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Tao Te King

Lao Tse


Lao Tse
Tao Te King

   Für meinen Vater

 
   Neufassung und Nachdichtung von Bodo Kirchner
   Salzburg, 2000

1. Vom Ursprung des Tao

   Der Weg, der beschrieben werden kann
   ist nicht der ewige Weg
   Der Name, der genannt werden kann
   ist nicht der ewige Name
   Das Namenlose ist der Ursprung des Himmels und der Erde
   Das Namhafte ist die Mutter aller Dinge
   Darum:
   Wer ohne Begehren ist
   sieht das Innere
   wer voll Begehren ist
   sieht nur das Äußere
   Der Ursprung ist der gleiche
   die Namen sind verschieden
   Ihre Einheit ist dunkel
   dunkel im Dunkel
   — das Tor zum Geheimnis

2. Vom Gegensatz

   Wer da sagt Schön
   schafft zugleich Unschön
   Wer da sagt Gut
   schafft zugleich Ungut
   Sein bedingt Nichtsein
   Schwer ergänzt Leicht
   Lang bemisst Kurz
   Hoch erzeugt Niedrig
   Laut bestimmt Leise
   Jetzt folgt Einst
   Darum der Weise:
   handelt ohne Tun
   lehrt ohne Worte
   Dinge entstehen und vergehen
   er erzeugt, ohne zu besitzen
   er handelt, ohne zu erwarten
   er vollendet, ohne zu verweilen
   Indem er sein Werk vergisst
   bleibt es unvergessen

3. Vom Ausgleich

   Begabte nicht zu bevorzugen
   hilft Streit zu vermeiden
   Schätze nicht zu sammeln
   hilft Diebstahl zu verhindern
   Begehrenswertes nicht zu beachten
   hilft Verwirrung vorzubeugen
   Darum der Weise:
   Er leert das Herz
   und füllt den Bauch
   Er mindert das Begehren
   und mehrt die Kraft
   Er lehrt das Volk
   Einfachheit und Genügsamkeit
   Er lehrt die Wissenden
   nicht einzugreifen
   Er wirkt ohne Handeln
   und nichts bleibt ungetan

4. Vom Wesen des Tao

   Das Tao ist leer
   sein Gebrauch
   unerschöpflich
   in seiner Tiefe
   der Ursprung aller Dinge
   Es bricht die Schärfe
   löst die Verwirrung
   mindert den Glanz
   findet den Grund
   Still verschwiegen, tief verborgen
   weiß ich nicht, woher es kommt
   Es ist der Ursprung des Himmels

5. Von der Natur

   Himmel und Erde sind gleichgültig
   alle Dinge sind ohne Bedeutung
   Die Weisen sind gleichgültig
   alle Menschen sind ohne Bedeutung
   Der Raum zwischen Himmel und Erde
   ist wie ein Blasebalg
   seine Leere ist seine Fülle
   Viele Worte sind schnell erschöpft
   besser ist, das Innere zu bewahren.

6. Vom Tiefgründigen

   Die tiefe Ruhe ist unvergänglich
   Sie ist das tiefe Weibliche
   des tiefen Weiblichen Pforte
   die Wurzel des Himmels und der Erde
   Wer sie bewahrt
   wirkt ohne Mühe.

7. Von der Selbstlosigkeit

   Himmel und Erde sind immer und ewig.
   Warum sind sie immer und ewig?
   Weil sie nicht sich selber leben
   darum leben sie selbst
   immer und ewig
   Darum der Weise:
   er tritt zurück
   daher ist er voraus
   er verliert sich selbst
   und bewahrt sich dabei selbst
   Ist es nicht so:
   weil er selbstlos ist
   kann er sich selbst vollenden

8. Vom Weg des Wassers

   Das höchste Gut ist wie Wasser
   Wasser ist gut
   allen Wesen zu dienen
   Es bemüht sich nicht
   und bleibt an Orten
   die Menschen verachten.
   Darin gleicht es dem Tao
   Der Wert des Hauses liegt im Ort
   Der Wert des Herzens liegt in der Tiefe
   Der Wert des Miteinander liegt in der Güte
   Der Wert der Rede liegt in der Wahrheit
   Der Wert der Führung liegt in der Ordnung
   Der Wert der Arbeit liegt im Können
   Der Wert des Handelns liegt im Zeitpunkt
   Kein Begehren — kein Tadel

9. Von der Gefahr des Erfolgs

   Besser ein Gefäß ungefüllt lassen
   als bis zum Rande füllen
   Besser ein Schwert nicht schärfen
   als durch Schleifen abzustumpfen
   Ein Haus voller Reichtum
   ist auf Dauer nicht zu schützen
   Der Stolz auf Ehre und Ruhm
   ist der Beginn des Unheils
   Ist das Werk getan
   tritt der Weise zurück
   Das ist der Weg des Himmels

10. Vom Wirken

   Wenn du die Seele förderst und das Eine umfängst
   kannst du ungeteilt sein
   Wenn du dich hingibst und biegsam wirst
   kannst du wie ein Kind sein
   Wenn du die Einsicht reinigst und läuterst
   kannst du makellos sein
   Wenn du das Volk liebst beim Lenken des Reiches
   kannst du tatenlos sein
   Wenn du die Tore des Himmels öffnest und schliesst
   kannst du nährend sein
   Wenn du klar und durchdringend bist
   kannst du unwissend sein
   Erzeugen und ernähren
   Innehaben doch nicht zu besitzen
   Wirken doch nicht beanspruchen
   Leiten doch nicht zu beherrschen
   das ist ursprüngliche Tugend

11. Vom Nutzen der Leere

   Dreißig Speichen treffen die Nabe
   Die Leere in der Mitte
   macht das Rad
   Ton formt man zu einem Krug
   Die Leere in der Mitte
   macht das Gefäß
   Türen und Fenster bricht man in Mauern
   Die Leere in der Mitte
   macht das Haus
   Darum:
   Die Form entsteht aus dem Sein
   Die Verwendung aus dem Nicht-Sein

12. Vom Überfluss

   Zuviele Farben gefährden das Sehen
   Zuviele Töne töten das Hören
   Zuviele Kost kostet den Geschmack
   Zuviel Zerstreuung erzeugt Verwirrung
   Zuviel Besitz besitzt den Besitzenden
   Darum der Weise:
   achtet auf das Innere
   nicht auf das Äußere
   Er gibt jenes auf
   und erhält dieses

13. Vom Selbst

   Glück und Unglück verursachen Furcht
   Leben und Tod liegen in unserem Selbst
   Was heißt:
   Glück und Unglück verursachen Furcht?
   Glück zu erlangen,
   Glück zu verlieren
   ist zu fürchten
   Was heißt:
   Leben und Tod liegen in unserem Selbst?
   Die Wurzel unserer Angst
   liegt im Selbst
   Wenn wir selbstlos sind
   wovor sollten wir Angst haben?
   Darum:
   Wer die Welt als sein Selbst achtet
   dem kann man die Welt überlassen
   Wer die Welt als sein Selbst liebt
   dem kann man die Welt anvertrauen

14. Vom Urtümlichen

   Wer es ansieht, sieht es nicht
   es ist das Unsichtbare
   Wer es anhört, hört es nicht
   es ist das Unhörbare
   Wer es anfasst, fasst es nicht
   es ist das Unfassbare
   Diese Drei sind untrennbar
   sie sind verbunden und das Eine
   Sein Aufgehen ohne Helligkeit
   sein Untergehen ohne Dunkelheit
   Es ist das Unendliche
   Es ist das Unnennbare
   Es verschwindet im Wiederkehren
   Es ist die Form des Formlosen
   Es ist das Bild des Bildlosen
   unbegreiflich und unerkennbar
   Vor ihm ist kein Anfang
   Nach ihm ist kein Ende
   Wer dem Tao der Vergangenheit folgt
   führt das Dasein in der Gegenwart
   Wer um den Anfang weiß
   kennt den rechten Weg

15. Von den alten Weisen

   Die alten Weisen
   waren im Tao bewandert
   weise und tiefsinnig
   verborgen und unerkannt
   nicht zu ergründen
   nur zu beschreiben:
   Ihre Haltung war
   behutsam, wie beim Überqueren eines Flusses im Winter
   vorsichtig, wie bei drohender Gefahr
   zurückhaltend, wie willkommene Gäste
   nachgebend, wie schmelzendes Eis
   einfach, wie rohes Holz
   offen, wie ein weites Tal
   anspruchslos, wie trübes Wasser
   Wer wie ein trübes Wasser sein kann
   kann in Stille zur Klarheit gelangen
   Wer in Bewegung behutsam ist
   kann in Ruhe zur Beständigkeit gelangen
   Wer dem Weg folgt
   sucht nicht den Überfluss
   Weil er nicht den Überfluss sucht
   bleibt er unvollendet
   weder alt noch neu

16. Vom Ewigen

   Erreiche die große Leere
   bewahre die tiefe Stille
   Alle Dinge entstehen und vergehen
   betrachte ihre Wiederkehr
   Alles kehrt zum Ursprung zurück
   Die Rückkehr zum Ursprung ist Stille
   dies ist der Weg der Natur
   Der Weg der Natur ist ewig
   Das Ewige zu kennen bringt Einsicht
   Das Ewige nicht zu kennen bringt Unheil
   Das Ewige zu kennen macht geduldig
   geduldig zu sein macht redlich
   redlich zu sein macht edel
   edel zu sein macht natürlich
   natürlich zu sein ist der rechte Weg
   Wer den rechten Weg geht
   ist ohne Zeit
   selbst wenn er vergeht
   dauert er fort

17. Vom Herrscher

   Die besten Herrscher waren kaum gekannt
   die folgenden geliebt und geehrt
   die folgenden gefürchtet
   die letzten verachtet
   Wer selbst kein Vertrauen hat
   wird auch kein Vertrauen finden
   Wählt er seine Weisung mit Bedacht
   werden die Werke vollendet
   dem Willen willfahren
   und das Volk sagt:
   Wir sind frei

18. Vom Verfall

   Wird der rechte Weg verlassen
   entstehen Güte und Moral
   Wissen und Klugheit kommen auf
   und große Heuchelei folgt
   Zerbricht die Eintracht der Familie
   entsteht Kindespflicht und Elternliebe
   Wenn das Land in Wirren und Chaos gerät
   treten ergebene Staatsdiener auf

19. Von der Schlichtheit

   Brich mit der Weisheit
   verwerfe die Klugheit
   das Volk wird vielfachen Nutzen haben
   Brich mit dem Wohlwollen
   verwerfe die Pflichten
   das Volk wird wie eine Familie sein
   Brich mit der Geschicklichkeit
   verwerfe den Vorteil
   Räuber und Diebe werden verschwinden
   Diese Drei sind äußerlich
   für sich selbst ungenügend
   Darum folge den Grundsätzen:
   Erkenne das Einfache
   Pflege das Schlichte
   Lege die Selbstsucht ab
   Mäßige das Verlangen

20. Von der Freiheit

   Gib das Wissen auf
   Sei ohne Angst
   Gibt es einen Unterschied zwischen Ja und Nein?
   Gibt es einen Unterschied zwischen Gut und Böse?
   Muss ich fürchten, was alle fürchten?
   Welch ein Unsinn!
   Die Masse freut sich am Tieropfer
   und im Frühling am Besteigen der Berge
   Ich allein bleibe still, ohne Schicksal
   wie ein neugeborenes Kind
   wie einer ohne Heimat
   Andere besitzen in Fülle
   mich erfüllt Besitzlosigkeit
   ich bin wie ein Narr
   verloren und verwirrt
   Andere scheinen hell und klar
   ich scheine dunkel und trübe
   Andere scheinen klug und erleuchtet
   ich scheine dumm und umnachtet
   schwankend wie das Meer
   haltlos wie der Wind
   Andere sind geschäftig
   ich bin fern wie ein Einsiedler
   Ich bin anders als die andern
   mich ernährt die Große Mutter

21. Vom Unfassbaren

   Die höchste Tugend ist
   dem rechten Weg zu folgen
   Der rechte Weg ist
   unfassbar und unbegreiflich
   Unfassbar und unbegreiflich
   ist sein innerstes Bild
   Unfassbar und unbegreiflich
   ist seine innerste Form
   Verborgen und unergründlich
   ist sein innerstes Wesen
   Sein Wesen ist die Wirklichkeit
   Sein Innerstes ist die Wahrheit
   von damals bis heute
   ist sein Name immer gleich
   am Anfang aller Dinge
   Woher ich vom Anfang aller Dinge weiß?
   Eben durch dies

22. Vom Sichbescheiden

   Was nachgibt, wird vollkommen
   was biegsam ist, wird gerade
   was leer ist, wird voll
   was vergeht, wird neu
   was zuwenig ist, wird bereichernd
   was zuviel ist, wird verwirrend
   Darum hält sich der Weise an das Eine
   und wird zum Vorbild der Welt:
   Er beachtet sich nicht
   und ist darum geachtet
   Er schätzt sich nicht
   und ist darum geschätzt
   Er rühmt sich nicht
   und ist darum berühmt
   Er bewundert sich nicht
   und wird darum bewundert
   Weil er nicht streitet
   kann niemand mit ihm streiten
   Ist es nicht wahr,
   was die Alten sagten?
   Was nachgibt, wird vollkommen
   So waren sie vollkommen

23. Vom Einswerden

   Die Natur spricht wenig
   Ein Sturmwind dauert keinen Morgen
   ein Platzregen dauert keinen Tag
   Beides bewirkt die Natur
   Wenn die Natur nicht dauert
   wieviel weniger der Mensch
   Darum:
   Wer dem rechten Weg folgt
   wird eins mit dem Weg
   Wer der rechten Tugend folgt
   wird eins mit der Tugend
   Wer der Leere folgt
   wird eins mit der Leere
   Wer eins wird mit dem rechten Weg
   den nimmt der rechte Weg freudig auf
   Wer eins wird mit der Tugend
   und nimmt die Tugend freudig auf
   Wer eins wird mit der Leere
   den nimmt die Leere freudig auf
   Wer nicht genügend vertraut
   wird kein Vertrauen finden

24. Von der Übertreibung

   Wer auf den Zehen steht
   steht nicht gut
   Wer seine Beine spreizt
   geht nicht gut
   Wer sich zur Schau stellt
   ist nicht erleuchtet
   Wer selbstgerecht ist
   wird nicht geachtet
   Wer sich selbst rühmt
   hat keine Ehre
   Wer sich selbst bewundert
   hat keine Größe
   In Hinblick auf den rechten Weg
   ist dies nutzlose Übertreibung
   jeder verabscheut es
   Darum:
   Wer auf dem rechten Weg ist
   hält sich nicht damit auf

25. Von der Größe des Tao

   Ehe Himmel und Erde entstanden
   bestand ein geheimnisvoll Unbestimmtes
   schweigend, abgeschieden,
   einzig und unwandelbar,
   ewig kreisend in Bewegung
   es gilt als Mutter der Welt
   Ich kenne seinen Namen nicht
   ich nenne es Tao
   sein Name ist groß
   groß heißt vergehend
   vergehend heißt entfernt
   entfernt heißt wiederkehrend
   Darum:
   Das Tao ist groß
   der Himmel ist groß
   die Erde ist groß
   der Mensch ist auch groß
   das sind die vier Großen des Alls
   Der Mensch ist einer davon
   Der Mensch folgt der Erde
   die Erde folgt dem Himmel
   der Himmel folgt dem Tao
   Das Tao folgt sich selbst

26. Vom Schweren

   Das Schwere begründet das Leichte
   Die Stille beruhigt das Laute
   Darum reist der Weise leicht
   und nimmt das Schwere mit sich
   Glanz lässt ihn gelassen
   Wenn der Herrscher
   die Welt leichtnimmt
   wird er leichtfertig
   und verliert den Halt
   wird er rastlos
   verliert er die Herrschaft

27. Vom Vorteil des Mangels

   Ein guter Weg hat keine Spur
   eine gute Rede keine Schrift
   ein guter Rechner keine Rechnung
   ein gutes Tor keinen Riegel
   — und ist doch nicht zu öffnen
   ein guter Knoten zieht nicht fest
   — und ist doch nicht zu lösen
   Darum der Weise
   nimmt sich aller Menschen an
   und schließt niemanden aus
   Er nimmt sich aller Dinge an
   und verwirft nichts
   Er erhellt alles
   So ist der Weise
   dem Schwachen ein Lehrer
   der Schwache
   dem Weisen eine Hilfe
   Wer den Lehrer nicht schätzt
   und die Hilfe nicht annimmt
   geht in die Irre
   so klug er auch sein mag
   Darin liegt das Geheimnis

28. Vom Bewahren

   Erkenne das Männliche
   bewahre das Weibliche
   darauf beruht die Welt
   Wer die Welt bewahrt
   ist der Tugend nah
   wie ein kleines Kind
   Erkenne das Helle
   bewahre das Dunkle
   sei der Welt ein Vorbild
   Wer der Welt ein Vorbild ist
   erhält die Tugend
   und kehrt zurück
   ins Unendliche
   Erkenne den Ruhm
   bewahre die Bescheidenheit
   sei die Tiefe der Welt
   Wer die Tiefe der Welt ist
   ist von Tugend erfüllt
   und kehrt zurück
   ins Einfache
   Wer das Einfache teilt
   macht daraus Nützliches
   Macht der Weise sich nützlich
   wird ein Beamter aus ihm
   Darum teilt das Tao nicht

29. Vom Nicht-Tun

   Wer sich der Welt bemächtigen
   und sie verändern will
   dem wird es nicht gelingen
   denn die Welt ist ein heiliges Gefäß
   sie kann nicht verbessert werden
   Wer sie verändert, verdirbt sie
   wer sie festhält, verliert sie
   In der Ordnung der Natur
   ist Führen und Folgen
   Einatmen und Ausatmen
   Stärke und Schwäche
   Aufstieg und Fall
   Darum meidet der Weise
   das Großartige
   das Besondere
   das Übermaß

30. Vom Krieg

   Wer auf dem rechten Weg
   den Herrscher berät
   ist gegen Waffengewalt
   Unter Waffen gehen
   heißt untergehen
   Hinter den Heeren
   wachsen Disteln und Dornen
   Große Armeen
   bringen große Armut
   Erreiche dein Ziel
   das ist genug
   Vertraue nicht den Waffen
   Erreiche dein Ziel
   ohne Stolz
   ohne Prahlen
   ohne Hochmut
   aus Notwendigkeit
   aber hüte dich
   vor der Gewalt
   Denn nach dem Sieg
   folgt der Niedergang
   ohne den rechten Weg
   Ohne den rechten Weg
   geht es rasch zu Ende

31. Von den Waffen

   Waffen sind Werkzeuge des Unglücks
   bei allen Geschöpfen verhasst
   Wer den rechten Weg geht
   der läßt sie liegen
   Der Weise liebt das Schöpferische
   der Krieger liebt das Zerstörerische
   Waffen sind Werkzeuge des Unglücks
   und nicht Werkzeuge des Weisen
   Er verwendet sie nur
   wenn er keine Wahl hat
   Ruhe und Friede sind ihm das Höchste
   Und ein Sieg ist kein Grund zur Freude
   Freude am Siegen ist Freude am Töten
   Wer jedoch Freude am Töten hat
   wird in der Welt keine Erfüllung finden
   Wenn viele Menschen getötet werden
   müssen sie voll Kummer betrauert werden
   Darum ist jeder Sieg eine Trauerfeier

32. Von der Einheit des Tao

   Der rechte Weg ist ewig
   von namenloser Schlichtheit
   und obwohl unscheinbar
   kann er nicht erfasst werden
   Wären die Herrscher fähig
   den Weg zu bewahren
   würden alle Wesen folgen
   Himmel und Erde sich vereinigen
   um süßen Tau zu regnen
   und das Volk, ohne Zwang
   wäre redlich und einig.
   Beginnt die Unterscheidung
   so entstehen Begriffe
   Wenn Begriffe auftauchen
   ist es besser innezuhalten
   Weiß man innezuhalten
   entsteht keine Gefahr
   Der rechte Weg ist in der Welt
   wie Bäche und Flüsse
   in den Strömen und Meeren

33. Vom Weisen

   Wer andere kennt ist klug
   wer sich selbst kennt ist weise
   Wer andere überwindet ist stark
   wer sich selbst überwindet ist mächtig
   Wer genügsam ist, der ist reich
   wer beharrlich ist, der ist ausdauernd
   wer seine Mitte nicht verliert, der dauert
   Wer stirbt, doch nicht vergeht
   lebt in ewiger Gegenwart

34. Vom Wirken des Tao

   Das große Tao fließt überall
   rechts oder links
   alle Wesen vertrauen ihm
   und werden nicht enttäuscht
   Ist das Werk vollendet
   fordert es nichts
   Es kleidet und nährt alle Wesen
   ohne sie zu beherrschen
   ohne Denken, ohne Ziel
   erscheint es sehr klein
   Es ist die Heimat aller Dinge
   ohne sie zu beherrschen
   erscheint es sehr groß
   Es bewirkt Großes
   jedoch nicht für sich selbst
   Darum ist es wahrhaft groß

35. Vom Weitergehen

   Folge dem Einen Weg
   und die ganze Welt folgt
   ohne Leid und in Frieden
   in ruhigem Gleichgewicht
   Bietet sich Musik und Speise
   bleibt der Wanderer gerne stehen
   Der rechte Weg jedoch
   ist ohne Wohlklang und Würze
   Bei allem Schauen
   ist er nicht zu sehen
   Bei allem Lauschen
   ist er nicht zu hören
   Sein Nutzen ist ohne Ende
   er erschöpft sich nie

36. Vom tiefen Zusammenhang

   Was geschmälert werden soll
   muss zuvor ausgedehnt werden
   Was geschwächt werden soll
   muss zuvor verstärkt werden
   Was gestürzt werden soll
   muss zuvor erhöht werden
   Was genommen werden soll
   muss zuvor gegeben werden
   Dies erkennen heißt
   die tiefen Zusammenhänge erkennen:
   Das Weiche und Schwache
   überwindet das Harte und Starke
   Fische sollen in der Tiefe des Wassers bleiben
   Eine große Macht soll ihre Überlegenheit nicht zeigen

37. Vom Nicht-Handeln

   Das Tao handelt nicht
   doch nichts bleibt ungetan
   Wären die Herrscher fähig
   dem rechten Weg zu folgen
   würden alle Menschen
   sich ihrer Natur nach entfalten
   Das Begehren zu handeln
   kann nur durch das Einfache
   das Namenlose und Ursprüngliche
   gestillt werden
   Das Einfache ist wunschlos
   Das Wunschlose ist ohne Tun
   und die Welt ordnet sich von selbst

38. Vom Niedergang

   Der Weise strebt nicht nach Weisheit
   darum ist er weise
   der Wohlwollende strebt nach Weisheit
   darum ist er nicht weise
   Der Weise handelt nicht, ohne Absicht
   der Wohlwollende handelt nicht, mit Absicht
   Der Menschliche handelt ohne Absicht
   der Gerechte handelt mit Absicht
   der Gesetzestreue handelt
   und folgt ihm keiner
   erzwingt er es
   Darum:
   Wenn die Weisheit verlorengeht
   herrscht Wohlwollen
   Wenn das Wohlwollen verlorengeht
   herrscht Menschlichkeit
   Wenn die Menschlichkeit verlorengeht
   herrscht Gerechtigkeit
   Wenn die Gerechtigkeit verlorengeht
   herrscht Gesetzestreue
   Doch die Gesetzestreue
   ist nur dürftige Redlichkeit
   und der Beginn der Verwirrung
   Wissen ist nur glänzender Schein
   und der Beginn der Unwissenheit
   Darum verweilt der Weise
   bei der Fülle des Tao
   nicht bei dessen Dürftigkeit
   bei seiner Wirklichkeit
   nicht bei dessen Schein
   Darum läßt er jenes
   und nimmt dieses an

39. Vom Einklang

   Einst war alles im Einklang mit dem Einen:
   Der Einklang des Himmels schafft Klarheit
   der Einklang der Erde schafft Beständigkeit
   der Einklang der Geister schafft Erleuchtung
   der Einklang der Quellen schafft Fülle
   der Einklang der Wesen schafft Leben
   der Einklang der Herrscher schafft Frieden
   Ohne Klarheit würde der Himmel zerbrechen
   ohne Beständigkeit würde die Erde zerfallen
   ohne Erleuchtung würden die Geister vergehen
   ohne Fülle würden die Quellen versiegen
   ohne Leben würden die Wesen sterben
   ohne Frieden würden die Herrscher stürzen
   Darum ist das Niedrige die Wurzel des Hohen
   das Demütige die Grundlage des Erhabenen
   Darum betrachten sich die Herrscher als gemein
   weil sie im gemeinen Volk wurzeln
   Wer die Teile des Ganzen entfernt
   zerstört das Ganze
   Glänze nicht wie Jade
   sei einfach, wie ein Stein

40. Von der Wiederkehr

   Wiederkehr ist der Weg des Tao
   Nachgiebigkeit die Weise des Tao
   Alles wird aus dem Sein geboren
   das Sein jedoch aus dem Nicht-Sein

41. Von den großen Gegensätzen

   Wenn der Kluge vom rechten Weg hört
   bemüht er sich, ihm zu folgen
   Wenn der Mittelmäßige von ihm hört
   folgt und verliert er ihn
   Wenn der Törichte von ihm hört
   lacht er schallend
   Wenn er nicht darüber lacht
   wäre es nicht der rechte Weg
   Darum heißt es:
   Der rechte Weg verschwindet im Dunkel
   ein Schritt voran ist wie ein Schritt zurück
   der ebene Weg scheint wie ein Auf und Ab
   Die höchste Tugend erscheint wie niedrig
   der größte Wert erscheint wie unwert
   der wahre Reichtum wie unzureichend
   innere Stärke erscheint wie Schwäche
   die reine Wahrheit erscheint wie Täuschung
   Der vollkommene Raum hat kein Ende
   das vollkommene Gefäß keine Form
   der vollkommene Klang keinen Ton
   die vollkommene Form kein Bild
   Der rechte Weg ist verborgen und namenlos
   er erhält und vollendet alles

42. Vom Wissen um die Gegensätze

   Aus dem Tao entsteht die Einheit
   aus der Einheit der Gegensatz
   aus dem Gegensatz die Vielfalt
   aus der Vielfalt die ganze Welt
   Die ganze Welt
   trägt in sich das dunkle Yin
   und um sich das lichte Yang
   durch die Kraft der Leere
   bleiben diese im Einklang
   Die Menschen wollen nicht
   einsam und unwürdig sein
   und doch bezeichnen sich
   die Herrscher gerade so
   Denn man gewinnt durch Verlust
   und verliert durch Gewinn
   Was andere lehren, das lehre auch ich:
   Ein starker Herrscher
   nimmt kein gutes Ende
   Das ist der Ursprung meiner Lehre

43. Vom Wirken ohne Tun

   Das Nachgiebige überwindet das Starre
   Das Formlose durchdringt die Form
   Deshalb weiß ich:
   Wirken entsteht durch Nicht-Tun
   Lehren ohne Worte
   Wirken ohne Tun
   wenigen gelingt dies

44. Von der Genügsamkeit

   Ruhm oder Leben
   was zählt mehr?
   Besitz oder Leben
   Was wiegt mehr?
   Besitz gewinnen
   sich selbst verlieren
   was ist schlimmer?
   Wer viel begehrt
   verausgabt sich
   Wer viel besitzt
   verliert sich
   Wer Fülle meidet
   erreicht Erfüllung
   Wer inne hält
   erhält inneren Halt
   und bleibt
   sich selbst erhalten

45. Von der Vollkommenheit

   Die größte Vollkommenheit:
   erscheint sie unvollkommen
   so ist sie brauchbar
   Die größte Fülle:
   erscheint sie leer
   so ist sie unerschöpflich
   Das höchst Gerade ist wie krumm
   das höchst Gescheite ist wie dumm
   das höchst Beredte ist wie stumm
   Bewegung überwindet Erstarrung
   Besonnenheit überwindet Erregung
   Stille und Klarheit
   bewirken Ordnung
   in der Welt

46. Vom Genügen

   Wenn die Welt dem rechten Weg folgt
   ziehen die Pferde den Jauchewagen
   Wenn die Welt den rechten Weg verläßt
   züchtet man Streitrosse an den Grenzen
   Keine größere Schwäche
   als das Begehren
   Kein größeres Unheil
   als Unzufriedenheit
   Keine größere Sünde
   als die Habgier
   Erkenne darum
   dass genug genug ist
   und immer genügen wird

47. Vom Inneren Wissen

   Ohne aus dem Haus zu gehen
   kannst du die Welt erkennen
   Ohne aus dem Fenster zu sehen
   kannst du den rechten Weg erkennen
   Je weiter deine Reise dich fortführt
   desto geringer deine Erkenntnis
   Darum der Weise:
   erkennt ohne zu reisen
   versteht ohne zu sehen
   vollendet ohne zu handeln

48. Vom Nicht-Tun

   Wer Gelehrsamkeit sucht
   lernt täglich dazu
   Wer den rechten Weg sucht
   verliert täglich etwas
   weniger und weniger
   bis das Nicht-Tun erreicht ist
   Wird nichts mehr getan
   bleibt nichts ungetan
   Durch Nicht-Tun
   wird die Welt gewonnen
   Durch Tun
   wird die Welt verloren

49. Vom Weisen und dem Volk

   Der Weise hat keine Sorge um sich
   er hat Sorge um alle Menschen
   Er ist gut zu den Guten
   er ist gut zu den Schlechten
   denn Tugend ist Güte
   Er ist ehrlich zu den Ehrlichen
   er ist ehrlich zu den Unehrlichen
   denn Tugend ist Ehrlichkeit
   Der Weise lebt behutsam und demütig
   alle richten ihre Herzen auf ihn
   er achtet alle wie seine Kinder

50. Vom Tod und Leben

   Mit der Geburt
   tritt der Tod ins Leben
   Es sind dreizehn Pfade des Lebens
   es sind dreizehn Pfade des Todes
   dreizehn Pfade vom Leben zum Tode
   Warum ist das so?
   Weil die Menschen
   innerhalb des Lebens
   ihr Leben verschwenden
   Jedoch
   wer das Leben
   recht zu führen weiß
   der durchwandert die Welt
   und trifft weder Nashorn noch Tiger
   der geht durch ein Kriegsheer
   und trägt weder Panzer noch Waffe
   Das Horn des Nashorns findet ihn nicht
   Die Pranke des Tigers findet ihn nicht
   Die Waffe des Kriegers findet ihn nicht
   Warum ist das so?
   Weil der Weise
   außerhalb des Todes
   sein Leben bewahrt

51. Von der tiefen T

   ugend
   Alle Wesen entstehen aus dem Tao
   Der rechte Weg erzeugt sie
   die rechte Tugend nährt sie
   das rechte Wesen formt sie
   der rechte Einfluss vollendet sie
   Darum ehren alle Wesen das Tao
   und achten die Tugend
   Tao wird geehrt
   die Tugend geachtet
   ohne Anordnung
   wie von selbst
   Denn
   der rechte Weg erzeugt sie
   die Tugend nährt sie
   versorgt und beschirmt sie
   läßt sie wachsen und reifen
   Erzeugen und nicht besitzen
   Wirken ohne zu erwarten
   Fördern ohne zu beherrschen
   Das heißt tiefe Tugend

52. Vom Mütterlichen

   Der Anfang der Welt
   ist die Mutter der Welt
   Wer die Mutter erkennt
   erkennt sich als Kind
   wer als Kind sich erkennt
   bewahrt seine Mutter
   und fürchtet das Ende nicht
   Wer seine Worte mindert
   und seine Türen schließt
   ist am Ende mühelos
   Wer seine Worte mehrt
   und geschäftig handelt
   ist am Ende hoffnungslos
   Das Beachten des Kleinen
   nennt man Klarheit
   Das Bewahren der Nachgiebigkeit
   nennt man Stärke
   Dem inneren Licht zu folgen
   führt zur Einsicht zurück
   und bewahrt vor Unheil
   Das heißt:
   Die Erfahrung des Unendlichen

53. Vom Verlassen des rechten Wegs

   Wer Erkenntnis gewinnt
   geht auf dem rechten Weg
   und vermeidet alle Umwege
   Der rechte Weg ist gerade
   das Volk liebt die Umwege
   Der Hof prächtig geschmückt
   die Felder voll Unkraut
   die Scheunen leer
   die Kleider voll Prunk
   mit scharfem Dolch gegürtet
   übersatt von Trank und Speise
   sind Schätze und Reichtümer angehäuft
   Das ist Maßlosigkeit und Räuberei
   und sicher nicht der rechte Weg

54. Von der Entwicklung der Tugend

   Gut Gegründetes wird nicht erschüttert
   gut Gehegtes wird nicht entgleiten
   so wird es von den Nachfahren
   gepflegt und geachtet
   Entwickle Tugend in dir selbst
   und die Tugend wird wahrhaft sein
   Entwickle Tugend in der Familie
   und die Tugend wird reichlich sein
   Entwickle Tugend im Dorf
   und die Tugend wird gedeihen
   Entwickle Tugend im Staat
   und die Tugend wird wachsen
   Entwickle Tugend in der Welt
   und die Tugend wird überall sein
   Darum:
   Betrachte den Einzelnen als Einzelnen
   betrachte die Familie als Familie
   betrachte das Dorf als Dorf
   betrachte den Staat als Staat
   betrachte die Welt als Welt
   Warum weiß ich
   dass die Welt so ist?
   Eben durch dieses

55. Vom Kind

   Wer von Tugend erfüllt ist
   ist wie ein neugeborenes Kind
   giftige Insekten stechen es nicht
   wilde Bestien beißen es nicht
   Raubvögel greifen es nicht
   Seine Knochen sind weich
   seine Muskeln sind schwach
   aber sein Griff ist fest
   Es weiß noch nichts von Mann und Frau
   doch sein Geschlecht
   zeigt und erregt sich schon
   Es ist voller Lebenskraft
   es schreit den ganzen Tag
   und wird davon nicht heiser
   in vollendetem Einklang
   Das Wissen vom Einklang
   ist das Unendliche
   Das Wissen vom Unendlichen
   ist die Erleuchtung
   Zunehmendes Alter bringt Unheil
   zunehmender Willen bringt Stärke
   zunehmende Stärke bringt Erstarrung
   Das ist nicht mehr der rechte Weg
   daher geht es bald zu Ende

56. Vom Schweigen

   Wer weiß, redet nicht
   wer redet, weiß nicht
   Beende das Gerede
   schließe die Türen
   dämpfe den Eifer
   löse die Verwirrung
   mindere den Glanz
   finde den Grund
   Das heißt eins werden mit dem Ursprung
   Wer dies erreicht hat
   wird von Liebe und Hass nicht erschüttert
   wird von Gewinn und Verlust nicht berührt
   wird von Ehre und Schande nicht betroffen
   Darum wird er von allen geschätzt

57. Von der Mühelosigkeit

   Durch rechtschaffene Leitung des Staates
   durch seltenen Gebrauch der Waffen
   durch Nicht-Tun gewinnst du die Welt
   Woher ich weiß, dass dies so ist?
   Darum:
   Je mehr Verwaltung umso mehr Armut
   je mehr Waffen umso mehr Gewalt
   je mehr Geschick umso mehr Hinterlist
   je mehr Gesetze umso mehr Verbrechen
   Darum sagt der Weise:
   Tue nichts
   und das Volk wandelt sich von selbst
   Achte auf die Stille
   und das Volk bessert sich von selbst
   Sei ohne Mühe
   und das Volk versorgt sich von selbst
   Sei ohne Wunsch
   und das Volk bescheidet sich von selbst

58. Von der Mitte

   Ist die Regierung kaum spürbar
   ist das Volk redlich und einfach
   Ist die Regierung aber ehrgeizig
   ist das Volk verschlagen und falsch
   Erfolg stützt sich auf Elend
   Erfolg birgt Elend unter sich
   Wer kennt das Ende?
   Recht wird zu Unrecht
   Ordnung zu Unordnung
   und die Verwirrung wächst
   Daher ist der Weise
   klar aber nicht verletzend
   treffend aber nicht durchdringend
   freimütig aber nicht rücksichtslos
   erhellend aber nicht blendend

59. Von der Mäßigung

   Im Sorgen für andere
   und im Dienste des Himmels
   ist nichts so wichtig
   wie die Mäßigung
   Mäßigung bedeutet frühes Nachgeben
   Frühes Nachgeben bedeutet
   Sammeln der Tugend
   Mit gesammelter Tugend
   ist nichts unerreichbar
   Ist nichts unerreichbar
   gibt es keine Grenzen
   Gibt es keine Grenzen
   ist das Reich regierbar
   Im Einklang mit dem Mütterlichen
   kann der Staat bestehen und gedeihen
   Das heißt:
   Tiefe Wurzeln und ein fester Grund
   bieten Sicherheit und langes Leben
   wenn der rechte Weg beachtet wird

60. Vom Regieren

   Ein großes Reich regieren
   ist wie das Braten kleiner Fische
   Auf dem rechten Weg
   das Reich regieren -
   dann wird das Böse
   keine Macht haben
   Nicht, dass das Böse nicht mächtig wäre
   Aber seine Macht wird niemand schaden
   Nicht nur wird sie niemandem schaden
   auch die Herrscher schaden niemandem
   Da die Tugend sie verbindet
   tun beide keinen Schaden

61. Von der Bescheidenheit

   Ein großes Reich sollte bescheiden sein
   um die Welt in sich zu sammeln
   wie die Mutter der Dinge
   Denn das Weibliche
   überwindet das Männliche
   durch Nachgiebigkeit
   Darum:
   Stellt sich ein großes Reich
   unter ein kleines Reich
   so gewinnt er das kleine Reich dazu
   Stellt sich ein kleines Reich
   unter ein großes Reich
   so gewinnt es das große Reich dazu
   Darum:
   Wer siegen will
   muss sich beugen
   Wer herrschen will
   muss dienen
   Denn die großen Reiche wollen einen und fördern
   die kleinen Reiche wollen beitreten und aufgehen
   Um dies zu erreichen
   muss das Große sich beugen

62. Vom rechten Weg des Wirkens

   Der rechte Weg ist
   der Ursprung aller Dinge
   den guten Menschen ein Schatz
   den schlechten Menschen ein Schutz
   Schöne Worte können Ansehen erkaufen
   gute Taten können Achtung gewinnen
   schlechte Menschen soll man nicht aufgeben
   So wird auch der Herrscher gekrönt
   und die Regierung eingesetzt
   Mag er auch jene bevorzugen
   die ihren Reichtum zeigen
   oder ihm vorauseilen
   besser ist es
   in Stille und Ruhe zu sitzen
   und dem rechten Weg zu folgen
   Was aber war der Grund
   von jeher das Tao zu verehren?
   Die Alten sagten:
   Wer sucht, der findet
   Wer seine Fehler erkennt
   dem wird vergeben
   Darum ist es der wahre Reichtum der Welt

63. Vom Beginnen

   Tue durch Nicht-Tun
   Wirke ohne Handeln
   Genieße ohne Reiz
   Vergrößere das Kleine
   Mehre das Wenige
   Vergelte Feindschaft
   mit Wohlwollen
   Plane das Schwierige im Leichten
   Erreiche das Große im Kleinen
   Denn das Schwierige beginnt im Leichten
   Und das Große beginnt im Kleinen
   Daher versucht der Weise
   nichts Großes zu tun
   und vollendet Großes
   Doch wer viel verspricht
   hält zumeist wenig
   wer viel leichtnimmt
   findet alles schwer
   Darum hält der Weise
   alles für schwer
   und findet es leicht

64. Vom Bewahren des Anfangs

   Ruhiges ist leicht zu halten
   Offenes ist leicht zu planen
   Dünnes Eis ist leicht zu schmelzen
   Feiner Staub leicht zu zerstreuen
   Wirke auf die Dinge bevor sie erschienen sind
   Ordne die Dinge bevor sie verwirrt sind
   Ein großer Baum wächst aus einem kleinen Spross
   Ein großer Turm entsteht aus einem Häufchen Erde
   Eine große Reise beginnt mit dem ersten Schritt
   Wer handelt, verdirbt — wer festhält, verliert
   Weil der Weise nicht handelt, verdirbt er nichts
   Weil er nicht festhält, verliert er nichts
   Die Menschen aber handeln
   und vor der Vollendung zerstören sie alles
   wären sie am Ende so behutsam wie zu Beginn
   bliebe es unzerstört
   Darum der Weise
   wünscht wunschlos zu sein
   schätzt keine Schätze
   erlernt das Vergessen
   achtet das Unbeachtete
   fördert alle Wesen in ihrer Natur
   ohne einzugreifen

65. Von der Gefahr der Klugheit

   Die von jeher dem rechten Weg folgten
   lehrten dem Volk keine Klugheit
   sie wollten, dass es einfach bleibe
   Wenn das Volk zuviel Klugheit anhäuft
   ist es schwer zu regieren
   Förderung der Klugheit
   führt zur Unordnung im Reich
   Förderung der Einfachheit
   führt zur Ordnung im Reich
   Diese beiden Möglichkeiten gibt es
   sie zu verstehen ist tiefe Tugend
   Die tiefe Tugend ist klar und weit
   in der Aufhebung der Gegensätze
   führt sie zum großen Einklang

66. Von der Demut

   Warum führt das Meer die Ströme
   die Ströme die Flüsse
   die Flüsse die Quellen?
   Weil sie niedriger sind als jene
   Darum:
   Um über das Volk erhaben zu sein
   muss man sich darunter stellen
   Um dem Volk voran zu gehen
   muss man sich dahinter stellen
   Darum ist der Weise
   erhaben ohne das Volk zu bedrücken
   führend ohne dem Volk zu schaden
   So freut sich das Volk ihm zu folgen
   Weil er sich nichts erstreitet
   will niemand mit ihm streiten

67. Von den drei Schätzen

   Die Welt sagt das Tao ist groß
   aber unbegreiflich
   Doch nur weil es groß ist
   ist es unbegreiflich
   Könnte es begriffen werden
   wäre es bedeutungslos
   Ich habe drei Schätze
   die ich hüte und bewahre:
   Der erste ist: Liebe
   Der zweite ist: Genügsamkeit
   Der dritte ist: Demut
   Wer liebt, kann mutig sein
   Wer genügsam ist, kann großzügig sein
   Wer demütig ist, kann vorangehen
   Wer mutig ist ohne Liebe
   wer großzügig ist ohne Genügsamkeit
   wer vorangeht ohne Demut
   geht ins Verderben
   Die Liebe ist siegreich im Angriff
   unverwundbar in der Verteidigung
   Wen der Himmel behüten will
   den schützt er mit Liebe

68. Von der Friedfertigkeit

   Ein guter Herrscher
   braucht keine Gewalt
   Ein guter Krieger
   kämpft ohne Zorn
   Ein guter Sieger
   greift nicht an
   Ein guter Anführer
   hält sich zurück
   Das ist die Tugend der Friedfertigkeit
   des höchsten Umgangs mit Menschen
   die höchste Einheit mit dem Himmel
   das höchste Ziel der Vorfahren

69. Von der Vorsicht

   Im Kampf gilt das Sprichwort:
   Besser angegriffen werden
   als selber anzugreifen
   besser einen Fuß zurückweichen
   als einen Zoll vorrücken
   Das heißt:
   Vorangehen ohne vorzugehen
   zurückhalten ohne zu halten
   abwehren ohne sich zu wehren
   siegen ohne Waffen zu gebrauchen
   Kein größeres Unheil
   als leichtfertig anzugreifen
   Wer leichtfertig angreift
   verliert leicht seine Schätze
   Darum:
   Wo Waffen aufeinanderprallen
   siegt der Nachgebende

70. Vom Verstehen

   Meine Worte sind
   leicht zu verstehen
   leicht zu befolgen
   Aber auf der Welt
   ist niemand fähig
   sie zu verstehen
   sie zu befolgen
   Meine Worte haben einen Ursprung
   meine Taten haben eine Richtung
   Weil sie diese nicht verstehen
   verstehen sie auch mich nicht
   Die wenigen, die sie verstehen
   werden mich schätzen
   Darum trägt der Weise
   außen grobe Kleider
   innen kostbare Jade

71. Vom Wissen

   Wer nicht weiß, dass er weiß
   ist weise
   Wer weiß, daß er nicht weiß
   ist leidend
   Doch nur wer an diesem Leiden leidet
   leidet darum nicht
   Der Weise leidet nicht
   weil er an diesem Leiden leidet
   Darum leidet er nicht

72. Von der Achtung

   Haben die Menschen keine Ehrfurcht
   geschieht das Furchtbare
   Achte ihre Häuser
   Achte ihre Arbeit
   Nur wenn du sie achtest
   werden sie dich achten
   Darum erkennt
   der Weise sich selbst
   aber zeigt sich nicht
   Er achtet sich selbst
   aber beachtet sich nicht
   Darum
   läßt er jenes
   und hält sich an dieses

73. Vom Netz des Himmels

   Der Verwegene wird vergehen
   der Besonnene bleibt bestehen
   Von diesen beiden ist
   einer im Nachteil
   einer im Vorteil
   Wer kennt die Gründe des Himmels?
   Selbst der Weise nicht
   Des Himmels Weg ist
   Überwindung ohne Streit
   Belohnung ohne Worte
   Erscheinung ohne Ruf
   Wirkung ohne Mühe
   Des Himmels Netz ist endlos weit
   so weit die Maschen sind geknüpft
   so schlüpft doch nichts hindurch

74. Von der Todesstrafe

   Wenn die Menschen
   den Tod nicht fürchten
   was hilft es
   mit dem Tod zu drohen?
   Wenn die Menschen
   den Tod stets fürchten
   was hilft es
   den Verbrecher zu fassen
   und zu töten?
   Der Tod selbst
   ist oberster Vollstrecker
   An seiner Stelle zu töten
   ist wie das Führen der Axt
   anstelle des Zimmermanns
   Wer die Axt führt
   anstelle des Zimmermanns
   bleibt selten unverletzt

75. Von der Habgier

   Das Volk hungert
   weil die Oberen prassen
   Darum hungert das Volk
   Das Volk ist ungehorsam
   weil die Oberen Gehorsam erpressen
   Darum ist das Volk ungehorsam
   Das Volk achtet das Leben gering
   weil die Oberen nach dem Leben gieren
   Darum achtet das Volk das Leben gering
   Wer nicht an seinem Leben hängt
   ist würdiger als jener
   der nach seinem Leben giert

76. Vom Harten und Weichen

   Der Mensch
   tritt ins Leben
   weich und zart
   im Tode ist er
   hart und starr
   Alle Wesen
   treten ins Leben
   weich und zart
   im Tode sind sie
   trocken und hart
   Darum
   ist das Harte und Starre
   Zeichen des Todes
   das Weiche und Schwache
   Zeichen des Lebens
   Ist das Heer starr und stark
   wird es untergehen
   Ist der Baum hart und stark
   wird er gefällt werden
   Das Harte und Starke vergeht
   Das Weiche und Schwache besteht

77. Vom Ausgleich

   Der Weg des Himmels
   ist wie das Spannen des Bogens:
   Das Obere wird heruntergezogen
   das Untere wird emporgehoben
   Das Gebogene wird gestreckt
   das Gestreckte wird gebogen
   Des Himmels Weg ist
   die Fülle zu mindern
   die Leere zu füllen
   Der Menschen Weg
   ist jedoch:
   denen zu nehmen
   die zuwenig haben
   und denen zu geben
   die zuviel haben
   Wer vermag es
   genug zu haben
   und allen zu geben?
   Nur jener
   der von Tao erfüllt ist
   Darum wirkt der Weise ohne Erwartung
   Vollendet sein Werk ohne Anspruch
   wunschlos und vortrefflich

78. Vom Wasser

   Nichts in der Welt
   ist nachgiebiger und weicher als Wasser
   doch nichts ist besser
   um Hartes und Starkes zu überwinden
   dank dem was es nicht ist
   gelingt es ihm leicht
   Das Weiche überwindet das Harte
   das Schwache überwindet das Starke
   Obwohl jeder es weiß
   handelt keiner danach
   Darum sagt der Weise:
   Wer das Unheil auf sich nimmt
   vermag das Land zu regieren
   Wer das Unglück auf sich nimmt
   vermag die Welt zu regieren
   Oft klingt die Wahrheit widersinnig

79. Von der Schuld

   Nach großem Streit
   bleibt kleiner Streit
   Wie das ändern?
   Der Weise hält sich daher
   an seine Seite des Vertrags
   und erzwingt nicht die andere
   Wer die rechte Tugend hat
   erfüllt seine Pflichten
   und vergißt die Schuld
   Wem die rechte Tugend fehlt
   fordert ein und pocht auf Schuld
   Aber der Weg des Himmels ist gerecht
   er wirkt durch den guten Menschen

80. Von der Unabhängigkeit

   Klein sei das Reich
   wenige das Volk
   die Güter reich
   der Verbrauch gering
   das Leben wertvoll
   die Reisen kurz
   Boote und Wagen
   werden nicht gebraucht
   Rüstung und Waffen
   werden nicht verwendet
   Schnüre geknotet
   statt zu schreiben
   Die Speisen schmackhaft
   die Kleidung passend
   die Wohnung friedlich
   die Gebräuche freudig
   Die Nachbarn in der Nähe
   dass Hunde und Hähne
   zwar zu hören sind
   aber ohne Besuch
   und in Frieden
   das Leben zu beschließen

81. Vom Weg des Himmels

   Wahre Worte sind nicht schön
   schöne Worte sind nicht wahr
   Der Gute streitet nicht
   der Streitende ist nicht gut
   Der Wissende ist nicht gelehrt
   Der Gelehrte unwissend
   Der Weise sammelt keine Schätze
   Je mehr er für andere wirkt
   umso mehr gewinnt er selbst
   Je mehr er den anderen gibt
   umso größer ist sein Reichtum
   Der Weg des Himmels ist
   Nutzen ohne Schaden
   Der Weg des Weisen ist
   Wirken ohne Mühe
   Nachwort
   Lao Tse zu übersetzen, zu übertragen oder nachzudichten wird immer ein Versuch sein, eine Facette die Schönheit eines ganzen Juwels spiegeln zu lassen. So wie die chinesische Schrift jedem Zeichen viele Übersetzungsmöglichkeiten zukommen läßt, sind alle bisherigen (und zukünftigen) Versuche, ihn ins Deutsche zu übertragen, subjektiv und von der persönlichen Deutung des Interpreten geprägt. In diesem Sinn gibt es keine «richtigen» und «falschen» Übersetzungen sondern eher wörtliche Übertragungen oder freie Nachdichtungen. In meiner Arbeit habe ich versucht, aus den bestehenden Texten eine einfache, klare und zeitgemäße Nachdichtung zu verfassen, die dennoch die Vieldeutigkeit und Tiefe der ursprünglichen taoistischen Gedankenwelt würdigt. Neben den bisherigen Übersetzern, die im Literaturverzeichnis genannt werden, und meine Bemühungen gefördert haben, gilt mein besonderer Dank meiner Frau und meinen Kindern, die die Konzentration auf die Arbeit ermöglicht und meine Abwesenheit ertragen haben und meinem Vater, dem ich diese 81 Kapitel zum 81. Lebensjahr widmen möchte — er hat mir Lao-Tse ursprünglich nahe gebracht.
   Salzburg, im Juli 2000
   Bodo Kirchner
 

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