Lampe sachte sich erheben und in der Vertiefung das Plafond verschwinden; mein Zimmer erfüllte sich mit Finsterniß, aber ich strengte mich an, die Dunkelheit mit meinem Blicke zu durchdringen.
«Es gingen etwa zehn Minuten vorüber, ich hörte kein anderes Geräusch, als die Schläge meines Herzens.
«Ich flehte den Himmel an, er möge ihn kommen lassen.
«Endlich hörte ich das bekannte Knarren der Thüre, die sich öffnete und wieder schloß. Trotz eines dicken Teppichs erdröhnte der Boden unter einem Tritte und ich sah unerachtet der Finsterniß einen Schatten, der sich mir näherte.«
«Eilt, eilt!«unterbrach Felton die Erzählerin,»seht Ihr nicht, daß mich jedes Eurer Worte brennt, wie geschmolzenes Blei?«
«Da raffte ich alle meine Kräfte zusammen, «fuhr Mylady fort;»ich erinnerte mich, daß die Stunde der Rache oder vielmehr der Gerechtigkeit geschlagen hatte, ich sah mich wie eine zweite Judith an, ich hielt mein Messer in der Hand, und als ich bemerkte, daß er mir nahe genug war, stieß ich es ihm mit einem letzten Schrei des Schmerzes und der Verzweiflung mitten auf die Brust.
«Der Elende! er hat Alles vorhergesehen, seine Brust war durch ein Panzerhemd beschützt, die Messerspitze sprang ab.
«Ah! ah!«rief er, indem er mich beim Arme ergriff und mir die Waffe entriß, die mich so schlecht bedient hatte,»»Ihr trachtet mir nach dem Leben, schöne Puritanerin; aber das ist mehr als Haß, das ist Undankbarkeit. Beruhigt Euch, mein schönes Kind; ich glaubte, Ihr wäret zahm geworden. Ich bin keiner von den Tyrannen, welche die Frauen mit Gewalt zurückhalten. Ihr liebt mich nicht? Ich bezweifelte es in meiner Eitelkeit, nun bin ich überzeugt. Morgen seid Ihr frei.««
«Ich hatte nur ein einziges Verlangen, nämlich von ihm getödtet zu werden.
«Nehmt Euch in Acht,««sprach ich,»»denn meine Freiheit ist Eure Schande.««
«Erklärt Euch deutlicher, schöne Sibylle.««
«Ja, denn sobald ich diesen Ort verlassen habe, sage ich Alles; ich sage, welche Gewaltthat Ihr an mir verübt habt; mit lauter Stimme erzähle ich der Welt von meiner Gefangenschaft, von diesem Schlosse der Ehrlosigkeit. Ihr seid sehr hoch gestellt, aber zittert! Ueber Euch ist ein König! über dem König lebt ein Gott!««
«So sehr mein Verfolger noch Herr über sich zu sein schien, so vermochte er doch eine Bewegung des Zornes nicht zu bewältigen. Ich konnte den Ausdruck seines Gesichtes nicht sehen, aber ich fühlte, wie sein Arm zitterte, auf. dem meine Hand lag.»»Dann werdet Ihr nicht von hinnen gehen,««sprach er.
«Gut! gut!««rief ich,»»die Stelle meines Todes wird auch die Stelle meines Grabes sein. Ich werde hier sterben, und Ihr werdet sehen, ob ein Gespenst, das anklagt, nicht furchtbarer ist, als ein Lebender mit allen seinen Drohungen.««
«Man wird Euch keine Waffen lassen.««
«Es gibt eine, welche die Verzweiflung jedem Menschen zugänglich gemacht hat, wenn er nur den Muth besitzt, sich ihrer zu bedienen. Ich werde mich aushungern.««
«Hört,««sprach der Elende,»»ist der Friede nicht mehr werth, als ein solcher Krieg? Ich schenke Euch sogleich die Freiheit, ich erkläre Euch für eine Tugend, ich nenne Euch die Lukretia Englands.««
«Und ich sage, daß Ihr der Sextus seid, ich klage Euch vor den Menschen an, wie ich Euch vor Gott angeklagt habe, und wenn es sein muß, unterzeichne ich, wie Lucretia, meine Anklage mit Blut.««
«Ah! ah!««erwiderte mein Feind mit spöttischem Tone,»»das ist etwas Anderes. Meiner Treu, Ihr seid im Ganzen hier sehr gut, es soll Euch an nichts fehlen, und wenn Ihr Hungers sterbt, so ist es Eure eigene Schuld.««
«Nach diesen Worten entfernte er sich, ich hörte die Thüre öffnen und schließen. Ich war wie niedergeschmettert, und zwar, das gestehe ich, weniger durch meinen Schmerz, als durch die Schmach, nicht gerächt zu sein.
«Er hielt Wort. Der ganze Tag, die ganze Nacht verging, ohne daß ich ihn wieder sah, aber auch ich hielt Wort und berührte weder Speise noch Trank, denn ich war entschlossen, mich durch den Hunger zu tödten.
«Ich brachte den Tag und die Nacht in Gebeten hin, denn ich hoffte, Gott würde mir meinen Selbstmord vergeben.
«In der zweiten Nacht öffnete sich die Thüre. Ich lag auf dem Boden, die Kräfte verließen mich allmälig.
«Bei dem Geräusch richtete ich mich auf eine Hand auf.
«Nun!««sprach eine Stimme, die zu furchtbar in meinen Ohren klang, als daß ich sie nicht hätte erkennen sollen,»»nun! sind wir ein wenig besänftigt, werden wir unsere Freiheit mit dem einfachen Versprechen zu schweigen bezahlen? Hört, ich bin ein guter Mensch,««fügte er bei,»»und obgleich ich die Puritaner nicht liebe, lasse ich ihnen, wie den Puritanerinnen, wenn sie hübsch sind, Gerechtigkeit widerfahren. Auf, leistet mir einen kleinen Eid auf das Kreuz, mehr verlange ich nicht.««
«Auf das Kreuz!««rief ich mich erhebend, denn beim Ton der verhaßten Stimme hatte ich meine ganze Kraft wieder gewonnen:»»auf das Kreuz schwöre ich, daß kein Versprechen, keine Drohung, keine Marter mir den Mund verschließen soll; auf das Kreuz schwöre ich Euch als einen Mörder, als einen Ehrenräuber, als einen Elenden anzuklagen; auf das Kreuz schwöre ich, daß ich, wenn es mir je gelingt, diesen Ort zu verlassen, im Namen des ganzen Menschengeschlechts Rache gegen Euch fordern werde.««
«Nehmt Euch in Acht,««erwiderte er mit einer drohenden Betonung, die ich noch nicht von ihm gehört hatte,»»es steht mir ein Mittel zu Gebot, das ich nur im äußersten Falle anwenden werde, um Euch den Mund zu verschließen, oder wenigstens zu verhindern, daß man auch nur ein Wort von dem glaubt, was Ihr aussagt.««
«Ich raffte alle meine Kräfte zusammen, um ihm mit einem schallenden Gelächter zu antworten…
«Er sah, daß unter uns nun ein Krieg auf Leben und Tod ausgebrochen war.
«Hört,««sagte er,»»ich gebe Euch noch den Rest der Nacht und den morgigen Tag. Bedenkt wohl. Versprecht zu schweigen, und Reichthum, Achtung, Ehre soll Euch umgeben; droht Ihr zu sprechen, so überantworte ich Euch der Schande.««»»Ihr?««rief ich,»»Ihr?««
«Der ewigen, untilgbaren Schande.««»»Ihr?««wiederholte ich.»Ah! ich sage Euch, Felton, ich hielt ihn für wahnsinnig.
«Oh! laßt mich,««rief ich,»»geht, wenn Ihr nicht wollt, daß ich mir in Eurer Gegenwart die Hirnschale an der Wand zerschmettere.««
«Gut, Ihr wollt es so haben; morgen Abend also.««»»Morgen Abend,««erwiderte ich, sank auf den Boden nieder und biß vor Wuth in den Teppich.«
Felton stützte sich auf einen Schrank und Mylady sah mit teuflischer Freude, daß der junge Offizier vielleicht nicht die Kraft haben würde, die Erzählung bis zu Ende zu hören.
XXIX. Ein Vorwurf zu einer klassischen Tragödie
Nach einem kurzen Stillschweigen, während dessen Mylady den jungen Offizier, der ihr zuhörte, zu beobachten beschäftigt war, fuhr sie in ihrer Erzählung fort:
«Ich hatte beinahe drei Tage nichts gegessen und nichts getrunken, und war furchtbaren Qualen preisgegeben; zuweilen zog es wie Wolken über meine gepreßte Stirne hin, meine Augen verschleierten sich, meine Gedanken geriethen in Verwirrung.
«Der Abend kam; ich war so schwach, daß ich jeden Augenblick in Ohnmacht sank, und so oft ich ohnmächtig wurde, dankte ich Gott, denn ich glaubte, mein Tod nahe heran.
«Mitten in einer solchen Ohnmacht hörte ich, daß sich die Thüre öffnete. Der Schrecken brachte mich zum Bewußtsein.
«Mein Verfolger trat mit einem maskirten Manne ein; er war selbst maskirt; ich erkannte seinen Tritt, ich erkannte seine Stimme, ich erkannte das imposante Wesen, das die Hölle seiner Person zum Unglück der Menschheit verliehen hat.
«Nun!««sprach er,»»seid Ihr entschlossen, mir den Eid zu leisten, den ich von Euch verlange?««
«Ihr habt es gesagt, die Puritaner haben nur ein Wort: das meinige habt Ihr vernommen, ich habe mir angelobt. Euch auf Erden vor dem Gerichte der Menschen, im Himmel vor dem Gerichte Gottes zu verfolgen!««
«Ihr beharrt also auf Eurer Absicht?««
«Ich schwöre es vor Gott, der mich hört; ich nehme die ganze Welt zum Zeugen Eures Verbrechens, und zwar bis ich einen Rächer gefunden habe.««
«Ihr seid eine Metze,««rief er mit einer Donnerstimme,»»und sollt die Strafe der Metzen erdulden!.. Gebrandmarkt in den Augen der Welt, die Ihr anrufen wollt, versucht es dieser Welt zu beweisen, daß Ihr weder wahnwitzig noch schuldig seid.««
«Dann wandte er sich an seinen Begleiter mit den Worten:»»Henker, thue Deine Schuldigkeit.««
«Oh! seinen Namen! seinen Namen!«rief Felton abermals;»nennt mir seinen Namen.«
«Trotz meines Geschreis, trotz meines Widerstands, denn ich fing nun an, zu begreifen, daß es sich für mich um etwas Schlimmeres, als um den Tod handelte, packte mich der Henker, warf mich zu Boden, schnürte mir die Arme fest zusammen, und vom Schluchzen halb erstickt, beinahe ohne Bewußtsein, Gott anrufend, der mich nicht hörte, stieß ich plötzlich einen furchtbaren Schrei des Schmerzes und der Schande aus: ein glühendes Eisen, ein rothes Eisen, das Eisen des Henkers hatte man auf meine Schulter gedrückt.«
Felton schnaubte und brüllte.
«Seht, «sprach Mylady, sich mit der Majestät einer Königin erhebend,»seht Ihr, wie man für das reine Mädchen, das ein Opfer der Rohheit eines heillosen Missethäters war, ein neues Märtyrthum ersonnen hatte. Lernt das Herz der Menschen kennen, und dient von nun an minder leicht als Werkzeug ihrer ungerechten Rache.«
Mit einer raschen Bewegung öffnete Mylady ihr Kleid, zerriß den Batist, welcher ihre Schulter bedeckte, und zeigte, roth vor geheucheltem Zorn und gespielter Scham, dem jungen Manne das untilgbare Mal, das ihre so schöne Schulter entehrte.
«Aber ich sehe hier eine Lilie, «rief Felton.
«Darin liegt gerade die Niederträchtigkeit, «antwortete Mylady,»die Brandmarkung von Frankreich!.. Er hätte beweisen müssen, von welchem Tribunal mir diese aufgedrückt worden sei, und ich hätte einen öffentlichen Aufruf an alle Gerichte des Königreichs ergehen lassen. Aber durch die Brandmarkung von Frankreich war ich wirklich gebrandmarkt.«
Das war zu viel für Felton. Bleich, unbeweglich, niedergeschmettert durch diese furchtbare Enthüllung, geblendet durch die übermenschliche Schönheit dieser Frau, die sich mit einer Schamlosigkeit vor ihm enthüllte, welche er erhaben fand, stürzte er endlich vor ihr auf die Kniee nieder, wie dies die ersten Christen vor jenen heiligen Märtyrerinnen thaten, welche die Verfolgung der Kaiser im Circus der blutgierigen Lüsternheit des Pöbels bloßstellte. Das Brandmal verschwand, die Schönheit allein blieb übrig!
«Vergebung, Vergebung!«rief Felton,»o Vergebung!«
Mylady las in seinen Augen: Liebe, Liebe!
«Vergebung, wofür?«fragte sie.
«Vergebung dafür, daß ich mit Euren Verfolgern in Verbindung stand.«
Mylady reichte ihm die Hand.
«So schön! so jung!«rief Felton und bedeckte ihre Hand mit Küssen.
Mylady ließ einen jener Blicke, die einen Sklaven zum König machen, auf ihn fallen.
Felton war Puritaner. Er ließ die Hand dieser Frau los, um ihr die Füße zu küssen.
Er liebte sie bereits nicht mehr, er betete sie an.
Als diese Krise vorüber war, als Mylady ihre Kaltblütigkeit, die sie nie verlassen hatte, wieder gewonnen zu haben schien, sprach er:
«Und nun habe ich Euch nur Eines noch zu sagen: nennt mir den Namen Eures wahren Henkers, denn für mich gibt es nur einen; der andere war das Werkzeug und nicht mehr.«
«Wie, Bruder!«rief Mylady,»ich soll ihn Dir nennen und Du hast ihn noch nicht errathen?«
«Wie!«versetzte Felton,»Er!.. abermals er! — immer er!.. Er, der wahre Schuldige?«
«Der wahre Schuldige ist der Verwüster Englands, der Verfolger der ächten Gläubigen, der feige Räuber der Ehre so vieler Frauen! Er, der aus einer Laune seines verdorbenen Herzens so viel Blutvergießen über England bringt, der heute die Protestanten beschützt, und sie morgen verrathen wird.«
«Buckingham! also Buckingham!«rief Felton außer sich.
Mylady verbarg ihr Gesicht in den Händen, als vermöchte sie die Schmach nicht zu ertragen, an welche dieser Mann sie erinnerte.
«Buckingham! der Henker dieses engelreinen Geschöpfes!«rief Felton.»Und Du hast ihn nicht mit Deinem Donner niedergeschmettert, mein Gott! und Du lässest ihn erhaben, geehrt, mächtig, zu unser aller Verderben!«
«Gott verläßt den, der sich selbst verläßt, «sprach Mylady.
«Er will also auf sein Haupt die Strafe der Verdammten herabrufen, «fuhr Felton mit wachsender Begeisterung fort.»Die menschliche Rache soll also der göttlichen Rache zuvorkommen!«
«Die Menschen fürchten und schonen ihn.«
«Oh, ich fürchte ihn nicht und werde ihn nicht schonen!«rief Felton.
Myladys Seele schwamm in höllischer Freude.
«Aber in welchem Zusammenhange, «fragte Felton,»steht Lord Winter, mein Beschützer, mein Vater, mit Allem dem?«
«Hört, Felton, «erwiderte Mylady,»neben feigen und verächtlichen Menschen finden sich erhabene, edelmüthige Naturen; ich hatte einen Bräutigam, einen Mann, der mich liebte und den ich liebte, ein Herz wie das Eurige, Felton, einen Mann, wie Ihr. Ich ging zu ihm und erzählte ihm Alles. Er kannte mich und zweifelte nicht einen Augenblick. Er war ein hochgestellter Herr, in allen Beziehungen Buckingham gleich. Er sprach nichts, gürtete nur sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel, und begab sich nach Buckingham Palace.«
«Ich begreife, «sagte Felton,»obgleich man gegen solchen Menschen nicht das Schwert, sondern den Dolch brauchen muß.«
«Buckingham war am Tage vorher abgereist, als Botschafter nach Spanien geschickt, wo er um die Hand der Infantin für König Karl I., der damals noch Prinz von Wales war, werben sollte. Mein Bräutigam kam zurück.«
«Hört,««sprach er zu mir,»»dieser Mensch ist abgereist, und folglich für den Augenblick meiner Rache entgangen; aber mittlerweile schließen wir unsere Verbindung, wie wir dies beabsichtigten, und dann baut auf Lord Winter, daß er seiner Ehre und die seiner Gemahlin aufrecht zu erhalten wissen wird.««
«Lord Winter!«rief Felton.
«Ja, «antwortete Mylady,»Lord Winter, und nun begreift Ihr wohl Alles, nicht wahr? Buckingham blieb beinahe ein Jahr abwesend. Acht Tage vor seiner Ankunft starb Lord Winter plötzlich und hinterließ mich als seine einzige Erbin. Woher kam der Schlag? Gott, der Alles weiß, weiß auch dies ohne Zweifel. Ich klage Niemand an.«
«Oh welch ein Abgrund! Welch ein furchtbarer Abgrund!«rief Felton.
«Lord Winter war gestorben, ohne seinem Bruder etwas zu sagen. Das furchtbare Geheimniß sollte vor Allem verborgen bleiben, bis es wie ein Gewitter über dem Haupte des Schuldigen ausbrechen würde; Euer Beschützer hatte nur mit Widerwillen die Heirath seines Bruders mit einem jungen Mädchen ohne Vermögen angesehen. Ich fühlte, daß ich keine Stütze bei einem Manne zu erwarten hatte, der in seinen Erbschaftshoffnungen betrogen worden war, und zog nach Frankreich, entschlossen, mein ganzes übriges Leben daselbst zuzubringen. Aber da sich mein Vermögen in England befand, und jede Verbindung durch den Krieg abgebrochen war, so fehlte es mir an Allem, und ich sah mich genöthigt, dahin zurückzukehren. Vor sechs Tagen landete ich in Portsmouth.«
«Was geschah weiter?«fragte Felton.
«Buckingham erfuhr ohne Zweifel meine Rückkehr, er sprach darüber mit Lord Winter und sagte ihm, seine Schwägerin sei eine Geschändete, eine Gebrandmarkte. Die edle, reine Stimme meines Gatten konnte mich nicht mehr vertheidigen. Lord Winter glaubte Alles, was man ihm sagte, um so leichter, als er ein Interesse dabei hatte, es zu glauben. Er ließ mich verhaften und hierher führen, und stellte mich unter Eure Obhut. Das Uebrige wißt Ihr. Uebermorgen deportirt er mich. Uebermorgen schickt er mich in die Verbannung unter ehrlose Verbrecher. Oh! der Faden ist gut gesponnen, das Complott ist geschickt angelegt, aber meine Ehre wird es nicht überleben. Ihr seht wohl, daß ich sterben muß, Felton. Felton, gebt mir das Messer!«
Und nach diesen Worten sank Mylady, als ob alle ihre Kräfte erschöpft wären, schwach und schmachtend in die Arme des jungen Offiziers.
«Nein, nein!«rief er,»nein. Du sollst leben, rein und geehrt. Du sollst über Deine Feinde triumphiren!«
Mylady stieß ihn sachte mit der Hand zurück, während sie ihn mit dem Blicke anzog.
«O den Tod! den Tod!«sprach sie, die Stimme und die Augen verschleiernd.»O lieber den Tod, als die Schande!.. Felton, mein Bruder, mein Freund, ich beschwöre Dich!«
«Nein, «rief Felton,»nein. Du sollst leben und gerächt werden.«
«Felton, ich bringe Unglück über Alles, was mich umgibt. Felton, verlaß mich! Felton, laß mich sterben!«
«Wohl, so sterben wir mit einander!«rief er.
Es tönten mehrere Schläge an der Thüre.
«Horch!«sprach sie,»man hat uns belauscht; man kommt! Es ist vorbei; wir sind verloren.«
«Nein, «sprach Felton,»es ist die Wache, welche mir meldet, daß eine Runde kommt.«
«Dann eilt an die Thüre und öffnet selbst.«
Felton gehorchte. Diese Frau war bereits sein ganzer Gedanke, seine ganze Seele.
Er stand dem Sergenten gegenüber, der eine Wachpatrouille commandirte.
«Was gibt es?«fragte der Offizier.
«Ihr habt mir gesagt, ich solle die Thüre öffnen, wenn ich um Hülfe rufen höre, aber Ihr vergaßt, mir den Schlüssel zu lassen. Ich hörte Euch rufen, ohne daß ich verstand, was Ihr verlangtet, und wollte die Thüre öffnen, aber sie war von innen verschlossen, und ich rief deßhalb den Sergenten.«
«Und hier bin ich, «sagte der Sergent.
Verwirrt, beinahe verrückt, blieb Felton lautlos.
Mylady betriff, daß sie sich der Lage der Dinge bemächtigen mußte. Sie lief nach dem Tische und ergriff das Messer, welches Felton darauf gelegt hatte.
«Und mit welchem Rechte wollt Ihr mich hindern zu sterben?«fragte sie.
«Großer Gott!«rief Felton, als er das Messer in ihrer Hand blinken sah.
In diesem Augenblick erscholl ein ironisches Gelächter in der Flur.
Von dem Geräusche herbeigezogen, stand der Baron im Schlafrocke, den Degen unter dem Arm, auf der Thürschwelle.
«Ah! ah!«sagte er,»wir sind im letzten Akte der Tragödie angelangt. Ihr seht, Felton, das Drama hat alle von mir bezeichneten Phasen durchgemacht; aber seid unbesorgt, das Blut wird nicht fließen.«
Mylady begriff, daß sie verloren war, wenn sie nicht Felton einen unmittelbaren und furchtbaren Beweis von ihrem Muthe gab.
«Ihr täuscht Euch, Mylord, das Blut wird fließen. Möge es auf diejenigen zurückfallen, welche es fließen lassen!«
Felton stieß einen Schrei aus und stürzte auf sie zu. Es war zu spät, Mylady hatte gestochen.
Aber das Messer hatte glücklicher Weise — wir sollten sagen geschickter Weise — das stählerne Planchet getroffen, das in jener Zeit wie ein Panzer die Brust der Frauen beschützte. Es hatte das Kleid zerrissen, war aber dann abgeglitten und schräg zwischen dem Fleisch und den Rippen eingedrungen.
Myladys Kleid war darum nicht minder in einer Sekunde mit Blut befleckt.
Mylady sank zurück und schien ohnmächtig. Felton entriß ihr das Messer.
«Seht, Mylord, «sprach er mit düsterer Miene.»Diese Frau war unter meine Obhut gestellt und hat sich getötet.«
«Seid unbesorgt, Felton, «sprach Lord Winter,»sie ist nicht tot. Die Teufel sterben nicht so leicht; seid unbesorgt, erwartet mich in meinem Zimmer.«
«Aber, Mylord…«
«Geht, ich befehle es Euch!«
Felton gehorchte dem Befehl seines Vorgesetzten, aber er steckte das Messer in seinen Busen, als er sich entfernte.
Lord Winter begnügte sich, die Frau zu rufen, welche Mylady bediente, und als diese gekommen war, empfahl er ihr die noch immer ohnmächtige Gefangene und ließ sie mit dieser allein.
Da jedoch die Wunde trotz seines Argwohns von Bedeutung sein konnte, so schickte er sogleich einen Reitenden ab, um den Arzt zu holen.
XXX. Die Flucht
Myladys Wunde war, wie Lord Winter gedacht hatte, durchaus nicht gefährlich. Sobald sie sich mit der für ihre Bedienung bestimmten Frau allein befand, schlug sie die Augen wieder auf.
Aber man mußte Schwäche und Schmerz heucheln; das war nicht schwierig für eine Schauspielerin wie Mylady. Die arme Frau, welche sich beeilte sie zu entkleiden, wurde auch dergestalt von ihrer Gefangenen bethört, daß sie, trotz der Einwendungen Myladys, auf ihrem Willen, die ganze Nacht bei ihr zu wachen, beharrte.
Aber die Gegenwart dieser Frau hinderte Mylady nicht am Nachdenken. Es blieb kein Zweifel mehr, Felton war überzeugt, Felton gehörte ihr. Wäre ein Engel dem jungen Manne erschienen, um Mylady anzuklagen, er würde ihn in seiner damaligen Gemüthsstimmung sicherlich für einen Abgesandten des Teufels gehalten haben.
Mylady lächelte bei diesem Gedanken; denn Felton war von nun an ihre einzige Hoffnung, ihr einziges Rettungsmittel.
Aber in Lord Winter konnte ein Verdacht gegen ihn entstanden sein. Felton konnte jetzt selbst überwacht werden.
Gegen vier Uhr Morgens erschien der Arzt; doch seit der Zeit, wo Mylady sich den Stich beigebracht, hatte sich die Wunde bereits wieder geschlossen. Der Arzt konnte also weder ihre Richtung noch ihre Tiefe ermessen. Er erkannte nur an dem Pulse der Kranken, daß die Sache von keiner Bedeutung war.
Am Morgen schickte Mylady, unter dem Vorwand, die ganze Nacht nicht geschlafen zu haben und der Ruhe zu bedürfen, die Frau weg, welche bei ihr wachte.
Sie hegte einigermaßen die Hoffnung, Felton werde zur Frühstückstunde erscheinen, aber er kam nicht.
Hatten sich ihre Befürchtungen verwirklicht? Sollte ihr Felton, von dem Baron beargwöhnt, in dem entscheidenden Augenblicke sein Wort nicht halten können? Sie hatte nur noch einen Tag. Lord Winter hatte ihr die Einschiffung auf den 23. angekündigt und man hatte bereits den Morgen des 22. erreicht. Nichtsdestoweniger wartete sie noch geduldig bis zur Stunde des Mittagsmahles. Obgleich sie am Morgen nichts gegessen hatte, wurde doch das Mittagsbrod zur gewöhnlichen Stunde gebracht. Mylady bemerkte mit Schrecken, daß die Uniform der Soldaten, welche sie bewachten, sich verändert hatte. Sie wagte es jetzt zu fragen, was aus Felton geworden sei?
Man antwortete ihr: Felton sei vor einer Stunde zu Pferde gestiegen und weggeritten.
Sie erkundigte sich, ob sich der Baron immer noch im Schlosse befinde. Der Soldat bejahte diese Frage mit der Bemerkung, er habe Befehl erhalten, ihn zu benachrichtigen, wenn ihn die Gefangene zu sprechen wünsche.
Mylady antwortete, sie sei für den Augenblick zu schwach und wünsche nur allein zu bleiben.
Der Soldat trat, das Mittagsbrod zurücklassend, ab.
Felton war entfernt. Die Marinesoldaten hatten sich verändert: man mißtraute also Felton.
Dies war der letzte Schlag für die Gefangene.
Sobald sie sich allein sah, stand sie auf. Das Bett, in welchem sie aus Klugheit, und damit man sie für schwer verwundet halten sollte, geblieben war, brannte sie wie ein glühender Rost. Sie warf einen Blick nach der Thüre. Der Baron hatte ein Brett vor das Gitter nageln lassen. Ohne Zweifel fürchtete er, es dürste ihr mit Hülfe dieser Oeffnung durch irgend ein teuflisches Mittel gelingen, die Wachen zu verführen.
Mylady lächelte vor Freude; sie konnte sich allen ihren Gemüthsbewegungen, ohne beobachtet zu werden, hingeben. Sie durchlief das Zimmer mit der Exaltation einer Wahnsinnigen oder einer in einem eisernen Käfig eingeschlossenen Tigerin. Wäre ihr das Messer geblieben, sie hätte sicherlich daran gedacht, nicht mehr sich selbst, sondern diesmal den Baron zu ermorden.
Um sechs Uhr trat Lord Winter, bis an die Zähne bewaffnet, ein. Dieser Mann, in dem Mylady bis dahin nur einen eleganten, artigen Edelmann gesehen hatte, war ein bewunderungswürdiger Kerkermeister geworden. Er schien Alles vorherzusehen, Alles zu errathen. Allem zuvorzukommen.
Ein einziger Blick auf Mylady unterrichtete ihn von Allem, was in ihrer Seele vorging.
«Gut, «sagte er,»aber Ihr werdet mich heute noch nicht umbringen. Ihr habt keine Waffe mehr und überdieß bin ich auch auf meiner Hut. Ihr hattet schon angefangen, meinem armen Felton den Kopf zu verdrehen. Er stand bereits unter Eurem höllischen Einflüsse, aber ich will ihn retten; er wird Euch nicht mehr sehen. Alles ist vorbei. Packt Eure Kleidungsstücke zusammen. Morgen reist Ihr ab. Ich hatte die Einschiffung auf den 23. festgestellt; aber je näher die Sache gerückt wird, desto sicherer ist sie. Morgen Mittag habe ich Euern Verbannungsbefehl, von Buckingham unterzeichnet, in meinen Händen. Sprecht Ihr ein einziges Wort zu irgend Jemand, ehe Ihr Euch auf dem Schiffe befindet, so schießt Euch mein Sergeant über den Haufen, dazu hat er Befehl. Sprecht Ihr auf dem Schiffe ein Wort zu irgend Jemand, ehe es der Kapitän gestattet, so läßt Euch dieser ins Meer werfen, das ist so abgemacht. Auf Wiedersehen, dies hatte ich Euch heute zu eröffnen. Morgen sehe ich Euch noch einmal, um Abschied zu nehmen.«
Nach diesen Worten entfernte sich der Baron.
Mylady hatte diese ganze drohende Tirade mit einem Lächeln auf den Lippen, aber mit Wuth im Herzen, angehört.
Man trug das Abendbrod auf. Mylady fühlte, daß sie der Kräfte bedurfte. Sie wußte nicht, was in dieser Nacht vorgehen konnte, welche drohend herannahte, denn schwere Wolken wälzten sich am Himmel hin und ferne Blitze kündigten einen Sturm an.
Der Sturm brach wirklich gegen zehn Uhr Abends aus. Mylady fand einen Trost darin, daß die Natur die Verwirrung ihres Herzens theilte. Der Donner rollte in der Luft, wie der Zorn in ihrem Herzen. Es war ihr, als brauste der Wind über ihre Stirne, wie über die Bäume hin, deren Zweige er krümmte, deren Blätter er fortriß. Sie heulte wie der Ocean, und ihre Stimme verlor sich in der großen Stimme der Natur, welche ebenfalls zu seufzen und zu verzweifeln schien.
Von Zeit zu Zeit betrachtete sie einen Ring, den sie am Finger trug. Der Kasten dieses Ringes enthielt ein feines, scharfes Gift; dies war ihre letzte Zuflucht.
Plötzlich hörte sie an ein Fenster klopfen, und bei dem Schimmer eines Blitzes erblickte sie ein männliches Gesicht hinter den Gitterstangen. Sie lief nach dem Fenster und öffnete es.
«Felton!«rief sie,»ich bin gerettet!«
«Ja, «sagte Felton,»aber stille, stille! Ich brauche Zeit, um Euere Stangen zu durchsägen. Nehmt Euch in Acht, daß sie Euch nicht durch das Gitter in der Thüre sehen.«
«Oh! das dient zum Beweise, daß der Herr für uns ist, Felton, «versetzte Mylady,»sie haben das Gitter mit einem Brette verschlossen.«
«So ist es gut! Gott hat sie wahnsinnig gemacht, «sprach Felton.
«Aber was habe ich zu thun?«fragte Mylady.
«Nichts, nichts, verschließt nur dieses Fenster wieder. Legt Euch schlafen, oder legt Euch wenigstens ganz angekleidet in Euer Bett. Sobald ich fertig bin, klopfe ich an die Scheibe. Aber könnt Ihr mir auch folgen?«
«O gewiß!«
«Eure Wunde?«
«Macht mir Schmerzen, hindert mich aber nicht zu gehen.«
«Haltet Euch also auf das erste Zeichen bereit.«
Mylady schloß das Fenster, löschte ihre Lampe aus und kauerte sich, wie ihr Felton empfohlen hatte, in ihr Bett. Inmitten der Klagen des Sturmes hörte sie das Knirschen der Feile an den Stangen, und bei dem Schimmer jedes Blitzes gewahrte sie den Schatten Feltons hinter den Scheiben.
Sie verbrachte eine Stunde ohne zu athmen, keuchend, mit Schweiß auf der Stirne, unter furchtbarer Angst bei jeder Bewegung, die sie in der Flur hörte.

Es gibt Stunden, welche ein Jahr dauern.
Nach Verlauf einer Stunde klopfte Felton abermals. Mylady sprang aus ihrem Bett und öffnete. Zwei ausgebrochene Stangen bildeten eine Oeffnung, durch welche ein Mensch schlüpfen konnte.
«Seid Ihr bereit?«— fragte Felton. — »Ja; soll ich etwas mitnehmen?«—»Geld, wenn Ihr habt!«—»Glücklicher Weise hat man mir das, was ich besaß, gelassen.«—»Desto besser, denn ich habe das meinige aufgebraucht, um eine Barke zu miethen.«—»Nehmt, «sagte Mylady und legte Felton einen Sack Gold in die Hände.
Felton nahm den Sack und warf ihn an den Fuß der Mauer.
«Wollt Ihr nun kommen?«sprach er.
«Hier bin ich!«
Mylady stieg auf einen Stuhl und schlüpfte mit dem ganzen obern Theile ihres Körpers durch das Fenster. Sie sah, daß der junge Offizier auf einer Strickleiter über dem Abgrunde hing.
Zum ersten Male erinnerte sie eine Regung von Angst daran, daß sie ein Weib war.
Die gähnende Leere machte ihr bange.
«Ich dachte es mir, «sagte Felton.
«Es ist nichts, «sprach Mylady,»ich werde mit geschlossenen Augen hinabsteigen.«
«Habt Ihr Vertrauen zu mir?«sagte Felton.
«Könnt Ihr noch fragen?«
«Reicht mir Eure zwei Hände, kreuzt sie; so ist es gut.«
Felton band ihr die zwei Faustgelenke mit seinem Taschentuche zusammen und umwickelte das Taschentuch mit einem Stricke.
«Was macht Ihr?«fragte Mylady erstaunt.
«Legt Eure Arme um meinen Hals und fürchtet Euch nicht.«
«Aber Ihr werdet durch mich das Gleichgewicht verlieren, und wir stürzen Beide hinab.«
«Seid unbesorgt; ich bin ein Seemann!«
Man hatte keine Sekunde, um sich zu besinnen. Mylady legte ihre beiden Arme um Feltons Hals und ließ sich aus dem Fenster gleiten.
Felton fing an die Sprossen langsam, eine nach der andern, hinabzusteigen. Trotz des Gewichtes der zwei Körper wiegte sie der Orkan in der Luft.
Plötzlich hielt Felton inne.
«Was giebt es?«fragte Mylady. — »Still!«sagte Felton,»ich höre Tritte!«—»Wir sind entdeckt!«
Es wurde wieder einen Augenblick still.
«Nein, «sprach Felton,»es ist nichts.«—»Aber was ist denn das für ein Geräusch?«—»Es kommt von der Patrouille, welche auf dem Rundengang geht.«—»Wo ist der Rundengang?«—»Gerade unter uns.«—»Sie wird uns entdecken.«—»Wenn keine Blitze kommen, nicht.«—»Sie wird unten an die Leiter stoßen.«—»Glücklicherweise ist diese um sechs Fuß zu kurz.«—»Mein Gott! hier kommen sie!«—»Schweigt!«
Alle Beide blieben zwanzig Fuß über der Erde unbeweglich und ohne zu athmen aufgehängt. Während dieser Zeit gingen die Soldaten lachend und plaudernd unter ihnen hin.
Es war für die Flüchtlinge ein furchtbarer Augenblick.
Die Patrouille zog weiter. Man hörte, wie sich das Geräusch ihrer Tritte immer mehr entfernte und das Gemurmel ihrer Stimmen immer schwächer wurde.
«Nun sind wir gerettet, «sprach Felton.
Mylady stieß einen Seufzer aus und wurde ohnmächtig.
Felton fuhr fort hinabzusteigen. Als er unten an der Leiter angelangt war, und keine Stütze mehr für seine Füße fühlte, klammerte er sich mit den Händen an, und als er die letzte Sprosse erreicht hatte, ließ er sich an den Faustgelenken herabhängen und berührte die Erde. Er bückte sich, hob den Goldsack auf und nahm ihn zwischen die Zähne.
Dann nahm er Mylady in seine Arme und entfernte sich rasch, in entgegengesetzter Richtung von der, welche die Patrouille eingeschlagen hatte. Bald verließ er den Rundengang, stieg durch die Felsen hinab und ließ, am Ufer des Meeres angelangt, einen scharfen Ton seiner Pfeife hören.
Ein ähnliches Signal antwortete, und fünf Minuten nachher sah er eine Barke mit vier Mann erscheinen.
Die Barke kam so nahe als möglich zum Ufer heran, aber sie hatte hier nicht genug Tiefe, um den Rand erreichen zu können. Felton ging bis an den Gürtel in das Wasser, da er seine kostbare Beute Niemand anvertrauen wollte.
Zum Glück fing der Sturm an sich ein wenig zu legen. Das Meer war jedoch immer noch aufgeregt. Die kleine Barke hüpfte, wie eine Nußschale über die Wellen hin.
«Zur Schaluppe!«sagte Felton,»und rasch vorwärts.«
Die vier Männer fingen an zu arbeiten, aber die See ging zu hoch, als daß die Ruder eine starke Wirkung hätten äußern können.
Doch man entfernte sich wenigstens vom Schlosse. Das war die Hauptsache. Die Nacht hatte Wasser und Land in tiefe Finsterniß gehüllt, und bereits war es unmöglich, das Ufer von der Barke aus zu unterscheiden, man hätte also noch viel weniger die Barke vom Ufer aus unterscheiden können.
Ein schwarzer Punkt schwankte auf dem Meere.
Das war die Schaluppe.
Während die Barke mit aller Kraft ihrer vier Ruderer vorrückte, band Felton den Strick und das Sacktuch los, womit die Hände Myladys zusammengeknüpft waren.
Nachdem er ihre Hände gelöst hatte, nahm er Seewasser und sprengte es ihr ins Gesicht.
Mylady stieß einen Seufzer aus.
«Wo bin ich, «sagte sie.
«Gerettet!«antwortete der junge Offizier.
«Oh! gerettet! gerettet!«rief sie.»Ja, hier ist der Himmel, hier ist das Meer! Die Luft, die ich athme, ist die Freiheit. Ach! Dank, Felton, tausend Dank!«
Der junge Mann drückte sie an sein Herz.
«Aber, was habe ich denn an den Händen?«fragte Mylady:»es scheint, man hat sie mir in einen Schraubstock gepreßt.«
Mylady hob die Arme auf; die Faustgelenke waren in der That gequetscht.
«Ach!«seufzte Felton, die schönen Hände anschauend und schüttelte schmerzlich den Kopf.
«Oh! es ist nichts, es ist nichts!«rief Mylady;»ich erinnere mich nun wieder.«
Mylady suchte mit den Augen um sich her.
«Er ist da, «sprach Felton und stieß mit dem Fuß an den Goldsack.
Man näherte sich dem Schiffe. Der Matrose von der Wache rief die Barke an. Die Barke antwortete.
«Was für ein Schiff ist das?«fragte Mylady. — »Das, welches ich für Euch gemiethet habe.«—»Wohin wird es mich bringen?«—»Wohin Ihr wollt, nur müßt Ihr mich in Portsmouth an das Land setzen.«—»Was wollt Ihr in Portsmouth machen?«fragte Mylady. — »Die Befehle von Lord Winter vollziehen, «antwortete Felton mit düsterem Lächeln. — »Welche Befehle?«—»Ihr begreift nicht?«—»Nein, erklärt Euch, ich bitte.«—»Da er mir mißtraute, wollte er Euch selbst bewachen, und schickte mich ab, um für ihn Euren Deportations-Befehl von Buckingham unterzeichnen zu lassen.«—»Aber wenn er Euch mißtraute, wie konnte er Euch diesen Auftrag anvertrauen?«—»Konnte er glauben, daß ich wußte, was ich trug, da er mir nichts gesagt hatte, und ich das Geheimniß von Euch erfuhr?«—»Das ist richtig. Und Ihr geht nach Portsmouth?«—»Ich habe keine Zeit zu verlieren; morgen ist der 23. und Buckingham geht morgen mit der Flotte ab.«—»Er geht morgen ab! Wohin?«—»Nach La Rochelle.«—»Er darf nicht abgehen!«rief Mylady, ihre gewöhnliche Geistesgegenwart verlierend. — »Seid ruhig, «erwiderte Felton,»er wird nicht abgehen.«
Mylady bebte vor Freude, sie hatte tief im Herzen des jungen Mannes gelesen: der Tod Buckinghams stand mit allen Buchstaben darin geschrieben.
«Felton!«sagte sie,»Ihr seid groß, wie Judas Maccabäus! Sterbt Ihr, so sterbe ich mit Euch. Das ist Alles, was ich Euch sagen kann.«
«Leise, wir sind an Ort und Stelle.«
Man berührte wirklich die Schaluppe.
Felton stieg zuerst die Leiter hinauf und reichte Mylady die Hand, während die Matrosen sie unterstützten, denn die See war noch stürmisch.
Einen Augenblick nachher befanden sie sich auf dem Verdeck.
«Kapitän, «sprach Felton,»hier ist die Person, von der ich gesagt habe, und die Ihr gesund und wohlerhalten nach Frankreich bringen müßt.«
«Gegen tausend Pistolen, «entgegnete der Kapitän.
«Ich habe Euch fünfhundert gegeben.«
«Ganz richtig.«
«Und hier sind die andern fünfhundert, «sprach Mylady und fuhr in den Goldsack.
«Nein, «erwiderte der Kapitän,»ich habe nur ein Wort, und dieses gab ich dem jungen Manne: die anderen fünfhundert Pistolen ist man mir erst schuldig, wenn wir in Boulogne angekommen.«
«Und wir werden ankommen?«
«Gesund und wohlbehalten, «sprach der Kapitän,»so wahr ich Jack Butler heiße.«
«Gut, «sprach Mylady,»wenn Ihr Euer Wort haltet, so gebe ich Euch nicht fünfhundert, sondern tausend Pistolen.«
«Dann Hurrah für Euch, meine schöne Dame!«rief der Kapitän,»und Gott möge mir oft Kunden, wie Eure Herrlichkeit schicken!«
«Mittlerweile führt uns in die kleine Bucht von Chichester, «sagte Felton,»vor Portsmouth, Ihr wißt, es ist verabredet, daß Ihr uns dahin bringen sollt!«
Der Kapitän erwiderte diese Worte durch den Befehl zu dem erforderlichen Manöver, und um sieben Uhr Abends ankerte das kleine Schiff in der bezeichneten Bucht.
Während dieser Fahrt erzählte Felton Mylady Alles, wie er, statt nach London zu gehen, das Schiff gemiethet hatte, wie er zurückgekehrt war, wie er mit Hülfe von Lücken, hervorspringenden Steinen und Klammern, die er befestigte, um seinen Füßen einen Halt zu geben, die Mauer erstiegen und endlich zu dem Gitter gelangt, die Leiter angebunden hatte: das Uebrige wußte Mylady.
Mylady suchte ihrer Seits den jungen Offizier in seinem Vorhaben zu ermuthigen und zu bestärken, aber bei den ersten Worten, die aus ihrem Munde kamen, sah sie, daß der Fanatiker eher einer Dämpfung, als einer Aufmunterung bedurfte.
Es wurde verabredet, daß Mylady Felton bis zehn Uhr erwarten sollte; wäre er um zehn Uhr nicht zurück, so sollte sie absegeln.
In der Voraussetzung, daß er frei wäre, sollte er sodann in Frankreich im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune mit ihr zusammentreffen.
XXXI. Was in Portsmouth am 23. August 1628 vorfiel
Felton nahm von Mylady Abschied, wie ein Bruder, der einen einfachen Spaziergang machen will, von seiner Schwester Abschied nimmt, d.h. in dem er ihr die Hand küßte.
Seine ganze Person schien in den Zustand ihrer gewöhnlichen Ruhe zurückversetzt zu sein; nur war in seinen Augen ein seltsamer, dem Wiederscheine eines Fensters ähnlicher Glanz vorherrschend. Seine Stirne war noch bleicher, als früher, seine Zähne waren zusammengepreßt und seine Sprache machte sich durch ein gewisses Stoßen der Töne bemerkbar, woraus sich schließen ließ, daß finstere Gedanken in seinem Innern ihr Lager genommen hatten.
So lange er sich auf der Barke befand, die ihn nach dem Lande führte, war sein Gesicht Mylady zugewendet, die ihm, auf dem Verdecke stehend, mit den Augen folgte. Alle Beide fürchteten sich sehr wenig vor einer Verfolgung. Man betrat das Zimmer Myladys nie vor neun Uhr, und man brauchte drei Stunden, um vom Schlosse aus London zu erreichen.
Felton stieg an das Land, erkletterte den kleinen Kamm der auf die Höhe des abschüssigen Ufers führte, grüßte Mylady mm letzten Mal und lief nach der Stadt.
Nach hundert Schritten konnte er, weil sich das Terrain senkte, nur noch den Mast des Schiffes sehen.
Er eilte in der Richtung von Portsmouth fort, dessen Thürme und Häuser er in einer Entfernung von ungefähr einer halben Meile im Morgennebel vor sich erblickte.
Jenseits Portsmouth war das Meer mit Schiffen bedeckt, deren Masten, einem Wald von winterlich entblätterten Pappelbäumen ähnlich, sich unter dem Hauch des Windes schaukelten.
Während seines raschen Laufes durchging Felton Alles, was ihm zehn Jahre asketischer Betrachtungen und ein langer Aufenthalt unter den Puritanern an wahren und falschen Beschuldigungen gegen den Liebling Jacobs VI. und Carls I. geliefert hatten.
Wenn Felton die öffentlichen Verbrechen des Ministers, schreiende, so zu sagen europäische Verbrechen mit den unbekannten und persönlichen Verbrechen verglich, mit denen ihn Mylady belastete, so fand er, daß der schuldigere von den zwei Menschen, welche Buckingham in sich schloß, derjenige war, dessen Leben das Volk nicht kannte. Seine so seltsame, so neue, so glühende Liebe ließ ihn die schändlichen, erdichteten Anklagen von Lady Winter so ansehen, wie man durch ein Vergrößerungsglas in sonst unbemerkbaren Atomen furchtbare Ungeheuer erblickt.
Der rasche Lauf entzündete sein Blut noch mehr. Der Gedanke, daß er eine furchtbarer Rache preisgegebene Frau hinter sich ließ, die er liebte, oder vielmehr wie eine Heilige anbetete, die Aufregung der vorhergehenden Stunden und Tage, die gegenwärtige Anstrengung, Alles dies exaltirte seine Seele über das Maß menschlicher Gefühle.
Er erreichte Portsmouth gegen acht Uhr Morgens. Die ganze Bevölkerung war auf den Beinen. Die Trommeln wurden in den Straßen und in den Häfen gerührt. Die zum Einschiffen bestimmten Truppen marschirten nach dem Meere zu.
Felton gelangte mit Staub bedeckt und von Schweiß triefend nach dem Admiralitätspalast. Sein gewöhnlich bleiches Gesicht war purpurroth vor Grimm und Hitze. Die Wache wollte ihn zurückweisen, aber Felton rief den Anführer des Postens, zog aus seiner Tasche den Brief, welchen er zu überbringen hatte, und sagte nur die Worte:
«Eilbote von Lord Winter.«
Bei dem Namen des Lords, den man als einen der vertrautesten Freunde Seiner Herrlichkeit kannte, gab der Anführer der Posten Befehl, Felton, der ohnedies die Uniform eines Marineoffiziers trug, passiren zu lassen.
Felton stürzte in den Palast. Im Augenblick, wo er in die Flur eintrat, erschien auch ein bestaubter, athemloser Mann, der vor der Thüre ein Postpferd stehen ließ, das sogleich vor Erschöpfung in die Kniee sank.
Felton und er wandten sich zu gleicher Zeit an Patrick, den ersten Kammerdiener des Herzogs. Felton nannte den Baron Winter. Der Unbekannte wollte Niemand nennen und behauptete, er dürfe sich nur dem Herzog allein zu erkennen geben. Jeder wollte vor dem andern den Eintritt erlangen.
Patrick, welcher wußte, daß Lord Winter in dienstlichen und freundschaftlichen Verhältnissen zu dem Herzog stand, gab demjenigen, der in des Lords Namen kam, den Vorzug. Der Andere war genöthigt zu warten, und man sah deutlich, wie sehr er diese Zögerung verwünschte.
Der Kammerdiener ließ Felton durch einen großen Saal gehen, in welchem die Deputirten von La Rochelle, mit dem Fürsten von Soubise an der Spitze warteten, und führte ihn in ein Kabinet, wo Buckingham, aus dem Bade kommend, seine Toilette vollendete, der er diesmal, wie immer, eine besondere Aufmerksamkeit widmete.
«Der Lieutenant Felton, «sagte Patrick,»von Lord Winter geschickt.«
«Von Lord Winter?«wiederholte Buckingham.»Laßt ihn eintreten.«
Felton trat ein. In diesem Augenblicke warf Buckingham einen reichen, mit Gold gestickten Schlafrock auf das Kanapé, um ein durchaus mit Perlen gesticktes Wamms von blauem Sammet anzuziehen.
«Warum ist der Baron nicht selbst gekommen?«fragte Buckingham.»Ich erwartete ihn diesen Morgen.«
«Er hat mich beauftragt, Eurer Herrlichkeit zu sagen, «antwortete Felton,»daß er sehr bedaure, nicht diese Ehre haben zu können, aber er sei durch eine nothwendige Bewachung im Schlosse abgehalten.«
«Ja, ja, «sprach Buckingham,»ich weiß das, er hat eine Gefangene.«
«Gerade von dieser Gefangenen wollte ich mit Eurer Herrlichkeit sprechen, «versetzte Felton.
«Nun, so sprecht!«
«Was ich zu sagen habe, kann nur von Eurer Herrlichkeit gehört werden.«
«Laß uns allein, Patrick, «sprach Buckingham,»aber halte Dich im Bereich der Glocke auf. Ich werde Dich sogleich rufen.«
Patrick ging hinaus.
«Wir sind allein, mein Herr, «sagte Buckingham,»sprecht nun.«
«Mylord, «erwiderte Felton,»der Baron von Winter hat Euch kürzlich geschrieben, und Euch in seinem Briefe gebeten, einen Deportationsbefehl bezüglich auf eine junge Frau Namens Charlotte Backson zu unterzeichnen.«
«Ja, mein Herr, und ich habe ihm geantwortet, er möge mir diesen Befehl bringen oder schicken, und ich werde ihn unterzeichnen.«
«Hier ist er, Mylord.«
«Gebt, «sagte der Herzog.
Er nahm das Papier aus den Händen Feltons und warf einen raschen Blick darauf. Als er sah, daß es derjenige war, welchen man ihm angekündigt hatte, legte er ihn auf den Tisch, ergriff eine Feder und schickte sich an, denselben zu unterzeichnen.
«Um Vergebung Mylord, «sprach Felton, den Herzog zurückhaltend.»Weiß Eure Herrlichkeit, daß der Name Charlotte Backson nicht der wahre Name dieser jungen Frau ist?«
«Ja, mein Herr, ich weiß es, «antwortete der Herzog, die Feder in das Tintenfaß tauchend.
«Also kennt Eure Herrlichkeit ihren wahren Namen?«fragte Felton in kurzem Tone.
«Ich kenne ihn.«
Der Herzog näherte die Feder dem Papiere. Felton erbleichte.
«Und mit dem wahren Namen vertraut, «sprach Felton,»wird Eure Herrlichkeit dennoch unterzeichnen?«
«Allerdings, «erwiderte Buckingham,»eher zweimal, als einmal.«
«Ich kann nicht glauben, «fuhr Felton mit einer Stimme fort, welche immer mehr abgestoßen klang,»ich kann nicht glauben, daß Eure Herrlichkeit weiß, daß es sich um Lady Winter handelt.«
«Ich weiß es vollkommen, obgleich ich staune, daß Ihr es wißt.«
«Und Eure Herrlichkeit wird diesen Befehl ohne Gewissensbisse unterzeichnen?«
Buckingham schaute den jungen Mann stolz an.
«Ei! Herr, wißt Ihr, «sagte er,»daß Ihr ganz seltsame Fragen an mich stellt, und daß es einfältig von mir ist darauf zu antworten?«
«Antwortet, gnädigster Herr, «sprach Felton;»die Lage der Dinge ist bedeutungsvoller, als Ihr wohl glauben möget.«
Buckingham dachte, da der junge Mann von Lord Winter abgeschickt sei, so spreche er ohne Zweifel in dessen Namen, und besänftigte sich.
«Ohne irgend einen Gewissensbiß, «sagte er,»und der Baron weiß so gut wie ich, daß Mylady eine große Verbrecherin ist, und daß man es beinahe als eine Begnadigung betrachten muß, wenn man ihre Strafe auf Deportation beschränkt.«
Der Herzog legte die Feder auf das Papier.
«Ihr werdet diesen Befehl nicht unterzeichnen, Mylord, «sprach Felton und machte einen Schritt gegen den Herzog.
«Ich werde diesen Befehl nicht unterzeichnen?«fragte Buckingham,»und warum nicht?«
«Weil Ihr in Euch gehen und Mylady Gerechtigkeit widerfahren lassen werdet.«
«Man würde ihr Gerechtigkeit widerfahren lassen, wenn man sie nach Tyburn schickte, «sagte Buckingham.»Mylady ist eine schändliche Verbrecherin.«
«Gnädigster Herr, Mylady ist ein Engel. Ihr wißt es wohl, und ich fordere von Euch ihre Freiheit.«
«Seid Ihr ein Narr, «rief Buckingham,»daß Ihr so sprecht!«
«Mylord, entschuldigt mich, ich spreche wie ich kann. Bedenkt jedoch Mylord, was Ihr zu thun im Begriffe seid, und fürchtet das Maß zu überschreiten.«
«Wie?… Gott vergebe mir, «rief Buckingham,»ich glaube, er droht mir!«
«Nein, Mylord, ich bitte noch und sage Euch: ein Tropfen Wasser reicht hin, um das volle Gefäß überlaufen zu machen. Ein leichter Fehler genügt, um die Strafe auf das trotz so vieler Verbrechen bis auf diesen Tag verschonte Haupt zu ziehen.«
«Herr Felton, «sprach Buckingham,»Ihr entfernt Euch und meldet Euch sogleich in Arrest.«
«Und Ihr, Ihr werdet mich ganz anhören, Mylord. Ihr habt das junge Mädchen verführt, Ihr habt die Unglückliche beschmutzt, mißhandelt. Macht Eure Verbrechen gegen sie wieder gut; laßt sie frei ziehen, und ich werde nichts Anderes von Euch fordern.«
«Ihr werdet nicht fordern?«sprach Buckingham, Felton mit Erstaunen anschauend und auf jede Silbe der vier Worte, die er sprach, einen besonderen Nachdruck legend.
«Mylord, «fuhr Felton fort, der immer aufgeregter wurde, je länger er sprach,»ganz England ist Eurer Frevel müde, Mylord, Ihr habt die königliche Gewalt, die Ihr an Euch gerissen, mißbraucht, Mylord, Ihr seid Gott und den Menschen zum Abscheu. Gott wird Euch später bestrafen, aber ich, ich bestrafe Euch heute.«
«Ah, das ist zu stark, «rief Buckingham mit einem Schritte gegen die Thüre.
Felton versperrte ihm den Weg.
«Ich bitte Euch in Demuth: unterzeichnet den Freilassungsbefehl von Lady Winter. Bedenkt, daß es die Frau ist, sie Ihr entehrt habt.«
«Entfernt Euch, Herr, «sagte Buckingham,»oder ich rufe und lasse Euch von meinen Leuten wegjagen.«
«Ihr werdet nicht rufen, «sagte Felton und warf sich zwischen den Herzog und die Glocke, welche auf einem mit Silber eingelegten Tischchen stand.»Nehmt Euch in Acht, Mylord, Ihr seid jetzt in den Händen Gottes.«
«In den Händen des Teufels, wollt Ihr sagen!«rief Buckingham, die Stimme verstärkend, um Leute herbeizuziehen, ohne diese jedoch unmittelbar aufzufordern.
«Unterzeichnet, Mylord, unterzeichnet die Freigebung von Lady Winter, «sagte Felton und stieß ein Papier vor den Herzog.
«Gewalt? scherzt Ihr? Holla, Patrick!«
«Unterzeichnet Mylord!«
«Nie!«
«Nie?«
«Herbei!«rief der Herzog und lief zu gleicher Zeit nach seinem Degen.
Aber Felton ließ ihm nicht Zeit, ihn zu ziehen; er hielt ganz entblößt und unter seinem Wams verborgen das Messer, mit dem sich Mylady gestochen hatte. Mit einem Sprunge war er an dem Herzog.
In diesem Augenblick trat Patrick in den Saal und rief:
«Mylord, ein Brief von Frankreich.«
«Von Frankreich!«sprach der Herzog, der jetzt Alles um sich her vergaß und nur daran dachte, von wem wohl dieser Brief komme.
Felton benützte diesen Augenblick und stieß ihm das Messer bis ans Heft in die Seite.
«Ha, Verräther!«schrie Buckingham,»Du hast mich ermordet.«»Mörder! Mörder!«heulte Patrick.
Felton warf seine Blicke umher, um zu entfliehen. Als er die Thüre geöffnet sah, stürzte er in das anstoßende Zimmer, wo erwähntermaßen die Abgeordneten von La Rochelle warteten, eilte durch dieses und lief nach der Treppe. Aber auf der ersten Stufe begegnete er Lord Winter, der ihn, als er ihn bleich, verstört, leichenfarbig, an der Hand und im Gesicht mit Blut befleckt, herabstürzen sah, an der Gurgel faßte, und ihm zurief:
«Ich wußte es! ich hatte es geahnt. Eine Minute zu spät! Oh! ich Unglücklicher! ich Unglücklicher!«
Felton leistete keinen Widerstand. Lord Winter übergab ihn den Wachen, die ihn bis auf weitere Befehle auf eine kleine, das Meer beherrschende, Terrasse führten, und eilte selbst in das Cabinet Buckinghams.
Bei des Herzogs Geschrei, bei dem Rufe Patricks lief der Mann, welchen Felton im Vorzimmer getroffen hatte, hastig in das Cabinet. Er fand den Herzog auf einem Sopha ausgestreckt, die Wunde mit krampfhafter Hand zudrückend.
«La Porte, «sprach der Herzog mit sterbender Stimme,»La Porte, kommst Du von ihr?«
«Ja, gnädigster Herr, «antwortete der getreue Diener Annas von Oesterreich,»aber vielleicht zu spät.«
«Stille, La Porte! man könnte Euch hören. Patrick, laß Niemand herein. Oh! ich soll nicht erfahren, was sie mir sagen läßt. Mein Gott, ich sterbe!«
Und der Herzog fiel in Ohnmacht.
Indessen waren Lord Winter, die Abgeordneten, die Anführer der Expedition, die Beamten des Hauses Buckingham in sein Zimmer eingedrungen. Ueberall erscholl ein Geschrei der Verzweiflung. Die Nachricht, welche den Palast mit Klagen und Seufzen erfüllte, wurde bald ruchbar und verbreitete sich in der Stadt.
Lord Winter raufte sich die Haare aus.
«Um eine Minute zu spät!«rief er,»um eine Minute zu spät! O mein Gott, welch ein Unglück!«
Man hatte ihm wirklich Morgens um sieben Uhr gemeldet, eine Strickleiter hänge an einem der Fenster des Schlosses. Er war sogleich in Myladys Zimmer gelaufen, hatte dieses leer, das Fenster offen und die Gitterstangen durchsägt gefunden. Er erinnerte sich wieder, was ihm d'Artagnan durch seinen Boten mündlich empfohlen hatte. Er zitterte für den Herzog, lief in den Stall, ohne sich Zeit zu nehmen, ein Pferd satteln zu lassen, bestieg das nächste beste, eilte im stärksten Galopp davon, sprang im Hofe herab, eilte die Treppe hinauf und begegnete, wie wir erzählten, Felton auf der ersten Stufe.
Der Herzog war jedoch nicht tot. Er kam wieder zu sich, öffnete die Augen und Alle waren mit neuer Hoffnung belebt.
«Meine Herren, «sagte er,»laßt mich mit Patrick und La Porte allein… Ah! Ihr seid es, Lord Winter! Ihr habt mir diesen Morgen einen seltsamen Narren geschickt; seht den Zustand, in welchen er mich versetzt hat!«
«Oh! Mylord, «rief der Baron,»Mylord, ich werde mich nie zu trösten wissen.«
«Und Du hättest Unrecht, mein guter Winter, «erwiderte Buckingham und reichte ihm die Hand.»Ich kenne keinen Menschen, der es verdiente, von einem andern Menschen ein ganzes Leben hindurch beklagt zu werden. Aber ich bitte Dich, laß uns allein.«
Der Baron entfernte sich schluchzend.
Es blieben nur noch der Verwundete, La Porte und Patrick. Man suchte einen Arzt und konnte ihn nicht finden.
«Ihr werdet leben, Mylord, Ihr werdet leben, «wiederholte vor dem Sopha des Herzogs knieend, der Bote Annas von Oesterreich.
«Was schreibt sie mir?«fragte der Herzog mit schwacher Stimme, von Blut triefend und furchtbare Schmerzen bewältigend, um von der Geliebten sprechen zu können.»Was schreibt sie mir? Lies mir ihren Brief vor!«—»Oh! Mylord!«rief La Porte. — »Nun, La Porte, siehst Du nicht, daß ich keine Zeit zu verlieren habe?«
La Porte erbrach das Siegel und legte dem Herzog das Pergament unter die Augen; aber Buckingham versuchte vergebens die Schrift zu unterscheiden.
«Lies doch, «sagte er,»lies doch. Ich sehe nichts mehr, lies doch, denn bald vielleicht werde ich auch nicht mehr hören und sterben, ohne zu erfahren, was sie mir geschrieben hat.«
La Porte machte keine Schwierigkeiten mehr und las:
«Mylord,
«Bei dem, was ich, seit ich Euch kenne, für Euch und durch Euch gelitten habe, beschwöre ich Euch, wenn Euch an meiner Ruhe etwas gelegen ist, die großen Rüstungen zu unterbrechen, welche Ihr gegen Frankreich ins Werk setzt, und einen Krieg aufzugeben, als dessen scheinbare Ursache man laut die Religion bezeichnet, während man ganz leise sagt, Eure Liebe für mich sei die verborgene Ursache. Dieser Krieg kann nicht nur für Frankreich und England große Katastrophen, sondern auch für Euch ein Unglück herbeiführen, über das ich mich nie mehr trösten würde.
«Wacht über Euer Leben, das man bedroht und das mir von dem Augenblicke an theuer sein wird, wo ich nicht mehr genöthigt bin, in Euch einen Feind zu sehen.
Eure wohlergebene Anna.«
Buckingham raffte den ganzen Rest seines Lebens zusammen, um diesen Brief zu hören. Sobald er zu Ende war, fragte er, als hätte er eine bittere Enttäuschung darin gefunden:
«Habt Ihr mir nichts Anderes mündlich zu sagen, La Porte?«
«Allerdings, gnädiger Herr. Die Königin beauftragte mich Euch zu sagen, Ihr möget auf Eurer Hut sein, denn sie habe sichere Kunde, daß man Euch ermorden wolle.«
«Und das ist Alles? das ist Alles?«versetzte Buckingham ungeduldig.
«Sie hat mich auch noch beauftragt, Euch zu sagen, daß sie Euch stets liebe.«
«Ah!«rief Buckingham,»Gott sei gelobt! Mein Tod wird also für sie nicht der Tod eines Fremden sein.«
La Porte zerfloß in Thränen.
«Patrick, «sprach der Herzog,»bring mir das Kästchen, in welchem die diamantenen Nestelstifte eingeschlossen waren.«
Patrick brachte den verlangten Gegenstand, worin La Porte ein früheres Eigenthum der Königin erkannte.
«Jetzt das kleine Kissen von weißem Atlas, auf welches ihre Chiffre in Perlen gestickt ist.«
Patrick gehorchte abermals.
«Seht, La Porte, «sprach Buckingham,»das find die einzigen Pfänder, die ich von ihr besitze. Dieses silberne Kästchen und diese zwei Briefe. Ihr gebt sie Ihrer Majestät zurück und zum letzten Andenken… (er suchte einen kostbaren Gegenstand um sich her)… fügt Ihr…«
Er suchte abermals, aber seine durch den Tod verfinsterten Blicke begegneten nur dem Messer, das Feltons Händen entfallen war, und dessen Klinge noch von frischrothem Blute rauchte.
«Und Ihr fügt dieses Messer bei, «sprach der Herzog und drückte La Porte die Hand.
Er legte das kleine Kissen in das silberne Kästchen, ließ das Messer hineinfallen und machte La Porte ein Zeichen, daß er nicht mehr sprechen könne. Dann erfaßte ihn eine letzte krampfhafte Zuckung, die er nicht mehr zu bekämpfen vermochte, und er glitt vom Sopha auf den Boden herab.
Patrick stieß ein furchtbares Geschrei aus. Buckingham wollte zum letzten Mal lächeln, aber der Tod schlug seinen Gedanken in Fesseln und dieser blieb wie ein letztes Lebewohl auf seine Lippen und auf seine Stirne geprägt.
In diesem Augenblick traf der Arzt des Herzogs ganz verstört ein. Er war schon an Bord des Admiralschiffes gewesen, und man hatte sich genöthigt gesehen, ihn dort zu suchen.
Er näherte sich dem Herzog, nahm seine Hand, hielt sie einen Augenblick in der seinigen und ließ sie wieder fallen.
«Alles ist vergeblich, «sprach er,»er ist tot!«
«Tot! Tot!«rief Patrick.
Bei diesem Schrei drang der ganze Haufe wieder in den Saal und überall herrschte Bestürzung und Aufruhr.
Sobald Lord Winter Buckingham entseelt sah, lief er zu Felton zurück, den die Soldaten auf der Terrasse des Palastes bewachten.
«Elender, «sprach er zu dem jungen Manne, der seit dem Tode Buckinghams seine ganze Ruhe und Kaltblütigkeit wiedergewonnen hatte.»Elender, was hast Du gethan?«
«Ich habe mich gerächt, «antwortete er.
«Du!«rief der Baron,»sage, daß Du diesem verfluchten Weibe als Werkzeug gedient hast; aber ich schwöre Dir, dieses Verbrechen soll ihr letztes sein!«
«Ich weiß nicht, was Ihr damit sagen wollt, «entgegnete Felton ruhig,»und ich begreife nicht, von was Ihr sprechen wollt, Mylord: ich habe den Herzog von Buckingham getötet, weil er es Euch selbst zweimal abschlug, mich zum Kapitän zu ernennen. Ich habe ihn für seine Ungerechtigkeit bestraft, das ist das Ganze.«
Lord Winter schaute die Leute, welche Felton banden, erstaunt an und wußte nicht, was er von einer solchen Unempfindlichst denken sollte. Nur Eines lagerte sich wie eine Wolke auf Feltons Stirne. Bei jedem Tritt, den er hörte, glaubte der naive Puritaner den Tritt und die Stimme Myladys zu hören, welche komme, um sich in seine Arme zu werfen, sich mit ihm anzuklagen und dem Verderben zu überantworten.
Plötzlich bebte er. Sein Blick war auf einen Punkt im Meere gerichtet, das man von der Terrasse aus, auf welcher er sich befand, völlig beherrschte. Mit seinem seemännischen Adlerblick hatte er da, wo ein Anderer nur eine auf den Wellen sich wiegende Möve gesehen hätte, ein Segel erschaut, das nach der Küste Frankreichs steuerte. Er erbleichte, fuhr mit der Hand nach dem brechenden Herzen und begriff den ganzen Verrath.
«Eine letzte Gnade, «sagte er zu dem Baron. — »Welche?«fragte dieser. — »Wie viel Uhr ist es?«—»Neun Uhr.«
Mylady hatte ihre Abfahrt um anderthalb Stunden vorgerückt. Sobald sie den Kanonenschuß hörte, der ein unglückliches Ereigniß verkündigte, gab sie Befehl, die Anker zu lichten.
Die Barke schwamm in großer Entfernung von dem Gestade unter einem blauen Himmel.
«Es war so Gottes Wille, «sprach Felton, mit der Resignation des Fanatikers, jedoch ohne seine Augen von dem Fahrzeug losmachen zu können, an dessen Bord er ohne Zweifel das weiße Gespenst derjenigen zu unterscheiden glaubte, welcher sein Leben geopfert werden sollte.
Lord Winter folgte seinem Blicke, schaute in sein leidendes Antlitz und errieth Alles.
«Du sollst vorerst allein bestraft werden. Elender, «sagte der Lord zu Felton, der sich, die Augen nach der See gekehrt, wegführen ließ,»aber ich schwöre Dir bei dem Andenken an meinen Bruder, den ich unendlich liebte, daß Deine Mitschuldige nicht gerettet ist.«
Felton neigte das Haupt, ohne eine Silbe zu sprechen.
Der Baron aber stieg rasch die Treppe hinab und begab sich nach dem Hafen.
XXXII. In Frankreich
Als König Carl I. von England den Tod des Herzogs erfuhr, fürchtete er vor Allem, die Rocheller könnten durch diese furchtbare Nachricht entmuthigt werden, er suchte sie ihnen daher, wie die Memoiren des Kardinals sagen, so lang als möglich vorzuenthalten, ließ die Häfen in seinem ganzen Königreich schließen und sorgfältig darüber wachen, daß kein Schiff auslaufen konnte, bis das Heer, welches Buckingham ausrüstete, abgegangen wäre, und übernahm es, in Ermangelung Buckinghams, die Abfahrt in eigener Person zu leiten.
Er trieb die Strenge sogar so weit, daß er den Gesandten Dänemarks, der sich bereits verabschiedet hatte, und den Botschafter von Holland, der die indischen Schiffe, welche Carl I. den Vereinigten Niederlanden zurückgegeben, in den Hafen von Vließingen zurückführen sollte, in England zurückhielt.
Da er aber seinen Befehl erst fünf Stunden, nachdem die Sache vorgefallen war, das heißt gegen zwei Uhr Nachmittags erließ, so waren bereits zwei Schiffe aus dem Hafen ausgelaufen: das eine führte Mylady, welche das Ereigniß vermuthete und in ihrem Glauben noch bestätigt wurde, als sie die schwarze Flagge auf dem Admiral-Schiff sah.
Wen das zweite Schiff führte und wie es hinauskam, werden wir später mittheilen.
Während dieser Zeit ging nichts Neues im Lager von La Rochelle vor. Nur beschloß der König, der sich wie immer, im Lager aber vielleicht noch ein wenig mehr als anderswo, langweilte, das Fest des heiligen Ludwig incognito in Saint-Germain mitzumachen, und ersuchte den Kardinal, eine Eskorte von zwanzig Musketieren für ihn bereit zu halten. Der Kardinal, den die Langweile des Königs manchmal ansteckte, bewilligte mit großem Vergnügen seinem königlichen Lieutenant einen Urlaub, und dieser versprach ihm, am 15. September zurück zu sein.
Von Sr. Eminenz benachrichtigt, traf Herr von Treville Anstalt zur Reise, und da er, ohne die Ursache zu wissen, mit dem lebhaften Verlangen und sogar dem gebieterischen Bedürfniß seiner Freunde, nach Paris zurückzukehren, vertraut war, so bezeichnete er sie zur Theilnahme an der Eskorte.
Die vier jungen Leute erfuhren die Neuigkeit eine Viertelstunde nach Herrn von Treville, denn sie waren die ersten, denen er sie mittheilte. Jetzt erst wußte d'Artagnan die Gunst recht zu schätzen, die ihm der Kardinal dadurch bewilligt hatte, daß er ihn zu den Musketieren übertreten ließ. Ohne diesen Umstand hätte er im Lager zurückbleiben müssen, während seine Freunde reisten.
Man wird später sehen, daß das ungeduldige Verlangen, wieder nach Paris zu kommen, von der Furcht vor der Gefahr herrührte, der Madame Bonacieux preisgegeben sein mußte, wenn sie im Kloster von Bethune mit Mylady, ihrer Todfeindin, zusammen traf. Aramis hatte auch unmittelbar an Marie Michon, die Weißnätherin von Tours, welche sich so schöner Bekanntschaften erfreute, geschrieben, sie möchte von der Königin für Madame Bonacieux die Erlaubniß auswirken, das Kloster verlassen und sich nach Lothringen oder Belgien zurückziehen zu dürfen. Die Antwort ließ nicht lange auf sich warten, und schon nach acht bis zehn Tagen hatte Aramis folgenden Brief empfangen:
«Mein lieber Vetter, Ihr erhaltet hier die Erlaubniß, unsere kleine Dienerin aus dem Kloster in Bethune zurückzuziehen, da ihr Eurer Ansicht nach die Luft daselbst nicht zuträglich ist; meine Schwester schickt Euch diese Erlaubniß mit großem Vergnügen, denn sie liebt das kleine Mädchen gar sehr und gedenkt ihr in der Folge nützlich zu sein.
«Ich umarme Euch. Marie Michon.«
Diesem Brief war eine in folgenden Worten abgefaßte Vollmacht beigefügt:
«Die Superiorin des Klosters in Bethune wird der Person, welche ihr dieses Billet zustellt, die Novizin übergeben, die auf meine Empfehlung und unter meinem Patronat in ihr Kloster eingetreten ist.
«Im Louvre, den 10. August 1628. Anna.«
Man begreift, wie sehr die Verwandtschafts-Verhältnisse zwischen Aramis und einer Weißnähterin, welche die Königin ihre Schwester nannte, unsere Freunde belustigten; aber nachdem Aramis wiederholt bis unter das Weiße der Augen bei den plumpen Späßen von Porthos erröthet war, bat er seine Genossen, nie mehr auf diesen Gegenstand zurückzukommen, und erklärte zugleich, wenn man ihm noch ein Wort hierüber sagen sollte, so würde er seine Base nun und nimmermehr als Vermittlerin in solchen Angelegenheiten benützen.
Es war also nicht mehr von Marie Michon die Rede unter den vier Musketieren, welche übrigens in Händen hatten, was sie haben wollten, nämlich den Befehl, Madame Bonacieux aus dem Kloster der Karmeliterinnen in Bethune wegzunehmen. Dieser Befehl nützte ihnen allerdings nicht viel, so lange sie sich im Lager von La Rochelle, das heißt am andern Ende Frankreichs, befanden. Auch war d'Artagnan im Begriff, sich von Herrn von Treville, unter einfacher Andeutung der Wichtigkeit seiner Abreise, einen Urlaub zu erbitten, als ihm wie seinen Freunden die Nachricht ertheilt wurde, daß sich der König mit einer Eskorte von zwanzig Musketieren, worunter auch sie, nach Paris begeben würde.
Die Freude war groß. Man schickte die Bedienten mit dem Gepäcke voraus und zog am 16. Morgens ab.
Der Kardinal begleitete Se. Majestät von Surgères bis Maupes, und hier nahmen der König und sein Minister unter großen Freundschaftsbetheurungen von einander Abschied.
Obgleich der König, welcher Zerstreuung suchte, so schnell als es ihm möglich war, reiste, denn er wollte am 23. in Paris sein, hielt er doch von Zeit zu Zeit stille, um die Elster beizen zu sehen, ein Vergnügen, wofür er stets eine große Vorliebe hegte. Von den zwanzig Musketieren freuten sich immer sechszehn, wenn dies der Fall war, über die Ruhe, welche dann eintrat, aber vier murrten gewaltig. D'Artagnan besonders hatte ein beständiges Summen in den Ohren, was Porthos also erklärte:
«Eine sehr vornehme Dame hat mich belehrt, dies bedeute, daß man irgendwo von Dir spreche.«
Endlich am 23. in der Nacht zog die Eskorte durch Paris, der König dankte Herrn von Treville und bevollmächtigte ihn, Urlaube auf vier Tage unter der Bedingung zu ertheilen, daß sich keiner von den Begünstigten bei Strafe der Bastille an einem öffentlichen Ort sehen lasse.
Die vier ersten Urlaube, welche bewilligt wurden, erhielten, wie sich leicht denken läßt, unsere vier Freunde. Athos erhielt sogar sechs Tage statt vier, und ließ diesen sechs Tagen noch zwei Nächte beifügen, denn sie reisten am 24. Abends fünf Uhr ab, und Herr von Treville stellte den Urlaub vom Morgen des 25. aus.
«Ei! mein Gott, «sprach d'Artagnan, der bekanntlich nie an Etwas verzweifelte,»wir machen viel Wesens um eine ganz einfache Sache; wir reiten ein paar Pferde zu Tode, was liegt daran? ich habe Geld; in zwei Tagen bin ich in Bethune, überreiche der Superiorin den Brief der Königin und führe den theuren Schatz, den ich suche, nicht nach Belgien, nicht nach Lothringen, sondern nach Paris, wo er besser verborgen sein wird, besonders so lange der Herr Kardinal vor La Rochelle liegt. Sind wir einmal aus dem Felde zurück, so erhalten wir von der Königin, halb durch die Protektion ihrer Base, halb für die Dienste, die wir ihr persönlich geleistet haben. Alles was wir wollen. Bleibt also hier und erschöpft Euch nicht durch unnütze Anstrengungen. Ich und Planchet genügen für eine so einfache Expedition.«
Hierauf erwiderte Athos ruhig:»Wir besitzen auch Geld, denn ich habe den Rest des Diamants noch nicht ganz vertrunken, und Porthos und Aramis haben ihn noch nicht ganz verspeist. Wir werden also eben so gut vier Pferde, als eines zu Tode reiten. Aber bedenkt, d'Artagnan, «fügte er mit so finsterer Betonung bei, daß dieser von einem Schauer ergriffen wurde,»bedenkt, daß Bethune eine Stadt ist, wo der Kardinal einer Frau Rendezvous gegeben hat, welche, wohin sie auch geht, stets Unglück mit sich bringt. Wenn Ihr nur mit vier Männern zu thun hättet, d'Artagnan, so ließe ich Euch allein ziehen. Ihr habt es aber mit einem Weibe zu thun, darum laßt uns zu vier ausziehen, und möge es Gott gefallen, daß wir mit unsern vier Bedienten die hinreichende Zahl bilden.«
«Ihr erschreckt mich, Athos!«rief d'Artagnan;»mein Gott! was fürchtet Ihr denn?«—»Alles!«antwortete Athos.
D'Artagnan schaute die Gesichter seiner Freunde forschend an; auf allen trat, wie bei Athos, das Gepräge tiefer Unruhe scharf hervor, und man setzte den Ritt in großer Eile, aber ohne ein Wort zu sprechen fort.
Als sie am 25. in Arras anlangten, und d'Artagnan vor dem Gasthaus zur goldenen Egge abstieg, um ein Glas Wein zu trinken, kam ein Reiter aus dem Posthof, wo er die Pferde gewechselt hatte, und sprengte mit verhängtem Zügel auf der Straße nach Paris fort. Im Augenblick, wo er durch das große Thor in die Straße ritt, öffnete der Wind den Mantel, in den er sich gehüllt hatte, obgleich man erst im Monat August war, und lüpfte seinen Hut, den der Reisende mit der Hand faßte und rasch wieder in die Stirne drückte.
D'Artagnan heftete seinen Blick auf diesen Menschen, erbleichte, und ließ sein Glas fallen.
«Was habt Ihr, gnädiger Herr?«fragte Planchet.»Holla! herbei, meine Herren, mein Gebieter wird unwohl!«
Die drei Freunde liefen herbei, und fanden d'Artagnan, der, statt sich übel zu befinden, nach seinem Pferde eilte. Sie hielten ihn auf der Schwelle zurück.
«Wo, des Teufels, willst Du denn hin?«rief ihm Athos zu.
«Er ist es!«erwiderte d'Artagnan bleich vor Zorn und mit schweißtriefender Stirne;»er ist es, laßt mich ihn einholen.«—»Wer denn?«—»Er! dieser Mensch!«—»Welcher Mensch?«
«Dieser verfluchte Mensch, mein böser Genius, dem ich stets begegnete, wenn ich von einem Unglück bedroht war, derjenige, welcher die furchtbare Frau begleitete, als ich sie zum ersten Male erblickte; derjenige, welchen ich suchte, als ich unsern Freund Athos herausforderte; derjenige, welchen ich an demselben Morgen gewahr wurde, wo man Madame Bonacieux entführte; ich habe ihn gesehen, er ist es! der Mann von Meung, ich habe ihn wieder erkannt, als der Wind seinen Mantel öffnete.«
«Teufel!«sprach Athos träumerisch.
«Zu Pferde! meine Herren, zu Pferde! wir wollen ihn verfolgen und werden ihn sicherlich einholen.«
«Mein Lieber, «sagte Aramis,»bedenkt, daß er in der entgegengesetzten Richtung von uns reitet, daß er ein frisches Pferd hat und daß unsere Pferde ermüdet sind, daß wir folglich unsere Pferde, ohne die geringste Hoffnung ihn zu erreichen, zu Tode reiten werden. Lassen wir also den Mann, d'Artagnan, und retten wir die Frau.«
«He, Herr!«rief ein Stallknecht, der dem Unbekannten nachlief.»He, Herr, hier ist ein Papier, das aus Eurem Hute fiel. He, Herr, he!«
«Mein Freund, «sprach d'Artagnan,»eine halbe Pistole für dieses Papier.«
«Meiner Treu, Herr, mit dem größten Vergnügen.«
Entzückt über den guten Tagelohn, den er gemacht hatte, kehrte der Stallknecht in den Hof des Wirthshauses zurück; d'Artagnan entfaltete das Papier.
«Nun?«fragten seine Freunde lauschend.
«Ein einziges Wort!«antwortete d'Artagnan.
«Ja, «sagte Aramis,»aber dieses Wort ist der Name einer Stadt.«
«Armentières, «las Porthos.»Armentières, ich kenne das nicht.«
«Und der Name dieser Stadt ist von ihrer Hand geschrieben.«
«Wir wollen das Papier sorgfältig bewahren, «sprach d'Artagnan.»Meine halbe Pistole ist vielleicht nicht verloren. Zu Pferde, meine Freunde, zu Pferde!«
Und die vier Gefährten sprengten im Galopp auf der Straße nach Bethune fort.
XXXIII. Das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune
Die großen Verbrecher tragen eine Art von Vorherbestimmungen mit sich, durch welche sie alle Hindernisse zu überwinden vermögen und allen Gefahren entgehen, bis zu dem Augenblick, den die Vorsehung als Klippe ihres frevelhaften Glücks bezeichnet hat.
Dies war bei Mylady der Fall. Sie fuhr mitten durch die Kreuzer der beiden Nationen und gelangte ohne irgend einen Unfall nach Boulogne.
Als sich Mylady in Portsmouth ausschiffte, war sie eine durch die Verfolgungen Frankreichs aus La Rochelle vertriebene Engländerin. Nach einer zweitägigen Fahrt sich in Boulogne ausschiffend, gab sie sich für eine Französin aus, welche die Engländer in Portsmouth aus Franzosenhaß mißhandelten.
Mylady trug übrigens den wirksamsten aller Pässe bei sich: ihre Schönheit und die Freigebigkeit, mit der sie die Pistolen ausstreute. Von den gebräuchlichen Formalitäten durch das höfliche Lächeln und die galanten Manieren eines alten Hafengouverneurs befreit, der ihr die Hände küßte, hielt sie sich in Boulogne nur so lange auf, bis sie einen in folgenden Worten abgefaßten Brief auf die Post gegeben hatte.
«An Seine Eminenz, Monseigneur Kardinal von Richelieu, im Lager von La Rochelle.
«Monseigneur, Ew. Eminenz mag unbesorgt sein. Seine Herrlichkeit der Herzog von Buckingham wird nicht nach Frankreich abgehen.
Boulogne den 25. Abends. Mylady ***.«
«N. S. Nach dem Wunsche Eurer Eminenz begebe ich mich in das Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, wo ich weiteren Befehlen entgegen sehe.«
Mylady begab sich wirklich noch an demselben Abend auf den Weg.
Die Nacht überfiel sie. Sie sah sich genöthigt anzuhalten und schlief in einem Gasthof. Am andern Morgen um fünf Uhr reiste sie wieder ab und hatte nach drei Stunden Bethune erreicht.
Sie ließ sich das Kloster der Karmeliterinnen zeigen und verfügte sich sogleich nach demselben. Die Superiorin kam ihr entgegen. Mylady wies ihr den Befehl des Kardinals. Die Aebtissin ließ ihr ein Zimmer geben und ein Frühstück vorsetzen.
Alles Vergangene hatte sich vor den Augen dieser Frau verwischt, und den Blick auf die Zukunft gerichtet, sah sie nur das hohe Glück, das ihr der Kardinal vorbehielt, den sie so gut bedient hatte, ohne daß sein Name irgendwie in diese blutige Angelegenheit gemischt war. Die stets neuen Leidenschaften, welche sie verzehrten, gaben ihrem Leben Aehnlichkeit mit jenen Wolken, die am Himmel aussteigen, ein Wiederschein bald von Azur, bald von Feuer, bald von der schwarzen Farbe des Sturmes sind und keine andere Spuren als Verwüstung und Tod zurücklassen.
Nach dem Frühstück machte ihr die Aebtissin ihren Besuch. Im Kloster gibt es wenig Zerstreuungen, und es drängte die gute Vorsteherin, bald Bekanntschaft mit ihrer neuen Kostgängerin anzuknüpfen.
Mylady wollte der Aebtissin gefallen, und dies war etwas Leichtes für eine Frau von so hervorragenden Eigenschaften. Sie versuchte es, liebenswürdig zu sein: sie war bezaubernd und verführte die Superiorin durch ihr wechselreiches Gespräch und durch die über ihre ganze Person ausgegossene Anmuth.
Die Aebtissin, eine Tochter aus adeligem Hause, liebte besonders die Hofgeschichten, welche so selten in die Klostermauern gelangen, an deren Schwelle das Geräusch der Welt erstirbt.
Mylady dagegen war sehr auf dem Laufenden mit allen aristokratischen Intriguen, in deren Mitte sie fünf bis sechs Jahre beständig gelebt hatte. Sie fing also an, der guten Aebtissin von den weltlichen Ränken und Geschichten des Hofes von Frankreich, sowie den übertriebenen Andachtsübungen des Königs zu erzählen. Sie lieferte ihr die Scandalchronik der vornehmen Herren und Damen des Hofes, welche die Aebtissin dem Namen nach kannte, berührte obenhin die Liebschaft der Königin mit Buckingham und sprach viel, damit man ein wenig sprechen möchte.
Aber die Aebtissin begnügte sich zu hören und zu lächeln, und antwortete nicht. Da Mylady jedoch sah, daß diese Art von Erzählungen sie sehr zu ergötzen schien, so fuhr sie fort, lenkte aber das Gespräch auf den Kardinal.
Dabei gerieth sie jedoch in große Verlegenheit, denn sie wußte nicht, ob die Aebtissin Royalistin oder Kardinalistin war. Sie hielt sich deshalb in einer klugen Mitte. Aber die Aebtissin, welche ihrerseits eine noch klügere Zurückhaltung beobachtete, beschränkte sich darauf, eine tiefe Verbeugung mit dem Kopfe zu machen, so oft die Reisende den Namen Seiner Eminenz aussprach.
Mylady fing an zu glauben, sie würde sich in diesem Kloster gewaltig langweilen. Sie beschloß daher, etwas zu wagen, um sogleich zu erfahren, woran sie sich zu halten hatte. Da sie wissen wollte, wie weit die Discretion der Aebtissin ging, begann sie sehr verblümt über den Kardinal loszuziehen; dann rückte sie näher und erzählte von den Liebschaften des Ministers mit Frau von Aiguillon, mit Marion de Lorme und einigen andern galanten Damen.
Die Aebtissin hörte aufmerksam zu, belebte sich allmählig und lächelte.
«Gut, «sagte Mylady zu sich selbst,»sie findet Geschmack an meiner Unterhaltung. Ist sie eine Kardinalistin, so treibt sie es wenigstens nicht fanatisch.«
Dann ging sie auf die Verfolgungen über, welche sich der Kardinal gegen seine Feinde zu Schulden kommen ließ. Die Aebtissin beschränkte sich darauf, sich zu bekreuzigen, ohne zu billigen oder zu mißbilligen. Dies bestätigte Mylady in ihrer Meinung, daß die Nonne mehr Royalistin als Kardinalistin sei. Mylady trug immer dicker auf.
«Ich bin sehr unwissend in allen diesen Verhältnissen, «sagte die Aebtissin endlich,»aber wie ferne wir auch vom Hofe leben, wie sehr wir auch außerhalb der weltlichen Interessen gestellt sind, so haben wir doch äußerst traurige Beispiele von der Wahrheit dessen, was Ihr uns da erzählt, und eine unserer Kostgängerinnen hat viel unter der Rache und den Verfolgungen des Herrn Kardinals gelitten.«
«Eine Eurer Kostgängerinnen?«fragte Mylady.»O mein Gott! die arme Frau! wie sehr beklage ich sie!«
«Und Ihr habt Recht, denn sie ist sehr zu beklagen. Gefängniß, Drohungen, Mißhandlungen, Alles mußte sie ausstehen. Aber im Ganzen, «versetzte die Aebtissin,»hatte der Herr Kardinal vielleicht triftige Gründe so zu handeln, und obgleich sie wie ein Engel aussieht, so darf man die Menschen doch nicht nach ihrem Gesichte beurtheilen.«
«Gut, «sagte Mylady zu sich selbst,»wer weiß? ich entdecke vielleicht hier etwas.«
Und sie verlieh ihren Zügen einen Ausdruck vollkommener Unschuld.
«Ach, ich weiß wohl, «sprach Mylady,»man sagt, es sei den Physiognomien nicht zu trauen. Aber wem sollte man denn Glauben schenken, wenn nicht dem schönen Werke des Herrn? Ich für meine Person werde vielleicht mein ganzes Leben lang getäuscht werden; aber stets werde ich einer Person trauen, deren Gesicht mir Mitgefühl einflößt.«
«Ihr seid also versucht, diese junge Frau für unschuldig zu halten?«fragte die Aebtissin.
«Der Herr Kardinal bestraft nicht allein die Verbrechen, «erwiderte Mylady;»es gibt gewisse Tugenden, die er noch heftiger verfolgt, als gewisse Frevel.«
«Erlaubt mir, Madame, Euch mein Erstaunen auszudrücken, «sagte die Aebtissin. — »Und worüber?«fragte Mylady naiv.
«Ueber die Sprache, die Ihr führt.«
«Was findet Ihr denn Wunderbares an dieser Sprache?«fragte Mylady lächelnd.
«Ihr seid die Freundin des Kardinals, da er Euch hierher schickt, und dennoch…«
«Und dennoch spreche ich Schlimmes von ihm, «versetzte Mylady, den Gedanken der Superiorin vollendend.
«Wenigstens sagt Ihr nichts Gutes von ihm.«
«Dies geschieht, weil ich nicht seine Freundin, sondern sein Opfer bin, «erwiderte sie seufzend.
«Doch diesen Brief, durch den er Euch mir empfiehlt…«
«Ist ein Befehl für mich, in einer Art von Gefängniß zu verharren, bis er mich durch seine Schergen…«
«Aber warum habt Ihr Euch nicht geflüchtet?«
«Wohin sollte ich gehen? Glaubt Ihr, es gebe irgend einen Ort der Erde, wohin der Kardinal nicht reichen könnte, wenn er sich die Mühe geben will seinen Arm auszustrecken? Wäre ich ein Mann, so dürfte dies noch möglich sein, aber eine Frau!.. Was sollte ich als Frau machen? Hat die junge Kostgängerin, die Ihr bei Euch habt, zu entfliehen versucht?«
«Nein, das ist wahr; doch bei ihr ist es etwas Anderes. Sie wird, wie ich glaube, durch irgend eine Liebschaft in Frankreich zurückgehalten.«
«Wenn sie liebt, «sprach Mylady mit einem Seufzer,»ist sie nicht ganz unglücklich.«
«Also sehe ich, «fragte die Aebtissin, und schaute Mylady mit wachsender Theilnahme an,»also sehe ich abermals eine arme Verfolgte vor mir?«
«Ach ja, «antwortete Mylady.
Die Aebtissin betrachtete Mylady einen Augenblick mit großer Unruhe, als ob ein neuer Gedanke in ihrem Geist rege geworden wäre.
«Ihr seid keine Feindin unseres heiligen Glaubens, «sprach sie stammelnd.
«Ich, «rief Mylady,»ich eine Protestantin? Oh nein! ich rufe Gott zum Zeugen an, daß ich im Gegentheil eine eifrige Katholikin bin.«
«Dann, Madame, «sprach die Aebtissin lächelnd,»dann möget Ihr Euch beruhigen; denn das Haus, in welchem Ihr Euch befindet, soll kein harter Kerker für Euch sein, und wir werden Alles thun, was in unsern Kräften liegt, um Eure Gefangenschaft angenehm zu machen. Ueberdies findet Ihr hier die junge Frau, welche ohne Zweifel wegen einer Hofintrigue verfolgt wird. Sie ist liebenswürdig, anmuthig, und wird Euch gefallen.«
«Wie heißt sie?«
«Sie ist mir von einer sehr hochgestellten Person unter dem Namen Ketty empfohlen worden. Ich habe ihren andern Namen nicht zu erfahren gesucht.«
«Ketty!«rief Mylady.»Seid Ihr dessen gewiß?«
«Daß sie sich so nennen läßt? Ja, Madame. Solltet Ihr sie etwa kennen?«
Mylady lächelte bei dem Gedanken, diese junge Frau könnte ihre ehemalige Zofe sein. In die Erinnerung an dieses Mädchen mischte sich eine Erinnerung des Zorns, und die Rachgier verstörte schnell Myladys Züge, welche jedoch beinahe in demselben Augenblicke den ruhigen, wohlwollenden Ausdruck wieder annahmen, den diese Frau mit den hundert Gesichtern ihnen zuvor verliehen hatte.
«Und wann könnte ich diese junge Dame sehen, für welche ich bereits eine so große Sympathie in mir fühle?«fragte Mylady.
«Diesen Abend, «erwiderte die Aebtissin,»noch heute. Aber Ihr reist seit vier Tagen, wie Ihr mir selbst sagt, seid heute Morgen um fünf Uhr aufgestanden und müßt der Ruhe bedürfen. Legt Euch nieder und schlaft. Zur Stunde des Mittagessens werden wir Euch erwecken.«
Obgleich Mylady, unterstützt durch alle Aufregungen, welche ein neues Abenteuer in ihrem nach Intriguen gierigen Gemüthe erzeugte, leicht den Schlaf hätte entbehren können, so nahm sie doch nichts destoweniger das Anerbieten der Superiorin an. Seit zehn bis vierzehn Tagen hatte sie so verschiedene Gemüthsbewegungen durchlebt, daß, wenn auch ihr eiserner Körper die Anstrengungen zu ertragen vermochte, ihre Seele doch der Ruhe bedurfte.
Sie nahm also von der Aebtissin Abschied und legte sich, sanft gewiegt durch Rachegedanken, auf die der Name Ketty sie gebracht hatte, zu Bette. Sie erinnerte sich des beinahe unbegrenzten Versprechens, das der Kardinal ihr gegeben hatte, falls sie ihre Unternehmungen glücklich zu Ende führte. Es war ihr geglückt und somit konnte sie sich an d'Artagnan rächen.
Eines jedoch erschreckte Mylady, das Andenken an ihren Gatten, den Grafen La Fère, den sie todt, oder wenigstens aus dem Vaterland entfernt geglaubt hatte, nun aber in Athos, dem besten Freund d'Artagnans, wiederfand.
Aber wenn er der Freund d'Artagnans war, so mußte er ihm auch in allen seinen Handlungen, wodurch er den Plan Seiner Eminenz vereitelt hatte, Beistand geleistet haben; wenn er der Freund d'Artagnans war, so war er der Feind des Kardinals, und ohne Zweifel würde es ihr gelingen, ihn in dasselbe Rachewerk zu verstricken, in welchem der junge Musketier seinen Untergang finden sollte.
Alle ihre Aussichten waren angenehme Gedanken für Mylady. Sanft von diesen gewiegt, entschlummerte sie bald.
Sie wurde durch eine weiche Stimme erweckt, die am Fuße ihres Bettes ertönte. Mylady öffnete die Augen und sah die Aebtissin in Begleitung einer jungen Person mit blonden Haaren und zartem Teint, welche einen Blick voll wohlwollender Neugierde auf sie heftete.
Das Gesicht dieser jungen Person war ihr völlig unbekannt. Beide schauten sich prüfend und mit ängstlicher Aufmerksamkeit an, während sie die üblichen Höflichkeiten austauschten. Beide waren sehr schön, aber von verschiedenartiger Schönheit. Mylady lächelte jedoch, als sie erkannte, daß sie selbst in Bezug auf vornehmes Aussehen und aristokratische Manieren bei Weitem den Vorzug hatte.
Die Aebtissin stellte sie einander vor, und nachdem dieser Förmlichkeit Genüge geleistet war, ließ sie die beiden jungen Frauen allein, da ihre Pflichten sie in die Kirche riefen.
Da die Novize sah, daß Mylady im Bette lag, so wollte sie der Superiorin folgen; aber Mylady hielt sie zurück.
«Wie, Madame, «sprach sie,»kaum habe ich Euch erblickt, und Ihr wollt mich bereits wieder Eurer Gegenwart berauben, auf die ich, ich gestehe es, für die Dauer meiner Anwesenheit an diesem Orte ein wenig rechnete.«
«Nein, Madame, «antwortete die Novize,»ich glaubte nur, die Zeit schlecht gewählt zu haben. Ihr schlieft, Ihr seid müde.«
«Wohl, «erwiderte Mylady,»was können schlafende Menschen Besseres erwarten, als ein gutes Erwachen? Dieses Erwachen habt Ihr mir gegeben. Laßt es mich nach meinem Wohlgefallen genießen.«
Und hierauf nahm sie die junge Person bei der Hand und zog sie auf einen Stuhl, der in der Nähe ihres Bettes stand.
Die Novize setzte sich.
«Mein Gott, «sprach sie,»wie unglücklich ich bin! Ich befinde mich nun sechs Monate hier ohne einen Schatten von Zerstreuung; Ihr kommt; Eure Gegenwart sollte für mich eine liebliche Gefährtin sein, und wahrscheinlich habe ich nun in den nächsten Augenblicken das Kloster zu verlassen.«
«Wie?«sprach Mylady,»Ihr geht also bald von hier?«
«Wenigstens hoffe ich es, «erwiderte die Novize mit einem freudigen Ausdruck, den sie nicht im Mindesten zu verbergen bemüht war.
«Ihr habt, wie ich höre, durch den Kardinal gelitten, «fuhr Mylady fort.»Das ist ein weiterer Grund der Sympathie zwischen uns.«
«Also ist das, was mir unsre gute Mutter gesagt hat, eine Wahrheit? Ihr seid ebenfalls ein Opfer des Kardinals?«
«Still, «entgegnete Mylady,»selbst hier dürfen wir nicht so von ihm sprechen. Mein ganzes Unglück kommt davon her, daß ich ungefähr das, was ihr so eben sagtet, in Gegenwart einer Frau äußerte, die ich für meine Freundin hielt und die mich verrieth. Und Ihr, seid Ihr auch ein Opfer des Verraths?«
«Nein, «antwortete die Novize,»sondern meiner Anhänglichkeit an eine Frau, die ich liebte, für die ich das Leben hingegeben hätte, für die ich es noch hingeben würde.«
«Und die Euch verlassen hat, nicht wahr?«
«Ich war so ungerecht, dies zu glauben; aber seit ein paar Tagen habe ich den Beweis vom Gegenteil erlangt und danke Gott dafür. Es würde mich das Leben gekostet haben, wenn ich hätte glauben müssen, ich sei ganz und gar von ihr vergessen worden. Aber Ihr, Madame, «fuhr die Novize fort,»es scheint mir, Ihr seid frei, und wenn ihr fliehen wolltet, so würde es nur von Euch abhängen.«
«Wohin soll ich gehen, ohne Freunde, ohne Geld, in einer Gegend von Frankreich, die ich nicht kenne, wo…«
«Oh! rief die Novize, was die Freunde betrifft, Ihr werdet sie überall finden, wo Ihr wollt, denn ihr scheint so gut zu sein, und seid so schön!«
«Darum bin ich nicht minder allein und verfolgt, «fügte Mylady bei und versüßte ihr Lächeln, so daß es einen wahrhaft englischen Ausdruck annahm.
«Hört, «sprach die Novize,»man muß die Hoffnung auf den Himmel nicht aufgeben. Seht, es kommt immer ein Augenblick, wo das Gute, was wir gethan haben, vor Gott für unsre Sache spricht, und es ist vielleicht ein Glück für Euch, daß Ihr, so niedrig auch meine Stellung ist, so wenig ich Macht besitze, mich getroffen habt, denn wenn ich diesen Ort verlasse, nun, dann werde ich einige mächtige Freunde haben, die, nachdem sie für mich in's Feld gezogen sind, auch für Euch zu Felde ziehen können.«
«Oh! wenn ich sagte, ich sei allein, «erwiderte Mylady, in der Hoffnung, die Novize zum Sprechen zu bringen,»so äußerte ich dies nicht, als ob ich nicht auch einige hohe Bekanntschaften hätte, sondern weil diese Bekanntschaften vor dem Kardinal zittern. Die Königin selber wagt es nicht, mir gegen diesen furchtbaren Minister beizustehen, und ich habe den Beweis, daß Ihre Majestät trotz ihres vortrefflichen Herzens mehr als einmal genöthigt gewesen ist, die Personen, welche ihr Dienste geleistet hatten, dem Zorn seiner Eminenz preiszugeben.«
«Glaubt mir, Madame, es kann bei der Königin den Anschein haben, als hätte sie diese Personen verlassen, aber man muß dem Schein nicht glauben; je mehr sie verfolgt werden, desto mehr denkt Ihre Majestät an sie, und in dem Augenblick, wo sie wähnen, die Königin denke am wenigsten an sie, erhalten sie oft den Beweis einer herzlichen Erinnerung.«
«Ach! ich glaube es wohl, «sprach Mylady.»Die Königin ist so gut!«
«Ihr kennt sie also, diese schöne und edle Königin, da Ihr so von ihr sprecht!«rief die Novize begeistert.
«Das heißt, «versetzte Mylady, in ihren Verschanzungen bedrängt,»ich habe nicht die Ehre, sie persönlich zu kennen, aber ich kenne viele von ihren vertrautesten Freunden. Ich kenne Herrn von Putange; ich habe in England Herrn Dujart kennen gelernt; ich kenne Herrn von Treville.«
«Herrn von Treville!«rief die Novize,»Ihr kennt Herrn von Treville?«
«Ja vollkommen, sehr gut sogar.«
«Den Kapitän der Musketiere des Königs?«
«Den Kapitän der Musketiere des Königs.«
«Oh! nun werdet Ihr sehen, «sprach die Novize,»daß wir sogleich ganz gut mit einander bekannt, ja beinahe Freundinnen sein werden. Wenn Ihr Herrn von Treville kennt, so müßt Ihr in seinem Hause gewesen sein.«
«Oft, «antwortete Mylady, welche die Lüge bis zum Ende führen wollte, als sie bemerkte, daß sie auf diesem Weg zum Ziele kam.
«Ihr müßt bei ihm einige von seinen Musketieren gesehen haben?«
«Alle diejenigen, welche er gewöhnlich empfängt, «erwiderte Mylady, für welche dieses Gespräch ein wirkliches Interesse zu gewinnen anfing.
«Nennt mir einige von denen, die Ihr kennt, und Ihr werdet sehen, daß sie zu meinen Freunden gehören.«
«Ich kenne, «sprach Mylady etwas verlegen,»ich kenne Herrn von Louvigny, Herrn von Courtivon, Herrn von Ferussac.«
Die Novize ließ sie aussprechen; als sie aber sah, daß Mylady inne hielt, so fragte sie:
«Kennt Ihr nicht einen Edelmann Namens Athos?«
Mylady wurde so bleich, wie die Leintücher, in denen sie lag, und konnte sich, so sehr sie sich auch zu beherrschen wußte, eines Schreies nicht enthalten, während sie die Novize bei der Hand faßte und mit dem Blicke verschlang.
«Wie? was habt Ihr? Oh! mein Gott, «fragte die arme junge Frau,»habe ich etwas gesagt, was Euch verletzte?«
«Nein, aber der Name ist mir aufgefallen, weil ich diesen Mann ebenfalls kenne, und weil es mir seltsam vorkommt, daß ich Jemand finde, der so genau mit ihm bekannt ist.«
«O ja, sehr genau bekannt, und zwar nicht allein mit ihm, sondern auch mit seinen Freunden, den Herren Aramis und Porthos.«
«In der That? Auch sie kenne ich, «rief Mylady, welche eine eisige Kälte in ihr Herz dringen fühlte.
«Nun, wenn Ihr sie kennt, so müßt Ihr wissen, daß es gute und brave Kameraden sind. Warum wendet Ihr Euch nicht an sie, wenn Ihr der Hülfe bedürft?«
«Das heißt, «stammelte Mylady,»ich stehe mit keinem von ihnen in einer wirklichen Verbindung. Ich kenne sie, weil ich einen von ihren Freunden, Herrn d'Artagnan, von ihnen sprechen hörte.«
«Ihr kennt also Herrn d'Artagnan!«rief die Novize, die nun ihrerseits Mylady bei der Hand faßte und sie mit ihren Augen verschlang.
Dann sagte sie, als sie den seltsamen Ausdruck in Myladys Blick gewahr wurde:»Um Vergebung, Madame, in welcher Eigenschaft kennt Ihr ihn?«—»Wie meint Ihr?«sprach Mylady verlegen.»In der Eigenschaft eines Freundes.«—»Ihr täuscht mich, Madame, «versetzte die Novize,»Ihr seid seine Geliebte gewesen!«—»Ihr seid es gewesen, Madame, «entgegnete Mylady. — »Ich!«rief die Novize. — »O ja, Ihr; ich kenne Euch jetzt. Ihr seid Madame Bonacieux.«
Die junge Frau wich voll Staunen und Schrecken zurück.
«Oh! leugnet nicht, antwortet, «sprach Mylady.
«Nun ja, Madame, ich liebe ihn. Sind wir Nebenbuhlerinnen?«
Das Gesicht Myladys beleuchtete sich mit einem so wilden Feuer, daß Madame Bonacieux unter allen andern Umständen voll Angst entflohen wäre; aber jetzt wurde sie einzig und allein durch die Eifersucht beherrscht.
«Sprecht, laßt hören, Madame, «fuhr Frau Bonacieux mit einer Energie fort, deren sie gar nicht fähig schien.»Seid Ihr seine Geliebte gewesen?«
«O! nein!«rief Mylady mit einer Betonung, die keinen Zweifel an der Wahrheit dessen, was sie sagte, übrig ließ.»Nie! nie!«
«Ich glaube Euch, «sprach Madame Bonacieux,»aber warum dieser Schrei?«
«Wie, Ihr begreift nicht?«sagte Mylady, welche sich von ihrer Unruhe erholt und ihre ganze Geistesgegenwart wieder gewonnen hatte. — »Wie soll ich begreifen? ich weiß nichts.«—»Ihr begreift nicht, daß d'Artagnan, der mein Freund war, mich zu seiner Vertrauten gewählt hatte?«—»Wirklich?«
«Ihr begreift nicht, daß ich Alles weiß. Eure Entführung aus dem kleinen Hause in St. Germain, seine und seiner Freunde Verzweiflung, ihre Nachforschungen seit jenem Augenblick? Und ich soll nicht staunen, wenn ich mich so unvermuthet in Eurer Nähe befinde, nachdem wir so oft mit einander von Euch gesprochen haben, die er mit der ganzen Macht seiner Seele liebt, so daß auch ich Euch lieben mußte, noch ehe ich Euch gesehen hatte? Ach! theure Constance, endlich, endlich finde ich Euch!«
Und Mylady streckte ihre Arme nach Madame Bonacieux aus, welche nunmehr überzeugt war, und in dieser Frau, die sie einen Augenblick vorher für ihre Nebenbuhlerin gehalten hatte, nur noch eine ergebene und aufrichtige Freundin erblickte.
«Oh! vergebt mir! vergebt mir!«sagte sie und sank auf ihre Schulter,»ich liebe ihn so sehr!«
Die zwei Frauen hielten sich einen Augenblick umarmt. Wenn Myladys Kräfte ihrem Haß gleichgekommen wären, so würde diese Umarmung nur mit dem Tode von Madame Bonacieux geendigt haben. Aber da sie die junge Frau nicht ersticken konnte, so lächelte sie ihr zu.
«Oh! theure, schöne Kleine, «sagte Mylady,»wie glücklich bin ich. Euch zu sehen. Laßt mich Euch anschauen. «Und bei diesen Worten verschlang sie die Novize wirklich mit ihren Blicken.»Ja, Ihr seid es. Nach dem, was er mir von Euch gesagt hat, erkenne ich Euch zu dieser Stunde, ich erkenne Euch vollkommen.«
Die arme junge Frau konnte nicht ahnen, wie schrecklich es hinter dem Wall dieser reinen Stirne, hinter diesen schönen Augen, worin sie nur das Interesse des Mitleids las, zuging.
«Ihr wißt also, was ich gelitten habe, «sprach Madame Bonacieux,»da er Euch sein Leiden mitgetheilt hat. Aber für ihn dulden ist Glück.«
Mylady wiederholte mechanisch:»Ja, das ist Glück.«
Sie dachte an etwas Anderes.
«Und dann, «fuhr Madame Bonacieux fort,»ist mein Unglück seinem Ende nahe: morgen, diesen Abend vielleicht werde ich ihn wiedersehen, und dann besteht die Vergangenheit nicht mehr für mich.«
«Diesen Abend? morgen?«rief Mylady, durch diese Worte aus ihrer Träumerei gerissen.»Was wollt Ihr damit sagen? Erwartet Ihr vielleicht Nachrichten von ihm?«—»Ich erwarte ihn selbst.«—»Ihn selbst! D'Artagnan hier!«—»Ihn selbst.«
«Das ist unmöglich! Er befindet sich mit dem Kardinal bei der Belagerung von La Rochelle und wird erst nach der Einnahme der Stadt nach Paris zurückkehren.«
«Ihr glaubt dies, aber sagt: ist meinem d'Artagnan, diesem trefflichen und loyalen Edelmanns, etwas unmöglich?«
«Ah! ich kann es nicht glauben.«
«Nun, so lest doch, «sprach die unglückliche junge Frau, im Uebermaß ihrer Freude und ihres Stolzes, indem sie Mylady den Brief überreichte.
«Die Handschrift der Frau von Chevreuse!«sagte Mylady zu sich selbst.»Ich war überzeugt, daß mit dieser ein Einverständniß stattfand.«
Und sie las mit gierigen Blicken folgende Zeilen:
«Mein liebes Kind, haltet Euch bereit. Unser Freund wird Euch bald besuchen, und zwar nur, um Euch dem Gefängnisse zu entreißen, wo Ihr Euch Eurer Sicherheit wegen verborgen halten mußtet. Trefft Eure Vorkehrungen zur Reise und verzweifelt nie an uns.
«Unser vortrefflicher Gascogner hat sich so eben wieder brav und getreu gezeigt, wie immer. Sagt ihm, daß man ihm irgendwo für den Rath, den er ertheilt, sehr dankbar sei.«
«Ja, ja, «sprach Mylady,»ja, dieser Brief ist genau. Wißt Ihr vielleicht, worin dieser Rath besteht?«
«Nein; ich vermuthe nur, daß er die Königin von irgend einer Machination des Kardinals benachrichtigt hat.«
«Ja, so ist es ohne Zweifel, «erwiderte Mylady, gab den Brief Madame Bonacieux zurück und ließ ihr nachdenkendes Haupt auf die Brust sinken.
In diesem Augenblick hörte man den Galop eines Pferdes.
«Oh!«rief Madame Bonacieux, an das Fenster stürzend,»sollte er es sein?«
Mylady war vor Erstaunen in Stein verwandelt im Bette geblieben. Es begegneten ihr plötzlich so viele unerwartete Dinge, daß sie zum ersten Male den Kopf verlor.
«Er! er!«murmelte sie,»sollte er es sein?«Und sie verharrte mit starren Augen in ihrem Bette.
«Ach! nein, «sprach Madame Bonacieux,»es ist ein Mann, den ich nicht kenne. Es scheint, er kommt hieher; er reitet langsamer — er hält vor der Thüre — er läutet.«
Mylady sprang aus dem Bette.
«Seid Ihr gewiß, daß er es nicht ist?«sagte sie. — »O ja, ganz gewiß.«—»Ihr habt vielleicht schlecht gesehen?«—»Oh! ich würde ihn erkennen, wenn ich nur die Feder seines Hutes, das Ende seines Mantels erblickte.«
Mylady kleidete sich fortwährend an.
«Gleich viel, Ihr sagt, dieser Mann komme hieher?«—»Ja, er ist bereits in das Kloster eingetreten.«—»Das geschieht entweder Euret- oder meinetwegen.«—»O mein Gott! wie aufgeregt seht Ihr aus!«—»Ja, ich gestehe, ich hege nicht Euer Vertrauen, ich fürchte Alles von dem Kardinal!«—»Stille!«sagte Madame Bonacieux,»man kommt.«
Die Thüre öffnete sich wirklich und die Aebtissin trat ein.
«Kommt ihr von Boulogne?«fragte sie Mylady.
«Allerdings, «antwortete diese, indem sie ihre Kaltblütigkeit wieder zu erlangen suchte.»Wer fragt nach mir?«
«Ein Mann, der seinen Namen nicht nennen will, aber von dem Kardinal kommt.«
«Und mich sprechen will?«sagte Mylady.
«Der eine Dame sprechen will, welche von Boulogne eingetroffen sein soll.«
«Dann laßt ihn eintreten, Madame!«
«Oh! mein Gott, mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»sollte es eine schlimme Kunde sein?«—»Ich befürchte es.«—»Ich lasse Euch mit diesem Fremden allein; aber sobald er sich entfernt hat, kehre ich mit Eurer Erlaubniß wieder zurück.«
«Ich bitte Euch darum.«
Die Aebtissin und Madame Bonacieux verließen das Zimmer.
Mylady blieb, die Augen auf die Thüre geheftet, allein. Bald hörte man Sporengeklirr auf der Treppe. Dann näherten sich Tritte: die Thüre wurde geöffnet und ein Mann erschien.
Mylady stieß einen Freudenschrei aus. Dieser Mann war der Graf von Rochefort, die ergebenste Seele Seiner Eminenz.
XXXIV. Zwei Abarten von Teufeln
«Ah!«riefen Rochefort und Mylady zugleich,»Ihr seid is?«—»Ja, ich bin es.«—»Und Ihr kommt?«fragte Mylady. — »Von La Rochelle. Und Ihr?«—»Von England.«
«Buckingham?«—»Todt oder gefährlich verwundet. Als ich abreiste, ohne etwas von ihm erlangen zu können, ermordete ihn ein Fanatiker.«—»Ah, «sprach Rochefort lächelnd,»das ist ein äußerst glücklicher Zufall, worüber sich Seine Eminenz ungemein freuen wird. Habt Ihr ihn davon in Kenntniß gesetzt?«—»Ich habe ihm von Boulogne aus geschrieben. Aber wie kommt Ihr hieher?«—»Seine Eminenz war in Unruhe, und schickte mich aus, um Euch zu suchen.«—»Ich bin erst gestern hier angekommen.«—»Und was habt Ihr seit gestern gemacht?«—»Ich habe meine Zeit nicht verloren.«—»Oh! das kann ich mir wohl denken.«—»Wißt Ihr, wen ich hier getroffen habe?«—»Nein.«—»Rathet!«—»Wie soll ich?«—»Die junge Frau, welche die Königin dem Gefängniß entrissen hat.«—»Die Geliebte des kleinen d'Artagnan?«—»Ja, Madame Bonacieux, deren Zufluchtsstätte der Kardinal nicht kannte.«—»Nun, «sprach Rochefort,»das ist abermals ein Zufall, der dem andern die Stange halten kann. Der Herr Kardinal ist in der That ein vom Glücke begünstigter Mann.«—»Könnt Ihr Euch mein Erstaunen denken, «fuhr Mylady fort,»als ich mich dieser Frau gegenüber fand?«—»Kennt sie Euch?«—»Nein.«—»Dann hält sie Euch für eine Fremde?«— Mylady lächelte.»Ich bin ihre beste Freundin.«—»Bei meiner Ehre!«sprach Rochefort,»nur Ihr, meine liebe Gräfin, könnt solche Wunder bewirken.«—»Es geschah zur rechten Zeit, Chevalier, «sagte Mylady;»denn wißt Ihr, was vorgeht?«—»Nein.«—»Man will sie morgen oder übermorgen mit einem Befehl der Königin holen.«—»Wirklich? und wer dies?«—»D'Artagnan und seine Freunde.«—»In der That? Sie treiben es so arg, daß wir sie in die Bastille schicken müssen.«—»Warum ist dies nicht bereits geschehen?«—»Was wollt Ihr? Der Herr Kardinal hat für diese Menschen eine mir ganz unbegreifliche Vorliebe.«—»Wirklich? nun so sagt ihm Folgendes, Rochefort: sagt ihm, daß unsere Unterredung in der Herberge zum Rothen Taubenschlag von diesen vier Menschen gehört worden ist; sagt ihm, daß einer von ihnen nach seinem Abgang heraufkam und mir mit Gewalt den Geleitsbrief entriß, den er mir gegeben hatte; sagt ihm, daß sie Lord Winter von meiner Fahrt nach England benachrichtigen ließen; daß sie auch diesmal beinahe meine Sendung vereitelt hätten, wie sie die mit den Nestelstiften vereitelten. Sagt ihm, daß von diesen vier Menschen nur zwei, d'Artagnan und Athos, zu fürchten sind; sagt ihm, daß der dritte der Liebhaber der Frau von Chevreuse ist; man muß diesen leben lassen; man weiß sein Geheimniß, er kann von Nutzen sein; der vierte, Porthos, ist ein Einfaltspinsel, ein alberner Geck, mit dem man sich nicht zu beschäftigen braucht.«—»Aber diese vier Menschen müssen in dieser Stunde bei der Belagerung von La Rochelle sein.«—»Ich glaubte dies, wie Ihr, aber ein Brief, den Madame Bonacieux von Frau von Chevreuse erhalten und mir unkluger Weise mitgetheilt hat, gibt mir die Ueberzeugung, daß diese vier Menschen vielmehr in das Feld gezogen sind, um sie zu entführen.«—»Teufel, was ist da zu machen?«—»Was hat Euch der Kardinal in Beziehung auf mich aufgetragen?«—»Eure geschriebenen oder mündlichen Depeschen in Empfang zu nehmen und mit Postpferden zurückzukehren. Sobald er weiß, was Ihr gethan habt, wird er Befehl geben, was Ihr thun sollt.«—»Ich muß also hier bleiben?«—»Hier oder in der Umgegend.«—»Ihr könnt mich nicht mitnehmen?«—»Nein, der Befehl ist streng. In der Gegend des Lagers könntet Ihr erkannt werden, und Eure Gegenwart würde, wie Ihr wohl begreift. Seine Eminenz besonders nach dem, was da drüben vorgefallen ist, compromittiren. Doch sagt mir jetzt schon, wo Ihr Nachrichten vom Kardinal erwarten wollt, damit ich stets weiß, wo ich Euch treffen kann.«—»Wahrscheinlich bin ich nicht im Stande hier zu bleiben.«—»Warum?«—»Ihr vergeßt, daß meine Feinde jeden Augenblick ankommen können.«—»Das ist wahr, aber dann wird diese kleine Frau Seiner Eminenz entschlüpfen.«
«Bah!«sprach Mylady mit einem Lächeln, das nur ihr eigenthümlich war,»Ihr vergeht, daß ich ihre beste Freundin bin.«—»Ah! das ist wahr; ich darf also dem Kardinal sagen, in Beziehung auf diese Frau…«—»Könne er ruhig sein.«—»Nicht mehr? Weiß er, was dies zu bedeuten hat?«—»Er wird es errathen.«»Was soll ich nun thun?«—»Sogleich abreisen. Es scheint mir, die Nachrichten, welche Ihr bringt, sind wohl werth, daß man sich beeilt.«—»Mein Wagen ist in Lilliers gebrochen.«—»Vortrefflich!«—»Wie vortrefflich?«—»Ja, ich brauche Euern Wagen.«—»Und wie soll ich dann reisen?«»Zu Pferde.«—»Ihr habt gut sprechen, hundertundachtzig Meilen!«—»Was ist das?«—»Sie sollen gemacht werden. Und hernach?«—»Wenn Ihr durch Lilliers kommt, schickt Ihr mir den Wagen und gebt Eurem Bedienten Befehl, sich mir zur Verfügung zu stellen.«—»Gut.«—»Ihr habt ohne Zweifel einen Befehl des Kardinals bei Euch?«—»Ich habe eine Vollmacht bei mir.«— Ihr zeigt sie der Aebtissin, und sagt ihr, man werde mich heute oder morgen abholen, und ich habe der Person zu folgen, die sich in Eurem Namen einfinde.«—»Sehr gut!«—»Vergeht nicht, über mich loszuziehen, wenn ihr mit der Aebtissin von mir sprecht.«—»Wozu soll das nützen?«—»Ich bin ein Opfer des Kardinals und muß wohl dieser armen kleinen Madame Bonacieux Vertrauen einflößen.«—»Das ist richtig. Wollt Ihr mir nun einen Bericht von Allem dem machen, was vorgefallen ist?«—»Ich habe Euch die Ereignisse erzählt, Ihr besitzt ein gutes Gedächtniß. Wiederholt die Dinge, wie ich sie Euch mittheilte; ein Papier geht verloren.«—»Ihr habt Recht. Nur damit ich weiß, wo ich Euch finden kann und nicht unnütz in der Gegend umherlaufe.«—»Das ist richtig; wartet!«—»Wollt Ihr eine Karte?«—»Oh! ich kenne diese Gegend vortrefflich.«—»Ihr? wann seid Ihr hier gewesen?«— Ich bin hier erzogen worden.«—»Wirklich!«—»Seht, irgendwo erzogen worden zu sein, nützt doch zu etwas.«—»Ihr werdet mich also erwarten?…«—»Laßt mich einen Augenblick nachdenken… halt, ja in Armentières?«—»Was ist das, Armentières?«—»Eine kleine Stadt an der Lys. Ich habe nur über den Fluß zu setzen, und bin in einem fremden Lande.«—»Vortrefflich! aber wohlverstanden, Ihr geht nur im Fall einer großen Gefahr über den Fluß.«—»Natürlich.«—»Wie soll ich aber dann erfahren, wo Ihr seid?«—»Ihr bedürft Eures Bedienten nicht?«—»Nein.«—»Es ist ein sicherer Mann?«—»Unter jeder Bedingung.«—»Gebt ihn mir; niemand kennt ihn, ich lasse ihn an dem Orte zurück, von dem ich mich entferne, und er führt Euch dahin, wo ich bin.«—»Und Ihr sagt, Ihr werdet mich in Armentières erwarten?«—»In Armentières.«—»Schreibt mir diesen Namen auf ein Stückchen Papier, damit ich ihn nicht vergesse. Der Name einer Stadt kann unmöglich kompromittiren, nicht wahr?«—»Wer weiß? doch gleich viel, «sagte Mylady und schrieb den Namen auf ein Blättchen Papier;»ich gefährde mich dadurch.«
«Gut, «sprach Rochefort, nahm das Papier Mylady aus den Händen, faltete es zusammen, und steckte es in das Futter seines Hutes.»Seid übrigens unbesorgt, ich mache es wie die Kinder und wiederhole den Namen den ganzen Weg entlang, wenn ich das Papier verliere. Nun, ist das Alles?«
«Ich glaube.«
«Wir wollen einmal untersuchen: Buckingham todt oder schwer verwundet: Eure Unterredung mit dem Kardinal von den vier Musketieren gehört; Lord Winter von Eurer Ankunft in Portsmouth benachrichtigt: d'Artagnan und Athos in die Bastille: Aramis der Liebhaber der Frau von Chevreuse; Porthos ein Gimpel; Madame Bonacieux wieder gefunden; Euch den Wagen so bald als möglich schicken; Euch meinen Bedienten zur Verfügung stellen; ein Opfer des Kardinals aus Euch machen, damit die Aebtissin keinen Verdacht schöpft; Armantières an den Ufern der Lys; ist es so?«
«In der That mein lieber Chevalier, Ihr seid ein wahres Wunder von Gedächtniß. Doch fügt noch bei…«—»Was?«
«Ich habe ein sehr hübsches Wäldchen gesehen, das an den Klostergarten stoßen muß. Sagt, es sei mir erlaubt, in diesem Wäldchen spazieren zu gehen. Wer weiß, ich muß vielleicht durch eine Hinterpforte von hier fort.«
«Ihr denkt an Alles.«—»Und Ihr, Ihr vergeßt etwas.«— Was denn?«—»Zu fragen, ob ich Geld brauche.«—»Das ist richtig. Wie viel wollt Ihr?«—»Alles, was Ihr an Gold bei Euch habt.«—»Ich habe ungefähr fünfhundert Pistolen bei mir.«—»Ich etwa eben so viel. Mit tausend Pistolen kann man Allem Trotz bieten. Leert Eure Taschen.«—»Hier.«—»Gut. Und Ihr reist?«—»In einer Stunde. Ich bleibe nur so lange, um einen Bissen zu essen, und schicke mittlerweile nach einem Postpferd.«—»Vortrefflich. Adieu, Graf!«—»Adieu, Gräfin.«—»Empfehlt mich dem Kardinal.«—»Empfehlt mich dem Satan.«
Mylady und Rochefort tauschten ein Lächeln und trennten sich.
Eine Stunde nachher sprengte Rochefort im stärksten Galopp aus Bethune. Nach fünf Stunden kam er durch Arras.
Unsre Leser wissen bereits, wie er von d'Artagnan wiedererkannt wurde, wie dieses Wiedererkennen den vier Musketieren Furcht einflößte und sie zur größten Eile trieb.
XXXV. Ein Tropfen Wasser
Kaum war Rochefort weggegangen, als Madame Bonacieux zurückkehrte; sie fand Mylady mit lachendem Gesichte.
«Nun, «sprach die junge Frau,»was Ihr befürchtet habt, ist eingetroffen. Diesen Abend oder Morgen läßt Euch der Kardinal holen.«—»Woher wißt Ihr es?«—»Ich habe es aus dem Munde des Boten vernommen.«—»Setzt Euch zu mir, «sprach Mylady. — »Hier bin ich.«—»Wartet, ich will mich überzeugen, ob uns Niemand belauscht.«—»Warum diese Vorsicht?«—»Ihr sollt es erfahren.«
Mylady stand auf, ging an die Thüre, öffnete sie, schaute in die Flur, kehrte zurück und setzte sich wieder neben Madame Bonacieux.
«Er hat also seine Rolle gut gespielt, «sprach sie. — »Wer?«—»Derjenige, welcher sich bei der Aebtissin als ein Abgesandter des Kardinals angestellt hat.«—»Er spielte also eine Rolle?«—»Ja, mein Kind.«—»Dieser Mensch ist kein«—…»Dieser Mensch, «erwiderte Mylady, ihre Stimme dämpfend,»dieser Mensch ist mein Bruder.«—»Euer Bruder!«rief Madame Bonacieux.
«Nur Ihr wißt dieses Geheimniß, mein Kind, und wenn Ihr es irgend Jemand in der Welt anvertraut, so bin ich verloren und Ihr vielleicht ebenfalls.«—»O mein Gott!«
«Hört, was vorgefallen ist: mein Bruder, der mir zu Hülfe eilte und mich im Falle der Noth mit Gewalt von hier wegbringen wollte, traf den Emissär des Kardinals, der mich abholen sollte. Er folgte ihm, und als sie auf einen einsamen, verborgenen Weg gelangt waren, zog er den Degen und forderte den Boten auf, ihm die Papiere zu übergeben, die er bei sich trug. Der Bote wollte sich vertheidigen, mein Bruder tödtete ihn.«
«O!«rief Madame Bonacieux schaudernd.
«Bedenkt wohl, es war das einzige Mittel. Mein Bruder beschloß nun, List an die Stelle der Gewalt zu setzen. Er nahm die Papiere, erschien hier als Abgeordneter des Kardinals, und in ein paar Stunden wird mich ein Wagen im Auftrag Seiner Eminenz abholen.«
«Ich begreife. Euer Bruder schickt Euch den Wagen.«
«Richtig, aber das ist noch nicht Alles. Der Brief, den Ihr empfangen habt, und von dem Ihr glaubt, er komme von Frau von Chevreuse…«—»Nun?«—»Er ist falsch.«—»Wie dies?«—»Ja falsch: es ist eine Falle, damit Ihr keinen Widerstand leistet, wenn man Euch holen will.«—»Aber d'Artagnan wird kommen und mich holen.«
«Ihr täuscht Euch, d'Artagnan und seine Freunde sind bei der Belagerung von La Rochelle.«
«Woher wißt Ihr dies?«
«Mein Bruder begegnete Emissären des Kardinals in Musketiertracht. Man würde Euch vor die Thür gerufen haben. Ihr würdet geglaubt haben, Eure Freunde seien erschienen, man hätte Euch ergriffen und nach Paris zurückgeführt.«
«O mein Gott! mein Kopf wird ganz irr in diesem Chaos von Niederträchtigkeiten. Ich fühle, daß ich wahnsinnig würde, wenn dies lange so fortdauerte, «sprach Madame Bonacieux und legte die Hände an ihre Stirne. — »Hört.«—»Was?«
«Ich höre den Tritt eines Pferdes. Mein Bruder reist wieder ab. Ich will ihm ein letztes Lebewohl sagen; kommt.«
Mylady öffnete das Fenster und bedeutete Madame Bonacieux durch ein Zeichen, sie möge zu ihr heran treten.
Rochefort ritt im Galopp vorüber.
«Adieu, Bruder!«rief Mylady.
Der Graf schaute empor, sah die zwei jungen Frauen und winkte Mylady freundschaftlich zu.
«Dieser gute George!«sagte sie, indem sie mit einem Ausdruck voll Zärtlichkeit und Schwermuth im Gesichte das Fenster schloß.
Und dann setzte sie sich wieder auf ihren Platz, als ob sie in rein persönliche Betrachtungen versunken wäre.
«Liebe Dame, «sprach Frau Bonacieux,»entschuldigt, daß ich Euch unterbreche, aber mein Gott! was rathet Ihr mir denn zu thun? Ihr habt mehr Erfahrung, als ich, sprecht, ich höre.«
«Vor allem kann ich mich täuschen, «erwiderte Mylady, und es ist wohl möglich, daß Euch d'Artagnan und seine Freunde wirklich zu Hülfe kommen.«
«Oh! das wäre zu schön, «rief Madame Bonacieux,»aber so viel Glück gibt es nicht für mich auf der Welt.«
«Ihr begreift, daß es nur eine Zeitfrage, eine Art von Wettlauf wäre, wer zuerst ankäme; tragen Eure Freunde den Sieg in der Geschwindigkeit davon, so seid Ihr gerettet; gewinnen die Schergen des Kardinals einen Vorsprung, so seid Ihr verloren.«
«Ja! ja! ohne Barmherzigkeit verloren. Aber was soll ich thun? was soll ich beginnen?«
«Es gäbe ein einfaches, ganz natürliches Mittel.«
«Oh! nennt es, nennt es mir.«
«Es bestünde darin, daß Ihr in der Gegend verborgen warten und Euch überzeugen würdet, was für Menschen nach Euch fragen.«—»Aber wo warten?«
«Oh! das unterliegt keiner Schwierigkeit: ich selbst verweile und verberge mich einige Meilen von hier, bis mich mein Bruder abholt; wenn Ihr wollt, nehme ich Euch mit mir, wir verbergen uns miteinander und warten gemeinschaftlich auf Erlösung.«
«Man wird mich nicht ziehen lassen, ich bin gleichsam als Gefangene hier.«
«Da man meint, ich reise auf einen Befehl des Kardinals, so wird man nicht annehmen, daß Ihr große Lust habet, mir zu folgen.«—»Und dann?«
«Der Wagen ist vor der Thüre, Ihr sagt mir Lebewohl, Ihr steigt auf den Fußtritt, um mich zum letzten Mal in Eure Arme zu schließen, der Bediente meines Bruders, der mich fortführt, wird unterrichtet, er gibt dem Postillon ein Zeichen und wir eilen im Galopp davon.
«Aber d'Artagnan, wenn d'Artagnan kommt?«
«Werden wir es nicht erfahren?«—»Wie dies?«
«Nichts leichter, — wir schicken diesen Bedienten meines Bruders, auf den wir uns verlassen können, zurück; er nimmt unter einer Verkleidung sein Quartier dem Kloster gegenüber; kommen Emmissäre des Kardinals, so rührt er sich nicht, erscheinen aber Herr d'Artagnan und seine Freunde, so führt er sie an den Ort, wo wir uns aufhalten.«
«Er kennt sie also?«
«Allerdings; hat er nicht Herrn d'Artagnan bei mir gesehen?«
«Oh! ja, ja, Ihr habt Recht. So wird Alles gut gehen, so macht sich die Sache vortrefflich; aber brechen wir nicht bald auf?«
Um sieben Uhr oder spätestens um acht Uhr sind wir an der Grenze, und bei dem ersten Lärmen verlassen wir Frankreich.«
«Und was soll ich bis dahin machen?«
«Warten.«
«Aber wenn sie kommen?«
«Der Wagen meines Bruders wird vor ihnen hier sein.«
«Wenn ich im Augenblicke, wo man Euch abholt, von Euch entfernt bin, beim Mittags- oder Abendessen zum Beispiel?«
«So hört, was Ihr thun könnt.«
«Was?«
«Sagt unserer guten Aebtissin, Ihr bittet sie, mein Mahl mit mir theilen zu dürfen, damit Ihr mich so wenig als möglich zu verlassen habt.«
«Wird sie es erlauben?«
«Was kann hiebei als ungeeignet erscheinen?«
«Oh! schön, schön! auf diese Art verlassen wir uns nicht einen Augenblick.«
«Nun so geht zu ihr hinab und tragt ihr Eure Bitte vor, mein Kopf ist mir so schwer und ich will einen Gang durch den Garten thun.«
«Geht, und wo treffe ich Euch wieder?«
«Hier, in einer Stunde!«
«Oh! ich danke Euch; wie gut seid Ihr doch!«
«Wie sollte ich nicht innige Theilnahme für Euch hegen, da Ihr so schön und liebenswürdig seid, und seid Ihr denn nicht auch die Freundin eines meiner besten Freunde?«
«Der theure d'Artagnan! oh! wie wird er Euch danken!«
«Ich hoffe es. Aber nun vorwärts; Alles ist verabredet; laßt uns hinabgehen.«
«Ihr geht in den Garten?«
«Ja.«
«Folgt der Flur; geht eine kleine Treppe hinab.«
«Gut; ich danke Euch.«
Und mit dem holdseligsten Lächeln verließen sich die zwei Frauen.
Mylady hatte die Wahrheit gesprochen: der Kopf war ihr schwer, denn ihre noch ungeordneten Pläne trieben sich wie in einem Chaos durcheinander. Sie bedurfte der Einsamkeit, um etwas Ordnung in ihre Gedanken zu bringen; ihr Blick in die Zukunft war nicht klar und sie brauchte Ruhe und Stille, um allen ihren Ideen eine bestimmte Form, feste Anhaltspunkte zu geben.
Das Dringendste war, Madame Bonacieux zu entführen und an einen sichern Ort zu bringen, um sie erforderlichen Falls als Geißel zu gebrauchen. Mylady fing an, den Ausgang des furchtbaren Zweikampfes zu fürchten, bei welchem ihre Feinde eben so viel Hartnäckigkeit zeigten, als sie selbst Erbitterung bewies.
Ueberdies fühlte sie, wie man den Sturm kommen fühlt, daß dieser Ausgang nahe war und nothwendig furchtbar werden mußte.
Die Hauptsache schien ihr also zu sein, daß sie Madame Bonacieux in ihren Händen hielt. Mit Madame Bonacieux hatte sie das Leben d'Artagnans, ja noch mehr das Leben der Frau, die er liebte, in ihrer Gewalt. Im allerschlimmsten Fall besaß sie dadurch ein Mittel zu unterhandeln und auf sichere Weise gute Bedingungen zu erzielen.
Dieser Punkt war nun festgestellt. Madame Bonacieux folgte ihr ohne Mißtrauen; einmal mit ihr in Armentivres verborgen, konnte man sie leicht glauben machen, d'Artagnan sei nicht nach Bethune gekommen. In spätestens vierzehn Tagen mußte Rochefort zurückkehren. Während dieser vierzehn Tage würde sie wohl einen Plan ersinnen, um sich an den vier Freunden zu rächen. Langweile könnte sie, Gott sei Dank! keine bekommen, denn sie hätte den süßesten Zeitvertreib zu erwarten, den die Ereignisse einer Frau ihres Charakters zu gewähren im Stande sind: sie hätte ein schönes Rachewerk zu vollführen.
Unter diesen Träumen schaute sie umher und ordnete in ihrem Kopfe die Topographie des Gartens; Mylady war ein guter Feldherr, der zugleich den Sieg und die Niederlage vorher berechnet und sich bereit hält, je nach den Chancen der Schlacht vorwärts zu marschiren oder sich fechtend zurückzuziehen.
Nach Verlauf einer Stunde hörte sie eine sanfte Stimme, welche sie rief: es war Madame Bonacieux. Die gute Aebtissin hatte natürlich zu allem ihre Einwilligung ertheilt, und um den Anfang zu machen, sollten sie mit einander ein Abendbrod nehmen.
Als sie in den Hof kamen, vernahmen sie das Geräusch eines Wagens, der vor dem Thore anhielt. Mylady horchte.
«Hört Ihr?«sprach sie. — »Ja, das Rollen eines Wagens.«—»Es ist der, welchen uns mein Bruder schickt.«—»Oh! mein Gott!«—»Auf! Muth gefaßt!«
Man läutete an der Klosterpforte, Mylady hatte sich nicht getäuscht.
«Geht in Euer Zimmer hinauf, «sagte sie zu Madame Bonacieux.»Ihr habt wohl einige Juwelen, die ihr mitzunehmen wünschen werdet.«
«Ich habe seine Briefe, «erwiderte sie.
«Nun wohl! so geht und holt sie! kommt dann sogleich zu mir, wir nehmen geschwind einige Nahrung zu uns; vielleicht reisen wir einen Theil der Nacht, wir bedürfen unserer Kräfte.«
«Großer Gott!«sprach Madame Bonacieux;»mein Herz droht zu zerspringen, ich kann nicht von der Stelle.«
«Muth gefaßt! meine Theure, Muth gefaßt! Bedenkt, daß Ihr in einer Viertelstunde gerettet seid, und daß Ihr das, was Ihr thut, für ihn thut.«
«Ja, ja! Alles, Alles für ihn. Ihr habt mir durch ein einziges Wort meinen Muth wieder gegeben.«
Mylady eilte in ihr Zimmer, sie fand hier den Bedienten Rocheforts und gab ihm seine Instruktionen.
Er sollte vor dem Thor warten; würden zufällig die Musketiere erscheinen, so sollte der Wagen im Galopp um das Kloster fahren und Mylady in einem Dörfchen erwarten, das auf der andern Seite des Gehölzes lag.
In diesem Fall würde Mylady durch den Garten gehen und das Dörfchen zu Fuß zu erreichen suchen; Mylady kannte diesen Theil Frankreichs erwähnter Maßen ganz vortrefflich.
Würden die Musketiere nicht erscheinen, so sollten die Dinge vor sich gehen, wie es verabredet war. Madame Bonacieux stieg in den Wagen, unter dem Vorwand, ihr Lebewohl zu sagen, und sie entführte Madame Bonacieux.
Madame Bonacieux trat ein, und um ihr jeden Argwohn zu benehmen, wenn sie einen solchen hätte, wiederholte sie dem Bedienten in ihrer Gegenwart den letzten Theil seiner Instruktion.
Mylady machte einige Fragen in Beziehung auf den Wagen; es war eine mit drei Pferden bespannte Chaise, geführt von einem Postillon. Der Lakai Rocheforts sollte als Courier vorausreiten.
Mylady hatte Unrecht, wenn sie einen Argwohn bei Madame Bonacieux befürchtete. Die arme junge Frau war zu rein, um bei einem andern weiblichen Wesen eine solche Treulosigkeit zu ahnen. Ueberdieß war ihr der Name der Gräfin Winter, den sie von der Aebtissin gehört hatte, völlig unbekannt, und sie wußte nicht einmal, daß eine Frau einen so großen und unseligen Antheil an den Unglücksfällen ihres Lebens gehabt hatte.
«Ihr seht, «sprach Mylady, nachdem der Lakai weggegangen war,»Alles ist bereit. Die Aebtissin hatte keine Ahnung und glaubt, man hole mich auf Befehl des Kardinals. Dieser Mensch ertheilt die letzten Befehle; nehmt ein wenig Speise, trinkt einen Tropfen Wein und dann vorwärts.«
«Ja, «sprach Madame Bonacieux mechanisch,»ja vorwärts!«
Mylady gab ihr ein Zeichen, sich ihr gegenüber zu setzen, schenkte ihr ein Glas spanischen Wein ein und legte ihr ein Stückchen Huhn vor.
«Seht, «sprach sie,»wie uns Alles begünstigt, es wird bereits Nacht. Mit Tagesanbruch sind wir an Ort und Stelle, und Niemand wird ahnen können, wo wir uns befinden. Muth gefaßt, nehmt etwas zu Euch!«
Madame Bonacieux aß mechanisch einige Bissen und benetzte ihre Lippen mit dem Weine.
«Auf, muthig!«sprach Mylady, indem sie ihr Glas an die Lippen setzte,»macht es, wie ich.«
Aber in dem Augenblick, wo sie zu trinken im Begriffe war, blieb ihre Hand schwebend. Sie hatte in der Ferne das Geräusch eines näher kommenden Galopps gehört, und beinahe zu gleicher Zeit kam es ihr vor, als vernähme sie das Gewieher von Pferden.
Dieses Geräusch entriß sie ihrer Freude, wie uns das Brausen des Sturmes mitten in einem schönen Traume erweckt; sie erbleichte und lief nach dem Fenster, während Madame Bonacieux, am ganzen Leibe zitternd, aufstand und sich, um nicht zu fallen, auf ihren Stuhl stützte.
Man sah noch nichts, man hörte nur den Galopp immer deutlicher.
«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»was bedeutet dieses Geräusch?«
«Es rührt von unsern Freunden oder von unsern Feinden her, «antwortete Mylady mit furchtbarer Kaltblütigkeit.»Bleibt, wo Ihr seid, ich werde es Euch sagen.«
Madame Bonacieux blieb an ihrem Platze stehen, stumm, unbeweglich und bleich, wie eine Bildsäule.
Das Geräusch wurde indessen immer stärker. Die Pferde konnten nicht mehr über fünfhundert Schritte entfernt sein. Wenn man sie noch nicht sah, so kam dies davon her, daß die Straße eine Krümmung bildete. Aber das Getöse war so deutlich, daß man die Zahl der Pferde an ihrem Hufschlag hätte unterscheiden können.
Mylady schaute mit aller Macht der gespanntesten Aufmerksamkeit. Es war gerade noch hell genug, daß man die Ankommenden zu erkennen vermochte.
Plötzlich sah sie an der Wendung des Weges betreßt Hüte glänzen und Federn wogen. Sie zählte zwei, dann fünfe dann acht Reiter. Der eine von ihnen ritt den übrigen um zwei Pferdelängen voraus.
Mylady brüllte. In demjenigen, welcher sich an der Spitze befand, erkannte sie d'Artagnan.
«O mein Gott!«rief Madame Bonacieux,»was gibt es denn?«
«Es ist die Uniform der Leibwachen des Herrn Kardinals — kein Augenblick zu verlieren!«schrie Mylady,»laßt uns fliehen, eiligst fliehen.«
«Ja, ja, fliehen, «wiederholte Madame Bonacieux, aber ohne, durch den Schrecken auf den Platz gebannt, einen Schritt machen zu können.
Man hörte die Reiter unter dem Fenster vorüber ziehen.
«Kommt doch, kommt doch!«rief Mylady und suchte die junge Frau am Arme fortzuschleppen,»durch den Garten können wir noch entfliehen; ich habe den Schlüssel; aber eilen wir, in fünf Minuten ist es zu spät!«
Madame Bonacieux versuchte zu gehen, machte zwei Schritte und sank in die Kniee.
In diesem Moment hörte man das Rollen des Wagens, der bei dem Anblick der Musketiere im Galopp davon eilte. Dann erschollen drei oder vier Schüsse.
«Zum letzten Male, wollt Ihr kommen!«rief Mylady.
«O! mein Gott! mein Gott! Ihr seht wohl, daß es mir an Kraft gebricht, Ihr seht wohl, daß ich nicht gehen kann, flieht allein.«
«Allein fliehen? Euch hier lassen? Nein, nie, nie!«rief Mylady.
Plötzlich zuckte ein bleicher Blitz aus ihren Augen hervor. Sie lief nach dem Tische und goß in das Glas von Madame Bonacieux den Inhalt eines Ringkastens, den sie mit seltsamer Geschwindigkeit öffnete.
Es war ein röthliches Kügelchen, das sogleich schmolz.
Dann nahm sie das Glas mit fester Hand und sagte zu Madame Bonacieux:
«Trinkt, trinkt, dieser Wein wird Euch Kräfte geben, trinkt!«
Und sie näherte das Glas den Lippen der jungen Frau, die es mechanisch trank.
«Ah! ich wollte mich nicht auf diese Art rächen, «sprach Mylady, indem sie mit einem höllischen Lächeln das Glas auf den Tisch setzte;»aber meiner Treu, man thut nur, was man kann.«
Und sie stürzte aus dem Zimmer.
Madame Bonacieux sah sie fliehen, ohne ihr folgen zu können. Sie war, wie jene Menschen, welche träumen, man verfolge sie, und vergebens zu gehen versuchen. Einige Minuten gingen vorüber. Ein furchtbares Getöse erhob sich vor der Thüre. Jeden Augenblick erwartete Madame Bonacieux das Wiedererscheinen Myladys, welche jedoch nicht zurückkehrte. Mehrere Male drang, ohne Zweifel aus Schrecken, ein kalter Schweiß auf ihre glühende Stirne.
Endlich vernahm sie das Aechzen der Gitter, welche man öffnete. Der Lärm von Stiefeln und Sporen ertönte auf der Treppe; in einem gewaltigen Gemurmel von Stimmen, die sich näherten, glaubte sie ihren Namen aussprechen zu hören.
Plötzlich stieß sie ein mächtiges Freudengeschrei aus und stürzte nach der Thüre: sie hatte die Stimme d'Artagnans erkannt.
«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief sie,»seid Ihr es? hieher!«
«Constance! Constance!«antwortete der junge Mann,»mein Gott, wo seid Ihr?«
In demselben Augenblicke wich die Thüre der Zelle vor einem kräftigen Stoße. Mehrere Männer traten in das Zimmer; Madame Bonacieux war in einen Lehnstuhl gesunken, ohne sich von der Stelle bewegen zu können.
D'Artagnan warf eine noch rauchende Pistole, die er in der Hand hielt, von sich und fiel vor seiner Geliebten auf die Kniee, Athos steckte die seinige in den Gürtel, Porthos und Aramis, welche ihre entblößten Degen in der Hand hielten, stießen sie in die Scheide.
«Oh! d'Artagnan, mein geliebter d'Artagnan, Du kommst endlich! Du hattest mich nicht getäuscht! Du bist es!«
«Ja, ja, Constance! endlich vereinigt!«
«Oh sie mochte immerhin sagen. Du würdest nicht kommen, ich hoffte dennoch und wollte nicht fliehen. Oh! wie wohl habe ich daran gethan! Wie glücklich bin ich!«
Bei dem Worte sie stand Athos, der sich ruhig niedergesetzt hatte, plötzlich auf.
«Sie? welche sie?«fragte d'Artagnan.
«Meine Gefährtin, diejenige, welche mich aus Freundschaft meinen Verfolgern entziehen wollte, diejenige, welche so eben entflohen ist, weil sie Euch für Leibwachen des Kardinals hielt.«
«Eure Gefährtin?«rief d'Artagnan und wurde so bleich, wie der weiße Schleier seiner Geliebten.»Von welcher Gefährtin sprecht Ihr?«
«Von derjenigen, deren Wagen vor der Thüre stand; von einer Frau, die sich Eure Freundin nennt, d'Artagnan; von einer Frau, der Ihr Alles erzählt habt.«
«Ihr Name?«rief d'Artagnan.»Mein Gott, wißt Ihr ihren Namen nicht?«
«Allerdings, man hat ihn in meiner Gegenwart ausgesprochen. Wartet, aber das ist seltsam… Ah! mein Gott! meine Sinne verwirren sich… ich sehe nicht mehr…«
«Hierher, meine Freunde, hierher, ihre Hände sind kalt, wie Eis!«rief d'Artagnan.»Großer Gott, sie verliert das Bewußtsein!«
Während Porthos mit aller Gewalt seiner Stimme um Hülfe rief, lief Aramis, um ein Glas Wasser zu holen, nach dem Tische. Aber er blieb plötzlich stehen, als er die furchtbare Verstörung in den Gesichtszügen von Athos wahrnahm, der an dem Tische stehend, die Haare starr, das Antlitz vor Bestürzung in Stein verwandelt, eines von den Gläsern betrachtete und der gräßlichsten Vermuthung preisgegeben zu sein schien.
«Oh!«sagte Athos,»oh! nein, das ist unmöglich! Gott würde ein solches Verbrechen nicht zugeben.«
«Wasser! Wasser!«rief d'Artagnan,»Wasser!«
«O! arme Frau, arme Frau, «murmelte Athos mit gebrochener Stimme.
Madame Bonacieux öffnete die Augen wieder unter d'Artagnans Küssen.
«Sie kommt zu sich!«rief der junge Mann.»Oh! mein Gott, mein Gott, ich danke Dir!«
«Madame, «sprach Athos,»Madame, im Namen des Himmels! wem gehört dieses leere Glas?«
«Mir, Herr, «antwortete die junge Frau mit sterbender Stimme.
«Doch wer hat den Wein eingeschenkt, der in diesem Glase war?«
«Sie!«
«Aber welche sie denn?«
«Ah, ich erinnere mich, «erwiderte Madame Bonacieux,»die Gräfin Winter.«
Die vier Freunde stießen einen einzigen, gleichzeitigen Schrei aus; aber die Stimme von Athos beherrschte die andern.
In diesem Augenblick wurde das Antlitz von Madame Bonacieux leichenblaß. Ein dumpfer Schmerz warf sie nieder. Sie fiel keuchend in die Arme von Porthos und Aramis.
D'Artagnan ergriff die Hände von Athos mit einer unbegreiflichen Seelenangst.
«Wie!«sagte er,»Du glaubst?«
Seine Stimme erlosch unter gewaltigem Schluchzen.
«Ich glaube Alles, «antwortete Athos, und biß sich in die Lippen, daß das Blut hervorquoll.
«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief Madame Bonacieux,»wo bist Du? Verlaß mich nicht, Du siehst, daß ich sterbe.«
D'Artagnan ließ die Hände von Athos los, die er in seinen krampfhaft zusammengepreßten Fäusten hielt.
Ihr so schönes Gesicht war völlig verstört, ihre glasigen Augen hatten bereits keinen Blick mehr, ein krampfhaftes Zittern schüttelte ihren ganzen Leib und der Schweiß floß in Strömen von der Stirne herab.
«Ums Himmels willen lauft, ruft. Porthos, Aramis, fordert Hülfe!«
«Vergeblich, «sprach Athos,»vergeblich! Für ein Gift, das sie einflößt, gibt es kein Gegengift!«
«Ja, ja. Hülfe! Hülfe!«murmelte Madame Bonacieux,»zu Hülfe!«
Dann raffte sie alle ihre Kräfte zusammen, nahm den Kopf des jungen Mannes zwischen ihre zwei Hände, schaute ihn eine Sekunde an, als ob ihre ganze Seele in ihren Blick übergegangen wäre, und drückte mit einem jammervollen Schrei ihre Lippen auf die seinigen.
«Constance! Constance!«rief d'Artagnan.
Ein Seufzer drang aus dem Munde von Madame Bonacieux hervor, der d'Artagnans Lippen berührte. Dieser Seufzer war die so keusche, so liebevolle Seele, welche zum Himmel aufstieg.
D'Artagnan hielt nur noch eine Leiche in seinen Armen.
Der junge Mann stieß einen Schrei aus und stürzte neben seine Geliebte, so bleich, so starr wie sie, nieder.
Porthos weinte. Athos streckte die Faust zum Himmel empor. Aramis machte das Zeichen des Kreuzes.
In diesem Augenblick erschien ein Mann an der Thüre, beinahe so bleich wie diejenigen, welche sich im Zimmer befanden. Er schaute um sich her, sah Madame Bonacieux tot und d'Artagnan in Ohnmacht.
Er erschien gerade in jenem Augenblick der Erstarrung, welche stets auf große Katastrophen folgt.
«Ich hatte mich nicht getäuscht, «sagte er,»hier ist Herr d'Artagnan und Ihr seid seine drei Freunde, die Herren Athos, Porthos und Aramis.«
Die Männer, deren Namen genannt worden waren, schauten den Fremden mit Erstaunen an. Es kam ihnen Allen vor, als müßten sie ihn kennen.
«Meine Herren, «versetzte der Fremde,»Ihr sucht Alle, wie ich, eine Frau auf, die, «fügte er mit einem furchtbaren Lächeln bei,»hier durchgekommen sein muß, denn ich sehe dort eine Leiche.«
Die drei Freunde blieben stumm: nun erinnerte sie die Stimme, wie zuvor das Gesicht an einen Mann, den sie bereits gesehen hatten; aber sie konnten sich nicht entsinnen, unter welchen Umständen.
«Meine Herren, «fuhr der Fremde fort,»da Ihr mich nicht als einen Mann wiedererkennen wollt, der Euch ohne Zweifel das Leben zu verdanken hat, so muß ich mich wohl nennen: ich bin Lord Winter, der Schwager jener Frau.«
Die drei Freunde gaben einen Schrei des Staunens von sich.
Athos stand auf, reichte ihm die Hand und sprach:
«Seid willkommen, Mylord, Ihr gehört zu uns.«
«Ich reiste fünf Stunden nach ihr von Portsmouth ab, «sprach Lord Winter;»ich kam drei Stunden nach ihr in Boulogne an, ich verfehlte sie um zwanzig Minuten in Saint-Omer; endlich verlor ich in Lilliers ihre Spur. Ich überließ mich dem Zufalle, erkundigte mich nach Euch, als ich Euch im Galopp vorüberreiten sah. Ich erkannte Herrn d'Artagnan, rief Euch, aber Ihr antwortetet mir nicht. Ich wollte Euch folgen, doch mein Pferd war zu müde, um mit den Eurigen gleichen Schritt halten zu können, und dennoch scheint es, Ihr seid bei allein Eurem Eifer zu spät gekommen.«
«Ihr seht es, «sprach Athos und zeigte Lord Winter die tote Madame Bonacieux und d'Artagnan, den Porthos und Aramis in das Leben zurückzurufen suchten.
«Sind alle Beide tot?«fragte Lord Winter kalt.
«Zum Glücke, nein, «antwortete Athos,»d'Artagnan ist nur ohnmächtig.«
«Desto besser!«sprach Lord Winter.
D'Artagnan öffnete in diesem Momente die Augen wieder. Er entriß sich den Armen von Porthos und Aramis und warf sich wie ein Wahnsinniger auf die Leiche seiner Geliebten.
Athos stand auf, ging mit langsamem, feierlichem Schritt auf seinen Freund zu und sagte, als dieser in ein Schluchzen ausbrach, mit seiner so edlen, so überzeugenden Stimme:
«Freund! sei ein Mann, die Weiber beweinen die Toten, die Männer rächen sie!«
«Oh! ja, «sprach d'Artagnan,»ja, wenn es geschehen soll, um sie zu rächen, so bin ich bereit, Dir zu folgen.«
Athos genützte diesen Augenblick der Kraft, welche die Hoffnung auf Rache seinem unglücklichen Freunde wieder verlieh, und machte Porthos und Aramis ein Zeichen, die Aebtissin zu holen.
Die Freunde trafen sie in der Flur völlig verwirrt von so vielen Ereignissen. Sie rief einige Nonnen, welche gegen alle klösterliche Gebräuche vor den fünf Männern erschienen.
«Madame, «sagte Athos, indem er d'Artagnan beim Arme nahm,»wir überlassen Eurer frommen Sorge den Leib dieser unglücklichen Frau. Sie war ein Engel auf Erden, ehe sie ein Engel im Himmel wurde. Behandelt sie wie eine von Euern Schwestern, wir werden eines Tages wiederkehren, um auf ihrem Grabe zu beten.«
D'Artagnan verbarg sein Antlitz an der Brust seines Freundes und brach abermals in ein Schluchzen aus.
«Weine, «sagte Athos,»weine, Herz voll Liebe, Jugend und Leben! Ach, ich wünschte wohl auch wie Du weinen zu können.«
Und er zog seinen Freund fort, zärtlich wie ein Vater, tröstend wie ein Priester, groß wie der Mann, der viel gelitten hat.
Alle fünf begaben sich nun, von ihren Bedienten gefolgt, die ihre Pferde am Zügel führten, nach der Stadt Bethune, und hielten vor der ersten Herberge an, die sie erblickten.
«Aber verfolgen wir denn diese Frau nicht?«fragte d'Artagnan.
«Später, «antwortete Athos,»ich habe Maßregeln zu nehmen.«
«Sie wird uns entkommen, «entgegnete der junge Mann,»sie wird uns entkommen, Athos, und das ist Deine Schuld.«
«Ich stehe für sie, «sprach Athos.
D'Artagnan hatte ein solches Zutrauen zu dem Worte seines Freundes, daß er das Haupt neigte und ohne eine weitere Silbe in die Herberge eintrat.
Porthos und Aramis schauten sich an und konnten die Sicherheit von Athos nicht begreifen.
Lord Winter glaubte, er spreche so, um d'Artagnans Schmerz zu betäuben.
«Nun, meine Herren, «sagte Athos, nachdem er sich überzeugt hatte, daß fünf Zimmer im Hause frei waren,»nun wollen wir uns jeder in sein Zimmer zurückziehen. Für d'Artagnan ist es Bedürfniß, allein zu weinen, und für Euch, zu schlafen. Ich übernehme Alles, seid unbesorgt.«
«Es scheint mir jedoch, «erwiderte Lord Winter,»daß es mich angeht, wenn Maßregeln gegen die Gräfin zu nehmen sind, denn es ist meine Schwägerin.«
«Und es ist meine Frau, «sprach Athos.
D'Artagnan bebte, denn er begriff, daß Athos seiner Rache sicher war, da er ein solches Geheimniß enthüllte; Porthos und Aramis schauten sich erbleichend an; Lord Winter glaubte, Athos sei verrückt.
«Zieht Euch nun zurück, «sagte Athos,»und laßt mich machen. Ihr seht wohl, daß die Sache mich als den Gatten betrifft. Nur gebt mir das Papier, d'Artagnan, wenn Ihr es nicht verloren habt, das aus dem Hute jenes Mannes gefallen ist, und worauf der Name der Stadt geschrieben steht.«
«Ah!«rief d'Artagnan,»ich begreife, der von ihrer Hand geschriebene Name…«
«Du siehst wohl, «sprach Athos,»daß es einen Gott im Himmel gibt!«
XXXVI Der Rothmantel
Die Verzweiflung von Athos hatte einem tiefen innern Schmerz Platz gemacht, der die glänzenden Eigenschaften dieses Mannes noch leuchtender hervortreten ließ.
Nur mit einem Gedanken beschäftigt, nämlich an das Versprechen, das er geleistet, und an die Verantwortlichkeit, die er übernommen hatte, zog er sich zuletzt in sein Zimmer zurück, bat den Wirth, ihm eine Karte von der Gegend zu verschaffen, beugte sich über diese, betrachtete die auf derselben gezogenen Linien, fand, daß vier verschiedene Wege von Bethune nach Armentières führten, und ließ die Bedienten rufen.
Planchet, Grimaud, Mousqueton und Bazin erschienen und erhielten klare, pünktliche und ernste Befehle von Athos. Sie sollten mit Tagesanbruch abgehen und sich jeder auf einem andern Wege nach Armentières begeben. Planchet, der Gescheiteste von allen, sollte denselben einschlagen, wie der Wagen, auf welchen die drei Freunde geschossen hatten, und der, wie man sich erinnert, von dem Bedienten Rocheforts begleitet war.
Athos ließ die Bedienten zuerst ins Feld rücken, einmal weil er, seitdem diese Leute in seinem und seiner Freunde Dienst standen, bei jedem von ihnen verschiedenartige und wesentliche Eigenschaften erkannt hatte, und dann, weil Bedienten, wenn sie sich nach etwas erkundigen, den Bauern weniger Mißtrauen einflößen, als ihre Herren, und mehr Sympathie bei denjenigen finden, an welche sie sich wenden. Endlich kannte auch Mylady die Herren, während ihr die Knechte fremd waren.
Alle vier sollten sich am andern Tag um elf Uhr an einem bezeichneten Orte einfinden. Wenn sie den Aufenthalt Myladys entdeckt hätten, sollten drei zu ihrer Bewachung zurückbleiben, der vierte aber sollte wieder nach Bethune kommen, um Athos Kunde zu geben und den drei Freunden als Führer zu dienen.
Als diese Anordnungen getroffen waren, gingen auch die Bedienten schlafen.
Athos erhob sich nun von seinem Stuhl, gürtete sein Schwert um, hüllte sich in seinen Mantel und verließ die Herberge; es war zehn Uhr, um zehn Uhr finden sich bekanntlich in der Provinz nur selten Menschen auf den Straßen. Athos aber suchte offenbar irgend Jemand, an den er eine Frage richten könnte. Endlich ging ein Verspäteter vorüber, er näherte sich ihm und sagte einige Worte. Der Mann, an den er sich wandte, wich erschrocken zurück; er beantwortete jedoch die Frage des Musketiers durch ein Deuten. Athos bot diesem Menschen eine halbe Pistole, wenn er ihn begleiten würde, aber er schlug es aus.
Athos wandte sich nach einer Straße, die ihm der Befragte mit dem Finger bezeichnet hatte, aber als er auf einen Kreuzweg gelangte, gerieth er abermals in eine sichtbare Verlegenheit. Da er jedoch auf diesem Kreuzweg mehr als irgendwo einem Menschen zu begegnen hoffen durfte, so blieb er stille stehen. Bald kam auch wirklich ein Nachtwächter. Athos wiederholte die Frage, die er bereits an die erste Person, die er getroffen, gerichtet hatte. Der Nachtwächter gab denselben Schrecken kund, weigerte sich ebenfalls, Athos zu begleiten, und zeigte ihm mit der Hand den Weg, den er einzuschlagen hatte.
Athos ging in der ihm angegebenen Richtung vorwärts und erreichte die am entgegengesetzten Ende liegende Vorstadt. Hier schien er abermals unruhig und verlegen und stand zum dritten Male still.
Zum Glück kam ein Bettler vorüber, der sich Athos näherte und ihn um ein Almosen bat. Athos bot ihm einen Thaler an, wenn er ihn begleiten würde. Der Bettler zögerte einen Moment, aber beim Anblick des in der Dunkelheit schimmernden Geldstückes entschloß er sich und marschirte Athos voraus.
Als sie die Ecke einer Straße erreicht hatten, zeigte er ihm von ferne ein kleines, einsam gelegenes düsteres Haus. Athos eilte auf dasselbe zu, während der Bettler, nachdem er seine Belohnung erhalten hatte, aus Leibeskräften davonlief.
Athos ging rings um das Haus, ehe er die Thüre unter der rothen Farbe unterscheiden konnte, mit der es angemalt war. Kein Licht schien durch die Spalten der Fensterläden, kein Geräusch ließ vermuthen, daß es bewohnt wurde; es war stumm und traurig wie ein Grab.
Athos klopfte dreimal, ohne daß man antwortete; bei dem dritten Schlag näherten sich im Innern Tritte, die Thüre öffnete sich halb, und ein Mann von hohem Wuchse, bleicher Gesichtsfarbe, schwarzen Haaren und schwarzem Barte erschien.
Athos und er wechselten einige Worte mit leiser Stimme, dann machte der Mann von hohem Wuchse dem Musketiere ein Zeichen, daß er eintreten könne. Athos benützte sogleich diese Erlaubniß und die Thüre schloß sich hinter ihm.
Der Mann, den Athos in so großer Entfernung aufgesucht und nur mit Mühe gefunden hatte, ließ ihn in ein Laboratorium eintreten, wo er eben daran arbeitete, die klappernden Knochen eines Skelets mit Eisendraht an einander zu befestigen. Der ganze Körper war bereits zusammengefügt, nur der Kopf allein lag noch auf dem Tische.
Alles übrige Geräthe deutete an, daß der Mann, bei dem man sich befand, sich mit den Naturwissenschaften beschäftigte; es waren hier gläserne Gefäße voll von Schlangen mit Aufschriften nach den Gattungen, getrocknete Eidechsen glänzend wie Smaragde in großen Rahmen von Holz; Bündel von wildwachsenden, wohlriechenden Kräutern, ohne Zweifel mit Eigenschaften und Kräften ausgerüstet, die dem großen Haufen unbekannt waren, hingen an der Decke und in den Ecken der Stube.
Keine Familie, kein Gesinde war zu bemerken; der Mann von hohem Wuchse bewohnte das Haus allein.
Athos warf einen kalten, gleichgültigen Blick auf alle diese Gegenstände und setzte sich auf die Einladung des Mannes, den er aufgesucht hatte, zu diesem.
Er erklärte ihm die Ursache seiner Erscheinung und den Dienst, den er von ihm forderte; aber kaum hatte er ihm sein Verlangen auseinandergesetzt, als der Unbekannte, der vor dem Musketier stehen geblieben war, voll Schrecken zurückwich und Gehorsam verweigerte. Athos zog aus seiner Tasche ein kleines Papier, auf welches zwei mit einer Unterschrift uns einem Siegel versehene Zeilen geschrieben waren, und bot es demjenigen dar, welcher zu frühzeitig Zeichen des Widerstrebens kundgab. Der Mann von hohem Wuchse hatte kaum diese zwei Zeilen gelesen, die Unterschrift gesehen und das Siegel erkannt, als er sich verbeugte, zum Beweise, daß er keine Einwendung mehr zu machen habe und zu gehorchen bereit sei.
Athos verlangte nicht mehr, stand auf, verließ das Haus, ging auf demselben Wege, auf dem er gekommen war, wieder durch die Straßen, kehrte in das Hotel zurück und schloß sich in seinem Zimmer ein.
Mit Tagesanbruch trat d'Artagnan bei ihm ein und fragte, was zu thun sei.
«Warten, «antwortete Athos.
Einige Augenblicke nachher ließ die Aebtissin des Klosters die Musketiere benachrichtigen, daß die Beerdigung des Opfers von Mylady um die Mittagsstunde stattfinden solle. Von der Giftmischerin hatte man keine Kunde. Nur wußte man, daß sie durch den Garten entflohen war, man hatte auf dem Boden die Spur ihrer Tritte erkannt und die Thüre wieder geschlossen gefunden; der Schlüssel war verschwunden.
Zur bezeichneten Stunde begaben sich Lord Winter und die vier Freunde in das Kloster, alle Glocken wurden geläutet, die Kapelle war geöffnet, nur das Gitter des Chors war geschlossen. Mitten im Chor war der Leichnam des Opfers in seinen Novizenkleidern ausgestellt. Auf jeder Seite des Chors und hinter dem Gitter war die ganze Gemeinde der Karmeliterinnen versammelt, welche von hier aus den Gottesdienst hörte und ihren Gesang mit dem Gesänge des Priesters vermischte, ohne die Laien zu sehen und von ihnen gesehen zu werden.
An der Thüre der Kapelle fühlte d'Artagnan, daß ihn der Muth abermals verließ; er wandte sich, um Athos zu suchen; aber Athos war verschwunden.
Seiner Rachesendung getreu, hatte sich Athos in den Garten führen lassen, folgte auf dem Sande den leichten Tritten der Frau, von der überall, wo sie erschien, eine blutige Spur zurückblieb, gelangte bis zu der Thüre, öffnete diese und drang in den Wald.
Alle seine Zweifel wurden nun beseitigt: der Weg auf welchem der Wagen verschwunden war, lief um den Wald. Athos folgte diesem Wege eine Zeit lang, die Augen auf den Boden geheftet: leichte Blutspuren, welche entweder von einer Verwundung des Mannes, der den Wagen als Curier begleitete, oder von einem verwundeten Pferd herrührten, besprenkelten den Weg. Nach ungefähr einer Dreiviertelsmeile, fünfzig Schritte von Festubert entfernt, erschien ein größerer Blutfleck; der Boden war von den Pferden vertreten. Zwischen dem Walde und dieser verrätherischen Stelle, etwas hinter der vertretenen Erde, fand man dieselbe Spur von kleinen Tritten: der Wagen hatte stille gehalten.
Hier hatte Mylady den Wald verlassen und war in den Wagen gestiegen.
Befriedigt durch diese Entdeckung, welche alle seine Vermuthungen bestätigte, kehrte Athos in das Gasthaus zurück, wo er Planchet fand, der ungeduldig seiner harrte.
Alles war, wie es Athos vorhergesehen hatte.
Planchet hatte seinen Weg verfolgt und wie Athos die Blutspuren bemerkt, wie Athos hatte er die Stelle erkannt, wo die Pferde anhielten; aber er war weiter gegangen, als Athos, und hatte im Dorfe Festubert, im Wirthshause trinkend, ohne viel fragen zu müssen, erfahren, daß um halb neun Uhr am Abend vorher ein verwundeter Mann, der eine in einer Postchaise reisende Dame begleitete, habe einkehren müssen, weil ihm seine Schmerzen das Weiterreisen nicht gestatteten. Der Unfall war auf Rechnung von Räubern gesetzt worden, welche den Wagen im Walde angehalten haben sollten. Der Mann war im Dorfe zurückgeblieben, die Frau hatte frische Pferde genommen und ihre Reise fortgesetzt.
Planchet suchte den Postillon auf und fand ihn auch. Er hatte die Dame bis Fromelles geführt und von Fromelles war sie nach Armentières gereist. Planchet schlug einen Seitenweg ein, und erreichte Armentières um 8 Uhr Morgens. Es war hier nur ein Wirthshaus, das zur Post. Planchet gab sich für einen Lakai ohne Stelle aus, der einen Herrn suche. Er hatte noch keine zehn Minuten mit den Leuten vom Hause gesprochen, als er bereits wußte, daß um elf Uhr Abends eine Frau ganz allein angekommen war, ein Zimmer genommen, den Wirth gerufen und diesem gesagt hatte, sie wünsche einige Zeit in der Gegend zu bleiben.
Planchet brauchte nicht mehr zu wissen. Er lief nach dem zum Zusammentreffen bestimmten Ort, fand die drei Lakaien pünktlich auf ihrem Posten, stellte sie als Schildwachen vor alle Ausgänge des Gasthauses und kehrte zu Athos zurück, der gerade die letzte Meldung von Planchet angehört hatte, als seine Freunde wieder erschienen.
Auf allen Gesichtern waren finstere Wolken gelagert, selbst auf dem sanften Antlitz von Aramis.
«Was soll geschehen?«fragte d'Artagnan.
«Warten, «antwortete Athos.
Jeder zog sich in sein Zimmer zurück.
Abends um acht Uhr gab Athos Befehl, die Pferde zu satteln und Lord Winter und seine Freunde zu benachrichtigen, sie möchten sich zu dem Zuge bereit halten.
In einem Augenblick waren alle fünf fertig. Jeder untersuchte seine Waffen und setzte sie in gehörigen Stand. Athos ging zuletzt hinab und fand d'Artagnan bereits ungeduldig zu Pferde.
«Geduld, d'Artagnan, «sprach Athos,»es fehlt noch Einer.«
Die vier Freunde schauten erstaunt um sich her, denn sie besannen sich vergeblich, wer der Eine sein möge, der noch fehlen sollte.
In diesem Augenblick führte Planchet das Pferd von Athos herbei. Der Musketier sprang leicht in den Sattel.
«Wartet auf mich, «sagte er,»ich komme sogleich.«
Und er sprengte im Galopp davon.
Eine Viertelstunde nachher kam er wirklich in Begleitung eines maskierten und in einen großen rothen Mantel gehüllten Mannes zurück.
Lord Winter und die drei Musketiere fragten sich gegenseitig mit den Blicken. Keiner von ihnen konnte die Andern belehren, denn sie wußten insgesammt nicht, wer dieser Mann war. Sie dachten jedoch, es müsse so sein, da es auf Befehl von Athos geschah.
Um neun Uhr setzte sich die kleine Reitertruppe, von Planchet geführt, in Marsch und schlug den Weg ein, den der Wagen verfolgt hatte.
Sie boten einen traurigen Anblick, die sechs Männer, welche in der Stille hinritten, jeder in seine Gedanken vertieft, düster wie die Verzweiflung, ernst wie die Strafe.
XXXVII. Das Gericht
Es war eine stürmische, finstere Nacht. Schwere Wolken jagten am Himmel hin und verschleierten den Glanz der Gestirne; der Mond sollte erst um Mittemacht aufgehen. Zuweilen gewahrte man beim Schimmer eines Blitzes, der am Horizont zuckte, die Straße, wie sie sich weiß und einsam entrollte. Erlosch der Blitz, so trat wieder dieselbe Finsterniß ein.
Jeden Augenblick rief Athos d'Artagnan zu, der stets an der Spitze der kleinen Truppe ritt, und nöthigte ihn, in sein Glied zurückzukehren, das er nach einem Augenblick abermals verließ. Er hatte nur einen Gedanken, nämlich vorwärts zu kommen, und es drängte ihn. Man zog in der Stille durch das Dorf Festubert, wo der verwundete Bediente zurückgeblieben war, und dann längs dem Dorfe Richebourg. In Herlier angelangt, wandte sich Planchet, der den Zug stets anführte, nach links.
Wiederholt hatten es Lord Winter, Porthos oder Aramis versucht, den Mann mit dem rothen Mantel anzureden, aber auf jede Frage, die man an ihn richtete, verneigte er sich, ohne zu antworten. Die Reisenden begriffen sodann, daß der Unbekannte sein Stillschweigen aus triftigen Gründen beobachtete, und hörten auf, ihn auszuforschen.
Ueberdies nahm das Gewitter immer mehr zu, die Blitze folgten sich rascher, der Donner fing an zu rollen, und der Wind der Vorläufer des Orkans, pfiff durch die Federn und Haare der Reiter.
Die Reitertruppe schlug einen Trab an.
Jenseits Fromelles kam der Sturm zum Ausbruch. Man zog die Mäntel an. Es waren noch drei Meilen zurückzulegen, man machte sie unter Strömen von Regen. D'Artagnan hatte seinen Hut abgenommen und den Mantel nicht angezogen. Es war ihm eine Erquickung, das Wasser über seine glühende Stirne und seinen von Fieberschauern geschüttelten Körper rinnen zu lassen.
Im Augenblick, nachdem die kleine Truppe durch Goscal geritten war und sich vor der Post befand, machte sich ein an einen Baum gelehnter Mann von dem Stamme los, wo man ihn in der Dunkelheit nicht erkannt hatte, und trat, seinen Finger auf die Lippen legend, bis an die Mitte der Straße vor.
Athos erkannte Grimaud.
«Was gibt es?«rief d'Artagnan.»Sollte sie Armentières verlassen haben?«
Grimaud machte mit dem Kopfe ein bejahendes Zeichen. D'Artagnan knirschte mit den Zähnen.
«Stille, d'Artagnan!«sprach Athos,»ich habe Alles übernommen, und es ist folglich meine Sache, Grimaud zu befragen.«
«Wo ist sie?«fragte Athos.
Grimaud streckte die Hand in der Richtung der Lys aus.
«Fern von hier?«
Grimaud zeigte seinem Herrn einen gebogenen Finger.
«Allein?«
Grimaud bejahte durch ein Zeichen.
«Meine Herren, «sagte Athos,»sie ist eine halbe Meile von hier, in der Richtung des Flusses.«
«Gut, «sprach d'Artagnan;»führe uns, Grimaud.«
Grimaud ging querfeldein und diente der Cavalcade als Führer. Nach ungefähr fünfhundert Schritten fand man einen Bach, den man durchwatete. Beim Schimmer eines Blitzes gewahrte man ein Dorf.
«Ist es hier?«fragte d'Artagnan.
Grimaud schüttelte verneinend den Kopf.
«Stille also, «sprach Athos.
Und die Truppe setzte ihren Weg fort.
Ein anderer Blitz leuchtete. Grimaud streckte den Arm aus, und bei dem bläulichen Schein unterschied man ein kleines, einzeln stehendes Haus am Rande des Flusses, hundert Schritte von einer Fähre. Ein Fenster war erhellt.
«Wir sind an Ort und Stelle, «sprach Athos.
In diesem Augenblick erhob sich ein in einem Graben liegender Mann: es war Mousqueton. Er deutete mit dem Finger nach dem erleuchteten Fenster.
«Sie ist hier, «sagte er.
«Und Bazin?«fragte Athos.
«Während ich das Fenster bewachte, bewachte er die Thüre.«
«Gut, «sagte Athos,»Ihr seid Alle getreue Diener.«
Athos sprang von seinem Pferde, dessen Zügel er Grimaud überließ, und ging auf das Fenster zu, nachdem er den übrigen Mitgliedern seiner Truppe durch ein Zeichen angedeutet hatte, sie möchten sich nach der Thüre wenden.
Das kleine Haus war von einer lebendigen, zwei bis drei Fuß hohen Hecke umgeben. Athos sprang über die Hecke und gelangte bis zu dem Fenster, das der Läden entbehrte, dessen Halbvorhänge aber sorgfältig zugezogen waren.
Er stieg auf die steinerne Randleiste, damit sein Auge über die Höhe der Vorhänge reichen möchte. Beim Schimmer einer Lampe sah er eine in einen dunkelfarbigen Mantel gehüllte Frau auf einem Schemel in der Nähe eines erlöschenden Feuers sitzen. Sie stützte ihren Ellenbogen auf einen schlechten Tisch und hatte ihren Kopf in ihre elfenbeinweiße Hände gelegt.
Man konnte ihr Gesicht nicht unterscheiden, aber ein finsteres Lächeln zog über die Lippen von Athos. Es war keine Täuschung möglich. Er sah diejenige, welche er suchte.
In diesem Augenblick wieherte ein Pferd. Mylady schaute empor, erblickte dicht vor dem Fenster das bleiche Antlitz von Athos und stieß einen Schrei aus.
Athos begriff, daß sie ihn erkannt hatte, stieß mit dem Knie und der Hand an das Fenster, dieses gab nach, die Scheiben zerbrachen und Athos sprang, dem Gespenst der Rache ähnlich, in das Zimmer.
Mylady lief nach der Thür und öffnete sie. Noch bleicher, noch drohender als Athos, stand d'Artagnan auf der Schwelle.
Mylady wich kreischend zurück. D'Artagnan glaubte, sie habe ein Mittel zu entfliehen, und zog, ihr Entkommen befürchtend, eine Pistole aus seinem Gürtel. Aber Athos hob die Hand und sprach:
«Stecke die Waffe wieder an ihren Ort, d'Artagnan. Diese Frau soll gerichtet und nicht ermordet werden. Warte noch einen Augenblick, d'Artagnan, und Du sollst befriedigt sein. Tretet ein, meine Herren.«
D'Artagnan gehorchte, denn Athos hatte die feierliche Stimme und die mächtige Geberde eines vom Herrn im Himmel abgesandten Richters. Hinter d'Artagnan traten Porthos, Aramis, Lord Winter und der Rothmantel ein.
Die vier Lakaien bewachten die Thüre und das Fenster.
Mylady war auf ihren Sitz zurückgesunken und streckte die Hände aus, als wollte sie diese furchtbare Erscheinung beschwören. Als sie ihren Schwager erblickte, stieß sie einen gräßlichen Schrei aus.
«Was verlangt Ihr?«rief Mylady.
«Wir verlangen, «antwortete Athos,»Anna von Breuil, die sich Anfangs Gräfin de la Fère und sodann Lady Winter, Baronin von Sheffield genannt hat.«
«Ich bin es, «murmelte sie in höchster Bestürzung.»Was wollt Ihr von mir?«
«Wir wollen Euch richten nach Euren Verbrechen, «sagte Athos.»Es steht Euch frei, Euch zu vertheidigen; rechtfertigt Euch, wenn Ihr könnt. Herr d'Artagnan, Euch kommt die erste Anklage zu.«
D'Artagnan schritt vor und sprach:
«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau an, Constance Bonacieux, welche gestern Abend verschieden ist, vergiftet zu haben.«
Er wandte sich gegen Porthos und Aramis um.
«Wir bezeugen es, «sagten mit einer Bewegung die zwei Musketiere. D'Artagnan fuhr fort:
«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie mich mit dem Weine vergiften wollte, den sie mir von Villeroi mit einem falschen Briefe zuschickte, als ob der Wein von meinen Freunden käme. Gott hat mich gerettet, aber ein Mann, Namens Baisemout, ist statt meiner gestorben.«
«Wir bezeugen es, «sagten einstimmig Porthos und Aramis.
«Vor Gott und den Menschen, «sprach d'Artagnan weiter,»klage ich diese Frau an, mich zur Ermordung des Grafen von Wardes angereizt zu haben, und da Niemand hier ist, um die Wahrheit dieser Beschuldigung zu bezeugen, so bezeuge ich sie. Ich habe es gesagt.«
Nach diesen Worten trat d'Artagnan mit Porthos und Aramis auf die andere Seite des Zimmers.
«An Euch, Mylord, «sagte Athos.
Der Baron trat ebenfalls vor und sprach:
«Vor Gott und den Menschen klage ich diese Frau darüber an, daß sie den Herzog von Buckingham ermorden ließ.«
«Der Herzog von Buckingham ermordet!«riefen alle Anwesenden wie aus einem Munde.
«Ja, «erwiderte der Baron,»ermordet! Auf Euer warnendes Schreiben hin ließ ich diese Frau verhaften und übergab sie einem redlichen Diener zur Bewachung. Sie verführte diesen Menschen, drückte ihm den Dolch in die Hand, hieß ihn den Herzog ermorden, und in diesem Augenblick bezahlt Felton vielleicht mit seinem Kopfe das Verbrechen dieser Furie.«
Ein Schauer durchlief die Richter bei der Enthüllung dieser noch unbekannten Verbrechen.
«Das ist noch nicht Alles, «versetzte Lord Winter.»Mein Bruder, der Euch zu seiner Erbin eingesetzt hatte, ist in drei Stunden an einer seltsamen Krankheit gestorben, welche auf dem ganzen Körper schwarzblaue Flecken zurückläßt. Meine Schwester, wie ist Euer Gatte gestorben?«
«Gräulich!«riefen Porthos und Aramis.
«Mörderin Buckinghams! Mörderin Feltons! Mörderin meines Bruders! ich verlange Gerechtigkeit von Euch, und wenn sie mir nicht gegeben wird, so werde ich sie mir selbst nehmen!«
Und Lord Winter stellte sich neben d'Artagnan und ließ den Platz für einen andern Ankläger frei.
Myladys Stirne sank in ihre beiden Hände, sie suchte ihre durch einen tödtlichen Schwindel verwirrten Gedanken zu klären.
«Nun ist es an mir, «sprach Athos selbst, indem er zitterte, wie ein Löwe beim Anblick einer Schlange zittert,»nun ist es an mir. Ich heirathete diese Frau, als sie noch ein junges Mädchen war; ich heirathete sie wider den Willen meiner Familie; ich übergab ihr mein Vermögen, ich gab ihr meine Hand, und eines Tages bemerkte ich, daß diese Frau gebrandmarkt war. Diese Frau trug das Brandmal einer Lilie auf der linken Schulter.«
«Oh!«rief Mylady, sich erhebend,»ich fordere Euch auf, das Tribunal, welches diesen schändlichen Spruch über mich verhängt hat, aufzufinden. Ich fordere Euch auf, denjenigen, welcher ihn vollstreckte, zu finden.«
«Stille!«ließ sich eine Stimme vernehmen,»dies zu beantworten kommt mir zu!«
Und der Rothmantel trat ebenfalls näher.
«Wer ist dieser Mann? wer ist dieser Mann?«rief durch den Schrecken niedergeschmettert Mylady, deren Haare sich lösten und auf dem leichenblassen Haupte empor starrten, als ob sie lebendig gewesen wären.
Aller Augen wandten sich nach diesem Manne, denn mit Ausnahme von Athos war er allen unbekannt. Doch auch Athos schaute ihn mit eben so großer Verwunderung an, wie die Andern; er wußte nicht, wie derselbe im Zusammenhang mit dem furchtbaren Drama stehen konnte, das sich in diesem Augenblicke entwickelte.
Nachdem der Unbekannte sich langsam und feierlich Mylady genähert hatte, so daß ihn nur noch der Tisch von ihr trennte, nahm er seine Maske ab.
Mylady schaute einige Zeit mit allen Zeichen wachsenden Schreckens das bleiche, mit schwarzen Haaren und schwarzem Bart umgebene Gesicht an, dessen einziger Ausdruck eine eisige Unempfindlichkeit war. Dann rief sie plötzlich aufstehend und bis an die Wand zurückweichend:
«Oh! nein, nein, nein! Das ist eine höllische Erscheinung! Er ist es nicht! Zu Hülfe, zu Hülfe!«schrie sie mit rauher Stimme, und wandte sich nach der Wand um, als ob sie sich mit ihren Händen einen freien Durchgang hätte öffnen können.
«Aber wer seid Ihr denn?«riefen alle Zeugen dieser Scene.»Fragt diese Frau, «antwortete der Rothmantel;»denn Ihr seht wohl, daß sie mich wieder erkannt hat.«
«Der Henker von Lille! der Henker von Lille!«rief Mylady, von wahnsinnigem Schrecken erfaßt und sich mit den Händen an die Wand klammernd, um nicht zu fallen.
Alle Anwesenden wichen zurück und der Rothmantel stand allein mitten in der Stube.
«Oh! Gnade! Barmherzigkeit!«rief die Elende, auf die Kniee stürzend.
Der Unbekannte wartete, bis es wieder stille geworden war, und sprach sodann:
«Ich sagte Euch, daß sie mich wiedererkannt hat. Ja, ich bin der Henker der Stadt Lille. Hört meine Geschichte.«
Aller Augen waren auf den Mann geheftet, dessen Worten man mit ängstlicher Neugier entgegenharrte.
«Diese Frau war einst ein junges Mädchen, so schön, wie sie heute ist. Sie war eine Nonne im Kloster der Benedictinerinnen von Templemar. Ein junger Priester von schlichtem, gläubigem Herzen versah den Gottesdienst in der Kirche dieses Klosters. Sie unternahm es, ihn zu verführen, und es gelang ihr. Sie hätte auch einen Heiligen verführt.
«Ihre Gelübde, die Gelübde Beider, waren heilig, unwiderruflich: ihre Liebschaft konnte nicht lange dauern, ohne Beide in das Verderben zu stürzen. Sie bewog ihn, mit ihr die Gegend zu verlassen; aber um gemeinschaftlich nach einem andern Theil Frankreichs zu entfliehen, wo sie als Unbekannte ruhig leben könnten, brauchten sie Geld, und keines von Beiden besaß Geld. Der Priester stahl die heiligen Gefäße und verkaufte sie; aber als sie eben abreisen wollten, wurden Beide verhaftet.
«Acht Tage nachher hatte sie den Sohn des Kerkermeisters verführt und sich geflüchtet. Der junge Priester wurde zu zehn Jahren Kettenstrafe und zur Brandmarkung verurtheilt. Ich war der Henker der Stadt Lille, wie diese Frau sagt. Ich mußte den Schuldigen brandmarken, und der Schuldige, meine Herren, war mein Bruder.
«Ich schwor, daß diese Frau, welche ihn zu Grunde gerichtet hatte und mehr als seine Mitschuldige war, weil sie ihn zum Verbrechen antrieb, wenigstens seine Strafe theilen sollte. Ich vermuthete, an welchem Orte sie verborgen war, verfolgte, erreichte, knebelte sie, und drückte ihr dasselbe Mal auf, das ich meinem Bruder aufgedrückt hatte.
«Am Tage nach meiner Rückkehr nach Lille gelang es meinem Bruder, ebenfalls zu entweichen. Man klagte mich der Mitschuld an und verurtheilte mich, so lange im Gefängniß zu bleiben, bis er sich wieder gestellt hätte. Mein armer Bruder wußte nichts von diesem Urtheil. Er war mit der ehemaligen Nonne wieder zusammengetroffen und mit ihr nach Berri gezogen, wo er eine kleine Pfarre erhielt. Diese Frau galt für seine Schwester.
«Der Herr des Gutes, auf welchem die Kirche des Pfarrers lag, sah die angebliche Schwester und verliebte sich in sie, so daß er ihr die Ehe antrug. Da verließ sie denjenigen, welchen sie ins Verderben gestürzt hatte, um dem Manne zu folgen, den sie ins Verderben stürzen sollte, und wurde Gräfin de la Fère.«
Aller Augen wandten sie gegen Athos, dessen wirklicher Name dies war. Athos aber bestätigte mit einem Zeichen seines Kopfes, daß Alles, was der Henker gesagt hatte, der Wahrheit entsprach. Dieser fuhr fort:»In Verzweiflung, entschlossen sich eines Daseins zu entledigen, dem sie Ehre, Glück, Alles geraubt hatte, kam mein armer Bruder nun nach Lille zurück, und als er von dem Spruche hörte, der mich statt seiner verurtheilt hatte, gab er sich freiwillig in Haft und erhing sich an demselben Abend am Luftloche seines Kerkers.
«Um denjenigen, welche mich verurtheilt hatten, Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, muß ich bemerken, daß sie Wort hielten. Kaum war die Identität des Leichnams nachgewiesen, als man mich wieder in Freiheit setzte. Dies ist das Verbrechen, dessen ich sie anklage, dies die Ursache, warum ich sie gebrandmarkt habe.«
«Herr d'Artagnan, «sprach Athos,»welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«
«Die Todesstrafe!«antwortete d'Artagnan.
«Mylord von Winter. «fuhr Athos fort,»welche Strafe verlangt Ihr gegen diese Frau?«
«Die Todesstrafe!«antwortete Lord Winter.
«Meine Herren Porthos und Aramis, «sagte Athos,»Ihr, die Ihr ihre Richter seid, welche Strafe verhängt Ihr gegen diese Frau?«
«Die Todesstrafe!«antworteten mit dumpfer Stimme die zwei Musketiere.
Mylady stieß ein furchtbares Geheul aus und schleppte sich auf den Knieen einige Schritte gegen ihre Richter.
Athos streckte die Hand gegen sie aus.
«Anna von Breuil, Gräfin de la Fère, Mylady Winter, «sagte er,»Eure Verbrechen haben die Menschen auf Erden und Gott im Himmel ermüdet. Wenn Ihr ein Gebet wißt, so sprecht es, denn Ihr seid verurtheilt und müßt sterben.«
Bei diesen Worten, die ihr keine Hoffnung mehr übrig ließen, richtete sich Mylady in ihrer ganzen Höhe auf und wollte reden. Aber es fehlten ihr die Laute. Sie fühlte, daß eine mächtige, unwiderstehliche, unversöhnliche Hand sie an den Haaren faßte und unwiderruflich fortzog, wie das Verhängniß den Menschen fortzieht. Sie versuchte daher nicht einmal Widerstand zu leisten, und verließ die Hütte.
Lord Winter, d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen nach ihr hinaus; die Bedienten folgten ihren Herren, und die Stube blieb verlassen mit ihren zerbrochenen Fenstern, ihrer offenen Thüre und ihrer rauchigen Lampe, welche düster auf dem Tische fortbrannte.
XXXVIII. Die Hinrichtung
Es war um die Mitternachtsstunde. Der in seiner Abnahme sichelförmige und durch die letzten Spuren des Gewitters blutig gefärbte Mond ging hinter dem Dorfe Armentières auf, das in seinem bleichen Schimmer die düstere Silhouette seiner Häuser und das Skelett seines hohen, durchbrochenen Glockenthurms hervorhob. Vorn wälzte die Lys, einem Flusse von geschmolzenem Zinn ähnlich, ihre Wasser, während man auf dem andern Ufer das Profil einer schwarzen Masse von Bäumen auf einem stürmischen Himmel erblickte, dessen dicke, kupferrothe Wolken mitten in der Nacht eine Art von Dämmerung hervorriefen. Zur Linken erhob sich eine alte verlassene Mühle mit unbeweglichen Flügeln, in deren Trümmern von Zeit zu Zeit eine Nachteule ihr monotones, schrilles Geschrei hören ließ. Da und dort erschienen in der Ebene rechts und links vom Wege, auf dem sich der traurige Zug bewegte, niedrige, untersetzte Bäume, welche wie mißgestaltete Zwerge aussahen, die sich niedergekauert hätten, um in dieser finsteren Stunde Menschen aufzulauern.
Zuweilen öffnete ein mächtiger Blitz den Horizont in seiner ganzen Breite, schlängelte sich über die schwarze Masse der Bäume hin und trennte, wie ein furchtbarer Säbel, den Himmel und das Wasser in zwei Theile. Nicht der leiseste Wind bewegte die schwerfällige Atmosphäre. Eine Todtenstille lastete auf der ganzen Natur, der Boden war feucht und schlüpfrig von dem gefallenen Regen und die wiederbelebten Gräser und Kräuter ergossen ihre Wohlgerüche mit neuer Kraft.
Zwei Bediente schleppten Mylady, welche jeder von ihnen an einem Arme hielt. Der Henker ging hinter ihr. Lord Winter, d'Artagnan, Athos, Porthos und Aramis gingen hinter dem Henker. Planchet und Bazin kamen zuletzt.
Die zwei Diener führten Mylady nach dem Flusse. Ihr Mund war stumm, aber ihre Augen sprachen mit jener unaussprechlichen Beredsamkeit und flehten abwechselnd zu Jedem, den sie anschaute.
Als sie sich einige Schritte voraus sah, sagte sie zu den Bedienten:
«Tausend Pistolen für jeden von Euch, wenn ihr meine Flucht begünstigt; wenn Ihr mich aber Euren Herren ausliefert, so habe ich hier in meiner Nähe Rächer, die Euch meinen Tod theuer bezahlen lassen.«
Grimaud zögerte, Mousqueton zitterte an allen Gliedern.
Athos, der die Stimme Myladys gehört hatte, näherte sich rasch, Lord Winter that dasselbe.
«Schickt diese Bedienten weg, «sagte er,»sie hat mit ihnen gesprochen, sie sind nicht mehr sicher.«
Man rief Planchet und Bazin, welche die Stelle von Grimaud und Mousqueton einnahmen.
An den Rand des Wassers gelangt, trat der Henker zu Mylady und band ihre Hände und Füße.
Da brach sie das Schweigen und rief:»Ihr seid feige, elende Mörder, Ihr erhebt Euch zu zehn, um eine Frau umzubringen. Nehmt Euch in Acht, wenn man mir auch keine Hülfe bringt, so wird man mich doch rächen!..«
«Ihr seid kein Weib, «sprach Athos kalt,»Ihr gehört nicht dem Menschengeschlechts an, Ihr seid ein der Hölle entsprungener Teufel, den wir wieder dahin zurückschicken werden.«
«Oh! meine tugendhaften Herren, «sprach Mylady, gebt wohl Acht, daß derjenige von Euch, welcher ein Haar von meinem Haupte berührt, nicht auch ein Mörder ist.«
«Der Henker kann tödten, ohne darum ein Mörder zu sein, Madame, «sprach der Rothmantel und klopfte dabei an sein breites Schwert.»Er ist der Nachrichter, der letzte Richter und nichts Anderes.«
Während er sie band und diese Worte sprach, stieß Mylady wiederholt ein Geschrei aus, das gar düster und seltsam klang, ais es durch die Nacht hinflog und sich in der Tiefe des Waldes verlor.
«Wenn ich schuldig bin, wenn ich die Verbrechen begangen habe, deren Ihr mich bezichtigt, «heulte Mylady,»so führt mich vor ein Tribunal. Ihr seid nicht die Richter, die mich verdammen können.«
«Ich habe Euch Tyburn vorgeschlagen, «entgegnete Lord Winter,»warum habt Ihr es nicht angenommen?«
«Weil ich nicht sterben will, «rief Mylady, gegen den Henker sich sträubend,»weil ich zu jung bin, um zu sterben.«
«Die Frau, welche Ihr in Bethune vergiftet habt, war noch jünger, als Ihr, und ist dennoch gestorben, «sagte d'Artagnan.
«Ich werde in ein Kloster eintreten, ich werde den Schleier nehmen, «rief Mylady.
«Ihr waret in einem Kloster, «sprach der Henker,»und Ihr habt es verlassen, um meinen Bruder zu verderben.«
Mylady stieß abermals ein Angstgeschrei aus und fiel auf die Kniee.
Der Henker hob sie bei den Armen auf und wollte sie nach dem Nachen tragen.
«Oh! mein Gott, mein Gott!«rief sie.»Wollt Ihr mich denn ertränken?«
Dieses Geschrei hatte etwas so Herzzerreißendes, daß d'Artagnan, der Anfangs der erbittertste Verfolger Myladys war, sich auf einen Baumstumpf niederließ, das Haupt neigte und die Ohren mit seinen flachen Händen verstopfte; aber dennoch hörte er sie schreien und drohen.
D'Artagnan war der jüngste von allen diesen Männern; sein Herz erweichte sich.
«Oh! ich kann dieses furchtbare Schauspiel nicht ansehen, «sagte er;»ich kann nicht zugeben, daß diese Frau so stirbt.«
Mylady hatte die letzten Worte gehört und gab sich wieder einem Strahle der Hoffnung hin.
«D'Artagnan! d'Artagnan!«rief sie,»erinnerst Du Dich, daß ich Dich geliebt habe?«
Der junge Mann stand auf und machte einen Schritt gegen sie.
Athos stand ebenfalls auf, zog seinen Degen und stellte sich ihm in den Weg.
«Wenn Ihr noch einen Schritt macht, d'Artagnan, «sprach er,»so mögen sich unsere Schwerter kreuzen.«
D'Artagnan fiel auf die Kniee und betete.
«Auf!«fuhr Athos fort,»Henker, thue Deine Pflicht.«
«Gern, gnädiger Herr, «antwortete der Henker;»denn so wahr ich ein guter Katholik bin, glaube ich, daß ich gerecht handle, wenn ich mein Geschäft an dieser Frau vollziehe.«
Athos trat näher zu Mylady und sprach:
«Ich vergebe Euch das Böse, was Ihr mir zugefügt habt, ich vergebe Euch meine zertrümmerte Zukunft, meine verlorene Ehre, meine befleckte Liebe und mein für immer durch die Verzweiflung, in die Ihr mich gestürzt habt, zu Grunde gerichtetes Glück. Sterbt im Frieden!«
Lord Winter kam ebenfalls heran und sagte:
«Ich vergebe Euch die Vergiftung meines Bruders, die Ermordung Seiner Herrlichkeit, des Lord Buckingham, ich vergebe Euch den Tod des armen Felton, ich vergebe Euch, was Ihr gegen meine Person versucht habt. Sterbt im Frieden!«
«Was mich betrifft, «sprach d'Artagnan,»so vergebt mir, Madame, daß ich durch einen eines Edelmannes unwürdigen Betrug Euren Zorn hervorgerufen habe, und dagegen vergebe ich Euch die Ermordung meiner armen Freundin und die grausame Rache, die Ihr an mir verübt habt. Sterbt im Frieden!«
«I am lost!«murmelte Mylady englisch,»I must die!«[Fußnote]
Dann erhob sie sich und warf einen jener leuchtenden Blicke um sich, die aus einem Flammenauge hervorzuspringen schienen.
Sie sah nichts. Sie horchte, sie hörte nichts.
Sie hatte nur Feinde um sich her.
«Wo soll ich sterben?«fragte sie.
«Auf dem andern Ufer, «antwortete der Henker.
Dann ließ er sie in seine Barke eintreten, und als er den Fuß auf diese setzte, um ihr zu folgen, überreichte ihm Athos eine Summe Geldes.
«Nehmt, «sprach er,»hier ist der Lohn der Hinrichtung, damit man sehe, daß wir als Richter handeln.«
«Gut, «versetzte der Henker,»diese Frau soll nun erfahren, daß ich nicht mein Gewerbe treibe, sondern meine Pflicht erfülle.«
Und er warf das Geld in den Fluß.
«Seht, «sagte Athos,»diese Frau hat ein Kind, und dennoch hat sie kein Wort von ihrem Kinde gesprochen.«
Der Nachen entfernte sich nach dem linken Ufer der Lys, die Schuldige und den Nachrichter mit sich tragend. Die Anderen blieben auf dem rechten Ufer, und waren niedergekniet.
Der Nachen glitt langsam den Strick der Fähre entlang unter dem Widerschein einer bleichen Wolke, welche in diesem Augenblick über dem Wasser schwebte.
Man sah ihn am andern Ufer landen. Die Personen zeichneten sich schwarz an dem röthlichen Horizont ab. Mylady hatte während der Ueberfahrt den Strick an ihren Füßen loszumachen gewußt. Als sie sich nahe am Ufer befand, sprang sie leicht zu Boden und ergriff die Flucht.

Aber der Boden war feucht: oben auf der Böschung angelangt, glitt sie aus und fiel auf ihre Kniee nieder.
Ein abergläubischer Gedanke berührte sie ohne Zweifel. Sie sah ein, daß der Himmel ihr seinen Beistand versagte, und verharrte gebeugten Hauptes und mit gefalteten Händen in der Stellung, worin sie sich befand.
Da sah man vom andern Ufer den Henker langsam seine Arme erheben, ein Strahl des Mondes spiegelte sich auf der Klinge seines breiten Schwertes. Die beiden Arme fielen nieder, man hörte das Zischen des Schwertes, und eine verstümmelte Masse wälzte sich unter dem Streiche.
Dann nahm der Henker seinen rothen Mantel ab, legte den Körper darauf, warf den Kopf dazu, knüpfte den Mantel an seinen vier Enden zusammen, lud ihn auf seine Schulter, und stieg wieder in den Nachen.
Als er die Mitte der Lys erreicht hatte, hielt er die Barke an, hob seine Last über den Fluß und rief:
«Gottes Gerechtigkeit mag walten!«
Und er schleuderte den Leichnam in die Tiefe des Wassers, das sich über demselben schloß.
XXXIX. Eine Botschaft des Kardinals
Drei Tage nachher kamen die vier Musketiere nach Paris zurück. Sie hatten sich innerhalb der Grenzen ihres Urlaubs gehalten und statteten noch an demselben Abend Herrn von Treville ihren gewöhnlichen Besuch ab.
«Nun, meine Herren, «fragte sie der brave Kapitän,»habt Ihr Euch bei Eurem Ausfluge gut unterhalten?«
«Außerordentlich, «antwortete Athos in seinem und seiner Freunde Namen.
Am 6. des darauf folgenden Monats verließ der König, dem Versprechen getreu, das er dem Kardinal in Bezug auf seine Rückkehr nach La Rochelle geleistet hatte, die Stadt Paris, noch ganz betäubt von der Nachricht, die sich über die Ermordung Buckinghams verbreitete.
Obgleich davon unterrichtet, daß der Mann, den sie so sehr geliebt hatte, von einer Gefahr bedroht war, wollte die Königin, als man ihr diesen Tod ankündigte, nicht daran glauben. Sie rief sogar unkluger Weise aus:»Das ist falsch, er hat mir kürzlich erst geschrieben!«
Aber am andern Tage mußte sie wohl der unseligen Kunde Glauben schenken. La Porte, wie alle Menschen in England durch den Befehl des Königs Karl I. zurückgehalten, kam als Ueberbringer des letzten traurigen Geschenkes an, das Buckingham der Königin überschickte.
Der König war voll Freude, als er die Nachricht erhielt. Er gab sich nicht einmal die Mühe, diese Freude zu verbergen, sondern ließ sie sogar geflissentlich in Gegenwart der Königin hervorbrechen. Ludwig XIII. fehlte es, wie allen schwachen Geistern, an allem Edelmuth.
Bald aber wurde der König wieder düster und übler Laune. Seine Stirne war keine von denen, welche sich auf lange Zeit erheitern. Er fühlte, daß er sich, in das Lager zurückkehrend, wieder in seine Sklaverei begab, und dennoch kehrte er zurück.
Der Kardinal war für ihn die bezaubernde Schlange, und er war der Vogel, der von Zweig zu Zweig hüpft, ohne ihr entweichen zu können.
Die Rückkehr nach La Rochelle war auch äußerst traurig. Unsere Freunde besonders setzten ihre Kameraden in Erstaunen. Sie ritten dicht neben einander mit düsteren Augen und gesenkten Häuptern. Nur Athos allein hob seine breite Stirne von Zeit zu Zeit empor, ein Blitz leuchtete in seinen Augen, ein bitteres Lächeln zog über seine Lippen hin, und dann überließ er sich wieder, wie seine Kameraden, seinen finstern Träumereien.
Gleich nach der Ankunft der Eskorte in einer Stadt zogen sich die vier Freunde, sobald sie den König nach seiner Wohnung geleitet hatten, entweder nach ihren Quartieren oder in eine abgelegene Schenke zurück, wo sie weder spielten noch tranken, sondern nur unter sorgfältigem Umherschauen, ob Niemand sie hören könne, leise mit einander sprachen.
Als der König eines Tages auf dem Wege Halt gemacht hatte, um die Elster zu beizen, und die vier Freunde ihrer Gewohnheit gemäß, statt der Jagd zu folgen, in einem Wirthshaus an der Landstraße saßen, sprengte ein Mann, der von La Rochelle kam, mit verhängtem Zügel heran, hielt vor der Thüre, um ein Glas Wein zu trinken, und schaute ins Innere der Stube, wo sich die vier Musketiere befanden.
«Holla! Herr d'Artagnan, «sprach er,»seid Ihr es nicht, den ich da innen sehe?«
D'Artagnan schaute auf und stieß ein Freudengeschrei aus. Der Unbekannte, der ihn rief, war sein Gespenst, sein Unbekannter von Meung, von der Rue des Fossoyeurs und von Arras.
D'Artagnan zog den Degen und stürzte nach der Thüre. Aber statt zu fliehen, sprang der Unbekannte vom Pferde und lief d'Artagnan entgegen.
«Ah! mein Herr, «sprach der junge Mann,»endlich treffe ich Euch. Diesmal sollt Ihr mir nicht entgehen!«
«Das ist auch diesmal gar nicht meine Absicht, denn ich suchte Euch. Ich verhafte Euch im Namen des Königs!«
«Wie, was sagt Ihr?«rief d'Artagnan.
«Ihr habt mir Euren Degen zu geben, mein Herr, und zwar ohne Widerstand. Es geht um Euren Kopf, das sage ich Euch.«
«Wer seid Ihr denn?«fragte d'Artagnan den Degen senkend, aber ohne ihn abzugeben.
«Ich bin der Chevalier von Rochefort, der Stallmeister des Herrn Kardinals von Richelieu, und habe Befehl, Euch vor Se. Eminenz zu führen.«
«Wir kehren zu Seiner Eminenz zurück, Herr Chevalier, «sagte Athos vortretend,»und Ihr werdet wohl Herrn d'Artagnan auf sein Wort glauben, daß er sich in gerader Richtung nach La Rochelle begibt.«
«Ich muß ihn den Wachen überliefern, die ihn nach dem Lager führen werden.«
«Wir werden ihm als solche dienen, mein Herr, bei unserem adeligen Ehrenwort! Aber ich sage Euch auch, «fügte Athos die Stirne faltend bei,»ich sage Euch bei unserem adeligen Ehrenwort, daß uns Herr d'Artagnan nicht verläßt.«
Der Chevalier von Rochefort warf einen Blick zurück und sah, daß sich Porthos und Aramis zwischen ihn und die Thüre gestellt hatten. Er begriff, daß er ganz der Willkür dieser vier Männer bloßgestellt war.
«Meine Herren, «sagte er,»wenn mir Herr d'Artagnan seinen Degen übergeben und sein Wort dem Eurigen beifügen will, so begnüge ich mich mit Eurem Versprechen, Herrn d'Artagnan in das Quartier des Herrn Kardinals zu führen.«
«Ihr habt mein Wort, «sprach d'Artagnan,»und hier meinen Degen.«
«Das ist mir um so lieber, «fügte Rochefort bei,»als ich meine Reise fortsetzen muß.«
«Geschieht dies, um Mylady aufzusuchen, «sprach Athos kalt,»so bemüht Euch nicht, Ihr werdet sie nicht finden.«
«Was ist denn aus ihr geworden?«fragte Rochefort heftig.
«Kommt in das Lager zurück, und Ihr sollt es erfahren.«
Rochefort blieb einen Augenblick in Gedanken versunken. Da man aber nur noch eine Tagereise von Surgères entfernt war, bis wohin der Kardinal dem König entgegenkommen wollte, so beschloß er, den Rath von Athos zu befolgen und mit ihm zurückzukehren.
Ueberdies bot ihm diese Rückkehr einen weiteren Vortheil: er konnte seinen Gefangenen selbst überwachen.
Man setzte sich in Marsch.
Am andern Tag um drei Uhr Nachmittags erreichte man Surgères: der Kardinal erwartete hier Ludwig XIII. Der Minister und der König tauschten hier viele Schmeicheleien und Liebkosungen aus und beglückwünschten sich über den glücklichen Zufall, der Frankreich von dem erbitterten Feinde befreite, welcher ganz Europa gegen dasselbe aufwiegelte.
Sobald dies geschehen war, verabschiedete sich der Kardinal, welcher von Rochefort die Ankunft d'Artagnan's erfahren hatte und diesen sogleich vernehmen wollte, von dem König, indem er ihn einlud, am andern Tag die vollendeten Dammarbeiten zu besichtigen.
Als der Kardinal am Abend nach seinem Quartier am Pont de Pierre zurückkam, fand er d'Artagnan ohne Degen und die drei Musketiere bewaffnet vor dem Hause, das er bewohnte.
Da er ihnen diesmal an Kräften überlegen war, so schaute er sie streng an und gab d'Artagnan mit den Augen und mit der Hand ein Zeichen, ihm zu folgen.
«Wir erwarten Dich, d'Artagnan, «sprach Athos laut genug, daß es der Kardinal hören konnte.
Seine Eminenz faltete die Stirne, stand einen Augenblick still und setzte sodann seinen Weg fort, ohne eine Silbe zu sprechen.
D'Artagnan trat hinter dem Kardinal, Rochefort hinter d'Artagnan ein. Die Thüre wurde bewacht.
Seine Eminenz begab sich in das Zimmer, das ihm als Arbeitskabinet diente, und befahl Rochefort durch ein Zeichen, d'Artagnan einzuführen.
Rochefort gehorchte und zog sich zurück.
D'Artagnan blieb allein bei dem Kardinal. Es war seine zweite Zusammenkunft mit Richelieu, und er gestand später, er sei überzeugt gewesen, daß es seine letzte sein würde.
Richelieu blieb an dem Kamin stehen. Ein Tisch war zwischen ihm und d'Artagnan.
«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»Ihr seid auf meinen Befehl verhaftet worden.«—»Man hat es mir gesagt, Monseigneur.«—»Wißt Ihr, warum?«—»Nein, Monseigneur, denn die einzige Sache, wegen deren ich verhaftet werden könnte, ist Seiner Eminenz noch unbekannt.«
Richelieu schaute den jungen Mann fest an und rief:
«Holla! was wollt Ihr damit sagen?«
«Wenn mich Monseigneur zuerst über die Verbrechen belehren will, die man mir aufbürdet, so werde ich ihm sodann die Handlungen nennen, die ich begangen habe.«
«Man bürdet Euch Verbrechen auf, welche noch höhere Häupter, als das Eurige, fallen gemacht haben, «sagte der Kardinal.
«Welche, Monseigneur?«fragte d'Artagnan mit einer Ruhe, die den Kardinal in Erstaunen setzte.
«Man klagt Euch an, Ihr habet mit den Feinden des Königreichs korrespondirt; man klagt Euch an, Ihr habet Staatsgeheimnisse erlauscht; man klagt Euch an, Ihr habet die Pläne Eures Generals zu vereiteln gesucht.«
«Und wer beschuldigt mich dessen, Monseigneur?«sprach d'Artagnan, welcher sich dachte, daß die Anklage von Mylady komme.»Ein von den Gerichten gebrandmarktes Weib, ein Weib, das einen Mann in Frankreich und einen andern in England geheirathet, ein Weib, das seinen zweiten Gatten vergiftet und mich selbst zu vergiften gesucht hat.«
«Was sagt Ihr da, Herr!«rief der Kardinal voll Erstaunen,»von welchem Weibe sprecht Ihr so?«
«Von Mylady Winter, «antwortete d'Artagnan,»ja, von Mylady Winter, deren Verbrechen Eure Eminenz ohne Zweifel nicht kannte, als sie dieselbe mit ihrem Vertrauen beehrte.«
«Mein Herr, «sprach der Kardinal,»wenn Mylady Winter die Verbrechen begangen hat, deren Ihr sie bezichtigt, so soll sie bestraft werden.«—»Sie ist bestraft.«—»Und wer hat sie bestraft?«—»Wir.«—»Sie ist im Gefängniß?«—»Sie ist todt.«
«Todt!«wiederholte der Kardinal, der nicht an das glauben konnte, was er hörte.»Habt Ihr nicht gesagt, sie sei todt?«
«Dreimal versuchte sie es, mich zu tödten, und ich verzieh ihr; aber sie mordete eine Frau, die ich liebte; dann nahmen meine Freunde und ich sie gefangen, hielten Gericht und verurtheilten sie.«
D'Artagnan erzählte nun die Vergiftung von Madame Bonacieux im Kloster der Karmeliterinnen in Bethune, das Gericht in dem einsamen Hause und die Hinrichtung am Ufer der Lys. Ein Schauer lief dem Kardinal durch den ganzen Leib, und doch schauerte der Kardinal nicht so leicht.
Aber als ob sich plötzlich ein stummer Gedanke seiner bemeisterte, erhellte sich allmälig das bisher so düstere Antlitz des Kardinals und erlangte die vollkommenste Ruhe.
«Ihr habt Euch also, «sprach er mit einer Stimme, deren Weichheit in seltsamem Widerspruch mit der Strenge der Worte stand,»Ihr habt Euch also zu Richtern aufgeworfen, ohne zu bedenken, daß diejenigen, welche strafen und nicht den Auftrag dazu haben, Mörder sind?«
«Monseigneur, ich schwöre, daß ich nicht einen Augenblick die Absicht gehabt habe, meinen Kopf gegen Euch zu vertheidigen; ich werde mich der Strafe unterziehen, die Eure Eminenz über mich ausspricht. Ich hänge nicht so sehr am Leben, daß ich den Tod fürchten sollte.«
«Ja, ich weiß es, Ihr seid ein beherzter Mann, «sprach der Kardinal mit beinahe zärtlichem Tone;»ich kann Euch also zum Voraus sagen, daß man Gericht über Euch halten, ja sogar Euch verurtheilen wird.«
«Ein Anderer könnte Seiner Eminenz entgegnen, er habe seine Begnadigung in der Tasche; ich aber begnüge mich zu antworten: befehlt, Monseigneur, ich bin bereit.«—»Eure Begnadigung?«fragte Richelieu erstaunt. — »Ja, Monseigneur, «erwiderte d'Artagnan. — »Und von wem unterzeichnet? Vom König?«
Der Kardinal sprach diese Worte mit einem eigenthümlichen Ausdruck der Verachtung.
«Nein, von Eurer Eminenz.«—»Von mir? Ihr seid ein Narr, mein Herr.«—»Monseigneur wird ohne Zweifel seine Handschrift erkennen.«
Bei diesen Worten überreichte d'Artagnan dem Kardinal das kostbare Papier, das Athos Mylady entrissen und d'Artagnan übergeben hatte, dem es als Schutzwache dienen sollte.
Seine Eminenz nahm es und las es langsam und mit starker Betonung jeder einzelnen Silbe.
«Auf meinen Befehl und zum Wohle des Staates hat der Träger des Gegenwärtigen gethan, was er gethan hat.
«Im Lager von Rochelle, den 3. Aug. 1628.
«Richelieu.«
Der Kardinal versank in tiefes Nachsinnen, nachdem er das Papier gelesen hatte, gab es aber d'Artagnan nicht zurück.
«Er überlegt, durch welche Strafe er mich zum Tode befördern soll, «sagte der Gascogner ganz leise zu sich selbst.»Gut, er soll sehen, wie ein Edelmann stirbt.«
Der junge Musketier war in der besten Fassung, um heldenmütig zu scheiden.
Richelieu dachte immer noch nach, rollte das Papier in seiner Hand zusammen und rollte es wieder aus einander. Dann schaute er auf und heftete seinen Adlerblick auf diese redlichen, offenen, gescheiten Züge, auf dieses in Folge der Leiden, die er seit einem Monat ausgestanden, von Thränen durchfurchte Antlitz, und dachte zum dritten und vierten Male, wie viel dieser Junge von zwanzig Jahren Zukunft vor sich hatte, und welche Mittel seine Thätigkeit, sein Muth und sein Geist einem guten Herrn bieten konnten.
Andererseits hatten ihn die Verbrechen, die Macht, das höllische Genie Myladys mehr als einmal erschreckt. Er fühlte etwas wie eine geheime Freude darüber, daß er für immer von dieser gefährlichen Schuldgenossin befreit war.
Langsam zerriß er das Papier, welches ihm d'Artagnan so edelmüthig übergeben hatte.
«Ich bin verloren, «sprach d'Artagnan zu sich selbst.
Und er verbeugte sich tief vor dem Kardinal, wie ein Mensch, der da sagt:»Gnädiger Herr, Euer Wille soll geschehen.«
Der Kardinal trat an den Tisch, schrieb, ohne sich zu setzen, ein paar Zeilen auf ein Pergament, das zu zwei Dritteln bereits voll geschrieben war, und druckte sein Siegel darunter.
«Das ist meine Verurtheilung, «dachte d'Artagnan,»er erspart mir die Unannehmlichkeiten der Bastille und den langsamen Gang eines Gerichts. Ich finde das noch sehr liebenswürdig von ihm.«
«Nehmt, «sprach der Kardinal zu dem jungen Manne,»ich habe Euch ein Blanket genommen und gebe Euch ein anderes. Der Name fehlt auf diesem Patent, Ihr werdet ihn selbst eintragen.«
D'Artagnan ergriff das Papier zögernd und warf einen Blick darauf.
Es war eine Lieutenants-Stelle bei den Musketieren.
D'Artagnan fiel dem Kardinal zu Füßen.
«Monseigneur, «rief er,»mein Leben gehört von nun an Euch, verfügt darüber: aber ich verdiene die Gunst nicht, die Ihr mir bewilligt; ich habe drei Freunde, welche würdiger…«
«Ihr seid ein braver Junge, d'Artagnan, «unterbrach ihn der Kardinal und klopfte ihn, entzückt, diese widerspenstige Natur besiegt zu haben, vertraulich auf die Schulter;»macht mit diesem Patent, was Ihr wollt, da der Name weiß ist; nur erinnert Euch, daß ich es Euch gebe.«
«Ich werde es nie vergessen, «antwortete d'Artagnan,»Eure Eminenz darf dessen versichert sein.«
Der Kardinal wandte sich um und rief:»Rochefort«.
Der Chevalier hatte sich ohne Zweifel vor der Thüre aufgehalten, und trat sogleich ein.
«Rochefort, «sagte der Kardinal,»Ihr seht hier Herrn d'Artagnan, ich nehme ihn unter die Zahl meiner Freunde auf. Man umarme sich also und sei vernünftig, wenn man sein Leben lieb hat.«
Rochefort und d'Artagnan küßten sich mit dem Rande ihrer Lippen; aber der Kardinal war da und beobachtete sie mit wachsamem Auge. Sie verließen zu gleicher Zeit das Zimmer.
«Wir treffen uns wieder, nicht wahr, mein Herr?«sprachen sie. — »Wann es Euch gefällig ist, «sagte d'Artagnan.
«Die Gelegenheit wird sich finden, «erwiderte Rochefort.
«Was da?«brummte der Kardinal die Thüre öffnend.
Die Männer lächelten sich zu, drückten sich die Hand und verbeugten sich vor Seiner Eminenz.
«Wir fingen an unruhig zu werden, «sprach Athos, als der Musketier zurückkam.
«Hier bin ich, meine Freunde, «antwortete d'Artagnan. — »Frei?«—»Nicht allein frei, sondern in Gunsten.«—»Ihr werdet uns das erzählen.«—»Noch diesen Abend. Doch für diesen Augenblick trennen wir uns.«
D'Artagnan begab sich wirklich noch denselben Abend in die Wohnung von Athos, den er im besten Zuge fand, seine Flasche spanischen Wein zu leeren, ein Geschäft, dem er gewissenhaft jeden Abend oblag.
Er erzählte seinem Freunde, was zwischen ihm und dem Kardinal vorgefallen war, zog sein Patent aus der Tasche und sprach:
«Nehmt, mein lieber Athos, was Euch ganz natürlich zukommt.«
Athos lächelte in seiner sanften, liebenswürdigen Art und erwiderte:»Freund, für Athos ist es zu viel, für den Grafen de la Fère ist es zu wenig. Behaltet dieses Patent, es gehört Euch: ach! Ihr habt es theuer genug bezahlen müssen.«
D'Artagnan entfernte sich aus dem Zimmer von Athos und trat bei Porthos ein.
Er traf ihn in einem prächtigen, mit glänzenden Stickereien bedeckten Rock, wie er sich eben im Spiegel beschaute.
«Ah! ah!«rief Porthos,»Ihr seid es, lieber Freund; wie findet Ihr, daß mir dieser Rock steht?«
«Vortrefflich, «sprach d'Artagnan;»doch ich komme, um Euch ein Kleid anzutragen, das Euch noch viel besser stehen wird.«
«Welches?«—»Die Uniform eines Musketierlieutenants.«
D'Artagnan erzählte Porthos seine Unterredung mit dem Kardinal, zog das Patent aus seiner Tasche und sagte:
«Nehmt, mein Lieber, schreibt Euern Namen darauf und seid ein guter Chef für mich.«
Porthos warf einen Blick auf das Patent und gab es zum großen Erstaunen des jungen Mannes zurück.
«Ja, «sprach er,»das würde mir sehr schmeicheln, aber ich könnte diese Gunst nicht lange genug genießen; während unseres Zuges nach Bethune ist der Gatte meiner Herzogin gestorben, und da mir die Kasse des Seligen die Hand reicht, so heirathe ich die Wittwe. Seht, ich habe so eben meinen Hochzeitsanzug probirt. Behaltet das Lieutenantspatent, mein Lieber, behaltet es.«
Und er legte es d'Artagnan wieder in die Hände.
Der junge Mann begab sich zu Aramis.
Er fand ihn vor einem Betpult knieend, seine Stirne auf ein Andachtsbuch gestützt.
D'Artagnan erzählte ihm seine Zusammenkunft mit dem Kardinal, zog sein Patent zum dritten Mal aus der Tasche und sprach:
«Ihr, unser Freund, unser Licht, unser unsichtbarer Beschützer, empfangt dieses Patent; Ihr habt es mehr als jeder Andere durch Eure Weisheit und Eure stets von gutem Erfolge begleiteten Rathschläge verdient.«
«Ach! theurer Freund, «erwiderte Aramis,»unsere letzten Abenteuer haben mir einen gänzlichen Widerwillen gegen das Soldatenleben eingeflößt. Diesmal steht mein Entschluß unwiderruflich fest: nach der Belagerung trete ich bei den Lazaristen ein. Behaltet dieses Patent, d'Artagnan. Das Waffenhandwerk sagt Euch zu; Ihr werdet ein kühner und verwegener Kapitän sein.«
Das Auge feucht von Dankbarkeit, strahlend vor Freude kehrte d'Artagnan zu Athos zurück, den er immer noch am Tisch fand, wo er sein letztes Glas Malaga beim Schein einer Lampe beäugelte.
«Auch sie haben mich zurückgewiesen, «sagte er.
«Ganz einfach, lieber Freund, keiner war dieses Vorzugs würdiger, als Ihr.«
Er nahm eine Feder, schrieb in das Patent den Namen d'Artagnan und gab es ihm zurück.
«Ich werde also keine Freunde mehr haben, «sprach der junge Mann.»Ach! nichts mehr, als bittere Erinnerungen.«
Und er ließ sein Haupt zwischen seine beiden Hände fallen, während zwei Thränen an seinen Wangen herabrollten.
«Ihr seid noch jung, «erwiderte Athos, und Euere bittern Erinnerungen haben Zeit, sich in süße Erinnerungen zu verwandeln.«
Epilog
Der Hülfe der englischen Flotte und der von Buckingham versprochenen Diversion beraubt, ergab sich La Rochelle nach einer einjährigen Belagerung; am 25. Oktober 1628 unterzeichnete man seine Kapitulation.
Der König hielt am 23. Dezember desselben Jahres seinen Einzug in Paris. Man feierte ihm einen Triumph, als ob er den Feind und nicht Franzosen besiegt hätte. Er zog unter Bogen von grünem Laubwerk durch das Faubourg Saint-Jacques ein.
D'Artagnan nahm Besitz von seinem Grade. Porthos verließ den Dienst und heirathete im Verlauf des darauf folgenden Jahres Madame Coquenard. Die so schmerzlich ersehnte Kiste enthielt achtmalhunderttausend Livres.
Mousqueton trug eine prächtige Livree und genoß die Befriedigung, nach der er sein ganzes Leben getrachtet hatte, nämlich hinter einer vergoldeten Carrosse stehen zu dürfen.
Aramis verschwand plötzlich nach einer Reise ins Lothringische und schrieb seinen Freunden nicht mehr. Man erfuhr später durch Frau von Chevreuse, daß er in ein Kloster in Nancy eingetreten war. Bazin wurde Laienbruder.
Athos blieb unter d'Artagnans Befehl Musketier bis zum Jahr 1633, wo er, in Folge einer Reise in Roussillon, unter dem Vorwand eine kleine Erbschaft gemacht zu haben, ebenfalls quittirte.
Grimaud folgte Athos.
D'Artagnan schlug sich dreimal mit Rochefort und verwundete ihn dreimal.
«Ich werde Euch wahrscheinlich das vierte Mal tödten, «sagte er zu ihm und reichte ihm die Hand, um ihn aufzuheben.
«Es ist also besser für Euch und für mich, wir lassen es hiebei bewenden, «antwortete der Verwundete.»Zum Henker, ich meine es besser mit Euch, als Ihr vielleicht glaubt, denn bei unserem ersten Zusammentreffen durfte ich nur ein Wort zu dem Kardinal sagen, und man hätte Euch den Hals abgeschnitten.«
Sie umarmten sich, aber diesmal mit vollem Herzen und ohne einen Hintergedanken.
Planchet erhielt von Rochefort den Grad eines Sergenten im Regiment Piemont.
Herr Bonacieux lebte in vollkommener Ruhe, wußte durchaus nicht, was aus seiner Frau geworden war, und kümmerte sich auch nicht darum. Eines Tags hatte er die Unklugheit, sich dem Kardinal ins Gedächtniß zurückzurufen. Der Kardinal ließ ihm antworten, er werde dafür sorgen, daß es ihm in Zukunft an nichts mangle.
Am andern Tage ging Herr Bonacieux wirklich Abends um sieben Uhr aus, um sich nach dem Louvre zu begeben, und erschien nie mehr in der Rue des Fossoyeurs. Die Meinung derjenigen, welche sich für sehr gut unterrichtet hielten, ging dahin, daß er in irgend einem königlichen Schlosse auf Kosten Seiner freigebigen Eminenz freie Kost und Wohnung genieße.
Ende